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Ein Liebesbrief an die faszinierende Kraft, die wir alle in uns tragen: unser InnSæi Wir alle haben InnSæi; es gehört zum Menschsein und zum Leben dazu, unabhängig von Alter, Geschlecht und Herkunft. InnSæi ist immer da, in uns, und schärft unseren inneren Kompass. Die Isländerin Hrund Gunnsteinsdóttir zeigt, wie wir unsere Intuition aktivieren können, diesen inneren Guide, der ohne den logischen Verstand auskommt, vergleichbar mit einem Flow-Zustand, in dem wir die tiefste Form von Aufmerksamkeit erreichen, zu der Menschen fähig sind. Eine Gemütslage, in der wir uns einfach nur gut fühlen. Zugänglich und pointiert erfahren wir, wie wir InnSæi erreichen und in unser tägliches Leben integrieren können, um ein ausgeglicheneres, glückliches Leben zu führen. Mit vielen praktischen Anregungen und Inspirationen aus dem Land mit den weltweit glücklichsten Einwohnern. Eine unterhaltsame, meditative Wohlfühl-Lektüre mit Aha-Erkenntnissen: die eigene Mitte finden – auf Isländisch.
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Seitenzahl: 267
Hrund Gunnsteinsdóttir
Der isländische Weg zu Intuition und innerer Mitte
Ein Liebesbrief an die komplexe und faszinierende Kraft des InnSæi, die Intuition, die in uns allen steckt.
Das isländische Wort «InnSæi» steht für unseren inneren Guide, die Stimme unserer Seele. Und das Beste: Unser Körper trägt bereits alles in sich, um ein ausgeglicheneres Leben führen zu können. Auf persönlicher Ebene hilft uns InnSæi dabei, bessere Entscheidungen zu treffen, empathischer mit unseren Mitmenschen zu agieren und schönere Liebesbeziehungen eingehen zu können. Auf fachlicher Ebene unterstützt es uns bei dem Aneignen neuer Fähigkeiten und der besseren Nutzung der vorhandenen. Zugänglich und pointiert erfahren wir, wie wir InnSæi erreichen und in unser tägliches Leben integrieren können. Eine unterhaltsame, meditative Wohlfühl-Lektüre mit Aha-Erkenntnissen: die eigene Mitte finden – auf Isländisch.
Hrund Gunnsteinsdóttir ist eine isländische (Drehbuch-)Autorin, Regisseurin, Speakerin und Führungskraft im Bereich Nachhaltigkeit. Die Autorin war u. a. für die Vereinten Nationen auf der ganzen Welt unterwegs und lebt momentan in Berlin. Sie schöpft aus ihren persönlichen Erfahrungen, die sie bei der Arbeit mit u. a. NGOs und Kulturschaffenden gesammelt hat, und berät namhafte Universitäten sowie Unternehmen. Ihr Dokumentarfilm «InnSæi – the Sea Within» wurde weltweit erfolgreich gezeigt.
Anja Schünemann studierte Literaturwissenschaft und Anglistik in Wuppertal. Seit 2000 arbeitet sie als freiberufliche Übersetzerin der verschiedensten Genres und hat seitdem große Romanprojekte und Serien von namhaften Autorinnen und Autoren wie Philippa Gregory, David Gilman sowie Robert Fabbri aus dem Englischen ins Deutsche übertragen. Historische Romane sind eines ihrer Spezialgebiete: Von der Antike bis zum Mittelalter, in die frühe Neuzeit sowie bis ins 20. Jahrhundert verfügt sie über einen reichen Wissensschatz, der ihre Übersetzungen zu einem gelungenen Leseerlebnis macht.
Ursprünglich veröffentlicht in englischer Sprache unter dem Titel «InnSæi: Heal, revive and reset with the Icelandic art of intuition» in Großbritannien von Lagom, einem Imprint von Bonnier Books UK Limited, London.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, November 2024
Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
«InnSæi» Copyright © 2024 by Hrund Gunnsteinsdóttir
Covergestaltung zero-media.net, München
Coverabbildung FinePic®, München
ISBN 978-3-644-02155-6
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Ich widme dieses Buch meinen Töchtern Rán und Sif und den jüngeren Generationen.
Und Ihnen, den Leserinnen und Lesern, wer immer Sie sein mögen: Das hier ist für Sie. Ich hoffe, es macht Ihnen Freude, in die Welt von InnSæi einzutauchen – sie ist, wie ich finde, ein wunderbarer Ort. Seien Sie mutig und bewahren Sie sich ein offenes Herz.
(gesprochen «In-sai-eh»)
Dieses Buch ist ein Liebesbrief, eine Ode an die großartige, komplexe, dem Verstand weitgehend unzugängliche, aber faszinierende Welt, die wir alle in uns tragen: unser InnSæi, das Meer in uns. Im Folgenden werden wir erkunden, wie wir in diese innere Welt eintauchen können, um uns zu regenerieren und uns wieder mit der Welt um uns herum zu verbinden. Das Buch basiert auf der Überzeugung, dass wir umso mehr Teil der wunderschönen, großzügigen Welt außerhalb von uns werden können, je mehr wir mit einem starken inneren Kompass durchs Leben navigieren, der mit unserem InnSæi im Einklang ist. Um es mit den Worten des Planetenwissenschaftlers und Astronomen Carl Sagan zu sagen: «Der Kosmos ist auch in uns. Wir sind aus Sternenstoff gemacht. Wir sind ein Weg für den Kosmos, sich selbst zu erkennen.» Was wir in uns finden, in unserem Geist, projiziert sich auf die Welt um uns herum.
Ich liebe die Alchemie der Worte und wie sie uns helfen können, einen Sinn in den Dingen zu erkennen. InnSæi, das isländische Wort für Intuition, beschreibt auf poetische Weise das Wesen der Welt in uns. Es hat drei Bedeutungen: das innere Meer; nach innen sehen; und von innen heraus sehen. Das innere Meer impliziert dynamische Bewegung – diese innere Welt kann man nicht eingrenzen und in Raster pressen, weil sie dann nicht mehr fließen kann. Nach innen sehen heißt, sich selbst gut genug zu kennen, um sich in andere Menschen hineinzuversetzen und Verbindungen zu knüpfen, durch die wir uns laufend regenerieren. Und von innen heraus sehen schließlich impliziert einen starken inneren Kompass, der es uns ermöglicht, im sich ständig wandelnden Ozean des Lebens zu navigieren und unseren eigenen Weg zu finden.
InnSæi ist ein Wort aus der Welt des Wassers, deshalb hat auch dieses Buch einen starken Bezug dazu. Es erzählt von Ozeanen, Eisschollen, Erkundungen der Unterwasserwelt, Kompassen, dem Fluss von Informationen und dem Pflanzensaft der Bäume. Wir werden viele faszinierende Abläufe in den komplexen Ökosystemen der Natur betrachten und uns mit dem Verhalten der winzigsten Lebewesen darin beschäftigen. Die Welt des InnSæi und der Intuition ist im Wesentlichen grenzenlos und nicht greifbar. Deshalb kann sie für quantitative, wissenschaftsbasierte Forschung schwer zu messen und in Zahlen auszudrücken sein. Für uns ist es darum nicht weniger wichtig, sie zu erkennen, zu würdigen und uns mit ihr anzufreunden. InnSæi folgt einer anderen Logik als rationale, greifbare, bewusste, problemlösungsorientierte Ansätze, die leicht repliziert und auf standardisierte Weise gelehrt werden können. Dieses Buch untersucht, wie die Intelligenz von InnSæi sich im ganzen Körper ausdrückt: Haut, Rückgrat, Nervensystem, Gehirn, Herz, Bauch und die Sinne. Sie werden beim Lesen immer wieder daran erinnert werden, dass alles miteinander verbunden ist: Wir bestehen im Grunde aus demselben Material wie die Sterne, und neuere wissenschaftliche Entdeckungen – auf den Gebieten der Humangenetik sowie der Messung von Hirnströmen und elektromagnetischen Feldern unseres Körpers – zeigen, dass gar nicht so klar ist, wo Sie zu Ende sind und ich anfange. Sowohl wir Menschen als auch der Planet Erde haben Grenzen, die wir nicht überschreiten können, ohne dass wir Gefahr laufen, unsere Fähigkeit zur Regeneration zu verlieren. InnSæi schließt all das ein, und wenn wir uns tief mit unserem InnSæi verbinden, verkörpern wir dieses Verständnis von uns selbst und unserer Stellung in der Welt. Es verändert die Art und Weise, wie wir handeln und uns in die Welt projizieren.
Ich hatte kein wirkliches Verständnis von InnSæi, ehe ich meine Träume verfolgt habe und in die große weite Welt hinausgegangen bin, wo ich einen Zusammenbruch erlitt. Ich verlor die Hoffnung und durchlebte großen Schmerz. Schließlich fand ich einen Weg, zu heilen und mich selbst neu zu entdecken. Damals mit Ende zwanzig, als ich meine dunkelsten Stunden durchlebte, hätte ich mir nicht träumen lassen, was dieser Schmerz in mir bewirken würde: dass er mich an Orte führen würde, an denen ich ganz bemerkenswerte Menschen kennenlernte, dass ich ein akademisches Programm entwickeln und an einem Dokumentarfilm zu InnSæi mitarbeiten würde, der weltweit gezeigt werden sollte. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass RuPaul sich auf Twitter zu unserem Film InnSæi – Die Kraft der Intuition (Originaltitel InnSæi – the Sea Within) äußern würde, dass Menschen sich InnSæi auf den Körper tätowieren lassen oder unglaubliche Kunstwerke erschaffen würden, die durch das innere Meer inspiriert sind.
Dieses Buch überspannt Jahrhunderte, und wir werden die Welt um uns herum neu entdecken, indem wir die Welt im Inneren würdigen und erkunden. Dieses Buch erzählt persönliche Geschichten aus aller Welt, unter anderem auch meine eigene, und es führt Wissen und Weisheit aus unterschiedlichen Kulturen, aus der Wissenschaft und den Künsten zusammen.
InnSæi kann schlafen, wenn wir es ignorieren oder versuchen, es zum Schweigen zu bringen; aber unser Leben hängt buchstäblich davon ab, dass wir uns mit ihm verbinden. Wenn wir mit InnSæi in Einklang kommen, aktivieren wir es. Meine Geschichte – wie ich vor die Wand gelaufen bin und die Hoffnung verloren habe – ist durchaus kein Einzelfall. Viele Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Eine Zeit lang hatte ich das Gefühl, nichts um mich herum sei fest und sicher, und das Leben war unglaublich schwer, einsam, düster und hoffnungslos. Schließlich fand ich meinen Weg zurück zu mir selbst, in mein tiefes Inneres, an den einen wahrhaft sicheren Ort. Ich lernte, mich mit dem Universum in mir zu verbinden und mich darin zurechtzufinden, durch Körperübungen, durch tiefgehende Beschäftigung mit Wissenschaft, Philosophie, Literatur, alten Weisheitslehren, durchs Schreiben und durch einfache, aber regelmäßige Übungen.
Im Laufe der letzten zwanzig Jahre hat InnSæi mir den Mut gegeben, meinem inneren Kompass zu folgen, wohin auch immer er mich führen will. Dafür bin ich unsäglich dankbar. Beruflich hatte ich bis heute an die dreißig verschiedene Rollen inne. Ich war Filmemacherin, Beraterin, Dichterin, Statistikerin, Schulleiterin, Dramatikerin, Unternehmerin, Aktivistin, Träumerin, künstlerische Leiterin, Geschäftsführerin, Gründerin, Vorstandsvorsitzende und was noch alles. Aber die einzige Rolle, mit der ich mich wirklich identifiziere, ist, einfach ich selbst zu sein, Hrund, im Herzen Künstlerin, Visionärin und eine Verwirklicherin von Ideen. Ich könnte durchaus auch von mir sagen, dass ich eine Heilerin bin, eine Kriegerin des Lichts und eine Zauberin. Es kommt immer darauf an, wie ich mich am jeweiligen Tag fühle – darin liegt eine große Freiheit. Man kann die Welt auf vielerlei Arten sehen; hier stelle ich meine Sicht vor.
Dieses Buch richtet sich an diejenigen unter uns, die die innere Welt erkunden und in sie eintauchen wollen, um unser Gefühl der Zugehörigkeit zu vertiefen, unsere Beziehung zu uns selbst, zu anderen Menschen und dem Planeten Erde.
In Kapitel 1, «Was ist InnSæi?», betrachten wir die unterschiedlichen Definitionen von Intuition in verschiedenen Denkschulen, Kulturen und Fachrichtungen. Wir erkunden die kulturellen Ursprünge von InnSæi, was es wirklich bedeutet, wodurch es getrübt und blockiert wird und warum es für mich zum heiligen Gral wurde, mich mit ihm zu verbinden, um wieder auf die Beine zu kommen und mich neu zu orientieren. Ich erzähle von Momenten in meinem Leben und davon, wie ich aufgewachsen bin. Geschichten über die Lebenswege von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund vermitteln uns ein tieferes Verständnis von InnSæi. Wir entdecken, dass InnSæi auf der Grundlage von Erfahrung und Expertise die höchstmögliche menschliche Intelligenz hervorbringt. Wir werden sehen, dass ein einziges Wort uns die Welt völlig neu erschließen kann, wenn wir seine Bedeutung in unserem Leben wahrhaft verkörpern. InnSæi nimmt durch jeden Teil unseres Körpers Informationen auf, daher führt uns dieses Kapitel auch vor Augen, auf welch vielfältige Weise wir die Welt wahrnehmen können. Und es bereitet uns darauf vor, die Werkzeuge, Tipps und Übungen anzuwenden, die im Laufe des Buches vorgestellt werden.
In Kapitel 2, «Die heilende Kraft von InnSæi», werden wir erfahren, was es bedeutet, unsere Verbindung zu InnSæi zu verlieren und sie schließlich wiederzufinden. Wir alle machen in unserem Leben traumatische Erfahrungen durch. Ganz gleich, ob die Prüfungen groß oder klein sind, es sind unsere Erfahrungen, und sie prägen uns. Dieses Kapitel zeigt uns, wie wir aus schmerzlichen Erfahrungen als stärkere, mitfühlendere, weisere Menschen hervorgehen können. Ich teile meine eigene Geschichte darüber, wie die Dunkelheit mich zwang, den Blick nach innen zu richten, da ich nicht wusste, wohin ich mich sonst hätte wenden können. Es dauerte einige Zeit, bis ich aus dieser Dunkelheit wieder herausfand, und ich wusste nicht, ob ich lediglich überleben oder jemals wieder wirklich lebendig sein würde.
Wir können uns den Schmerz zum Freund machen. Das veranschaulicht der Mythos von Inanna, der alten mesopotamischen Göttin des Lebens und des Todes. Ihre Geschichte lehrt uns, wie Schmerz uns zu mehr Menschlichkeit und Weisheit verhelfen kann. Man kann es sich bildlich wie bei einem Gletscher vorstellen: Entweder friert unser Schmerz in uns ein, oder es gelingt uns, ihn anzunehmen, zu vergeben und loszulassen, dann schmilzt er und verflüchtigt sich. Die Verbindung zu InnSæi wiederzufinden, hat die Art und Weise verändert, wie ich die Dinge wahrnehme, und es hat mir geholfen, lebensverändernde Entscheidungen zu treffen. Mithilfe von InnSæi habe ich verstanden: Wenn wir die Welt als fragmentiert, bürokratisch und von Rastern bestimmt wahrnehmen, fängt sie an, sich auch so anzufühlen. Statt in dieser geteilten Welt zu bleiben, wollte ich mich wieder mit meinem Inneren verbinden, mit Menschen und der Welt um mich herum in Kontakt sein, präsent, mutig und großzügig im Geist. Dieses Kapitel stellt auch Erkenntnisse von Menschen vor, die rausgefunden haben, dass sie ihre eigenen Heiler sind; je mehr wir uns mit unserem Inneren verbinden und unsere innere Welt heilen, umso besser können wir zur Welt um uns herum in Beziehung treten und umso mehr können wir in ihr erreichen.
In Kapitel 3, «Das innere Meer», tauchen wir in unsere grenzenlose und dynamische innere Welt ein, die ständig im Fluss ist und uns hilft, neue Verbindungen zu knüpfen. Der Ozean ist die älteste Metapher für Bewusstsein; und auch wenn unser Wissen über beides ziemlich beschränkt ist, so ist doch klar, dass sie vieles gemeinsam haben. Das hilft dabei, das innere Meer zu verstehen und den Zugang zu ihm zu finden. Manchmal gelingt es am besten, unser InnSæi zu aktivieren und mit ihm in Einklang zu kommen, wenn wir uns so in eine Tätigkeit vertiefen, dass wir ganz darin aufgehen, die Zeit vergessen und in einen Flow geraten.
Die Welt, in der wir leben, ist komplex, in schnellem Wandel und nicht linear. Sie hat – bildlich gesprochen – viel mit dem Ozean gemeinsam, der 70 Prozent der Erdoberfläche bedeckt. Ungewissheit ist die einzige Konstante, und die Unwägbarkeiten von Gezeiten und Wellen fordern uns heraus, uns bewusst zu machen, wohin wir wollen und wie wir dorthin gelangen können. Die beste Möglichkeit, auf dem Ozean des Lebens zu navigieren, ist, sich mit dem inneren Meer vertraut zu machen. Wir müssen den Kopf über Wasser halten, um nicht zu ertrinken, und dann müssen wir entscheiden, welche Richtung wir einschlagen. Selbstbewusstheit und emotionale Intelligenz sind wichtig, beide helfen uns, mit anderen in Beziehung zu treten und Zugang zu unserem InnSæi zu erlangen. Das Wort Emotion ist von dem lateinischen Verb für «bewegen, aufwühlen oder erregen» abgeleitet. Lassen Sie sich vom Ozean bewegen, aufwühlen und erregen, aber gehen Sie nicht darin unter. Seien Sie nicht das Meer – navigieren Sie auf ihm. Wir benötigen navigatorische Fähigkeiten, aber wir müssen uns beim Navigieren von unserem inneren Kompass leiten lassen. Sonst laufen wir Gefahr, auszubrennen, die Orientierung zu verlieren, uns ausgelaugt und erschöpft zu fühlen und die Werte anderer zu leben statt unserer eigenen.
Die letzten zwei Kapitel erklären, wie wir InnSæi für uns nutzbar machen und es praktisch anwenden können. In Kapitel 4, «Nach innen sehen», richten wir das Augenmerk auf die Welt in uns, erkunden ihre schönen und mitunter chaotischen Landschaften und lernen, durch die zahlreichen Filter in uns und um uns herum zu sehen. Zu diesen zählen die Ängste, Wünsche und Vorurteile, die unsere Verbindung mit InnSæi blockieren und verfälschen können. Wir vertiefen weiter unser Verständnis von Aufmerksamkeit, wie sie uns den Zugang zu InnSæi ermöglicht und eine Grundlage dafür bildet, einen Paradigmenwechsel in Gang zu setzen, der im Inneren beginnt. Dieses Kapitel betrachtet unsere Aufmerksamkeit als ein extrem knappes und kostbares Gut auf einem Billionen-Dollar-Markt. Es ist wichtig, dass wir uns bewusst machen und steuern, wie wir die Welt wahrnehmen – denn unsere Eindrücke wirken auf unser InnSæi. Sonst können Marktkräfte unsere Aufmerksamkeit kapern und unsere Wahrnehmung, unsere Gedanken und unser Handeln verzerren. Dieses Kapitel umreißt die verschiedenen Arten, wie wir die Welt wahrnehmen können, und es stellt fünf Rituale vor, die uns helfen sollen, den Weg zu InnSæi freizumachen, achtsamer damit umzugehen, unsere schöpferische Kraft zu aktivieren und uns der Welt um uns herum zu öffnen.
Kapitel 5 schließlich, «Von innen heraus sehen», führt vieles von dem zusammen, was wir in den vorangegangenen Kapiteln besprochen haben. Es stellt einen Ansatz vor, der uns hilft, InnSæi in unserem Leben praktisch anzuwenden. Ich nenne dieses moderne Navigationswerkzeug «zwei Rhythmen und ein starker innerer Kompass». Der menschliche Geist hat sein eigenes Kreislaufsystem, das sich laufend erneuern und weiterentwickeln muss. Wir wissen auch, dass InnSæi verkörpert, also im Körper beheimatet ist, und seine eigenen rhythmischen Strömungen hat. Je besser wir uns diese natürlichen Rhythmen nutzbar machen, umso kreativer, intelligenter und geerdeter können wir werden.
Deshalb erkunden wir in diesem Kapitel, wie wir im Wechselspiel der beiden scheinbar gegensätzlichen Rhythmen funktionieren – des Kreativen und des Rationalen, des Intuitiven und des Analytischen, des Subjektiven, Erfahrenen und Erspürten gegenüber dem Berechneten, Geplanten und Organisierten. Wenn wir diese beiden Rhythmen in ein Gleichgewicht bringen können, erreichen wir ein Höchstmaß an Intelligenz, Wohlbefinden, Vorstellungskraft und Einfühlung. Die beiden Rhythmen und ein starker innerer Kompass befähigen uns, in Einklang mit unserem dynamischen InnSæi zu bleiben und es zu stärken, unsere Energie und unseren Geist laufend zu regenerieren und unser Herz offen zu halten, während wir auf unserem inneren Ozean durch Stürme und Flauten navigieren. In diesem Kapitel vertiefen wir die Frage, wie wir einen Flow-Zustand zu einem Bestandteil unseres täglichen Lebens machen können. Wir erfahren, dass ein Gefühl der Ehrfurcht von unschätzbarem Wert ist, wenn es darum geht, unsere Denkmuster zu verändern und großzügiger, kreativer und zugewandter zu werden.
Unsere Generationen stehen vor gewaltigen Herausforderungen, die nicht nur menschengemachte Grenzen und jede Art von Rastern überschreiten, sondern ganz konkret unser Leben auf der Erde bedrohen. Nie zuvor benötigten wir so dringend menschliche Superkräfte wie Kreativität, Empathie, Toleranz und geistige Offenheit. Nie zuvor brauchten wir die lebhafte Vorstellungskraft so vieler, um eine nachhaltige Zukunft für uns alle zu schaffen. Diese Superkräfte sind dadurch bedroht, dass wir heutzutage rationales Denken und Algorithmen allzu sehr in den Vordergrund stellen, ständig mit Informationen, Ablenkungen und Verunsicherung überflutet werden und immer mehr an Burn-out, Ängsten und Stress leiden. Unsere größte Hoffnung auf eine bessere Zukunft liegt darin, unseren Schwerpunkt zu verlagern und uns stärker mit uns selbst, mit anderen Lebewesen und mit der Natur zu verbinden.
Manche Menschen denken, sie gehören der Welt, während andere denken, die Welt gehört ihnen. Aber die Welt war schon lange vor uns da, und wir müssen verhindern, dass unsere Kräfte unsere Weisheit übersteigen und unseren Fortbestand bedrohen. Wir haben heute Zugang zu Technologie und wissenschaftlichen Möglichkeiten, von denen wir früher nicht zu träumen gewagt hätten, aber wir müssen das kostbare Gleichgewicht zwischen innerer und äußerer Welt und die existenzielle Verbindung zwischen uns und der Natur wiederherstellen.
Wir neigen dazu, uns von Dingen außerhalb von uns abhängig zu machen und ihnen einen hohen Stellenwert beizumessen. Aber je mehr wir Äußeres in den Vordergrund rücken, umso mehr leben wir im Kopf und nicht als ganze Menschen. Wir müssen uns darauf besinnen, dass Technologie und Wissenschaft Mittel zum Zweck sind, und dieser Zweck sollte sein, dass die Ökosysteme und alle Lebewesen (uns Menschen eingeschlossen) gedeihen. Wenn wir die Verbindung zur Natur verlieren, sind wir nicht mehr inspiriert, wir existieren nur noch und nehmen weniger Anteil. Darum ist es so wichtig, in Kontakt mit InnSæi zu sein. Es erfüllt uns mit Licht und befähigt uns, aus dem Chaos einen Kosmos zu erschaffen, indem wir uns auf die Frequenz unserer Seele einstimmen.
InnSæi hilft uns dabei, uns im Geiste der alten polynesischen Seefahrer ins Unbekannte vorzuwagen – zu sehen, was wir normalerweise nicht sehen können, und zu hören, was wir normalerweise nicht hören können. Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich glaube, dass InnSæi eine dringend benötigte Superkraft ist in einer Welt, in der wir vielfältige Anforderungen an uns selbst stellen, in der das Leben sich unglaublich rasant, intensiv und belastend anfühlen kann und in der – angesichts des Zustands, in dem unser Heimatplanet sich befindet – niemand wissen kann, was die Zukunft bringen wird. Sowohl der Planet als auch die Menschheit brauchen jetzt einen anderen, menschlicheren, ökozentrischen (anstatt egozentrischen) Kompass, um in die kommenden Jahre zu navigieren. Die Veränderung, die wir in der Welt sehen wollen, beginnt in uns. Systeme haben keinen eigenen Geist – wahre Veränderung geht von Individuen und Gruppen aus. Ich bin überzeugt, dass InnSæi eine treibende Kraft hin zu einer florierenden Welt und größerem Wohlergehen sein kann, sowohl für den Einzelnen als auch für die Gemeinschaft als Ganzes.
Die Kunst des InnSæi soll Sie ermutigen, in die wunderbare innere Welt einzutauchen, um sich für die Welt um Sie herum zu öffnen.
Intuition ist eine fantastische Bibliothek, die jeder Mensch in sich trägt. Wir haben die Fähigkeit, diese Bibliothek zu nutzen. Wir können fließend darin lesen. Werden wir die Informationen dafür nutzen, die weisesten Entscheidungen zu treffen, zu denen wir fähig sind, und nicht nur die cleversten?
Daniel Shapiro, Autor und Direktor des Harvard International Negotiation Program
Intuition – oder InnSæi – war der Schlüssel zu meiner Reise zurück zu mir selbst und von da hinaus in die Welt, wo ich mich zugehörig, verbunden und im Einklang fühlte. InnSæi existiert in allen Menschen, aber Sie würden staunen, wenn Sie wüssten, wie unterschiedlich wir es betrachten, abhängig von unserer Sprache, Fachrichtung und Denkschule.
Das Cambridge Dictionary definiert Intuition als «eine Fähigkeit, etwas unmittelbar zu verstehen oder zu wissen, eher gefühls- als faktenbasiert». Wir alle kennen dieses Gefühl, instinktiv zu wissen, dass etwas nicht stimmt, oder auch die innere Gewissheit, dass alles in Ordnung ist. Es ist ein Bauchgefühl, ein Instinkt – Malcolm Gladwell nennt es in seinem Buch Blink! (2005) die Kraft des «Denkens ohne Denken».
In den letzten Jahren wurde viel über Intuition geforscht und geschrieben, und unterschiedliche Ideen und Theorien haben sich herausgebildet. Manche Forschende sehen Intuition als psychologisches und spirituelles Konzept, den Rückgriff auf ein angeborenes, unbewusstes Wissen. Die entgegengesetzte Extremposition betrachtet Intuition als den Schlüssel zu intellektuellem Genie oder dessen Gegenteil – einen irrationalen Impuls, auf den wir uns nicht verlassen sollten.
Ich selbst habe mich mehr als zwei Jahrzehnte lang wissenschaftlich wie auch praktisch mit diesem Thema beschäftigt und mit Menschen in aller Welt Gespräche über Intuition geführt, meist auf Englisch. Am Ende hatte ich das Gefühl, das isländische Wort für Intuition, InnSæi, mit ganz neuen Augen zu betrachten. Endlich war ich in der Lage, seine Bedeutung zu verkörpern, und auf einmal ergab alles einen Sinn. InnSæi ist ein poetisches Wort, verwurzelt in den Naturgewalten. Es beschreibt ein tiefes, angeborenes Gefühl der Intuition, das uns mit uns selbst, miteinander und mit der Welt um uns herum verbindet. Es gibt viele Ansätze, die Welt zu erklären – in diesem Buch beschäftigen wir uns damit, wie man es unter dem Blickwinkel von InnSæi tun kann.
Einklang bedeutet, dass Körper, Geist und Seele harmonisiert sind und Sie Zugang zu Ihrem InnSæi haben.
Sie fühlen sich in sich selbst geerdet und navigieren nach Ihrem eigenen inneren Kompass.
Im Einklang zu sein, versetzt Sie in die Lage, mühelos zu handeln – was auch ein Selbstzweck sein kann.
Wenn Sie mit einer bestimmten Rolle, Tätigkeit oder Entwicklung im Einklang sind, fühlt es sich an, als ob sich alles so ergibt und fügt, wie es sollte.
Ihr Tagebuch sollte stets zur Hand sein. Sie werden es brauchen, um hineinzuschreiben und um sich frühere Einträge noch einmal anzuschauen, während Sie dieses Buch lesen und die verschiedenen Übungen ausprobieren.
Das moderne Isländisch geht auf das Altnordische zurück, die Sprache der Wikinger. Zwar hat sich das Isländische, wie andere Sprachen auch, mit der Zeit verändert und weiterentwickelt, aber Menschen in Island sind auch heute noch in der Lage, die ältesten erhaltenen Texte zu lesen, die im 12. und 13. Jahrhundert geschrieben wurden. Im Isländischen übernehmen wir keine Fremdwörter (wie Computer oder Smartphone), und wir konstruieren auch keine Entsprechungen auf der Grundlage der isländischen Phonetik, wie andere Sprachen es tun. Stattdessen kreieren wir für neue Ideen oder technische Innovationen neue Wörter, und diese Wörter beschreiben meist die Funktion der betreffenden Sache oder Idee. Zum Beispiel heißt Computer auf Isländisch tölva. Dieses Wort wurde 1965 von dem isländischen Gelehrten, Schriftsteller und Botschafter Sigurdur Nordal geprägt, zusammengesetzt aus tala (das bedeutet «Zahl») und völva (das bedeutet «Prophetin»). Eine völva ist im Altnordischen und Isländischen eine Schamanin oder Seherin – eine Frau, die in die Zukunft blicken kann –, und die weibliche Seherin ist ein wiederkehrendes Motiv in der nordischen Mythologie. «Isländisch ist daher eine relativ transparente Sprache, anders als viele andere Sprachen», sagt Gudrun Nordal, Leiterin des Árni-Magnússon-Instituts für Islandstudien und Enkelin des verstorbenen Sigurdur Nordal.
Während das Wort Intuition in englischen Texten erstmals um das 15. Jahrhundert auftauchte und im Deutschen im 18. Jahrhundert in Gebrauch kam, fand InnSæi erst im frühen 20. Jahrhundert Eingang in die isländische Schriftsprache. Erste Belege finden sich etwa in einem Buch von der Theosophin Annie Besant, aus dem Englischen übersetzt von Sigurður Kristófer Pétursson veröffentlicht 1916 unter dem Titel Lífsstiginn.
Um die Bedeutung des Wortes InnSæi zu entschlüsseln, muss man sich anschauen, wie es zusammengesetzt ist. Darum verwende ich die Schreibweise InnSæi (gesprochen «In-sai-eh») mit großem I und großem S. Wenn Sie das Wort in einem isländischen Wörterbuch nachschlagen, werden Sie es allerdings ganz in Kleinbuchstaben geschrieben finden: innsæi.
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, hat InnSæi eine dreifache, poetische Bedeutung. Es vereint zwei Wörter in sich: Inn (das heißt «in», «innen» oder «hinein») und Sæi (abgeleitet von dem Verb für «sehen», allerdings klingt darin auch sær an, das Wort für «Meer»). Kurz gesagt, ist InnSæi unser innerer Guide, die Stimme unserer Seele, und in Gebieten, in denen wir uns auskennen, kann es uns zu intellektuellen Höchstleistungen verhelfen.
Das innere Meer beschwört die grenzenlose Natur unserer inneren Welt herauf. Sie ist ständig in Bewegung und knüpft immer neue Verbindungen. Sie übersteigt alle Worte. Sie ist eine Welt der Vision, der Gefühle und der Imagination. In ihr sind die Unterströmungen sich abzeichnender Richtungen im Leben beheimatet, ein Gefühl des Einklangs, und hier regen sich Instinkte zu wichtigen Entscheidungen, noch ehe wir sie in Worte fassen können. Das innere Meer kann man nicht in Raster und Schubladen pressen, denn dann hört es auf zu fließen.
Nach innen sehen bedeutet, in sich hineinzuschauen – sich selbst gut genug zu kennen, um die eigene Kreativität zu erkennen, die eigenen inneren Überzeugungen und die eigene Menschlichkeit. Dazu gehören Makel und Schwächen ebenso wie Stärken, Vorurteile, Ängste und Verletzlichkeiten. Wenn Sie nach innen sehen, sind Sie in höherem Maße fähig, Empathie zu empfinden, Ihre Wahrheit auszusprechen und ein authentisches Leben zu führen.
Von innen heraus sehen schließlich bedeutet, dem inneren Kompass zu folgen. Sie sind bewusst in der Welt präsent, und Ihr Herz, Rückgrat, Kopf und Bauch sind im Einklang. In einer Welt voller Unsicherheit, Möglichkeiten, Schnelligkeit und unablässiger Versuche, unsere Sinne zu betäuben und unsere Aufmerksamkeit zu kapern, verhilft ein starker innerer Kompass Ihnen zu Klarheit, Fokus und Resilienz. Er befähigt Sie, besser auf Ihrem ganz eigenen Weg über den Ozean des Lebens zu navigieren.
Ich bin in Island aufgewachsen, und auch wenn wir InnSæi nicht oft beim Namen nannten, war es doch irgendwie immer da, es lag in der Luft und regte meine Vorstellungskraft an. Als Kind verbrachte ich viel Zeit in der freien Natur, erkundete die Lavafelder in der Nähe meines Elternhauses oder lief vor den Trollen davon, die in meiner Fantasie hinter mir her waren und mich von meiner Familie entführen wollten. Ich streifte stundenlang umher und verlor dabei jedes Zeitgefühl.
Als sechsköpfige Familie reisten wir in den Sommermonaten durch Island, machten Camping oder unternahmen Tagesausflüge, wann immer wir die Gelegenheit hatten und das Wetter es zuließ. Ich erinnere mich, dass ich schon früh allein nach Hause ging, etwa mit sechs Jahren. An Winterabenden, nach einem langen Tag mit meinen Freundinnen, fürchtete ich mich nie vor der Dunkelheit. Wenn ich mich in den Schnee legte und in den Nachthimmel voller Sterne hinaufblickte, fühlte ich mich in der großen weiten Welt dort draußen so richtig zu Hause. In meiner Fantasie unterhielt ich mich mit den Sternen und erlebte mit ihnen Momente der Gemeinsamkeit.
Meine Mutter ist Künstlerin, und sie brachte sich schon früh selbst das Klavierspielen bei. Später, in den Vierzigern, absolvierte sie ein Kunststudium und gründete mit vier anderen Künstlerinnen zusammen eine Galerie. Sie erfüllte das Haus mit ihrer wunderschönen Musik, wenn sie auf dem weißen Klavier im Wohnzimmer spielte, wann immer ihr voller Terminplan es zuließ. Meine Geschwister und ich zeichneten oder malten währenddessen, nähten oder werkelten im Haus, und manchmal blieben wir noch lange auf, wenn eigentlich schon Schlafenszeit war.
Bevor ich überhaupt schreiben konnte, tippte ich schon auf der alten Schreibmaschine meiner Großmutter und tat, als schriebe ich kleine Geschichten. Mit acht Jahren verkündete ich, dass ich plante, mein erstes Buch zu veröffentlichen. Ich wusste, wie es aussehen sollte – mit braunem Ledereinband –, von der Handlung hatte ich allerdings keine so genaue Vorstellung. Manchmal machten meine Geschwister sich über mich lustig, und das verletzte mich tief, so tief, dass ich mich manchmal für gefühlte Stunden in meinem Zimmer einschloss und mit niemandem redete außer mit meiner Mutter. Sie behütete meine Fantasie, indem sie sich meine Ideen anhörte und sie ernst nahm.
Im Alter von neun Jahren gründete ich zusammen mit meiner Freundin Edda eine Firma. Wir gaben ihr den Namen «le Crabe», weil wir einen Stapel Aufkleber mit einer weißen Krabbe auf rotem Grund und dem Schriftzug le Crabe gefunden hatten. Mein Vater schenkte uns ein altes Scheckbuch, das unserem Unternehmen den Anschein großer Ernsthaftigkeit verlieh. In Wirklichkeit taten wir nichts anderes, als Briefe mit mehr als hundert Brieffreundinnen und -freunden in aller Welt auszutauschen. Wenn wir mal einen Tag keine Briefe erhielten, dachten wir, es müsse ein Fehler bei der Zustellung passiert sein. Wir marschierten dann zusammen zum Postamt und baten, noch einmal nachzuschauen, ob für uns nicht doch Briefe gekommen waren.
Als ich etwa zehn war, fragte ich meinen Vater, ob ich mir in seiner Reifenfirma ein Büro einrichten dürfe – das schien mir der nächste logische Schritt zu sein. Er lehnte meine Bitte höflich ab und gab sich alle Mühe, mich nicht auszulachen. Dad hatte zwei unserer Häuser gebaut und zusammen mit meinem Großvater ein Unternehmen aufgebaut, das er jahrzehntelang leitete. Er spielte Handball und war in den 1970ern Kapitän der Nationalmannschaft. Später wurde er für das Golf-Nationalteam der Senioren ausgewählt. Kurz gesagt, ich bin mit Eltern aufgewachsen, deren breit gestreute Fähigkeiten und Leidenschaften die Gebiete Sport, Kunst und Unternehmertum abdeckten – lauter Bereiche, die Vorstellungskraft, Kreativität und Tausende Stunden Training und Praxis erfordern. Ich habe drei Geschwister, und bei uns zu Hause wurde viel davon gesprochen, wie wichtig harte Arbeit ist. Uns allen wurde die felsenfeste Überzeugung eingeimpft, dass wir alles erreichen könnten, wenn wir es wirklich wollten.
Wörter sind wichtig. Wie jedes Individuum ein eigenes Universum ist, so auch jedes Wort. Ich finde es wunderbar, wie Wörter uns helfen, Bedeutung einzufangen. Wir benutzen Wörter, um zu verarbeiten und einzuordnen, was wir wahrnehmen, erfahren oder uns vorstellen. Sie entstehen durch Hinweise, die wir sehen, wenn wir aufmerksam hinschauen. Wir erschaffen Wörter, um die Welt, wie wir sie erfahren, zu beschreiben – und es gibt so vieles auszudrücken.
Dem, was wir fühlen und empfinden, Wörter zuzuordnen, kann Tage, Wochen oder Jahre dauern, und doch entsteht laut Global Language Monitor alle 98 Minuten ein neues Wort. Das macht 5400 neue Wörter pro Jahr. InnSæi ist ein poetisches Wort, das Einblicke in die Strömungen und Gezeiten des Meeres in unserem Inneren bietet, darin, wie wir uns mit ihm, miteinander und mit der Natur verbinden. Es trägt der Tatsache Rechnung, dass Komplexität und Einfachheit nebeneinander existieren und alles miteinander verbunden ist, und hilft uns, die Welt so zu sehen.
Seit Jahrhunderten wird die komplexe Vernetzung lebender Systeme aus wissenschaftlicher, philosophischer und spiritueller Sicht erklärt. Diese Vernetzung geht oft über das hinaus, was wir mit bloßem Auge sehen oder messen können. Zum Beispiel können wir komplexe natürliche Systeme – wie den Amazonasregenwald, Beziehungen, den menschlichen Körper oder Geist – nicht auseinandernehmen, wieder zusammensetzen und erwarten, dass sie genauso funktionieren wie vorher. Im Gegensatz dazu können wir eine