Die Gouvernante - Zweig Stefan - E-Book

Die Gouvernante E-Book

Zweig Stefan

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Beschreibung

Die beiden Töchter aus grossbürgerlichem Hause, 12 und 13 Jahre alt, belauschen die Gespräche der Erwachsenen und erfahren, dass ihre geliebte Gouvernante von ihrem Cousin, einem Studenten, der in ihrem Hause lebt, ein Kind erwartet. Die Mädchen können nicht begreifen, was nachher passiert. Die Gouvernante wird aus dem Hause gejagt und nimmt sich wenig später das Leben.

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Die Gouvernante

Titel SeiteImpressum

Stefan Zweig

Die Gouvernante

Die beiden Kinder sind nun allein in ihrem Zimmer. Das Licht ist ausgelöscht. Dunkel liegt zwischen ihnen, nur von den Betten her kommt ein leiser weißer Schimmer. Ganz leise atmen die beiden, man möchte glauben, sie schliefen.

»Du!« sagt da eine Stimme. Es ist die Zwölfjährige, die leise, fast ängstlich, in das Dunkel hinfragt.

»Was ists?« antwortet vom anderen Bett die Schwester. Ein Jahr nur ist sie älter.

»Du bist noch wach. Das ist gut. Ich ... ich möchte dir gern etwas erzählen ...«

Keine Antwort kommt von drüben. Nur ein Rascheln im Bett. Die Schwester hat sich aufgerichtet, erwartend blickt sie herüber, man kann ihre Augen funkeln sehn.

»Weißt du ... ich wollte dir sagen ... Aber sag du mir zuerst, ist dir nicht etwas aufgefallen in den letzten Tagen an unserm Fräulein?«

Die andere zögert und denkt nach. »Ja,« sagt sie dann, »aber ich weiß nicht recht, was es ist. Sie ist nicht mehr so streng. Letzthin habe ich zwei Tage keine Aufgaben gemacht, und sie hat mir gar nichts gesagt. Und dann ist sie so, ich weiß nicht wie. Ich glaube, sie kümmert sich gar nicht mehr um uns, sie setzt sich immer abseits und spielt nicht mehr mit, so wie früher.«

»Ich glaube, sie ist sehr traurig und will es nur nicht zeigen. Sie spielt auch nie mehr Klavier.«

Das Schweigen kommt wieder.

Da mahnt die Ältere: »Du wolltest etwas erzählen.«

»Ja, aber du darfst es niemandem sagen, wirklich niemandem, der Mama nicht und nicht deiner Freundin.«

»Nein, nein!« Sie ist schon ungeduldig. »Was ists also!«

»Also ... jetzt, wie wir schlafen gegangen sind, ist mir plötzlich eingefallen, daß ich dem Fräulein nicht ›Gute Nacht!‹ gesagt habe. Die Schuhe hab ich schon ausgezogen gehabt, aber ich bin doch hinüber in ihr Zimmer, weißt du, ganz leise, um sie zu überraschen. Ganz vorsichtig mach ich also die Tür auf. Zuerst hab ich geglaubt, sie ist nicht im Zimmer. Das Licht hat gebrannt, aber ich hab sie nicht gesehn. Da plötzlich – ich bin furchtbar erschrocken – hör ich jemand weinen und seh auf einmal, daß sie ganz angezogen auf dem Bett liegt, den Kopf in den Kissen. Geschluchzt hat sie, daß ich zusammengefahren bin. Aber sie hat mich nicht bemerkt. Und da hab ich die Tür ganz leise wieder zugemacht. Einen Augenblick hab ich stehen bleiben müssen, so hab ich gezittert. Da kam es noch einmal ganz deutlich durch die Tür, dieses Schluchzen, und ich bin rasch heruntergelaufen.«

Sie schweigen beide. Dann sagt die eine ganz leise: »Das arme Fräulein!« Das Wort zittert hin ins Zimmer wie ein verlorener dunkler Ton und wird wieder still.

»Ich möchte wissen, warum sie geweint hat«, sängt die Jüngere an. »Sie hat doch mit niemand Zank gehabt in den letzten Tagen, Mama läßt sie endlich auch in Ruh mit ihren ewigen Quälereien, und wir haben ihr doch sicher nichts getan. Warum weint sie dann so?«

»Ich kann es mir schon denken«, sagt die Ältere.

»Warum, sag mir, warum?«

Die Schwester zögert. Endlich sagt sie: »Ich glaube, sie ist verliebt.«

»Verliebt?« Die Jüngere zuckt nur so auf. »Verliebt? In wen?«

»Hast du gar nichts bemerkt?«

»Doch nicht in Otto?«

»Nicht? Und er nicht in sie? Warum hat er denn, der jetzt schon drei Jahre bei uns wohnt und studiert, uns nie begleitet und jetzt seit den paar Monaten auf einmal täglich? War er je nett zu mir oder zu dir, bevor das Fräulein zu uns kam? Den ganzen Tag ist er jetzt um uns herum gewesen. Immer haben wir ihn zufällig getroffen, zufällig, im Volksgarten oder Stadtpark oder Prater, wo immer wir mit dem Fräulein waren. Ist dir denn das nie aufgefallen?«

Ganz erschreckt stammelt die Kleine:

»Ja ... ja, natürlich hab ichs bemerkt. Ich hab nur immer gedacht, es ist ...«

Die Stimme schlägt ihr um. Sie spricht nicht weiter.

»Ich hab es auch zuerst geglaubt, wir Mädchen sind ja immer so dumm. Aber ich habe noch rechtzeitig bemerkt, daß er uns nur als Vorwand nimmt.«

Jetzt schweigen beide. Das Gespräch scheint zu Ende.

Beide sind in Gedanken oder schon in Träumen.