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Dieses eBook "Die Liebe der Erika Ewald (Moderne Klassiker Reihe)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig Korrektur gelesen. Die Pianistin Erika Ewald verliebt sich während der Proben für ein gemeinsames Konzert in einen Geigenvirtuosen. Sie erfreut sich an gemeinsamen Gesprächen und Spaziergängen. Es wächst in ihm das Begehren für die junge Frau. Er gesteht ihr seine Gefühle, jedoch spürt sie, dass sie für diesen Schritt noch nicht bereit ist und flieht im letzten Moment. Es folgt eine unbestimmte Zeit des Wartens, in denen beide keinen Kontakt mehr haben. Indes beginnt Erika innerlich zu reifen und fühlt sich ebenfalls körperlich zu dem jungen Künstler hingezogen. Ihr ganzes Bestreben konzentriert sich jetzt auf ein Wiedersehen mit ihm. Doch wird ihr dies gelingen? Stefan Zweig (1881-1942) war ein österreichischer Schriftsteller.
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Seitenzahl: 73
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Camill Hoffmann in inniger Freundschaft… Aber das ist die Geschichte aller jungen Mädchen, dieser sanften Dulderinnen. Sie sagen nie, daß sie leiden. Die Frauen sind zum Dulden geschaffen. Es ist gewiß so ihr Schicksal, sie erfahren es früh und sind darüber so wenig erstaunt, daß sie noch immer sagen, das Übel sei nicht da, wenn es längst gekommen…
Barbey d’Aurévilly.
Erika Ewald trat langsam ein, mit dem vorsichtig-leisen Gang einer Zuspätkommenden. Der Vater und die Schwester saßen schon beim Abendessen; beim Geräusch der Türe blickten sie auf, um der Eintretenden flüchtig zuzunicken, dann klang nur wieder das Klingen der Teller und das Klappern der Messer durch den matterhellten Raum. Gesprochen wurde selten, nur hie und da fiel ein Wort, und das flatterte wie ein aufgeworfenes Blatt haltlos in der Luft, um dann ermattet zu Boden zu sinken. Sie hatten sich alle wenig zu sagen. Die Schwester war unscheinbar und häßlich; eine jahrelange Erfahrung, stets überhört oder bespöttelt zu werden, hatte ihr jene altjüngferliche stumpfe Resignation gegeben, die jeden Tag mit einem Lächeln scheiden sieht. Den Vater hatte eine langjährige gleichfarbige Bureautätigkeit der Welt entfremdet, und insbesondere seit dem Tode seiner Frau umfing ihn jene harte Verstimmung und trotzige Schweigsamkeit, mit der alte Leute gerne ihre physischen Leiden verbergen.
Auch Erika schwieg meistens an diesen eintönigen Abenden. Sie fühlte es, daß sich gegen die graue Stimmung, die sich wie dicke drohende Wetterwolken über diese Stunden legte, nicht ankämpfen lasse. Und dann war sie zu müde dazu. Die quälende Tagesarbeit, die sie von Stunde zu Stunde hetzte und sie zwang, Disharmonieen, tastende Akkorde, unmusikalische Brutalitäten mit rastloser Sanftmut zu ertragen, löste in ihr ein dumpfes Ruhebedürfnis aus, ein wortloses Verströmen aller Empfindungen, die die Gewalt des Tages überwuchert hatte. Sie liebte es, in diesen wachen Träumen sich selbst anzuvertrauen, weil ihr eine fast überreizte Schamhaftigkeit nie gestattete, anderen nur eine Andeutung ihrer seelischen Erlebnisse zu geben, ob auch ihre Seele unter dem Drucke ihrer ungesprochenen Worte bebte, wie ein überreifer Obstbaumzweig unter der Last seiner Früchte schwankt. Und nur ein leichter, ganz unmerklich feiner Zug um die schmalen blassen Lippen verriet, daß Kampf und Ringen in ihr war und eine unbändige Sehnsucht, die sich nicht von Worten tragen lassen wollte und nur manchmal ein wildes Beben um den festgeschlossenen Mund legte wie von jähem Schluchzen.
Das Abendessen war bald zu Ende. Der Vater erhob sich, sagte kurz einen Gutenachtgruß und ging in sein Zimmer, um sich die Pfeife anzuzünden. Das war so jeden Tag in diesem Hause, wo auch die gleichgültigste Tätigkeit zu starrer Gewohnheit versteinerte. Und auch Jeanette, ihre Schwester holte sich wie immer ihr Nähzeug her und begann beim Lampenlicht, stark vorgebeugt wegen ihrer Kurzsichtigkeit, mechanisch zu sticken.
Erika ging in ihr Zimmer und begann sich langsam zu entkleiden. Es war diesmal noch sehr früh. Sonst pflegte sie bis tief in die Nacht hinein zu lesen, oder sie lehnte in einem süßen Gefühle am Fenster und blickte hoch von oben über die hellen mondscheinbeleuchteten Dächer, die sich in lichter Silberflut badeten. Sie hatte da nie klare, zielstrebende Gedanken, nur das unbestimmte Gefühl einer Liebe für das Schimmernde, Blitzende und doch so sanft Verströmende des Mondlichtes, das die Tausende von Scheiben blank spiegelte, hinter denen sich die Geheimnisse des Lebens bargen. Aber heute empfand sie eine sanfte Mattigkeit, eine selige Schwere, die sich sehnt von milden, warm anschmiegenden Decken getragen zu werden. Eine Schläfrigkeit, die nichts anderes ist als Sehnsucht nach süßen, seligen Träumen, rann durch alle Glieder wie ein sacht erkaltendes, betäubendes Gift. Sie raffte sich auf, warf beinahe mit Hast die letzten Kleidungsstücke von sich, verlöschte die Kerze. Einen Augenblick noch – und dann dehnte sie sich im Bette…
Wie ein hurtiges Schattenspiel tanzten noch einmal die seligen Erinnerungen des Tages vorbei. Sie war heute bei ihm gewesen… Gemeinsam hatten sie wieder geprobt zu ihrem Konzert, wo ihr Spiel seine Geige begleiten sollte. Und dann spielte er ihr vor – Chopin, die Ballade ohne Worte. Und dann die sanften lieben Worte, die er ihr sagte, die vielen lieben Worte!
Die Bilder eilten immer rascher vorbei, sie führten sie wieder nach Hause zu sich selbst, um rasch wieder hinwegzuirren in die Vergangenheit, zu dem Tag, da sie ihn zuerst kennen gelernt hatte. Und bald stürmten sie heraus über die Enge der Zeit und des Erlebens und wurden immer wilder und bunter. Noch hörte Erika, wie ihre Schwester nebenan zu Bette ging. Und ein toller merkwürdiger Gedanke kam ihr, ob er sie wohl auch zu sich gebeten hätte. Ein frohes übermütiges Lächeln wollte sich noch matt auf ihre Lippen schleichen, aber sie war schon zu schlaftrunken. Und einige Minuten später trug sie ein sicherer Schlaf zu seligen Träumen.
Beim Erwachen fand sie eine Ansichtskarte auf dem Bette. Nur ein paar Worte waren darauf, mit fester energischer Schrift hingeworfen, Worte, wie man sie auch an Fremde verschenkt. Aber Erika empfand sie als Gabe und Glück, weil er sie geschrieben hatte; ihr war es gegeben, aus dem Geringfügigen und Unscheinbaren die Ahnungen der wirklichen Fülle sich zu erschließen. Und so sollte ihr diese Liebe nicht nur wie ein milder Glanz werden, der jedes Wesen umleuchtet und erhellt, sondern so tief sollte dieses verklärende Gefühl sich verlieren, daß es wie ein Schimmer wurde, der in innigem Durchglühen von innen emporzuwachsen schien aus allem Leblosen und Unbeseelten. Schon von früher Jugend auf hatte das dunkle Gefühl ihres Ängstlichseins und ihrer zurückhaltenden Einsamkeit sie gelehrt, die Dinge nicht als kalt und leblos zu betrachten, sondern als verschwiegene Freunde, die Geheimnisse und Zärtlichkeiten dem anvertrauen, der auf sie hört. Bücher und Bilder, Landschaften und Musikstücke sprachen zu ihr, der das dichterhafte Vermögen des Kindes geblieben war, in bemalten Körpern, unbeseelten Dingen frohbewegte bunte Wirklichkeit zu sehen. Und das waren ihre einsamen Feste und Seligkeiten, ehe die Liebe zu ihr gekommen war.
So wurden ihr auch die wenigen schwarzen Schriftzüge auf dem Blatte Ereignis. Sie las die Worte so wie er sie zu sprechen pflegte, mit der weichen und musikalischen Betonung seiner Stimme, sie suchte in ihren Namen den heimlich-süßen Reiz zu legen, den nur die Sprache der Zärtlichkeit geben kann. Und sie horchte in den wenigen Sätzen, die ihrer Angehörigen wegen in kühler, fast respektvoller Form gehalten waren, den verborgen klingenden Unterton der Liebe und buchstabierte sich so langsam und traumverloren durch die Zeilen, daß sie beinahe ihren Inhalt wieder vergessen hätte. Und der war nicht so unwichtig. Sie möchte ihm doch mitteilen, ob ihr geplanter Sonntagsausflug zustande käme. Und noch ein paar unwichtige Worte wegen ihres gemeinsamen Auftretens in einem längst besprochenen Konzert. Dann ein freundlicher Gruß und eine hastige Unterschrift. Aber sie las die Zeilen immer wieder und wieder, weil sie in ihnen die starke und drängende Empfindung zu hören glaubte, die doch nur der Widerklang ihrer eigenen war.
Es war noch nicht lange her, daß diese Liebe zu Erika Ewald gekommen war und den ersten Glanz in ihr blasses gleichgültiges Mädchenleben getragen hatte. Und ihre Geschichte war still und alltäglich.
In einer Gesellschaft hatten sie sich kennen gelernt. Sie gab dort Klavierstunden, aber ihre diskrete und feine Art gewann ihr so sehr die Liebe des ganzen Hauses, daß sie nur mehr als Freundin betrachtet wurde. Und er war dort zu einer Veranstaltung geladen, sozusagen als pièce de résistance, denn sein Ruf als Geigenvirtuose war trotz seiner Jugend ein ganz ungewöhnlicher.
Die Umstände erwiesen sich selbst als bereitwillig, um ihre Verständigung zu unterstützen. Er wurde gebeten zu spielen, und es ergab sich als fast selbstverständlich, daß sie die Begleitung übernehmen sollte. Und da wurde er zuerst auf sie aufmerksam, denn sie ging mit soviel Verständnis auf seine Intentionen ein, daß er sogleich die Feinheit und Innigkeit ihres Wesens ahnte. Und noch mitten im stürmischen Applaus, der ihrem Vortrag folgte, machte er ihr den Vorschlag, ein bißchen zusammen zu plaudern. Sie nickte leise, ganz unmerklich leise.
Aber es kam nicht dazu. Man gab sie beide nicht so rasch frei, er konnte nur ab und zu mit einem verstohlenen Blicke ihre überschlanke biegsame Gestalt messen und einen schüchtern-staunenden Gruß ihrer dunklen Augen auffangen. Ihre Worte gingen unter in Gewöhnlichkeiten und Höflichkeiten, mit denen man sie überhäufte. Dann kamen wieder neue Menschen und hunderterlei Ablenkungen anderer Art, daß sie beinahe die Verabredung vergaß. Aber als alles vorüber war und sie sich empfahl, stand er plötzlich neben ihr und fragte sie mit seiner sanften zurückhaltenden Stimme, ob er sie nach Hause geleiten dürfe. Einen Augenblick war sie hilflos; dann lehnte sie mit so ungeschickten Worten seine Mühe ab, daß er seinen Willen schließlich leicht durchsetzen konnte.