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Die Juden im Weltkriege

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Title: Die Juden Im Weltkriege Author: Felix A. Theilhaber Release Date: May 28, 2014 [EBook #45808] Language: German Character set encoding: UTF-8

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE JUDEN IM WELTKRIEGE ***

Produced by Norbert Langkau, Enrico Segre, and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net.

This file was produced from images generously made available by The Internet Archive.

DIE JUDEN
IM WELTKRIEGE
Mit besonderer Berücksichtigung
der Verhältnisse für Deutschland
Von
Felix A. Theilhaber
1916
WELTVERLAG BERLIN, UNTER DEN LINDEN 56

Inhalt.

Vorwort

Seite

5

Einleitung

7

Der Krieg und die Juden

13

Die Stellung der deutschen Juden vor dem Kriege

13

Die Juden im Kriege

28

Juden im Ausland

36

Die Lehren des Krieges

44

Das Problem der Ostjuden

48

Schluß

58

Vorwort.

Die folgenden Ausführungen verdanken ihr Entstehen freien Stunden an der Front in Kurland, wo ich dem unendlichen Leid der Ostjuden auf Schritt und Tritt begegnete, einer unterdrückten Menschenmasse, die menschlich unser Interesse verdient, aber auch sprachlich, da sie den Deutschen darin noch näher steht als die Vlamen.

Vor allem gilt die Schrift den Beziehungen der deutschen Juden zu ihrer Umgebung. Die Verhetzung, welche vor dem Krieg das Volk bald gegen Sozialdemokraten, Agrarier und Zentrumsanhänger trieb, fehlte nicht gegenüber den Juden. Aber jeder wirtschaftliche Haß, jede chauvinistische nationale Abneigung wirkt auf die Dauer unfruchtbar und schädlich.

* * *

Damit die gegenseitige Achtung auch nach dem Kriege fortdauere und innerlich begründet wird, habe ich dargelegt, daß das Wort eines großen Denkers nicht zu Unrecht besteht: „Jedes Land hat die Juden, die es verdient“.

„Wer die Luft, die ich atme, den Boden, auf dem ich stehe und in dem meine Eltern bestattet sind, mir nehmen will, ist mein Mörder...“

So ungefähr wandte sich vor fünfzig Jahren Gabriel Rießer an seine Widersacher. Möge uns, wenn wir in die Heimat zurückkehren sollten, diese Sprache in alle Zukunft erspart bleiben.

Möge mein Wort der Verständigung, der Aufklärung und dem Frieden dienen!

Herbst 1915.

Felix A. Theilhaber.

Einleitung.

Die „Hilfe“ vom 2. September 1915 bringt einen Artikel „Der Krieg und die russischen Juden“ von Paul Barth. Seine Worte mögen meine Auseinandersetzung über das Problem „Judentum und Deutschtum“ einleiten. Paul Barth schreibt:

„Was aber lauter als alles andere zum Himmel schreit, das sind die Massenverbrechen, die die russische Militär- und Zivilbürokratie tagtäglich an den „lieben Juden“ des Zaren verübt. Wohin das russische Heer kommt, da ist die erste kriegerische Leistung, daß die Juden ausgewiesen werden. Im Februar dieses Jahres erließ der „Allgemeine Jüdische Arbeiterbund Litauens, Polens und Rußlands“ einen Aufruf an „die Kulturwelt“, der einigermaßen veranschaulichte, welches Meer von Leiden hinter dem Worte „ausgewiesen“ steckt. Mit einer Frist von vierundzwanzig, oft bloß von acht Stunden, hinausgetrieben in die Nacht und die Kälte des russischen Winters, alle, auch Greise, Frauen und Kinder; ohne Ziel, ohne Schutz in ein fast feindlich gesinntes Land; rechtlos schon im Frieden, jetzt rechtloser denn je. Unsere Ostpreußen sind gewiß tief zu beklagen, aber sie zogen doch in ein freundlich gesinntes Land. Hunderttausend ausgewiesene Juden sammelten sich damals hilflos in Warschau an, sehr viele, besonders Kinder, starben auf der Landstraße. Wie glücklich verhältnismäßig diejenigen, die ein Kosak erstochen hatte! Denn das ist nach jenem Aufruf ein regelmäßiger Sport der Kosaken, der unbestraft bleibt. Der Römer Seneca ereiferte sich darüber, daß ein Mensch, der Gladiator, „zum Spiele und Scherze getötet wird“. Der Gladiator jedoch konnte sich wehren, er war bewaffnet, das Ganze war ein Kampf zweier geübter Fechter. Der arme russische Jude aber kann sich nicht wehren.

Und ich fürchte, das ist erst der Anfang. Allerdings ein sehr großer Anfang. Denn Mitte Mai wurden die Gouvernements Kurland, Kowno und ein Teil von Suwalki von 280000, also mehr als einer Viertelmillion Juden „evakuiert“, wie der russische technische Ausdruck lautet. Neuerdings wurde eine Million Juden aus den Gouvernements Wilna, Grodno und Warschau vertrieben, d.h. wirtschaftlich vernichtet. Das tut die russische Regierung. Was wird erst geschehen, wenn die russische „Volksseele“, besonders die der „echt russischen Leute“, unruhig wird! Und sie wird aufkochen, wenn Rußland weitere Niederlagen erleidet, und sich in „Pogromen“ Luft machen, genau so, wie es 1905 und 1906 geschah. Was damals in Kertsch, Bialystok und vielen anderen Städten vorging, das wird sich in ganz Rußland wiederholen und wahrscheinlich mit viel größerer Heftigkeit. Und die Polizei wird, wie damals, teils wohlwollend zusehen, teils wohlwollend helfen. Damals war es schließlich die erste, sehr liberale Duma, unter einem viel besseren Stimmrecht als dem jetzigen gewählt, die den Greueln ein Ende machte. Aber die Duma, die jetzt zusammengetreten ist, wird für solche inneren Fragen keine Zeit haben.

Was tun nun dabei die Juden der übrigen Welt, außerhalb Rußlands? Im allgemeinen nichts,—was überraschend, vielleicht auch ein bedauerliches Symptom ist. Wie sehr sie auch die Kultur des Landes angenommen haben, in dem sie wohnen, sie hegen doch alle die gleiche Pietät für ihre Vergangenheit, die sie als starkes Band mit ihren russischen Stammesgenossen vereinigt. Die deutschen Juden freilich sind entschuldigt, sie können nichts tun. Jeder öffentliche Schritt ihrerseits würde den russischen Juden bloß schaden. Diese würden daraufhin noch mehr verdächtigt werden, über die Grenze hinaus nach dem Landesfeinde zu schielen. In den Ländern des Vierverbandes sehen wir nur eins: überall sind Juden unter den Kriegshetzern, gegen die Zentralmächte, also für den Zarismus. In Frankreich sind sehr viele Juden in den höchsten Stellen, die beständig ihre Liebe zum Zarismus betätigen. In England haben die Juden viel Einfluß in der höchsten Aristokratie, die ganz besonders in der Hoffnung auf „die Dampfwalze“ schwelgte. Lord Rosebery, einer der einflußreichsten Aristokraten, ist ja Schwiegersohn des Barons Meyer Rothschild.

In Italien finden wir unter den wildesten Kriegshetzern jüdische Namen. Herr Nathan, der Bürgermeister von Rom, hielt im Dezember 1914 als Freimaurer, als früherer Großmeister der Logen des Großorients, im Theater Constanzi in Rom eine schwungvolle Rede, in der er zum Kriege für den Dreiverband, also für den Zaren, aufrief. Zwei bekannte italienische Politiker jüdischer Herkunft, Barzilai und Luzzatti, trieben ebenfalls zum Kriege.

Aber was tun die Juden in den neutralen Ländern? Der einzige, der sich auf seine Herkunft und seine Gewissenspflicht besinnt, scheint Georg Brandes in Kopenhagen, wie sein Briefwechsel mit Clémenceau bewies. Andere sind auf seiten des Vierverbandes. Die rumänische Zeitung „Adeverul“ (Wahrheit), die täglich gegen die Zentralmächte, also für Rußland agitiert, war bis vor kurzem und ist wohl noch in jüdischen Händen. Die übrigen tun gar nichts, nicht einmal die Sozialisten unter den Neutralen. Vor kurzem meldete Reuter aus Neuyork, Samuel Gompers, der Vorsitzende der American Federation of Labour, zweifellos jüdischer Herkunft, habe auf eine Einladung zu einer Versammlung, die gegen die amerikanische Kriegsbedarfsausfuhr protestieren wollte, durchaus ablehnend geantwortet. Dunkel ist zwar die Begründung seiner Ablehnung: „es gebe schrecklichere Dinge als den Krieg, nämlich des Geburtsrechts (d.h. wohl des angeborenen Rechts), der Freiheit und der Gerechtigkeit beraubt zu sein“. Dies alles sind ja die Leiden der russischen Juden; aber Gompers lehnt ab, gegen die Unterstützung ihrer Unterdrücker zu protestieren.

Wenn nun die Juden selbst so gänzlich passiv sind, so müssen wir Nichtjuden uns regen und sie aus ihrer Resignation aufrütteln. Ich möchte nochmals betonen, daß die Verfolgungen erst anfangen. Je weiter die verbündeten Heere vorrücken, desto größer die Gefahr neuer Wutausbrüche. Und schon, wie berichtet wird, sind die Juden teilweise konzentriert in besondere Lager—sehr bequem für die Verfolger. Das Volk wird einen Sündenbock suchen, auf den es die Schuld der Niederlagen abwälze. Es wird die Regierung schuldig finden, aber es kann wieder einen Minister geben, wie denjenigen, der im Oktober 1905—nach jüdischen Quellen—sagte: „Wir werden die Revolution im Blute der Juden ersticken.“ Es folgten darauf die furchtbaren, zehn Tage dauernden Oktobermorde. Tausend Juden wurden erschlagen, achttausend wurden zu Krüppeln. Werte im Betrage von 180 Millionen Mark wurden vernichtet, 300000 Juden flohen ins Ausland. (Vergl. „Allgemeine Zeitung des Judentums“, 1910, S.577.)

Die deutschen Juden können, wie gesagt, unmittelbar nichts tun, aber mittelbar sehr viel. Sie können die Juden der nordamerikanischen Union aufrufen, die für russische Angelegenheiten doch sonst Interesse zeigen. Als der Beilisprozeß schwebte, haben diese beim russischen Gesandten in Petersburg dagegen protestiert und später dem zwar freigesprochenen, aber sehr geschädigten und gequälten Beilis eine Farm geschenkt. Jetzt steht mehr als ein Menschenleben auf dem Spiele. Was dem einen Beilis recht war, ist allen russischen Juden billig. Die amerikanischen Juden müßten laut und energisch ihre Stimme erheben für ihre niedergetretenen russischen Stammesgenossen, täglich, so oft als möglich, in den Zeitungen, in allgemeinen Versammlungen der Juden und der Christen. Wenn erst die russische Regierung weiß, daß man ihr Treiben beobachtet, wird sie doch vielleicht stutzig werden und das Schlimmste unterlassen, sie wird wenigstens nicht die Polizei zur schweigenden Duldung der Morde und der Diebstähle anhalten, sondern notgedrungen den Befehl zur Aufrechterhaltung der Ordnung geben müssen. Nordamerika ist ja der künftige Geldmarkt für Rußland, der einzige, wo es einst Anleihen machen kann. Denn alle europäischen Staaten werden nach dem Kriege selbst zu viel Schulden haben, um anderen leihen zu können. Die Juden der Union aber sind eine starke Kapitalmacht, besonders im Westen. Sie haben—nach W. Sombart—eine herrschende oder wenigstens wichtige Stellung im Getreidehandel, im Tabakhandel und im Baumwollhandel. Auf allen drei Gebieten können sie den Russen schaden. Vor allem aber können sie jede russische Anleihe erschweren, vielleicht unmöglich machen. Damit müßten sie drohen. Darauf wird selbst die zarische Regierung hören.

Und wenn die Proteste und Drohungen nichts helfen, so werden sie doch wenigstens Zeugnis ablegen, daß in der allgemeinen sittlichen Verwilderung es noch Menschen gegeben hat, die die Unmenschlichkeiten der zarischen Regierung als solche zu brandmarken gewagt haben.

Wenn aber gar nichts geschieht, dann wird ganz gewiß sich das alte Sprichwort bewähren: „Wenn die Menschen schweigen, so reden die Steine“, freilich in diesem Falle nur die Steine des Pogroms, die auf unschuldige, wehrlose Opfer fallen werden.“

* * *