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Die Handlung spielt während der Zeit von Erik Blood-Axe (ca. 930–934) im Norden Norwegens im historischen Helgeland, einer Zeit, in der sich die norwegische Gesellschaft von der Tradition der altnordischen Sagen auf die neue Ära des Christentums umstellte. Es geht um die Ankunft von Ornulf, der mit seinen sieben Söhnen seine Tochter Dagny und die Pflegetochter Hjordis sucht, die von Sigurd bzw. Gunnar entführt und verheiratet wurden. Eine Tragödie, die durch Vorstellungen von Ehre und Pflicht verschärft wird, führt zum Tod aller Söhne von Ornulf, Sigurds, der von Hjordis getötet wird und Hjordis durch Selbstmord. Die Handlung erinnert an den germanischen Mythos von Sigmund und Brynhilde.
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Seitenzahl: 95
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LUNATA
Die Helden auf Helgeland
(Nordische Heerfahrt)
Schauspiel in vier Akten
© 1858 Henrik Ibsen
Originaltitel Hærmændene paa Helgeland
Aus dem Norwegischen von Emma Klingenfeld
Umschlagbild Julius Rose
© Lunata Berlin 2020
Vorwort zur ersten deutschen Ausgabe
Personen
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Vierter Akt
Indem ich von einer meiner älteren dramatischen Arbeiten hier eine deutsche Ausgabe erscheinen lasse, dürfte es vielleicht nicht überflüssig sein, darauf aufmerksam zu machen, daß ich den Stoff zu diesem Schauspiele nicht dem Nibelungenliede, sondern der damit verwandten nordischen Wölsungasage entnommen habe. Doch auch dies nur zum Teil. Die hauptsächliche Grundlage meiner Dichtung beruht vielmehr auf den verschiedenen, noch vorhandenen isländischen Familiensagen, in denen die aus dem Nibelungenliede und der Wölsungasage bekannten riesenhaften Verhältnisse und Vorgänge sehr oft nur auf menschliche Dimensionen zurückgeführt erscheinen. Ich glaube daraus schließen zu dürfen, daß die in den zwei eben erwähnten Dichtungen geschilderten Situationen und Begebenheiten für unser gesamtgermanisches Leben in den ältesten historischen Zeiten typisch gewesen sind. Hält man an dieser Annahme fest, so fällt wohl auch der Vorwurf weg, durch das vorliegende Schauspiel sei unsere nationale Sagenwelt in eine Sphäre herabgezogen, in die sie nicht gehört. Für die Darstellung auf der Bühne eignen sich die idealisierten und gewissermaßen unpersönlichen Sagengestalten heutzutage weniger als je; doch hiervon ganz abgesehen, hatte ich überhaupt nur die Absicht, unser Leben in der alten Zeit, nicht unsere Sagenwelt darzustellen.
Was diese deutsche Ausgabe betrifft, so sei es mir erlaubt, der hochgeehrten Übersetzerin meinen verbindlichsten Dank abzustatten für den Eifer und die Liebe zur Sache, womit sie die keineswegs leichte Aufgabe unternommen und gelöst hat. Ebenso bezeuge ich meinem hochgeschätzten Freunde, dem hiesigen königl. Opernregisseur Herrn Dr. Grandaur, meinen Dank. Es ist dies nicht das erste Mal, daß er skandinavischen Schriftstellern bereitwillig seine Hand gereicht hat, und ohne seinen einsichtsvollen Beistand hätte auch diese Unternehmung schwerlich so schnell bewerkstelligt werden noch so gut gelingen können.
HENRIK IBSEN
Oernulf von den Fjorden, Landsasse auf Island
Sigurd der Starke, Seekönig
Gunnar Herse, ein reicher Lehnsmann auf Helgeland
Thorolf, Oernulfs jüngster Sohn
Dagny, Oernulfs Tochter
Hjördis, Oernulfs Pflegetochter
Kåre, ein helgeländer Bauer
Egil, Gunnars Sohn, vier Jahre alt
Die sechs älteren Söhne Oernulfs
Oernulfs und Sigurds Mannen
Gäste, Knechte, Mägde, Geächtete usw.
Das Stück spielt in des Erik Blutaxt Tagen zu Helgeland im nördlichen Norwegen, auf Gunnars Hof und nahe dabei.
Hoher Strand, der im Hintergrunde schroff zum Meer abfällt. Links eine Bretterhütte, rechts Felsen und Nadelwaldung. Die Masten zweier Kriegsschiffe sieht man unten in der Bucht. Rechts weit draußen Klippen und hohe kleine Inseln. Die See ist in wildem Aufruhr. Es ist Winter; Schneegestöber und Sturm.
Sigurd kommt von den Schiffen herauf. Er trägt ein weißes Wams mit Silbergürtel, einen blauen Mantel, gewirkte Beinkleider, Pelzschuhe und eine Stahlhaube, an der Seite ein kurzes Schwert. Gleich danach erscheint Oernulf auf dem Felsen. Er trägt ein Wams von dunklem Schafsfell mit Brustplatte und Beinschienen, gewirkte Beinkleider und Pelzschuhe; über der Schulter hat er einen braunen groben Wollmantel, dessen Kapuze über die Stahlhaube gezogen ist, so daß ein Teil des Gesichtes verborgen bleibt. Er ist hoch und hünenhaft gewachsen, hat einen langen weißen Bart und ist vom Alter nur leicht gebeugt; bewaffnet ist er mit rundem Schild, Schwert und Spieß.
Sigurd tritt zuerst auf, blickt um sich, gewahrt die Bretterhütte, geht rasch darauf zu und versucht, die Tür zu erbrechen.
Oernulfwird auf dem Felsen sichtbar, stutzt, da er Sigurd sieht, scheint ihn zu erkennen, steigt hernieder und ruft: Gib Raum, Krieger!
Sigurdwendet sich um, legt die Hand ans Schwert und antwortet: Ich weichen? Es wär' das erste Mal!
Oernulf. Du sollst und mußt! Ich brauche die Hütte zum Nachtlager für meine steifgefrornen Mannen.
Sigurd. Und ich für ein müdes Weib.
Oernulf. Meine Mannen sind mehr wert als Deine Weiber!
Sigurd. Dann müssen auf Helgeland Geächtete hoch im Preise stehen.
Oernulflegt den Spieß ein. Teuer sollst Du das Wort mir zahlen!
Sigurdzieht sein Schwert. Nun wird es Dir schlimm ergehen, Greis!
Oernulf dringt auf ihn ein, Sigurd verteidigt sich.
Dagny und mehrere Mannen Sigurds kommen vom Strand, Oernulfs sechs Söhne rechts vom Berge.
Dagny, einige Schritte voraus, trägt ein rotes Gewand, einen blauen Mantel mit zurückgeschlagener Pelzmütze. Sie ruft zu den Schiffen hinunter: Auf, Sigurds Mannen! Mein Herr streitet mit einem Fremdling!
Oernulfs Söhne. Zu Hilfe dem Greis! Sie steigen herab.
Sigurdzu seinen Leuten. Bleibt, wo Ihr seid! Ich zwing' ihn wohl allein.
Oernulfzu den Söhnen. Laßt mich! Er dringt auf Sigurd ein. Dein Blut will ich sehen!
Sigurd. Doch erst sieh Deines! Er verwundet ihn am Arm, so daß der Spieß zur Erde fällt.
Oernulf.Ein guter Hieb, Kriegsmann!
Schwingst das Schwert gewaltig,
Schlägst mit scharfen Streichen;
Sigurd selbst, der Starke,
Müßte vor Dir weichen.
Sigurdlächelnd. So wird ihm die Schande zur Ehre.
Oernulfs Söhnemit einem Ausruf des Erstaunens. Sigurd selbst! Sigurd, der Starke!
Oernulf. Doch härter trafst Du traun in jener Nacht, da Du mir Dagny, die Tochter, raubtest. Schlägt die Kapuze zurück.
Sigurd und seine Mannen. Oernulf von den Fjorden!
Dagny, freudig, doch mit einem Anflug von Unruhe. Mein Vater! Meine Brüder!
Sigurdzu Dagny. Tritt hinter mich!
Oernulf. Das ist nicht nötig. Nähert sich Sigurd. Ich erkannte Dich sogleich, als ich Dich erschaute. Darum fing ich Fehde an. Prüfen wollt' ich, ob das Gerücht wahr ist, das Dich Norwegens kühnsten Kämpen nennt. So sei denn Fried' und Freundschaft zwischen uns!
Sigurd. Das beste wär's, fügte es sich so.
Oernulf. Hier meine Hand! Du bist ein wackerer Kämpe. So scharfe Hiebe hat noch keiner getauscht mit dem alten Oernulf!
Sigurdschüttelt die dargebotene Hand. Es seien die letzten Schwerthiebe, so wir tauschten! Und nun sollst Du selbst in unsrer Sache richten; bist Du bereit, zu stellen die Bedingungen?
Oernulf. Ich bin's; und so sei der Streit geschlichtet! Zu den andern. Hiermit tu' ich Euch allen kund, um was es sich handelt. Fünf Winter ist's her, da lagen Sigurd und Gunnar als Wikinger auf Island. Ganz nahe bei meinem Hofe nahmen sie den Winter über Aufenthalt und Obdach. Da raubte Gunnar mit Gewalt und List meine Pflegetochter Hjördis; doch Du, Sigurd, nahmst Dagny, mein eigen Kind, und zogst mit ihr von dannen. Für diesen Raub wirst Du verurteilt, dreihundert Mark in Silber zu entrichten, und damit soll Dein Friedensbruch gesühnt sein.
Sigurd. Billige Buße dünkt mich, was Du da forderst. Die dreihundert Mark werd' ich entrichten, und dazu will ich noch einen verbrämten Seidenmantel legen; es ist eine Königsgabe von Aedhelstan in England und so gut, wie je ein Mann auf Island einen trug.
Dagny. Recht so, mein kühner Eheherr, und Dank Dir, mein Vater! Nun erst bin ich frohen Mutes. Sie drückt dem Vater und den Brüdern die Hand und spricht leise mit ihnen.
Oernulf. So trete denn unser Vergleich in Kraft, und Dagny soll von Stund an so ehrenvoll gehalten werden, als wäre sie Dir gesetzlich angetraut mit ihrer Sippe Zustimmung.
Sigurd. Und auf mich kannst Du von nun an bauen wie auf Dein eigen Geschlecht.
Oernulf. Das hoff' ich fürwahr; und gleich will ich erproben, wie Du mir gesonnen.
Sigurd. Ich bin bereit. Sprich, was begehrst Du?
Oernulf. Deine Hilfe, mit Rat und mit Tat. Hierher fuhr ich gen Helgeland, um Gunnar zu suchen und Sühne zu fordern für Hjördis' Raub.
Sigurdüberrascht. Gunnar!
Dagnyebenso. Und Hjördis! Wo sind sie zu finden?
Oernulf. Daheim, denk' ich, auf Gunnars Hof.
Sigurd. Und der liegt –?
Oernulf. Wenig Pfeilschüsse von hier. Das hast Du nicht gewußt?
Sigurdmit unterdrückter Bewegung. Gewiß nicht! Spärlich hab' ich nach Gunnar geforscht, seit wir zusammen von Island segelten. Weite Wikingsfahrten macht' ich und manchem fremden König dient' ich, indessen Gunnar zu Hause saß. Hier bin ich heut gelandet, im Dämmerlicht, vom Unwetter verschlagen. Wohl war es mir kund, daß Gunnar den Hof seiner Väter hier im Norden habe, doch –
Dagnyzu Oernulf. Und darum verließest Du die Heimat?
Oernulf. So ist's. Zu Sigurd. Daß wir beide uns trafen, ist ein Werk der Gewaltigen dort oben. Sie wollten es so. Hätt' ich Dich suchen wollen, ich hätte nicht gewußt, wo Du zu finden bist.
Sigurdgedankenvoll. Wohl wahr! Wohl wahr! Doch Dein Handel mit Gunnar! – Sag', Oernulf, denkst Du ihn hart anzupacken und alle Mittel anzuwenden, gute wie böse?
Oernulf. Das muß ich. Höre, Sigurd, was ich Dir sage. Im Sommer ritt ich zum Thing, und viel ehrenreiche Männer waren zur Stelle. Als der Thing zu Ende war, saß ich in der Halle und zechte mit meinen Stammgenossen, und es kam auf den Weiberraub die Rede. Höhnische Worte mußt' ich da hören, daß ich den Schimpf so lange ungerächt auf mir sitzen lassen. Da faßte mich der Zorn; ich schwor, gen Norwegen zu ziehen, um Gunnar zu suchen, und Buße für den Raub zu fordern oder ihn zu rächen und nicht eher nach Island heimzukehren, als bis ich meine Sache gefördert.
Sigurd. Steht es so, dann gilt es, wenn es not tut, mit Strenge zu verfahren.
Oernulf. Gewiß. Doch unbillig werd' ich nicht sein, und Gunnar steht im Ruf eines ehrenwerten Mannes. Auch freu' ich mich auf einen Kampf; es ward mir zuletzt die Zeit zu lang auf Island. Draußen auf den blauen Wassern bin ich alt und grau geworden; es war mir, als müßt' ich noch einmal hinaus, eh' ich – nun! Bergthora, mein gutes Weib, ist ja längst gestorben, meine ältesten Söhne gingen Sommer um Sommer auf die Wikingsfahrt, und als nun Thorolf heranwuchs –
Dagnyfreudig. Thorolf ist mit? Wo ist er?
Oernulf. Unten im Schiffe. Deutet rechts nach dem Hintergrunde. Da wirst Du einen Burschen sehen! Groß und stark und schön ist er geworden, seit Du die Heimat verlassen. Er wird ein herrlicher Recke werden, Sigurd – gleich Dir!
Dagnylächelnd. Ich merke schon – Thorolf steht Deinem Herzen noch immer am nächsten.
Oernulf. Gewiß! Ist er doch der Jüngste und seiner Mutter ähnlich.
Sigurd. Aber so sag' mir, – Dein Handel mit Gunnar – willst Du schon heut –
Oernulf. Heut lieber als morgen. Mit billiger Buße geb' ich mich zufrieden; verweigert Gunnar solchen Vergleich, dann mag er die Folgen tragen!
Der Bauer Kåre kommt eilig von rechts; er trägt ein grobes Bauerngewand und den Filzhut tief im Gesicht; in der Hand hält er einen Zaunpfahl, den er abgebrochen hat.
Kåre. Glück zur Begegnung, Krieger!
Oernulf. Kriegers Begegnung bringt selten Glück.
Kåre. Seid Ihr Männer von Ehre, so gewährt mir Frieden in Eurer Mitte! Gunnars Leute trachten mir nach dem Leben.
Oernulf. Gunnar!
Sigurd. So hast Du Böses gegen ihn verübt!
Kåre. Mein Recht hab' ich behauptet. Wir trieben Vieh auf derselben Weide, einer Insel hart am Festland. Gunnars Leute nahmen meine besten Ochsen weg, und einer der Männer schalt mich einen Hörigen. Da griff ich zur Waffe und erschlug ihn.
Oernulf. Das war gerechte Tat!
Kåre. Doch heut morgen fahndeten seine Mannen nach mir. Das Glück war mir günstig, denn ich wurde beizeiten gewarnt und konnte entschlüpfen. Doch kurze Frist nur bleibt mir, und meine Feinde suchen mich aufs neue.
Sigurdzu Kåre. Kaum trau' ich Deinen Worten, Bauer! In frühern Tagen kannt' ich Gunnar so gut wie mich selbst, und so viel weiß ich: niemals übte er Unbill gegen den Friedfertigen.
Kåre