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Seitenzahl: 91
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Zur Geschichte der Juden und über ihre Anteilnahme an den großen Kriegen des vorigen Jahrhunderts erschien zu Beginn des Weltkrieges eine eingehende Untersuchung von Professor Dr. Ludwig Geiger. Den Anteil an den napoleonischen Kämpfen leitet ein Jude namens Berck ein, der unter Kosziuszko ein Freikorps errichtet und zum Chef eines Reiter-Regiments avanziert. Dieser Umstand beeinflußte den preußischen Minister Schrötter, einen unbedingten Gegner der Juden, im Jahre 1808 seinem König einen Entwurf vorzulegen, der sich also anließ:
»Der Jude hat orientalisch-feuriges Blut und eine lebhafte Imagination. Alles Anzeichen einer männlichen Kraft, wenn sie benutzt und in Tätigkeit gesetzt wird.
Er ist in der älteren und auch in der mittleren Zeit sehr tapfer gewesen und man hat selbst in ganz neuerer Zeit, sowohl im amerikanischen als französischen Revolutionskriege auffallende Beispiele von Juden gehabt, welche sich ausgezeichnet haben ...«
Eine amtliche Denkschrift der preußischen Regierung ermittelte Jahrzehnte später die Anteilnahme der Juden an den Befreiungskämpfen. Bei einzelnen Armeekorps war keine konfessionelle Erfassung der Kriegsteilnehmer mehr möglich.
»Indessen« kommt die offizielle Untersuchung nach Geiger zu diesen Schlüssen, »hat sich doch ergeben, daß beim 2., 3. und 5. Armee-Korps etwa je 40 Mann, beim 6. 60 Mann und beim 4. 80 Mann jüdischen Glaubens gedient haben, und es ist besonders angeführt, daß sie beim 2. und 3. Armeekorps fast sämtlich resp. größtenteils, beim 5. Armeekorps wenigstens die Hälfte, beim 4. Armeekorps unter den überhaupt 80 Mann 2 Mann als freiwillige Jäger eingetreten sind, während beim 1. Armeekorps, obschon die Listen fehlen, doch als feststehend bezeichnet wird, daß sich im Kriege mehr freiwillige als im Frieden gemeldet haben. Ihre Führung im Kriege wird beim 2. und 3. Armeekorps als gut bezeichnet und beim letzteren, wie beim 2. Armeekorps wird anerkannt, daß sie zum Teil mit besonderer Auszeichnung gedient haben, wie denn auch beim 7. Armeekorps ihnen das Zeugnis gegeben wird, sich dem Feinde gegenüber sehr brav benommen zu haben und vom Generalkommando des 1. Armeekorps angeführt ist, daß ihre im Kriege geleisteten Dienste gelobt würden.«
Die amtliche Untersuchung gibt daher in den bezeichnenden Worten Ausdruck:
»Faßt man den Inhalt dieser Ermittelungen zusammen, so darf man als erfahrungsmäßiges Resultat annehmen, daß die Juden des preußischen Heeres von den Soldaten der christlichen Bevölkerung im allgemeinen nicht erkennbar unterschieden sind, daß sie im Kriege gleich den übrigen Preußen sich bewährt.«
Ueber einzelne Heldentaten jüdischer Krieger sind bei Geiger wertvolle Dokumente gesammelt, ebenso wie Stimmen nichtjüdischer Autoren, die die Tapferkeit der jüdischen Soldaten und die vaterländische Treue der ganzen israelitischen Bevölkerung anerkennen.
Eine kleine Zahl von Juden brachte es deshalb auch zum Offizier. Ein Jude Siegmund Plessner aus Pleß bekam beim Abschied den Hauptmannsrang (er war später Mathematiklehrer in Erfurt), Meno Burg wurde sogar aktiver Major. Seine Autobiographie hat Geiger ebenfalls neu herausgegeben. Eine Reihe von Juden erhielten Auszeichnungen, Eiserne Kreuze und andere Orden. Sogar den Orden Pour-le-Mérite erhielt ein Jude, Simon Kremser aus Berlin. Er muß dem Heere und dem Fürsten Blücher wertvolle Dienste in schweren Zeiten erwiesen haben. Eine Jüdin Louise Grafemus (nach der Vossischen Zeitung vom 9. Dezember 1815) machte den Feldzug als Freiwillige mit und wurde dabei zweimal verwundet; auch sie erwarb sich das Eiserne Kreuz.
1866 und 1870 haben sich nach Geiger u. a. die Juden auf dem Schlachtfelde vollauf bewährt.
Auf diese und andere historische Tatsachen wird hier nicht eingegangen, da unsere Darstellung der heutigen Zeit gilt. Die folgenden Blätter dienen einem erstmaligen Versuch, einige Lebensläufe jüdischer Soldaten unseres Krieges zu sammeln, die Erinnerung an sie festzuhalten, an der Hand objektiver und subjektiver Dokumente ihrer Wesensheit nachzugehen und damit jenen Bestrebungen, den Juden generell Mannesmut, Pflichterfüllung und Selbstaufopferung abzusprechen, entgegenzutreten. Nicht nur der Kampf gegen den Antisemitismus erfordert diese Aufgabe. Die heranwachsende Generation junger Juden darf und muß von der Art der jüdischen Soldaten die volle Wahrheit erfahren, muß von Männern hören, die Seite an Seite mit ihren nichtjüdischen Kameraden Gut und Blut freudig und stolz der Staatsidee geopfert haben.
Wenn wir so Juden als Helden reklamieren, so sind wir uns bewußt, daß der Beweis nicht einfach zu erbringen ist. Der Begriff des Heldentums hat wenig objektive Merkmale. Mancher Held der Geschichte verlor durch neue Enthüllungen oder hielt den Maßstäben andrer Zeiten nicht mehr stand. Bekannt ist die Börnesche Kritik an dem Schillerschen Nationalheros Tell, dessen Tat dem Frankfurter ehemaligen Polizeibeamten aus dem Hinterhalt heraus wenig ansprechend schien. Vielleicht paßt hierher das Wort Friedrich des Großen, daß Alexander der Große ein Straßenräuber gewesen sein mag, den aber zum mindesten sein Biograph geschickt zum Helden, zum göttlichen Heros gemacht hat. Das Urteil der Umwelt, die Macht eines großen Schriftstellers kann das Verdienst vergrößern. Außerdem beeinflussen die verschiedene Beurteilung des Beschauers, die schwankende Vorstellung des Moralischen unserer Taten, der Wechsel des Maßstabes, und der ausgelösten Wirkungen den Wert und die Benennung der Dinge. Die Taten eines Götz von Berlichingen, eines Don Carlos, einer Corday, ja eines Napoleon, wechselten als heroisch im Lichte des Tages und der Geschichte. Jeanne d'Arc gilt den einen als ein hysterisches Mädchen, als Typus psycho-pathologischer Weiblichkeit, auf der anderen Seite wurde ihr nicht nur der Heiligenschein verliehen, sondern an ihren Namen die Gloriole des höchsten Heldentums geknüpft.
Und trotzdem begeben wir uns auf dieses schlüpfrige Parkett. Weil wir glauben, daß unbeschadet all dieser Einwände eine Summe von Energie, selbstloser Hingabe und Todesverachtung immer wieder Bewunderung wecken muß. Aber wo können wir diese nachweisen. Wo müssen wir sie suchen und wo können wir sie darstellen?
Leistungen Hunderttausender sinken ins Namenlose. Die nächste Umgebung übersieht sie. Die Historie erfährt nichts von dem Elan der Tapfersten, weil ihrem Vorwärtsdrängen der Erfolg ausblieb und ihnen das Glück nicht blühte, daß beredte Zeugen ihre Tat schildern — oder der Tod sie überraschte, ehe sich Wirkungen auslösen konnten. Der geerntete Ruhm erhöht das geleistete Opfer. Wer die feindliche Fahne entriß, die mit Kanonen bespickte Bastion als erster besteigt: — ist — der Held; und der Kamerad, der zehn Schritte vor ihnen als vorderster tödlich getroffen niedersinkt — ein unbeachtetes Opfer. Neben der Leistung ist das praktische Resultat und ihre Anerkennung eine Voraussetzung für das öffentliche Lob. Was alles in diesem Krieg auf Vorposten und in Patrouillen in dunkler Nacht, im Hagelschauer des Trommelfeuers, beim offenen Sturmangriff, geleistet wird, kann nicht gezählt werden. Die Welt will das Heldentum amtlich sozusagen festgestellt haben. Die Auszeichnung und die Beförderung für bewiesene Geistesgegenwart und Wagemut sind objektive Prüfsteine oder gelten wenigstens als solche. Sie nehmen der Kritik die Handhabe, an den starken Qualitäten eines Mannes zu zweifeln. Unsere Sammlung wird daran anknüpfen müssen und auf diese äußerlichen Erscheinungen einen gewissen Wert legen. Sie wird aus dem großen wechselvollen Spiel dieses Krieges eine bleibende Erinnerung schaffen, uns einen Ausschnitt bieten: das Bild jüdischer Flieger. Bei der Relativität der Werttheorie, bei dem Mangel der Statistik, verzichten wir darauf, erschöpfendes Material zu bieten. Wen die Frage des jüdischen Soldaten interessiert, dem wird dieser Ausschnitt einiges geben ....
Heldentum und Tapferkeit sind der Ausdruck einer hochgeschraubten, individuellen Natur, sind starke, persönliche, womöglich bewußte Impulse in Hinblick auf das Wohl der Allgemeinheit, somit für das soziale Ganze. Von jedem Soldaten wird diese restlose Hingabe verlangt und vorausgesetzt. Trotzdem gibt es Nüanzierungen, Differenzen in der Tapferkeit der Soldaten. In der Ausgabe der verschiedenen Orden und Ehrenzeichen anerkennt jede Heeresleitung ihr Vorkommen.
Nicht mit Unrecht haben Infanterieoffiziere oft bittere Klage geführt, daß ihr Opfersinn, das grauenhafte Leiden, was sie mit Heroismus ertragen, der viele der berühmten Muster, die wir in unserer Schulzeit bestaunten und bewundern mußten, übertrifft, nicht genug Anerkennung findet. Gleichwohl! Die Stellung des Linienoffiziers kann einen passiven Einschlag haben. Anthaeus fand in der Berührung mit der Erde stetig neue Kraft. In der Masse entwickelt mancher Infanterist sein Talent, fast jeder stärkt an der Umwelt seine Triebe und wächst im Bewußtsein des Siegeswillens der Nachbarn.
Die Welt des Fliegers ist eine abgeschlossene. Auf sich selbst ist der Flieger angewiesen; von seiner Umsicht hängt das eigene Schicksal ab; nirgends ist der Zufall auf die Dauer so ausgeschaltet wie beim Fliegerkampf. Die Tat des Fliegers ist eine individuell-aktive, die Einflüsse der Außenwelt sind stärker reduziert, die Erfolge persönlicher, sichtbarer. Das soll das Leben des Liniensoldaten nicht herabsetzen; uns gilt es eine Waffe zu sichern, bei der die Zahl der Mitläufer, der Helden aus dem Augenblick, aus dem eisernen Muß heraus auf ein Minimum beschränkt wird, wo tatsächlich das klare Bewußtsein und das Vollgefühl der eigenen Tat als Voraussetzung gelten dürfen. Und noch an eines möchten wir erinnern. Der Dienst bei der Fliegertruppe ist ein freigewählter, das Menschenmaterial ein ausgesuchtes. Ein Volk von physisch minderwertigen Elementen stellt kein starkes Kontingent von tüchtigen Fliegern.
Aus solchen Gesichtspunkten heraus erschien die Darstellung des jüdischen Einschlags an dem Ruhmesblatt der Fliegerwaffe berechtigt. Erinnerungen an das Wirken von Juden bei anderen Waffengattungen sollen folgen. Auf allen Kriegsplätzen sind Judengräber geschaufelt. Tausende und Abertausende haben für Deutschland geblutet und selbst dort, wo man von Juden keine Ausstrahlungen ihres Mutes erwarten konnte, stoßen wir auf wundersame Beispiele. Wer hätte an ihre Mitwirkung an den Taten der Flotte gedacht? Aus dem Material ihres Wirkens auf U-Booten und der Hochseeflotte darf vielleicht ein Dokument Zeugnis ablegen. Es ist dies der Brief des Prinzen von Hohenzollern (datiert: Malta, den 1. März 1915) an die Angehörigen des Matrosen Levi (zitiert nach dem Hamburger »Israelitischen Familienblatt«).
Der Brief lautet: