Die Legende von Drachenhöhe 3: Der letzte Drachentöter - Frank Schmeißer - E-Book

Die Legende von Drachenhöhe 3: Der letzte Drachentöter E-Book

Frank Schmeißer

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Beschreibung

Ein unbesiegbarer Held? Das ist Oskar nicht. Er ist ein ganz normaler Junge mit Mathehausaufgaben. Und plötzlich Drachentöter - im fantastischen Reich Drachenhöhe! Teil 3 der großen Trilogie: Oskar und seine Freunde stehen vor dem größten Abenteuer ihres Lebens - die hinterhältige, dreckige, gemeine Königin muss gestürzt werden!  Nur vereint können die Freunde das Königreich retten: vereint mit ihren Todfeinden, den mächtigen Drachen! Oskars Weg führt quer durch die Katakomben vorbei an hungrigen Zombies. Er muss zurück dahin, wo alles begann: Zurück in die Arena der Drachentöter – wo ein unglaubliches Geheimnis auf ihn wartet … Für Freunde von richtig lustigen Büchern: Trottelige Trolle, eingebildete Einhörner und Drachen, Drachen, Drachen - viel Spaß mit dem grandiosen Showdown einer einzigartigen Fantasy-Trilogie! Mit vielen großartigen Bildern von Helge Vogt!  "Ungemein spannende Abenteuer-Fantasy!" (Eselsohr) "Spritzig und packend!" (kilifü)

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Copyright © by Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2017

Text: Frank Schmeißer

Umschlag- und Innenillustrationen: Helge Vogt

Umschlaggrafik: Sabine Reddig

Lektorat: Claudia Scharf

Layout und Herstellung: Constanze Hinz

Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN: 978-3-646-92014-7

 

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Inhaltsverzeichnis

CoverImpressumKarteUnter DrachenDie FestungHeiße KinderstubeDer OhlFlucht ins RiesengebirgeDrachenwachenEine kurze lange NachtTrollspalter und ElbenpanzerZurück nach DrachenhöheAb jetzt alleinAbwärtsDas Tor zur HölleZombies!Der SeelenfresserGefangenUnglaubliche NeuigkeitenEin unverhofftes WiedersehenSchokolade, Kekse und löchrige SockenRauchende KöpfeSchlapp, schlapp, schlappDie Schlauheit der KrötenDer Koloss mit eiserner MaskeLeckere GefangeneIm VerliesEine böse ÜberraschungSchimpfe und HilfeDer BeweisGaloppierender WahnsinnReden vor dem SturmDas ErwachenDer Tag der WahrheitAlles oder nichtsRhodan und die GardeDie KrönungEpilogFrank SchmeißerHelge VogtAnzeigeLeseprobe

Unter Drachen

Die berühmte Hexe Gertrude Eleonore Fisselstick schreibt in ihrem Hauptwerk „Handbuch zur Bestimmung aller magischen und nichtmagischen Arten“:

Drachen sind Einzelgänger. Manche, weil sie Gesellschaft hassen, andere, weil sie fürchten, von Drachen, die Gesellschaft hassen, geröstet zu werden. Merke: Drachen schmecken nicht. Weder geröstet noch überbacken noch flambiert noch zu grünen Bohnen.

Und:

Drachen haben eine extrem kurze Zündschnur. Schon ein einziges schiefes Lächeln endet schnell in einem Kampf auf Leben und Tod. Kein Wunder also, dass man Drachen normalerweise nur einzeln antrifft.

Normalerweise.

Wann war ihm, Oskar Schafkeller, das letzte Mal etwas Normales passiert?

Früher einmal, vor einer Ewigkeit, war er ein normaler Junge gewesen, der bei seinen normalen Großeltern in der stinknormalen Menschenwelt lebte.

Doch dann wurde er ausgetrickst – und in das fremde Reich Drachenhöhe gelockt. Die böse Königin Elder Sarina zwang ihn, in einer Arena gegen Drachen zu kämpfen. Er floh, zusammen mit den Drachentötern Florian und Lisbeth und dem Trainingsdrachen Fluppe, auf dessen Rücken er nun saß und der inzwischen der beste Freund geworden war, den man sich nur vorstellen konnte. Normal war das nicht.

Er hatte versucht, den Weg zurück zu seinen Großeltern zu finden – vergeblich.

Stattdessen befand sich Oskar nun hoch oben in der Luft. Und wohin er auch sah, erblickte er noch mehr Drachen. Über ihm. Neben ihm. Unter ihm. Am Himmel wimmelte es nur so von Drachen! Fluppe, der jüngste, hatte Mühe, mit seinen Artgenossen mitzuhalten. Sie flogen schnell und gewannen rasch an Höhe.

Der Herbst war angebrochen und eisiger Flugwind peitschte Oskar ins Gesicht. Verzweifelt versuchte er, seine nackten Beine zu schützen. Er zerrte seine Jacke darüber und presste seine Schenkel fest an Fluppe. Vor ihm lag sein Freund Florian quer über Fluppes Rücken. Alle paar Minuten tastete Oskar Florians Hals ab, um seinen Puls zu kontrollieren. Er ging kräftig und regelmäßig. Alles okay. Florian war einfach nur ohnmächtig. Kein Wunder nach einem dreißig Meter tiefen Sprung in den Brodelnden See.

Oskar stupste Florian an, schüttelte ihn vorsichtig. Keine Reaktion. Dabei hätte Oskar so gern mit Florian geredet. Sich vergewissert, dass nicht er, sondern die Welt um ihn herum verrückt geworden war.

Es war verrückt, dass sie noch lebten.

Es war verrückt, dass sie auf Fluppes Rücken inmitten einer Horde von Drachen flogen.

Es war verrückt, dass die Riesenechsen ihnen kein Haar gekrümmt hatten.

Es war verrückt, dass ausgerechnet Feuersturm, der ebenso fiese wie mächtige Drache der Königin von Drachenhöhe, sie gerettet hatte.

Es war verrückt, dass ihr alter Weggefährte Hinnerdir sie nicht gerettet hatte.

Es war verrückt, dass Fluppe Feuersturms Sohn war.

Noch verrückter war es, dass ihre Freundin Lissy kein Mensch, sondern eine Bergelbin war und in Wahrheit Elder An Surim hieß. Aber am allerverrücktesten war, dass sie die rechtmäßige Königin von Drachenhöhe sein sollte.

Verrückt! Absolut verrückt!

Oskar sah hinüber zu Reezz, dem giftgrünen Moordrachen, der ihn noch kurz zuvor durchs Unterholz gejagt hatte. „Wohin fliegen wir?“, rief er dem Drachen zu.

„Zur Drachenfestung!“, brüllte Reezz und schaute nach unten. Die spitzen Zähne blitzten in seinem Krokodilsmaul. „Ist es nicht traumhaft schön hier?“

Oskar rang sich ein Lächeln ab, reckte einen steif gefrorenen Daumen nach oben und sparte sich eine Antwort. Er wollte den Drachen weder anlügen noch wollte er ihm widersprechen. Traumhaft schön war für Oskar definitiv etwas anderes. Das Land unter ihnen – das Land des Südwinds – war Drachengebiet. Nach steinigen Schotterlandschaften und heimtückischen Tümpeln überflogen sie nun eine endlose schwarze Ebene, die etwa so schön war wie Fußpilz während der Sommerferien. Keine Tiere, keine Pflanzen weit und breit. Alles Leben war zu Asche verbrannt und von der zu Felsen erstarrten Lava zermalmt worden.

Und nun näherten sie sich dem Schöpfer dieser toten Welt: dem Vulkan Drachenberg. Einsam ragte er aus der schwarzen Landschaft auf und spuckte wütend Rauch und Lava. Gesteinsbrocken, groß wie Fußbälle und heiß wie glühende Kohlen, flogen ihnen um die Ohren. Nebelschwaden aus Asche und Schwefel raubten ihnen den Atem und brannten in Mund, Nase und Augen. Oskars Zunge war trocken wie eine Wanderdüne. Er öffnete seine Jacke und zog sich sein T-Shirt übers Gesicht.

Dann verloren sie an Höhe. Die Drachen setzten zur Landung an.

Die Festung

Winterhauch, ein alter Drache mit abgebrochenen Reißzähnen, landete auf einem Felsvorsprung. Hoch über ihm spie der Schlund des Vulkans Feuer. Während der Rest der Drachen den Vulkan umkreiste wie Raben einen Kirchturm, gingen auch Reezz, Feuersturm und Fluppe in den Sinkflug.

„Willkommen in der Drachenfestung!“, rief Winterhauch.

„Das ist die Festung?“, fragte Oskar und rutschte von Fluppes Rücken.

„Ja“, antwortete Winterhauch stolz.

Oskar war enttäuscht. Er hatte dicke Mauern erwartet, hohe Türme, einen mit Wasser gefluteten Graben, eine Zugbrücke. „Wo ist denn hier die Burg?“, fragte er.

Winterhauch lachte grollend. „Drachen bauen keine Burgen oder Hütten. Drachen sind freie Geschöpfe. Unsere Heimat ist der Himmel, unser Zuhause die Welt. Und unsere Festung sind die Höhlen.“

Die berühmte Hexe Gertrude Eleonore Fisselstick beschreibt in ihrem „Handbuch zur Bestimmung aller magischen und nichtmagischen Arten“ die Lebensumstände von Drachen folgendermaßen:

Drachen leben wie Tiere. Sie schlafen auf Bäumen oder während des Flugs. Sie haben keine Häuser, gehen nicht zur Schule, ziehen sich keine Hosen an und kacken überall hin. Jeder Reisende, der – aus welch schrecklichem oder irrsinnigem Grund auch immer – Drachenland durchqueren muss, sollte stets den Himmel im Blick behalten. Wird einem von einem Vogel auf den Kopf gemacht, ist das unangenehm. Kackt einem ein Drache auf den Kopf, bedeutet das akute Lebensgefahr. Manch argloser Wanderer wurde bereits fröhlich pfeifend von einem Drachenhaufen erschlagen.

Oskar suchte die Felswand vergeblich nach dem Eingang zu einer Höhle ab. Lissy, die mit Winterhauch geflogen war, trat neben ihn. Oskar lächelte ihr zu. Aber Lissy reagierte nicht. Sie schwang sich auf Fluppe und untersuchte Florian, der noch immer auf dem Drachenrücken schlummerte.

„Wie geht ef ihm?“, fragte Fluppe besorgt.

„Es ist nicht so schlimm“, antwortete Lissy. „Er hat nur eine kleine Beule am Hinterkopf.“

„Dann ift ef wohl am beften, wenn ich ihn noch ein biffchen trage, bevor wir ihn aufwecken. Er wird flimme Kopffmerfen haben“, sagte Fluppe.

„Und wie geht es dir, Lissy?“, fragte Oskar vorsichtig.

„Alles gut“, sagte sie knapp.

Oskar gab sich wirklich alle Mühe, schlau aus Lissy zu werden, aber sie war und blieb für ihn ein ebenso großes Rätsel wie Bruchrechnung bei Frau Krause.

Da kam Feuersturm angestapft, direkt auf Fluppe zu. Ihr Sohn jedoch riss den Kopf herum und starrte demonstrativ in eine andere Richtung. Feuersturm zögerte einen Moment, dann drehte sie ihren massigen, feuerroten Körper schließlich wieder und trottete mit hängenden Flügeln und gesenktem Kopf zurück an den Rand der Klippe. Oskar biss sich auf die Lippen und sah unsicher zwischen Feuersturm und Fluppe hin und her – als Winterhauch plötzlich laut aufgrollte.

Die anderen Drachen eilten von der Felswand weg, dann begann der alte Drache auch schon, etwas zu murmeln.

Oskar spitzte die Ohren. Er meinte, Worte zu hören. Oder war es doch nur Gegurgel und Gegrunze?

Langsam beugte sich Winterhauch vornüber, als wollte er seine Schnürsenkel kontrollieren. Dann, urplötzlich, bäumte er sich auf und schlug mit den Flügeln. Sand und Steine stoben auf und flogen in alle Richtungen. Oskar schloss die Augen, und als er sie wieder zu öffnen wagte, spuckte der Drache Feuer.

Viele Hunderte Meter brannte sich die Flammensäule durch die verdreckte Luft hoch hinauf in den giftgelben Himmel. Ascheflöckchen rieselten auf sie herab. Dann senkte der Drache den Kopf und richtete die Flamme gegen den Felsen. Oskar warf sich auf den Boden und schlug die Hände vors Gesicht. Er konnte die pochende Hitze des Vulkans auf seinen nackten Beinen spüren. Noch so ein Nachteil, wenn man in Unterhose unterwegs war … Durch seine Finger sah Oskar, wie der Felsen erst glühte und sich dann krachend auseinanderschob. Der Weg in die Drachenfestung war frei!

„Folgt mir!“, rief Winterhauch.

Mit staunenden Augen betrat Oskar zusammen mit den anderen die Höhle. Doch sie kamen nicht weit. Nach ein paar Metern stellte sich ihnen ein Drache in den Weg. Er war gewaltig – nahezu so groß wie Feuersturm.

Oskar hatte Mühe, das Alter eines Drachen zu schätzen, aber dieser hier schien noch recht jung zu sein. Zumindest wirkten seine Augen sehr lebhaft und im Gegensatz zu dem mit Narben übersäten Winterhauch hatte er noch keine sichtbaren Kampfverletzungen davongetragen. Außerdem sah er irgendwie wie eine Kreuzung aus Drache und Vogel aus. Zwar hatte er einen breiten Drachenkopf, aber sein ganzer Körper war mit tintenblau glänzenden Federn geschmückt. Zwei lange weiße Fangzähne ragten aus seinem Unterkiefer wie Hauer bei einem Wildschwein. Er glotzte von einem zum anderen, doch nichts, was er sah, schien ihm zu gefallen. Seine spülmittelgrünen Augen funkelten böse.

„Der sieht aber nicht gerade freundlich aus“, flüsterte Oskar Reezz zu und griff instinktiv nach seinem Schwert. Sein Griff ging ins Leere. Er war unbewaffnet.

„Was wollt Ihr, Harran? Euer Besuch war nicht angekündigt“, sagte der junge Drache. Seine Stimme war glatt und kalt wie Eis.

„Harran?“, fragte Oskar leise.

„Der Harran ist der Anführer der Harra, der Grenzschützer“, erklärte Reezz.

„Aha.“ Oskar kratzte sich am Kopf.

Winterhauch ergriff das Wort. „Sei gegrüßt, Lumno, Schützer des Ohl! Unser Besuch war nicht angekündigt, weil etwas Unerwartetes passiert ist. Und das Gesetz der Drachen verlangt, die Weisung des Ohl einzuholen.“

Der junge Drache hörte nur mit halbem Ohr hin. Er konnte seine stechenden Vogelaugen nicht von Florian, Oskar und Lissy abwenden. „Was macht das hier? Das darf nicht hier rein! Wieso lebt das noch? Wieso ist es nicht tot?“, zischte er.

Oskar wurde das Gefühl nicht los, dass der gefiederte Drache sie am liebsten auf der Stelle geröstet hätte wie Gyros.

„Lumno, Schützer des Ohl. Meine Begleitung ist nicht tot, weil sie uns lebend nützlicher sein kann“, sagte Winterhauch mit fester Stimme.

„Wir müssen zum Ohl“, sagte Reezz. „Dringend.“

„Ohl? Wer ist der Ohl?“ Oskar sah Lissy fragend an.

„Ich weiß es nicht.“

Selbst die nahezu allwissende Hexe Fisselstick weiß über den Ohl nichts Erhellendes zu berichten. In ihrem „Handbuch zur Bestimmung aller magischen und nichtmagischen Arten“ ist nur zu lesen:

Der Ohl ist so etwas wie das Gehirn der Drachentruppe. Betrachtet man die Lebensumstände der Drachen, muss man feststellen, dass er wohl kein sonderlich schlaues Gehirn ist. Trotz allem sehen die Drachen ihn seit Urzeiten als eine Art Heiligen an und folgen seinen Ratschlägen und Befehlen blind. Diese Trottel.

„Ihr müsst zum Ohl? Warum?“, fragte Lumno lauernd.

„Ihretwegen!“ Winterhauch packte Lissy und schob sie vor sich.

„Hey!“, protestierte Lissy.

Lumno musterte Lissy von Kopf bis Fuß. „Was ist das? Was will es beim Ohl? Und vor allem: Warum sollte der Ohl es empfangen wollen?“

„Weil sie Elder An Surim ist, ‚die Verschwundene‘. Enkelin der Elder Ak Surim Loth, auch als ‚die Friedensbringerin‘ bekannt. Und somit ist das hier …“, Winterhauch legte eine Klaue auf Lissys Kopf, „… die Königin der Bergelben und rechtmäßige Herrscherin von Drachenhöhe!“

Plötzlich wurde es mucksmäuschenstill. Selbst Lissy sagte keinen Ton. Sie zeigte überhaupt keine Regung, als ginge sie das ganze Gerede nichts an.

Lumno rührte sich nicht von der Stelle. Stattdessen schnaufte er und zischte: „Ich bin ein Nachfahre der Druth, der Beschützer des Ohl und seines brennenden Herzens. Und ich sage: Das da …“, verächtlich blickte der Drache erst Lissy und dann Oskar und Florian an, „… darf hier nicht rein. Das da kann froh sein, dass es überhaupt noch am Leben ist. Was immer es auch sein mag.“

Winterhauch begann zu beben. Er wurde wütend. „Du wagst es, dich dem Wunsch des Harrans zu widersetzen? Ich befehle dir, Lumno, geborener Druth, gehe zum Ohl und sage ihm, dass wir ihn sprechen müssen!“ Er knurrte dröhnend und baute sich vor Lumno auf. Reezz sprang an seine Seite. Auch er schien bereit zum Kampf.

Lumno wich erschrocken ein Stück zurück und trat dann wieder vor. In seinen Augen loderte die Wut – aber auch ein bisschen Angst. Seine Muskeln zuckten vor Anspannung. Gleich würde es zum Kampf kommen.

Sekunden vergingen, die Oskar wie Minuten vorkamen. Wie eine endlose Partie Canasta. Dann sagte Lumno: „Nun gut, Winterhauch, Harran der Drachen. Wartet hier, während ich dem Ohl Euren Besuch ankündige.“ Lumno verbeugte sich und verschwand in den Höhlen.

Oskar sah ihm nach. Als Lumno außer Sicht war, fragte er Fluppe: „Was ist denn das für ein merkwürdiger Vogel? Und wer ist der Ohl?“

Fluppe zuckte so heftig mit den Schultern, dass der ohnmächtige Florian auf seinem Rücken auf und ab hopste.

Florian öffnete die Augen. Dann fuhr er hoch. „Ich hab meine Hausaufgaben gemacht, Mama! Ich geh Pflaumen pflücken!“ Er kippte wieder ohnmächtig nach hinten.

Reezz antwortete für Fluppe: „Der Ohl ist ein Medium. Er kann in die Zukunft sehen. Er ist ein Ratgeber und Hoffnungsschenker. Er ist alt wie die Erde und weise wie der Himmel, der alles sieht“, erklärte er. „Zumindest möchte der Ohl so beschrieben werden.“

„Ah“, sagte Oskar und musste an seine verrückte Tante Betti denken. Die war auch uralt und wusste alles. Und damit es Oskar später leichter im Leben hatte, hatte seine Tante ihn ständig dazu genötigt, sich ihre Weisheiten auf Zettel zu notieren.

Beim Gedanken an zu Hause bekam Oskar plötzlich einen Kloß im Hals. „Muss toll sein, seine Mutter wiederzuhaben …“ Fluppe starrte Oskar verwundert an. Hatte Oskar das gerade laut gesagt?

Fluppe dachte nach, indem er seinen Kopf vor und zurück warf, um verklemmte Gedanken zu befreien. „Einerfeitf ja, andererfeitf bin ich fauer“, antwortete Fluppe.

„Ich wäre froh, wenn meine Eltern jetzt hier wären“, sagte Oskar.

Fluppe lächelte gequält. „Ich bin wütend, weil fie mir nie waf gefagt hat.“

„Aber sie hat dich beschützt!“, platzte es aus Oskar heraus. „Sie hat sich von der fiesen Königin versklaven lassen, nur damit dir nichts passiert! Damit es dir gutgeht!“

Kleine Dampfwolken stoben aus Fluppes Nasenlöchern. „Alf ob ef mir gut gegangen wäre! Ich habe faft mein ganfef Leben in den Minen gefeffen! Und daf wäre nicht fo flimm gewefen, wenn ich gewufft hätte, daff ich eine Mutter habe.“

Oskar nickte stumm. Zu wissen, dass da jemand in der Nähe war, der einen lieb hatte, sei es eine Mutter, ein Vater oder ein guter Freund, half einem schon sehr durch schwere Zeiten.

Lumno kam zurück. Er war schlecht gelaunt und versuchte nicht, es zu verbergen. „Der Ohl wird Euch morgen früh empfangen.“

„Ich danke dir, Lumno“, sagte Winterhauch.

Lumno lächelte und sah dabei so liebenswürdig aus wie ein tollwütiger Keiler. „Ich bringe Euch in Euer Quartier für die Nacht. Die Dinger da …“, er zeigte auf Oskar, Florian und Lissy, „… erfrieren ja so schnell.“

Heiße Kinderstube

Oskar war überrascht. Die Höhlen waren gepflegter als die alten Minen in Goldenhöhe, in denen er und seine Freunde so lange gefangen gehalten und zu Drachentötern ausgebildet worden waren. Überall hingen Fackeln und die Wände waren mit unzähligen Bildern vollgekritzelt: Drachen, die jagten. Drachen, die am Himmel kreisten wie Geier. Drachen, die Eier legten. Es waren einfache Bilder, eher Gekrakel als kunstvolle Malerei.

„Da malt ja meine Tante Betti besser“, murmelte Oskar leise. Nicht leise genug. Drachen hatten gute Ohren.

„Willst du damit sagen, dass die Bilder hässlich sind?“, fragte Reezz lauernd. „So hässlich wie deine Tante Betti?“

„Meine Tante ist nicht hässlich! Die hat nur nicht alle Tassen im Schrank. Außerdem kennst du sie gar nicht!“, empörte sich Oskar, dem es jedes Mal einen Schlag in die Magengrube versetzte, wenn jemand seine Familie erwähnte.

Die Augen des Drachen verengten sich zu Schlitzen, und bevor Oskar reagieren konnte, holte Reezz mit seinem Kopf aus und … bamm.

Oskar ging zu Boden. Reezz’ spitze Zähne schwebten direkt über seinem Gesicht. „Aber ich kenne dich, Oskar. Und du bist hässlich. Unglaublich hässlich. Also muss deine Tante auch hässlich sein!“, zischte der Moordrache.

Oskar rollte sich flink zur Seite und rappelte sich auf.

Reezz strich träumerisch mit seinen Klauen über die Wand, so behutsam, als wäre sie aus Glas. „Hier in den Höhlen siehst du die Geschichte der Drachen. Von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Jeder Drache, der je das Feuer des Vulkans erblickt hat, wurde hier verewigt.“

„Jeder?“

„Jeder.“

„Und wo ist dein Bild?“, fragte Oskar.

„Daran kommen wir gleich vorbei!“, sagte Reezz strahlend und kurz darauf: „Hier ist es!“ Er platzte fast vor Stolz.

An die Wand war ein Drache gemalt, der über einem Dorf flog und es mit Flammenstrahlen aus Nüstern und Maul niederbrannte.

„Die gute alte Zeit“, flüsterte Reezz versonnen.

„Na ja, nicht für die Bewohner des Dorfs“, entgegnete Oskar.

„Die haben angefangen!“, behauptete der Moordrache eingeschnappt.

Oskar beeilte sich, „Bestimmt!“ und „Tolles Bild!“ und „Meisterwerk!“ zu rufen. So richtig hatte er sich immer noch nicht daran gewöhnt, wie schnell Drachen aus der Haut fuhren. Das kannte Oskar sonst nur von seiner Mathelehrerin Frau Krause, die schon einen Schreianfall bekam, wenn man zu lange in seinem Federmäppchen kramte.

Schweigend trotteten sie immer tiefer ins Innere des Vulkans hinein und mit jedem Schritt wurde es heißer und lauter. Der Vulkan schien vor Wut zu brüllen. Er zitterte, pochte und bebte, als wäre er ein lebendiges, gefährliches Tier.

Lumno bog in einen engeren Gang ab, der weniger beleuchtet, aber kühler war. Sie stiegen abwärts, bis sie in eine kleine Höhle kamen. Die Decke war so tief, dass nur Oskar und Lissy aufrecht stehen konnten. Stroh lag auf dem Boden, Eimer und Fässer voller Wasser standen am Rand und getrocknetes Fleisch hing an Haken von der Decke.

„Euer Schlafplatz. Ich hole euch morgen früh ab“, sagte Lumno und ging.

„Sieht aus wie ein Vogelnest“, stellte Oskar fest.

„Das ist unsere Kinderstube“, sagte Reezz.

„Hier leben Drachenkinder?“

„Normalerweise schon, aber es werden immer weniger. Die Drachen legen hier seit Jahrhunderten ihre Eier ab und der Vulkan brütet sie aus.“

Oskar warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Fleisch, das von der Decke baumelte.

„Das Fleisch ist für die Kleinen“, sagte Reezz.

„Oh“, sagte Oskar matt. Er hatte nicht nur Durst, sondern auch einen derartigen Kohldampf, dass ihm sogar Brokkoli oder getrocknete Fleischfetzen wie unwiderstehliche Köstlichkeiten erschienen.

„Keine Sorge. Wir lassen euch schon nicht verhungern“, sagte Reezz, als hätte er Oskars Gedanken gelesen.

„He, Oskar, pack mal mit an!“, rief Lissy. Sie hockte auf Fluppes Rücken und hatte Florian an den Armen gepackt.

Oskar sprang herbei und langsam ließ Lissy Florian herabgleiten.

„Hab ihn!“, sagte Oskar und legte Florian vorsichtig auf das Stroh.

Florian wand sich – und brabbelte wirres Zeug. „Ich will nicht in die Badewanne! Meine Ohren sind sauber!“

„Was sagt er?“, fragte Lissy.

„Dass er saubere Ohren hat“, antwortete Oskar.

Lissy sah nach. „Gelogen. Eindeutig gelogen“, sagte sie und beide lachten.

Winterhauchs Kopf tauchte über Oskar auf. Schlagartig wurde es dunkel um ihn herum.

„Wie geht es ihm?“, fragte der alte Drache.

„Immer noch ohnmächtig“, sagte Lissy.

„Kannst du ihn heilen, Winterhauch? Mit einer magischen Drachenmedizin oder so?“, fragte Oskar hoffnungsvoll.

„Natürlich. Mit einer sehr magischen Drachenmedizin“, antwortete Winterhauch. Der alte Drache marschierte zu den Wasserfässern, füllte einen Eimer und kippte den Inhalt – platsch! – in Florians Gesicht.

Der prustete, schoss hoch und schrie: „Ich habe doch gesagt, dass meine Ohren sauber sind, Mama!“

„Geheilt!“, verkündete Winterhauch.

„Hurra!“, rief Fluppe, klatschte in die Hände, hopste vor Freude in die Höhe und schlug mit dem Kopf an die Decke.

Nachdem auch Fluppe dank magischer Drachenmedizin – einem Eimer Wasser volle Lotte ins Gesicht – von seiner Ohnmacht geheilt war, verteilte Reezz Fleisch an alle. Sofort stopften sie sich die Backen voll und kauten. Bis auf Florian. Der glotzte nur fassungslos von einem zum anderen und lächelte blöde. Hatte er vielleicht doch einen Dachschaden davongetragen?

„Iss.“ Oskar brach ein Stück Fleisch ab und reichte es seinem Freund.

Oskar wusste selber nicht, was er da aß, und er wagte auch nicht, zu fragen. Auf alle Fälle ähnelte der dicke Schädel, an dem Fluppe gerade genüsslich herumkaute, verdammt dem Kopf eines Einhorns.

Aß er Einhorn? Das wäre nicht das Allerschlimmste gewesen. Einhörner waren zwar hübsch anzuschauen, aber ansonsten üble, aufgeblasene Stinkstiefel. Oskar befürchtete eher, dass er sich gerade an Rattenschinken oder dem Nackenstück eines Breitstinkmauls die Zähne ausbiss.

Florian aß nur wenig. Er war zu sehr damit beschäftigt, verwirrt zu sein und sich zu fragen, ob er wirklich wach war oder noch immer träumte. „Was ist hier los? Wieso töten uns die Drachen nicht?“

„Erklär ich dir später“, beruhigte ihn Oskar. „Und nun iss.“

Nach dem Abendessen betteten sich alle zum Schlafen. Vor allem Florian war ermattet. Er musste nämlich nicht nur das zähe Fleisch verdauen, sondern auch all die verrückten Sachen, die Oskar ihm inzwischen erzählt hatte – von Lissy, Hinnerdir, Fluppe und Feuersturm. Immer wieder murmelte Florian „Das gibt es doch nicht!“ in sein Kopfkissen, bis er einschlief.

Von seinem Nachtlager aus beobachtete Oskar, wie Winterhauch versuchte, die Fackeln an den Wänden auszupusten. Es misslang. Immer wieder entwichen seinem Maul kleine Funken, welche die gerade erloschenen Fackeln gleich wieder entzündeten.

„Laff mich mal.“ Fluppe schob Winterhauch zur Seite. Er dehnte sich ein bisschen, machte drei Kniebeugen, ließ die Gelenke seiner Krallen knacken und eine Sekunde später erlosch die erste Fackel in Fluppes Spuckenebel. So ging es reihum. Dehnen, Kniebeugen, Knöchelknacken, Flamme ausspucken. Nur die letzte Fackel wollte Fluppe nicht löschen. Die sollte brennen bleiben. Natürlich nur, falls jemand nachts aufs Klo musste, und nicht etwa, weil sich Fluppe im Dunkeln fürchtete.

Fluppe legte sich neben Feuersturm. Zuerst ließ er noch eine ganze Drachenlänge Abstand, doch dann rutschte er langsam näher. Irgendwann breitete seine Mutter einen Flügel wie eine Decke über ihn aus.

Oskar wurde bei dem Anblick ein bisschen warm ums Herz, aber er spürte auch eine große Leere in seinem Bauch. Trotz Breitstinkmaulnackensteak. Er spielte noch eine Weile mit der Feenkugel, die er aus dem Drachentöterhaus stibitzt hatte, ließ sie wieder in seiner Jacke verschwinden und schlief endlich ein.