Die letzte Hüterin des Wunschelixiers - Johanna P. Blum - E-Book
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Die letzte Hüterin des Wunschelixiers E-Book

Johanna P. Blum

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Beschreibung

Wenn Wünsche deine Welt verändern ... Um die Magie der Wünsche bei einem Angriff vor dem Finsterreich zu schützen, muss Fylinn, die letzte Hüterin des Wunschelixiers, aus ihrem Heimatdorf fliehen. Nach Jahren des Versteckens taucht plötzlich Nox, der Prinz dieses gefährlichen Reiches auf. Doch verfolgt er wirklich die Ziele des Finsterreiches - oder hat er eigene Pläne? Denn bei einer weiteren Flucht mit ihrer besten Freundin ist Fylinn hin- und hergerissen zwischen Vorurteilen und einer Anziehungskraft, die ihre Gefühle verwirrt. Im Kampf um Freiheit, Freundschaft und Liebe bemerkt Fylinn allerdings zu spät, welche Geschöpfe noch auf sie lauern. Und sie muss erkennen, dass nicht jeder Wunsch erfüllt werden sollte.

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Seitenzahl: 600

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über die Autorin

Hinter Johanna P. Blum verbirgt sich eine 1988 geborene Autorin, die im Jahr 2023 infolge ihrer Leseeuphorie zum ersten Mal den Wunsch äußerte, selbst ein Buch schreiben zu wollen. Schon in ihrer frühen Kindheit hatte sie die ersten Kurzgeschichten geschrieben und eine Begeisterung für Fantasy entwickelt. Sie liebt es, Wörter, Sätze und ganze Kapitel zu entdecken. Ihre Geschichten schreibt sie mit viel Witz und Charme, aber auch einem Hauch Ernsthaftigkeit.

Mit ihrer kleinen Familie und ihren Tieren lebt die gebürtige Saarländerin in Waldnähe und arbeitet hauptberuflich als Zeichnerfee im Baugewerbe.

Außerdem stellt sie sich des Öfteren die Frage, wieso sie beim Einkaufen eigentlich immer kaputte oder klebrige Verpackungen erwischt.

Für meine Kinder,

die mir immer wieder

zeigen, wie schön es ist

Fantasie zu besitzen.

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

EPILOG

PROLOG

Schon sehr lange bin ich hier im Wunschwald am See ohne Namen, fliege tagtäglich umher und sehe bei den Waldbewohnern nach dem Rechten. Irgendwie hat sich dies vor Jahrzehnten so ergeben, dass ich mich für sie verantwortlich fühle. Vor allem, seit ich die letzte Hüterin des Wunschelixiers bin.

Ich erinnere mich zu gerne an die Zeiten, in denen es noch sehr viele Hüter wie mich gab. Wir bewohnten zusammen ganze Dörfer in Tasia, diesem Land aus unzähligen schillernden, glitzernden aber auch dunklen Dörfern und Städten, die nicht wundersamer hätten sein können. Es waren so viele, dass man sie noch nie richtig hatte zählen können.

Dieses Land liegt zwischen den Träumen und Wünschen der Menschen und ist so vielseitig wie die Lebewesen der Erde. Es gäbe uns und Tasia überhaupt nicht ohne die Menschen.

Einst lebte ich mit den anderen Hütern in Janwa, einem dieser Dörfer. Wir wohnten dort in glitzernden kugelförmigen Häusern, die wie aus Seifenblasen wirkten. Vielleicht waren sie das auch, das weiß ich leider nicht mehr. Aber man konnte nie durch sie hindurchblicken. Sie schillerten in allen möglichen Regenbogenfarben und veränderten sich je nachdem, wie die Sonne darauf schien oder man den Blickwinkel wechselte. Um jedes Haus herum gab es eine Vielzahl an verschiedenen Blumen und Sträuchern. Sie waren voller Leben und erstrahlten ebenfalls in allen Farben. Es war wunderschön und stets friedlich in diesem kleinen bunten Dorf. Nachts, sobald die Sonne untergegangen war und die Mondsichel ihren Platz eingenommen hatte, fingen die Blumen an, in allen ihren Farben zu leuchten. Die Häuser begannen, von innen heraus zu erstrahlen und jeder Hüter lud auf seine Weise mithilfe des Mondes die Kraft des Wunschelixiers wieder auf. Alles in allem war das Dorf mit seinen verschiedensten Einwohnern ein bunt zusammengewürfelter Haufen.

Oft feierten wir zusammen eins der vielen verschiedenen Feste, die in ganz Tasia bekannt waren. Jedes Geschöpf kam zu uns gereist, um mit uns Spaß zu haben, zu tanzen und zu singen. Das Liebste war mir jedoch das Mondfest, da ich mich dem Mond schon immer sehr nahe gefühlt habe und er auch heute noch einer meiner Weggefährten ist. Natürlich auch, weil das Wunschelixier und ich auf ihn angewiesen sind.

Nur die Wenigsten der Geschöpfe, die uns besuchten, hatten Wünsche oder Träume, die sie versuchten, mit der Hilfe eines Hüters zu erfüllen. Vor allem Kinder jeglicher Gestalt versuchten gerne ihr Glück, indem sie sich ein neues Spielzeug wünschten. Was jedoch nur sehr selten funktionierte. Manche Kinder kamen trotzdem mehrfach, wie ein kleiner Junge mit blauen Augen, an den ich mich gerne erinnere. Doch alle Erwachsenen waren glücklich mit dem, was sie hatten und brauchten deswegen unsere Hilfe so gut wie nie.

Wir waren schon immer alle sehr unterschiedlich und wieso manch einer von uns zum Hüter geboren wurde, wusste niemand. Es gab Hüter, die Kobolde waren. Genauso waren es aber auch Zentauren, halb Pferd, halb Mensch. Sogar ein paar sprechende Mäuse mit Fledermausohren oder Menschen mit Katzenköpfen waren unter den Hütern vertreten. Nur mich gab es so nur einmal. Ich war halb Fee, halb Elfe. Wobei ich keine Eltern hatte, noch wusste, woher ich kam. Denn so, wie es schien, hatte ich plötzlich wie aus Zauberhand angefangen zu existieren. Als hätte sich mich jemand gewünscht.

Ich war trotz der Vielzahl an Wesen, die in diesem Land lebten, nicht gerade unscheinbar. Lange blaue Haare umrahmten mein Gesicht und das Grün meiner Augen funkelte wie das Innere eines Saphirs. Meine Stupsnase saß zwischen glanzvoll schimmernden Wangen und war von glitzernden Sommersprossen umgeben. Und wenn ich wollte, konnte ich meine Flügel ausbreiten oder wie ein Pfeil in die Luft schießen. Vier Flügel saßen in der Mitte meines Rückens, die gerne mal in Blau, Lila oder Grün funkelten. Wenn ich gut gelaunt war, strahlten sie in einem satten Lilaton. War ich wütend, nahmen sie ein sehr dunkles Blau an. Sie trugen mich so schnell durch die Lüfte, dass ich für das menschliche Auge nicht sichtbar war.

Was mich am meisten ausmachte, war das Beherrschen der Magie der Wunschblasen, die ich wie keine andere Hüterin beherrschte. Niemand sonst hatte so viele Wünsche und Träume erfüllt, wie ich. Doch hatte ich immer fest daran geglaubt, dass das nicht wirklich mein Verdienst gewesen war. In Wirklichkeit waren es die Wunschblasen, die die Wünsche in Erfüllung hatten gehen lassen. Sie konnten demjenigen, der sich etwas wünschte und sie auf der Hand halten konnte, ohne sie zerplatzen zu lassen, direkt ins Herz blicken. Ihre Entscheidung richtete sich danach, ob derjenige würdig war, weil er wirklich Hilfe benötigte und nicht selbstsüchtig handelte und sich einfach nur irgendetwas wünschte. Ich war dafür da, die Wunschblasen herbeizurufen, und mich um ihre Essenz, das Wunschelixier, zu kümmern. Es war meine Aufgabe, dieses Elixier um jeden Preis zu beschützen. Denn, wer wusste schon, was passieren würde, wenn es in falsche Hände geraten würde.

Dazu trug ich um meine Hüfte einen Gürtel aus reißfester Riesenraupenseide, an dem ich das Wunschelixier in seinem kleinen Gefäß sicher befestigen konnte. Das Elixier wurde nie leer oder verschwand vollständig, wenn man es benutzte. Es musste nur, damit es seine volle Kraft behielt, regelmäßig mit Mondenergie versorgt werden. Um diese Energie verstärken zu können, trug ich stets einen Mondanhänger an meiner Kette, die aus Mondsteinsilber gefertigt war.

Ich verstand mich sehr gut mit den Wunschblasen. Selbst die allerkleinste Wunschblase flüsterte mir gern ihr persönliches Lied zu. Jede Blase war anders und jede für sich hatte etwas Besonderes an sich: funkelte oder schillerte anders, war größer oder kleiner als die anderen. Manchmal rief ich sie auch herbei, wenn niemand da war, der sich etwas wünschen wollte. Dann tanzte ich mit ihnen durch Wiesen und Wälder oder in luftigen Höhen und sie flogen mit mir durch die Wolken.

Was hätte ich dafür gegeben, diese Zeiten wieder zu erleben. Nachdem alle Wächter verschwunden waren oder sich in Luft aufgelöst hatten, verstand ich lange nicht, wieso gerade ich übriggeblieben war. Wieso es nicht noch jemand anderes geschafft hatte und alle mich allein gelassen hatten.

Auch die Wunschblasen hatte ich aus Angst, es würde sie jemand sehen, seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gerufen. Ihre Gesänge und ihr Flüstern fehlten mir wie alte Freunde. Doch wusste ich, dass es so besser war, da ich sie vor dem Finsterreich beschützen musste, diesem dunklen Teil von Tasia, in dem nichts zu leuchten, zu glitzern oder zu funkeln schien. Wo alles trostlos, grau und kalt war. Absolut kein Ort, an den ich jemals gehen wollte.

Laut den Waldbewohnern regierte dort ein furchteinflößender König namens Kravna mit seinem Sohn Nox. Sie allein waren schuld daran, dass es meine Heimat nicht mehr gab. Damals war mir nichts anderes übriggeblieben, als so weit wie nur möglich von Janwa zu fliehen, weil wir von bösen Gestaltwandlern und machthungrigen Wesen überfallen worden waren, die im Auftrag von König Kravna gehandelt hatten.

Was ich vor meiner Flucht noch mitbekommen hatte, war, wie sie versuchten, den Hütern die Flaschen und Behältnisse mit dem Wunschelixier gewaltsam zu entreißen. Niemand aus dem Finsterreich hatte allerdings gewusst, dass ein Hüter sofort sterben würde, wenn ihm sein Wunschelixier entrissen wurde, da es ein Teil seiner selbst war, wie ein schlagendes Herz in der Brust eines Menschen.

Die Hüter waren ein sittsames und friedliches Volk gewesen. Keiner von ihnen wurde jemals darin ausgebildet, zu kämpfen oder sich zur Wehr zu setzen, sodass kaum jemand von ihnen Widerstand geleistet hatte. Trotzdem waren Schreie und Rufe in den Straßen zu hören, als einige Dorfbesucher versucht hatten, uns Hüter mit allen Mitteln zu verteidigen. Ich hatte aus meinem Versteck mitansehen müssen, wie einer nach dem anderen mit seinem Leben bezahlte, der sich den Soldaten in den Weg gestellt hatte. Überall auf den Wegen und Straßen war Chaos ausgebrochen, da niemand gewusst hatte, wohin er flüchten sollte.

Als mir klar geworden war, dass unsere Angreifer ihre Taktik geändert hatten und dann die noch übrigen Hüter gefangen nahmen, da sie sie lebendig brauchten, hatte ich mich so schnell ich nur konnte in die Lüfte erhoben und war Richtung Norden gesaust. Dort würde mich hoffentlich niemand mehr erreichen können und das Wunschelixier wäre mit mir in Sicherheit. So war ich nach unzähligen Tagen, in denen ich immer weitergeflogen war, absolut kraftlos auf einer weichen mit Blumen besetzten Wiese am See ohne Namen im Wunschwald Tasias gelandet.

Was nach meiner Flucht mit Janwa passiert ist, erfuhr ich hier nur aus dem Flüstern des Windes, der die Stimmen von Durchreisenden zu mir trug. Laut diesen Geschöpfen, sind alle Hütten und Häuser verschwunden und das ganze Dorf ist von dornigen Sträuchern umwachsen. So, als wollten diese Pflanzen diesen Ort beschützen, an dem wir einst gelebt hatten und damit niemand anderes dieses Dorf betritt. Manche erzählten, die Dornensträucher würden auf die Rückkehr der Hüter warten und bis dahin ihre Dornen und Stacheln wachsen lassen. Näherte sich jemand Fremdes, so ließen sie diese noch spitzer und noch gefährlicher werden.

Mir war klargeworden, dass Janwa nicht länger mein Zuhause sein könnte, also sah ich mich am See um, der von allem sehr abgeschieden lag, und suchte mir dort eine Möglichkeit, um etwas auszuruhen und dann weiterfliegen zu können. Ich hätte nie damit gerechnet, dass mir ausgerechnet eine Wassernymphe, die hier mal ausgesetzt worden war, helfen würde, mein neues Zuhause zu finden. Aber genau das tat Triadne. Sie zeigte mir eine versteckte Höhle hinter einem Wasserfall am See und wurde meine beste Freundin.

Das erste Mal begegneten wir uns, als ich total übermüdet und hungrig von meiner langen Flucht einen falschen Schritt getan hatte und vornüber ins Wasser fiel. Ich war so erschöpft, dass ich nicht einmal merkte, wie mich das klare, weiche Wasser umspülte und ich immer tiefer sank. Triadne zog mich raus und brachte mich hinter den Wasserfall. Dort hatte sie sich aus ein paar Blättern und Moos, die sie am Wasserrand gesammelt hatte, ein Bett gebastelt, um selbst hin und wieder ihre Ruhe vor den anderen Waldbewohnern finden zu können. Sie legte mich auf dem grünen weichen Moosbett ab und blieb bei mir, bis ich aufwachte.

»Hey, werd munter!«, sagte sie. »Eine Leiche wollte ich hier nicht bestaunen«, raunzte sie mich an.

Ich fühlte mich, als hätte mich jemand mit eiskaltem Wasser überkippt, damit ich wach werde. Ich war mir danach sogar sicher, dass sie das tatsächlich zusätzlich getan haben musste, denn nachdem ich die Augen aufgeschlagen hatte, schnappte ich heftig nach Luft und hustete einen Schwall Wasser aus.

»Na, endlich! Schau mal einer an, wer da wieder unter den Lebenden weilt. Gern geschehen! Übrigens, ich bin Triadne. Und das da«, sie zeigte auf das Moosbett unter mir und hob eine Augenbraue, »ist übrigens meine Schlafgelegenheit Dornröschen.«

Total perplex musterte ich sie und wusste nicht was ich erwidern sollte. Also piepste ich nur: »Danke.«

Sie war bildhübsch. Ihre Haare waren von einem hellen Rosa und ihre schlanken Arme, die mit goldenen Armreifen verziert waren, verschränkte sie trotzig vor der Brust. Ihre hellblauen Augen strahlten trotz ihrer Abwehrhaltung etwas Sympathisches aus.

»Oh, mehr hast du nicht zu sagen? Wie zum Beispiel: Herzlichen Dank, große Triadne, dass du mich vorm Ertrinken gerettet hast. Ich danke dir von Herzen, dass ich nicht zum Seeschlamm mit dem Entenkot werden musste … und … oh … wie wäre es damit: … Danke, dass du mir nicht die Flügel gestutzt hast?«

Triadnes Wortwahl klang zwar ziemlich barsch, aber ihr Tonfall, das Funkeln in ihren Augen und das leichte Grinsen auf ihren geschwungenen Lippen verrieten sie. Sie meinte es nicht so boshaft, wie sie versuchte, es klingen zu lassen. Ich setzte mich auf, schüttelte kurz meine Flügel auseinander und lächelte sie an.

»Ich heiße Fylinn. Danke, dass du mir den Arsch gerettet hast und ich mein tristes Leben mit meinen erbärmlichen Flügeln weiterleben darf. Die allerdings offensichtlich unter Wasser nicht funktionieren, wie ich nun gelernt habe. Ich muss wohl zu erschöpft gewesen sein und konnte nicht mehr weiterfliegen, geschweige denn laufen.«

Kurz überlegte ich, was alles passiert war und wie sich mein Leben schlagartig geändert hatte. Völlig in meinen Gedanken versunken, versuchte ich diese zu ordnen, doch es waren einfach zu viele.

»Ich bin vermutlich nun auch die Letzte … «, murmelte ich vor mich hin.

In meinem Kopf begann sich alles zu drehen, da ich nun erst richtig anfing zu begreifen, dass ich die letzte Hüterin war. Ich riss mich aus den Gedanken los und ermahnte mich, vorsichtig zu sein. Ich kannte Triadne nicht. Doch nun, wo ich mich fast verraten hätte, fiel mir auf, dass ich das Wunschelixier nicht mehr an meinem Gürtel hatte.

»Wo ist es?«, brüllte ich sie an und meine Flügel verfärbten sich sofort in schimmerndem Dunkelblau.

Triadne sah mich trotz meines Wutausbruchs noch nicht einmal schockiert an. Sie wirkte eher gelangweilt.

»Wo ist was, Prinzessin? Ich habe keine Ahnung, wieso du gerade unter Gefühlsschwankungen leidest. Und deine Flügel auf einmal nur noch Finsterreich rufen.«

Ich versuchte, mich zu beruhigen, atmete tief durch und schloss meine Augen. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich vielleicht eine Schwingung des Wunschelixiers ausmachen. Etwas, das nach mir rief und nach meiner Anwesenheit verlangte.

Plötzlich wusste ich, wo sich das Gefäß befand und schoss blitzartig nach vorne. Dabei rammte ich nur leider Triadne und fiel seitlich über die Kante des Moosbettes wieder hinein in den See. Durch den Schwung geriet mein Kopf sofort unter Wasser und ich zappelte mit Beinen und Armen, damit ich schnell wieder an die Wasseroberfläche gelangte. Als ich wieder auftauchte, sah ich zu meinem Leidwesen, dass Triadne einfach nur lachend auf dem Moosbett saß.

»Also, ich weiß wirklich nicht, ob du einen Hang zur Selbstzerstörung hast, einfach nur gerne badest oder so sein möchtest wie ich. Aber was ich weiß ist, dass dein komisches Glas, nach dem du gerade so panisch greifen wolltest, aus deinem Gürtel gefallen war und lila pulsierte, als ich dich gerettet habe. Ich habe es zwar mit hierhergebracht. Aber da ich erst einmal wollte, dass du zu dir kommst, trocknest und was isst, habe ich es sicher zur Seite gelegt, damit es nicht kaputtgeht. Und ich habe nicht im Traum daran gedacht, dass du wie eine Furie aufspringen würdest, um das Ding an dich zu reißen und Gollum mit seinem Ring zu spielen. Wolltest du das etwa nach Mordor bringen?«

Dann lachte sie über ihren eigenen blöden Witz und schien sich köstlich über mich zu amüsieren.

Ich kroch aus dem Wasser, schüttelte mich und ging zum Wunschelixier, das immer weniger pulsierte, je näher ich ihm kam. So, wie mein Herzschlag sich beruhigte.

»Nein, ich bin nicht … Ach, vergiss es! Was weißt du schon?«, murmelte ich. Sie hob eine Augenbraue.

»Ich weiß, dass du nicht aus Mittelerde stammst.«

»Ja, sehr witzig, Triadne. Wie du siehst, lache ich auch wie verrückt.«

»Ach, jetzt sei keine Spielverderberin!«, erwiderte sie und verdrehte die Augen.

»Hast du Hunger?«, wechselte Triadne das Thema und sah mich auffordernd an.

»Ich verstehe die Frage nicht«, antwortete ich umgehend und lachte, weil mein Bauch schon so laut grummelte, dass es von den Wänden der Höhle widerhallte.

»Na, aber hallo! Dann ist aber gut, dass ich uns noch etwas zu essen besorgt habe«, erwiderte sie und zwinkerte mir zu.

Von diesem Tag an waren wir unzertrennlich, solange wir uns in Reichweite des Sees befanden. Sie brauchte das Wasser um sich herum, so wie ich die Luft und den Wind zum Atmen. Genauso, wie das Wunschelixier mich brauchte und andersherum. Das waren Naturgesetze, denen wir uns nicht widersetzen konnten.

Wenn Triadnes Beine im Wasser landen, bekommt Triadne eine Schwanzflosse, die bei ihr wie ihre Haare rosa funkelt und an den Rändern mit Gold besetzt ist. Dazu trägt sie immer ihren Schicksalsreif, der sich wie ein Armreif um ihren Oberarm schlängelt. An Land verschwindet ihre Flosse und sie kann auf ihren eigenen Beinen und Füßen laufen. Man meine nun, sie wäre dann nackt, aber dies ist nicht der Fall, da sich ihre Schwanzflosse in eine enganliegende Hose verwandelt. Nur ihre Füße bleiben nackt.

Noch beim Essen hatte ich Triadne dann erzählt, was mir passiert war und sie hatte zuerst nur ein trauriges Gesicht gemacht und gar nichts dazu gesagt. Wer ich wirklich war, ließ ich anfangs erst einmal ganz außen vor.

Später verstand ich dann, wieso sie so ruhig geblieben war. Sie hatte Ähnliches erlebt gehabt. Auch sie war in ihrem Heimatdorf von Gestalten aus dem Finsterreich überfallen worden, nur hatten es diese auf junge, hübsche Wassernymphen abgesehen, die sie gefangen und mit sich nehmen wollten. Triadne aber hatte einem Kobold den Kopf so sehr verdreht, dass er sie für sich ganz allein haben wollte und sie hier an den See gebracht hatte mit dem Schwur, irgendwann wieder zu ihr zurückzukommen und sie zu sich zu holen. Allerdings war dies in den vergangenen hundertzehn Jahren nicht passiert. Sie wusste nicht einmal, ob er überhaupt noch lebte.

Auch wenn sie es niemals direkt zugab, merkte man, wenn sie über ihn sprach, dass sie ihn liebte und auf ihn wartete.

KAPITEL 1

»Fylinn, wo bist du nur wieder mit deinen Gedanken? Konzentrier dich, verdammt.«

Triadne verdreht wegen mir mal wieder die Augen. Dabei runzelt sich kurzzeitig ihre Stirn und sie zieht eine schiefe Schnute. Ich bin wirklich etwas abgedriftet und meine Gedanken sind noch ganz wirr. Ich war doch gerade erst wieder in Janwa, habe getanzt, wir wurden überfallen, dann fiel ich ins Wasser und lernte Triadne kennen. Diese Szenen laufen in meinem Kopf immer wieder in Dauerschleife, wie ein Ohrwurm, der mir nicht aus dem Kopf will.

»Es tut mir leid, ich war in meinen Gedanken wieder in Janwa … ich bin heute einfach nicht bei der Sache.«

Es nervt mich selbst, dass ich heute nicht in der Lage bin, gegen sie anzutreten, und das, obwohl ich mittlerweile viel besser kämpfe als sie. Ich sollte, genau wie Triadne, immer in Form bleiben, denn so wie sie überfällt auch mich nach so vielen Jahren noch regelmäßig die Angst, wieder überfallen oder, noch schlimmer, verschleppt zu werden.

»Wir trainieren täglich, zusätzlich zu deinen Auskundschaftungen durch den Wald, in der Hoffnung, dass wir frühzeitig gewarnt werden. Du bist so viel besser geworden, nur mit deinem Kopf müsstest du mal ein ernstes Wort reden. Der scheint nämlich irgendwie eine Abneigung gegen Kämpfe zu haben.«

Das sagt sie immer so einfach, dabei ist es das nicht.

»Ich versuche es ja. Aber sobald mich dieses Gefühl überkommt, spielt sich wieder alles in Vor- und Rückwärtsschleifen in meinem Kopf ab. Dabei empfinde ich immer eine Leere und habe das Bauchgefühl, etwas zu übersehen. Machen wir am besten eine kurze Pause und ich bringe meine Gedanken wieder ins Hier und Jetzt«, schlage ich hoffnungsvoll vor, denn dass mich diese Gedanken an die Vergangenheit ziemlich ermüdet haben, möchte ich ihr gegenüber nicht zugeben.

Sie macht sich sowieso schon immer Sorgen um mich. Außerdem bin ich viel zu stolz, es zuzugeben. Vielleicht wüssten die Wunschblasen, wieso ich diese Leere empfinde, sobald ich an diese Schlacht zurückdenke. Aber noch immer habe ich keine Einzige zu mir gerufen und mir ihr Lied angehört. Das Wunschelixier trage ich immer noch an meinem Gürtel, so wie früher. Ich wage nicht, es abzulegen. Selbst wenn ich es in unserer Höhle gut verstecken würde, wäre mir das nicht sicher genug.

»Komm schon, Fylinn. Du musst lernen, dein Schwert auch dann einzusetzen, wenn du mit deinen Gedanken woanders bist. Niemand aus Finsterreich wird dich zuerst fragen, ob du soweit bist. Sie werden einfach zuschlagen und … zack! … sitzt du in der Falle.«

»Nein, Tria. Wir können gerne später weiter trainieren, aber ich habe Eduard versprochen, noch nach ihm zu sehen. Wenn ich wieder zurück bin, können wir gerne weiter üben.«

Schon stecke ich mein Schwert in die Lederscheide am Gürtel neben das Wunschelixier, wende mich von ihr ab und mache mich auf den Weg zu Eduard. Vor allem möchte ich auf dem Flug meine Gedanken wieder auf die Reihe bekommen.

»Eduard? Ernsthaft?«, ruft mir Triadne vorwurfsvoll nach. »Der alte Baumgeist? Der hat doch nicht mehr alle Latten am Zaun.«

»Hat er nicht, da hast du Recht. Aber ich mag ihn. Er ist, wie er ist. Die einen kennen ihn, die anderen können ihm mal«, rufe ich ihr lachend zu.

Irgendetwas murmelt und schimpft sie noch, nachdem sie sich ins Gras hat fallen lassen, aber ich höre ihr schon nicht mehr zu. Ich falte meine Flügel auseinander, schließe die Augen und atme tief durch. Meine Flügel zu benutzen ist für mich jedes Mal so, als würde ich einen Teil meines Selbst wiederfinden. Ich spüre den leichten Widerstand des Windes, der auf meine Flügel trifft und sie etwas kitzelt. Es ist, als würde der Wind zu mir sprechen und mir sagen, dass ich ihm vertrauen und ihm folgen solle. Bisher hat er mich noch nie enttäuscht und mich stets dorthin gebracht, wo ich sein sollte. So öffne ich die Augen, bewege intuitiv meine Schulterblätter, an denen meine Flügel angewachsen sind, steige in die Luft und mache mich auf den Weg. Ich war schon so oft bei Eduard, dass ich den Weg auch im Schlaf finden würde. Zu Fuß wäre ich Stunden unterwegs, jedoch ist es im Flug nur einen Katzensprung entfernt.

Am Boden wachsen unzählige dornige Büsche und die Schlammgruben sind tief und stinken nach faulen Eiern, so dass man automatisch einen riesigen Bogen um dieses Gebiet macht. Auch die Mausbären sind nicht gerade begeistert, wenn man wie ein Riese durch ihre Straßen läuft. Deshalb bevorzuge ich das Fliegen, wenn ich Eduard besuchen möchte. Der Vollständigkeit halber muss ich zugeben, dass ich es auch nur einmal zu Fuß probiert habe, weil mein rechter Flügel kurzzeitig vom Training verletzt gewesen war. In den Jahren bin ich eine wahre Meisterfliegerin geworden, kaum jemand könnte mir das Wasser reichen.

Nach all den Jahren kennen mich nun viele Waldbe wohner, jedoch weiß niemand, wer ich wirklich bin – außer Triadne. Alle anderen glauben, ich wäre eine gewöhnliche Fee, aufgewachsen am Rande einer Stadt des Wasserreiches. Vermutlich haben sich das ein paar der Bewohner wegen meiner Haarfarbe zusammengereimt und es so weitererzählt. Wasser, Meer, blaue Haare … klar – eindeutig Wasserreich. Diese Spinner! Anstatt sie einfach mal nachfragen. Ich selbst habe nie etwas in dieser Richtung zu irgendjemandem gesagt. Ich habe sie nur wissen lassen, dass ich öfter in Janwa gewesen war und Feste mitgefeiert habe, was ja nicht gelogen ist.

Schmunzelnd fliege ich eine Rechtskurve durch die dicht bewachsenen Baumkronen direkt auf eine kleine Lichtung zu und lande auf der Sonnenseite, von der man die gesamte blumenbesetzte Wiese im Auge hat. Kaum habe ich begonnen, mich erst einmal umzusehen und den umherfliegenden Insekten zuzuhören, stehe ich auch schon auf dem Kopf und verschränke trotzig meine Arme vor der Brust. Er ist verdammt schnell und ich weiß genau, was das hier werden soll. Ich habe das schon unzählige Male mitgemacht und möchte ihm nicht den Spaß verderben, indem ich von vornherein woanders lande.

Ein leichtes Grinsen spielt auf meinen Lippen, während ich von seinen Ästen umklammert werde. Sie liegen wie Seile um meine Fußgelenke, die raue Rinde kratzt etwas und meine Haare baumeln nach unten zum feuchten Waldboden und den Blütenblättern unter mir hin.

»Eduard, musst du mich jedes Mal auf den Kopf stellen? Das ist nicht so lustig, wie du meinst«, schimpfe ich gespielt beleidigt mit ihm.

»Klar muss ich das, meine kleine süße Blaubeere«, antwortet er grinsend mit seiner tiefen Stimme und zwinkert mir zu. »Du musst deine Sichtweise ändern. Du bist si cherlich wieder irgendwo anders mit deinen Gedanken. Und wenn ich sie dir in deinem Kopf nicht zurechtrücken kann, ändere ich zumindest deine optische Wahrnehmung. Wenn du das nicht selbst tust, muss es eben Onkel Eduard für dich übernehmen.«

»Punkt Nummer eins, Mister Ich-breche-mir-eine-Wurzel-weil-jemand-über-mich-gestolpert-ist: Lass mich bitte wieder runter! Punkt Nummer zwei: Es wäre wirklich komisch, wenn du tatsächlich mein Onkel wärst. Diese Ahnenforschung möchtest du dir und mir nicht antun.«

Noch bevor ich reagieren kann, dreht sich die Welt erneut und ich lande mit einem lauten ›RUMMS‹ auf meinem Hintern. So war das nicht geplant.

»Aua, behandelt man so seine Gäste? Du bist echt ein Rüpel«, schimpfe ich laut vor mich her und reibe mir die schmerzende Stelle auf meinem Po, nachdem ich mich auf die Beine gerafft habe.

Eduard allerdings schüttelt sich vor Lachen. Dabei wackelt seine ganze Baumkrone und grüne Blätter segeln auf mich hinab, als würde es regnen.

»Tut mir leid, Fylinn. Das war keine Absicht.«

Er lacht ein letztes Mal resigniert auf und hält sich seine Äste vor den eigenen Stamm, in dem sich ein großes Loch befindet, das wie ein Bauchnabel aussieht.

»Aber Ahnen? Dein Ernst?«, grunzt er vor sich hin. »Damit bringst du mich zu sehr aus der Fassung. Nun habe ich Bilder im Kopf, die kein Baumgeist haben sollte. Stell dir mal einen blau schimmernden Lotusbaum vor, oder besser noch eine Rindenfee.«

»Ja, lach du nur, du hast ja keinen Hintern, der mal eben die Erde geknutscht hat … Aber danke der Nachfrage. Tut gar nicht mehr weh. Ich bin hart im Nehmen, wie du weißt. Spaß beiseite, was macht denn deine Wurzel? Wenn wir gerade dabei sind, das Weichei unter uns zu fin den«, stichele ich mit einem Grinsen auf meinen Lippen.

»Pass nur auf, du … du, ähm … na super! Immer, wenn man Beschimpfungen für seine Lieblingsfee braucht, hat man keine mehr auf Lager«, stammelt er und rümpft seine Astnase, von der ein einzelnes grünes Blatt absteht und hin und wieder im Wind flattert, als würde es mir zuwinken wollen.

Urkomisch, ehrlich gesagt. Schlendernd gehe ich näher auf ihn zu.

»Tja, mein Schatz, wer kann, der kann!«

Ich kichere ihm entgegen. Unseren total sinnfreien Schlagabtausch mag ich jedes Mal aufs Neue.

»Wenn du trotzdem so gnädig wärst … «, bricht er seinen Satz ab und weist mit den Augen auf seine geschundene Wurzel.

»Wird gemacht, Chef! Bin so gut wie an der Arbeit«, salutiere ich ihm und sehe mir die Stelle an, die ich schon recht gut kenne.

Dazu knie ich mich auf den Boden und begutachte erst einmal meinen provisorischen Verband aus Gräsern und Moos. Leider benötigt es eine lange Zeit, bis seine Wurzel wieder zusammengewachsen ist. Eine Verwundung, weil ein Zyklop gemeint hatte, es wäre lustig, im Wald Seil zu springen. Dabei war es noch ein kleiner Zyklop gewesen, ein richtiges Kind. Sofern man im Riesenzyklopenmodus von klein sprechen kann. Leider finden sie es sehr witzig, wenn es unter ihnen knackt und kracht. Zu heilen beginnen konnte er erst richtig, nachdem ich seine Wurzel erst einmal wieder ordentlich aneinandergebogen und fixiert hatte. Sanft streiche ich über die kahle Stelle ohne Rinde, nachdem ich den Verband abgewickelt habe.

»Sieht gut aus. Ich denke, so in drei bis vier Wochen sollte alles wieder soweit stabil sein, dass du sie benutzen kannst. Aber übertreibe es nicht«, weise ich ihn an.

»Ich hatte nicht vor, einen Marathon durch Tasia zu laufen, Fylinn. Aber zumindest mal an ein schattigeres Plätzchen zu kommen, wäre schön. Die Sonne meint es zurzeit wirklich viel zu gut mit mir. Hat zwar den lästigen Holzwurm vertrieben, der mir dauernd in den Ohren lag, dass er schon besser gewohnt hätte. Aber meine Blätter fangen schon an zu trocknen. Und meinen Bruder würde ich auch nur zu gerne wiedersehen.«

Lächelnd erhebe ich mich und sehe ihn an.

»Ja, der Holzwurm war wirklich eine Marke. Gab es einen Tag, an dem er nicht gemeckert hat, dass es doch viel bessere Bäume zum Wohnen geben würde?«

»Nicht, soweit ich mich erinnern kann«, erwidert Eduard mit einem Schmunzeln und scheint seinen Gedanken nachzuhängen.

Als er sich wieder fängt, sieht er mich auffordernd an.

»Aber nun erzähl, meine Liebe. Wie geht es dir? Es kann sich ja nicht immer nur alles um mich drehen.«

Ich finde seine Frage schön und sie erwärmt mein Herz ein wenig. Es gibt nicht viele Geschöpfe, denen das Leben und die Gefühle eines anderen wirklich wichtig sind oder die das ernsthaft interessiert. Die meisten geben vor, wissen zu wollen, wie es einem geht. Aber wenn man dann anfängt zu erzählen, hören sie nicht richtig zu.

Man bekommt dann Antworten wie: ›Ich hatte das ja auch mal und bei mir war das so und so. Und ich habe dies und jenes dafür getan. Ach, weißt du, was mir letztens passiert ist? …‹

So wird plötzlich aus der einfachen Frage ›Wie geht es dir?‹ die Truman Show deines Gegenübers. Eduard dagegen ist tatsächlich stets an meinem Befinden interessiert und zählt neben Triadne zu den Freunden, die ich mit Blut und Messer verteidigen würde. Selbst wenn er komische Ansichten von Ahnenforschung hat oder mich jedes Mal, wenn ich ihn besuche, auf den Kopf stellt. Manchmal frage ich mich, ob der Holzwurm nicht etwas zu viel in Eduards Baumkrone herumgeknabbert und ihm dabei ein paar wichtige Synapsen zerkleinert hat. Danach könnte er sich auf Eduards Nase übergeben haben, wo dann dieses witzige winzige Blättchen ein Eigenleben entwickelt hat.

Schon starre ich wieder genau auf das Winkeblättchen in seinem Rindengesicht. Na super! Er ist ein wahrer Freund und ich winke im Geiste einem Blatt zurück. Es zieht aber auch wirklich die Aufmerksamkeit auf sich. Zum Glück weiß er bereits, dass ich eine Vorliebe für dieses Blättchen habe und mich nicht hinter seinem Rücken über ihn lustig mache.

»Mir geht es recht gut momentan. Nur die Vergangenheit kommt immer wieder hoch und ich drifte ab. Es ist jedoch nicht so schlimm, dass du dir Sorgen machen müsstest.«

Er sieht mich etwas verwirrt an und erwidert eindringlich: »Ich mache mir immer Sorgen um dich, Fylinn.«

Dann schweift er wieder etwas ab.

»Vor allem, wenn du mit dem Kopf nicht da bist, wo du sein solltest. Und wenn du so weitermachst und mir ständig auf mein Blatt glotzt, frage ich das nächste Mal den Zyklopen, ob er es mir ausrupfen kann. Auch wenn das wehtun wird, ich halte das aus. Versperrt mir eh die Sicht, das blöde Ding. Wer hat schon gern einen toten Winkel direkt vor seiner Nase? Stell dich mal direkt vor mich und geh immer wieder einen Schritt zur Seite und zurück. Da ist sie. Jetzt ist sie weg. Da ist sie. Jetzt ist sie weg. Total nervig.«

Ich muss über seinen Vorschlag herzhaft lachen. Nicht nur, weil er mal wieder mitbekommen hat, dass ich das Blättchen anstarre und am liebsten wegwünschen würde.

Sondern auch, weil er sich selbst nicht zu ernst nimmt und über sich selbst lachen kann.

»Soll ich es mal versuchen? Mit meinem Schwert ist es in Nullkommanichts …«

Weiter komme ich nicht, da er mich total erschrocken anstarrt und dann die Augen verdreht.

»Du kommst mir nicht mit deinem Taschenmesser in mein Gesicht, junge Dame. Wie lang schwingst du das Teil schon? Vielleicht ein paar Jahrzehnte? Ach ja, stimmt. Seit du mit dem Fischotter piksen übst. Bin ich froh, dass ich kein Fischstäbchen bin«, beschwert er sich sarkastisch.

»Ihr werdet euch nie leiden können oder?«, seufze ich.

»Vermutlich nicht«, erwidert er mit einem boshaften Grinsen. »Sie ist viel zu streng mit dir.«

»Das müssen wir zueinander sein, Eduard. Sie zu mir, wie ich zu ihr. Nur so können wir besser und fitter werden. Wer weiß, wann das Finsterreich auch den Wunschwald angreift. Was dann? Wer verarztet dich dann noch?«

»Ja, hast Recht. Aber an meine Nase darfst du trotzdem nicht«, schimpft er mit mir.

»Hast du irgendetwas davon mitbekommen, ob es wieder Überfälle gab?«, frage ich ihn und hoffe darauf, dass er nichts Diesbezügliches erfahren hat.

»Vor ein paar Tagen habe ich zwei Gestalten zugehört, die hier auf der Lichtung eine Pause eingelegt haben. Waren Spione von Finsterreich, oder so etwas. Ganz dunkel gekleidet waren sie, mit einem silbernen Giftkraut als Symbol. Ich habe mich verhalten wie ein normaler Baum, um zuhören zu können. Waren aber auch nicht gerade zurückhaltend mit ihrer Unterhaltung. Zumindest Diskretion war denen ein Fremdwort. Haben irgendetwas gesprochen von Hüten, die sie finden wollen. Keine Ahnung, wieso sie plötzlich Hüte tragen wollen. Macht sie auch nicht hübscher und bis auf einen Sonnenschutz haben sie ja auch keinen Nutzen davon. Komische Kreaturen waren das.«

Ich habe keine Ahnung, was er da aufgeschnappt hat. Verstehe nur so viel, dass hier wohl Soldaten, oder, wie er sie nannte, ›Spione von Finsterreich‹ durchgelaufen sind und ich Triadne davon erzählen muss.

Vielleicht hängen meine Flashbacks auch mit dem Auftauchen dieser komischen Typen in diesem Wald zusammen. Meine Freunde haben Recht: Ich sollte zügig lernen, mich auch bei einem Rückblick in meine Vergangenheit unter Kontrolle zu behalten. Auch wenn ich Eduard nie erzählt habe, wer ich wirklich bin, weiß er doch so viel, dass mein Dorf damals überfallen wurde und ich aus diesem Grund mit Triadne trainiere. Mehr über mich möchte ich ihn nicht wissen lassen, da ich ihn nicht in Gefahr bringen will.

Außerdem redet er gerne los, ohne vorher lange zu überlegen. Ich liebe ihn wirklich und vertraue ihm sehr, doch seinem Mundwerk leider nicht zu hundert Prozent.

»Hast du sonst noch etwas mitbekommen? Außer, dass sie Hutfetischisten sind?«, hake ich nach.

»Nur noch so was, wie, dass Nix auch unterwegs ist, um sich einen Hut zu suchen.«

Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ich glaube, sein Alter macht ihm doch so langsam zu schaffen. Oder hat er einfach zu viel Harz und Moos in den Ohren?

Das stimmt doch von hinten bis vorne nicht. Irgendwelche Gestalten mit Modetick? Die Gefahr durch Sonnenbrand ist ihnen vermutlich auch vollkommen egal. Und wer verdammt nochmal soll Nix sein? Oder meint er etwa? … Nein, das kann nicht sein! … Die Oberschicht geht nie auf Pirsch! So wird es seit Ewigkeiten erzählt. Ich hoffe ganz stark, dass dieser Typ nicht in diesem Wald ist.

Ich muss schnellstmöglich mit Triadne überlegen, was wir jetzt tun sollen. Ich denke nicht, dass wir hierbleiben können, wenn er tatsächlich? … Nein, bitte nicht!

»Eduard, es tut mir leid, aber ich muss dann auch schon wieder los. Und danke, dass du für uns spionierst. Du bist ein Engel im Baumkostüm. Aber ich habe Triadne versprochen, dass wir heute noch weiter trainieren.«

Ich kann meine Befürchtung nicht mit ihm teilen, da ich weiß, wie viel mehr Sorgen er sich dann nur macht.

»Okay. Schade, dass du schon losmusst. Aber danke für den Besuch und die Fürsorge. Komm bald wieder, meine Liebe, und pass mit dem Zahnstocher auf.«

Ich nicke ihm herzlich zu und drehe mich mit einem ›Bis bald‹ kurz zu ihm um, bevor ich meine Flügel ausbreite und dann nach oben schieße. Ich muss schnellstmöglich zu Triadne. Wenn sich mein Gefühl doch bestätigt, sitzen wir vermutlich bald ganz schön in der Tinte.

So schnell mich meine Flügel tragen, fliege ich zurück zu Triadne und bleibe dabei im Schatten der Winde. Ich habe ein sehr ungutes Gefühl, was von der Tatsache herrührt, dass nach all den Jahren hier scheinbar Soldaten aus Finsterreich aufgetaucht zu sein und irgendetwas zu suchen scheinen. Ich vertraue Eduards Beobachtungsgabe, aber was sie hier so dringend suchen, ist mir schleierhaft. Obwohl ich wie verrückt darüber nachdenke, komme ich einfach nicht darauf. Hüte können es doch nicht wirklich sein, es sei denn, sie möchten in Finsterreich mithilfe eines sprechenden Hutes ihre Häuser einteilen, der sie dann hoffentlich nach Slytherin schickt, wo sie allesamt hingehören.

Kaum einen Wimpernschlag, nachdem ich von Eduard losgeflogen bin, lande ich schon an unserem See. Doch von Triadne fehlt jede Spur. Also gehe ich nach Hause in die Höhle hinter dem Wasserfall, da ich vermute, dass sie dort auf mich wartet.

Unsere kleine Wohnung besteht schon lange nicht mehr nur aus einem Moosbett, sondern wurde um all das Mobiliar erweitert, das wir selbst bauen konnten. Unsere Stühle und Tische in der Mitte der Höhle bestehen aus dickeren Ästen und Geflechten aus Seetang vom Boden des Sees. Die Teppiche haben wir aus getrockneten Gräsern, Blumen und Moos geflochten.

Unsere Betten stehen etwas auseinander, da ich nicht schlafen kann, wenn Triadne nachts wie ein Seeungeheuer schnarcht. Obwohl sie zugegebenermaßen ein sehr hübsches Seeungeheuer ist. Leider aber mit der Geräuschkulisse einer Seekuh. Ihr Bett steht links an der Höhlenwand und meines auf der rechten Seite. Sie sind eigentlich eher Hängematten aus Lianen, Spinnenseide und Moos, befestigt an massiven Stämmen. Man schläft sehr gut darin, wenn man es geschafft hat, nicht direkt wieder rauszupurzeln und darin liegen bleibt. Ich brauchte nur drei Tage, bis ich gelernt hatte, mich nicht wieder aus dem Bett zu katapultieren. Seither schlafe ich darin wie ein Stein.

In der hintersten Ecke steht eine große Truhe, die ich von Zentauren bekommen hatte, nachdem an ihrer Kutsche ein Rad gebrochen war und ich ihnen helfen konnte. Manch Durchreisende schmeißen alles, was sie nicht mehr brauchen, einfach weg und das leider immer genau dort, wo sie es zum jeweiligen Zeitpunkt nicht mehr behalten wollen. Zum Glück hatte ich die geistreiche Idee gehabt, das weggeworfene Rad, das ich gerade gefunden hatte, in unserem Zuhause als Dekoration aufhängen zu wollen. Und dann wurde es die Rettung für die Zentaurenkutsche. Die Truhe samt Inhalt, stumpfe Schwerter und Messer, gaben sie mir dann als Belohnung mit der Aussage, ich könnte letztere ja noch als Brotmesser nutzen. Für mehr wären die Sachen eh nicht mehr zu gebrauchen. Die Truhe war allerdings so schwer gewesen, dass ich Eduard hatte bitten müssen, mir zu helfen, sie bis zum See hinter uns herzuziehen. Trotz seiner Hilfe konnte ich mich am nächsten Tag wegen des Muskelkaters kaum mehr bewegen.

Die Schwerter und Messer hatten Triadne und ich alle nacheinander geschliffen, bis sie extrem scharf waren. Vermutlich mehr, als sie es je gewesen waren.

»Tria?«, rufe ich in die Höhle hinein in der Hoffnung, dass sie mich vielleicht wieder aus einer Ecke heraus erschrecken möchte, weil sie das so lustig findet. Nichts. … Keine Antwort. Deshalb gehe ich wieder nach draußen und stelle mich neben den Wasserfall, um dort nach ihr zu rufen.

»Tria, bist du hier irgendwo?«

Ich schaue mich verzweifelt um und bekomme langsam Angst, dass ihr etwas passiert sein könnte. Schon packt mich etwas am Fuß und zieht mich nach vorne ins Wasser. So schnell, dass mein Schrei sofort vom Wasser verschluckt wird. Hastig strample ich, um mich zu befreien, doch etwas hält mich eisern fest und zieht mich von der Oberfläche weg nach unten. Ich bekomme Panik und zerre an meinem Fuß. Meine Flügel saugen sich voll Wasser und sind damit absolut keine Hilfe.

Plötzlich tauchen lange rosa Haare vor mir auf, die etwas leuchten, und ich beruhige mich sofort. Triadne lässt mein Fußgelenk los und formt mit den Händen vor ihrem Mund einen großen Kreis, in den sie hineinpustet. Eine große Luftblase entsteht, die sie greift und mir über den Kopf stülpt. Da ich wegen meiner Flügel immer Abstand zu Wasser bevorzuge, haben wir nie experimentiert, was unter Wasser für mich möglich ist. Sie überrascht mich wirklich, denn was sie da vollbracht hat, ist für mich wie eine Taucherglocke um den Kopf, die hin und her wabert.

»Ich wusste nicht, dass du so etwas kannst«, erkläre ich ehrfürchtig und bin erstaunt darüber, wie gut diese Luftglocke funktioniert.

»Ehrlich gesagt, wusste ich auch nicht, ob es funktioniert«, gibt sie zu. »Aber ich musste dringend tiefer ins Wasser. Hier ging etwas ganz Komisches vor sich, als du weg warst. Ich bekam ein sehr ungutes Gefühl. Als ich dich nach mir rufen gehört habe, dachte ich nur noch daran, dich auch in Sicherheit bringen zu müssen. Entschuldige, bitte! Ich hätte dich gerne vorgewarnt, bevor du klatschnass werden musstest.«

»Schon gut, du hast mich mit deiner Aktion nur echt erschreckt. Aber jetzt erzähl! Was ist denn passiert, dass du sofort ins Wasser springen und alles stehen und liegen lassen musstest?«

So dringend ich ihr auch von den Soldaten im Wald erzählen will, hier scheint etwas passiert zu sein, das noch mehr Sorgen bereitet und mir deswegen akuter erscheint. Ich habe Angst, dass ich mit meiner Vermutung richtig liege.

»Auf der anderen Seite des Sees sind zwei Männer in Schwarz aufgetaucht. Das ist passiert. Ich habe sie nur ganz kurz gesehen und sofort gedacht, dass ich alleine keinerlei Chance hätte. Nach ihrer Kleidung zu urteilen kamen sie aus Finsterreich. Also ließ ich mich sofort ins Schilf rollen und bin leise im Wasser abgetaucht. Zum Glück habe ich mein Schwert mit hier runtergenommen«, berichtet sie mir hastig. Dabei sind ihre Pupillen vom Adrenalin ganz geweitet.

»Als ich ankam, war hier niemand zu sehen. Vielleicht wollten sie nur etwas trinken oder sich kurz waschen?«, erwidere ich in der Hoffnung, dass sie mir zustimmt.

Aber das tut sie nicht.

»Soldaten, die sich waschen? So was gibt’s doch gar nicht! Und trinken können die nur Rattenschnaps. Die wollten etwas Bestimmtes hier. Und da war noch was sehr Mysteriöses: es kam eine gräuliche Finsternis auf, die alles an Farbe geschluckt hat. Um sie herum war alles nur noch in Schwarz-weiß zu sehen.«

»Und was ist, wenn es Abok war, der nach dir gesucht hat?«, äußere ich noch eine Vermutung, die eigentlich nicht stimmen kann, in der Hoffnung, dass sich meine Befürchtungen nicht bestätigen.

»Jetzt kommst du mit Abok? Fylinn, der Kerl lässt mich hier seit wie vielen Jahren verschrumpeln? Hundertzehn? Ja genau, seit hundertzehn verdammten Jahren. Ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt noch existiert oder schon das Geistliche gesegnet hat.«

Auch wenn sie sich gerade über ihn aufregt, merke ich doch, wie verliebt sie auch nach all den Jahren des Wartens noch immer in ihn ist. Und sofort in seine Arme sinken würde, vermutlich aber erst, nachdem sie ihm die Hölle heißgemacht hätte. Sein Glück nur, dass Wassernymphen unendlich alt werden und sie nicht schon ewig auf dem Seeboden liegen und vor sich hinvegetieren würde, wenn er wieder kommen sollte.

»Aber Moment mal«, setzt sie an.

»Wieso bist du nicht schockiert? Das hätte ich eigentlich von dir erwarte. Hier an unserem See sind Soldaten aufgetaucht!«

»Weil Eduard mir bereits von zwei Soldaten aus Finsterreich erzählt hat, die auf seiner Lichtung waren. Laut seiner Aussage suchen sie nach einem bestimmten Hut«, erwidere ich, noch immer umgeben von der Luftblase.

»Ich hatte nichts gesehen rund um den See und es dürfte nun eine Weile vergangen sein. Lass uns dieses Gespräch besser in der Höhle fortsetzen. Meine Flügel ziehen sich schon wie Rosinen zusammen.«

Dabei durchschüttelt es mich, da dieses Gefühl so langsam wirklich lästig wird. Triadne nickt mir zu, gibt dann aber ein stummes Zeichen, dass sie vorschwimmt und nachsieht, ob die Luft rein ist. Kurz danach kommt sie zurück, ergreift meinen Arm und zieht mich hinter sich her, bis wir direkt unter dem Wasserfall auf der anderen Seite unserer Höhle wieder auftauchen. Diese Seite der herabfallenden Wassermassen wirkt wie eine verdreckte Fensterscheibe, durch die man nicht hindurchsehen kann. Sie lässt aber Sonne herein und schirmt Geräusche ab.

Ich stemme mich aus dem Wasser heraus und nehme mir eine Decke, die ebenfalls ein Fundstück aus dem Wald ist, in die ich mich sofort einkuschle. Mir ist verdammt kalt von diesem unfreiwilligen Badetag. Dann setze ich mich mit Triadne an unseren Tisch.

»Jetzt bitte noch einmal! Sie suchen einen Hut, hast du gesagt? Etwa einen sprechenden? Den gibt es nur einmal und der ist schon anderweitig vergeben. Der würde dich wohl in Ravenclaw einordnen, du beschissen hübsche Elfenfee … Selbst wie ein begossener Pudel siehst du noch unglaublich süß aus. Oder meinst du einen Zauberhut? Wollen sie Kaninchen züchten und eines nach dem anderen hervorzaubern können? Was ist mit diesem Baumgeist nur los? Hüte? … pah! Dass ich nicht lache. Kann er denn nicht einmal richtig zuhören, wenn er schon in Winterstarre verfällt? Der ist so morsch im Kopf.«

Sie regt sich heftig über Eduard auf.

»Ja, ich weiß«, stimme ich ihr kopfschüttelnd zu und reibe mir mit den Fingern über die Nasenwurzel.

»Aber er tut das für uns.«

»DICH«, unterbricht sie mich.

»Ja okay, für mich vermutlich. Dich mag er nicht. Aber er versucht sein Bestes. Man muss nur zwischen den Zeilen lesen. Er hat mir zwar von Hüten, die sie besorgen und benutzen wollen, erzählt … frag mich nicht, was das bedeuten soll … aber er hat auch gesagt, dass Nox in diesem Wald unterwegs ist. Er sagte zwar Nix, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Kronprinzen von Finsterreich meinte.«

»Was? Nox soll hier sein? Meinst du, deswegen war die Sicht verändert und die ganze Farbe verschluckt? Meinst du, er war einer von den beiden?«, fragt sie mich schockiert.

»Es wäre möglich, ja. Obwohl ich nie davon gehört habe, dass er so was kann. Dafür sprechen aber auch meine Flashbacks, die immer öfter kommen. Die kann ich mir anders nicht erklären.«

»Was eine verdammte Scheiße!«

Triadne wirft ihren Kopf in den Nacken und atmet geräuschvoll ein und aus.

»Und was ist, wenn sie von dir wissen? Was ist, wenn sie nicht nach Hüten, sondern nach Hütern suchen?«

Jetzt, wo sie es sagt, ist es so naheliegend, dass mir eine Gänsehaut den Körper hinunterjagt. Sie waren hier gewesen und das, obwohl der See sehr versteckt liegt. Angst, gefunden zu werden, überkommt mich und ich taste automatisch nach dem Wunschelixier an meinem Gürtel. Es ist noch da.

»So ungern ich das in diesem Fall sage, Fylinn, aber wir sitzen jetzt hier wie auf dem Präsentierteller. Vor allem, da sie nun hier schon waren. Wir müssen weg und das so schnell wir nur können. Es sei denn, du möchtest unbedingt eine Reise nach Finsterreich buchen … kostenlos.«

Sie spricht aus, was ich ebenfalls befürchtet habe, seitdem mir der Gedanke gekommen war, dass es sich um Nox handeln musste.

»Ich weiß, aber wie? Du kannst hier nicht weg, Tria, wie soll das gehen? Und ich gehe sicherlich nicht ohne dich. Das Wunschelixier ist immens wichtig, aber du bist es auch. Ich lasse dich ganz sicher nicht alleine hier zurück«, erwidere ich protestierend und verschränke die Arme vor der Brust.

»So süß das auch gerade klingt und ja, ich liebe dich auch, du Schlumpf im Schmetterlingskostüm, aber das ist absolut die falsche Zeit, die Heldin zu spielen. Ich war vor dir auch jahrelang alleine.«

»Ja, mit einer feuchten Unterlage aus Moos, die du Bett genannt hast. Und hast dich vor jedem versteckt, der zufällig hier vorbeikam und ›Hallo‹ gesagt hat«, erinnere ich sie an ihre eigenen Erzählungen.

Heutzutage ist der Wald um den See mittlerweile so zugewachsen, dass es kaum möglich ist, hier einfach so vorbeizukommen. Außerdem verstecken Bäume, Sträucher und Gebüsch alles, was auf den See hinweisen könnte. Auch die Geräusche des Wasserfalls werden verschluckt. Ich kann sehen, dass Triadne angestrengt überlegt, da sich ihre hübsche Stirn in Falten legt und sie ihren Mund verzieht.

»Und was ist, wenn …? Nein das kann ich nicht von dir verlangen, aber für dich würde ich es versuchen«, murmelt sie vor sich her.

»Was, Tria? Lass mich an deinem Gedankenkarussell teilhaben.«

»Was ist, wenn? … Ach nein. Vergiss es!«, nuschelt sie weiter und redet mehr mit sich selbst als mit mir.

»Wenn jemand sagt ›Vergiss es‹, will man es doch erst recht wissen. Nichts wird hier vergessen. Vergiss es, dass ich es vergesse und spuck es schon aus. Wenn du schon mit etwas anfängst, sprich auch zu Ende«, ermahne ich sie böse. Ich kann es nicht leiden, wenn jemand anfängt, etwas zu sagen und dann seine Gedanken nur zur Hälfte mitteilt. Entweder ganz oder gar nicht.

»Was ist, wenn ich die Wunschblasen bitte, dass ich mit dir mitgehen kann?«

Sie schaut mich verzweifelt und mit Reue in den Augen an.

»Ausgeschlossen! Es ist viel zu gefährlich, sie zu rufen. Außerdem weiß ich überhaupt nicht, ob sie noch auf mich hören. Ich bin zwar jede Nacht so weit, wie ich konnte, nach oben geflogen und habe das Wunschelixier mit Mondenergie versorgt, aber wer weiß schon was passiert, wenn sie auftauchen. Vielleicht jagt es uns die gesamte Bude in die Luft. Oder, im besten Fall, erfüllen dir die Wunschblasen keinerlei Wünsche. Und dann wäre der ganze Stress und die Aufmerksamkeit, die wir vielleicht auf uns ziehen würden, für die Katz«, erwidere ich heftig.

Ich bin aufgesprungen und laufe beim Reden immer wieder vor Triadne hin und her, wobei ich mich mehr und mehr in meine Verzweiflung hineinsteigere.

»Und wenn das alles nicht passiert? Wenn alles glatt läuft, mir mein Wunsch erfüllt wird und wir von hier zusammen wegkönnen? Fylinn, ich lebe schon so lange hier, dass ich jedes Wassermolekül beim Namen nennen könnte, wenn es einen hätte. Ich bin bisher immer nur geblieben, weil ich hoffte … «

Sie unterbricht sich selbst.

»Ich weiß, Tria. Aber ich glaube nicht, dass er wiederkommt.«

Ich schaue sie traurig an und setze mich wieder zu ihr.

»Was ist, wenn ich es leid bin, hier noch über zweihundert weitere Jahre verbringen zu müssen, Fylinn? Ich möchte Abenteuer erleben, ich möchte die Welt sehen. Und das schon seit langem. Aber bisher gab es nie einen triftigen Grund, den sicheren Hafen zu verlassen«, spricht sie leise weiter, während ihr eine Träne die Wange hinunterrollt.

Ich habe sie in all den Jahren immer nur kampflustig, sarkastisch oder liebevoll besorgt erlebt. Noch nie traurig oder sogar weinend. Sie tut mir leid. Ich selbst habe mein Herz noch nie verschenkt und kann deswegen nicht ansatzweise nachvollziehen, wie sehr sie sich wünschen muss, dass er wieder zu ihr zurückkommt.

»Und wohin sollen wir gehen, wenn es funktioniert? Oder wolltest du dich direkt irgendwohin teleportierwünschen?«, sage ich mit dem Versuch, sie wieder aufzuheitern.

Ich bin nicht besonders gut darin, jemanden zu trösten, aber gut darin, jemanden aus seinem persönlichen Loch zu holen. Kurz ist sie still und antwortet dann.

»Kommst du nicht ursprünglich aus Wasserreich?«

Dabei zwinkert sie mir verschwörerisch zu. Stimmt. Dort würden wir beide nicht besonders auffallen. Und sie wäre dort auch nahe am Wasser.

Grübelnd sehe ich sie an, während ich versuche, Pro und Kontra abzuwägen. Ehrlich gesagt, habe ich richtig Angst davor, die Blasen nach so langer Zeit zu mir zu rufen. Ich fürchte, dass sie mir den Dienst versagen und gar nicht erst auftauchen. Wofür wäre ich dann noch von Nutzen? Wer wäre ich dann noch? Eine Hüterin, die keine mehr ist. Triadne sieht mich immer noch erwartungsvoll an und wagt es kaum zu atmen.

»Ich bin mir wirklich unsicher, Tria. Wunschblasen senden immer auch Schwingungen aus, die normale Geschöpfe zwar nicht spüren können, aber andere Hüter schon. Was ist, wenn sie einen mit sich bringen?«

»Meinst du wirklich? Sagtest du nicht, die wären alle verschwunden?«, fragt sie mich schockiert.

»Ja, sind sie. Zumindest denke ich das, nach dem, was ich alles gesehen habe. Nur ein Bruchteil wurde gefangengenommen. Meines Wissens nach würde sich kein Hüter auf die Seite des Finsterreiches stellen. Aber was ist, wenn sie gefoltert und so lange verrückt gemacht wurden, bis sie die Seiten gewechselt haben?«

»Das kannst du nicht wissen, Fylinn. Es ist doch arg weit hergeholt. Das sind alles nur Vermutungen und ich verstehe, dass du Angst hast. Aber du vergisst eine gewaltige Sache.«

Ganz offensichtlich versucht sie, mich zu beruhigen, was auch klappt, da sich mein Herzschlag wieder etwas verlangsamt.

»Und das wäre?«, frage ich sie.

»Du bist stark. Viel stärker als damals. Du kannst kämpfen und bist dabei vermutlich schneller und besser als jeder andere, der ein Schwert beherrscht. Sie wissen das nicht, falls es soweit kommen sollte. Dann schlagen wir zu und sind klar auf der Überraschungsseite«, prophezeit sie mir.

Ihr Kampfgeist und Optimismus in allen Ehren, aber mir scheint das alles nicht gerade geheuer. Mein Kopf dreht sich vor lauter Was-ist-wenn?-Fragen. Meine Zweifel daran, vielleicht doch nicht die letzte Hüterin zu sein, vernebeln mir die Sinne und ich bin kurz davor, mental wieder in die Vergangenheit abzurutschen und nach Janwa zurückzukehren.

»Fylinn, komm schon, nicht jetzt … sehr unpassend gerade. Wir müssen immer noch, so schnell es geht, hier weg. Ich muss hier weg, bevor ich irre werde. Und während wir hier sitzen und in Erinnerungen und Was-könnte-passieren-Fragen ertrinken, könnten sie zurückkommen und nochmals nach dir suchen.«

Sie holt mich immer auf den Boden der Tatsachen zu rück, damit ich mich zusammenreiße. Ich hole tief Luft und konzentriere mich auf das Wunschelixier. Vielleicht möchte es mir etwas mitteilen oder gibt mir ein Zeichen. Ein leichtes Aufleuchten, ein Erzittern, irgendetwas. Aber nichts.

Nochmal denke ich an Triadnes Worte: ›Ich möchte weg hier.‹ … ›Du bist stärker.‹

Ich spüre, dass sie diesen Wunsch wohl schon sehr lange pflegt und es leid ist, hier auf ihren Geliebten zu war ten. Wobei alles, was tatsächlich passiert, ist, dass sie nur extrem langsam vor sich hin altert. Auch wenn sie mich bei sich hat, fühlt sie sich doch alleingelassen.

»Du hast Recht. Ich mache es!«, sage ich entschlossen und schaue in ihre glitzernden Augen, die ihr Glück kaum fassen können.

KAPITEL 2

Ich schließe die Augen und versuche, mich daran zu erinnern, wie es früher gewesen war, ohne mich in der Vergangenheit zu verlieren. Wie ich die Wunschblasen gebeten hatte, zu mir zu kommen, mir zuzuflüstern und mit mir zu tanzen. Wie es gewesen war, den verschiedensten Kreaturen beim Versuch zuzusehen, die Blasen auf ihre Hand zu locken und ihnen ihre Wünsche zu offenbaren.

Ich liebe es, mit anzusehen, wie die Blasen in allen Farben schillern und man spürt, wie sie ins Innere eines Herzens blicken können, um zu entscheiden, ob ein Wunsch wirklich erfüllt werden sollte. Dieses Gefühl versuche ich festzuhalten und drehe das Gefäß des Wunschelixiers mit einem leisen ›Plopp‹ auf.

»Wow! … Ähm … Müsste da nicht jetzt so eine fette Wolke rauskommen und ein Flaschengeist oder so?«, redet Triadne einfach drauf los. »Aber da ist ja … Ja, was ist da? … Nichts … Riecht nicht mal nach faulen Eiern oder so.«

Sie war noch nie gut darin gewesen, ihre eigenen Gedanken, vor allem die konfusen, für sich zu behalten.

»Kannst du bitte ruhig sein? Ich muss mich konzentrieren! Sobald ich die Wunschblasen gerufen habe und sie erscheinen, musst du eine auf deine Hand locken. Nur, wenn eine auf deiner Hand liegenbleibt und nicht zerplatzt, kannst du deinen Wunsch äußern. Aber überlege ihn dir gut und sprich ihn mit dem Herzen aus, nicht mit deinem vorlauten Mundwerk.«

»Meine Lippen sind versiegelt. Ab sofort bin ich die Ruhe selbst. Auf geht’s, Houdini. Überrasche mich!«, verschaukelt sie mich und wirkt dabei total aufgekratzt.

Ich rolle nur noch mit den Augen und versuche, wieder in dieses Gefühl zu kommen, das verpufft ist, seit sie dazwischen gequatscht hat. Dazu nehme ich das Glas an meine Lippen und flüstere ihnen in Gedanken zu: Helft dem Schicksal, das zu tun, was vorgesehen. Blickt ins Herz, dem der würdig ist. Danach puste ich ganz sanft in das Gefäß, nehme es von meinen Lippen und gieße mir etwas von dem Wunschelixier über die Hand. Ich fange an, mich leicht zu bewegen und setze einen Fuß vor den anderen. Bewege meinen Körper tanzend im Kreis. Dabei schwingen meine Arme und Hände zu einer Musik, die nur in meinem Kopf spielt. Es ist eine sehr mystische und langsame Musik, die in meinem Inneren erklingt.

Als ich bemerke, dass das Wunschelixier auf alles, was ich tue, reagiert und meine Haut anfängt zu kribbeln, forme ich mit Daumen und Zeigefinger ein ›O‹ und spreize die anderen Finger nach oben ab.

Zuerst denke ich, dass nichts passiert und fühle Enttäuschung aufsteigen. Doch dann formt sich eine Blase und schwebt in unserer Höhle umher. Darauf folgen weitere, eine nach der anderen. Sie sammeln sich um mich herum und ich fange fröhlich an zu lachen. Dabei verbeuge ich mich vor ihnen. Ich bin unendlich dankbar und froh, sie wieder bei mir zu haben. Sie haben mir so sehr gefehlt und es fühlt sich an, als wäre mein Herz fast wieder so vollständig wie es sein sollte.

Ich hebe die Arme und sie fangen an, mich zu umkreisen und mit mir zu tanzen. Schillernd brechen sie das Licht, das durch den Wasserfall fällt und unsere Höhle ist von hunderten kleiner Regenbogen durchzogen, wie in einer Kristallhöhle.

»Den Sarkasmus um die Wolke hätte ich mir sparen sollen. Sie sind wunderschön, Fylinn«, platzt Triadne heraus.

Ich wusste, dass sie nicht lange ruhig bleiben könnte und grinse glücklich in mich hinein.

»Jetzt bist du an der Reihe, Tria. Versuch es! Du musst es aus tiefstem Herzen wollen, ohne sie zwingen zu wollen, zu dir zu kommen. Mehr kann ich leider nicht für dich tun.«

Sie steht erst stocksteif da und traut sich kaum zu atmen, schließt dann aber die Augen und streckt ihre Hand nach vorn aus. Dabei zeigt ihre Handfläche einladend nach oben. Auf ihren Lippen ist ein stummes ›Bitte, bitte komm zu mir‹ zu erkennen. Dabei beißt sie allerdings verbissen die Zähne zusammen.

Als gar nichts passiert und die Wunschblasen immer noch nur um mich herumkreisen, entfährt ihr ein kleines Schnaufen und ein knappes: ›So ein Scheißdreck‹. Ich muss kichern, weil sie wieder einmal zu schnell die Nerven verliert und keinerlei Geduld zeigt. Doch sie behält ihre Position bei und fängt dann automatisch an, ihre Hand leicht von links nach rechts zu schwingen, als säße darauf ein Babyeichhörnchen, das sie beschützen möchte.

Just in dem Moment, wo ich denke, dass sie aufgibt, schweben alle Blasen von mir zu ihr und umkreisen sie. Dabei berührt sie ein paar, woraufhin diese Blasen in der Luft zerplatzen.

»Hey, das kitzelt«, gluckst sie glücklich.

»Ich glaube, du hast sie mit deinem Scheißdreck im Sturm erobert. Sie scheinen dich zu mögen«, erwidere ich und zwinkere ihr zu.

Ich freue mich mit ihr, bis sich eine der Blasen auf ihrer Hand niederlässt, aber sofort zerplatzt. Dabei kommt jedoch eine winzig kleine zum Vorschein, die in der zerplatzten Blase gesteckt haben muss.

»Ach nein, was bist du putzig. Wie eine Miniaturausgabe deiner Mama. Wie ein Wunschblasenminimi«, säuselt Triadne verzückt zu der Blase.

Sie bleibt tatsächlich auf ihrer Hand liegen.

Hätte die Wunschblase ein Gesicht, würde man vermutlich ein strahlendes Lächeln sehen, mit dem sie Triadne anstarrt. Ich empfange von dem Bläschen ein leichtes Pulsieren und ein kaum hörbares ›Ich finde sie cool‹.

Triadne scheint sich an ihre Aufgabe zu erinnern und wirkt auf einmal ganz nachdenklich. Kurz schaut sie mich an und nickt mir zu, bevor sie sich vollkommen der Miniblase zuwendet. Sie scheint in ihre Gedanken zu versinken, bis sie die andere Hand hebt und mit ihrem Finger versucht, die Blase zu streicheln. Dabei entfährt ihr ein geflüstertes: »Ich danke dir von Herzen«, bevor die Blase in Millionen Tropfen zerspringt und mit ihr auch alle anderen Blasen verschwinden.

»Ich hatte total vergessen, wie wundervoll es immer ist, sie zu sehen. Das Bläschen fand dich übrigens total cool. Du beeindruckst!«, sage ich ganz ehrfürchtig.

Dann starre ich sie an und flüstere: »Tria sei ganz ruhig und bewege dich nicht«

»Was? Wieso?«, fragt sie ganz panisch.

Als sie sich suchend umdreht klatschen ihr rosafarbene mit Gold verzierte Flügel ins Gesicht.

»Ach du Scheiße!«, ruft sie erstaunt aus und beginnt zu hyperventilieren.

»Fylinn, was ist das? Wo kommt das her?«

»So, wie es aussieht, aus deinem Rücken«, antworte ich und zeige mit dem Finger auf ihre Schulterblätter.

»Was, bitte, hast du dir gewünscht?«, frage ich sie verdutzt.

»Wie war das? Der Wunsch muss aus dem Herzen kommen?«, zitiert sie mich und hebt ihre rechte Augenbraue.

»Die Frage ist mir herausgerutscht. Ich weiß, dass …«