Die letzten Tage von Stonewall Jackson - Alfred Wallon - E-Book

Die letzten Tage von Stonewall Jackson E-Book

Alfred Wallon

0,0

Beschreibung

Sein Name war Thomas Jonathan Jackson – aber bekannt wurde er unter seinem Kriegsnamen Stonewall Jackson. Er war einer der fähigsten und tapfersten Offiziere im Kommandostab der Konföderierten Armee von Robert E. Lee. Sein eigenes Leben war geprägt von militärischen Siegen – bis ausgerechnet seine eigenen Leute während der Schlacht von Chancellorsville versehentlich auf ihn schossen und Jackson schwer verletzten. Dieser bedauerliche Irrtum führte am 10. Mai 1863 zu seinem Tod.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 238

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DIE LETZTEN TAGE VON STONEWALL JACKSON

ONLY EBOOK - WESTERN

BUCH 1

ALFRED WALLON

IN DIESER REIHE BISHER ERSCHIENEN

e101  Alfred Wallon Die letzten Tage von Stonewall Jacksone102  Alfred Wallon Das Gewissen eines Killerse103  Alfred Wallon Stahlspur nach Leadvillee104  Alfred Wallon Die Pioniere von Kentuckye105  Alfred Wallon Tod am little big Horne106  Alfred Wallon Geistertanze107  Alfred Wallon Die Expeditionen des Jedediah Smithe108  Alfred Wallon Die Expeditionen des Meriwether Lewis und William Clarke109  Alfred Wallon John Calhouns Geheimnis - Die Calhouns - Eine Texas-Dynastie - Band 1e110  Alfred Wallon Revolver-Rache

© 2024 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a,  51570 Windeck

Redaktion: Alfred Wallon

Titelbild: Mario Heyer

Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Satz: Torsten Kohlwey

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-7579-4158-1

e101v2

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nachwort

Über den Autor

KAPITEL1

20. April 1863

Guiney's Station

12 Meilen außerhalb von Fredericksburg

Der Himmel war grau und trübe. Aus Richtung Westen wurde der Wind allmählich stärker und zerrte an dem knielangen Mantel, den Lieutenant General Thomas Jonathan Jackson trug. Erste Regentropfen fielen vom Himmel, aber das nahm Jackson überhaupt nicht wahr. Denn in Gedanken weilte er bei seiner Frau Mary Anna und seiner Tochter Julia, die mit dem Richmond-Express innerhalb der nächsten halben Stunde hier eintreffen würden. Vorausgesetzt, dass der Zug den Fahrplan pünktlich einhielt – aber das konnte man in diesen unsicheren Zeiten niemals genau sagen.

Der blutige Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd hatte nun schon das dritte Jahr hinter sich, und es hatten sich tiefe Gräben zwischen den verfeindeten Staaten gebildet. Viele Schlachten waren seitdem geschlagen worden, und etliche Soldaten hatten auf grausame Weise ihr Leben verloren. Für eine Sache, die mittlerweile für den Süden recht dramatisch verlief, denn die Armeen des Nordens hatten General Lees Truppen schwere Schläge versetzt und wichtige strategische Orte und Bahnlinien erobert. Die Kriegsführung des Südens hatte sich in eine Verteidigungsstellung verwandelt, und alles deutete darauf hin, dass sich diese Lage so schnell nicht mehr ändern würde.

Ich bin froh, dass Mary Anna endlich kommt, dachte Jackson. Es ist viel zu lange her, seit ich sie zuletzt gesehen habe. Eine Frau gehört schließlich an die Seite ihres Mannes. Aber es ist wohl Gottes Wille, dass wir schon so lange voneinander getrennt sind. Selbst wenn es so ist, fällt es mir schwer, daran zu denken, dass ich eine Tochter habe und sie noch gar nicht gesehen habe. Wie mag sie wohl aussehen? Was hat sie von mir? Vielleicht meine Augen? Oder noch mehr?

Jacksons Gedanken brachen ab, als er in der Ferne plötzlich eine dunkle Rauchwolke bemerkte. Sie kam aus dem Schornstein einer Lokomotive, die sich Guiney's Station näherte. Jackson wusste, dass die lange Zeit des Wartens nun hoffentlich ein Ende gefunden hatte.

„Es ist sicher ein besonderer Tag für Sie, Sir“, riss ihn die Stimme von Captain Miles Logan aus seinen Gedanken. „In solchen Momenten merkt man ganz besonders, wie schnell die Zeit vergeht.“

Jackson seufzte, als er sich von dem näher kommenden Zug abwandte und seinen Adjutanten anschaute.

„Ich habe eine Tochter, Captain“, erwiderte er. „Und ich bekomme sie erst jetzt zu Gesicht. Dieser verdammte Krieg reißt Familien auseinander und zerstört mehr, als wir uns alle vorstellen können. Wann haben Sie zum letzten Mal Ihre Frau gesehen, Captain?“

„Da lag noch Schnee, Sir“, erwiderte Captain Logan. „Aber ich tröste mich mit dem Gedanken, dass die Bewohner von Richmond zum Glück die Auswirkungen dieses blutigen Krieges noch nicht direkt mitbekommen haben.“

„Es wäre ein schrecklicher Gedanke, wenn die Hauptstadt der Konföderation von den Unionstruppen eines Tages belagert und beschossen werden sollte, Sir“, meinte Captain Logan. „Aber ich bin sicher, dass Sie und General Lee das niemals soweit kommen lassen.“

Der Blick des Captains war eine Mischung aus Sorge und Hoffnung. Weil er wie viele andere Offiziere und Soldaten wusste, dass Jackson eine absolute Ausnahmeerscheinung in Lees Kommandostab war. Er war jemand, zu dem man aufsehen und dessen Tapferkeit und Entschlossenheit man nur bewundern konnte. Seit er mit seinen Truppen bei der ersten Schlacht von Manassas die Yankees mit einer wilden Entschlossenheit nicht nur aufgehalten, sondern sogar noch zurückgedrängt hatte, galt er bei den konföderierten Soldaten als Lichtgestalt. Es hieß sogar, dass Jackson niemals aufgeben würde, und so lange er noch die Fahne der Konföderation unterstütze, so lange würde der Süden auch niemals untergehen.

„Wir tun, was wir können, Captain“, erwiderte Jackson. „Aber kein Offizier kann etwas ändern, wenn seine Soldaten nicht treu zu ihm stehen und tapfer bleiben. Angst zu haben, ist keine Schande. Wir sorgen uns alle um die Zukunft unserer Heimat.“

„Stimmt“, nickte Captain Logan. „Es ist in den letzten Wochen viel zu ruhig geworden, seit General Longstreet diesem Halunken Burnside das Fürchten gelehrt hat.“

„Auch Hooker wird nicht so schnell die Flinte ins Korn werfen“, fügte Jackson hinzu. „Man nennt ihn nicht ohne Grund Fighting Joe. Er wird schon sehr bald von sich hören lassen. Wir sollten deshalb sehr froh sein, dass es noch eine regelmäßige Zugverbindung von Richmond bis hierher gibt. In diesen Kriegswirren ist das nicht selbstverständlich, Captain.“

Die letzten Worte aus Jacksons Mund waren hastig ausgesprochen worden. Captain Logan spürte sofort, dass sein Kommandant in Gedanken nicht mehr beim Krieg weilen, sondern sich mit anderen, sehr persönlichen Dingen beschäftigen wollte. Denn jetzt fuhr der Zug in Guineys Station ein und kam wenige Augenblicke später vor dem Bahnhofsgebäude zum Stehen.

„Viel Glück, Sir, ich freue mich für Sie“, sagte Captain Logan, bevor er sich schließlich wieder zurückzog und den General allein mit sich und seinen Gedanken überließ. Jackson lächelte kurz und spürte, wie seine innere Anspannung jetzt um ein Vielfaches anstieg. Seine Blicke richteten sich auf die Waggons. Er war aufgeregt, denn in den nächsten Minuten würde er endlich seine Frau wieder in die Arme schließen können.

Es stiegen nur wenige Passagiere aus. Meist handelte es sich um Soldaten, denen Heimaturlaub gewährt worden war und die jetzt wieder zu ihren Einheiten zurückkehrten. Sie grüßten den Lieutenant General vorschriftsmäßig, aber dieser registrierte das nur am Rande. Seine Aufmerksamkeit galt ausschließlich der Frau, die jetzt aus dem dritten Waggon ausstieg, und ihr folgte eine weitere Frau, die ein kleines Kind in den Armen hielt.

„Mary Anna ...“, murmelte Jackson ergriffen und beschleunigte nun seine Schritte. Sein ansonsten eher ernst wirkendes Gesicht strahlte ein zuversichtliches und überaus warmherziges Lächeln aus, als er seine Frau in die Arme schloss und ganz fest an sich drückte. So fest, als wolle er sie niemals wieder loslassen.

„Oh Thomas“, seufzte Mary Anna Jackson und küsste ihren Mann. „Es kommt mir vor, als hätte ich dich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Mein Gott, was bin ich froh, dass wir endlich Zeit für uns haben.“

„Ich auch“, erwiderte Jackson und konnte sich nur schwer aus den Armen seiner Frau lösen. Sein Blick galt dem kleinen Kind, das in eine Decke gewickelt war.

„Du erinnerst dich noch an Hetty?“, fragte ihn Mary Anna. „Sie war mir in den letzten Wochen eine große Hilfe. Sie hat sich rührend um Julia gekümmert, und ich bin froh darüber, dass sie mich auf dieser Reise begleitet hat.“

„Guten Tag, Miss Hetty“, begrüßte sie nun auch Jackson mit einem freundlichen Blick, aber sein eigentliches Interesse galt seiner kleinen Tochter Julia. „Darf ich sie nehmen?“

„Natürlich, Sir“, antwortete Hetty und übergab dem stolzen Vater seine Tochter. Jacksons Gesichtszüge entspannten sich, als er Julia in die Arme schloss und sie sanft schaukelte. Wie es eben nur ein stolzer Vater tun kann.

Der Blick, den ihm das Baby jetzt zuwarf, war eine Mischung aus Erstaunen, Furcht und Zuneigung. Letzteres überwog dann aber, und Julia gab erfreute Laute von sich.

„Mein Gott“, sagte Jackson, immer noch ergriffen von diesem besonderen Moment. „Ich kann es gar nicht fassen, wie groß sie schon geworden ist. Sie sieht so hübsch aus.“

„Eben ganz wie der Vater“, schmunzelte Mary Anna Jackson, während er das Kind wieder an Hetty zurückgab. „Du wirst noch reichlich Gelegenheit haben, dein Kind in den Armen zu wiegen, Thomas. Aber jetzt würden Julia, Hetty und ich uns erst einmal ein wenig ausruhen. Die Bahnfahrt war doch ziemlich anstrengend, und die Kleine braucht ein paar Stunden Ruhe.“

„Selbstverständlich“, beeilte sich Jackson zu sagen. „Ich habe die entsprechenden Vorkehrungen bereits getroffen. Hinter dem Bahnhofsgebäude wartet meine Kutsche. Wenn ihr mir bitte folgen wollt? Um euer Gepäck wird sich einer meiner Männer kümmern.“

Er gab einem der Soldaten aus seiner Truppe einen kurzen Wink, und der erledigte sofort alles Weitere. Währenddessen gingen Jackson, seine Frau und Hetty mit dem Kind zu der Kutsche. Jackson half Mary Anna beim Einsteigen und nahm dann selbst Platz, während der Soldat das restliche Gepäck im hinteren Teil der Kutsche verstaute. Dann gab er Jim Lewis, seinem Diener, ein kurzes Zeichen, und der trieb die beiden Pferde an.

„Wo werden wir wohnen, Thomas?“, fragte Mary Anna, während sie ihre Blicke in die Runde schweifen ließ.

„Im Haus der Familie Yerby“, erwiderte Jackson. „Es wird dir gefallen. Die Yerbys sind alte Freunde.“

Er zog sich bei diesen Worten den Hut etwas tiefer in die Stirn, weil es nun etwas stärker regnete und der Wind ihm die Regentropfen unangenehm ins Gesicht blies. Immer wieder schaute er zu der kleinen Julia, weil er sich große Sorgen machte, dass das Baby sich bei diesem plötzlichen Wetterumschwung eine ernsthafte Erkältung zuzog. Aber Hetty achtete sorgsam darauf, dass die kleine Julia so gut wie möglich vor der Nässe geschützt war.

„Wie weit ist es bis zu dem Haus?“, wollte Mary Anna von ihrem Mann wissen. „Wir haben uns nicht gerade das ideale Wetter für unsere Ankunft ausgesucht.“

„In dieser Gegend ist das nichts Ungewöhnliches“, erwiderte Jackson mit einem bedauernden Achselzucken. „Aber wir sind gleich da, es dauert nicht mehr lange. Das Haus dort drüben gehört übrigens der Familie Chandler. Im letzten Winter konnte ich dort Quartier beziehen. Die gesamte Familie hat meine Truppen mit Proviant versorgt und uns das Leben sehr erleichtert.“

„Es gibt noch Patrioten in diesem Land“, nickte seine Frau und bewunderte das großzügige Anwesen, das die Kutsche jetzt passierte. „Ich hoffe, du hast dich erkenntlich dafür gezeigt?“

„Was in meiner Macht stand, habe ich getan“, sagte Jackson. „Aber die Chandlers wollten keine Zuwendungen haben. Ich hätte sogar in ihrem Haus schlafen können, wenn ich zugestimmt hätte. Aber ich wollte bei meinen Truppen bleiben. Ein Offizier darf sich nicht zu weit von seinen Soldaten entfernen, wenn sie ihm noch die Treue halten wollen.“

Mary Anna Jackson erwiderte nicht gleich etwas darauf, sondern lächelte nur. Sie konnte ihren Mann zur Genüge und wusste, dass er alles tat, um für seine Soldaten ein Vorbild zu sein

„Wohin ich auch bisher gegangen bin“, fuhr Jackson daraufhin fort, „Gott hat mir immer treue Freunde zur Seite gestellt. Die Menschen in dieser Region haben uns immer sehr unterstützt in den letzten Wochen. Obwohl sie in diesen unsicheren Zeiten selbst kaum genügend zu essen haben, halfen sie bei der Versorgung der Truppen. Ohne darüber nachzudenken. So etwas nenne ich praktizierte Nächstenliebe.“

Er wusste wovon er sprach, denn bevor ihn General Robert E. Lee in seinen Kommandostab geholt hatte, war er einige Jahre lang als Diakon für die Presbyterianische Kirche in seiner Heimatstadt in Lexington / Virginia tätig gewesen. Ein gläubiger Mann wie Jackson konnte Vertrauen und Zuversicht unter seinen Leuten verbreiten, und diese Stärke hatte sich bisher sehr für General Lee ausgezahlt. Jackson besaß Rückgrat und konnte andere für seine Visionen begeistern. Nur deswegen hatte er die Unionstruppen bei der ersten Schlacht von Manassas aufhalten können, und seitdem war er auch unter seinem Kriegsnamen Stonewall nicht nur bekannt, sondern insbesondere bei den Nordstaatensoldaten gefürchtet.

Minuten später zügelte Jacksons Diener das Gespann vor einem größeren Gebäudekomplex.

„So, wir sind jetzt da“, sagte Jackson und stieg als erster aus. „Gleich seid ihr im Trockenen, und dann könnt ihr euch alle etwas ausruhen.“

Mary Anna Jackson ließ sich von ihrem Mann beim Aussteigen helfen und suchte zusammen mit Hetty und der kleinen Julia rasch den Weg ins Trockene.

Im Haus wurden sie schon von Thomas Yerby und dessen Familie erwartet. Jackson stellte seine Frau und Hetty vor, aber deren Blicke richteten sich schon wenige Augenblicke später auf die kleine Julia.

„Was für ein reizendes Kind“, seufzte Mrs.Yerby und schenkte Jacksons Frau ein freundliches Lächeln. „Kommen Sie mit, meine Liebe. Ich werde Ihnen die Räumlichkeiten zeigen, die Sie in den nächsten Tagen bewohnen werden. Selbst General Lee war schon einmal bei uns, als er sich eine Verletzung bei einem Gefecht zuzog. Machen Sie sich aber keine Sorgen darüber, Mrs. Jackson. Noch ist der Krieg ein gutes Stück entfernt, und hier sind Sie und Ihre Tochter sicher.“

„Das hoffe ich sehr, Mrs.Yerby“ entgegnete Mary Anna Jackson und schaute dabei fragend zu ihrem Mann. Aber der gab ihr nur mit einer kurzen Geste zu verstehen, dass er später nachkommen würde. Er wartete ab, bis seine Frau, Julia und Hetty über die Treppe hinauf gingen und dann seinen Blicken entschwunden waren. Aber dann verwandelte sich seine anfangs noch freundliche und warmherzige Miene wieder in Besorgnis. Weil er bemerkt hatte, dass Yerby mit ihm sprechen wollte.

„Sie sehen so aus, als hätten Sie keine guten Nachrichten, Tom“, meinte Jackson zu dem Mann, der so freundlich gewesen war, seine Familie für ein paar Tage hier unterzubringen. „Ist etwas passiert, das ich wissen sollte?“

„Ich glaube ja“, nickte Yerby und zog einen Umschlag aus seiner Jackentasche hervor. „Diesen Brief habe ich heute Morgen erhalten. Kurz nachdem Sie das Haus verlassen hatten. Er stammt von meinem Schwager aus Pittsburgh. Er schreibt von Dingen, die mich und meine Familie sehr beunruhigen. Sie können es selbst lesen.“ Er bemerkte Jacksons kurzes Zögern und fuhr deshalb rasch fort. „Bitte, Sir“, wandte er sich an Jackson. „Lesen Sie es ruhig, denn ich glaube, es ist wichtig.“

Jackson nickte, nahm den Brief entgegen und las den Inhalt. Natürlich hatte Yerbys Schwager einige persönliche Dinge darin ausgedrückt. Aber das war es nicht, was ihn beunruhigte. Vielmehr ging es darum, dass in dem Brief von einer größeren Mobilmachung in den Zeitungen der Union berichtet wurde und dass General Joseph Hooker fest entschlossen war, weiter in Richtung Süden zu marschieren und den direkten Konflikt mit Lees Truppen zu suchen. In dem Brief war deutlich die Rede davon, dass Yerbys Schwager diese Mobilmachungen auch selbst gesehen hatte und dass er sich natürlich deswegen Sorgen machte, wie sich die Dinge entwickelten.

„Sie sollten sofort einen Boten zu General Lee schicken“, schlug Tom Yerby vor. „Ich glaube, je früher entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen werden, umso besser ist es.“

„Das werde ich tun“, versprach ihm Jackson. „Würden Sie mir diesen Brief überlassen, damit ich ihn einem meiner Männer mitgeben kann? Es grenzt ohnehin an ein Wunder, dass diese Nachricht überhaupt angekommen ist.“

„Selbstverständlich, Sir“, versicherte Yerby. „Ich bin froh darüber, wenn der Brief mit dazu beiträgt, dass wir hier alle sicher leben können.“

„Sie wissen aber auch, dass Ihnen das niemand auf Dauer garantieren kann?“, entgegnete Jackson. „Meine Soldaten und ich tun unser Bestes, aber die Armee der Nordstaaten verfügt über eine große Truppenstärke. Und jetzt, nachdem die wichtigsten strategischen Orte von Grants Soldaten erobert und besetzt worden sind, hat sich die Situation für unseren Staatenverbund dramatisch zugespitzt.“

„Und was bedeutet das?“

„Das, was Sie vermutlich schon längst ahnen, Tom“, lautete Jacksons ehrliche Antwort. „Das Einzige, was wir noch hinauszögern können, ist der Zeitpunkt, wann es geschieht. Sind Sie jetzt entsetzt über meine Ehrlichkeit?“

„Nein“, murmelte Yerby. „Ich habe nur Angst vor dem Tag, wann es sein wird. Wir werden alles verlieren, was wir besitzen.“

„Darüber entscheiden diejenigen, die diesen Krieg gewinnen“, erwiderte Jackson. „Lassen Sie uns am besten nicht weiter darüber sprechen, Tom. Solange wir noch glauben und hoffen können, ist nicht alles verloren.“

„Ihr Wort in Gottes Ohr“, seufzte Yerby. Er tat sich schwer damit, sich nicht weiter zu diesem Thema zu äußern, auch wenn man ihm deutlich ansehen konnte, dass er sich große Sorgen machte. Aber momentan konnten ihm weder Jackson noch General Lee absolute Sicherheit garantieren.

„Ich kümmere mich darum, dass dieser Brief so schnell wie möglich General Lee erreicht“, versprach ihm Jackson und verließ das Haus noch einmal. Seine Blicke richteten sich auf Jim Lewis, der die Pferde gerade ausgespannt hatte und sie versorgte. Der Ruf des Lieutenant Generals ließ ihn in seiner Arbeit innehalten.

„Jim, hole Captain Logan!“, befahl ihm Jackson. „Beeil dich, er soll sofort zu mir kommen!“

„Ja, Sir“, versicherte ihm der schwarze Diener und rannte sofort los. Jackson wusste, dass er sich auf Jim verlassen konnte und verweilte einen Moment auf der Veranda des großzügig errichteten Hauses, dem die Familie Yerby den Namen Belle Voir gegeben hatte. Es strahlte noch immer sehr viel von dem Glanz und der Glorie des alten Südens und den herrschaftlichen Strukturen dieses Ortes aus. Jetzt war genau diese Idylle bedroht durch entschlossene Invasoren und Feinde, die das politische System des Südens verachteten und mit allen Mitteln zerstören wollten.

Er hing einige Minuten seinen Gedanken nach, bis er schließlich entdeckte, wie sein Diener mit dem Captain zurückkam. Logan grüßte Jackson kurz.

„Sie haben mich rufen lassen, Sir?“

„Ja, ich möchte, dass Sie diesen Brief sofort General Lee übermitteln, Captain“, entgegnete Jackson und überreichte Logan den betreffenden Umschlag. „Er stammt von Mr. Yerbys Schwager und enthält Informationen, die für General Lee von großem Nutzen sind. Reiten Sie sofort los, Captain. Je früher der General erfährt, was geschieht, umso rascher können wir handeln.“

„Zu Befehl, Sir“, sagte Captain Logan, machte sofort kehrt und beeilte sich, sein Pferd zu holen und unverzüglich los zu reiten. Wenige Augenblicke später signalisierten Hufschläge, dass der Captain aufgebrochen war.

Hoffentlich können wir Hooker daran hindern, dass er einen Angriff startet, dachte Jackson. Selbst wenn wir dadurch nur einige Tage Zeit gewinnen.Wer weiß, wann ich meine Frau und meine Tochter das nächste Mal in solch friedvoller Umgebung wiedersehen kann?

* * *

Er hatte sein Pferd auf einer Anhöhe gezügelt und beobachtete die kämpfenden Truppen, die ihr Bestes gaben, um den Sturm der Unionstruppen Einhalt zu gebieten. Dumpfer Kanonendonner übertönte immer wieder die zahllosen Schüsse, die sich mit den Todesschreien getroffener Soldaten mischten, während sie zu Boden sanken und Sekunden später ihr Leben aushauchten.

Eine Granate schlug knapp 50 Meter von Jacksons derzeitiger Position ein, schleuderte Erde und Dreck nach allen Seiten davon und ließ den Boden erzittern. Das Pferd unter Jackson scheute und wieherte erschrocken auf, so dass der Lieutenant General einige Sekunden lang ziemliche Mühe hatte, das Tier wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Er spürte kurz Panik in sich aufsteigen, als er sich vorstellte, dass er von einer Kugel hätte getroffen werden können. Seine Hände zitterten leicht, als er die Zügel in den Händen hielt und sich bemühte, nicht daran zu denken, dass der Tod hier allgegenwärtig war.

Andere Soldaten am oberen Teil der Anhöhe hatten nicht so viel Glück gehabt wie Jackson. Sie waren von der Druckwelle des explodierenden Geschosses getroffen und zerrissen worden. In der Luft lag der Gestank von Blut und Rauch. Jacksons Kehle wurde trocken, und er spürte einen Hustenreiz in seiner Kehle aufsteigen.

Er blickte sich nach den Offizieren seines Kommandostabes um, während sich die Rauchschwaden allmählich zu verziehen begannen und die Sicht wieder klarer wurde. Eisiger Schrecken ergriff ihn, als er auf einmal erkannte, dass er sich allein auf der Anhöhe befand. In dem Chaos der Explosion mussten seine Offiziere aus Furcht den Rückzug angetreten haben, weil der Feind Überhand gewann.

Jacksons Gedanken überschlugen sich. Niemand aus seinem Kommandostab ließ alles im Stich und suchte sein Heil in der Flucht. Warum es trotzdem geschehen war, konnte er nicht erklären, aber mit jeder weiteren Minute stieg das dumpfe Gefühl einer unerklärlichen Furcht.

Weitere Schüsse fielen, aber diesmal kamen sie aus einer ganz anderen Richtung. Nicht wo er den Feind vermutete, sondern auf der Seite der Anhöhe, wo sich der Rest seiner Soldaten befand.

Gerade als er sein Pferd wenden und losreiten wollte, erkannte er auf einmal einen Trupp Infanteriesoldaten, die mit vorgehaltenen Gewehren die Spitze des Hügels stürmten und auf ihn zielten. Laute Triumphschreie erklangen, als sie den vermeintlichen Feind erkannten und nun die ersten Schüsse in seine Richtung abfeuerten.

Instinktiv duckte sich Jackson im Sattel, als er das Unheil kommen sah. Doch seine Reaktion kam viel zu langsam. Etwas glühend Heißes schlug so heftig in seine Brust, dass er von einer unsichtbaren Faust nach hinten gestoßen und aus dem Sattel gerissen wurde.

Ein unbeschreiblicher Schmerz breitete sich in der oberen Hälfte seines Körpers aus, während eine weitere Kugel seinen rechten Oberarm traf und ihn lähmte. Er hörte jemanden schreien und begriff erst Sekunden später, dass er selbst das gewesen war.

„Wir haben ihn!“, brüllte ein Soldat, der mit vorgehaltenem Gewehr auf ihn zustürmte und ihn voller Hass anschaute. „Jetzt geben wir ihm den Rest! Schaut nur zu! Dieser elende Hundesohn verdient den Tod!“

Er hatte zwischenzeitlich sein Bajonett aufgesetzt und holte nun mit der Waffe aus, um Jackson den entscheidenden Todesstoß zu versetzen. Jacksons Augen weiteten sich vor Schreck, als er die blitzende Klinge vor seinen Augen sah. Er wollte beide Hände hochreißen, um sich vor der scharfen Waffe zu schützen. Aber seine Arme gehorchten ihm nicht mehr, und auf einmal war da nur noch eine alles überlagernde Hitze, und mit ihr kam der Tod!

Jackson keuchte und rang nach Luft, als er die Augen öffnete und verwirrt um sich blickte. Seine Bewegung war so heftig gewesen, dass er eine erschrockene Stimme neben sich hörte. Erst dann wurde ihm bewusst, wo er sich befand und dass seine Frau Mary Anna neben ihm lag.

„Thomas, was ist mit dir?“, hörte er ihre besorgte Stimme. „Du bist ja ganz in Schweiß gebadet. Hast du schlecht geträumt?“

„Nein“, erwiderte er eine Spur zu hastig. „Es ist nur ... ich ...“

Er wusste nicht, wie er seine Gedanken in passende Worte fassen sollte, weil die Schrecken dieses Albtraums noch gegenwärtig waren. So täuschend realistisch. Die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit hatten sich kurz überschnitten.

„Willst du darüber reden?“, fragte seine Frau weiter. „Ich will dir doch nur helfen, Thomas.“

„Es war nur ein schlechter Traum, Mary Anna“, erwiderte Jackson schließlich seufzend. „Aber zum Glück sieht die Wirklichkeit anders aus.“

„Was hast du geträumt?“

„Von den Schlachten, die ich geführt habe, und von den Soldaten, die ich habe sterben sehen“, lautete seine Antwort. „Diese Bilder verfolgen mich immer noch. Ich kann einfach nichts dafür.“

„Es wird alles gut“, versuchte ihn Mary Anna zu beruhigen. „Zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Jetzt ist nur wichtig, dass Julia und ich bei dir sind. Genieße einfach die Zeit, die wir zusammen verbringen können, bevor du wieder losziehen musst. Lass den Krieg dort, wo er ist, nämlich weit weg von diesem Ort.“

„Du hast Recht“, murmelte er und schlug die Bettdecke beiseite. Auf leisen Sohlen tappte er hinüber zu dem kleinen Kinderbett, das die Yerbys ins Zimmer gestellt hatten, damit sich Julia dort wohlfühlen und ruhig schlafen konnte. Seine angespannten Gesichtszüge wurden weicher und emotionaler, als er einen Blick auf seine schlafende Tochter warf und sich in Momenten wie diesen bewusst wurde, was für ein großes Glück dies für ihn bedeutete. Und mit diesem Anblick begannen auch die schrecklichen Bilder seines Albtraums allmählich zu verblassen.

„Ist etwas mit Julia?“, hörte er seine Frau fragen.

„Nein“, antwortete er. „Sie schläft, aber es ist ein schöner Anblick. Ich kann nicht oft genug hinsehen.“

„Ich liebe dich, Thomas“, erwiderte Mary Anna, die nun ebenfalls aufgestanden und zu ihm gekommen war. „Es gibt keinen besseren Mann als dich. Und du bist ein wundervoller Vater. Ein größeres Glück ist mir niemals widerfahren.“

„Ich empfinde das auch“, sagte er und nahm seine Frau in den Arm. „Danke dafür, dass du die Reise auf dich genommen hast, um mir meine Tochter zu zeigen. Augenblicke wie diese machen vieles leichter.“

„Dann lass uns wieder schlafen gehen“, meinte Mary Anna. „Halte mich ganz fest im Arm, Thomas. Ich brauche dich.“

Jackson nickte. Später schlief er tief und fest bis zum Anbruch des neuen Tages. Und die Schatten des schrecklichen Traumes waren wieder vergessen, Zumindest in dieser Nacht. Aber er wusste, dass er die Bilder der blutigen Schlachten, die er ausgefochten hatte, bis zum Ende seines Lebens im Kopf behalten würde.

KAPITEL2

23. April 1863

Belle Voir

Am späten Nachmittag

„... und ich taufe dich auf den Namen Julia“, erklang die Stimme von Reverend Beverly Tucker Lacy, nachdem er seine rechte Hand mit Wasser benetzt hatte und damit über die Stirn des kleinen Kindes strich, das von seinem stolzen Vater Thomas Jonathan Jackson lächelnd im Arm gehalten wurde. „Im Namen des Vaters, Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre dein Herz im Sinne unseres Herrn.“

Jackson empfand in diesen Minuten ein unbeschreibliches Gefühl der Freude. Die Tatsache, dass sich Reverend Lacy, ein alter Freund der Familie, bereit erklärt hatte, nach Belle Voir zu kommen und die Taufe Julias in Anwesenheit beider Elternteile höchstpersönlich vorzunehmen, war für ihn ein besonderer Moment. Der blutige Bürgerkrieg war jetzt unendlich weit entfernt, und wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte das auch noch einige Wochen so anhalten können.

Die kleine Julia fing leise an zu weinen. Jackson murmelte einige tröstende Worte, die das Kind schließlich wieder beruhigten. Das Wimmern ließ nach. Reverend Lacy beendete schließlich die Zeremonie mit einem Lied, in das alle anderen geladenen Gäste im Haus der Familie Yerby mit einstimmten. Dass Yerby zugestimmt hatte, diese Taufe in seinem Haus zu vollziehen, würden Jackson und seine Frau niemals wieder vergessen. Es war ein besonderer Moment für die Familie, und der Krieg schien Ewigkeiten weit entfernt zu sein.

Reverend Lacy segnete die anwesenden Menschen und das getaufte Kind noch einmal, und damit war die kleine Feier auch schon beendet. Jackson übergab Julia seiner Frau und sah lächelnd zu, wie sie sich anschließend wieder zurückzog, um dem kleinen Kind jetzt wieder etwas Ruhe zu gönnen.

„Es ist gut, dass wir uns noch einmal gesehen haben, bevor du wieder in den Krieg ziehst, Thomas“, riss ihn die Stimme seines Schwagers Joseph Morrison aus seinen vielschichtigen Gedanken. „Solche Tage wie diese sind selten geworden in den letzten Wochen und Monaten.“

„Ich weiß, Joseph“, erwiderte Jackson. „Ich bin dir sehr dankbar, dass du ebenfalls gekommen bist. Es war gewiss nicht einfach, diese Reise von Richmond auf dich zu nehmen?“

„Meine Schwester hatte noch mehr Glück als ich“, erwiderte Mary Annas Bruder. „Bei ihr ging die Zugfahrt noch völlig unproblematisch vonstatten. Aber als ich die Fahrt antrat, bemerkte ich in der Ferne einige dunkle Rauchwolken und hin und wieder vereinzelte Reitertrupps. Ich weiß nicht, ob es Freunde oder Feinde waren, Thomas. Ich weiß nur, dass dieser Friede sehr trügerisch ist. Vielleicht wird es das letzte Mal sein, dass wir solch eine friedliche Feier überhaupt noch begehen können.“

„Vermutlich hast du Recht, Joseph“, seufzte Jackson, der die Ansichten seines Schwagers auch teilte, aber vor seiner Frau bisher darüber geschwiegen hatte. Weil er sie nicht beunruhigen wollte. „Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du diese Ansichten vorerst für dich behältst. Ich will nicht, dass sich meine Frau unnötige Sorgen macht und...“

Er hielt inne, als er plötzlich bemerkte, wie die Tür zum Haus geöffnet wurde und Captain Logan eintrat. Seine Blicke suchten die des Lieutenant Generals, während er mit schnellen Schritten auf ihn zukam und ihn vorschriftsmäßig grüßte.

„Ich bitte um Verzeihung, Sir“, wandte er sich an Jackson. „Aber meine Leute melden mir soeben die Ankunft eines größeren Soldatentrupps. Sie sind noch zwei Meilen von Belle Voir entfernt, werden aber jeden Augenblick hier eintreffen. Es sind unsere Leute.“

„Ich komme sofort mit, Captain. Halten Sie Ihre Männer bereit. Vermutlich bekommen wir hohen Besuch.“

Hinterher konnte er sich selbst nicht erklären, warum er das gesagt hatte. Aber irgendein ungutes Gefühl vermittelte ihm, dass sich mit der Ankunft der Soldaten alles ändern würde und dass die Zeit des Friedens und der Feierlichkeiten ein für alle Mal ein Ende gefunden hatte.

Reverend Lacy und die übrigen Gäste hatten natürlich auch schon bemerkt, dass sich Jackson sehr hektisch verhielt und irgendetwas nicht stimmte. Aber darauf konnte der Lieutenant General jetzt keine Rücksicht nehmen. Er nickte Joseph Morrison nur kurz zu und gab mit ihm einer knappen, aber sehr eindeutigen Geste zu verstehen, dass er nach Mary Anna und dem Kind sehen sollte. Anschließend ging er mit dem Captain hinaus und erwartete auf der Veranda die Ankunft der Soldaten.

Trotz der deutlich angespannteren Situation, die für jeden der auf Belle Voir versammelten Gäste spürbar war, bemühte sich Jackson, nach außen hin immer noch eine gewisse Ruhe und Gelassenheit zu zeigen.