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Der zwölfjährige Dämon ist in einem Heim aufgewachsen. Dort wird er wegen seines auffälligen Mals auf dem Oberkörper verachtet und gequält. Eines Nachts wird er dort herausgeholt und zu Old Map gebracht. Hier erfährt er vieles, was ihn häufig überfordert, denn sein Land und dessen Menschen werden bedroht. So reagiert er oft ohne nachzudenken, was ihn mehr als einmal in schmerzliche Situationen bringt. Schafft er es trotz allem, seinen Platz in dieser Welt zu finden?
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Seitenzahl: 471
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Mein Dank gilt Charlotte, die mir in ihrer vielschichtigen Art immer wieder zugeredet hat. Michaela, Sandra, Jaqueline, Imke und meiner Mutter, die probegelesen und Korrekturen vorgenommen haben. Dennis und Brandan, die unermüdlich die PC-Arbeit für mich übernommen haben und meinem Mann, der mich in allem immer unterstützt hat.
Ich will hier nicht mehr sein, denke ich wie so oft, als ich mich aus meinem Bett schleiche, um mich auf die Fensterbank zu setzen. Ich kann wieder einmal nicht schlafen, aber das ist ja nichts Neues. In letzter Zeit habe ich immer häufiger diese Träume.
Mein Name ist Dämon. So haben mich die Nonnen getauft, als sie mich auf der Vordertreppe fanden. Ich bin fast dreizehn Jahre alt, ziemlich groß für mein Alter, dafür aber sehr schlaksig. Meine schwarzen Haare, die ich mir selber schneide, stehen in alle Himmelsrichtungen ab. Die Nonnen sind der Meinung, es wäre nur verschwendete Zeit, mir die Haare zu kürzen.
Quer über meiner Brust prangt ein sehr auffälliges, feuerrotes Mal. Es fängt auf der rechten Schulter an und zieht sich bis zur linken Hüfte. Die Nonnen halten es für das Zeichen des Teufels, daher auch mein Name. Aus diesem Grund denken sie auch, dass ich keine Aufmerksamkeit verdiene. Sie werden nie müde, mir das zu zeigen.
Ich war immer schon lieber mit den Tieren draußen im Hof oder auf den Feldern zusammen. Die sind wenigstens freundlich, wenn man sie gut behandelt. Menschen hingegen sind grausam und unehrlich. Bei den Tieren habe ich immer das Gefühl, als verstehen sie, was ich sage. Sie geben mir das Gefühl, dazuzugehören.
Als die anderen Kinder mitbekamen, dass ich mit den Tieren spreche, wurde ich sofort zur Zielscheibe. Das Problem ist, dass hier niemand dafür bestraft wird, wenn sie auf mir herumhacken oder mich schlagen. Das wissen sie natürlich nur zu gut und nutzen jederzeit die Gunst der Stunde. Mittlerweile versuche ich nicht einmal mehr, mich zu wehren. Sie sind sowieso in der Überzahl.
Seit einigen Wochen ist eine neue Frau da. Ihr Name ist Maja, sie arbeitet in der Küche, ist sehr schön und richtig nett zu mir. Manchmal, wenn keiner zusieht, steckt sie mir etwas Leckeres zu essen zu. Wenn die anderen das wüssten, würden sie es mir wegnehmen, so wie alles andere auch. Außerdem glaube ich, dass Maja Probleme bekommen würde, sollten die Nonnen das erfahren.
Als Maja mich einmal draußen beim Waschen überraschte, hatte sie mein Mal gesehen. Sie ist aber nicht wie die anderen gleich weggerannt. Nein! Sie hatte es sogar berührt und gemeint, es sei etwas ganz Besonderes. Dafür bräuchte ich mich ganz bestimmt nicht zu schämen.
In meinen Träumen ist alles ganz anders. Da bin ich kräftig genug, den anderen Kindern entgegenzutreten, schaffe es sogar, sie zu besiegen. Im Traum bin ich mutig und stark. Außerdem habe ich dort einen Verbündeten, einen großen, schwarzen Wolf. Er steht mir immer bei, allein bin ich dadurch auch nie wieder. Dieser Wolf ist sehr schön und hat grüne Augen, wie ich. Diese Träume habe ich schon sehr lange und sie helfen mir über meine Einsamkeit hinweg. Sie trösten mich auch an besonders schlimmen Tagen. Es ist wie eine Flucht in eine andere Welt.
Seit geraumer Zeit werden meine Träume immer intensiver, vor allem aber angsteinflößender. In den letzten Wochen trösten sie mich kaum noch, denn jetzt habe ich unaufhörlich das Gefühl, es verfolgt mich jemand. Manchmal fühle ich mich sogar bedroht. Aber wenn ich mich im Traum umdrehe, um zu sehen, wer da ist, wache ich auf.
Mittlerweile habe ich sogar Angst vor dem Einschlafen. Das ist auch der Grund, warum ich hier am Fenster sitze und rausschaue. Diesmal wirkt es aber nicht beruhigend auf mich. Ich spüre ein Kribbeln im Nacken, es läuft mir eiskalt den Rücken runter. Sämtliche Härchen stellen sich mir auf und ich schaudere.
Dieses Gefühl, als würde mich jemand beobachten. Es wird so intensiv, dass ich schnell wieder in mein Bett springe und mich schleunigst unter der Decke verkrieche.
Wenn die anderen gesehen haben, wie ich mich wie ein Feigling unter der Decke verstecke, werden sie mich wieder verprügeln und beschimpfen, geht es mir durch den Kopf. Aber meine Furcht ist so groß, dass es mir in diesem Moment egal ist.
Die Tür geht leise auf und ich zucke zusammen, jemand schleicht sich in unser Zimmer. Als ich unter der Decke hervorschiele, sehe ich eine Person, ganz in Schwarz gehüllt. Ich presse mir meine Hand fest auf den Mund, um nicht aufzuschreien. Sie geht direkt auf mein Bett zu und bleibt davor stehen. Die Kapuze ihres Umhangs hat sie sich tief ins Gesicht gezogen, sodass ich nichts erkennen kann.
Ich keuche erschrocken auf und presse meine Hand noch fester auf meinen Mund. Meine Angst wird immer größer. Was will diese dunkle Gestalt von mir?
Als sie sich vorbeugt, erkenne ich erleichtert, dass es Maja ist. Während ich mir schon das Schlimmste ausmale, flüstert sie: „Sei leise, Dämon, wir müssen hier weg. Es ist nicht mehr sicher für dich in diesem Heim!“
Ich schüttele nur den Kopf. Was soll das heißen, es ist nicht mehr sicher? Und wo will sie mit mir hin?
Ich bin hin und her gerissen. Einerseits war Maja immer gut zu mir und ich will ihr vertrauen. Andererseits habe ich Angst, sie will mir etwas Böses. Draußen wird es mit einem Mal stürmisch, sodass der Wind heulend an den Fenstern rüttelt. Das ist dann doch zu viel, jetzt laufen mir die Tränen über die Wangen.
Maja presst mir die Hand auf den Mund, während sie mich mit sich zieht. Leise schleift sie mich die Treppe runter, durch die Küche nach draußen.
Was hat sie mit mir vor? Warum tut sie das? Das sind die Dinge, die mir durch den Kopf gehen. Warum wehre ich mich eigentlich nicht? Ich weiß keine Antwort auf all diese Fragen. Maja ist die Erste, die je nett zu mir gewesen ist. Also hoffe ich, dass sie mir nichts Schreckliches antun will. Viel schlimmer kann es ja nicht mehr werden. Draußen vor der Tür lässt sie mich los.
„Duck dich und lauf“, flüstert sie. „Renn in Richtung Wald.“ Durch das Kribbeln in meinem Nacken habe ich das Gefühl, die Angst überrollt mich. Also ziehe ich den Kopf ein und laufe Maja hinterher. Zweimal rutsche ich aus und falle. Die Knie tun mir weh von dem Aufprall, da hier überall Steine liegen. Beim Weiterlaufen bekomme ich Seitenstechen. Als ich wieder falle, will ich nur noch liegen bleiben. Ich bekomme kaum noch Luft.
Bussarde fliegen plötzlich über mir und versuchen, mit ihren Krallen nach meiner Kleidung zu greifen. Diejenigen, die sie zu fassen kriegen, ziehen an ihr. Als ich gerade losschreien will, höre ich mit einem Mal sanfte, jedoch eindringliche Stimmen in meinem Kopf. „Steh auf, Dämon. Lauf in den Wald. Du musst ihn erreichen, schnell. Steh auf! Lauf, lauf!“ Ich weiß nicht, wo diese Stimmen herkommen, aber ich stehe wieder auf und sprinte los. Hinter der zweiten Baumreihe pralle ich gegen eine menschliche Wand. Der Mann schaut mich nur böse an, während er auf Maja einredet.
„Willst du mir etwa erzählen, dass das unsere Rettung vor den Schatten sein soll? Gott, der kann nicht einmal fünfzig Meter über eine Lichtung rennen. Der hat doch schon Angst vor seinem eigenen Schatten.“ Er schubst mich ein Stück von sich weg, dreht sich um und geht zu den Pferden, die ich erst jetzt wahrnehme.
Maja hilft mir auf und flüstert mir zu: „Hör nicht auf den, ich bring dich zu Old Map.“ Sie dreht sich um und geht auf das zweite Pferd zu.
Ich stehe wie erstarrt da und blicke ihr fragend hinterher, habe keine Ahnung, wovon sie eigentlich spricht. Einen Moment später folge ich ihr schließlich. Sie lächelt sanft und setzt mich hinter sich auf das Pferd. Fürsorglich breitet sie ihren Umhang um mich, denn nachts ist es noch empfindlich kalt. Zu dem Mann gewandt zeigt sie nur auf die Vögel, die immer noch wild vor dem Wald umherfliegen. „Hältst du das etwa für normal, dass sie ihm beistehen?“
„Hmpf ... Alles nur Zufall“, brummt er mit einer wegwerfenden Handbewegung.
Maja verdreht seufzend die Augen. „Halt dich gut fest, Dämon. Das wird ein schneller Ritt und ich will dich unterwegs nicht verlieren.“ Ich nicke und klammere mich fest an sie, indem ich meine Arme um ihren Bauch lege.
Trotz der irrsinnigen Geschwindigkeit, die der prächtige schwarze Hengst im Galopp erreicht, dämmere ich weg und wache erst wieder auf, als das Pferd stehen bleibt. Ich muss einige Male blinzeln, denn im ersten Moment weiß ich nicht, wo ich bin. Da fällt mir alles wieder ein.
Maja, die in das Schlafzimmer der Zehn- bis Vierzehnjährigen schleicht.
Die Flucht in den Wald, bei der ich wie ein Idiot immer wieder gestürzt bin.
Die Bussarde, die wild entschlossen an meiner Kleidung zerren, während ich hilflos auf dem feuchten Waldboden liege.
Ich erschauere. Ist das wirklich passiert? Ich träume. Wenn ich aufwache, werde ich in meinem Bett liegen, zusammengekauert unter der Decke wie ein Feigling.
Als ich mich umsehe und eine Hütte entdecke, werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Davor steht eine alte Frau, die sich auf einen Stock stützt, der ein gutes Stück größer ist als sie. Wäre es nicht bequemer, wenn er nur halb so lang wäre?
Der Mann von vorhin gestikuliert wild mit den Armen, zeigt immer wieder auf uns. Ich mache mich ganz klein und drücke mich an Maja. Aber sie will absteigen und lässt mich wortlos auf den Boden rutschen. Meine Beine knicken nach dem ungewohnten Ritt immer wieder ein, sodass ich mich am Sattel festhalten muss, um nicht auf meinem Hintern zu landen und mich lächerlich zu machen. Als der Mann das sieht, wedelt er noch mehr mit den Armen und redet intensiv auf die alte Frau ein.
Nachdem auch Maja abgestiegen ist, nimmt sie meine Hand. So gehen wir zusammen auf die Hütte, den Mann - der mittlerweile einen hochroten Kopf hat - und die alte Frau zu. Beim Näherkommen fällt mir auf, dass sie auf einer kleinen Lichtung steht. Die Frau schüttelt immer wieder den Kopf.
Na toll, wieder jemand, der mich gar nicht will. Ich lasse den Kopf hängen und ziehe die Schultern nach oben, um mich kleiner zu machen. Kurz bevor wir bei den beiden ankommen, dreht sich die Frau um und lächelt mich an.
„... Nichtsnutz, ich habe ja schon immer gesagt, ihr solltet lieber mich auf diese Mission schicken. Ich habe keine Angst vor ihnen.“ Mit diesen Worten dreht er sich um, geht zu seinem Pferd und reitet in den Wald. Old Map aber streckt ihre Hand aus und legt sie mir auf die rechte Schulter. Plötzlich kribbelt und juckt mein Mal wie verrückt. Allerdings hat das Kribbeln im Nacken nachgelassen.
Das jetzige Gefühl hat auch nichts Bedrohliches, es ist nur unangenehm. Ich versuche, mich loszumachen, um mich zu kratzen, aber beides geht nicht. Die Frau packt nämlich nur noch fester zu. Als sie mich endlich loslässt, um mit Maja zu reden, bin ich erleichtert und kratze mich wie wild. Mit dem Ergebnis, dass es jetzt brennt, als würde meine Haut Feuer fangen.
Ich bekomme kaum etwas von dem mit, was die beiden Frauen reden. Ich betrachte Old Map eine Weile, sie ist eine einfache Frau, trägt keinerlei Schmuck oder sonstigen Schnickschnack. Auch ihr beiges Leinenkleid ist sehr schlicht gehalten, darüber trägt sie einen schweren braunen Wollumhang, den eine Messingbrosche zum Schließen ziert. Ihre weißen, halblangen Haare fallen ihr glatt auf die Schultern und beißen sich mit der Farbe des dunklen Umhangs. Als Maja die Bussarde erwähnt, werde ich hellhörig.
„... waren überall und versuchten, ihm aufzuhelfen.“
Und schon schweifen meine Gedanken wieder ab. Wieso aufhelfen? Die haben mich angegriffen. Oder doch nicht? Jetzt, wenn ich so darüber nachdenke ...
„... konnte nicht länger warten, sie waren heute Nacht schon zu zweit“, bekomme ich dann wieder mit.
„Maja, wovon redest du? Wer war da?“
„Dämon, das ist Old Map. Sie wird sich jetzt um dich kümmern, hier bist du in Sicherheit.“ Mit diesen Worten geht sie schlichtweg über meine Fragen hinweg.
Ohne ein weiteres Wort dreht sie sich um, geht zügig zu ihrem Pferd, lässt sich elegant in den Sattel gleiten und reitet im Galopp in den Wald. Verzweifelt will ich ihr hinterherrennen, hier will ich nicht bleiben. Sie kann mich doch nicht einfach so im Stich lassen.
Die alte Frau aber hält mich fest. So sinke ich auf die Knie und fange leise an zu weinen. Der einzige Mensch, der je nett zu mir war, lässt mich allein.
„Hör auf zu weinen, Dämon. Komm lieber mit rein, damit wir uns kennenlernen können. Aber vorher wäschst du dich. So dreckig kommst du mir nicht in die Hütte.“ Auf ihren Stock gestützt geht Old Map in ihre Hütte.
Ich bleibe im Gras sitzen, will nicht aufstehen, denn meine Knie tun immer noch weh. Mein Mal kribbelt nicht mehr, aber das ist mir gerade egal. Ich fühle mich fürchterlich.
Plötzlich höre ich etwas knacken und als ich aufschaue, sehe ich stechend gelbe Augen, die mich durchdringend anstarren. Gegenüber, am Rand der Lichtung, steht ein weißer Wolf. Ich habe noch nie einen gesehen, kenne nur die Geschichten, die im Heim immer erzählt wurden. Von Wölfen, die alles und jeden anfallen, und sehr gefährlich sind. ‚Wesen der Hölle!‘, pflegte Schwester Ignazia immer hinter vorgehaltener Hand zu flüstern.
Angst habe ich im Moment nicht, ich bin eher fasziniert und wie magisch angezogen. Ich blicke ihn unverwandt an. Er ist wunderschön. Er hält meinem Blick stand, die Sonne brennt sich unangenehm in meinen Rücken.
„Du kannst alles schaffen, du musst es nur wollen“, höre ich in meinem Kopf.
Warum sich die Stimmen in meinem Kopf immer so real anhören, ist mir ein Rätsel, aber vielleicht haben die Schwestern im Heim doch recht, mit mir stimmt etwas nicht. Der Wolf knurrt kurz, dreht sich um und läuft davon. Also stehe ich auch auf, um mich am Brunnen zu waschen. Na toll, durch die Sonne ist der Schlamm hart geworden. Weswegen ich jetzt fest schrubben muss. Danach brennt meine ganze Haut und ist feuerrot. In meinem Haar sind immer noch ein paar Klumpen, die ich aber nicht rausbekomme.
Langsam gehe ich in die Hütte. An der Tür bleibe ich stehen und sehe mich neugierig um. Es sieht gemütlich aus, ich entdecke eine Feuerstelle, über der ein großer Kochtopf hängt, daneben baumeln Pfannen, Kochlöffel, Suppenkellen und andere Küchenutensilien von der Decke. Die Holzdielen sind über die Jahre hinweg in Mitleidenschaft gezogen worden, sie sind ziemlich abgelaufen. Die Hütte hat zwei Stockwerke, ich kann eine Leiter sehen, die nach oben führt. Old Map sitzt an einem wuchtigen Tisch und lächelt mich an. „Hattest du draußen eine schöne Zeit? Komm, setz dich, frühstücke erst einmal, es war eine aufregende Nacht und es wird auch noch ein anstrengender Tag.“
Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, also setze ich mich gehorsam. Warum ist sie so nett zu mir?
Als ich das Essen sehe, knurrt mein Magen laut. Bei ihrem aufmunternden Lächeln lange ich ordentlich zu. Ich habe noch nie so viel zu essen gehabt und es schmeckt herrlich. Als ich fertig bin, grinst Old Map nur und sagt: „Na, wenn ich dich satt bekommen will, werde ich wohl in nächster Zeit mehr Brot backen müssen.“
Das ist mir so peinlich, dass ich knallrot werde. Aber sie winkt nur ab und meint: „Du wirst mir ordentlich zur Hand gehen und täglich deine Aufgaben erledigen, im Gegenzug werde ich immer ausreichend zu essen für dich haben. Schließlich bist du noch im Wachstum. Einverstanden mit dieser Regelung?“
Natürlich bin ich einverstanden. Sie ist freundlich zu mir und will gut für mich sorgen. Warum also nicht?, denke ich eifrig nickend. Aber mir dreht sich auch der Kopf von all den unbeantworteten Fragen.
„Warum bin ich hier? Wo ist Maja? Wieso hat sie mich mitten in der Nacht hierher gebracht? Was sind Schatten? Und wieso behauptet Maja, die Bussarde wollten mir helfen? Sie haben mich angegriffen und an meiner Kleidung gezerrt“, sprudelt es aus mir heraus.
Dass ich es laut gesagt habe, sogar immer lauter geworden bin, merke ich erst, als Old Map die Hand hebt und sagt: „Alles zu seiner Zeit, Maja ist wieder in ihr Dorf zurückgekehrt. Was den Rest deiner Fragen angeht, so kannst du vieles in diesem Buch nachlesen.“ Mit einem breiten Grinsen legt sie mir ein dickes Buch vor die Nase. Ich rutsche kleinlaut auf meinem Stuhl hin und her und lasse verlegen den Kopf hängen.
„Ich kann nicht lesen“, flüstere ich beschämt. Die Nonnen waren immer der Meinung, jemand wie ich bräuchte nicht lesen und schreiben lernen.“
„Dann wirst du es wohl lernen müssen, sonst werden deine Fragen nie beantwortet werden“, lacht Old Map. „Wir werden morgen damit beginnen, aber erst einmal wirst du Wasser reinholen und anschließend das Holz hinter der Hütte hacken. Ich werde dir später erklären, wie du die Tiere zu versorgen hast, denn ich dachte, das könnte ab heute deine Aufgabe sein. Mir wird es langsam zu beschwerlich.“
Es wird mir eine Freude sein, ihr zu helfen. Hoffentlich hat die Sache nicht noch einen Haken. „Ich gehe schon mal die Eimer mit Wasser auffüllen“, sage ich beim Aufstehen.
Old Map schaut mich nur lächelnd an: „Das tu nur mein Junge, aber du musst auch genug Wasser für die Wanne holen, ich bade gern täglich in warmem Wasser. Die Wanne steht hinter der Hütte.“
Beim Rausgehen hänge ich meinen Gedanken nach. Täglich baden, das kann doch nicht gesund sein. Im Heim durften wir nur einmal im Jahr baden und ganz sicher nicht in warmem Wasser. Ich stiefele zum Brunnen, fülle den Eimer bis zum Rand und bringe ihn hinter die Hütte. Als ich um die Ecke biege fällt mir vor Entsetzen der Eimer aus der Hand. Das kann ja wohl nicht ihr ernst sein, das ist ein schlechter Scherz.
Die Wanne ist riesig. Mindestens drei der Kinder aus dem Heim hätten darin gleichzeitig bequem Platz gefunden. Neben der Wanne befindet sich eine Feuerstelle, über der zwei Kessel hängen. Ich werde Unmengen an Holz fürs Erwärmen hacken müssen und dann auch noch das viele Wasser ... puuh.
Ich laufe zurück zum Brunnen. Old Map sieht aus dem Fenster und lächelt schief. Dieses Lächeln sagt mir, dass sie genau weiß, was mir gerade durch den Kopf geht. Ich grinse verlegen zurück. „Wo hast du denn einen zweiten Eimer?“, frage ich, denn ich könnte ja wenigstens in jeder Hand einen Eimer tragen.
Old Map fängt an zu lachen, irgendwie habe ich das Gefühl, sie hat gewusst, dass ich danach frage. Das ist schon sehr unheimlich. „Den wirst du dir bauen müssen, den Letzten hat Paula zertreten“, erklärt sie, immer noch lachend.
Wer ist Paula und warum hat sie den Eimer zertreten? Aber das frage ich nicht laut, denn ich will nicht, dass sie sich weiter über mich lustig macht. Wie, verdammt noch mal, soll ich einen Eimer bauen? So bleibt mir nichts anderes übrig, als das Wasser mit nur einem Eimer zu holen.
Als Old Map mich zum Mittagessen ruft, habe ich gerade mal die beiden Kessel gefüllt. Es gibt Suppe, mit allerlei Gemüse darin. Ich habe noch nie so gut gegessen. Wieder denke ich, dass das die Arbeit wert ist. Nach dem Essen trägt sie mir auf, erst das Holz zu hacken, da das Wasser später noch warm gemacht werden muss. Obwohl mich die gute Mahlzeit und der volle Magen träge werden lassen, mache ich mich direkt auf den Weg nach draußen, um die schwere Arbeit zu verrichten und rechtzeitig fertig zu werden.
Einige Zeit später bemerke ich, dass schon ein ganz ansehnlicher Haufen Holzscheite vor mir liegt. Aus dem Augenwinkel sehe ich wieder den Wolf am Rand der Baumreihen. Er liegt ruhig da und beobachtet mich. Ich lege die Axt zur Seite, setzte mich mit dem Rücken an ein großes Holzstück und behalte den Wolf im Auge, während ich etwas trinke. Nach einer Weile fällt mir auf, dass ich ihm von meinem Tag berichte. Erstaunlich, wie sich mein Leben innerhalb eines Tages verändert hat. Ich schimpfe gerade lautstark über einen fehlenden zweiten Eimer, als ich wieder eine Stimme im Kopf habe.
„Denk doch einfach mal nach, statt gleich aufzugeben. Dir wird etwas einfallen.“
Das ist einfach verrückt. Old Map darf nie erfahren, dass ich Stimmen höre. Sie würde mich einen Lügner nennen und davonjagen.
Wo sollte ich denn sonst wohl hin? Ins Heim werde ich nie wieder zurückgehen. Aber wo kommen die Stimmen nur her? Viel schlimmer ist, bis jetzt haben sie jedes Mal recht behalten. Wahrscheinlich ist es besser, ich höre auf sie. Unheimlich ist es trotzdem. Mir ist aufgefallen, dass sie sich immer anders anhören.
Wieder bin ich in meine Tagträumereien versunken, als der Wolf aufsteht, mich leise anknurrt, sich umdreht und davontrottet. Was hat er denn jetzt auf einmal? Kopfschüttelnd stehe ich auf und will weiter das Holz hacken. In diesem Moment fällt mein Blick auf das große Stück Holz, an dem ich bis eben gesessen habe. Es hat in etwa die Größe eines Eimers. Also lege ich es zur Seite. Heute Abend werde ich mir darüber Gedanken machen, wie ich daraus einen Eimer machen kann.
Ich hacke noch eine Weile weiter, bis Old Map mich ruft. Erst jetzt wird mir bewusst, dass die Sonne schon ziemlich tief steht. Weshalb es jetzt sehr frisch ist und es mich fröstelt. Ich nehme das Holz und meine Wasserflasche und gehe in die Hütte.
Old Map will gerade den ersten Kessel vom Feuer heben, also beeile ich mich, um ihr zu helfen. Anschließend hole ich weiter Wasser vom Brunnen. Nach einer gefühlt endlosen Zeit ist die Wanne endlich voll.
Die alte Frau schickt mich los, um die Tiere zu versorgen. „Paula, die Kuh, ist schon gemolken. Sie und der Graue bekommen noch frisches Stroh, die Hühner müssen noch mit Körnern gefüttert werden“, ruft sie mir hinterher.
Wenigstens weiß ich jetzt, wer Paula ist. Den Grauen werde ich gleich kennenlernen und herausfinden, um welches Tier es sich handelt. So viele Tiere wird sie schon nicht haben. Als ich die Stalltür öffne, steht ein großes, graues Pferd vor mir.
„Oh. Hallo, Grauer“, sage ich spontan, woraufhin dieser nur schnauft, als habe er mich verstanden.
Als ich ihm und Paula das Stroh in ihre Verschläge bringe, tritt mir die braune, wohlgenährte Kuh voll auf den Fuß. Ich schreie laut auf und versuche, sie zur Seite zu schieben, aber sie lässt sich keinen Millimeter bewegen.
„Das ist dafür, dass du mich nicht begrüßt hast. Bin ich weniger wert als das Pferd?“, höre ich in meinem Kopf. Das darf doch wohl nicht wahr sein.
„Paula, es tut mir leid. Ich bin Dämon und es wird nie wieder vorkommen“, sage ich schnell und versuche, meinen Fuß von ihrem Gewicht zu befreien. Zu meinem Erstaunen nimmt Paula ihre Klaue wieder hoch, während sie muht. Ich falle hintenüber und lande direkt in einem Kuhfladen.
Sind das tatsächlich die Stimmen der Tiere, die ich höre?
Ich schüttele den Kopf und stehe wieder auf. Das kann nicht sein, das bilde ich mir alles nur ein. Es war ein langer Tag heute, daran muss es liegen.
Ich füttere noch schnell die Hühner, vergesse aber nicht, sie kurz zu begrüßen. Man weiß ja nie. Nicht, dass sie mich morgen aus Frust auch anfallen. Nachdem alle Tiere versorgt sind, humple ich, leise vor mich hin jammernd, zur Hütte zurück.
Old Map hat ihr Bad beendet. Als sie mich sieht, fängt sie lauthals an zu lachen. „Ich sehe, du hast Bekanntschaft mit Paula gemacht. Ja, sie ist ein wenig eigen. Das Wasser ist noch warm, du solltest auch einmal hineingehen, das entspannt die Muskeln. Ich lege dir frische Kleidung raus.“
Gedemütigt, weil sie mich so sieht, drehe ich mich um. Meine Güte, ich muss dringend ins Bad, denn ich stinke furchtbar. Das warme Wasser ist wirklich herrlich. Sie hat sogar Seife liegen lassen, die ich ausgiebig benutze. So könnte ich auch täglich baden. Nachdem ich mich sorgfältig geschrubbt und das Gefühl habe, sauber zu sein, steige ich aus der Wanne und trockne mich schnell ab. Als ich die Kleidung nehme, bemerke ich, dass es keine abgetragenen Sachen sind, die sie mir hingelegt hat, sondern neue. Ich hatte noch nie neue Kleidungsstücke. Geschweige denn Hemden und Hosen, die nicht schon tausendmal geflickt wurden. Mir treten die Tränen in die Augen. Voll Dankbarkeit nehme ich mir vor, morgen noch fleißiger zu sein.
Schniefend will ich meine alten Sachen in der Badewanne waschen, als auch schon Old Map hinter mir steht. „Diese alten, löchrigen Sachen wollen wir lieber verbrennen. Ich weiß, deine neuen sind nicht ganz passend, aber ich kann sie noch etwas auslassen. Konnte ja keiner ahnen, dass du schon so groß bist.“ Mit diesen Worten nimmt sie sie mir aus der Hand, schmeißt sie ins Feuer und lässt mich völlig verwirrt zurück.
Was sie sagt, ergibt überhaupt keinen Sinn. Sie kann doch nicht gewusst haben, dass ich komme und bei ihr lebe. Vor mich hin grübelnd leere ich die Wanne und hinke in die Hütte. Old Map sitzt, in einem Tiegel rührend, am Tisch. Es stinkt furchtbar. Als sie mich sieht, schaut sie nur fragend auf meinen großen Holzklotz.
„Ich dachte, daraus ließe sich ein Eimer machen, wenn du vielleicht ein Messer für mich über hast.“
Sie lächelt nur zufrieden und schiebt den stinkenden Tiegel zu mir rüber. „Für den Fuß“, brummt sie.
Ich nehme ihn und schaue sie an. Während sie mir zwei Messer reicht, schmiere ich die übelriechende Masse auf meinen schon blau angelaufenen Fuß. Ich habe das komische Gefühl, dass sie bereits gewusst hat, dass ich ein Messer benötige.
„Old Map, du sagtest vorhin, du konntest nicht wissen, dass ich schon so groß bin. Aber das kann doch nicht sein, woher hättest du denn wissen sollen, dass ich komme? Die neuen Sachen sind sehr schön und denk bitte nicht, dass ich undankbar bin und nicht schätze, was ich hier alles bekomme. Aber manchmal habe ich das Gefühl, du weißt vieles schon vorher.“
Sie sieht mich lange an und in der Zeit inspiziere ich eingehend die Messer. Eines ist gerade, während das andere eine krumme Klinge hat, wunderbar geeignet zum Aushöhlen. Beide sind sehr scharf. Voller Stolz betrachte ich sie, drehe und wende sie, achte auf jedes kleine Detail. So tolle Messer habe ich noch nie in der Hand gehalten. „Du scheinst sehr scharfsinnig zu sein, außerdem bist du erstaunlich helle. Das ist sehr gut für uns, denn es erspart uns eine Menge Zeit.“
Ich sehe von den Messern auf, will sie gerade unterbrechen, da hebt sie die Hand und bedeutet mir zu schweigen. „Hab etwas Geduld, ich habe schon ewig nicht mehr so viel geredet. Einiges kann ich dir sagen, aber bei manchen Dingen ist es besser, wenn du sie erst später erfährst. Anderes weiß ich selbst nicht, das musst du allein herausfinden. Vieles steht jedoch in dem Buch. Denn wenn ich dir alles aus dem Buch erzähle, hast du keinen Grund mehr, lesen und schreiben zu lernen. Das ist aber unverzichtbar.“
Während sie spricht, macht sie Tee. Sie füllt eine Tasse und stellt sie vor mir auf den Tisch. „Was weißt du über unser Land?“, fragt sie und schaut mich dabei sehr ernst an.
Ich muss schlucken, denn es ist mir peinlich, dass ich nicht viel weiß. Aber die Nonnen waren nun mal der Meinung, ich wäre es nicht wert, mir etwas zu lehren. Alles was ich weiß, habe ich aus Gesprächen anderer aufgeschnappt.
„Ich weiß, dass unsere Welt in fünf Länder unterteilt ist, die alle verschiedene Tiere als Wappen haben. Unseres ist der Wolf. Die Nonnen sind der Ansicht, dass wir auch die Herrschaft über die anderen Länder haben sollten. Nach ihrer Einschätzung sind die Menschen der anderen Regionen dumm und nichtsnutzig, sodass sie ohne unsere Unterstützung untergehen würden. Sie sagen auch, es ist eine Schande, dass zivilisierte Menschen wie wir den Wolf als Wappentier haben. Denn dieser ist zu nichts zu gebrauchen, blutrünstig und dumm. Sie können sich nicht erklären, was wir mit diesen Tieren gemeinsam haben sollen. Schwester Ignazia ist der Meinung, man sollte alle ausrotten und ein neues, sinnvolleres Wappenbild wählen. Magst du auch keine Wölfe? Denn ich habe heute zweimal einen gesehen, und fand ihn wunderschön. Er machte ganz und gar keinen dummen Eindruck. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, er weiß unglaublich viel. Ich weiß, das hört sich vielleicht blöd an ...“ Ich stocke. Am Ende werde ich vor Unsicherheit immer leiser. Ich will ihr nicht gleich am ersten Tag den Eindruck geben, als wäre mit mir irgendetwas nicht in Ordnung.
Old Map sieht mich lange an, bevor sie mir antwortet. „Dämon, du solltest dich nicht für deine Ansichten und deine Gefühle schämen. Wir werden hier eine ganze Zeit zusammenleben. Da es bestimmt einiges geben wird, das du als komisch oder eigenartig empfinden wirst, sollten wir immer offen miteinander umgehen. Weißt du auch etwas über die anderen Länder?“ Ich schüttele nur den Kopf.
„Also“, fängt sie an, „eigentlich sind es sechs Länder, wobei das Moor sich schon immer ausgegrenzt hat. Ihr Wappentier ist die Schlange. Dann gibt es noch das Land der Pumas im Gebirge, die Täler mit den Pferden, die Küste mit den Adlern und die Steppe mit den Mungos. Jedes dieser Länder, außer dem Moor, hält Frieden und sie treiben regen Handel miteinander. In den letzten Jahren jedoch kam es immer wieder zu Kriegen. Hinterher weiß keiner mehr, was eigentlich der Auslöser war. Häufig gehen Freunde einfach aufeinander los. Dies schreibt man den Schatten zu, keiner weiß so genau, wer oder was sie sind. Aber sie sorgen für Unfrieden zwischen uns. Nun gab es vor zweihundert Jahren eine Prophezeiung. Sie besagt, dass es grausame Kriege geben und keines der Länder unbeschadet daraus hervorgehen wird. Im Gegenteil, mein Junge. Es heißt, die Welt würde nur noch aus Knechtschaft und Elend bestehen. Als einzige Rettung soll zu dieser Zeit, in jedem Land, ein besonderes Kind geboren werden. Diese Kinder sollen dazu in der Lage sein, das Schlimmste zu verhindern. Jedes von ihnen soll besondere Talente besitzen, die für den Kampf entscheidend sind. Allerdings nur, wenn sie zueinanderfinden und sich zusammenschließen. Tun sie das nicht, so heißt es weiter in der Prophezeiung, bringen sie nur Tod und Elend mit sich. Es steht aber auch geschrieben, dass das Kind der Wölfe der Schlüssel zu diesem Bunde ist. Von diesem Kind, von dem nicht klar ist, ob es sich für die gute oder die schlechte Seite entscheidet, hängt vieles ab. In welcher Beziehung weiß ich nicht. Ich nehme an, dass du dieses Kind bist.“
„Nein, nein, nein. Ich bin doch nur der Nachkomme des Teufels“, wehre ich mich und schüttele den Kopf. „Ich bin ein Nichtsnutz, ein Niemand, ungeschickt und tollpatschig. Und ein riesengroßer Feigling noch dazu. Frag nur Maja, sie kann dir das bestätigen.“ Ich werde immer lauter, während ich versuche, ihr ihren Irrtum klarzumachen.
Da ich die ganze Zeit schon am Schnitzen meines Eimers bin, schneide ich mich natürlich auch noch in die linke Handfläche. Fluchend stehe ich auf und halte ihr vorwurfsvoll meine Hand hin. „Siehst du, ich kann gar nichts. Schon gar nicht die Länder retten.“
Old Map steht ruhig auf, nimmt meine Hand, streicht etwas Salbe darauf und verbindet sie. Dabei sieht sie mir in die Augen. „Beruhige dich, atme ganz ruhig ein und aus, sonst kippst du hier gleich noch um. Sieh es doch mal so, wenn ich mich irre, dann ist das doch kein Problem. Ich brauche sowieso jemanden, der mir hier etwas hilft. Du willst doch sicherlich nicht wieder ins Heim, oder? Lass uns doch einfach sehen, wie wir hier klarkommen.“
Langsam beruhige ich mich wieder. „Ich will dich aber nicht enttäuschen, wenn du doch eigentlich auf den Retter der Länder wartest“, bringe ich hervor, denn ich will wirklich hierbleiben.
Old Map schaut mich ernst an. „Du kannst mich nicht enttäuschen, solange wir ehrlich zueinander sind und immer unser Bestes geben. Es gibt so viele, die der Meinung sind, sie wissen, wer der Retter ist. Einige behaupten auch, sie würden ihn ausbilden. Es wäre schlecht, wenn nur einer nach ihm suchen würde. Dafür ist es zu wichtig. Allerdings gibt es Menschen, die meinen, man solle sich nicht nur auf einen verlassen oder dass es sogar besser wäre, ihn gar nicht in ihrer Nähe zu haben. Niemand weiß, ob er gut oder böse ist. Deswegen haben viele Angst vor der Prophezeiung und dem Retter. Aron hast du ja kennengelernt. Er ist fest davon überzeugt, selbst der Auserwählte zu sein. Ich dagegen sehe das anders. Du musst mir nur eines versprechen, Dämon. Nachts darfst du dich alleine nicht mehr draußen aufhalten.“
Ich nicke hektisch. Denn für mich ist es in Ordnung, dass ich abends in der Hütte bleiben soll. Ich gähne verhalten. Old Map lächelt mich an. „Geh ins Bett, Dämon. Es war ein ereignisreicher und anstrengender Tag. Du hast viel Neues gelernt und gehört. Ruh dich aus, morgen wartet wieder viel Arbeit auf dich.“
„Ich bin todmüde“, sage ich und kann mir einen weiteren Gähner nicht verkneifen. Ich schlurfe zur Leiter, die nach oben zu meinem Schlafplatz führt. Ich wünsche ihr eine gute Nacht und klettere die Sprossen hinauf.
Oben angekommen entdecke ich staunend ein großes, für mich passendes Bett an der Wand. Bettzeug und einen kleinen Schrank gibt es auch. Das alles, nur für mich. Als ich ihn aufmache, sehe ich, dass noch mehr neue Kleidung darin liegt. Am Ende des Bettes steht eine Holztruhe. In ihren Deckel ist ein Wolf eingeschnitzt. Ehrfürchtig streiche ich über die Schnitzerei. Dabei laufen mir einzelne Tränen über die Wangen. Ich nehme mir fest vor, Old Map die beste Hilfe zu sein, die sie je haben kann.
Ich steige die Leiter noch einmal herunter, umarme die erstaunte Frau kurz und flüstere: „Danke.“
Als sie mir über den Rücken streicht und sich räuspert, spüre ich wieder dieses Kribbeln in meinem Mal. Ich ignoriere es. Noch nie war jemand so nett zu mir. Mein ganzes Leben lang hatte ich nichts, was ich mein Eigen nennen durfte. In diesem Moment fühle ich mich besonders und geliebt. Auch diese Erfahrung ist mir vollkommen fremd. Sie denkt, ich bin das Kind der Prophezeiung, der Retter der Länder. Und ich hoffe inständig, sie ist nicht zu sehr enttäuscht, sollte sich herausstellen, dass ich nicht der Auserwählte bin.
Als ich aufwache, weiß ich im ersten Moment nicht, wo ich bin. So gut habe ich noch nie geschlafen und mein Traum mit dem Wolf hatte auch nichts Bedrohliches mehr.
Draußen ist es noch dämmrig und ich schaue mich irritiert um. Erst jetzt fällt mir langsam alles wieder ein. Während ich mich anziehe, denke ich darüber nach, wie viel Glück ich habe, hier gelandet zu sein.
Ich steige die Leiter nach unten und schnappe mir den Eimer, um Wasser zu holen. Gleichzeitig will ich mich waschen. Als ich wieder reinkomme, hat Old Map den Tisch schon gedeckt. Es gibt Brot, Marmelade und Milch. Auch diesmal lange ich ordentlich zu. Old Map hat ein Brett auf dem Tisch stehen, welches einen hohen Rand hat. Auf dem Brett ist feiner, honigfarbener Sand. Ich schaue etwas irritiert, denn ich kann mir nicht vorstellen, was sie damit wohl vorhat.
„Heute Morgen wollen wir mit deinem Unterricht beginnen. Im Sand auf diesem Brett werde ich dir das Schreiben lehren. Du weißt sicherlich, wie teuer Papier ist. Anfangs wirst du viel wiederholen müssen, daher ist es so einfacher und kostengünstiger.“
Ich bin sprachlos. Sie entschuldigt sich dafür, mir das Schreiben und Lesen vorerst mit einfachen Mitteln beizubringen. Dabei bin ich schon dankbar dafür, dass sie sich überhaupt die Mühe machen will. Lächelnd greife ich nach dem Brett. „Fangen wir an“, fordere ich sie auf.
„Erst einmal erledigst du deine Pflichten. Wir werden heute Mittag noch einmal dieses Wort wiederholen“, sagt Old Map, während sie mit dem Finger im Sand malt.
Sie hatte mir meinen Namen in den Sand geschrieben, ich sollte es ihr gleichtun. Konzentriert mache ich mich an die Arbeit. Ich vermute, sie merkt genau, dass ich kurz davor bin, alles durch die Gegend zu schmeißen. Das ist sowas von blöd. Ich hätte nie gedacht, dass es so schwer werden würde. Nach einiger Zeit kann ich ihn ganz gut schreiben, es sieht genauso aus wie bei ihr. Aber da tut mir schon vor lauter Anstrengung die Hand weh.
Sie wischt alles mit der flachen Hand weg und möchte, dass ich ihn aus dem Kopf noch einmal aufschreibe, aber es geht nichts mehr. Mittlerweile bekomme ich einen Krampf nach dem anderen in meiner Hand und schaffe es nicht mehr, meinen Namen richtig zu schreiben.
Ich schnaube laut, stehe auf und gehe missmutig nach draußen, um Wasser für die Wanne zu holen. Die Sonne steht schon hoch am Himmel. Was mich erkennen lässt, dass ich Stunden damit zugebracht habe, um meinen Namen halbwegs vernünftig schreiben zu können. Ich bin immer noch sauer, allerdings auf mich selbst. Wie schwer kann es schon sein, schreiben zu lernen?
Vor mich hin grummelnd marschiere ich zum Brunnen. Da fallen mir zwei Hasen auf, die so aussehen, als wollen sie Fangen spielen. Ich beobachte sie vergnügt, während ich den Eimer schleppe. Sie rennen sich immer wieder gegenseitig über den Haufen. Dieses Bild bringt mich zum Lachen. So vergesse ich den Frust vom Morgen ganz. Als ich den letzten Eimer mit Wasser zur Wanne bringe, laufen mir die Hasen zwischen den Beinen hindurch. Daraufhin stolpere ich und falle ungeschickt vornüber. Durch den Schwung kippe ich das Wasser komplett über mich. Als ich da so sitze, klatschnass von oben bis unten, bin ich lautstark am Schimpfen, bis ich Gelächter in meinem Kopf höre. Ich bin davon überzeugt, dass das Lachen von den Hasen stammt. Sie sitzen mir gegenüber und schauen mich kichernd an. Schallend stimme ich mit ein, kugle mich auf dem Rücken hin und her und halte mir den Bauch, der mir vom Lachen weh tut. Tränen laufen mir über die Wangen, so herzhaft und unbekümmert habe ich schon lange nicht mehr gelacht.
Am Rande der Bäume sehe ich den weißen Wolf sitzen. „Lacht mich ruhig aus, beim nächsten Mal fange ich euch und werfe euch dem Wolf zum Fraß vor.“
Das Lachen hört auf, die Hasen trollen sich erschrocken. Ich rapple mich auf, laufe zurück zum Brunnen und hole frisches Wasser. Nun tut mir mein Ausbruch leid. Ich habe es nicht so gemeint, denn lustig war es allemal. Wenn ich die Hasen nicht für immer mit der leeren Drohung verscheucht habe und sie wieder zurückkehren, werde ich mich bei ihnen entschuldigen.
Nach dem Wasserholen gehe ich, so wie gestern, zum Holzhaufen, um weiter für Brennholz zu sorgen. Verwundert blicke ich mich um, denn das fertige Holz von gestern ist verschwunden. Und nicht nur das, der Haufen, den ich noch hacken muss, ist wieder genauso groß, wie er es gestern war, als ich mit dem Hacken angefangen habe. Das kann nicht sein, was ist hier nur los?
Der Wolf, der sich gerade wieder auf seinen Beobachtungsposten legt, lenkt mich von meiner Grübelei über das Holz jedoch schnell wieder ab. Einen Moment lang grinse ich ihn nur an. „Hallo“, rufe ich, winke ihm zu und fange an, das Holz kleinzumachen.
Es fühlt sich an, als hätte ich gerade erst angefangen, da ruft Old Map mich zum Mittagessen. Verschwitzt lege ich die Axt beiseite und gehe zu der kleinen Hütte. Meine gute Stimmung ist dahin, denn ich weiß, ich werde wieder schreiben müssen. Ganz egal wie sehr ich überlege, mir wollen einfach nicht die richtigen Zeichen einfallen.
Und auch diesmal höre ich wieder diese Stimme. „Du strengst dich zu sehr an. Lass locker und versuche, dir das Bild vor Augen zu rufen. Dann klappt es auch. Du darfst nur nicht so schnell aufgeben.“
Die Stimme hat leicht reden. Wenn es doch nur so einfach wäre. Ich gehe in die Hütte, es duftet wieder einmal herrlich. Erst jetzt merke ich, wie hungrig ich bin und freue mich riesig auf das köstliche Mahl, das Old Map wieder gezaubert hat.
Krampfhaft versuche ich zu lächeln, als Old Map das Brett hervorholt. Sie lässt mich meinen Namen erst noch zweimal abschreiben. Diesmal sehe ich es mir genauer an, bevor ich die Zeichen Strich für Strich nachmale. Tatsächlich schaffe ich es nach ein paar Versuchen, das Wort auch ohne Vorlage in den Sand zu schreiben. Old Map lobt mich überschwänglich und ich bin wirklich stolz auf mich. Wieder hat die Stimme recht behalten. Aber wenn die Stimmen tatsächlich von den Tieren stammen, wem gehörte dann die Stimme gerade eben? Ich komme zu dem Schluss, dass ich es mir doch nur einbilde.
Old Map schickt mich wieder raus, um Kleinholz zu machen. Ich nehme meinen Klotz, der irgendwann einmal ein Eimer werden soll, mit nach draußen. Die Messer habe ich heute Morgen schon eingesteckt. Mein Haufen ist schon wieder ganz ansehnlich, deshalb beschließe ich, mich hinzusetzen und weiter an meinem Eimer zu schnitzen. Ich möchte ihn so schnell wie möglich fertig bekommen, um morgens nicht mehr so oft laufen zu müssen und Zeit zu sparen. In die weiche Erde male ich aber erst noch einmal meinen Namen.
Als ich damit zufrieden bin, fange ich mit dem Schnitzen an. Die Sonne steht schon tief hinter der Baumkrone, als ich wieder aufschaue. Ich war so sehr in meine Arbeit vertieft, dass ich die Zeit total vergessen habe. Schnell packe ich alles zusammen und laufe zu den Tieren. Diesmal begrüße ich zur Sicherheit jeden einzeln, bevor ich sie versorge. Als ich gerade zu den Hühnern will, kommt Old Map in den Stall.
„Willst du zusehen, wie eine Kuh gemolken wird, Dämon? Wenn Paula es irgendwann zulässt, könntest du es auch einmal versuchen.“
Mir ist zwar nicht ganz wohl bei der Sache, aber ich werde alles lernen, wenn ich ihr damit behilflich sein kann. Sie trägt wieder ihren Stock bei sich. Anders als die letzten Male stützt sie sich nicht darauf ab, sondern trägt ihn unter dem Arm. Immer wenn sie die Hütte verlässt, hat sie diesen sonderbaren Stab bei sich, sonst scheint sie auch gut ohne ihn zurechtzukommen. Genau genommen glaube ich nicht, dass sie ihn wirklich braucht.
Das erste Mal, seit ich bei Old Map bin, sehe ich mir den Stab genauer an. Das ist sicherlich kein gewöhnlicher Stab, der Wanderer beim Gehen unterstützt oder den ältere Menschen benutzen, um sich darauf abzustützen.
Er geht ihr ein Stück bis über den Kopf, das Holz ist mit feinen, hellen Mustern überzogen, die ich nicht genau erkennen kann, aber sie sehen von der Ferne betrachtet wunderschön aus. Am oberen Ende hat er ein Loch eingearbeitet, durch das man hindurchsehen könnte, wenn dort nicht ein weinroter Stein sitzen würde. Ich kann mir nicht erklären, wie er dort hält, er scheint zu schweben. Ein leichtes Leuchten geht von ihm aus, das nur zu sehen ist, wenn man ganz genau hinsieht. Fasziniert mache einen Schritt nach vorne und strecke dabei die Hand aus. Ich möchte mich davon überzeugen, wie dieser Stein dort hält, ohne herauszufallen.
In diesem Moment wirbelt Old Map herum, sieht mich mit strengem Blick an und sagt mit ihrem Finger auf mich deutend: „Fass niemals diesen Stock an!“ Erschrocken zucke ich zusammen und wundere mich, warum sie so aufgebracht ist. Ohne eine weitere Erklärung dreht sie sich wieder um und geht auf Paula zu. „Na, meine Gute, dann wollen wir mal. Kommst du, Dämon?“
Wieder einmal verwirrt sie mich, denn sie tut so, als wäre das gerade eben nicht passiert. Vielleicht ist das ihre Art, mir etwas zu verbieten. In so einem Moment einen scharfen Ton anzuschlagen, und im nächsten so zu tun, als wäre nichts gewesen. Kopfschüttelnd gehe ich zu ihr hinüber.
Ich könnte platzen vor Lachen, verkneife mir das aber und kichere stattdessen leise vor mich hin. Ich weiß selbst nicht genau, was ich daran so lustig finde, denn sie hat mich gerade unwirsch zurechtgewiesen. Eigentlich sollte ich trotzig sein, aber das will mir nicht gelingen.
Old Map sitzt auf einem Schemel und duckt sich immer wieder unter dem Schwanz von Paula weg. Mit einem Mal springt sie schnell auf, gleichzeitig zieht sie den Eimer unter ihr hervor. Gerade noch rechtzeitig, denn in diesem Moment tritt Paula mit ihrem Bein und hätte ihn voll erwischt. Anschließend rückt sie den Schemel zurecht, setzt sich wieder hin und platziert den Kübel unter Paulas Euter, als wäre nichts gewesen. Nun weiß ich auch, wie der andere Eimer kaputt gegangen ist.
„Komm näher, sonst kannst du ja gar nicht richtig sehen, wie ich das mache“, sagt sie über die Schulter. Ich gehe ein Stück näher heran, um ihr über die Schulter zu schauen, da bekomme ich prompt Paulas Schwanz ins Gesicht. Old Map kichert vor sich hin. „Du musst noch etwas schneller werden, sonst musst du dir gleich fünf Eimer auf Vorrat schnitzen.“
Mir ist das Lachen inzwischen vergangen, denn Paula wedelt immer weiter mit dem Schwanz. Ich schaffe es nur dreimal, ihrem schlagenden Schwanz auszuweichen. Frustriert und genervt weiche ich langsam nach hinten zurück, um mich außer Reichweite zu bringen. Noch mehr Schläge möchte ich nicht abbekommen, denn ich habe jetzt schon blaue Flecke an den Armen, mein Gesicht ist an einigen Stellen knallrot. Das wird noch tagelang wehtun.
„Du willst doch wohl nicht jetzt schon aufgeben? Ich hätte dir mehr Durchhaltevermögen zugetraut. So wirst du nie das Melken lernen, um mir unter die Arme zu greifen. Wie soll das gehen, wenn du es nicht schaffst, Paulas Schwanz auszuweichen? Du musst Geduld haben und es versuchen.“
Ich erstarre. Wie hat sie gemerkt, dass ich mich aus dem Staub machen wollte? Sie hat nicht einmal nach hinten gesehen und ich habe darauf geachtet, dass ich kein Geräusch im Stroh mache. Mein Gewissen, genau wie mein Stolz, melden sich trotzdem. Sie tut so viel für mich, während ich nicht einmal bereit bin, mich mit Paulas Schwanz auseinanderzusetzen. Das sollte aber doch zu schaffen sein, ich muss mich nur konzentrieren und besser aufpassen.
Wuuusch ...
In diesem Moment bekomme ich ihn natürlich wieder voll ab. Das hat Paula doch absichtlich gemacht. Also widme ich meine volle Aufmerksamkeit der Kuh, die schon zum nächsten Schlag ausholt. Ich ducke mich und schaffe es tatsächlich, ihrem Schwanz auszuweichen.
Old Map steht auf, ich achte darauf, nicht zu stolpern, während ich einen Schritt nach hinten mache, um ihr Platz zu verschaffen. Diesen Augenblick der Unkonzentriertheit nutzt Paula aus und peitscht mir ihren Schwanz mitten ins Gesicht.
Demonstrativ strecke ich Paula die Zunge entgegen, woraufhin Old Map laut auflacht. Ich werde tiefrot, weil mir bewusst wird, wie albern das Ganze hier ist. Schließlich ist Paula ein Tier und macht es ja nicht mit Absicht. Wobei ich das langsam bezweifle, wenn ich an gestern und gerade eben denke. Ich könnte schwören, dass Paula viel öfter mit dem Schwanz geschlagen hat, als ich neben Old Map gesessen habe.
Nach dieser Erniedrigung verdrücke ich mich, um mich um die Hühner zu kümmern. Ich begrüße sie und streue ihnen ihre Körner großzügig auf den Boden, die sie sofort gierig aufpicken. Anschließend helfe ich wieder, das Badewasser zu holen und in die Wanne zu kippen.
Während Old Map badet, gehe ich in die Hütte, decke den Tisch, schreibe noch zweimal meinen Namen und setze mich draußen in die Wiese, um die restlichen Sonnenstrahlen dieses Tages zu genießen. Nachdem sie langsam hinter den Bäumen verschwunden ist, bearbeite ich den Holzklotz weiter, der mittlerweile schon fast einem Eimer ähnelt. Ich bin ein wenig stolz auf mich, ohne jegliche Hilfe schon so ein tolles Ergebnis mit meiner Schnitzerei erzielt zu haben.
Als Old Map mich ruft, hole ich mir von oben noch frische Kleidung, anschließend setze ich mich in die Wanne. Ich finde Gefallen an dem täglichen Bad, für mich ist das der pure Luxus. Mit einem zufriedenen Seufzer lasse ich mich langsam immer weiter hineingleiten, bis ich komplett unter Wasser bin. Ich plansche noch ein wenig herum, wasche mich gründlich und steige mit rosiger Haut aus dem mittlerweile schon fast kalten Badewasser. Schnell trockne ich mich ab, Old Map wartet sicher schon mit dem Abendessen auf mich und mein Magen meldet sich grummelnd zu Wort. Ich habe einen Bärenhunger.
Müde setze ich mich an den Tisch, Old Map strahlt mich an und lobt mich dafür, dass ich meinen Namen schon so gut schreiben kann. Ich lächle träge, fülle meinen Teller mit der leckeren Mahlzeit und genieße wieder einmal ihre Kochkünste. Als ich fertig bin, lasse ich mich gesättigt in den Stuhl sinken und falte meine Hände über dem Bauch.
„Du solltest nach oben gehen und dich schlafen legen“, sagt Old Map liebevoll lächelnd und reißt mich damit aus meinem Halbschlaf.
Sie hat recht, der Stuhl ist viel zu unbequem. Ich denke an mein Bett, das aus weichem Haferstroh besteht und mit einem Holzrahmen zusammengehalten wird. An mein Kissen aus Leinen, in dem fluffige Federn sind und an die warme Wolldecke.
Erschöpft und mit halb geschlossenen Augen erhebe ich mich, wünsche Old Map eine gute Nacht und klettere die Leiter nach oben in mein kleines Zimmer. Kaum liege ich im Bett, schlafe ich auch schon ein und gleite in meinen altbekannten Traum. Dieser ängstigt mich heute aber nicht, sondern spornt mich nur an. Irgendwie vermittelt er mir, dass ich alles schaffen kann, wenn ich nur will.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, muss ich nur kurz blinzeln und weiß sofort, wo ich bin. Die Dämmerung hat noch nicht eingesetzt, dennoch stehe ich auf, hole Wasser für das Frühstück und will beim Decken des Tisches helfen.
Doch als ich mit dem Wasser zurückkomme, steht schon das Brett mit dem Sand auf meinem Platz. Ich stelle den Eimer ab, setze mich kommentarlos hin und schreibe meinen Namen.
Old Map beugt sich über meine Schulter und wischt ihn weg. Erneut schreibt sie etwas in den Sand, diesmal sind es zwei Worte. Konzentriert schaue ich sie mir genau an, bevor ich anfange. Während des Nachmalens frage ich: „Was bedeuten die Buchstaben denn?“
„Das ist mein Name“, antwortet sie.
Ich male ihren Namen noch ein paar Mal in den feinen Sand, bevor wir in Ruhe frühstücken. Heute gibt es zum Brot und zur Marmelade auch frische, gekochte Eier und ein Glas voll Milch.
Old Map wischt noch einmal über den Sand und bedeutet mir, ohne Vorlage zu schreiben. Beim ersten Mal klappt es wieder nicht. Heute schiebe ich meinen Frust zur Seite und versuche mich zu erinnern, welche Buchstaben ich vorher gemalt habe. Das funktioniert hervorragend. Stolz betrachte ich mein Werk und zeige es Old Map.
„Das sieht sehr gut aus, Dämon. Du lernst schnell“, lobt sie mich und wuschelt mir dabei durch die Haare. „Nun geh, und erledige deine Pflichten, mein Junge.“
„Bin schon unterwegs“, sage ich freudestrahlend, schnappe mir meinen Eimer und renne raus zum Brunnen. Das Lob lässt mich euphorisch werden und motiviert mich, meiner schweren Arbeit nachzugehen.
Das Wasserschleppen kommt mir zwar immer noch sehr mühselig vor, aber ich freue mich jetzt schon auf das Bad heute Abend. Es ist witzig, dass mir so etwas am dritten Tag schon als normal vorkommt.
Die Hasen sind auch wieder da und laufen um die Wette. Ich muss lachen. Sie kreuzen heute häufiger meinen Weg, aber ich bin vorsichtiger und passe mehr auf. Trotzdem schaffen sie es, mich ins Straucheln zu bringen, als ich den letzten Eimer zur Wanne schleppe. Ich kann mich gerade noch fangen und verschütte nur ein wenig Wasser, sodass sich lediglich eine kleine Pfütze unter meinen Füßen bildet. Ich stelle ihn ab und laufe den beiden Hasen kichernd hinterher.
Das Holzhacken ist, wie die letzten beiden Tage, anstrengend, aber als Old Map mich zum Mittagessen ruft, habe ich einen deutlich größeren Haufen geschafft.
Der Wolf liegt, am Rande der Lichtung, zufrieden in der Sonne und döst vor sich hin. Ich stelle mir vor, wie es wohl wäre, wie er frei zu sein und durch die Wälder zu streifen. Es muss schön sein, immer dorthin gehen zu können, wo man will. Manchmal ist es sicher auch einsam, dennoch beneide ich ihn ein wenig.
Nach dem reichhaltigen Mittagessen muss ich wieder schreiben. Anfangs mache ich noch ein paar Fehler, aber dann klappt es. Immer wieder wische ich die Worte weg und male sie sicher mit dem Finger in den weichen Sand.
Es ist Zeit, um nach den Tieren zu sehen und sie zu versorgen. Im Stall angekommen begrüße ich den Grauen und Paula. Ich schnappe mir den Schemel und setze mich einen Augenblick hinter sie, um zu üben, ihrem schlagenden Schwanz auszuweichen. Meistens gelingt es mir, solange ich mich darauf konzentriere, mich nicht ablenken lasse und was anderes nebenbei tue. Heute trifft sie mich nur dreimal. Das erste Mal, als mich hinsetze, das zweite Mal, als ich aufstehe und beim dritten Mal lenkt mich das Schnauben vom Grauen ab. Paula reagiert daraufhin immer mit einem lauten „Muuuuuuh.“
„Jaja, lach du nur, Paula, aber ich bin schon viel besser geworden“, grummle ich beim Rausgehen.
Ich laufe noch schnell zu den Hühnern, die wild gackernd um meine Beine herumlaufen und begrüße sie. Ich möchte nicht, dass sie sich ausgeschlossen fühlen und mir später dafür in die Füße picken. Danach mache ich mich wieder auf zu meinem Holzhaufen.
Nachmittags gönne ich mir eine kleine Pause im Schatten einer großen Eiche und stelle freudig fest, dass mein Eimer schon als solcher zu erkennen ist. Er hat zwar noch sehr dicke Wände, aber ich könnte ihn schon benutzen, wenn ich etwas finden würde, das als Henkel dient.
Langsam wird es Zeit, wieder zum Stall zu gehen, um die Tiere zu versorgen. Außerdem will ich Old Map beim Melken zusehen. Ich empfinde es als Herausforderung, gegen Paula und ihren Schwanz zu bestehen. Denn so unwahrscheinlich es auch ist, es kommt mir doch so vor, als würde pure Berechnung dahinterstecken.
Auf dem Weg zum Stall überlege ich fieberhaft, was ich als Henkel für den Eimer benutzen könnte. Als ich Old Map dazu frage, zuckt sie nur ratlos mit den Schultern. Sie sitzt schon auf ihrem Schemel neben Paula, als ich näher komme. Natürlich habe ich gleich wieder ihren Schwanz im Gesicht. Mist, ich muss mich jetzt wirklich konzentrieren. Es klappt wunderbar, bis Old Map mich fragt, wie mein Tag war. Paula nutzt diesen Moment der Unachtsamkeit schamlos aus.
„Kannst du bitte in den Hühnerstall gehen und die Eier holen?“, bittet Old Map mich anschließend. Ich tue, wie mir geheißen, aber nicht, ohne noch einen siegessicheren Blick auf Paula zu richten.
Im Hühnerstall begrüße ich die Hennen und gehe auf die Nester zu. Als ich mich zum ersten Nest herunterbeuge, um die Eier vorsichtig herauszunehmen, werde ich von fünf Hühnern gleichzeitig attackiert. Sie flattern um mich herum und picken wie verrückt in meine nackten Füße. Fluchend nehme ich die Beine in die Hand und fliehe aus dem Stall. Dabei gehen mir zwei der Eier kaputt.
Mit hochrotem Kopf gehe ich in die Hütte. Entrüstet erzähle ich Old Map, was passiert war. Sie sieht in mein wütendes Gesicht, betrachtet meine leicht blutenden Füße und ... lacht. „Du bist selbst Schuld, Dämon. Du musst sie darum bitten, dir die Eier nehmen zu dürfen.“
Ich schaue sie entsetzt an. „Aber es sind doch nur kleine Hühner“, brumme ich.
„Da hast du wohl recht. Sie scheinen dich auch nicht groß verletzt zu haben, die Wunden werden schnell wieder verheilt sein. Aber als sie sich zusammengetan haben, um dich anzugreifen, konnten sie dich doch in die Flucht schlagen. Was lernst du daraus?“
„Traue keinem Huhn!“, brumme ich sauer und verschränke die beleidigt die Arme vor der Brust. Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass mich hier alle Tiere aufs Korn nehmen.
Old Map sieht mich forschend an. Ich stehe auf, teile ihr zwischen aufeinandergepressten Lippen mit, dass ich zum Brunnen gehe, und verlasse fluchtartig die kleine Hütte. Ich könnte platzen vor Wut. Es scheint allen enormen Spaß zu machen, mir zu zeigen, was ich alles nicht kann.
Auf dem Weg zum Brunnen beruhige ich mich wieder. Im Grunde hat Old Map schon recht, ich weiß ja eigentlich, dass die Tiere hier anders reagieren. Nur ihre Frage, was ich daraus gelernt habe, verstehe ich nicht. Selbstverständlich werde ich die Hennen beim nächsten Mal fragen, ob ich mir die Eier nehmen darf. Aber ich glaube nicht daran, dass die Lösung so einfach ist.