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Mit königlichem Blut spioniert es sich gut – Lady Georgie ermittelt
Der Auftakt der neuen Cosy-Crime-Reihe von Bestsellerautorin Rhys Bowen
London, 1932: Lady Victoria Georgiana Charlotte Eugenie, Nummer 34 in der britischen Thronfolge, ist mehr als pleite. Sie hat Schottland, ihren habgierigen Bruder und ihren fischgesichtigen Verlobten zwar hinter sich gelassen, doch ohne Geld lebt es sich auch in London nicht so einfach. Deswegen überlegt sie nicht lange, als sie ein unglaubliches Angebot bekommt: Im Auftrag Ihrer königlichen Majestät soll sie die royale Gesellschaft am britischen Königshof ausspionieren. Als sie dann auch noch einen toten Franzosen in ihrer Badewanne findet, hat Lady Georgie endlich die Gelegenheit, ihren lächerlich langen Familiennamen wieder reinzuwaschen ...
Erste Leserstimmen
„endlich eine neue Cosy Crime-Reihe von Rhys Bowen – Constable Evans bekommt weibliche Konkurrenz“
„wie gewohnt hat Rhys Bowen einen tollen Schreibstil der humorvoll und super leicht zu lesen ist“
„Lady Georgie ist unglaublich sympathisch, ich hab mit ihr gelacht und mitgefiebert“
„Rhys Bowen ist nicht umsonst Bestsellerautorin, ich liebe ihre Romane“
„das hystorische London ist ein tolles Setting, gespickt mit einer lustigen Protagonistin und einer spannenden Handlung“
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Seitenzahl: 428
London, 1932: Lady Victoria Georgiana Charlotte Eugenie, Nummer 34 in der britischen Thronfolge, ist mehr als pleite. Sie hat Schottland, ihren habgierigen Bruder und ihren fischgesichtigen Verlobten zwar hinter sich gelassen, doch ohne Geld lebt es sich auch in London nicht so einfach. Deswegen überlegt sie nicht lange, als sie ein unglaubliches Angebot bekommt: Im Auftrag Ihrer königlichen Majestät soll sie die royale Gesellschaft am britischen Königshof ausspionieren. Als sie dann auch noch einen toten Franzosen in ihrer Badewanne findet, hat Lady Georgie endlich die Gelegenheit, ihren lächerlich langen Familiennamen wieder reinzuwaschen ...
Deutsche Erstausgabe August 2019
Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-96087-811-7 Hörbuch-ISBN: 978-3-96817-109-8
Copyright © Juli 2007 by 2007 by Janet Quin-Harkin. Alle Rechte vorbehalten. Titel des englischen Originals: Her Royal Spyness
Published by Arrangement with Janet Quin-Harkin. c/o JANE ROTROSEN AGENCY LLC, 318 East 51st Street, NEW YORK, NY 10022 USA.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Übersetzt von: Sarah Schemske Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von © Debu55y und © Veronika/stock.adobe.com, © singkham und © brebca/depositphotos.com, © Raftel und © Vectorpocket/shutterstock.com Korrektorat: Dorothee Scheuch
E-Book-Version 10.08.2022, 13:23:48.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Mit königlichem Blut spioniert es sich gut – Lady Georgie ermittelt Der Auftakt der neuen Cosy-Crime-Reihe von Bestsellerautorin Rhys Bowen
Castle Rannoch, Perthshire, Schottland
April 1932
Eine unbedeutende Angehörige des britischen Königshauses zu sein hat zwei Nachteile.
Erstens wird erwartet, dass man sich verhält, wie es sich für ein Mitglied der königlichen Familie geziemt, allerdings ohne die Mittel dafür zu besitzen. Man ist verpflichtet, Babys zu küssen, Feierlichkeiten zu eröffnen, sich auf Balmoral zu zeigen (gebührend in Schottenkaro) und Festzüge bei Hochzeiten anzuführen. Eine gewöhnliche Anstellung ist dagegen verpönt. Man darf beispielsweise nicht an der Kosmetiktheke bei Harrods arbeiten, wie ich bald herausfinden sollte.
Wo wir schon bei dieser Ungerechtigkeit sind, fällt mir der zweite Punkt auf meiner Liste ein. Anscheinend ist das einzig akzeptable Schicksal für eine junge Frau aus dem Hause Windsor, in eine der übrigen europäischen Königsfamilien einzuheiraten, obwohl heutzutage nur noch sehr wenige Monarchen an der Macht sind. Sogar eine so unbedeutende Windsor wie ich ist anscheinend eine begehrte Partie bei all denen, die in diesen schwierigen Zeiten ein Bündnis mit Britannien anstrebten. Ständig werde ich daran erinnert, dass es meine Pflicht ist, eine Verbindung mit einem grauenvollen halbverrückten, pferdegebissigen, kinn- und rückgratlosen europäischen Adligen einzugehen, um freundschaftliche Bande zu einem potenziellen Feind zu knüpfen. Meine Cousine Alex hat genau das getan, die Ärmste. Ihr tragisches Beispiel war mir eine Lehre.
Ich sollte mich wohl vorstellen, bevor ich weitererzähle. Mein Name ist Victoria Georgiana Charlotte Eugenie, Tochter des Dukes von Glen Garry und Rannoch – aber meine Freunde nennen mich Georgie. Meine Großmutter war die unattraktivste von Königin Victorias Töchtern, weshalb sie nie einen Romanov oder einen Kaiser abbekam, wofür ich sehr dankbar bin (und sie selbst vermutlich auch).
Stattdessen wurde sie mit einem sterbenslangweiligen schottischen Baron verheiratet, den man mit einem Herzogtum bestochen hatte, damit die alte Königin sie endlich unter die Haube bringen konnte. Pflichtbewusst gebar sie nach einiger Zeit meinen Vater, den zweiten Duke, bevor sie eine der Krankheiten ereilte, die von Inzest und zu viel Frischluft kommen. Ich habe sie nie kennengelernt. Auch meinen furchteinflößenden schottischen Großvater habe ich nie getroffen, obwohl die Bediensteten behaupteten, er spuke als Geist auf Castle Rannoch herum und spiele auf den Schlossmauern Dudelsack (was bemerkenswert ist, denn zu Lebzeiten konnte er nie Dudelsack spielen). Als ich auf Castle Rannoch geboren wurde, wo es noch ungemütlicher als auf Balmoral war, war mein Vater zweiter Duke und gab das Familienvermögen mit beiden Händen aus.
Er hatte seine Pflicht getan und die Tochter eines entsetzlich korrekten englischen Earls geheiratet. Sie brachte meinen Bruder zur Welt, besah sich die äußerst triste Umgebung der Highlands und verschied auf der Stelle.
Nachdem er einen Erben hervorgebracht hatte, wagte mein Vater das Undenkbare und heiratete eine Schauspielerin – meine Mutter. Junge Männer, wie sein Onkel Bertie (der spätere König Edward VII), durften nicht nur mit Schauspielerinnen anbandeln, es wurde sogar empfohlen. Nur heiraten durften sie sie nie. Meine Mutter aber gehörte zur Church of England, kam aus einer so bescheidenen wie respektablen britischen Familie und am Himmel zogen die ersten Gewitterwolken auf, die den Großen Krieg in Europa ankündigten. Also akzeptierte man die Hochzeit. Mutter wurde Queen Mary vorgestellt, die sie als bemerkenswert kultiviert lobte (für jemanden, der aus Essex kam).
Die Ehe hielt jedoch nicht. Selbst Menschen mit weniger Temperament als meine Mutter ertrugen Castle Rannoch nicht lange. Das Heulen des Windes in den riesigen Kaminen, zusammen mit der schottengemusterten Tapete des stillen Örtchens, riefen fast sofort Depressionen oder gar Wahnsinn hervor. Es ist wirklich bewundernswert, dass sie es überhaupt so lange ausgehalten hatte. Ich glaube, die Vorstellung, eine Duchess zu sein, gefiel ihr im Grunde gut. Erst als ihr aufging, dass die Heirat mit einem Duke bedeutete, dass sie die Hälfte des Jahres in Schottland verbringen musste, entschloss sie sich zur Flucht. Damals war ich zwei Jahre alt.
Ihre erste Eskapade war mit einem argentinischen Polospieler, viele weitere folgten: der französische Rennfahrer, der auf tragische Weise in Monte Carlo umkam, der amerikanische Filmproduzent, der verwegene Forscher und ihre jüngste Errungenschaft, ein deutscher Industrieller.
Ab und zu traf ich sie, wenn sie einen Abstecher nach London machte. Jedes Mal trug sie mehr Make-up und immer exotischere und teurere Hüte, um ihr jugendliches Aussehen zu erhalten, dem die Männer reihenweise erlagen. Wir gaben uns ein Küsschen auf die Wange, plauderten über das Wetter, Mode und meine Heiratsaussichten. Es war, als würde ich mich mit einer Fremden unterhalten.
Zum Glück hatte ich eine liebevolle Nanny, also war meine Kindheit auf Castle Rannoch zwar einsam, aber nicht allzu trostlos. Manchmal holte mich meine Mutter zu sich, wenn sie gerade vorteilhaft verheiratet war und in einem ungefährlichen Teil der Welt lebte. Aber sie war nicht der mütterliche Typ und schlug nirgendwo Wurzeln, also wurde Castle Rannoch mein Anker, bekannt und vertraut, trotz der Düsternis und Einsamkeit. Mein Halbbruder Hamish (von allen Binky genannt) wurde auf eines dieser Internate geschickt, in dem kalte Duschen und Dauerläufe bei Tagesanbruch die zukünftigen Führer des Empires formen sollten, also sah ich auch ihn kaum. Meinen Vater eigentlich auch nicht. Nachdem die Flucht meiner Mutter einen öffentlichen Skandal heraufbeschworen hatte, verließ ihn der Lebensmut und er war häufig in verschiedenen europäischen Ländern anzutreffen, wo er in fragwürdiger Gesellschaft immer größere Summen an den Spieltischen von Nizza und Monte Carlo verlor. Erst der berüchtigte Börsencrash von Neunzehnhundertneunundzwanzig bereitete dem ein Ende. Als er vom Verlust seines übrigen Vermögens erfuhr, ging er ins Moor hinaus und erschoss sich mit der Flinte, die er für die Moorhuhnjagd benutzte. Es wurde nie ganz geklärt, wie er das bewerkstelligt hatte, da mein Vater kein besonders guter Schütze gewesen war.
Ich weiß noch, wie ich vergeblich ein Gefühl des Verlusts zu empfinden versucht hatte, als mir in der Schweiz die Nachricht von seinem Tod überbracht wurde. In meinem Kopf existierte nur ein verschwommenes Bild von ihm. Ich vermisste die Vorstellung, einen Vater zu haben, die Gewissheit, dass er derjenige war, der in der Not Schutz und Rat bieten konnte. Es war erschreckend, mit neunzehn zu erkennen, dass ich auf mich allein gestellt war.
Nun wurde Binky zum dritten Duke ernannt, heiratete eine langweilige junge Frau von untadeligem Ruf und erbte Castle Rannoch. In der Zwischenzeit hatte man mich in die Schweiz verfrachtet, wo ich meinen Abschluss machen sollte und eine rauschende Zeit mit den Töchtern der Reichen und Schönen verbrachte, die alles andere als artig waren. Wir lernten lediglich passables Französisch und die Kunst, Dinnerpartys zu geben, Klavier zu spielen und in eleganter Haltung zu flanieren. Außerschulische Aktivitäten beschränkten sich darauf, hinter dem Gartenschuppen zu rauchen und über die Mauer zu klettern, um sich mit den Skilehrern in der örtlichen Bar zu treffen.
Zum Glück gab es wohlhabendere Familienmitglieder, die es mir ermöglichten, dort zu bleiben und meine Ausbildung zu beenden, bis ich bei Hofe vorgestellt wurde und meine erste Ballsaison begann. Für diejenigen unter euch, die es nicht wissen: Jede junge Frau aus einer guten Familie bekam ihre Saison als Debütantin – eine Reihe von Bällen, Feiern und Sportereignissen, während derer sie in die Gesellschaft eingeführt und bei Hofe vorgestellt wurde. Es war eine höfliche Form zu sagen: „Hier ist sie, Jungs. Nun heirate sie um Himmels willen schon einer, damit sie versorgt ist.“
„Ballsaison“ ist eigentlich ein viel zu hochtrabendes Wort für die Reihe kleiner Tänze, die im Ball von Castle Rannoch ihren Höhepunkt hatten. Und das während der Moorhuhnsaison, als alle jungen Männer zur Jagd anreisten und abends allesamt zu müde zum Tanzen waren. Ohnehin kannten die wenigsten die traditionellen Tänze der Highlands, die man auf Castle Rannoch erwartete. Die Dudelsackklänge, die im Morgengrauen vom Nordturm tönten, erinnerten einige junge Männer außerdem an wichtige Termine in London, die unbedingt eingehalten werden mussten.
Wenig überraschend gab es keine Aussicht auf einen passenden Antrag und so fand ich mich mit einundzwanzig Jahren auf Castle Rannoch wieder, ohne einen Plan, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen sollte.
Castle Rannoch
Montag, 18. April 1932
Ich frage mich, wie viele Leute schon lebensverändernde Erfahrungen auf dem stillen Örtchen hatten. Dabei sollte ich erwähnen, dass die Badezimmer auf Castle Rannoch nicht die kleinen Zellen sind, die man in gewöhnlichen Häusern findet. Sie sind riesige, höhlenartige Orte mit hohen Decken, schottengemusterten Tapeten und Rohren, die zischen, heulen und klappern, was schon mehr als einen Herzinfarkt ausgelöst hat, und noch dazu plötzliche Wahnanfälle, die einen Gast sogar dazu bewegt hatten, von einem offenen Badfenster in den Burggraben zu springen. Ich sollte hinzufügen, dass die Fenster immer offen standen. Das war Schlosstradition.
Castle Rannoch ist selbst zu seinen besten Zeiten kein erfreulicher Ort. Es liegt unter einem beeindruckenden schwarzen Felsmassiv am Kopf eines schwarzen Lochs, umgeben von einem dunklen, unheimlichen Pinienwald, der die schwersten Unwetter abhielt. Selbst der Dichter Wordsworth, der auf seinen Wanderungen hierher eingeladen wurde, fand nichts darüber zu sagen außer einem hingekritzelten Zweizeiler, der im Papierkorb entdeckt wurde.
Von traurigen Höhen bis zu Seeufern öd’
Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet
Von den besten Zeiten konnte heute keine Rede sein. Es war April und der Rest der Welt war voll gelber Narzissen, Blüten und geschmückten Hüten, die man traditionell zu Ostern trägt. Auf Castle Rannoch fiel Schnee – nicht der schöne Puderschnee, den man in der Schweiz findet, sondern nasser, matschiger Schnee, der an der Kleidung haftet und innerhalb von Sekunden gefror. Ich war seit Tagen nicht draußen gewesen. Mein Bruder Binky hatte darauf bestanden, seinen üblichen Morgenspaziergang über das Anwesen zu machen – ein Überbleibsel seines Internat-Drills – und war als Yeti wiedergekehrt. Sein Sohn Hector, von allen liebevoll Podge genannt, war vor Schreck schreiend zu seinem Kindermädchen gelaufen.
Es war die Art Wetter, bei der man es sich mit einem guten Buch an einem knisternden Feuer gemütlich machte. Unglücklicherweise hatte sich meine Schwägerin Hilda, genannt Fig, in den Kopf gesetzt, zu sparen und erlaubte auf dem Feuer nur einen Holzscheit auf einmal. Das war fehlgeleitete Sparsamkeit, wie ich mehrmals betonte. Bäume wurden regelmäßig von Stürmen entwurzelt. Doch Fig hatte einen Floh im Ohr, wenn es ums Sparen ging. Die Zeiten seien überall hart und wir müssten den unteren Klassen mit gutem Beispiel vorangehen. Dieses Beispiel führte dazu, dass es statt Speck und Eiern nur Porridge zum Frühstück gab und einmal sogar Baked Beans als herzhaftes Häppchen nach dem Dinner.
Das Leben ist trostlos, schrieb ich in mein Tagebuch. In diesen Tagen verbrachte ich viel Zeit damit, Tagebuch zu schreiben. Ich wusste, dass ich mir eine Beschäftigung suchen sollte. Es juckte mir in den Fingern, irgendetwas zu tun, doch meine Schwägerin rief mir ständig in Erinnerung, dass auch ein noch so unbedeutendes Mitglied der königlichen Familie die Pflicht hatte, diese nicht zu enttäuschen. Der Blick, mit dem sie mich bedachte, besagte, dass ich sicher schwanger werden oder nackt auf dem Rasen tanzen würde, sobald man mich ohne Anstandsdame auch nur zu Woolworth ließe. Es war anscheinend meine Pflicht, herumzusitzen und auf eine standesgemäße Vermählung zu warten. Kein glücklicher Gedanke.
Wie lange ich noch geduldig auf meinen Untergang gewartet hätte, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, denn an diesem Nachmittag im April, während ich auf dem stillen Örtchen saß und den Schnee, der mir um die Ohren wehte, so gut es ging mit einer Ausgabe von Horse and Hound abwehrte, hörte ich auf einmal Stimmen im Heulen des Windes. Schuld war die eigenwillige Natur der Rohrleitungen, die viele Jahre nach dem Bau des Schlosses installiert worden waren. Es war möglich, Gespräche zu belauschen, die viele Stockwerke unter einem stattfanden. Dieses Phänomen trug vermutlich dazu bei, dass selbst die vernünftigsten unserer Gäste gelegentlich Anfälle von Wahnsinn erlitten. Ich bin mit dem Phänomen von Geburt an vertraut und habe es mein ganzes Leben zu meinem Vorteil genutzt und vieles belauscht, das nicht für meine Ohren bestimmt war. Doch für einen Unbeteiligten, der auf dem stillen Örtchen seinen Gedanken nachhing, und dem sich entweder der Ausblick auf die dunklen Felsen draußen oder die Schottenkaro-Tapeten drinnen bot, waren hallende Stimmen, die hohl aus den Rohren drangen, wohl ausreichend, um wahnsinnig zu werden.
„Die Königin will, das wir was tun?“ Das genügte mir, um die Ohren zu spitzen. Klatsch über unsere königlichen Verwandten hatte es mir immer angetan und Fig hatte ein erschrecktes Quieken von sich gegeben, das gar nicht zu ihr passte.
„Es ist nur für ein Wochenende, Fig.“
„Binky, ich wünschte, du würdest diese abstoßenden amerikanischen Begriffe nicht in deine Redeweise einfließen lassen. Bevor wir es uns versehen, wirst du Podge beibringen, ‚Hosen‘ statt ‚Beinkleider‘ zu sagen und ‚Keks‘ statt ‚Biskuit‘.“
„Gott bewahre, Fig. Aber du musst zugeben, dass das Wort ‚Wochenende‘ sehr treffend ist, nicht wahr? Ich meine, welches andere Wort haben wir denn für Freitag, Samstag und Sonntag?“
„Es macht den Eindruck, dass wir die Sklaven einer Arbeitswoche sind, was nicht der Fall ist. Aber versuch nicht, vom Thema abzulenken. Ich finde es verflucht frech von Ihrer Majestät.“
„Sie versucht nur zu helfen. Georgie braucht Unterstützung.“
Jetzt hörte ich wirklich zu.
„Ich stimme dir zu, dass sie nicht für den Rest ihres Lebens hier Trübsal blasen und Kreuzworträtsel lösen kann.“ Figs schneidende Stimme hallte so schrill wider, dass eines der Rohre zu vibrieren anfing.
„Aber andererseits könnte sie mit dem kleinen Podge behilflich sein. Dann müssten wir keine Gouvernante für ihn einstellen, bevor er in die Grundschule kommt. Irgendetwas müssen sie ihr in dieser lächerlich teuren Einrichtung in der Schweiz doch wohl beigebracht haben.“
„Du kannst meine Schwester nicht als unbezahlte Gouvernante einsetzen, Fig.“
„Heutzutage muss jeder seinen Teil beitragen, Binky, und ehrlich gesagt hat sie nichts anderes zu tun, oder?“
„Was sollte sie denn deiner Meinung nach tun? In der örtlichen Bar Pints zapfen?“
„Sei nicht lächerlich! Ich will deine Schwester genauso glücklich verheiratet sehen wie du. Aber dass ich einen Prinzen zu einer Hausparty einladen muss, in der Hoffnung, ihm Georgiana anzudrehen – wirklich, das ist zu viel verlangt, sogar für Ihre Majestät.“
Jetzt hatte ich mein Ohr an das Rohr gepresst. Der einzige Prinz, der mir einfiel, war mein Cousin David, der Prince of Wales. Er war gewiss eine gute Partie, die ich bestimmt nicht ablehnen würde. Zwar war er ein gutes Stück älter als ich und auch nicht so hochgewachsen, aber er war schlagfertig und ein fantastischer Tänzer. Und noch dazu gutherzig. Ich wäre sogar bereit, für den Rest meines Lebens flache Absätze zu tragen.
„Ich würde sagen, es ist eine hohe Summe, die an einen hoffnungslosen Fall verschwendet wird“, ertönte wieder Figs schrille Stimme.
„Ich würde Georgie nicht als hoffnungslosen Fall bezeichnen. Sie ist eine wunderschöne junge Frau. Ein bisschen groß für den durchschnittlichen Kerl, noch ein bisschen unbeholfen, aber gesund, gute Knochen, nicht dumm. Um einiges schlauer als ich, ehrlich gesagt. Für den richtigen Kerl wird sie eine großartige Ehefrau abgeben.“
„Sie hat bisher jeden abgelehnt, den wir für sie gefunden haben. Wie kommst du darauf, dass sie sich für diesen Siegfried interessieren wird?“
„Weil er ein Prinz und Thronerbe ist.“
„Welcher Thron? Ihren letzten König haben sie umgebracht.“
„Es wird davon geredet, ihre königliche Familie wieder an die Macht zu bringen. Siegfried ist der nächste in der Erbfolge.“
„Die Königsfamilie wird nicht so lange überdauern, bis er Erfolg hat. Sie werden wieder alle ermordet werden.“
„Genug davon, Fig. Und es besteht kein Grund, das Georgie gegenüber zu erwähnen. Ihre Majestät hat einen Wunsch geäußert und man schlägt ihr keine Wünsche ab. Eine kleine Hausparty, das ist alles. Für Prinz Siegfried und seine englischen Bekannten. Genug Männer, damit Georgie nicht gleich Wind von unseren Plänen für sie bekommt.“
„Das ist ein teurer Vorschlag, Binky. Du weißt, wie viel diese jungen Männer trinken. Wir können ihnen um diese Jahreszeit nicht einmal ein Wettschießen oder eine Jagdgesellschaft anbieten. Was sollen wir denn den ganzen Tag mit ihnen anfangen? Ich gehe nicht davon aus, dass dieser Siegfried am Bergsteigen interessiert ist.“
„Wir schaffen das schon irgendwie. Immerhin bin ich das Oberhaupt der Familie. Es ist meine Aufgabe, meine Schwester versorgt zu sehen.“
„Sie ist deine Halbschwester. Lass doch ihre Mutter jemanden finden. Sie hat ja wer weiß wie viele verschmähte Liebhaber, die meisten davon Millionäre.“
„Jetzt wirst du zickig, Fig. Bitte antworte Ihrer Majestät, dass wir bald mit dem größten Vergnügen eine Hausparty ausrichten werden.“
Die Stimmen entfernten sich. Ich stand am Badezimmerfenster ohne den Schnee zu spüren, der hereinwehte. Ausgerechnet Prinz Siegfried von Rumänien. Ich hatte ihn als Schülerin von Les Oiseaux in der Schweiz getroffen, wo ich meinen Abschluss gemacht hatte. Er hatte auf mich den Eindruck eines kalten Fischs mit stierendem Blick gemacht. Er hatte einen kraftlosen Händedruck und verzog das Gesicht, als habe er ständig einen schlechten Geruch in der Nase. Als er mir vorgestellt wurde, schlug er die Absätze zusammen und murmelte „enchanté“. Er sagte es so, als sei ich eigentlich diejenige, die sich geehrt fühlen sollte, nicht umgekehrt. Ich ging nicht davon aus, dass er einem Wiedersehen entgegenfieberte.
„Es ist Zeit zu handeln!“, schrie ich in den Sturm hinaus. Ich war nicht mehr minderjährig. Ich konnte gehen, wohin ich wollte und brauchte keine Anstandsdame. Ich konnte meine eigenen Entscheidungen treffen und mein eigenes Leben bestimmen. Ich war weder die Thronerbin noch die Reserve. Ich war nur die vierunddreißigste in der Thronfolge. Als Frau konnte ich weder das Herzogtum noch Castle Rannoch erben, selbst wenn Binky keinen Sohn gehabt hätte. Ich würde keine Minute länger dasitzen und darauf warten, dass die Zukunft zu mir kam. Ich würde in die Welt hinausgehen und mein eigenes Schicksal bestimmen.
Ich warf die Badezimmertür zu und eilte durch den Korridor zu meiner Kammer, wo ich mein Dienstmädchen überraschte, das gerade dabei war, frisch gebügelte Blusen aufzuhängen.
„Kannst du bitte meinen Koffer vom Dachboden holen, Maggie?“, sagte ich. „Und pack passende Kleider für die Stadt ein. Ich gehe nach London.“
Ich wartete, bis Binky und Fig ihren Tee in der großen Halle einnahmen, dann stürmte ich herein. Hereinzustürmen ist auf Castle Rannoch übrigens keine Kunst, denn üblicherweise jagt ein heulender Wind durch die Korridore, der die Wandteppiche zum Flattern bringt. Binky stand mit dem Rücken zum Feuer und schirmte so die Hitze des einzelnen Holzscheits vom Rest des Raums ab. Figs Nase war so blau wie ihr Blut und mir fiel auf, dass sie den Teekessel umklammert hielt, anstatt Ferguson den Tee einschenken zu lassen.
„Ah, Georgie, da bist du ja“, sagte Binky herzlich. „Guten Tag gehabt? Grausig draußen. Du bist wohl nicht ausgeritten?“
„Das würde ich keinem Pferd antun“, gab ich zurück. Ich hob den Deckel von einem der Gerichte an. „Toast“, sagte ich enttäuscht. „Keine Crumpets?“
„Einsparungen, Georgiana“, sagte Fig. „Wir können nicht Crumpets essen, wenn der Rest der Welt sich keine leisten kann. Du meine Güte, wir können uns ja selbst kaum welche leisten. Wir müssten Margarine essen, wenn wir kein Milchvieh hätten.“
Mir fiel auf, dass sie eine großzügige Portion Fortnum’s Johannisbeermarmelade auf ihrem Toast verteilte, hielt aber klugerweise den Mund. Stattdessen wartete ich, bis sie den Mund voll hatte, bis ich sagte: „Ich mache für eine Weile einen Abstecher nach London, wenn ihr nichts dagegen habt.“
„Nach London? Wann?“, fragte Fig, die mich aus kleinen Augen aufmerksam fixierte.
„Morgen, dachte ich, wenn wir nicht eingeschneit sind.“
„Morgen?“, fragte Binky. „Das ist ein bisschen überstürzt, findest du nicht?“
„Ja, warum hast du das nicht früher erwähnt?“, pflichtete Fig ihm bei.
„Ich habe es selbst erst heute erfahren“, sagte ich, während ich mich darauf konzentrierte, Butter auf meinem Toast zu verteilen. „Eine meiner besten Schulfreundinnen heiratet und hat mich gebeten, ihr bei den Hochzeitsvorbereitungen zu helfen. Und da ich hier oben nichts Nützliches zu tun habe, dachte ich mir, dass ich ihrem Hilferuf folgen sollte. Baxter kann mich mit dem Auto zum Bahnhof bringen, nicht wahr?“
Ich hatte mir die Geschichte auf dem Weg nach unten ausgedacht. Ich war ziemlich stolz darauf.
„Das ist äußerst ungünstig, Georgie“, sagte Binky.
„Ungünstig? Warum?“ Ich schaute ihn unschuldig an.
„Nun, sieh mal, es ist so –“, er schaute hilfesuchend zu Fig, dann fuhr er fort. „Wir haben eine kleine Hausparty geplant. Um ein paar junge Leute als Gesellschaft für dich zu haben. Uns ist klar, dass es langweilig sein muss, mit einem drögen verheirateten Paar wie uns hier festzusitzen, ohne Tänze oder Unterhaltung.“
Ich ging zu ihm hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist ein Schatz, Binky, dich so um mich zu kümmern. Aber ich kann dir unmöglich erlauben, Geld für mich auszugeben. Ich bin kein Kind mehr. Mir ist klar, wie entsetzlich knapp das Geld zur Zeit ist und ich weiß, dass du diese schrecklichen Erbschaftssteuern auf das Anwesen zahlen musstest.“
Binky war offensichtlich schmerzlich hin und her gerissen. Er wusste, dass Ihre Majestät erwartete, dass er ihrem Wunsch nachkam und jetzt war ich drauf und dran, abzuhauen. Da es geheim war, konnte er mir nicht sagen, warum ich bleiben sollte. Seit einer Ewigkeit hatte ich nichts so Unterhaltsames erlebt.
„Nun musst du dir keine Sorgen mehr um mich machen“, sagte ich. „Ich bin in London unter jungen Leuten, helfe einer Freundin und lebe mein Leben. Ich darf mich doch im Rannoch House niederlassen, nicht wahr?“
Ich sah, wie Fig und Binky einen schnellen Blick austauschten.
„Rannoch House?“, sagte Fig. „Du willst Rannoch House für dich allein öffnen?“
„Nicht richtig öffnen“, sagte ich. „Ich würde nur mein Schlafzimmer benutzen.“
„Wir können keinen Dienstboten für dich entbehren“, sagte Fig. „Wir haben jetzt schon nur das nötigste Personal. Binky konnte kaum genügend Treiber für die letzte Jagd zusammentrommeln. Und Maggie würde ihre gebrechliche Mutter niemals zurücklassen, um mit dir nach London zu gehen.“
„Das ist in Ordnung“, sagte ich. „Ich werde keinen Dienstboten mitnehmen. Ich werde nicht einmal die Zentralheizung einschalten.“
„Aber wenn du diesem Mädchen bei seiner Hochzeit hilfst, wohnst du dann nicht bei ihr?“, fragte Fig.
„Später, ja. Aber sie ist noch nicht vom Kontinent angereist.“
„Sie ist vom Festland, dieses Mädchen? Keine Engländerin?“ Fig sah entsetzt aus.
„Wir sind auch keine Engländer“, sagte ich. „Wenigstens Binky und ich nicht. Wir sind zur Hälfte schottisch mit einer guten Portion deutsch.“
„Ich korrigiere mich: britisch. Ihr wurdet britisch erzogen. Da liegt der große Unterschied. Dieses Mädchen ist also eine Ausländerin?“
Ich hätte zu gern eine mysteriöse russische Gräfin erfunden, aber es war so kalt, dass mein Gehirn nicht schnell genug arbeitete. „Sie hat im Ausland gelebt“, erklärte ich, „wegen ihrer Gesundheit. Sie ist ziemlich anfällig.“
„Dann frage ich mich, warum irgendein armer Kerl sie heiraten will“, sagte Binky derb. „Klingt, als wäre sie nicht in der Lage, einen Erben hervorzubringen.“
„Er liebt sie, Binky“, sagte ich, um meine erfundene Heldin zu beschützen. „Manche Leute heiraten aus Liebe, weißt du.“
„Ja, aber nicht in unserer Klasse“, sagte Binky leichthin. „Wir erfüllen unsere Pflicht. Wir heiraten jemanden, der angemessen ist.“
„Ich finde wohl, dass Liebe auch eine kleine Rolle spielt, Binky“, sagte Fig in frostigem Tonfall.
„Wenn man Glück hat, Fig. Wie du und ich.“
Er war nicht so einfältig wie er wirkte, bemerkte ich. Er war ohne Niedertracht, ein Mann mit einfachen Bedürfnissen und Vergnügungen, aber dumm war er eindeutig nicht.
Fig brachte tatsächlich ein Lächeln zustande. „Wirst du dein Diadem aus dem Tresor benötigen?“, fragte sie, nun praktischen Themen zugewandt.
„Ich glaube nicht, dass es die Art Hochzeit ist, auf der man ein Diadem trägt“, sagte ich.
„Also nicht St. Margaret’s?“
„Nein, es soll eine kleine Angelegenheit werden. Wie gesagt, die Braut hat eine schwache Konstitution.“
„Dann frage ich mich, warum sie Hilfe bei den Vorbereitungen braucht. Eine kleine Hochzeit kann doch jeder arrangieren.“ Fig nahm noch einen Bissen Toast mit Marmelade.
„Fig, sie hat um Hilfe gebeten und ich helfe ihr“, sagte ich. „Hier oben bin ich nur im Weg und wer weiß, vielleicht treffe ich ja jemanden in London.“
„Ja, aber woher willst du Bedienstete bekommen?“
„Ich werde ein Mädchen aus London anstellen, das sich um mich kümmert.“
„Sieh zu, dass du ihre Referenzen sorgfältig prüfst“, sagte Fig. „Diesen Londoner Mädchen kann man nicht trauen. Und schließ das Silber weg.“
„Wahrscheinlich werde ich das Silber nicht brauchen“, sagte ich. „Ich werde dort nur ein paar Nächte zum Schlafen sein.“
„Nun, wenn du unbedingt gehen musst, dann geh. Aber wir werden dich sehr vermissen, nicht wahr, Binky?“
Binky setzte zum Sprechen an, überlegte es sich aber anders. „Du wirst mir fehlen, altes Haus“, sagte er. Es war das Netteste, was er je zu mir gesagt hatte.
***
Ich schaute aus dem Fenster, während wir nach Süden fuhren und der Winter sich nach und nach in einen traumhaften Frühling verwandelte. Auf den Feldern grasten weiße Lämmer und auf den Deichen blühten die ersten Primeln. Je näher wir London kamen, desto aufgeregter wurde ich. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich nun wirklich auf mich allein gestellt. Zum ersten Mal würde ich eigene Entscheidungen treffen, meine eigene Zukunft planen und einer Tätigkeit nachgehen. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, welche das sein würde. Es sind die 1930er, sagte ich mir. Junge Damen durften nicht mehr nur sticken, Klavier spielen und Aquarelle malen. Und London war eine große Stadt voller Möglichkeiten für eine aufgeweckte junge Person wie mich.
Als ich am Rannoch House ankam, war mein Enthusiasmus verflogen. Kurz vor London hatte es angefangen zu regnen und als wir in King’s Cross einfuhren, schüttete es wie aus Eimern. Jämmerlich aussehende Männer standen in der Euston Road Schlange vor einer Suppenküche und an jeder Ecke waren Bettler. Ich stieg aus dem Taxi und betrat ein Haus, das genauso kalt und trostlos wie Castle Rannoch war. Rannoch House lag auf der Nordseite des Belgrave Square. Ich hatte es als belebten, fröhlichen Ort in Erinnerung, wo Leute kamen und gingen, Theatervorstellungen besuchten, zu Dinnerpartys luden oder Einkaufsexpeditionen unternahmen. Nun ruhte es unter Staubbezügen, leer und kälter als ein Grab. Mir wurde schleichend bewusst, dass ich mich zum ersten Mal im Leben allein in einem Haus befand. Ich blickte zur Eingangstür zurück, halb ängstlich, halb erwartungsvoll. War es dumm von mir gewesen, allein nach London zu gehen? Wie sollte ich allein zurechtkommen?
Nach einem schönen Bad und einer Tasse Tee werde ich mich wohler fühlen, dachte ich. Ich ging nach oben in mein Schlafzimmer. Der Kamin war leer, kein Holz war aufgeschichtet. Ich brauchte ein Feuer, um mich aufzumuntern, aber ich hatte keine Ahnung, wie man ein Feuer machte. Ehrlich gesagt hatte ich noch nie gesehen, wie man das Holz schichtete oder das Feuer entzündete. Man wachte auf und das Feuer knisterte bereits fröhlich, ohne dass man das Dienstmädchen bemerkt hatte, das um sechs Uhr morgens ins Zimmer geschlüpft war, um es anzuzünden. Fig erwartete, dass ich ein Dienstmädchen einstellte, aber mir fehlte das Geld dafür. Ich würde lernen müssen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Doch in diesem Moment fühlte ich mich nicht in der Lage, zu lernen, wie man Feuer macht. Ich war müde, erschöpft von der Reise und ich fror. Ich ging ins Bad und ließ Wasser in die Wanne laufen. Das Wasser stand schon gut sechs Zoll hoch, als mir auffiel, dass aus beiden Hähnen nur kaltes Wasser kam. Offensichtlich war der Boiler ausgeschaltet und ich hatte keine Ahnung, wie ein Boiler aussah oder wie ich ihn zum Laufen bringen konnte. Mir kamen ernsthafte Zweifel an meiner überstürzten Abreise. Hätte ich nur abgewartet und besser geplant, dann hätte ich mir eine Einladung von jemandem sichern können, der in einem warmen, gemütlichen Haus lebte, wo es Bedienstete gab, um mir Bäder einzulassen und Tee zu kochen.
In zutiefst gedrückter Stimmung ging ich wieder nach unten und überwand mich, die Tür zu öffnen, die hinunter zum Dienstbotentrakt des Hauses führte. Ich erinnerte mich, als kleines Kind dort unten gewesen zu sein. Ich hatte auf einem Stuhl gesessen, während Mrs McPherson, unsere Köchin, mir erlaubte, die Schüssel mit Kuchenteig auszulecken oder die Lebkuchenmänner auszustechen. Die große Küche, die halb unter der Erde lag, war blitzsauber, kalt und leer. Ich fand einen Teekessel und sogar eine Streichholzschachtel und einen Fidibus aus zusammengerolltem Papier, um den Gasherd anzuzünden. Ich war sehr stolz auf mich, als es mir gelang, Wasser zu kochen. Ich entdeckte sogar eine Teedose. Natürlich fiel mir genau dann auf, dass es keine Milch gab und auch keine geben würde, wenn ich nicht den Milchmann rief. Milch wurde an die Türschwelle geliefert, soviel wusste ich. Ich durchwühlte die Speisekammer und fand ein Glas Ovril-Fleischbrühe. Ich machte mir eine Tasse heißer Brühe mit Jacob’s Cream Crackern und ging zu Bett. Morgen sieht alles schon anders aus, schrieb ich in mein Tagebuch. Ich habe die ersten Schritte in ein neues und aufregendes Abenteuer gewagt. Wenigstens habe ich mich zum ersten Mal in meinem Leben von meiner Familie befreit.
Rannoch House, Belgrave Square, London
Freitag, 22. April 1932
Selbst der unbedeutendste Angehörige der königlichen Familie sollte nicht zu Fuß im Buckingham Palace eintreffen. Es gehörte sich, mindestens mit einem Rolls Royce oder in bescheideneren Umständen mit einem Bentley oder Daimler vorzufahren. Ideal war eine Staatskarosse, die von einer Truppe perfekt zueinanderpassender Rösser gezogen wurde (obwohl heutzutage die meisten von uns keine Kutschen mehr benutzten). Der Anblick einer einzelnen weiblichen Person, die sich zu Fuß über den Vorhof schlich, würde bei meiner geschätzten angeheirateten Verwandten, Ihrer königlichen Hoheit Queen Mary, für hochgezogene Augenbrauen sorgen. Nun gut, sie würde die Augenbrauen nicht wirklich hochziehen, denn Personen hohen Geblüts waren geschult, sich auch angesichts der größten Unschicklichkeit nichts anmerken zu lassen. Würde ein Ureinwohner aus einer der fernen Ecken der Kolonien seinen Lendenschurz abstreifen und im Tanz seinen Du-weißt-schon-was in fröhlicher Ausgelassenheit herumwedeln, wäre nicht einmal ein Zucken der Augenbrauen erlaubt. Die einzig mögliche Reaktion wäre ein höfliches Klatschen nach dem Tanz.
Diese kontrollierte Art wurde uns von Kindesbeinen an beigebracht, ganz ähnlich wie man Hunde darauf drillt, nicht auf einen Schuss aus nächster Nähe zu reagieren oder Polizeipferden beibringt, beim Aufruhr einer Menschenmenge Ruhe zu bewahren. Miss MacAlister, meine Gouvernante vor meiner Zeit am Schweizer Internat sagte mir immer wie eine Litanei vor: „Eine Lady hat sich immer unter Kontrolle. Eine Lady hat ihren Gesichtsausdruck immer unter Kontrolle. Eine Lady hat ihren Körper immer unter Kontrolle.“
Und tatsächlich gibt es Gerüchte, dass manche königlichen Personen tagelang ohne einen Besuch der stillen Örtlichkeiten auskamen. Ich wäre natürlich nie so indiskret, zu verraten, welche königlichen Personen diese Fähigkeit besaßen.
Glücklicherweise gab es Möglichkeiten in den Buckingham Palace zu kommen, die besser sind, als unter den aufmerksamen Augen der hochgewachsenen Wachen mit den Bärenfellmützen oder gar Ihrer Majestät selbst durch die eindrucksvollen Tore mit den vergoldeten Spitzen zu treten und den weitläufigen Vorhof zu überqueren. Ging man linksherum in Richtung der Victoria Station, konnte man über den Ambassador’s Court zum Besuchereingang eintreten. Und was noch besser war, wenn man der hohen Ziegelmauer entlang dieser Straße folgte, gelangte man zu einer unauffälligen schwarzen Tür in der Mauer. Ich vermute, mein Onkel Bertie nutzte diese Tür, wenn er die fragwürdigeren seiner Damenbekanntschaften besuchen wollte. Ich schätze, mein Cousin David, der aktuelle Prince of Wales, hat sie ab und an genutzt, wenn er seine Eltern besuchte. Ich würde heute ganz sicher Gebrauch von ihr machen.
Ich muss sagen, dass ich den Palace für gewöhnlich nicht freiwillig aufsuchte. Man schaute nicht einfach so auf ein Schwätzchen zum Tee vorbei, auch wenn man verwandt war. Zwei Tage nach meiner Ankunft in London wurde ich zum Palace beordert. Meine geschätzte Verwandte, die Queen, verfügte über eines der besten Geheimdienstnetzwerke des Landes. Ich glaubte nicht, dass Fig sie kontaktiert hatte, aber irgendwie hatte sie Wind davon bekommen. Ein Schreiben auf dem Briefpapier des Palace war eingetroffen. Es kam von Sir Giles Ponsonby Smythe, dem Privatsekretär Ihrer Majestät, und teilte mit, dass Ihre Majestät erfreut wäre, sollte ich zu ihr zum Tee kommen. Das war der Grund, warum ich an diesem Freitagabend die Buckingham Road entlang schlich. Niemand widerspricht I. M. (das ist die Abkürzung für „Ihre Majestät“).
Natürlich war ich mehr als nur ein bisschen neugierig zu erfahren, warum ich gerufen wurde. Es war mir sogar in den Sinn gekommen, dass I. M. mich zum Tee einladen und dann Prinz Siegfried und den Erzbischof von Canterbury hervorzaubern würde, um die Heirat an Ort und Stelle durchzuführen. Ehrlich gesagt fühlte ich mich wie Anne Boleyn, als Henry VIII sie auf einen Schluck Ale einlud und ihr sagen ließ, sie solle keinen hochgeschlossenen Kragen tragen.
Ich hatte meine ehrwürdigen Verwandten nicht mehr gesehen, seit ich als Debütantin eingeführt worden war – ein Anlass, den wir alle nicht so schnell vergessen würden. Ich gehörte zu den Personen, deren Arme und Beine ihnen unter Stress nicht immer gehorchten. Mein Gewand mit seiner langen Schleppe und nicht zu vergessen die drei lächerlich langen Straußenfedern, die an meinem Kopfschmuck hin und her wippten, waren die Zutaten für ein Desaster.
Auf mein Stichwort hatte ich den Thronsaal betreten, hörte die dröhnende Ankündigung – „Lady Victoria Georgiana Charlotte Eugenie von Glen Garry und Rannoch“ – und vollführte den perfekten Knicks, wie ich es eine Million Mal in der Debütantinnenschule gelernt hatte. Doch als ich aufstehen wollte, schien sich mein hoher Absatz irgendwie in meiner Schleppe verfangen zu haben. Ich versuchte mich zu bewegen, aber mein Stiletto hing fest. Ich zog graziös daran, während ich die königlichen Augen auf mir spürte. Nichts passierte. Ich spürte, wie mir Schweißtropfen über meinen bloßen Rücken rannen. (Ja, ich weiß, dass Ladys nicht schwitzen, aber etwas lief meinen Rücken herunter.) Ich zerrte stärker. Der Absatz kam frei und ich wurde in den Thronsaal hineinkatapultiert, als wäre ich eine Kanonenkugel, genau in dem Moment, als ich mich aus der königlichen Präsenz hätte entfernen sollen. Sogar Ihre Majestät blickte milde erstaunt drein, doch es wurde kein Wort gesagt. Weder damals noch hinterher. Ich fragte mich, ob es zusammen mit den Crumpets aufs Tapet kommen würde.
Es gelang mir, einen schmalen Gang entlang der Palastküchen zu betreten. Ich lief den unteren Korridor entlang, vorbei an verschiedenen Haushaltsbüros, erschrockenen Dienstmädchen und Lakaien, bis mich eine aufgeschreckte Stimme zusammenzucken ließ: „Du, Mädchen. Wo denkst du, dass du hingehst?“
Ich drehte mich um und erblickte einen ernsten Gentleman, der auf mich hinabsah. „Ich kenne dich nicht“, sagte er anklagend.
„Ich bin Lady Georgiana, die Cousine Ihrer Majestät“, sagte ich. „Ich bin zum Tee mit Ihrer Majestät hier. Ich werde erwartet.“
Ein unbedeutendes Mitglied des Königshauses zu sein hatte seine Vorteile. Der alte Mann lief tomatenrot an.
„Mylady, ich entschuldige mich. Unvorstellbar, dass ich nicht über Ihre Ankunft informiert wurde. Ihre Majestät erwartet Sie im gelben Salon. Hier entlang, bitte.“
Er führte mich treppauf zum Piano nobile, was nichts mit dem Musikinstrument zu tun hatte, sondern die Etage war, auf der sich der Großteil des königlichen Lebens im Palace abspielte. Der gelbe Salon lag in der südöstlichen Ecke und überblickte die Promenade bis zum Admiralty Arch und sogar den Anfang der Buckingham Palace Road. Ein sehr günstiger Aussichtspunkt. Das Zimmer selbst hatte mir nie gefallen. Die Einrichtung stammte vor allem vom Royal Pavilion in Brighton, wo sie King George IV sammelte, als chinesische Kunst der letzte Schrei war. Viele Drachen, Chrysanthemen und bunt bemaltes Porzellan. Ich fand es ein wenig zu blumig und grell.
„Lady Georgiana, Ma’am“, sagte mein spießiger Freund gedämpft.
Ihre Majestät saß nicht am Tisch beim Fenster, sondern stand im Raum und betrachtete eine der Glasvitrinen, die die Wände schmückten. Sie sah kurz auf, als ich eintrat.
„Ah Georgiana. Ich habe dich nicht ankommen sehen. Hast du ein Taxi genommen?“
„Ich bin gelaufen, Ma’am.“ Ich sollte erklären, dass die Königsfamilie immer mit „Ma’am“ und „Sir“ angesprochen wird, sogar von ihren engsten Verwandten. Ich ging zu ihr, um sie pflichtgemäß auf die Wange zu küssen und einen Knicks zu vollziehen. Die Reihenfolge dieser beiden Handlungen erforderte genaueste Planung. Trotz lebenslanger Übung schaffte ich es, meine Nase an der königlichen Wange zu stoßen, als ich mich aus dem Knicks erhob.
Ihre Majestät richtete sich auf. „Danke, Soames. Tee in fünfzehn Minuten.“
Der ältere Mann verließ den Raum und schloss die Doppeltür. Ihre Majestät widmete sich wieder den Vitrinen. „Erzähl mir, Georgiana“, sagte sie, „stimmt es, dass dein verstorbener Vater eine ausgesuchte Ming-Sammlung hatte?“
„Er hat viele Dinge gesammelt, Ma’am, aber ich fürchte, ich könnte eine Vase nicht von der anderen unterscheiden.“
„Wie schade. Du solltest öfter im Palace vorbeischauen und dich von mir belehren lassen. Im Sammeln von schönen Gegenständen ist so viel Seelenfrieden zu finden.“
Ich wies nicht darauf hin, dass man Geld benötigte, um schöne Gegenstände zu sammeln, und dass ich im Moment eine arme Kirchenmaus war.
Die Queen sah noch immer nicht von der Vitrine auf. „Dein Bruder, der gegenwärtige Duke, hat wohl wenig Interesse an Objets d’art und Antiquitäten?“, fragte sie beiläufig. „Er wurde so erzogen, dass er nach seinem Großvater kommt – jagen, schießen, fischen – der typische Landadlige.“
„Das ist sicherlich wahr, Ma’am.“
„Also ist es möglich, dass noch unzählige Ming-Vasen auf Castle Rannoch herumliegen könnten – unbeachtet?“
In ihrer Stimme lag ein leichtes Zittern und mir wurde auf einmal klar, wohin dieses Gespräch führte. Sie wollte die Kunstgegenstände in die Finger bekommen, die ihrer Sammlung noch fehlten. Mein Verdacht bestätigte sich, als sie wie beiläufig erwähnte: „Ich frage mich, ob du dich einmal umschauen könntest, wenn du das nächste Mal zuhause bist. Es gibt da eine kleinere Vase, genau wie diese, die ausgesprochen gut zu dieser Sammlung passen würde. Und wenn dein Bruder daran eigentlich kein Interesse hat …“
Ihr wollt, dass ich sie für Euch einstecke, hätte ich liebend gern gesagt. Ihre Majestät hatte eine große Leidenschaft für Antiquitäten und wäre sie nicht die Königin von England und die Kaiserin von Indien gewesen, wäre aus ihr die begabteste Händlerin in der Geschichte des Antiquitätenhandels geworden. Natürlich hatte sie ein Ass im Ärmel, das sonst niemand besaß: Wenn sie Bewunderung für irgendeinen Gegenstand ausdrückte, sah das Protokoll vor, dass man ihn ihr überreichte. Die meisten adligen Familien versteckten die guten Sachen, wenn ein königlicher Besuch anstand.
„Ich werde Castle Rannoch nicht mehr oft besuchen, Ma’am“, sagte ich taktvoll. „Jetzt, da das Haus an Hamish gegangen und er verheiratet ist, ist es eigentlich nicht mehr mein Zuhause.“
„Ausgesprochen schade“, sagte sie. „Aber sicher wirst du ihm einen Besuch abstatten, wenn du diesen Sommer zu uns nach Balmoral kommst. Du kommst doch nach Balmoral, nicht wahr?“
„Danke Ma’am. Es wird mir eine Freude sein.“
Wie könnte man ablehnen? Wenn man nach Balmoral eingeladen wurde, ging man hin. Und die gefürchtete Einladung traf einen von uns Verwandten jeden Sommer. Und jeden Sommer versuchten wir angemessene Entschuldigungen zu erfinden, warum wir nicht kommen konnten. Das ging vom Segeln im Mittelmeer bis zu einem Besuch der Kolonien. Es ging das Gerücht um, dass eine Verwandte es sogar fertigbrachte, jedes Jahr während der Balmoralsaison ein Kind zur Welt zu bringen. Das kam mir allerdings etwas übertrieben vor. Es war gar nicht so schlecht für jemanden, der auf Castle Rannoch aufgewachsen war. Die schottengemusterte Tapete und die gleichfarbigen Teppiche, die Dudelsackmelodie im Morgengrauen und der eisige Wind, der durch die offenen Fenster fegte, erinnerten mich an mein Zuhause. Andere hielten es allerdings nur schwer aus.
„Dann können wir Glenrannoch gemeinsam besuchen. So eine hübsche Fahrt, denke ich immer.“ Sie führte mich weg von den Glasvitrinen und hinüber zu einem kleinen Teetisch. Ich musste daran denken, Binky zu schreiben und ihn zu warnen, damit er diesen Sommer das beste Porzellan und Silber unter Verschluss hielt.
„In der Tat vermute ich, mein Sohn David könnte vorhaben, deinen Bruder davon zu überzeugen, dass er eine gewisse Frau über den Sommer nach Castle Rannoch einlädt. David weiß ganz genau, dass sie in Balmoral nicht willkommen ist und Castle Rannoch ist praktischerweise ganz in der Nähe.“ Sie berührte meinen Arm, als ich einen Stuhl hervorzog, damit sie sich setzen konnte.
„Und ich verwende bewusst das Wort ‚Frau‘, denn sie ist gewiss keine Lady“, flüsterte sie. „Eine amerikanische Abenteurerin, schon zweimal verheiratet.“ Sie seufzte, als sie sich setzte. „Warum er niemand Passenden finden und sich niederlassen kann, verstehe ich einfach nicht. Er ist nicht mehr der Jüngste und ich würde ihn gern verheiratet sehen, bevor er die Krone bekommt. Warum kann er nicht jemanden wie dich heiraten, zum Beispiel? Du würdest dich sehr gut machen.“
„Ich hätte nichts dagegen einzuwenden“, sagte ich. „Aber ich fürchte, er sieht mich noch als kleines Mädchen. Er mag weltgewandte, ältere Frauen.“
„Er mag Flittchen“, sagte ihre Majestät kühl. Sie blickte auf, als die Tür geöffnet wurde und man verschiedene Teetabletts hereintrug. „Ah, Schnittchen“, wiederholte sie, nur für den Fall, dass ihr Kommentar die Ohren der Dienstboten erreicht hatte.
Eine Platte nach der anderen wurde auf den Tisch gestellt. Winzige Sandwich-Häppchen, aus denen Kresse hervorlugte, Kuchenplatten voller Miniatur-Eclairs und Erdbeertörtchen. Es war genug, um jemanden, der den ganzen Winter unter Figs strengem Sparregiment gelebt hatte und der sich die letzten zwei Tage von Toast und Baked Beans ernährt hatte, zum Weinen zu bringen. Es waren allerdings keine Freudentränen. Ich war in meinem Leben schon auf genügend königlichen Veranstaltungen gewesen, um das Protokoll zu kennen. Der Gast isst nur das, was Ihre Majestät isst. Und Ihre Majestät würde wahrscheinlich nicht mehr als eine oder zwei Scheiben Vollkornbrot zu sich nehmen. Ich seufzte, wartete, bis sie von dem Brot nahm und nahm ebenfalls eine Scheibe.
„Ich dachte, ich könnte dich als meine Spionin einstellen“, sagte sie, während der Tee eingeschenkt wurde.
„Diesen Sommer auf Castle Rannoch, meint Ihr?“
„Ich muss die Wahrheit früher herausfinden, Georgiana“, sagte sie. „Ich höre nur Gerüchte. Ich möchte einen Bericht aus erster Hand von jemandem, dem ich vertrauen kann. Soweit ich weiß, hat David Lord und Lady Mountjoy überredet, eine Hausparty und einen Maiball zu geben und diese Frau und ihren Gatten einzuladen –“
„Ihren Gatten?“ Ich wusste, dass man die Queen niemals unterbrechen sollte, aber es entfuhr mir einfach.
Sie nickte verständnisvoll. „Solches Benehmen mag in Amerika durchaus akzeptabel sein. Anscheinend lebt sie noch mit ihrem Gatten zusammen. Der Ärmste wird mitgeschleift, um einen respektablen Eindruck zu erwecken und Gerüchte zu zerstreuen. Natürlich kann man Gerüchte nie zerstreuen. Wir haben uns nach Kräften bemüht, die Presse aus dem Thema herauszuhalten, aber David macht ihr immer dreister den Hof und ich glaube nicht, dass wir die Gerüchte noch länger unterdrücken können. Ich sage, er macht ihr den Hof, aber ehrlich gesagt glaube ich, dass es umgekehrt ist. Ich vermute, dass diese Frau ihn unablässig umwirbt. Du weißt, wie er ist, Georgiana. Im Herzen ist er unschuldig, leicht zu umschmeicheln, leicht zu verführen.“ Sie legte die Brotscheibe aus der Hand und beugte sich etwas näher zu mir. „Ich muss die Wahrheit erfahren, Georgiana. Ich muss wissen, ob diese Frau nur auf einen Flirt aus ist oder ob sie ernste Pläne für meinen Sohn hat. Meine größte Sorge ist, dass sie wie alle Amerikaner fasziniert vom Königshaus ist und davon träumt, die Königin von England zu werden.“
„Sicher nicht, Ma’am. Eine geschiedene Frau? Das ist unmöglich.“
„Lass uns hoffen, dass es unmöglich ist. Die einzige Lösung ist, dass der König lange genug lebt, bis David zu alt ist, um als gute Partie zu gelten. Doch ich fürchte, die Gesundheit meines Gemahls lässt nach. Nicht mehr derselbe nach dem großen Krieg. Die Anstrengung war zu viel für ihn.“
Ich nickte voller Mitgefühl. „Ihr sagtet, ich soll Eure Spionin sein?“
„Allerdings. Die Hausparty bei den Mountjoys sollte dir ausreichend Gelegenheit geben, David und diese Frau zusammen zu beobachten.“
„Leider wurde ich nicht eingeladen“, sagte ich.
„Aber du wurdest zusammen mit der Tochter der Mountjoys eingeführt, nicht wahr?“
„Das stimmt, Ma’am.“
„Na, da hast du es. Ich werde verlauten lassen, dass du gerade in London bist und gern deine Bekanntschaft mit dem Mountjoy-Mädchen auffrischen würdest. Die Leute lehnen meine Vorschläge für gewöhnlich nicht ab. Und du musst dich in der Gesellschaft bewegen, falls du jemals einen Ehemann finden möchtest.“ Sie sah mich scharf an. „Also, erzähl mir, was du in London geplant hast.“
„Ich bin gerade erst angekommen, Ma’am. Ich habe noch nicht entschieden, was ich tun werde.“
„Das ist gar nicht gut. Bei wem wirst du bleiben?“
„Im Moment bin ich im Rannoch House“, sagte ich.
Die königliche Augenbraue ging nach oben. „Allein in eurem Stadthaus? Ohne Anstandsdame?“
„Ich bin über einundzwanzig, Ma’am. Ich wurde in die Gesellschaft eingeführt.“
Sie schüttelte den Kopf. „Zu meiner Zeit hatte eine junge Frau bis zum Tag ihrer Hochzeit eine Anstandsdame. Ansonsten konnte ein zukünftiger Ehemann sich nicht sicher sein, ob er nicht – ähm – sozusagen beschädigte Ware erhielt. Keine Anträge in Aussicht?“
„Keine Anträge, Ma’am.“
„Du liebe Güte. Ich frage mich, warum.“ Sie beäugte mich kritisch, als wäre ich eines ihrer Kunstobjekte. „Du bist nicht unattraktiv und zumindest die Hälfte deines Stammbaums ist makellos. Ich kann mir mehrere junge Männer denken, die passend wären. König Alexander von Jugoslawien hat einen Sohn, nicht wahr? Nein, dieser Teil der Welt ist ein wenig zu brutal und zu slawisch. Wie wäre es mit der griechischen Königsfamilie? Dieser bezaubernde kleine blonde Junge? Aber ich fürchte, er ist zu jung, selbst für dich. Natürlich gibt es auch noch den jungen Siegfried, einer der Hohenzollern-Sigmaringer von Rumänien. Er ist ein Verwandter von mir. Gute Herkunft.“
Ach ja, Siegfried. Sie konnte wohl nicht widerstehen, ihn ins Gespräch zu bringen. Ich musste diese Idee ein für alle Mal im Keim ersticken.
„Ich habe Prinz Siegfried mehrmals getroffen, Ma’am. Er wirkte nicht besonders interessiert an mir.“
Sie seufzte. „Das alles war so viel einfacher zu meiner Zeit. Eine Ehe wurde vereinbart und wir haben uns damit arrangiert. Ich hätte eigentlich den Bruder Seiner Majestät, den Duke of Clarence, heiraten sollen, aber er verstarb unerwartet. Als vorgeschlagen wurde, dass ich stattdessen Seine Majestät heiraten sollte, habe ich mich ohne Widerrede gefügt. Wir waren ohne Zweifel recht glücklich und deine Urgroßmutter betete Prinz Albert an, wie wir alle wissen. Vielleicht werde ich sehen, was ich tun kann.“
„Wir haben die 1930er, Ma’am“, stieß ich vor. „Ich bin sicher, ich werde irgendwann jemanden finden, jetzt, wo ich in London wohne.“
„Das befürchte ich, Georgiana. Dein Vater war nicht dafür bekannt, die besten Entscheidungen zu treffen, nicht wahr? Ich bezweifle jedoch nicht, dass du eines Tages verheiratet sein wirst. Hoffentlich mit jemand Passendem. Du wirst lernen müssen, wie man ein großes Anwesen verwaltet und sein Land repräsentiert – weiß der Himmel, deine Mutter war dir dabei kein Vorbild. Wie geht es deiner Mutter zurzeit? Triffst du sie zuweilen?“
„Manchmal, wenn sie durch London schwirrt“, sagte ich.
„Und wer ist ihr jüngster Schönling, wenn man fragen darf?“ Sie nickte dem Dienstmädchen zu, das zum grünen Tee Zitronenscheiben reichte.
„Ein deutscher Industrieller, habe ich gehört“, sagte ich, „aber das ist einige Monate her.“
Ich bemerkte ein kurzes Funkeln im königlichen Auge. Meine strenge Verwandte wirkte zwar steif und unnahbar, aber tief im Innern hatte sie einen Sinn für Humor.
„Ich sollte die Dinge selbst in die Hand nehmen, Georgiana“, sagte Ihre Majestät. „Es ist für junge Mädchen nicht gut, untätig und ohne Aufsicht zu sein. Zu viele Verlockungen in der großen Stadt. Ich würde dich selbst als eine meiner Hofdamen annehmen, doch ich habe im Moment schon eine volle Belegschaft. Lass mich nachdenken. Es ist denkbar, dass Prinzessin Beatrice Verwendung für eine weitere Hofdame hat, obwohl sie nicht mehr so viel ausgeht wie früher. Ja, das wird wundervoll sein. Ich werde mit ihr darüber reden.“
„Prinzessin Beatrice, Ma’am?“ Meine Stimme quiekte ein bisschen.
„Du musst ihr begegnet sein. Die einzig überlebende Tochter der alten Königin. Die Tante des Königs und deine Großtante, Georgiana. Sie hat ein bezauberndes Haus auf dem Land, und auch eines in London, glaube ich, obwohl sie die Stadt nur noch selten besucht.“
Der Tee neigte sich dem Ende zu. Ich war entlassen. Und verloren. Wenn ich in naher Zukunft keine brillante Anstellung fand, würde ich bald eine Hofdame für Queen Victorias einzige überlebende Tochter werden, die kaum noch aus dem Haus ging.
Rannoch House
Freitag, 22. April 1932
Ich kam in zutiefst gedrückter Stimmung aus dem Buckingham Palace. Eigentlich hatte meine gedämpfte Laune begonnen, als meine Saison geendet hatte und mir klar wurde, dass ich einem Leben ohne Mittel und ohne Zukunftsaussichten entgegensah. Nun sollte ich also auf dem ländlichen Anwesen einer gealterten Prinzessin eingesperrt werden, während meine königliche Verwandtschaft mir einen passenden Ehemann suchte. Der einzige Funken Aufregung in meiner trostlosen Zukunft war die Aufgabe, meinen Cousin David und seine neueste „Frau“ zu bespitzeln.
Ich hatte eine Aufmunterung bitter nötig, also nahm ich die District Line, um meine allerliebste Person auf der Welt zu besuchen. Langsam verwandelten sich die Ausläufer der Stadt in die Landschaft von Essex. Ich stieg an der Upminster Bridge aus und kam bald zu einer Ansammlung bescheidener Reihenhäuser am Glanville Drive. Die taschentuchgroßen Vorgärten waren großzügig mit Gartenzwergen und Vogeltränken dekoriert. Ich klopfte an der Nummer 22, hörte ein gedämpftes Grummeln („Ich komme schon, ich komme“) und dann spähte das Gesicht eines Cockneys aus der halboffenen Tür. Es war keck, hatte eine große Nase und war faltig wie eine alte Dörrpflaume. Nach einer Sekunde ging ihm auf, wer ich war und ein breites Grinsen erleuchtete sein Gesicht.
„Da brat’ mir einer einen Storch“, sagte er und öffnete die Tür weit. „Das ist ja mal was ganz Neues. Ich hätte dich nicht mal am Sankt-Nimmerleins-Tag erwartet. Wie geht es dir, meine Liebe? Komm und gib deinem alten Großvater einen Kuss.“
Ich hätte vielleicht erwähnen sollen, dass eine meiner Großmütter zwar die Tochter von Königin Victoria, aber mein einziger noch lebender Großvater ein Cockney-Polizist im Ruhestand war, der in einem Reihenhaus in Essex lebte und Gartenzwerge in seinem Vorgarten hatte.
Sein stoppeliges Gesicht kratzte meine Wange, als er mir einen Schmatz gab, und er roch nach Desinfektionsseife. Ich umarmte ihn so fest ich konnte. „Mir geht es gut, Großvater, danke. Wie geht es dir?“