Die Legende von Drachenhöhe 1: Plötzlich Drachentöter! - Frank Schmeißer - E-Book

Die Legende von Drachenhöhe 1: Plötzlich Drachentöter! E-Book

Frank Schmeißer

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Beschreibung

Ein unbesiegbarer Held? Das ist Oskar eher nicht. Er ist ein ganz normaler Junge mit Mathehausaufgaben. Und plötzlich Drachentöter. *** Weise Zauberer? Edle Elben? Wunderschöne Prinzessinnen? Das magische Reich Drachenhöhe sieht anders aus. Es wird geheult und gekämpft. Denn es geht ums nackte Überleben. Oskar kann es kaum fassen, als er sich plötzlich in Drachenhöhe wiederfindet - als Drachentöter! Wer hier in der Arena versagt, wird schneller zum Drachensnack, als er "Ich will wieder zurück nach Hause" sagen kann. Doch Oskar findet Freunde – und ein Abenteuer nimmt seinen Anfang, größer als alles, was Oskar sich jemals hätte träumen lassen … *** Drachen, Freundschaft, Witz und Abenteuer - der grandiose Auftakt einer unvergesslichen Fantasy-Trilogie! *** Leseprobe: Aus Gertrude Eleonore Fisselsticks "Handbuch zur Bestimmung aller magischen und nicht-magischen Arten": EINHÖRNER Von allen Einhufern sind Einhörner mit Abstand die größten Fieslinge. So würdevoll und edel sie äußerlich betrachtet auch sein mögen, innerlich sind Einhörner durch und durch verdorben. Ihr Charakter ist genauso eklig wie ihr Geschmack, der an vergammelten Fisch erinnert, welcher in schlammigem Brackwasser zu einer Breipampe zertreten wurde. Sähen sie nicht so goldig wie ein Kätzchen im Brautkleid aus, hätte man sie längst ausgerottet.

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Erster Teil der großen Trilogie

Die Legende von DrachenhöheBand 1: Plötzlich Drachentöter!Band 2 und 3 in Vorbereitung!CARLSEN Newsletter Tolle neue Lesetipps per E-Mail! www.carlsen.deAlle Rechte vorbehalten.Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Widergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich eventuell Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Carlsen Verlag GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.Copyright © by Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2015Text: Frank SchmeißerUmschlag- und Innenillustrationen: Helge VogtLektorat: Claudia ScharfLayout und Herstellung: Constanze HinzSatz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, LemfördeISBN 978-3-646-92777-1Alle Bücher im Internet unterwww.carlsen.de

Frank Schmeißer

Mit Bildern von Helge Vogt

Inhaltsverzeichnis

Idioten, die gegen Drachen kämpfen

Von Großeltern, Rittern und Zauberern

Abendessen

Alles ist besser als das

Ein folgenschwerer Wunsch

Plötzlich Drachentöter

Im Drachentöterhaus

Fön, luftig und nett

Ein Bett im Gemüsefach

Das härteste Training der Welt

Allerlei unerfreuliche Gedanken

Spucke und Tränen

Goldenhöhe am Goldenberg

Im Drachenloch

Die Königin hat Neuigkeiten (und Appetit)

Die Ankunft der Drachen

Feuersturm und Suppentöpfe

Brennende Haare und brennende Hintern

113 Grad Fieber

Drachen unter sich

Ein geheimer Plan

Der Schwur

In den Minen

Der 40. Stock

Der letzte Kampf

Epilog

Idioten, die gegen Drachen kämpfen

In Gertrude Eleonore Fisselsticks berühmtem „Handbuch zur Bestimmung aller magischen und nichtmagischen Arten“ steht über die Spezies „Mensch“ lediglich:

Strohdumme Idioten, die gegen Drachen kämpfen.

Und:

Schmecken nicht. Nicht mal mit grünen Bohnen.

Was insofern interessant ist, weil die legendäre Gourmetköchin und Hexe Fisselstick selbst der gewöhnlichen Küchenschabe ganze neun begeisterte Seiten widmete, in denen sie die Schönheit und Intelligenz der Schabe bejubelt und gleich fünfzehn Rezepte mitliefert (inklusive „Schabenkompott mit Kirsche“ und „Getrüffelte Schabensuppe mit frisch gehobeltem Goldhamster“).

Hätte Oskar Schafkeller, ein zwölfjähriger aufgeweckter Junge, Fisselsticks Buch gekannt, wäre er empört gewesen, dass sie über den Menschen nur so wenige Worte gefunden hatte. Oskar hätte ihren Beitrag mindestens noch um „todlangweilig“ und „schlafen ständig ein“ ergänzt.

Aber Oskar kannte weder das Buch, das laut der Zeitschrift „Die moderne Hexenküche“ ein schlicht unverzichtbarer Ratgeber für alle magischen Leckermäulchen war, noch hatte er jemals den Namen Gertrude Eleonore Fisselstick gehört. Oskar wusste nicht mal, dass es Hexen überhaupt gab!

Die einzigen hexenähnlichen Wesen, die er kannte, waren seine Mathelehrerin Frau Krause, die ihn auf dem Kieker hatte, und seine Großtante Bettina, die nicht umsonst nur „die verrückte Tante Betti“ genannt wurde. Die schlief übrigens gerade tief und fest. Und lächelte dabei. Wahrscheinlich weil ihr Kopf so bequem auf einem großen, sahnigen Stück Schwarzwälder Kirschtorte lag.

Oskars Opa Paul Schafkeller, der gegenüber von Tante Betti saß, lächelte nicht. Er schnarchte, den Kopf im Nacken, so laut und rasselnd, dass Oskar seine eigenen Gedanken nicht mehr verstehen konnte. Seine Oma Hanne lag mit dem Kopf auf dem Tisch, hatte das Kartenspiel fest umklammert und pustete schlafend eine Kirsche über ihren Teller.

Hin und her.

Hin und her.

Oskar saß da, mit seinen Karten in der Hand, und sah wie hypnotisiert der Kirsche zu, die immer wieder zurückkugelte und, kurz bevor sie in Omas Mund kullerte, wieder von ihr weggepustet wurde.

So ging das jeden Tag. Seit Monaten. So lange dauerte die Partie Canasta bereits, die jeden Nachmittag pünktlich um 15 Uhr fortgesetzt wurde.

Allerdings war Oskar der Einzige, der bislang Karten ausgelegt hatte. Vier Könige gleich vierzig Punkte, um genau zu sein.

„Opa! Du bist dran!“

Keine Reaktion.

„Opa!“

Oskar zupfte seinem Großvater am Ärmel, bis der, „Was? Ist was?“ stammelnd, wach wurde.

„Du bist dran“, sagte Oskar und Opa begann seine Brille zu suchen.

„Die ist in deinen Haaren.“ Oskar zeigte seinem Opa auf die Stirn.

„Danke“, sagte der, setzte sich die Brille auf, zog in Zeitlupe eine Karte vom Stapel und starrte sie minutenlang an. Oskars Beine begannen vor Ungeduld zu kribbeln. So als würden ihm tausend Ameisen statt Blut durch die Adern rasen.

„Hm“, grübelte Opa. Er steckte die neue Karte zwischen die anderen. Dann nahm er sie wieder raus und starrte sie noch mal ein Weilchen an, bevor er sie wieder an eine andere Stelle seines Kartenfächers sortierte.

„Einen kleinen Moment noch“, sagte Opa und runzelte die Stirn.

Oskar rutschte auf dem Stuhl hin und her. Auf seinen Lippen kauend, beobachtete er, wie der alte Mann im Schneckentempo seine Karten umsteckte.

Und gründlich begutachtete.

Und noch mal umsteckte.

Und dabei die Karten unter den Tisch fallen ließ.

„Hoppla.“

Oskar stöhnte und schob seinen Stuhl nach hinten, um seinem Opa beim Aufsammeln zu helfen. Der lehnte Oskars Hilfsangebot aber schroff ab.

„He! Nicht in meine Karten gucken!“, rief er und tauchte ächzend ab, um seine Karten selbst wieder aufzulesen.

Oskar seufzte leise. Das konnte dauern. Fünf Minuten später rumpelte und rumorte es immer noch unter dem Tisch.

So ging das jeden Nachmittag: Kuchen, Kaffee und Canasta. „Kukaca-Zeit“ nannte es Tante Betti. Kuhflatschen, dachte Oskar. Aus seiner Sicht war Canasta nur ein anderes Wort dafür, still dazusitzen und seinen Großeltern und seiner verrückten Tante Betti beim Mittagsschlaf zuzusehen.

Kann man sich etwas Langweiligeres vorstellen?

Aber das wirklich Traurige daran ist, dass diese tägliche, einschläfernde Canastarunde das Alleraufregendste in Oskars Leben war.

Von Großeltern,Rittern und Zauberern

Wie jedes Kind weiß, sind Großeltern eigentlich nur deshalb auf der Welt, um ihre Enkel und Enkelinnen nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen. Da werden Berge von Süßigkeiten rangekarrt, tolle Ausflüge organisiert und der Nachwuchs zu ordentlich viel Blödsinn ermuntert. Kurz gesagt: Großeltern sind absolut spitze.

Oskar, ein sportlicher Junge mit großem Bewegungsdrang, sah das ganz anders. Denn seine Großeltern waren ganz anders. Aus Sorge, ihr Enkel könne sich eines seiner kostbaren braunen Haare krümmen, hätten sie ihn am liebsten in Watte gepackt und in einem Tresor verstaut.

Oma und Opa Schafkeller waren geradezu besessen davon, dass es alle Welt auf ihren Enkel abgesehen hatte. Und deshalb durfte Oskar –

NICHTS.

Was Oskar natürlich unglaublich schrecklich fand.

Schließlich besuchte er seine Großeltern nicht nur dann und wann am Wochenende, sondern lebte mit ihnen und seiner irren Tante Betti unter einem Dach in Waldende. Waldende war ein kleines, beschauliches Städtchen mit nicht einmal tausend Einwohnern. Es war ein friedlicher Ort, mit einem gelangweilten Polizisten, grenzenlosen Wäldern und klaren Bächen. Wenn man auf den Kirchturm stieg, sah man weit entfernt die Berge aufragen, auf deren Spitze selbst im Sommer immer Schnee lag. Aus dem Gebirge brach ein gewaltiger Fluss hervor, der bei Sturm wild wie ein Meer sein konnte.

Waldende war wie geschaffen für Kinder wie Oskar, die Lust auf Abenteuer hatten und die Welt entdecken wollten. Wie gern war Oskar früher ziellos durchs kleine Städtchen gestromert, hatte dabei ein Eis gelutscht und sich die Sonne auf sein mit Sommersprossen übersätes Gesicht scheinen lassen. Er hatte es geliebt, auf Bäume zu klettern, bis in die höchsten wackeligen Baumkronen hinauf. Und für sein Leben gern war er zusammen mit anderen Kindern durch den Wald gestrolcht, der nur ein paar Schritte von seinem Haus entfernt begann und in dem es Füchse, Rehe und angeblich auch Wölfe gab.

Ja, früher, als er nur zu Besuch bei seinen Großeltern und bei Urgroßtante Betti war, hatte er die Ferien in Waldende immer in vollen Zügen genossen.

Aber das war früher.

Als seine Eltern noch da gewesen waren.

Bevor sie diesen geheimnisvollen Vulkan in der Südsee untersucht hatten. Eine Expedition, von der sie nie zurückkehrten.

Wie mit einem Fingerschnippen hatte sich alles geändert. Was am Tag zuvor noch erlaubt gewesen war, wurde ihm nun strengstens verboten. Der Wald? Verboten. Freunde mit nach Hause bringen? Verboten.

Oskar durfte noch nicht mal mehr den Garten verlassen, der ihr Haus mit einem saftigen Rasen, Gemüsebeeten und Obstbäumen einrahmte. Und das mit den Freunden hatte sich ohnehin bald erledigt. Denn welches zwölfjährige Kind gewinnt schon Freunde, wenn die Großeltern in jeder großen Pause auf dem Schulhof auftauchen, um ihren Enkel zu bewachen? Das ist ja todpeinlich.

Oskar legte seine Karten beiseite. Er gab es auf, seine Verwandtschaft zu wecken. Es war sinnlos. Er stand auf und verließ die schnarchende Kartenrunde, um sich im Garten ein wenig die Beine zu vertreten.

Mit einem Knall fiel die Haustür hinter ihm zu. Oskar blinzelte grummelnd in den grauen Himmel. Von der Sonne war nicht viel zu sehen. Aber immerhin hatte es aufgehört zu regnen. Trotzdem war der Rasen ganz matschig, so dass Oskar für seinen Rundgang auf dem kleinen Weg blieb, um seine Schuhe nicht einzusauen. Der Weg führte einmal ums Haus herum und zum immer verriegelten Tor. Oskar drehte schlecht gelaunt Runde um Runde ums Haus wie ein Rennfahrer. Nur ohne Rennwagen, ohne Spaß und Spannung und mit mürrisch in die Taschen gestopften Händen.

Das Haus, in dem die Schafkellers schon seit Jahrhunderten wohnten, stand im Vergleich zu den hübschen Häusern der Nachbarn etwas nach hinten versetzt. So als schämte es sich, zu hässlich zu sein. Und es war auch wirklich hässlich. Es hatte viel zu wenige und viel zu kleine Fenster. Es war quadratisch wie ein Karton, schmutzgrau gestrichen und wirkte plump wie ein Elefant in der Tanzschule.

„Ich lebe in einem hässlichen verdammten Altenheim voller Verrückter! Einem stinklangweiligen verdammten Gefängnis!“, schimpfte Oskar vor sich hin, während er zornig kleine Steinchen durch den Garten kickte. Als Oskar einen murmelgroßen Stein vor sich sah, nahm er Anlauf und schoss ihn wütend in hohem Bogen über die Hecke in Richtung Straße.

„Aua!“

Oskar erschrak und verharrte. Er wagte nicht, sich zu bewegen oder laut zu atmen.

„Wenigstens entschuldigen könntest du dich!“, brummte eine tiefe, empörte Stimme.

Oskar biss sich auf die Unterlippe. Was sollte er tun? Abhauen? Weiter starr und lautlos dastehen und hoffen, dass der Fremde einfach abzog? Schließlich hatte er gute Deckung hinter der hohen Hecke …

„Ich habe mit dir gesprochen, Oskar!“, knurrte die tiefe Stimme weiter.

Ups. Das musste ihr Nachbar sein: Dr. Pömpel – ein großer, dicker Mann mit lustigem Schnauzbart.

„Tut mir leid, das wollte ich nicht!“, rief Oskar eilig und lief zur Hecke. Er bog ein paar Äste zur Seite – und erblickte einen völlig Fremden.

Der Mann mit der tiefen Stimme war genauso groß wie Dr. Pömpel, aber ausgesprochen hager. Er hatte einen langen, ungepflegten Vollbart; fast das ganze Gesicht war zugewachsen wie eine dichte Hecke, in der Amseln brüten. Wilde Haarfransen quollen unter seinem Spitzhut hervor.

„Was glotzt du so?“, fragte der Mann unfreundlich und rieb sich die Stirn. Seine kleinen blassen Augen funkelten.

„Nichts, äh … ’schuldigung“, stammelte Oskar und sah verschämt zu Boden. Er wusste, dass es unhöflich war, einen Menschen so anzustarren. Auch wenn der Mensch statt einer Jacke einen grauen Umhang trug und in einer Hose steckte, die so kratzig und schäbig aussah, als hätte man sie aus alten Kartoffelsäcken zusammengenäht. Gehalten wurde die Hose von einem schweren Ledergürtel mit einer silbernen Gürtelschnalle in Form eines Falken.

So einen merkwürdig aussehenden Mann hatte Oskar noch nie gesehen. Nicht mal im Fernsehen.

„Du findest wohl, ich sehe merkwürdig aus“, sagte der alte Mann lauernd. Oskar antwortete lieber nicht. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Er wich ein Stück zurück.

„Dabei siehst du doch selber bekloppt aus!“, sprach der Fremde zornig weiter. Und er hatte Recht. Oskar sah an sich herab. Er trug eine ockerfarbene Stoffhose und ein weißes Hemd mit einem steifen Kragen, der Oskar zu erdrosseln drohte. Über dem Hemd ein dunkelgrünes Cordjackett. Seine Füße steckten in beigen Socken und braunen Schuhen. Und seinen Kopf schmückte eine karierte Schlägermütze, die aussah, als hätte sie ihm ein Vogel auf den Kopf gekackt.

„Meine Tante“, flüsterte Oskar nur achselzuckend.

„Was hat deine Tante damit zu tun?“, fragte der Alte.

„Sie legt mir jeden Morgen was zum Anziehen raus“, sagte Oskar und errötete. Die verrückte Tante Betti war regelrecht besessen davon, Oskars Modeberaterin zu sein. In jungen Jahren war sie eine Weile als T-Shirt-Falterin in der Modewelt unterwegs gewesen, worauf sie bis heute sehr stolz war. Nach der Anprobe drehte sie ihn immer zum Spiegel, seufzte: „Wie ein echter Gentleman!“, und gab ihm einen Kuss auf den Kopf. Was Oskar irgendwie mochte.

Nur leider waren die Klamotten, die sie heraussuchte, ungefähr hundert Jahre alt. Und Tante Betti reagierte äußerst empfindlich auf Kritik. Oskar erinnerte sich mit Schrecken an den Morgen zurück, als er sie darauf hingewiesen hatte, dass er kein hellrosa Leinenhemd tragen wolle. Erst brach Tante Betti in Tränen aus, um dann Türen schlagend durchs Haus zu rennen und zu schreien, dass ihr Leben keinen Sinn mehr habe. Einen ganzen Monat behandelte Tante Betti Oskar, als wäre er Luft. Stinkende, vollgefurzte Luft …

„Hallo? Hallo! Oskar!!! Hör auf zu träumen.“ Der Fremde holte ihn barsch aus seinen Gedanken zurück. Oskar wich erschrocken ein Stück weiter zurück in den Garten.

„Keine Sorge. Ich beiße nicht“, sagte der alte Mann und versuchte, freundlich zu lächeln. Was ihm misslang. Sein faltiges Gesicht sah aus, als hätte er gerade mit Genuss ein paar Welpen verspeist.

Trotzdem wurde Oskar neugierig. Wer war der Mann und woher kannte er seinen Namen? Aus Waldende war er nicht. Waldende war ein kleiner Ort, in dem jeder jeden kannte. Selbst wenn man nie den eigenen Garten verließ.

Oskar fasste sich ein Herz. „Sie sind nicht von hier, oder?“

„Nein“, sagte der alte Mann. „Ganz und gar nicht. Ich komme von weit her. Aus Drachenhöhe am Goldenberg.“

„Drachenhöhe?“, fragte Oskar.

„Am Goldenberg. Ja.“

„Kenn ich nicht.“

„Drachenhöhe am Goldenberg ist das wahrscheinlich außergewöhnlichste Land, das es gibt! Soll ich dir etwas da­rüber erzählen?“, fragte der Alte. Seine Augen funkelten.

„Warum nicht?“, sagte Oskar – er hatte schon lange keine Geschichte mehr erzählt bekommen. Zumindest keine bis zum Ende. Seine Großeltern schliefen immer ein, wenn es spannend wurde.

„Nun gut.“ Der alte Mann zündete sich eine Stinkepfeife an und blies Dreiecke, Quadrate und kleine Wölkchen in die Luft, die wie Hundehaufen aussahen. „Drachenhöhe am Goldenberg ist das einzige Land auf der Welt, das man nicht zu Fuß und nicht mit dem Auto erreichen kann.“

„Ist es eine Insel?“ Oskar erntete einen bösen Blick.

„Nein. Und quatsch nicht dazwischen. Ich mag das nicht!“, fauchte der Alte.

„’schuldigung“, nuschelte Oskar.

Der Fremde atmete durch und sprach weiter. „Nach Drachenhöhe am Goldenberg kann man sich nur wünschen. Denn Drachenhöhe ist ein magisches Land. Genauer gesagt, ist es ein magisches Königreich.“

„Wow. Ein magisches Königreich“, sagte Oskar und dachte: Der Alte hat sie nicht alle. „Und wer lebt da so? Einhörner?“

„Ja. Es gibt Einhörner. Jede Menge sogar. Die sind eine regelrechte Plage. Pieseln die ganzen Wege voll und machen sich ständig über normale Pferde lustig. Und jetzt hör endlich auf, mich zu unterbrechen.“

„’schuldigung“, nuschelte Oskar wieder.

Der alte Mann sah ihn streng an, bevor er fortfuhr. „Doch selbstverständlich leben dort nicht nur Einhörner. Es gibt noch viele andere magische Wesen: Elben und Feen, Zwerge und Trolle, Orks und natürlich …“, er lächelte bescheiden, „Zauberer.“

„Zauberer?“, fragte Oskar.

„Zauberer! Und es ist wunderschön dort: Die Berge funkeln schneebedeckt in der Abendsonne wie pures Gold, die Flüsse sind klar wie Bergkristalle und die Seen blau wie der Himmel im Sommer. Und es ist nicht vermessen zu sagen, dass unsere Hauptstadt Goldenhöhe die prächtigste Stadt aller Zeiten ist! Schmucke kleine Häuser aus gebrannten roten Ziegeln schlängeln sich aneinandergekuschelt die hell erleuchteten Gassen entlang. Die Auslagen der Süßwarengeschäfte quellen über. Gasthäuser laden zum Verweilen und Schlemmen ein. Es ist wahrlich ein Paradies.“

Oskar sagte nichts. Sein Mund stand offen wie ein Scheunentor. Doch der Alte war längst nicht am Ende. „Und arme Kinder, deren Eltern verschwunden sind und die sich bei ihren Großeltern zu Tode langweilen, sind in Drachenhöhe am Goldenberg ganz besonders willkommen.“

Oskar versetzte es einen Stich ins Herz. Wie immer, wenn seine Eltern erwähnt wurden. Seit Ewigkeiten hatte er sich nirgendwo mehr willkommen gefühlt. „Echt?“, flüsterte er.

Der alte Mann lächelte und nickte mild. Und es kam noch besser! Als er weitersprach, klang seine Stimme feierlich: „Denn in Drachenhöhe warten wir auf einen ganz besonderen Jungen. Auf den Auserwählten. Die Legende kündet von einem zwölfjährigen Menschenjungen mit Namen Oskar, dessen Eltern in südlichen Gefilden auf dem Feuerspeienden Berg verschollen sind.“

Oskar blieb fast die Luft weg. „Der Auserwählte?“, ächzte er. Sein Kopf fuhr Achterbahn. „Das muss ich sein!“, dachte er und: „Das kann nicht sein!“, „Das bin ich. Ganz sicher“ und: „Mach dich nicht lächerlich.“

Oskar fröstelte vor Aufregung. Dann begann er zu schwitzen. Dann wieder Gänsehaut. Konnte es ein anderes Kind auf der Welt geben, das Oskar hieß und dessen Eltern in der Südsee verschwunden waren?

„In Drachenhöhe lieben wir Kinder“, redete der alte Mann nun weiter und sah Oskar eindringlich an. „Sie erleben tolle Abenteuer! Sie werden wie edle Ritter behandelt und bewundert.“

„Edle Ritter. Bewundert. Abenteuer“, stammelte Oskar. Zu ihm sahen die Kinder in der Schule nicht bewundernd auf, sondern eher angewidert auf ihn herab. So wie auf einen gerade eben entdeckten Fußpilz.

„Möchtest du nach Drachenhöhe am Goldenberg? Und diesen langweiligen Mist hinter dir lassen?“, fragte der alte Mann und sah verächtlich auf das schmutzgraue Kastenhaus. „Waldende?“

Mit einem Mal kam Oskar wieder zu sich. „Ich denk drüber nach“, sagte er knapp und senkte den Blick. Der Typ war doch komplett durchgeknallt!

„Einverstanden“, entgegnete der alte Mann und Oskar schaute auf.

Der Fremde war weg.

Oskar sah sich um.

Er war weg!

Hätte Oskar die Ohren gespitzt, hätte er ein kurzes Ploppen hören können. Und hätte er genau hingesehen, hätte er eine kleine Rauchwolke in Form eines Falken entdeckt, der kräftig mit den Flügeln schlug, bis er weit oberhalb von Oskars schmutzgrauem Haus verschwunden war.

Abendessen

Als Oskar das Haus betrat, war der Abendbrottisch bereits gedeckt. Tante Betti saß im Wohnzimmer auf der Couch vor der Glotze und kommentierte lautstark das laufende TV-Programm.

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