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Gilbert Markham ist fasziniert von Helen Graham, einer schönen und geheimnisvollen jungen Frau, die mit ihrem kleinen Sohn in das nahe gelegene Wildfell Hall gezogen ist. Er bietet Helen schnell seine Freundschaft an, aber als ihr zurückgezogenes Verhalten zum Gegenstand von lokalem Klatsch und Spekulationen wird, beginnt Gilbert sich zu fragen, ob sein Vertrauen in sie fehl am Platz war. Erst als sie Gilbert erlaubt, ihr Tagebuch zu lesen, kommt die Wahrheit ans Licht und er erfährt die schockierenden Gründe für ihre Schwierigkeiten, Nähe und Vertrauen zuzulassen. Mit großer Unmittelbarkeit, Witz und Ironie erzählt, ist „Die Herrin von Wildfell Hall“ eine kraftvolle Darstellung des Kampfes einer Frau um häusliche Unabhängigkeit und kreative Freiheit. Dies ist der dritte von vier Bänden.
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Seitenzahl: 232
Anne Brontë
Die Herrin von
Wildfell Hall
Roman
in vier Bänden
Band 3
In der überarbeiteten Übersetzungvon
W. E. Drugulin.
DIE HERRIN VON WILDFELL HALL wurde in der englischsprachigen Originalfassung (The Tenant of Wildfell Hall) zuerst veröffentlicht von T. C. Newby, London 1848.
Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
2024
V 1.0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
Band 3
ISBN 978-3-96130-648-0
Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
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Inhaltsverzeichnis
Die Herrin von Wildfell Hall. Band 3
Impressum
Dritter Teil.
Erstes Kapitel. Gesellige Vorzüge.
Zweites Kapitel. Vergleichungen. — Zurückgewiesene Mitteilungen.
Drittes Kapitel. Zwei Abende.
Viertes Kapitel. Schweigen.
Fünftes Kapitel. Herausforderungen.
Sechstes Kapitel. Einsamkeit zu Zweien.
Siebentes Kapitel. Wieder der Nachbar.
Achtes Kapitel. Der betrogene Mann.
Neuntes Kapitel. Ein Fluchtplan.
Zehntes Kapitel. Ein Mißgeschick.
Elftes Kapitel. Die Hoffnung sproßt ewig in der menschlichen Brust auf.
Zwölftes Kapitel. Eine Besserung.
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Zu guter Letzt
Den 20. März. 1824. Die gefürchtete Zeit ist gekommen und Arthur, wie ich gefürchtet hatte, gegangen. Diesmal hat er mir gesagt, dass er nur kurze Zeit in London zu bleiben und dann nach dem Kontinente zu gehen beabsichtige, wo er dann wahrscheinlich einige Wochen bleiben werde; ich erwarte ihn aber erst nach vielen Wochen zurück: — ich weiß jetzt dass bei ihm Tage Wochen und Wochen Monate bedeuten.
Ich sollte mit ihm gehen; kurz vor der zu unserer Abreise angesetzten Zeit erlaubte er mir jedoch — ja, drängte mich, mit dem Scheine bewundernswürdiger Selbstverleugnung, meinen unglücklichen Vater, der sehr krank ist — Und meinen Bruder, der sich in Folge der Krankheit und ihrer Ursache sehr unglücklich fühlt, und den ich seit dem Tage, wo unser Kind getauft wurde, und er an demselben nebst Mr. Hangrave und meiner Tante Patenstelle vertrat, nicht gesehen hatte, zu besuchen. Da ich der Gutmütigkeit, womit mir mein Gatte ihn zu verlassen erlaubte, kein zu großes Opfer auferlegen wollte, verweilte ich nur kurze Zeit bei meinem Vater; als ich aber nach Graßdale zurückkehrte — war er fort.
Er hatte ein Billet zur Erklärung seiner eiligen Abreise zurückgelassen, worin er vorgab, dass ein plötzlich eingetretenes Ereignis seine Anwesenheit in London notwendig gemacht, und ihn verhindert habe, meine Rückkehr abzuwarten, er fügte hinzu, dass ich am besten tun werde, mir nicht die Mühe zu geben, ihm zu folgen, da er nur so kurze Zeit dort zu verweilen gedenke, dass es kaum der Mühe wert sein werde; und da er natürlich allein nur halb so viel zur Reise brauchen werde, als wenn ich ihn begleite, so würde eo vielleicht gut sein, wenn wir den Ausflug auf das nächste Jahr verschöben, wo wir unsere Angelegenheiten in Folge seiner gegenwärtigen Bemühungen, auf einen zufriedenstellenderen Standpunkt gebracht haben würden.
War es wirklich so? — oder war das Ganze nur ein Vorwand, um ihn in den Stand zu setzen, allein seinem Vergnügen nachzugehen, ohne von meiner Gegenwart dabei beschränkt zu werden? Es ist peinlich, wenn wir die Aufrichtigkeit derjenigen, welche wir lieben, bezweifeln müssen; kann ich aber nach so vielen Beweisen der Lügenhaftigkeit und äußersten Grundsatzlosigkeit einer so unwahrscheinlichen Geschichte Glauben schenken?
Ich habe nun noch die Trostquelle, dass er mir vor einiger Zeit gesagt hatte, er würde, wenn er je wieder nach London oder Paris gehe, mehr Mäßigkeit in seinen Freuden bewahren, um nicht seine Genußfähigkeit gänzlich zu vernichten, er strebe nicht danach, ein hohes Alter zu erreichen, möchte aber gern seinen Anteil am Leben haben, und vor Allem dessen Freuden bis zum letzten Augenblicke genießen — zu welchem Zwecke er es für notwendig halte, etwas haushälterischer mit seinen Kräften umzugehen, denn er fürchte, bereits viel von seinem hübschen Äußeren eingebüßt zu haben, und so jung er sei, habe er doch in der letzten Zeit bereits einige graue Haare unter seinen geliebten kastanienbraunen Locken entdeckt; auch argwöhne er, dass er schon etwas dicker werde, als ihm gerade wünschenswert erscheine — dies komme aber vom guten Leben und Nichtstun; und im Übrigen glaube er noch eben so kräftig und gesund zu sein wie je; nur könne man nicht sagen, was eine zweite Saison voller unbegrenzter Tollheit und Teufelei, wie die letzte, zu tun im Stande sei, um ihn herabzubringen. Ja; dies hat er zu mir gesagt — ohne zu erröten, und mit demselben schelmischen Ausdruck im Auge, welchen ich einst so sehr liebte, und dem leisen, muntern Lachen, dessen Anhören mir sonst das Herz erwärmte.
Nun! derartige Rücksichten werden ohne Zweifel für ihn mehr Gewicht haben, als Alles, was ich ihm vorzustellen vermöchte. Wir werden sehen, was sie für seine Bewahrung zu tun im Stande sind, da mir doch keine bessere Hoffnung mehr für ihn bleibt.
Den 30. Juli. Vor etwa drei Wochen ist er zurückgekehrt, allerdings in etwas besserer Gesundheit, dessenungeachtet aber doch in schlechterer Stimmung. Vielleicht tue ich ihm aber Unrecht, — vielleicht bin ich weniger geduldig und nachsichtlich geworden. Ich bin seiner Ungerechtigkeit, Selbstsucht und hoffnungslosen Verderbtheit müde — ich wollte, ich könnte ein milderes Wort finden, — ich bin auch kein Engel, und mein menschlicher Unwille erhebt sich gegen ihn. Mein armer Vater ist vergangene Woche gestorben; Arthur ärgerte sich über die Nachricht, weil er sah, dass ich darüber entsetzt und bekümmert war, und er fürchtete, dass dies seine Behaglichkeit stören würde. Als ich davon sprach, mir Trauerkleider zu bestellen, rief er:
»O, ich hasse das Schwarz! Du wirst es jedoch, der Form wegen, wohl eine Zeitlang tragen müssen; aber ich hoffe, Helene, dass Du Dich nicht für verpflichtet halten wirst, Dein Gesicht und Wesen in Übereinstimmung mit Deinen Trauergewändern zu bringen. Warum willst Du seufzen und ächzen, und warum soll ich meine Bequemlichkeit einbüßen, weil es einem alten Herrn in —shire, der uns beiden gänzlich fremd war, beigefallen ist, sich todt zu trinken? — Nun, da weinst Du wahrhaftig schon! Das ist doch gewiß affektiert.«
Er wollte nichts davon hören, dass ich dem Leichenbegängnis beiwohnte, oder auf ein paar Tage hinging, um den armen Friedrich in seiner Einsamkeit zu trösten. Er sagte, dass es ganz und gar unnötig sei, und ich unbillig wäre, den Wunsch danach zu hegen. Was gehe mich mein Vater an? Ich habe ihn seit meiner frühesten Kindheit nur ein einziges Mal gesehen, und wisse wohl, dass er sich nie einen Pfifferling um mich gekümmert hätte — und auch mein Bruder sei nur um wenig besser, als ein Fremder.
»Übrigens, liebe Helene,« sagte er, indem er mich mit schmeichelnder Zärtlichkeit umarmte, »kann ich Dich auf keinen Tag entbehren.«
»Was hast Du aber dann diese vielen Tage her ohne mich angefangen?« fragte ich.
»O, damals habe ich mich in der Welt umhergetrieben, jetzt bin ich aber daheim; und die Heimat würde mir ohne Dich, meine Hausgottheit, unerträglich sein.«
»Ja, solange ich Dir zu Deiner Bequemlichkeit nötig bin; aber früher sagtest Du nicht so, als Du in mich drangst, Dich zu verlassen, damit Du ohne mich fortgehen konntest,« erwiderte ich.
Ehe jedoch die Worte noch aus meinem Munde waren, bereute ich, dieselben gesprochen zu haben. Es schien mir eine so schwere Anklage, eine so grobe Beleidigung, wenn sie falsch, eine zu demütigende Tatsache, wenn sie wahr war, um ihm so offen ins Gesicht geworfen zu werden. Aber ich hätte mir diese momentane Pein der Selbstvorwürfe ersparen können; die Anklage erweckte in ihm weder Scham noch Indignation, er versuchte sie weder zu leugnen, noch sich zu entschuldigen, sondern antwortete nur mit einem langen, leisen Lachen, als ob er die ganze Sache von Anfang bis zu Ende für einen gescheiten, guten Spaß ansehe. Der Mann wird es wahrhaftig noch dahin bringen, dass er mir zuwider wird! Aber wie ich mir den Kelch bereitet habe, so muß ich ihn trinken, und will es tun — bis auf die Hefen — und außer mir soll Niemand erfahren, wie bitter er mir wird!
Den 20. August. — Wir haben uns wieder in unser gewöhnliches Verhältnis zu einander gefunden. Arthur ist fast ganz wieder in seine frühere Stellung und Gewohnheiten zurückgekehrt, und ich habe es als das Klügste erkannt, meine Augen gegen die Vergangenheit und Zukunft zu verschließen, wenigstens so weit es ihn betrifft, und nur für die Gegenwart zu leben; ihn zu lieben, wenn ich kann, womöglich zu lächeln, wenn er lächelt, heiter zu sein, wenn er es ist, und erfreut, wenn er sich angenehm macht; und wenn er es nicht ist, zu versuchen, ihn dazu zu machen — und wenn dies nicht geht, ihn zu ertragen, zu entschuldigen und ihm zu verzeihen, so gut ich kann, und meine schlimmen Leidenschaften zu bekämpfen, damit sie die seinen nicht noch verschlimmern; und doch, während ich seinen harmloseren Neigungen nachgebe und dieselben befriedige, Alles, was in meinen Kräften steht, zu tun, um ihn vor den schädlicheren zu bewahren.
Wir werden aber nicht lange allein beisammen sein. Ich werde bald den gleichen ausgewählten Freundeskreis bewirten müssen, welchen wir im vorletzten Herbste hier hatten, außerdem aber noch Mr. Hattersley, und aus mein besonderes Ersuchen, seine Frau und sein Kind. Ich sehne mich danach, Millizent mit ihrem kleinen Mädchen zu sehen. Das letztere ist jetzt über ein Jahr alt, und wird eine herrliche Spielgefährtin für meinen kleinen Arthur abgeben.
Den 30. September. — Unsere Gäste sind jetzt seit vierzehn Tagen hier, ich habe aber bisher noch keine Muße gehabt, meine Bemerkungen über sie zu machen. Ich kann meine Abneigung gegen Lady Lowborough nicht überwinden. Sie gründet sich nicht auf bloße persönliche Gereiztheit, ich bin dem Weibe selbst abgeneigt, weil ich ihr Benehmen so gänzlich mißbillige. Ich vermeide ihre Gesellschaft stets, soviel es mir möglich ist, ohne die Gesetze der Gastfreundschaft zu verletzen; aber wenn wir miteinander sprechen, so geschieht es mit der größten Höflichkeit — ja selbst scheinbarer Herzlichkeit von ihrer Seite; — der Himmel bewahre mich aber vor solcher Herzlichkeit! Es ist, wie wenn man Dornenrosen in die Hand nimmt — sie sind schön genug für das Auge, und auch äußerlich sanft anzufühlen; aber man weiß, dass Dornen darunter sind, und fühlt dieselben von Zeit zu Zeit, und rächt die Verletzung durch Drücken, bis man ihre Fähigkeit zum Schaden — vernichtet hat — immer aber zum Nachteile der eigenen Finger.
In der letzten Zeit habe ich jedoch in ihrem Benehmen gegen Arthur nichts bemerkt, was mich erzürnen oder beunruhigen könnte. In den ersten paar Tagen glaubte ich zu setzen, dass sie sich sehr bemühe, um seine Bewunderung zu erregen. Ihre Anstrengungen blieben von ihm nicht unbemerkt; — ich sah ihn häufig über ihre schlauen Manöver vor sich hin lächeln, aber ich muß zu seinem Lebe gestehen, dass ihre Pfeile machtlos an ihm abgleiten. Ihr bezauberndstes Lächeln, ihr hochfahrendstes Stirnrunzeln begegnete stets dem gleichen unveränderlichen, sorglosen guten Humor, bis sie fand, dass seine Rüstung undurchdringlich sei, und plötzlich ihre Versuche einstellte, und allem Anscheine nach eben so gleichgültig wurde wie er selbst. Seitdem habe ich auch weder Zeichen von Pikiertheit seinerseits, noch erneuerte Eroberungsversuche ihrerseits wahrgenommen.
So geziemt sich es auch; Arthur gestattet mir aber nie, mit ihm zufrieden zu sein. Seit ich mit ihm verheiratet bin, ist mir keine Stunde lang die schöne Idee: ›In Frieden und Vertrauen sollt Ihr ruhen‹ zur Wahrheit geworden. Die beiden abscheulichen Menschen, Hattersley und Grimsby haben alle meine Bemühungen gegen seine Weinliebe zu nichte gemacht. Sie muntern ihn täglich zur Überschreitung der Grenzen der Mäßigkeit auf und verleiten ihn nicht selten dazu, sich durch offenbare Unmäßigkeit selbst zu schänden. Ich werde nicht sobald den zweiten Abend nach ihrer Ankunft vergessen. Gerade als ich mich mit den übrigen Damen aus dem Speisezimmer entfernte, und noch ehe sich die Türe hinter uns schloß, rief Arthur:
»Nun, Jungen, was sagt Ihr zu einem ordentlichen Gelage?«
Millizent warf mir einen halb vorwurfsvollen Blick zu, als ob ich es verhindern könnte; aber ihr Gesicht veränderte sich, als sie Hattersley’s Stimme durch Türe und Wand schreien hörte:
»Ich bin dabei! Lassen Sie mehr Wein kommen; hier ist noch nicht halb genug!«
Wir waren kaum in den Salon getreten, als auch Lord Lowborough zu uns kam.
»Was kann Dich nur veranlassen, sobald zu kommen?« fragte seine Gemahlin mit höchst ungnädiger, unzufriedener Miene.
»Du weißt, dass ich nie trinke, Annabella,« entgegnete er ernst.
»Nun, aber Du hättest doch ein wenig bei den Andern bleiben können; es sieht so einfältig aus, wenn man immer den Damen nachläuft; — ich wundere mich, wie Du das tun kannst.«
Er warf ihr einen vorwurfsvollen, halb bittern, halb erstaunten Blick zu, sank mit einem halb unterdrückten schweren Seufzer auf einen Stuhl, biß sich auf seine blassen Lippen und heftete seine Augen auf den Boden.
»Sie haben Recht getan, von Jenen fortzugehen, Lord Lowborough,« sagte ich. »Ich hoffe, dass Sie uns stets so zeitig mit Ihrer Gesellschaft beehren werden. Und wenn Annabella den Wert wahrer Weisheit, und das Elend der Thorheit und — Unmäßigkeit kennte, so würde sie solchen Unsinn nicht von sich geben — selbst nicht im Scherze.«
Er erhob bei meinen Worten die Augen, und richtete sie ernst mit halb erstauntem, halb zerstreutem Blicke auf mich, und wendete sie dann auf seine Frau.
»Wenigstens,« sagte sie, »kenne ich den Wert eines warmen Herzens und eines kräftigen, männlichen Geistes.«
Sie richtete diese Worte mit einem triumphierenden Blicke an mich, als wollte sie sagen, »das ist mehr als man von dir sagen kann,« und einem verächtlichen auf ihren Gatten, der ihm wahrhaft in die Seele schnitt. Ich war auf’s Äußerste erbittert, aber es war nicht meine Sache, sie zu tadeln, oder wie es den Anschein hatte, meine mit betten ihres Gatten gleichen Ansichten kundzugeben, und dadurch seine Gefühle zu kränken. Das einzige, was ich, um meinem inneren Antriebe zu gehorchen, tun konnte, war, ihm persönlich, und noch ehe ich den Damen einschenkte, eine Tasse Kaffee zu bringen, um so durch meine Achtung ihrer Verachtung die Wage zu halten. Er nahm sie, mit einer leichten Verbeugung mechanisch aus meiner Hand, und stand die Minute danach auf, und stellte sie ungekostet auf den Tisch, indem er nicht sie, sondern seine Frau ansah.
»Nun, Annabella,« sagte er mit tiefer, hohler Stimme, »du Dir meine Gegenwart unangenehm ist, so werde ich Dich davon befreien.«
»Gehst Du zu den Übrigen zurück?« fragte sie nachlässig.
»Nein,« rief er mit rauhem Nachdruck, »ich werde nicht zu ihnen zurückgehen. Und ich werde nie einen Augenblick länger bei ihnen bleiben, als ich für recht halte, trotz Dir oder irgend einem andern Versucher! Du brauchst Dir das aber nicht auf dem Herzen liegen zu lassen — ich werde Dir nie wieder meine Gesellschaft zu so unpassender Zeit aufdrängen.«
Er verließ das Zimmer, ich hörte die Haustür öffnen und wieder zufallen, und unmittelbar darauf sah ich ihn, als ich den Fenstervorhang erhob, in der wolkendüstern, feuchten Abenddämmerung dem Park zuschreiten.
Auftritte wie dieser sind für Dritte stets unangenehm. Unsere kleine Gesellschaft versank auf einige Zeit in ein unbehagliches Schweigen. Millizent spielte mit ihrem Teelöffel und machte ein verlegenes Gesicht. Wenn Annabella Scham oder Unruhe fühlte, so suchte sie dieselbe durch ein kurzes unbekümmertes Gelächter zu verbergen, und machte sich ruhig an den Kaffee.
»Es geschähe Ihnen schon recht, Annabella,« sagte ich endlich, »wenn Lord Lowborough zu seinen alten Gewohnheiten, die ihn früher beinahe ins Verderben gestürzt haben, und deren Überwindung ihm so große Anstrengung gekostet, zurückkehrte. Sie würden dann ein solches Benehmen bereuen.«
»Ganz und gar nicht, meine Liebe! Ich würde mir nicht das Mindeste daraus machen, wenn es seine Lordschaft für passend hielte, sich täglich zu betrinken; ich würde ihn dann nur um so eher los werden.«
»O Annabella!« rief Millizent. »Wie können Sie nur so gottlos sprechen! Es würde, was Sie betrifft, wirklich eine gerechte Strafe sein, wenn Sie die Vorsehung beim Worte nähme und Sie fühlen ließe, was Andere fühlen, die —«
Sie hielt inne, indem ein lauter Lärm von Stimmen und Gelächter aus dem Speisezimmer hörbar wurde, unter dem selbst für mein ungeübtes Ohr, die Töne Hattersley’s am lautesten waren.
»Was Sie in diesem Augenblicke fühlen, wahrscheinlich?« sagte Lady Lowborough mit einem boshaften Lächeln und auf das betrübte Gesicht ihrer Cousine gehefteten Augen.
Die Letztere antwortete nicht« wendete aber ihr Gesicht ab und wünschte sich eine Träne aus den Augen. In diesem Augenblicke öffnete sich die Tür und Mr. Hangrave trat ein. Sein Gesicht war etwas getötet, und seine dunkeln Augen funkelten in ungewöhnlichem Glanze.
»O, ich bin froh, dass Du kommst, Walther!« rief seine Schwester. — »Aber ich wollte, Du hättest Ralph auch mitgebracht.«
»Ganz unmöglich, liebe Millizent,« entgegnete er munter. »Ich hatte selbst große Mühe, fortzukommen, Ralph suchte mich mit Gewalt zurückzuhalten, Huntingdon drohte mir mit dem ewigen Verluste seiner Freundschaft, und Grimsby trieb es schlimmer als alle Übrigen, und bemühte sich, mich durch bittere Sarkasmen und Infinuationen, wie sie mich, was er wohl wußte, am meisten verwunden mußten, zur Beschämung über meine Tugend zu bringen. Sie sehen also, meine Damen, dass Sie mich willkommen heißen müssen,, da ich, um mich Ihrer holden Gesellschaft zu erfreuen, so viel gewagt und erlitten habe.« Er wendete sich gegen das Ende seiner Rede mit einer lächelnden Verbeugung gegen mich.
»Ist er jetzt nicht schön, Helene?« flüsterte Millizent, deren Schwesterstolz für den Moment alle anderen Rücksichten überwog.
»Er würde es sein,« antwortete ich, »wenn dieser Glanz des Auges- und der Lippen und Wangen sein gewöhnlicher Zustand wäre; sehen sie ihn aber in ein paar Stunden wieder an.«
Hier nahm der Gegenstand unserer Bemerkungen einen Stuhl in meiner Nähe am Tische und bat um eine Tasse Kaffee.
»Ich halte dies für ein treffendes Bild vom Erringen des Himmels mit Sturm,« sagte er, als ich ihm eine reichte. »Ich befinde mich jetzt im Paradieses aber ich habe durch’s Wasser und Feuer gehen müssen, um es zu erkämpfen. Ralph Hattersley’s letztes Hilfsmittel war, sich mit dem Rücken an die Tür zu lehnen und zu schwören, dass ich nur durch seinen Körper (der, wie Sie wissen, dick genug ist) hinauskommen solle. Glücklicherweise war dies jedoch nicht die einzige Türe, und ich bewerkstelligte meine Flucht durch die Geschirrkammer, zum unendlichen Erstaunen Benson’s, der eben das Tafelservice reinigte.
Mr. Hangrave lachte und seine Cousine stimmte mit ein, aber seine Schwester und ich blieben ernst und schweigsam.
»Verzeihen Sie meine Leichtfertigkeit, Mrs. Huntingdon,« flüsterte er, etwas ernsthafter, als er seine Augen zu meinem Gesicht erhob. »Sie sind dergleichen Dinge nicht gewohnt, und gestatten ihnen zu großen Einfluß auf Ihren zarten Geist. Aber ich dachte mitten unter den Zechern an Sie, und bemühte mich, Mr. Huntingdon zu überreden, ebenfalls an Sie zu denken, aber ohne Erfolg: ich fürchte, dass er fest entschlossen ist, diesen Abend zu genießen, und es wird nichts nutzen, mit dem Kaffee auf ihn und seine Genossen zu warten; es wird schon viel sein, wenn sie zum Tee kommen. Ich möchte unterdessen wirklich die Gedanken an sie aus Ihrem Geiste verbannen können — und aus dem meinen ebenfalls, denn sie sind mir verhaßt — ja — selbst mein lieber Freund Huntingdon, wenn ich sehe, welche Macht er über das Glück eines Wesens besitzt, das so unendlich über ihn erhaben ist, und welchen Gebrauch er davon macht, — so verabscheue ich ihn wahrhaft!«
»Sagen Sie das lieber nicht zu mir,« antwortete ich; »denn so schlimm er auch sein mag, ist er doch ein Teil meiner selbst, und Sie können nicht auf ihn schmähen, ohne zugleich auch mich zu kränken.«
»Verzeihen Sie mir, — ich möchte lieber sterben als Sie beleidigen, — aber wir wollen für jetzt nichts weiter über ihn sagen.«
Hierauf brachte er das Gespräch auf gänzlich verschiedene Gegenstände, strengte alle seine Kräfte an, um unseren kleinen Kreis zu unterhalten, und sprach mit mehr als seiner gewohnten Geläufigkeit und Brillanz, über die verschiedenartigsten Dinge, wobei er sich zuweilen ausschließlich an mich, zuweilen an das ganze Damen-Trio wendete. Annabella nahm heiter Teil an der Unterhaltung, mir aber, tat das Herz weh, — besonders wenn lautes Gelächter und verworrenes Singen durch die dreifachen Türen der Halle und des Vorzimmers hereindrang, mein Ohr zerriß, und durch meine schmerzenden Schläfe schnitt; — und Millizent teilte meine Gefühle, so dass uns der Abend, trotz Hangrave’s gutmütigen Anstrengungen zu unserer Unterhaltung, sehr lang wurde.
Endlich kamen sie, aber erst nach zehn Uhr, als der Tee, welchen wir um länger als eine halbe Stunde hinausgeschoben hatten, beinahe schon vorüber war. So sehr ich mich nach ihrem Kommen gesehnt hatte, sank mir das Herz bei dem verworrenen Getöse, welches sie bei ihrer Annäherung machten, und Millizent erbleichte und schrack fast von ihrem Stuhle auf, als Mr. Hattersley mit einer lärmenden Flut von Flüchen im Munde, der Hangrave Einhalt zu tun suchte, indem er ihn bat, die Damen zu bedenken, in das Zimmer stürzte.
»Ja, Du tust wohl, mich an die Damen zu erinnern, Du erbärmlicher Ausreißer,« rief er, indem er seinem Schwager mit seiner gewaltigen Faust drohte, »wenn sie nicht wären, so weißt Du wohl, dass ich Dich augenblicklich demolieren und Deinen Leichnam den Vögeln unter dem Himmel und den Lilien auf dem Felde vorwerfen würde!«
Hierauf pflanzte er einen Stuhl neben Lady Lowborough hin, und sich darauf, und begann ein Gemisch von Unsinn und gemeiner Unverschämtheit an sie zu richten, wovon sie eher belustigt als beleidigt zu werden schien, obgleich sie tat, als tadele sie seine Insolenz, und ihn mit scharfen, witzigen Ausfällen in einiger Distanz hielt.
Unterdessen setzte sich Mr. Grimsby neben mich auf den bei ihrem Eintritt von Hangrave geräumten Stuhl, und bar mich ernsthaft um eine Tasse Tee; und Arthur nahm einen Stuhl neben der armen Millizent, und berührte vertraulich mit seinem Gesichte fast das ihre, und rückte ihr immer näher auf den Leib, je erschrockener sie vor ihm zurückwich. Er war nicht so lärmend, wie Hattersley, aber sein Gesicht war ungemein gerötet; er lachte unablässig, und während ich über Alles, was ich von ihm sah und hörte, vor Scham errötete, war ich doch noch froh, dass er so leise zu seiner Nachbarin sprach, dass Niemand außer ihr seine Worte vernahm. Es muß bestenfalls unleidlicher Unsinn gewesen sein, denn sie sah ungemein, ärgerlich aus, und errötete erst, schob dann beleidigt ihren Stuhl zurück, und suchte endlich hinter mir auf dem Sopha Zuflucht. Es schien Arthurs einzige Absicht gewesen zu sein, eine derartige unangenehme Wirkung hervorzurufen; denn er lachte unmäßig, sobald er fand, dass er sie vertrieben habe, — er zog seinen Stuhl an den Tisch, legte seine Arme darauf, und überließ sich einem wahren Paroxysmus leisen, schwachsinnigen Gelächters. Sobald er dieser Unterhaltung müde war, erhob er den Kopf, und rief Hattersley laut etwas zu, worauf sich zwischen ihnen ein lärmender Streit über, ich weiß nicht was, erhob.
»Welche Narren das sind!« dehnte Mr. Grimsby, der die ganze Zeit über, neben mir, mit weiser Gravität gesprochen hatte; aber ich war von der Betrachtung des beklagenswerten Zustandes der beiden Andern — besonders Arthurs — zu sehr in Anspruch genommen worden, um auf ihn zu achten.
»Haben Sie je solchen Unsinn schwatzen gehört, Mrs. Huntingdon?« fuhr er fort. »Ich für meinen Teil bin ganz beschämt über sie; — sie können kaum eine halbe Flasche vertragen, ohne dass sie Ihnen in den Kopf steigt.«- —
»Sie gießen den Rahm in Ihre Untertasse, Mr. Grimsby.«
»Ja wohl! ich sehe es; aber es ist hier viel zu finster. Hangrave« seien Sie so gut, die Lichter zu putzen.«
»Es sind Wachslichter; sie brauchen nicht geputzt zu werden,« sagte ich.
»Das Licht des Körpers ist das Auge,« bemerkte Hangrave mir sarkastischem Lächeln. »Wenn Du nur ein Auge hast, so wird Dritt ganzer Körper voll Licht sein.«
Grimsby wies ihn mit einer feierlichen Schwenkung der Hand zurück, wendete sich dann zu mir, und fuhr in seinem früheren schleppenden, unsicheren Tone und schwerfällig-gravitätischem Gesichte fort:
»Aber, wie ich sagte, Mrs. Huntingdon, — »sie haben gar keinen festen Kopf; sie können keine halbe Flasche trinken, ohne dass sie es spüren, während ich — nun, ich habe heute Abend dreimal so viel getrunken wie sie, und Sie sehen, dass ich vollkommen standhaft bin. Das wird Ihnen vielleicht sehr sonderbar erscheinen, aber ich denke, ich kann es Ihnen erklären, — sehen Sie, ihr Gehirn, — ich will keinen Namen nennen, aber Sie werden schon verstehen, wen ich meine, — ihr Gehirn ist schon vorher leicht und die Dünste der gegorenen Getränke machen es noch leichter und erzeugen eine vollkommene Leichtsinnigkeit, oder einen Schwindel, der in Betrunkenheit ausgeht; während mein Gehirn, das aus festerem Material besteht, eine bedeutende Quantität dieses alkoholischen Dunstes aufsaugt, ohne merkliche Folgen hervorzubringen —«
»Sie werden finden, dass die Menge Zucker, welche Sie genommen haben, merkliche Folgen auf Ihren Tee hervorgebracht hat. Statt eines Stückes, wie gewöhnlich, haben Sie deren sechs hineingetan.«
»Wirklich?« entwertete der Philosoph, indem er mit seinem Löffel in die Tasse tauchte, und die Behauptung durch dass Heraufbringen mehrerer halbzergangener Zuckerstücke bestätigte. »Hm! ich sehe es. Da bemerken Sie das Üble der Zerstreutheit, Madame, — wenn man zu viel denkt, während man sich mit den gemeinen Geschäften des Lebens zu tun macht. Wenn ich meinen Verstand bei mir hätte, wie gewöhnliche Leute, statt in mir, wie ein Philosoph, so würde ich diese Tasse Tee nicht verdorben haben, und genötigt sein, Sie um eine andere zu bitten. — Mit Ihrer Erlaubnis werde ich dies ausschütten.«
»Das ist die Zuckerschale, Mr. Grimsby. Nun haben Sie den Zucker auch verdorben, und ich muß Sie bitten, zu klingeln, damit mehr anderer gebracht wird, — denn hier ist endlich Lord Lowborough; und ich hoffe, dass sich Se. Lordschaft herablassen wird, sich zu uns zu setzen, wie wir nun eben sind, und mir zu erlauben, ihm eine Tasse Tee einzuschenken.«
Seine Lordschaft verbeugte sich, antwortete aber nicht. Unterdessen hatte Hangrave um Zucker geklingelt, während Grimsby seinen Irrtum beklagte und zu beweisen versuchte, dass er von dem Schatten der Urne und den schlechten Lichtern herrühre.
Lord Lowborough war vor ein paar Minuten schon, ohne von Jemand außer mir bemerkt zu werden, eingetreten und an der Tür stehen geblieben, von wo aus er finster die Gesellschaft überschaute. Jetzt trat er zu Annabella, die mit dem Rücken nach ihm dasaß, und neben der sich Hattersley noch immer befand, ohne sich indeß weiter um- sie zu bemühen, da er damit beschäftigt war, lärmend auf seinen Wirt zu schimpfen.