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Hanna ist einsam. Sie hasst ihr Leben, die Welt, sich selbst. Nur im Internet findet sie Freunde und Verständnis. Als ihre Online-Clique plant, ein Zeichen zu setzen, sich zu wehren, gegen all die Arschlöcher und Mobber da draußen, da geraten die Dinge sehr schnell außer Kontrolle. Doch Hanna hat eine ganz besondere Gabe, eine Kraft von der sie bisher nichts wusste. Als diese Gabe durch Zufall in Hanna erwacht, ist nichts mehr wie es einmal war. Gejagt von der Polizei und einem mächtigen, unbekannten Feind geht es plötzlich um alles - denn es gibt kein Zurück mehr: Die Kinder der Kirschblüte sind erwacht. Die Kinder der Kirschblüte ist eine Romantrilogie mit Phantastik und Science-Fiction Elementen. Schnell, spannend, direkt erzählt, mit einer Prise diffiziler Romantik und ungewöhnlichen Charakteren. Rezensionen (Auswahl): „… Der Schreibstil ist mitreißend, schnell und man möchte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. …“ http://stehlblueten.de „…Wenige Werke vermochten es, mich so aufzuwühlen, und keines schaffte es auf so wenigen Seiten. … Besonders gut gefallen hat mir dabei, dass der Autor so eindringlich aufzeigt, was Mobbing bei Kindern anrichten kann und dass die Sozialen Netzwerke dabei Segen und Fluch zugleich sein können. …“ http://ricas-fantastische-buecherwelt.blogspot.de „ … Tolle, tiefgründige und interessante Charaktere, die man schnell ins Herz schließen kann. … Eine spannende Geschichte, mit vielen Überraschungen und tollem Schreibstil. …“ http://buch-junkie.blogspot.de „… Für Liebhaber von spannenden Jugendbüchern und Urban Fantasy – toller Schreibstil, spannende Entwicklung und damit ein richtig guter Trilogieauftakt.“ http://www.bibliofeles.de „ … Ich fand das Zusammenspiel von Gegenwart, Vergangenheit und den fantastischen Elementen richtig toll. …“ http://linejasmin.blogspot.de
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Seitenzahl: 134
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Für all die wundervollen Menschen, die ich im Internet kennengelernt habe.
Danke, dass es euch gibt.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Hanna lag in ihrem Bett, bereit zu sterben.
Einfach nur sterben, aus, alles vorbei. Endlich Ruhe. Sie war so unsagbar müde. Müde von dieser scheißverfickten Welt da draußen, von all dem Gerede, dem Generve, den Gerüchten, den miesen Sprüchen, all den Blicken, all den Arschlöchern um sie herum; und im großen Ganzen: all die Kriege, die Morde, das Leid, all die Ungerechtigkeit überall auf der Welt, wie sollte man damit nur klarkommen?
Und in ihr drin, da sah es nicht viel besser aus. Alles voll von verrotteten Gedanken und Gefühlen, eine unendliche Traurigkeit, die sie lähmte; Hass, Wahnsinn, ein Brennen in ihrem Kopf, ihrer Brust, ihrem Bauch. Sie konnte das alles nicht mehr ertragen, hatte keine Kraft mehr, um zu kämpfen. Mit diesem Körper, der nie so funktionierte, wie sie es gerade brauchte, wie sie es wollte. Sie war das alles so leid, so komplett leid. Sie wollte einfach nur noch Ruhe, sie wollte einfach nur sterben.
Das war an sich nichts Neues für Hanna. So weit sie zurückdenken konnte, war sie immer schon traurig gewesen, müde, allein, überfordert mit allem, außen und innen, kraftlos. Es war eine Mischung aus unglaublicher Einsamkeit, erdrückender, lähmender Traurigkeit, Angst, Abscheu vor der Welt, den Menschen gegenüber und dem brennendem, ohrenbetäubendem Lärm in ihrem Kopf. Momenten, in denen sie im Sekundentakt Explosionen von Emotionen fühlte, wenn sie versuchte, runterzukommen, die Augen schloss, tief ein- und ausatmete – dann rasten manchmal die Bilder des Tages an ihr vorbei, Gespräche, Geräusche, sie fühlte Angst, Scham, Hass, Wut alles gleichzeitig, während sie in Gedanken Menschen sah, reden hörte, immerzu reden, um sie herum, in der Schule, auf der Straße, im Bus. Es rauschte und explodierte in ihrem Kopf in einer Endlosschleife. Die Gefühle erdrückten sie, schnürten ihren Hals zu, bis sie zitternd in der Ecke kauerte und sich durch Schmerzen wieder Luft zum Atmen verschaffen musste, sich erdete, wie sie es nannte. Sie kannte das alles, sie hatte das alles tausendmal erlebt, sie hatte das alles so endlos satt. Nein, es war absolut nichts Neues. Neu war nur, dass in diesem Moment eine Nachricht von Sven auf ihrem Handy aufleuchtete.
Sie musste lächeln. Und das war definitiv auch neu. Es war natürlich kein breites Grinsen, kein Zahnfleischlächeln, nein, aber ihre Mundwinkel zuckten eindeutig nach oben, ganz kurz, ein Mal. Das Handy hatte aufgeleuchtet, und sie dachte, ja, so ist das, du bist das Licht in meiner dunklen Nacht. Und musste wieder lächeln, über sich selbst und diesen grottigen Schmalzdreck, den sie da dachte. Was war hier eigentlich los? Wie konnte eine WhatsApp-Nachricht, eine Person, es schaffen, sie so dermaßen schnell aus ihrem Loch, ihrem Gedankengefängnis zu reißen? Seit sie Sven kannte, schaffte er es immer wieder.
Sie hatte Sven noch nie getroffen, tatsächlich hatte sie ihn auch noch nie gesprochen. Sie kannten sich jetzt seit acht oder neun Monaten über das Internet. Er hatte ihre Website, ihren kleinen Blog, ihr Sammelsurium der Monstrositäten, wie sie es nannte, gefunden und sie kontaktiert, und sofort, von seiner ersten Mail an hatte sie das Gefühl, nicht mehr ganz so allein zu sein. Das Gefühl, dass dort draußen jemand war, der sie verstand. Also, so richtig verstand.
Natürlich hatte sie im Internet bereits viele mehr oder minder gleich gesinnte Freunde gefunden. In einem Forum, BlutigeTraenen.de, war sie seit mehr als zwei Jahren aktiv und hatte enge Freundschaften mit einigen Nutzern geknüpft, die genau wie sie todtraurig und allein waren, gefangen in einer tristen, feindlichen Welt. Die sich ritzten aus den unterschiedlichsten Gründen. Aber mit Sven war es irgendwie anders. Vom ersten Moment an spürte sie, dass da eine andere Ebene der Verbindung, der Freundschaft möglich sein könnte. Es lag irgendwie ein positives Versprechen, ein kleines, zartes Körnchen Hoffnung darin, wann immer sie Chaosprince98 las. Sein Online-Pseudonym.
Hanna wusste nicht, ob sie schizophren war, bipolar, Borderliner, depressiv oder was auch immer. Sie hatte natürlich online alles darüber gelesen, sich immer wieder selbst diagnostiziert, alle möglichen Online-Tests gemacht, aber irgendwie war es ihr am Ende auch scheißegal, was nun genau kaputt war in ihr drin: Sie wusste, es war einfach nicht zu reparieren. Sie wollte es auch gar nicht reparieren, sie wollte einfach nur ihre Ruhe. Bei einem Arzt, einer Therapeutin war sie nie gewesen. Ihre Mutter wusste ja auch gar nicht richtig Bescheid, was los war.
Das war eh sehr komisch, das mit ihrer Mutter – und das mit ihrem Vater sowieso. Ihr Vater war viel älter als ihre Mutter. Er war beruflich immer unterwegs und fast nie zuhause gewesen. Wenn er dann mal da gewesen war, hatte er nie viel mit Hanna geredet, hatte sie nur manchmal ganz fest in den Arm genommen, lange, sehr lange festgehalten, fast erdrückt, und dann hatte sie immer gespürt, dass er sie liebte, irgendwie, auf seine Art. Aber davon konnte sie sich jetzt auch nichts mehr kaufen, denn jetzt war er weg. Außerdem waren sie ständig umgezogen. Fast jedes Jahr, kreuz und quer durch Deutschland, bis vor drei Jahren. Seitdem war ihr Vater nicht mehr nach Hause gekommen, hatte sich nicht mehr gemeldet, hatte sich nicht verabschiedet, und sie waren hier wohnen geblieben, in diesem verpissten kleinen Kaff in der niedersächsischen Provinz.
Ihre Mutter arbeitete in der Stadtverwaltung, und sie versuchte wirklich, Hanna Liebe und Geborgenheit zu geben, im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten, wie Hanna immer dachte. Aber sie scheiterte kläglich, vielleicht weil sie es selbst nie erfahren hatte. Hanna wusste es nicht, sie konnte mit ihrer Mutter nicht reden, über eigentlich gar nichts außer Einkaufslisten oder Fernsehshows. Ihre Mutter schien genau wie Hanna ihren eigenen Kampf zu führen, irgendwo tief drinnen in ihrem Kopf, und sie konnte, wollte nichts sagen über ihre eigene Traurigkeit oder über Hannas Vater oder über irgendwas, was irgendwie relevant gewesen wäre. Ihre Mutter schien immer nur sehr bedacht darauf zu sein, immer darauf hinzuarbeiten, dass alles ruhig war, alle still so taten, als wäre alles in Ordnung. Und so war Hanna komplett allein hier, allein mit sich und dem Wahnsinn in dieser Welt, allein mit sich und dem Wahnsinn in ihrem Kopf.
Aber online war alles besser, da war sie nicht allein, da hatte sie viele Freunde – und jetzt Sven. Er verstand sie, verstand ihren Hass, teilte ihren Zynismus, ihre Sicht auf die Welt und das Leben, ihre Einsamkeit, ihren Schmerz. Auch Sven war allein, hatte Eltern, die hohl, leblos wie Schaufensterpuppen waren, wie er immer sagte, die nur ein Kind wollten, das funktionierte. Er funktionierte aber nicht. Auch er war ein Außenseiter in der Schule, der im besten Fall ungesehen blieb, ignoriert wurde, im schlimmsten Fall das Ziel ätzender Sprüche, gemeinen Mobbings war. Mit ein paar anderen hatten sie im BlutigeTraenen-Forum eine kleine Gruppe gegründet. Eine Clique. Sven aka Chaosprince98, Hanna aka fehlkonstruktion, und noch ein paar andere, mehr oder minder stark aktiv, vor allem aber VioletPain, suki_chan, maerchenlos und BloodAngel. Sie teilten ihre Gedanken, ihren Schmerz, sie gaben sich Verständnis, Halt, Trost.
Manchmal schmiedeten sie auch gemeinsam Pläne, wie sie sich rächen wollten an den Arschlöchern in ihrer Schule, ihrer Stadt, in der Welt. Sie schworen, sich gegenseitig zu beschützen. Sie wollten einmal zusammenleben, später, alle zusammen, abseits versteckt auf einem Bauernhof, autark, ihr eigenes, geheimes Land, ein Zufluchtsort, ein Versteck für alle geschundenen Seelen, wie sie es nannten. Alle, die den Schmerz teilten, die Teil der Gruppe waren, galt es hier zu schützen. All die anderen Menschen, die willentlich und aus Bosheit anderen Schmerzen zufügten, egal ob körperlich oder seelisch, galt es auszuschließen, zu bestrafen. Manche meinten gern aufs Schlimmste, für immer.
Natürlich waren das für Hanna nur Gedankenspiele, die sie beruhigten, die dazu dienten, Frust rauszulassen, ein Gefühl von Geborgenheit, Zugehörigkeit und Schutz simuliert zu bekommen. Hanna war zu schlau, um das nicht zu durchschauen. Das war ja eines ihrer größten Probleme, ihre Intelligenz. Sie war zu schlau, sie verstand zu viel über die Menschen, über die Welt. Und dauernd musste sie sich selbst analysieren, sezieren, bis ins Kleinste ihr Verhalten, ihre Gedanken aufschlüsseln. Es war so furchtbar ungerecht, so unfair, dass sie so scheißverdammt schlau war, es lähmte sie zusätzlich, und es machte sie doppelt zum Außenseiter – und die dummen Vollidioten waren die Helden auf jeder Party. Denn offline waren sie alle unscheinbar, unsichtbar und versuchten, es auch zu bleiben, nicht aufzufallen. Ja nicht das Interesse anderer zu wecken, denn zu oft waren sie gehänselt, gemobbt, geschlagen oder gar missbraucht worden. Hanna hatte es in ihrer neuen Schule auch wieder schwer gehabt. Es gab dort zwei mehr oder minder homogene Cliquen: die Bauern, wie Hanna sie nannte, Dorfjugend, in der Freiwilligen Feuerwehr und im Landjugendverband Mitglied. Dummköpfe, einfältig, banal, für immer hier in diesem verpissten Kaff in ihrer kleinen miesen Existenz gefangen. Und dann die Coolen, meist aus dem Neubaugebiet jenseits der Bahnlinie, spielten Tennis oder Hockey, waren in Bands, hatten einen älteren Freund oder Bruder mit Auto, fuhren im Urlaub in die USA oder nach Thailand. In echt jetzt, kein Scheiß, alles lebende Klischees durch und durch.
Die Bauern ignorierten Hanna, die Coolen machten ihr das Leben zur Hölle. Durch ihre Arroganz, ihre Ignoranz, ihre abwertenden Blicke und durch ihre Sprüche, ihre Hänseleien. Der einzige halbe Grenzfall war Nicole. Sie gehörte zum Dunstkreis der Coolen, ihren Eltern hatten sicher viel Geld, sie wohnte in einem großen Haus am Waldrand, natürlich jenseits der Bahnlinie. Soweit Hanna es mitbekommen konnte, hatte Nicole nie etwas Gemeines zu ihr gesagt oder mitgelacht. Sie hatte natürlich auch nie Partei ergriffen für Hanna, sie geschützt. Nur einmal, als zwei Mädchen Hanna im Flur ein Bein gestellt und, als sie am Boden lag, auch noch blöde Sprüche gemacht hatten, da platzte es aus Nicole heraus, und sie schrie die beiden an: „Alta, was ist kaputt bei euch? Lasst sie doch mal in Ruhe!“ Dann war sie weggerannt.
Von außen war Nicole das typische neureiche, blonde Teenie-Püppchen-Klischee, aber was Hanna an Nicole mochte, war, dass sie im Unterricht immer so ruhig war, und wenn sie etwas sagte, war es sehr überlegt, unangreifbar, oft eine zynische Spitze, die genauso gut ihre Freunde oder auch die Lehrer treffen konnte. Außerdem gab es das Gerücht, dass Nicole Kampfsport machte, einen Schwarzgurt in Karate hatte oder so. Das wollte gar nicht zu ihrem äußeren Bild passen, und das gefiel Hanna. Zudem waren sie sich ab und zu begegnet, wenn Hanna wanderte, allein, durch den Wald, über die Halde, im Morgengrauen, wenn alles schlief, da sah sie manchmal Nicole, und sie joggte wortlos an ihr vorbei. Sie sahen sich kurz an, lächelten nicht, nickten nur. Hanna fühlte in diesen Momenten eine gewisse Vertrautheit, ein gewisses Verständnis. Wenn sie nah neben Nicole stand, meinte sie manchmal, eine zweite Einsamkeit, Traurigkeit, versteinerte Verzweiflung zu spüren.
Hanna las viel, natürlich, was sollte sie sonst auch machen außer zocken? Ein ganz besonders wichtiges Buch für sie war Carrie von Stephen King. Sie hatte es schon relativ früh mit elf oder zwölf gelesen. Niemals würde sie ihre Mutter mit der von Carrie vergleichen, nein, Hannas Mutter war eher eine kalte, perfekte Steinstatue, aber Hanna konnte so sehr mitfühlen mit Carrie, diese scheiß Einsamkeit, dieses scheiß Außenseiterdasein.
Es war irgendwie Teil von Hannas Krankheitsbild, dass sie ständig das Gefühl hatte, Stimmen zu hören, die sie nicht richtig fassen, nicht richtig verstehen konnte. Dass Gefühle sie überwältigten, fremde Gefühle, positive wie negative, und dass sie das Gefühl hatte, nur das Gefühl, vielleicht ja auch nur das ungeheure Verlangen, Dinge, Menschen mit der Kraft ihrer Gedanken zu bewegen. Natürlich konnte Hanna keine Telekinese, so wie Carrie, aber sie stellte sich oft vor, es zu können. Rache zu üben. Nicht so extrem, nicht so böse, aber Lektionen erteilen, im Kleinen, sich schützen. Manchmal, früher noch öfters, trainierte sie das sogar. Natürlich immer ohne Erfolg, aber es gab ihr ein gutes Gefühl, vielleicht die Hoffnung, das Außen kontrollieren, beherrschen zu können. Wenn sie es versuchte, sich konzentrierte, fokussierte, dann war für eine ganz kurze Zeit nur Stille in ihr. Deshalb liebte sie Carrie – und Star Wars.
Das mit den Telekineseübungen hatte Hanna nicht so oft im Forum angesprochen, auch Sven gegenüber nur andeutungsweise, eher als Witz. Hauptsächlich weil es ihr peinlich war. Eine ihre schönsten Kindheitserinnerungen betraf einen Urlaub in Nordfrankreich mit ihrem Vater. Er war ein stiller, lieber alter Mann gewesen, und in diesem Urlaub hatte er einmal, vielleicht das einzige Mal richtig Zeit für sie gehabt. Ihm hatte sie dann erzählt, wie sie immer versuchte, Stifte auf ihrem Schreibtisch mit der Kraft ihrer Gedanken zu bewegen, und er hatte sie liebevoll angelächelt, in den Arm genommen und gesagt: „Ach, mein kleines Mädchen, ich glaube ganz fest daran, dass du alles schaffen kannst, was du willst, wenn du nur selbst fest genug daran glaubst!“ Nach diesem Urlaub hatte er ihr etwas geschenkt, einen alten, kleinen Reisekoffer, einen Trostkoffer. „Darin findest du alle Wunder dieser Welt, die du brauchst.“ In dem Koffer waren ein Malblock, diverse Stifte, ein Märchenbuch mit Geschichten über die Prinzessin Hanna, ein paar Hörspiele und ein alter Armreif, der angeblich schon ihrer Ururoma gehört hatte. Der Armreif war aus grobem, sprödem Metall, besaß wenige schlichte, dicke Ornamentlinien als Verzierung und vier Knubbel, Beulen, vielleicht waren da früher einmal Edelsteine gewesen. Das Besondere an dem Armreif war, dass ein Ring fest dazugehörte, mit zwei Metallketten war er befestigt und konnte über den Mittelfinger gezogen werden. Der Armreif war Hanna damals natürlich viel zu groß gewesen, aber mittlerweile passte er, und immer wieder holte sie auch heute noch den Koffer unter ihrem Bett hervor, streifte den Armreif über und las im Buch über Prinzessin Hanna oder hörte eines der Kinderhörspiele.
„Ich brauch dich“, hatte Sven geschrieben. Auch das war neu, dass jemand sie brauchte. Die Traurigkeit floss von ihr, zog sich zurück, und Hanna kämpfte sich mit Neugier und Spannung hoch vom Bett. Es war Abend. Oft kommunizierten sie auch einfach direkt über das Forum, sie teilten viel mit der Clique. Dabei waren einige sehr auf Anonymität bedacht, so wie Sven oder VioletPain und BloodAngel. Hanna war da ambivalent, sie postete nie ihren richtigen Namen oder spezielle Details, aber sie nannte schon mal ab und zu dieses scheiß Kaff beim Namen, oder einige der Wichser, die ihr das Leben zur Hölle machten, zumindest beim Vornamen, das tat ihr gut, das herauszulassen, das so zu benennen, das mehr oder minder öffentlich zu machen.
„Ich hab’s gemacht! Es fühlte sich unglaublich, unglaublich geil an! O man, wie geil! Aber es war zu viel. Verstehst du, es war einfach zu viel. Das Rezept war falsch, ich wollte, dass sie kotzen, würgen, sich auf den Boden krümmen, die Wichser, aber ein paar sind umgekippt, nicht mehr aufgestanden. Ich bin so schnell weg, wie ich konnte. Hanna, ich hab Schiss. Megaschiss. Können wir chatten?“
Hanna wurde kalt, Blut schien aus ihrem Kopf hinunter in den Magen zu stürzen. Sie fühlte Svens Euphorie – und seine Angst. Ihr wurde kotzübel.