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Der Walfänger Saint Enoch unter Kapitän Bourcart macht eine erfolgreiche Fahrt und füllt sehr schnell den Frachtraum mit dem Tran der erlegten Wale. Alle wären zufrieden, wenn da nicht der Böttcher Jean-Marie Cabidoulin mit seinen Geschichten von Seeungeheuern und fürchterlichen Seeschlangen wäre. Er verängstigt die Mannschaft, da bei ihrer zweiten Ausfahrt nicht mehr alles so glücklich verläuft wie bei der ersten Reise. Dann scheint sich aber zu bestätigen, was er schon immer wusste: Mit dem Saint Enoch geschieht etwas sehr seltsames, das Schiff wird von einer unbekannten Gewalt ins Eismeer verschleppt...
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Seitenzahl: 296
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Jules Verne
Die Historien von
Jean-Marie Cabidoulin
Weitere Bände der Reihe sind lieferbar, sowohl als kleinformatige Taschenbuchausgaben, als eBooks wie auch als Paperback-Bände, die die Illustrationen enthalten und im Format A 5 erscheinen.
Jules Verne
Die Historien von
Jean-Marie Cabidoulin
Edition Corsar D. u. Th. Ostwald
Braunschweig
In dem Roman werden Ausdrücke verwendet, die heute nicht mehr üblich sind. Sie wurden jedoch beibehalten um den Stil der Zeit zu bewahren.
Texte: © 2025 Copyright by Thomas Ostwald nach der Ausgabe des Hartleben-Verlages 1901 und der von mir betreuten Taschenbuchausgabe im Pawlak-Verlag 1984 durchgesehen und korrigiert
Illustrationen von George Roux
Umschlaggestaltung: © 2025 Copyright by
Thomas Ostwald
Edition Corsar
Dagmar u. Thomas Ostwald
Am Uhlenbusch 17
38108 Braunschweig
Erstes Kapitel. Eine verzögerte Abfahrt.
»Heda, Kapitän Bourcart, wollten Sie denn nicht heute abfahren?«
»Nein, Herr Brunel, ich fürchte sogar, es wird auch nicht morgen, vielleicht sogar in acht Tagen noch nicht möglich sein...«
»Das ist ja verdrießlich...«
»O, sogar beunruhigend«, erklärte Bourcart mit Kopfschütteln. »Der »Saint Enoch« müsste schon seit Ende vorigen Monats abgegangen sein, um an den Fangplätzen noch zu günstiger Zeit einzutreffen. Wie es jetzt liegt, werden ihm die Engländer oder die Amerikaner zuvorkommen...«
»Und das nur, weil Ihnen die beiden Leute noch immer fehlen?«
»Jawohl, Herr Brunel, einer, den ich auf keinen Fall entbehren kann, und ein anderer, auf den ich vielleicht verzichtete, wenn es darüber nicht strenge Vorschriften gäbe, die...«
»Den Böttcher meinen Sie damit doch wohl nicht?«, fragte Brunel.
»Ich bitte Sie... nein... das dürfen Sie getrost glauben! Bei mir an Bord ist der Böttcher ebenso unentbehrlich wie Raen und Spieren, neue Ruder und Kompass! Bedenken Sie, dass ich im Laderaume zweitausend Fässer habe...«
»Und wie viel Mann an Bord, Kapitän Bourcart?
»Vollzählig wären wir zweiunddreißig Mann, Herr Brunel. Unter uns gesagt, ist es übrigens weit nützlicher, einen Böttcher zu haben, der sich um die Fässer, als einen Arzt, der sich um die kranken Leute kümmert. Fastagen, na ja, daran gib‘s immer etwas zur reparieren... kranke Leute... die reparieren sich schon ganz allein! Und obendrein, möcht' ich noch fragen, wird man denn auf dem Meer überhaupt je ernstlich krank?«
»Natürlich sollte das in so ausgezeichneter Luft eigentlich nicht vorkommen, und dennoch, Kapitän, gibt es wohl Fälle...«
»Ach was, Herr Brunel, ich habe auf dem »Saint Enoch« noch keinen Kranken gehabt!«
»Da kann man Ihnen ja gratulieren, Kapitän! Immerhin, ein Schiff bleibt eben ein Schiff, und als solches ist es der bestehenden Seefahrtsordnung unterworfen. Bei einer gewissen Zahl von Offizieren und Matrosen muss es einen Arzt an Bord nehmen, daran ist nichts zu deuteln. Sie haben bis jetzt noch keinen...«
»Freilich... freilich; darum eben ist ja der »Saint Enoch« heute noch nicht um das Cap Saint Vincent herum, wie es von Rechts wegen sein müsste!«
Das hier wiedergegebene Gespräch fand zwischen dem Kapitän Bourcart und einem Herrn Brunel statt, und zwar gegen elf Uhr vormittags auf dem etwas erhöhten Teil zwischen dem Semaphor und der Flügelmauer des Molos von Havre.
Die beiden Männer kannten einander schon lange; der eine war ein früherer Küstenfahrer, der jetzt das Amt des Hafenkapitäns verwaltete, der andere der Befehlshaber des Dreimasters »Saint Enoch«, der schon recht ungeduldig darauf wartete, seine Mannschaftsrolle zu vervollständigen, um in See gehen zu können.
Evariste Simon Bourcart war in Havre, seinem Heimathafen, vielleicht der bekannteste aller Kapitäne von der langen Fahrt. Unverheiratet, ohne nahe Angehörige, hatte er von frühester Kindheit in der Marine des Staates als Schiffsjunge, Leichtmatrose, Matrose und als Bootsmann gedient.
Nach vielfachen Reisen als Lieutenant, als zweiter Offizier und als Erster Steuermann, befehligte er jetzt bereits seit zehn Jahren den »Saint Enoch«, einen Walfischfänger, der ihm und der Firma Gebrüder Morice je zur Hälfte gehörte.
Ein ausgezeichneter, kühner und entschlossener Seemann, bewahrte er, im Gegensatz zu so vielen seiner Kollegen, in seinem Auftreten die äußerste Höflichkeit, er fluchte auch niemals und erteilte seine Befehle stets in der freundlichsten Weise. Das ging natürlich nicht so weit, dass er etwa zu einem Marsgaste gesagt hätte: »Wollen Sie so gut sein, die Reffe des Oberbramsegels nachzulassen!« oder zu dem Steuermann: »Seien Sie so freundlich, das Ruder hart nach Steuerbord zu legen!« – Immerhin galt er, und zwar mit Recht, für einen der höflichsten Kapitäne von der langen Fahrt. Außerdem verdient es hervorgehoben zu werden, dass der in allen seinen Unternehmungen begünstigte Bourcart bezüglich des Fanges stets sehr glücklich gewesen war und immer sehr gute Fahrten gehabt hatte. Seine Offiziere hatten sich nie zu beklagen, und seine Matrosen auch gegen diese nie etwas einzuwenden gehabt. Wenn die Besatzung des »Saint Enoch« heute also nicht vollzählig und es dem Kapitän unmöglich war, die Lücken auszufüllen, so darf man das nicht für ein Zeichen von Misstrauen und Widerwillen seitens der heuersuchenden Seeleute halten. Bourcart und Brunel waren an dem metallenen Gerüst der Nebelglocke auf der halbrunden Terrasse am Ende des Hafendammes stehen geblieben. Der Maregraph zeigte gerade die tiefste Ebbe an, und der Signalmast trug weder Flagge noch Wimpel. Kein Fahrzeug schickte sich an auszulaufen, und selbst die Fischerschaluppen hätten bei der Tiefebbe beim Neumond kaum genug Wasser vorgefunden. Aus diesem Grund fehlte es auch ganz an Neugierigen, die sich bei Hochwasser zu sammeln pflegten. Die Schiffe von Honfleur, Trouville, von Caen und Southampton lagen vertäut an ihren Büllen, und vor der dritten Nachmittagsstunde war keine Bewegung im Außenhafen zu erwarten.
Kurze Zeit schweiften die Augen des Kapitäns Bourcart nach dem offenen Meer hinaus und über die große Wasserfläche zwischen den fernen Anhöhen von Ouistreham und dem felsigen Steilufer vor den Leuchttürmen des Caps de la Hève hin. Die Witterung war unbestimmt und der Himmel in großer Höhe mit grauen Wolken halb bedeckt. Der Wind wehte aus Nordosten als leichte, unstete Brise, die mit dem Eintritt der Flut voraussichtlich auffrischte.
Einzelne Schiffe glitten über die Bucht dahin; hier hoben sich weiße Segel vom östlichen Horizont ab, dort schwebten lange Rauchsäulen in der schwachbewegten Luft. Natürlich war es ein etwas neidischer Blick, den Bourcart seinen mehr begünstigten Kollegen nachsandte, die den Hafen schon verlassen hatten. Selbstverständlich drückte er sich auch auf diese Entfernung hin in der höflichsten Form aus, denn seine angeborene Urbanität hätte es nicht zugelassen jene wie ein gewöhnlicher alter Seebär zu behandeln.
»Ja, ja«, sagte er zu Brunel, »die wackeren Leute da machen mit dem Wind im Rücken gute Fahrt, während ich noch im inneren Becken liege und die Sorrtaue nicht loswerfen kann! Das nennt man doch wirklich Pech haben, und das ist das erste Mal, dass es dem »Saint Enoch« so schlecht geht…«
»Gedulden Sie sich nur, lieber Bourcart«, antwortete der Hafenkapitän lachend; wenn Sie jetzt nicht gleich auslaufen können...«
»O, hab' ich denn nicht schon seit vierzehn Tagen Geduld gehabt!«, rief der Kapitän nicht ohne einige Bitterkeit.
»Zugegeben. Ihr Schiff kann aber viel Leinwand tragen, und Sie werden die verlorene Zeit bald einholen. Mit elf Knoten, bei guter Brise, kommt man schon ein Stück vorwärts. Doch sagen Sie mir, Bourcart, geht es mit dem Doktor Sinoquet noch immer nicht besser?«
»Leider nein, wenn er auch nicht gerade schwer krank ist, der vortreffliche Doktor. Nur rheumatische Schmerzen nageln ihn ans Bett, und davon hat er noch für mehrere Wochen genug. Wer hätte das je geglaubt von einem Mann, der so sehr ans Meer gewöhnt war und der mit mir alle Teile des Großen Ozeans besucht hat...«
»O«, fiel der Hafenkapitän ein, »vielleicht sind es gerade die vielen Reisen, durch die er sich sein Leiden zugezogen hat.«
»Nein, nein... das gewiss nicht«, versicherte der Kapitän Bourcart.
»Ein Rheumatismus, den sich einer an Bord des »Saint Enoch« geholt hätte!.. Warum denn nicht gleich die Cholera oder das gelbe Fieber?... Nein, wie konnten Sie nur auf einen solchen Gedanken kommen, liebster Brunel?«
Wie verdutzt durch eine so ungeheuerliche Mutmaßung ließ Bourcart die Arme sinken. Der »Saint Enoch«... ein so musterhaft ausgerüstetes Schiff mit allen Bequemlichkeiten und undurchdringlich für die geringste Feuchtigkeit!... Ein Rheumatismus!... Den holte man sich jedenfalls eher im Sitzungssaal des Rathauses oder in den Salons der Unterpräfektur als in den Kabinen oder der gemeinschaftlichen Kajüte des »Saint Enoch«!... Ein Rheumatismus!... Hatte er selbst denn jemals etwas davon gespürt?... Und er verließ doch sein Schiff niemals, weder wenn er irgendeinen Platz angelaufen hatte, noch wenn er im Hafen von Havre festlag. Eine Wohnung in der Stadt... ei, das wäre, wenn man sein Unterkommen an Bord hat! Das hätte er nicht mit den prächtigsten Zimmern des Hôtel de Bordeaux oder du Terminus vertauscht... Ein Rheumatismus!... Nein, nicht einmal ein simpler Schnupfen! Wer hätte denn jemals an Bord des »Saint Enoch« einen niesen hören?
Der brave Mann kam allmählich ins Feuer und hätte wohl noch lange in gleicher Weise weiter ge- und widersprochen, wenn ihn der Hafenkapitän nicht unterbrochen hätte.
»Na ja, ich will's ja zugeben«, lieber Bourcart, sagte er beschwichtigend, »der Doktor Sinoquet wird sich den Rheumatismus von seinem Aufenthalt auf dem Land zugezogen haben. Tatsache bleibt es freilich, dass er daran laboriert und sich vorläufig nicht einschiffen kann...«
»Und das Schlimmste dabei ist«, erklärte Bourcart, »dass ich trotz aller Bemühungen keinen Ersatzmann für ihn aufzutreiben vermag.«
»Nur Geduld, wiederhole ich Ihnen, nur etwas Geduld! Sie werden schließlich schon noch einen jungen Mediziner finden, der gern einmal die Welt sehen möchte und nur darauf wartet, reisen zu können. Was käme diesem zum Anfang gelegener, als im Stillen Ozean einmal eine Fahrt zum Walfang mitzumachen?«
»Gewiss, Freund Brunel, ich sollte eigentlich nur die Qual der Wahl haben. Leider gibt es deren doch nicht so viele, und ich habe noch immer niemand, das Bistouri und die Lanzette oder den Schlägel und das Breitbeil zu handhaben.«
»Es ist aber doch nicht ebenfalls ein Rheumatismus«, fragte der Hafenkapitän, »der Sie Ihres Tonnenbinders beraubt hat?«
»Nein, das freilich nicht; der brave Vater Brulard kann nur seinen linken Arm, scheinbar infolge einer Gelenksteifigkeit, nicht mehr gebrauchen, und er verspürt auch heftige Schmerzen in den Beinen und Füßen...«
»Sind denn auch daran die Gelenke angegriffen?«, erkundigte sich Brunel.
»So scheint es leider; jedenfalls ist Brulard nicht imstande, zur See zu fahren. Sie wissen ja aber, lieber Brunel, dass ein zur Walfischjagd ausgerüstetes Fahrzeug eines Böttchers ebenso wenig wie der Harpuniere entbehren kann, und ich werde einen solchen also um jeden Preis anwerben müssen.« Brunel fing zwar an zu glauben, dass Vater Brulard von keinem Rheumatismus gelähmt sein werde, da der »Saint Enoch« nach der Versicherung des Kapitäns Bourcart das reine Sanatorium war und seine Besatzung sich der besten hygienischen Bedingungen erfreute. Das änderte freilich nichts an der Tatsache, dass der Doktor Sinoquet und der Böttcher Brulard an dieser Fahrt nicht teilnehmen konnten.
Eben jetzt hörte Bourcart sich anrufen und drehte sich daraufhin um.
»Ah, Sie, Heurtaux«, sagte er und reichte seinem zweiten Offizier vertraulich die Hand. «Es freut mich, Sie zu sehen. Ist's denn ein guter Wind, der Sie hierher geblasen hat?« - »Vielleicht, Kapitän«, antwortete Heurtaux, »denn ich komme, um Sie zu benachrichtigen, dass sich jemand – vor kaum einer Stunde – an Bord eingefunden hatte...«
»Ein Böttcher oder vielleicht ein Arzt?«, fragte Bourcart lebhaft.
»Das weiß ich nicht, Kapitän. Die betreffende Persönlichkeit schien aber durch Ihre Abwesenheit unliebsam enttäuscht zu werden.«
»War es ein schon älterer Mann?«
»Nein, er sah noch ziemlich jung aus und versprach, bald wiederzukommen. Ich machte mich also auf, Sie zu suchen, und in der Voraussetzung, dass ich Sie auf dem Hafendamm fände...«
»Wo man mich immer antrifft, Heurtaux, wenn ich nicht an Bord bin.«
»Ja, das wusste ich, und deshalb steuerte ich sofort auf den Signalmast zu.«
»Gut gemacht, Heurtaux«, erwiderte Bourcart, »ich werde zu der Begegnung an Ort und Stelle sein. Lieber Brunel, erlauben Sie also, dass ich mich verabschiede.« - »Gehen Sie getrost, bester Kapitän, ich habe so eine Ahnung, dass Sie sehr bald jeder Verlegenheit enthoben sein werden.«
»Wenigstens zur Hälfte, Freund Brunel, doch nur in dem Falle, dass der Besucher ein Arzt oder ein Tonnenbinder war!«
Der Hafenkapitän und der Kapitän Bourcart wechselten noch einen freundschaftlichen Händedruck; dann ging der zweite in Begleitung seines Ersten Steuermannes die Mole hinunter, überschritt die Brücke und begab sich nach dem Handelshafen und auf dem Landgang vom Ufer nach dem »Saint Enoch«.
Sobald er an Bord war, zog sich Bourcart in seine Kabine zurück, deren Thür sich nach der gemeinsamen Kajüte und deren Fenster sich nach der Vorderseite der Deckhütte zu öffnete. Nachdem er noch den Befehl erteilt hatte, ihm das Wiedereintreffen des Besuchers sofort zu melden, wartete er mit einiger Ungeduld und las inzwischen in einem Lokalblatt von Havre. Er sollte nicht lange zu warten haben. Schon nach zehn Minuten stellte sich der ihm gemeldete junge Mann wieder an Bord ein und war nach der Kajüte geführt worden, wo der Kapitän ihn aufsuchte.
Wenn der Besucher, allem Anscheine nach, auch kein Böttcher war, so konnte er doch vielleicht ein Arzt... ein junger Mediziner, beiläufig von sechs- bis siebenundzwanzig Jahren sein. Nach dem Austausch der gewöhnlichen Höflichkeiten – und man darf glauben, dass Bourcart gegenüber der Person, die ihn mit ihrem Besuch beehrte, damit nicht im Rückstande blieb – begann der junge Mann mit den Worten: »Ich habe aus dem, was man sich an der Börse sagte, gehört, dass der »Saint Enoch« infolge des schlechten Gesundheitszustandes seines gewohnten Arztes am Auslaufen verhindert sei.«
»Das ist leider richtig, mein Herr... Herr?«
»Filhiol. Ich bin der Doktor Filhiol, Herr Kapitän, und komme, Ihnen anstelle des Doktors Sinoquet meine Dienste an Bord Ihres Schiffes anzubieten.«
Der Kapitän Bourcart erfuhr darauf noch, dass der aus Rouen gebürtige junge Mann einer Familie aus den industriellen Kreisen seiner Vaterstadt angehörte, und dass er den Wunsch hegte, seinen Beruf in der Handelsmarine auszuüben. Jedenfalls würde er sich glücklich schätzen, vor dem etwaigen Eintritt in den Dienst der Transatlantischen Gesellschaft an einer Fahrt zum Walfang teilzunehmen und gerade bei der oft beschwerlichen Schifffahrt auf dem Stillen Ozean seine Tauglichkeit zu erproben. Er könne, sagte er, die besten Empfehlungen vorlegen, und der Kapitän brauche sich über ihn nur bei den und den Großkaufleuten und Rhedern von Havre zu erkundigen.
Bourcart hatte den jungen Arzt mit seinem offenen, ansprechenden Gesichtsausdruck aufmerksam angesehen. Ohne Zweifel war er von kräftiger Konstitution und entschlossenem Charakter. Auf dergleichen verstand er sich, und der da vor ihm stand, mit gut gebauten Gliedern und strotzender Gesundheit, war gewiss nicht der Mann, der sich bei ihm an Bord einen Rheumatismus zuzog.
»Mein werter Herr«, antwortete er also, »Sie kommen mir sehr gelegen, was ich nicht verhehlen mag, und wenn meine Erkundigungen – woran ich nicht im mindesten zweifle – für Sie günstig ausfallen, so wäre die Sache so gut wie abgemacht. Sie könnten sich dann schon morgen auf dem »Saint Enoch« häuslich einrichten, und ich denke, Sie würden es nicht zu bereuen haben.«
»Davon bin ich überzeugt, Herr Kapitän«, erwiderte der Doktor Filhiol, »denn ich gestehe, dass ich, bevor Sie über mich Erkundigungen einziehen konnten, mich schon über Sie erkundigt habe...«
»Ganz klug und weise«, erklärte Bourcart. »Wie man niemals ohne Schiffszwieback in See gehen soll, so soll man auch seinen Namen nicht in eine Schiffsrolle einzeichnen, ohne zu wissen, mit wem man später zu tun bekommt.«
»Das war auch mein Gedankengang, Herr Kapitän.«
»Und das ist ganz recht so, Herr Doktor. Wenn ich Ihre Worte richtig deute, so haben Sie über mich wohl keine ungünstige Auskunft erhalten?« - »O, im Gegenteil, Herr Kapitän, und ich hoffe, dass die Auskunft, die Sie über mich einholen werden, ebenso günstig ausfällt.«
Kamen sich der Kapitän Bourcart und der junge Arzt an Offenherzigkeit gleich, so hielten sie sich jedenfalls auch bezüglich der Höflichkeit die Waage.
»Nur noch eine einzige Frage«, nahm der Kapitän Bourcart wieder das Wort. »Sind Sie, Herr Filhiol, schon zur See gewesen?«
»Nur auf einigen kurzen Fahrten über den Ärmelkanal.«
»Und... nicht seekrank gewesen?« - »Nein; ich glaube sogar, ich werde das niemals werden.« - »Ja, sehen Sie, für einen Schiffsarzt ist das nicht ganz unwichtig.« - »Gewiss nicht, Herr Kapitän.« - »Ich darf Ihnen dazu auch nicht verheimlichen, dass die Fahrten zum Walfang anstrengend, wohl auch gefährlich sind. Mühsal und Entbehrungen bleiben einem dabei nicht erspart, kurz, es ist eine harte Schule für das Seemannsleben...«
»Das weiß ich, Herr Kapitän, doch ich fürchte diese harte Schule nicht...«
»Und unsere Fahrten, Doktor Filhiol, sind nicht nur gefährlich, sondern zuweilen auch von sehr langer Dauer. Das hängt von mehr oder weniger günstigen Umständen ab. Wer kann wissen, ob der »Saint Enoch« nicht vielleicht zwei bis drei Jahre braucht, ehe er heimkehrt...«
»Er mag heimkehren, wann das auch ist, Herr Kapitän; das Wichtigste bleibt es doch, dass alle, die er jetzt hinausführt, mit ihm wieder zurückkommen.«
Bourcart musste sich von der Lebensanschauung des jungen Mannes entschieden befriedigt fühlen, und er würde sich mit dem Doktor Filhiol jedenfalls in allen Punkten verständigen, wenn die über diesen einzuziehenden Erkundigungen es zuließen, mit ihm einen Vertrag einzugehen.
»Mein Herr Doktor«, sagte er zu ihm, »ich glaube, ich habe mich nur zu beglückwünschen, mit Ihnen in Beziehung getreten zu sein, und morgen, nachdem ich meine Erkundigungen eingezogen habe, hoffe ich, dass Ihr Name im Schiffsbuch eingetragen werden wird.«
»Auf morgen also«, antwortete der junge Arzt, »und was die Abfahrt betrifft...« - »O, die könnte auch noch morgen Abend mit dem ersten Eintritt der Ebbe erfolgen, wenn es mir gelungen wäre, für den Platz des Böttchers ebenso Ersatz zu finden, wie für den des Arztes.«
»Ihre Mannschaft ist also noch nicht vollzählig, Herr Kapitän?«
»Leider nein, Herr Filhiol, denn es ist ausgeschlossen, auf den armen Brulard zu rechnen.«
»Ist der Mann denn krank?«
»Nun ja, wenn man es krank sein nennen darf, wenn einer einen Rheumatismus hat, der ihm Arme und Beine lähmt... Sie können mir aber getrost glauben, dass er sich diesen nicht während der Fahrt auf dem »Saint Enoch« geholt hat.«
»Da fällt mir ein, Herr Kapitän«, bemerkte jetzt der junge Arzt, »dass ich Ihnen vielleicht einen Böttcher nachweisen kann...«
»Sie?«
Der Kapitän erging sich seiner Gewohnheit gemäß schon in vorzeitigen Danksagungen gegen den ihm von der Vorsehung gesandten Doktor. Ihm war's, als hörte er im Laderaum schon den Schlägel an die Dauben der Fässer klopfen. Die erste Freude sollte aber nur von kurzer Dauer sein, und er schüttelte ganz kläglich den Kopf, als Filhiol hinzugesetzt hatte:
»Sie haben also wohl gar nicht an Meister Cabidoulin gedacht?...«
»An Jean-Marie Cabidoulin in der Tournettesstraße?«, rief Bourcart.
»Natürlich an diesen. Gibt es denn noch einen zweiten Cabidoulin in Havre oder anderswo?«
»Jean-Marie Cabidoulin!«, wiederholte der Kapitän Bourcart.
»Ja ja, der selbst.« - »Woher kennen Sie denn Cabidoulin?« - »Daher, dass ich ihn behandelt habe.«
»Was... der ist also auch krank?... Da herrscht wohl unter den Böttchern eine reine Epidemie?«
»O nein, darüber können Sie ruhig sein, Herr Kapitän. Er hatte nur eine geringfügige Handverletzung, die schon wieder geheilt ist, so dass er recht gut mit dem Breitbeil umgehen kann. Er ist ein kerngesunder Mann von guter Konstitution, für sein Alter – kaum fünfzig Jahre – recht kräftig, und ich meine, er werde seine Sache auch gut machen.«
»Ganz gewiss... ganz gewiss«, antwortete Bourcart, »doch, wenn Sie Jean-Marie Cabidoulin kennen, so kenne ich ihn auch, und ich glaube kaum, dass sich irgendein Kapitän entschließen würde, den Mann an Bord aufzunehmen...«
»Warum denn das?«
»O, sein Handwerk versteht er gründlich und hat auch verschiedene Fahrten mitgemacht... die letzte etwa vor fünf bis sechs Jahren...« - »Doch warum, Herr Kapitän, will niemand etwas von ihm wissen?«
»Weil er ein Unglücksprophet ist, Herr Filhiol, weil er immer nur Unfälle und Katastrophen voraussagt, weil, wenn man eine Reise antritt, das, seinem Reden nach, allemal die letzte sein werde, von der man nicht wiederkehrt. Und dann seine Geschichten von den Seeungeheuern, die er gesehen haben will und auch später wieder antreffen werde. Ich sage Ihnen, Herr Filhiol, der Mann ist imstande, eine ganze Mannschaft zu demoralisieren!«
»Sprechen Sie im Ernst, Herr Kapitän?« - »Völlig ernsthaft!« - »Ja... aber... beim Mangel an einem anderen, und da Sie doch einen Böttcher brauchen...«
»Freilich... ich weiß es... mangels eines anderen!... Und doch, an den... gerade an den hätt' ich nimmermehr gedacht!... Indes, kann man nicht nach Norden steuern, so steuert man eben nach Süden, und wenn Meister Cabidoulin wollte... er wird aber nicht wollen...«
»Man könnte es doch versuchen..«
»Nein, das ist nutzlos. Übrigens Cabidoulin... Cabidoulin!«, wiederholte Bourcart.
»Wenn wir ihn nun aufsuchten?«, schlug Filhiol dennoch vor. Der sich offenbar unklare und etwas betretene Kapitän Bourcart schlug einmal die Arme in- und dann auseinander, er ging mit sich zu Rate, erwog das Für und das Wider und schüttelte den Kopf, als stände er im Begriff, sich in eine dumme Geschichte einzulassen. Der Wunsch, möglichst bald in See zu gehen, wog schließlich doch jedes Bedenken auf.
»Nun, gehen wir also!«, sagte er. Schon in der nächsten Minute hatten beide den Handelshafen verlassen und wendeten sich der Wohnung des Böttchers zu.
Jean-Marie Cabidoulin war zu Hause; er befand sich in einem Zimmer des Erdgeschosses im Hof. Es war ein zweiundfünfzigjähriger, robuster Mann, der sich hier in Cordhosen und Ärmelweste zeigte. Auf dem Kopf trug er eine Otterfellmütze und um die Hüften einen großen, braunen Lederschurz. Arbeit, äußerte er, gäb' es nicht viel, und wenn er nicht einige Sparpfennige besäße, könnte er in dem kleinen Café gegenüber des Abends nicht einmal seine Partie Manille spielen, wozu ihn doch ein alter Marinepensionär, ein früherer Leuchtturmwächter von la Hève, Tag für Tag erwartete.
Jean-Marie Cabidoulin war übrigens völlig unterrichtet über alles, was in Havre vorging, über Ein- und Ausfahrten von Segel- und Dampfschiffen, von der Ankunft und der Wiederabreise der transatlantischen Dampfer, von den Fahrten der Lotsen und von den Neuigkeiten vom Meer und auch unterrichtet von allen Klatschereien, die zwischen zwei Gezeiten auf dem Hafendamm aufkamen. Meister Cabidoulin kannte also, und zwar schon lange, auch den Kapitän Bourcart. Sobald dieser bei ihm auf der Schwelle erschien, rief er deshalb auch:
»He, he! Der »Saint Enoch« liegt also immer noch am Quai fest immer noch im Handelshafen eingesperrt, als ob er von Eis umschlossen wäre?...«
»Noch immer, Meister Cabidoulin«, bestätigte Kapitän Bourcart.
»Fehlt's noch an einem Schiffsarzt?«
»O nein, der ist zur Stelle.«
»Sapperment... Sie sind das doch nicht selbst, Doktorchen?«
»Ich selbst, und ich habe den Kapitän Bourcart hierher begleitet, um zu fragen, ob Sie sich mit uns einschiffen wollen.«
»Einschiffen?«, rief der Tonnenbinder, seinen Schlägel schwingend.
»Ja, Jean-Marie Cabidoulin«, sagte der Kapitän Bourcart. »Hätte es denn für Sie keinen Reiz, so eine letzte Fahrt auf gutem Schiff und in Gesellschaft tüchtiger, braver Leute?«
»Nun wahrlich, Kapitän Bourcart, ein solches Anerbieten hätte ich mir nicht mehr träumen lassen! Sie wissen doch, dass ich mich eigentlich zur Ruhe gesetzt habe. Jetzt segl' ich nur noch durch die Straßen von Havre, wo es keine Zusammenstöße gibt und kein Wogenschlag zu fürchten ist... und Sie... Sie wollten...«
»O, überlegen Sie sich die Sache, Meister Cabidoulin. Sie sind doch wahrlich noch nicht so alt, auf Ihrer Ankerboje hocken, oder wie ein alter Ponton ganz hinten im Hafen vertäut zu bleiben!«
»Den Anker lichten, Jean-Marie, den Anker lichten!«, setzte Doktor Filhiol, um in Übereinstimmung mit dem Kapitän zu bleiben, lachend hinzu.
Meister Cabidoulin hatte jetzt aber einen Gesichtsausdruck tiefen Ernstes angenommen – wahrscheinlich die Maske des Unglückspropheten – und mit dumpfer Stimme begann er:
»Hören Sie auf meine Worte, Kapitän, und Sie auch, Doktor Filhiol. Ich habe da einen Gedanken gehabt, den ich nie wieder aus dem Kopfe los werde...«
»Und der wäre?« fragte der Kapitän Bourcart.
»Dass man, wenn man da draußen umherfährt, schließlich früher oder später, doch notwendigerweise, Schiffbruch erleiden muss. O, ich weiß es, der »Saint Enoch« hat einen vortrefflichen Kapitän, eine tüchtige Mannschaft, er wird auch einen guten Arzt haben, ich habe aber die feste Überzeugung, dass mir, wenn ich mit zu Schiffe ginge, widerfahren werde, was mir noch nicht widerfahren ist...«
»Ach, ich dächte gar!«, bemerkte der Kapitän Bourcart dazu.
»Es ist, wie ich Ihnen sage«, versicherte Meister Cabidoulin. »Deshalb hab' ich mir auch vorgenommen, mein Leben ruhig auf dem festen Land zu beschließen.«
»Das ist ja die reine Einbildung«, erklärte Doktor Filhiol; »alle Schiffe sind doch wahrlich nicht bestimmt, mit Mann und Maus unterzugehen...«
»Nein, das gewiss nicht«, gab der Böttcher zu, und doch, mich verläßt die Ahnung nicht, wenn ich noch einmal zur See führe, würde ich davon nicht zurückkommen...«
»O, ich bitte Sie, Jean-Marie Cabidoulin«, versetzte der Kapitän Bourcart, »das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein!«
»Mein völliger Ernst, und obendrein, doch das unter uns, meine Neugier ist für diese Welt befriedigt. Hab' ich nicht alles gesehen, während ich zur See fuhr: die heißen Länder und die kalten Länder, die Inseln des Atlantischen und Großen Ozean, die Eisberge und das Packeis, die Seehunde, die Robben und die Walfische...«
»Alle Achtung, Sie sind wirklich zu beneiden«, unterbrach ihn Filhiol.
»Und wissen Sie denn, was ich noch zu guter Letzt sehen werde?«
»Nun, was denn, Meister Cabidoulin?«
»Was mir noch niemals vor Augen gekommen ist, ein furchtbares Meerungeheuer... die große Seeschlange...«
»Die Sie nie zu sehen bekommen werden!«, versicherte der Doktor Filhiol.
»Warum denn nicht?«
»Sehr einfach, weil's überhaupt keine gibt. Ich habe alles gelesen, was man über diese fabelhaften Seeungeheuer geschrieben hat, und ich wiederhole Ihnen, Ihre Riesenschlange existiert nicht!«
»I, das wäre!«, rief der Böttcher mit so überzeugtem Ton, dass es nutzlos erschien, über diesen Gegenstand mit ihm zu verhandeln.
Kurz, nach drängenden Gesuchen und schließlich durch den hohen Lohn, den der Kapitän Bourcart ihm bot, umgestimmt, entschloss sich Jean-Marie Cabidoulin, eine letzte Reise auf den Walfang mitzumachen, und noch an demselben Abend schleppte er seinen Reisesack an Bord des »Saint Enoch«.
Zweites Kapitel. Der »Saint Enoch«.
Den nächsten Tag, den 7. November, verließ der »Saint Enoch« Havre im Schlepptau des »Herkules«, der ihn zur Zeit des höchsten Wasserstandes hinausbugsierte. Das Wetter war ziemlich schlecht. Tiefliegende und zerrissene Wolken flogen, von einer starken Nordwestbrise getrieben, am Himmel hin.
Das Fahrzeug des Kapitäns Bourcart maß gegen fünfhundertfünfzig Tonnen und war mit allen Geräten ausgestattet, die bei dem schwierigen Fang der Walfische in den fernen Gewässern des Großen (oder Stillen) Ozean allgemein benützt werden. Obwohl die Zeit seines Baues jetzt schon um zehn Jahre zurücklag, erwies es sich unter allen Verhältnissen als völlig seetüchtig und als guter Segler. Seine Mannschaft war auch immer beschäftigt, Rumpf und Segelwerk in tadellosem Zustand zu erhalten, und eben jetzt war es frisch gekielholt und ausgebessert worden.
Der »Saint Enoch«, ein ziemlich breit gebauter Dreimaster, führte Focksegel, Großsegel und Brigantine, Mars- und Vormarssegel, Bram- und Oberbramsegel, Kreuzbramsegel, großes und kleines Klüversegel, Außenklüver und endlich Lee- und Stagsegel. In Erwartung der Abfahrt, hatte Bourcart alle Geräte und Hilfsmittel zum Aufwinden oder Drehen der Walfische bestens instand setzen lassen. Vier Boote lagen an Ort und Stelle fertig... an Backbord die des Obersteuermanns und des ersten und zweiten Lieutnants, an Steuerbord das des Kapitäns. Vier weitere (Reserve-)Boote standen auf dem Deck verteilt. Zwischen Fock- und Großmast und vor der großen Luke hatte man den zum Schmelzen des Walfischspecks dienenden Ofen oder Herd aufgebaut. Dieser enthielt zwei eiserne Töpfe dicht aneinander und war mit einem Mantel aus Ziegelsteinen umschlossen. An dessen Hinterseite befanden sich zwei Öffnungen für den Abzug des Rauches und an der Vorderseite unter den Töpfen zwei Roste für die Feuerung.
Wir führen hier den Bestand an Offizieren und Mannschaften auf, die auf dem »Saint Enoch« eingeschifft waren:
Der Kapitän Bourcart (Evariste Simon), fünfzig Jahre.
Der Obersteuermann Heurtaux (Jean François), vierzig Jahre.
Der erste Lieutenant Coquebert (Yves), zweiunddreißig Jahre.
Der zweite Lieutenant Allotte (Romain), siebenundzwanzig Jahre.
Der Bootsmann Ollive (Mathurin), fünfundvierzig Jahre.
Der Harpunier Thiébaut (Louis), siebenunddreißig Jahre.
Der Harpunier Kardek (Pierre), zweiunddreißig Jahre.
Der Harpunier Durut (Jean), zweiundreißig Jahre.
Der Harpunier Ducrest (Alain), einunddreißig Jahre.
Der Doktor Filhiol, siebenundzwanzig Jahre.
Der Böttcher Cabidoulin (Jean-Marie), zweiundfünfzig Jahre.
Der Schmied Thomas (Gille), fünfundvierzig Jahre.
Der Zimmermann Ferut (Marcel), sechsunddreißig Jahre.
Acht Matrosen.
Elf Leichtmatrosen.
Ein Tafelmeister.
Ein Koch.
Zusammen vierunddreißig Köpfe... die gewöhnliche Menge Mannschaft für einen Walfänger vom Tonnengehalt des »Saint Enoch«. Die Besatzung bestand nahezu zur Hälfte aus normannischen und bretonischen Matrosen. Nur der Zimmermann Ferut war aus Paris gebürtig, und zwar aus der Vorstadt Belleville; früher war er an verschiedenen Theatern der Hauptstadt als Maschinist tätig gewesen. Die Offiziere hatten auf dem »Saint Enoch« schon mehrere Fahrten mitgemacht und verdienten das beste Lob. Sie hatten alle Eigenschaften, die ihr Beruf erforderte. Im vergangenen Jahr waren die nördlichen und die südlichen Teile des Stillen Ozean abgesucht worden. Eine im ganzen glückliche Reise, wenigstens insofern, als sie ohne jeden ernsteren Unfall verlaufen war, obgleich sie nicht weniger als zweiundvierzig Monate gedauert hatte, doch auch eine einträgliche Reise, da die von dem Schiff mit heimgebrachten zweitausend Fässer Tran zu recht annehmbaren Preisen verkauft werden konnten.
Der Obersteuermann Heurtaux verstand sich vortrefflich auf jede Einzelheit des Dienstes an Bord. Nachdem er als Hilfs-Flaggenoffizier in der Kriegsmarine gedient hatte, war er zur Handelsmarine übergegangen und fuhr jetzt nur in Erwartung eines eigenen Befehlshaberpostens. Er galt mit Recht für einen sehr tüchtigen Seemann, der auf strenge Mannszucht zu halten gewöhnt war. Von dem ersten Lieutenant Coquebert und dem zweiten, Allotte – zwei übrigens auch recht guten Offizieren – wäre nur ihr außerordentlicher, zuweilen selbst unkluger Eifer bei der Verfolgung von Walfischen zu erwähnen; beide wetteiferten in Schnelligkeit und Kühnheit; sie suchten einander gern zu überholen, unbekümmert ob sie – trotz der Warnungen und ernstlichen Einschärfungen des Kapitäns Bourcart – dabei ihre Boote aufs Spiel setzten oder nicht. Der Eifer des Fischers beim Fischfang wiegt eben den Eifer des Jägers bei der Jagd auf... er reißt, eine instinktive Leidenschaft, unwiderstehlich mit sich fort. Die beiden Lieutenants steckten damit auch mehr als nötig ihre Leute an, vor allem Romain Allotte.
Nur wenige Worte seien dem Bootsmann Mathurin Ollive gewidmet. Der kleine, hagere und sehnige, jeder Anstrengung gewachsene Mann, der eifrig seines Amtes waltete, auch gute Augen und gute Ohren hatte, besaß die besonderen Eigenschaften, die man an einem Kammerunteroffizier der Marine zu sehen gewöhnt ist. Von allen Leuten an Bord war er unzweifelhaft der, der sich am wenigsten für die Einbringung von Walfischen interessierte. Mochte ein Schiff eigens für diesen Zweig des Fischfanges ausgerüstet oder zur Beförderung von Frachtgut beliebiger Art von einem Hafen zum anderen bestimmt sein: Meister Ollive bekümmerte sich nur um das, was unmittelbar mit der Navigation zusammenhing. Der Kapitän Bourcart schenkte ihm das größte Vertrauen, und er rechtfertigte dieses glänzend.
Was die acht Matrosen angeht, so hatte die Mehrzahl davon schon die letzte Reise des »Saint Enoch« mitgemacht, und sie bildeten eine ebenso zuverlässige wie geübte Mannschaft. Unter den elf Leichtmatrosen waren sechs, die die raue Lehrzeit des großen Fischfanges zum ersten Mal erprobten. Die jungen Leute, im Alter von vierzehn bis zu siebzehn Jahren, sollten im Verein mit den Matrosen bei der Bemannung der Boote Verwendung finden. Die übrigen, der Schmied Thomas, der Böttcher Cabidoulin, der Zimmermann Ferut, der Koch und der Tafelmeister gehörten, mit Ausnahme des Böttchers, alle seit drei Jahren zur ständigen Mannschaft und waren mit ihren Obliegenheiten vollkommen vertraut. Es sei noch hinzugefügt, dass Meister Ollive und Meister Cabidoulin schon alte Bekannte und wiederholt zusammen zur See gefahren waren. Der erstgenannte, der schon wusste, was von der Manie des Zweiten zu erwarten war, hatte diesen gleich in vertrauter Weise begrüßt. - »He, Alterchen, da bist Du ja!« - »Jawohl, in eigener Person«, sagte der zweite.
»Du willst es wirklich noch einmal wagen?«
»Wie Du siehst.«
»Und immer mit der verwünschten Idee, dass es schlecht ablaufen werde?« - »Sogar sehr schlecht«, antwortete der Böttcher ernsthaft.
»Na gut«, fuhr Mathurin Ollive fort, »ich hoffe aber, dass Du uns mit Deinen Geschichten verschonen wirst...«
»Das möcht' ich denn doch nicht versprechen.«
»So halt' es, wie Du willst; wenn uns jedoch ein Unglück zustößt...«
»Ist's eben ein Beweis, dass ich mich nicht geirrt habe!«, erklärte Jean-Marie Cabidoulin.
Wer weiß, ob der Tonnenbinder nicht jetzt schon bedauerte, auf das Angebot des Kapitäns Bourcart eingegangen zu sein.
Als der »Saint Enoch« über die Hafendämme hinausgekommen war, wurde, da der Wind zum Auffrischen neigte, Befehl gegeben zum Beisetzen der Marssegel, in die der Bootsmann zwei Reffe schlagen ließ. Sobald der »Herkules« sein Schlepptau losgeworfen hatte, wurde das ausgeführt, ebenso auch das kleine Klüversegel entfaltet, und der Kapitän ließ nachher noch den Fockmast ausrüsten. Unter diesen Verhältnissen konnte der Dreimaster – ein Barkschiff – gegen den Nordost aufkreuzen, um die vorspringende Spitze von Barfleur zu umsegeln. Der »Saint Enoch« musste sich sehr dicht am Winde halten, trotzdem glitt er aber mit der Geschwindigkeit von zehn Knoten dahin. Drei Tage lang machte sich das Kreuzen nötig, dann erst konnte der Lotse bei la Hougue ausgeschifft werden. Von nun an ging die Fahrt den Canal la Manche hinunter in gewöhnlicher Weise weiter. Die günstige Brise, die bisher geherrscht hatte, verwandelte sich bald zu einem frischen Wind. Kapitän Bourcart, der deshalb auch hatte Bram-, Oberbram- und Stagsegel setzen lassen, konnte sich überzeugen, dass der »Saint Enoch« seine guten nautischen Eigenschaften noch immer entwickelte. In der Voraussicht einer sehr weiten Reise, bei der die Schiffe oft viel Ungemach aushalten müssen, war dessen Takelage übrigens fast vollständig erneuert worden.
»Schönes Wetter, freundliche See, guter Wind«, sagte Bourcart zu Doktor Filhiol, der mit ihm auf dem Deck umherging. »Unsere Fahrt lässt sich ja recht gut an, und das ist eine Seltenheit, wenn man um diese Zeit des Jahres durch den Ärmelkanal segelt.«
»Ich gratuliere Ihnen, Kapitän«, antwortete der Doktor, »wir stehen jetzt aber erst am Anfang der Reise...«
»O, das weiß ich wohl, Herr Filhiol. Es genügt nicht, eine solche gut anzufangen, man muss sie auch gut zuende führen. Doch... keine Sorge, wir haben ein gutes Schiff unter den Füßen, und wenn's auch nicht erst gestern vom Stapel gelaufen ist, so ist es doch an Rumpf und Takelwerk nicht minder solid. Ich behaupte sogar, es ist noch vertrauenswürdiger als ein ganz neues Schiff, und Sie können mir glauben, dass ich seinen Wert aus Erfahrung kenne.«
»Gewiss, Herr Kapitän, daran zweifle ich nicht, doch handelt es sich nicht allein um eine ohne Unfall verlaufene Fahrt, diese muss vielmehr auch etwas Ordentliches abwerfen, und das hängt weder vom Schiff selbst ab, noch von seinen Offizieren oder seiner Mannschaft...«
»Wie Sie sagen«, fiel der Kapitän Bourcart ein. »Der Walfisch kommt oder er kommt nicht. Das liegt, wie bei allen Dingen, am günstigen Zufall, und dem Zufall kann man nicht befehlen. Natürlich: man fährt mit gefüllten Fässern heim oder mit leeren. Der »Saint Enoch« ist jetzt aber, seit er aus der Werft von Honfleur hervorging, auf seiner fünften Fahrt, und bisher ist jede zu seinem Vorteil ausgefallen.« - »Das lässt ja das Beste hoffen, Herr Kapitän. Denken Sie wohl mit dem Fange zu warten, bis wir den Großen Ozean erreicht haben?
»O nein, Herr Filhiol, wir werden jede Gelegenheit benützen, und wenn wir im Atlantischen Ozean vor der Umschiffung des Caps Walfische antreffen, so werden unsere Boote nicht säumen, auf sie Jagd zu machen. Es kommt dabei nur darauf an, dass sie nicht in zu großer Entfernung auftauchen, und dass man sie am Schiff festlegen kann, ohne zu weit aus dem Kurs zu kommen.«
Einige Tage nach der Abfahrt aus Havre ordnete der Kapitän Bourcart den Wach- und Ausguckdienst. Zwei Männer sollten sich stets auf den Marsen, der eine auf dem Fock-, der andere auf dem Großmast aufhalten. Diese Aufgabe fiel den Harpunieren und den Matrosen zu, die Leichtmatrosen sollten auf dem Deck bleiben. Um für alle Fälle bereit zu sein, erhielt jedes Boot eine Anzahl von Spieren, nebst den zum Walfang nötigen Geräten. Wurde dann ein Wal in der Nähe des Schiffes gemeldet, so brauchten die Boote nur aufs Wasser gesetzt zu werden, was nur wenige Minuten in Anspruch nahm. Auf eine solche Gelegenheit war indes nicht eher zu rechnen, als bis der »Saint Enoch« sich draußen auf dem Atlantischen Meer befand. Nachdem das letzte Land an den Seiten des Ärmelkanals erreicht war, schlug der Kapitän Bourcart einen Kurs nach Westen ein, um Ouessant in größerer Entfernung zu umschiffen, und in dem Augenblick, wo das französische Land außer Sicht kam, wies er den Doktor Filhiol darauf hin.