Die Liebe des letzten Tycoon - F. Scott Fitzgerald - E-Book

Die Liebe des letzten Tycoon E-Book

F.Scott Fitzgerald

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Beschreibung

Er ist der letzte Hollywood-Produzent, der Mittelmaß und Klischees nicht duldet: Monroe Stahr verbringt Tag und Nacht in den Aufnahmestudios, Vorführräumen und Drehbuchschreiber-Büros, um die Arbeit an seinen Filmen zu überwachen. Als ein Gewitter nachts die Kulisse für eine Burma-Szene unter Wasser setzt, ist er sofort zur Stelle – und entdeckt dabei zwei Frauen, die sich unerlaubt auf das Gelände geschlichen haben. Eine davon ist Kathleen Moore – deren natürlicher Charme Monroe Stahr vom ersten Augenblick an in den Bann zieht.

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Seitenzahl: 260

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F. Scott Fitzgerald

Die Liebedes letzten Tycoon

Ein Western

Roman

Aus dem Amerikanischen vonRenate Orth-GuttmannMit einem Nachwort vonVerena Lueken

Titel der zugrundeliegenden

autorisierten Ausgabe:

›The Love of the Last Tycoon. A Western‹,

Charles Scribner’s Sons, New York 1994

Copyright © 1941 by Charles Scirbner’s Sons;

copyright renewed

Copyright © 1993 by Eleanor Lanahan, Matthew J. Bruccoli

and Samuel J. Lanahan as Trustees

under Agreement dated July 3, 1975, created by

Frances Scott Fitzgerald Smith

Die deutsche Erstausgabe erschien 1962

unter dem Titel ›Der letzte Taikun‹

im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main

Umschlagillustration: Georges Lepape,

›Les Coussins‹, 1912 (Ausschnitt)

Copyright © 2013 ProLitteris,

Zürich

Alle deutschen Rechte vorbehalten

Copyright © 2013

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 23693 4 (1.Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60270 8

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] Inhalt

Die Liebe des letzten Tycoon  [7]

Ein Western

Eine der schönsten Liebesgeschichten der amerikanischen Literatur

[7] 1

Ich bin zwar nie auf der Leinwand in Erscheinung getreten, aber mit dem Film aufgewachsen. Als ich fünf wurde, war Rudolph Valentino auf meiner Geburtstagsparty, zumindest hat man mir das erzählt. Ich erwähne das nur, um deutlich zu machen, dass ich schon im zarten Kindesalter beobachten konnte, wie der Betrieb dort lief.

Eigentlich wollte ich ja mal meine Memoiren schreiben – Die Tochter des Produzenten –, aber mit achtzehn kommt man dazu irgendwie nicht mehr, und das ist auch gut so, das Ergebnis wäre so unverdaulich wie eine alte Kolumne von Lolly Parsons. Mein Vater war in der Filmbranche, so wie andere Väter etwa in der Baumwoll- oder Stahlbranche sind, und ich ertrug es mit Gelassenheit. Im schlimmsten Fall akzeptierte ich Hollywood so ergeben wie ein Gespenst, dem man ein bestimmtes Spukhaus zugewiesen hat. Natürlich wusste ich, welche Einstellung zu Hollywood von einem erwartet wurde, aber ich habe es immer standhaft abgelehnt, in das allgemeine Gezeter einzustimmen.

Das ist leicht gesagt, aber sehr viel schwerer zu vermitteln. Unter den Englischdozenten in Bennington gab es einige, die so taten, als ließe Hollywood samt seinen Machwerken sie kalt, in Wirklichkeit aber war es ihnen verhasst – [8] zutiefst verhasst, ja, sie empfanden es als eine existentielle Bedrohung. Vorher, in der Klosterschule, bat mich eine liebe kleine Nonne, ihr das Script für ein Drehbuch zu besorgen; sie wolle ihren Schülerinnen »beibringen, wie man für den Film schreibt«, so wie sie ihnen das Essay- und das Shortstory-Schreiben beigebracht hatte. Ich verschaffte ihr das Script und vermute, dass sie darüber in langes Grübeln verfallen ist, aber im Unterricht fiel kein Wort darüber, und sie gab es mir mit einem Ausdruck gekränkter Überraschung und ohne jeden Kommentar zurück. Ich habe fast den Eindruck, dass es dieser Geschichte hier ähnlich ergehen könnte.

Man kann Hollywood als gegeben hinnehmen, wie ich es gemacht habe, oder es mit jener Verachtung abtun, die wir dem vorbehalten, was wir nicht verstehen. Verstehen lässt es sich im Übrigen durchaus, allerdings nur schemenhaft und in kurzen, flüchtigen Momenten. Maximal ein halbes Dutzend Männer hat jemals den Überblick über die ganze Welt des Films behalten können. Und eine Frau kann die Sachlage vielleicht noch am ehesten erfassen, wenn sie versucht, einen dieser Männer zu verstehen.

Die Welt vom Flugzeug aus war mir vertraut. Vater hatte immer darauf bestanden, dass wir ins Internat und ins College flogen. Nach dem Tod meiner Schwester in meinem ersten Studienjahr reiste ich allein hin und her und musste dabei ständig an sie denken, so dass mich ein Flug immer in eine leicht feierliche und gedämpfte Stimmung versetzte. Manchmal waren Filmleute an Bord, die ich kannte, und hin und wieder – während der Depression allerdings eher [9] selten – ein attraktiver Collegeboy. Im Flugzeug ließen mich die Gedanken an Eleanor und das Gefühl des scharfen Kontrasts zwischen der einen und der anderen Küste nicht richtig schlafen oder zumindest erst dann, wenn die einsamen kleinen Flughäfen von Tennessee hinter uns lagen.

Diesmal war der Flug so unruhig, dass sich die Passagiere sehr schnell aufteilten in solche, die sich sofort hinlegten, und andere, denen das erst gar nicht in den Sinn kam. Von dieser Fraktion saßen zwei in meiner Reihe, aber auf der anderen Gangseite, und nach dem, was ich in Bruchstücken von ihrem Gespräch mitbekam, war ich mir ziemlich sicher, dass sie aus Hollywood waren – dem einen sah man es schon an, es war ein Jude in mittleren Jahren, der abwechselnd in nervöser Erregung redete wie ein Wasserfall oder wie zum Sprung bereit dasaß und sich in lastendes Schweigen hüllte; der andere, ein blasser und unscheinbarer, untersetzter Mann um die Dreißig, kam mir bekannt vor. Möglicherweise hatte er uns mal zu Hause besucht, vielleicht aber war das schon lange her, und ich war damals noch klein gewesen, ich nahm es ihm deshalb nicht übel, dass er mich nicht erkannte.

Die Stewardess – sie war groß, hübsch und auffallend dunkel, ein offenbar weitverbreiteter Typ in diesem Beruf – fragte, ob sie mir meine Schlafkabine richten solle.

»Und möchten Sie ein Aspirin?« Sie schob sich, in dem Sommersturm gefährlich taumelnd, seitlich auf meinen Sitz. »Oder ein Nembutal?«

»Nein.«

»Ich hatte bis jetzt so viel mit den anderen zu tun, dass ich noch nicht dazu gekommen bin, Sie zu fragen.« Sie [10] setzte sich neben mich und schnallte uns beide an. »Kaugummi?«

Es war ein willkommener Anlass, den Kaugummi loszuwerden, mit dem ich mich seit Stunden herumärgerte. Ich wickelte ihn in die herausgerissene Ecke einer Zeitschriftenseite und legte ihn in den automatischen Aschenbecher.

»Nette Leute erkenne ich immer daran«, sagte die Stewardess anerkennend, »dass sie ihren Kaugummi in Papier wickeln, ehe sie ihn da hineintun.«

Wir saßen eine Weile im Halbdunkel der schwankenden Kabine beieinander. Ich kam mir ein bisschen vor wie in einem vornehmen Restaurant in den Intervallen zwischen den Gängen. Wie dort saßen wir da und warteten, ohne genau zu wissen, was auf uns zukommen würde. Ich glaube, dass selbst die Stewardess sich ständig in Erinnerung rufen musste, warum sie hier war.

Wir sprachen über eine junge Schauspielerin, die ich kannte und mit der sie vor zwei Jahren in den Westen geflogen war. Es war zur schlimmsten Zeit der Wirtschaftskrise, und die junge Schauspielerin hatte so starr aus dem Fenster gesehen, dass die Stewardess fürchtete, sie könne womöglich springen wollen. Dann aber stellte sich heraus, dass es nicht die Armut war, vor der die junge Frau Angst hatte, sondern allein die Revolution.

»Für Mutter und mich ist schon alles klar«, vertraute sie der Stewardess an. »Wir werden uns in den Yellowstone Park zurückziehen und ein einfaches Leben führen, bis sich die Wogen geglättet haben. Dann kommen wir zurück. Künstler bringen sie nämlich nicht um.«

[11] Ein verlockendes Vorhaben – ich sah das bezaubernde Bild förmlich vor mir: Gütige Torybären bringen der Schauspielerin und ihrer Mutter Honig, sanfte Rehkitze holen eine Extraportion Milch von ihren Müttern und halten sich in der Nähe bereit, ihnen des Nachts als Kissen zu dienen. Ich revanchierte mich mit der Geschichte von dem Anwalt und dem Regisseur, die in jenen bewegten Tagen eines Abends Vater ihre Pläne erzählt hatten. Für den Fall der Einnahme von Washington durch die Bonus-Armee hatte der Anwalt ein Boot am Ufer des Sacramento River versteckt, mit dem er für ein paar Monate stromaufwärts rudern und dann zurückkommen wollte, »denn nach einer Revolution brauchen sie immer Anwälte, um rechtlich alles ins Lot zu bringen«.

Der Regisseur neigte eher zum Defätismus. Er hielt einen alten Anzug, Hemd und Schuhe bereit – ob es seine eigenen Sachen waren oder ob er sie aus der Requisite hatte, kam nicht heraus – und gedachte »sich in der Menge zu verlieren«. Ich höre noch Vater sagen: »Aber man wird sich Ihre Hände ansehen und auf den ersten Blick erkennen, dass die seit Jahren nicht mehr kräftig zugelangt haben. Und man wird Sie nach Ihrem Gewerkschaftsausweis fragen.« Und ich sehe das lange Gesicht des Regisseurs vor mir und erinnere mich, wie niedergeschlagen er seinen Nachtisch in Angriff nahm und wie komisch und kläglich ich die beiden fand.

»Ist Ihr Vater Schauspieler, Miss Brady?«, fragte die Stewardess. »Den Namen hab ich auf jeden Fall schon mal gehört.«

Als der Name Brady fiel, sahen die beiden Männer auf [12] der anderen Seite des Mittelgangs zu mir hin – mit diesem typischen Hollywoodblick, der immer so wirkt, als wenn der Betrachter über die eigene Schulter schaut –, dann löste der blasse untersetzte Junge seinen Sicherheitsgurt und stellte sich neben uns.

»Sind Sie Cecelia Brady?«, fragte er so vorwurfsvoll, als hätte ich ihm etwas vorenthalten. »Sie sind mir gleich so bekannt vorgekommen. Ich bin Wylie White.«

Das hätte er sich schenken können, denn im gleichen Augenblick sagte eine neue Stimme: »Kannst du nicht aufpassen, Wylie?«, und ein Mann schob sich im Gang an ihm vorbei und ging in Richtung Cockpit. Wylie fuhr zusammen und rief ihm, ein paar Sekunden zu spät schaltend, weithin hörbar nach: »Anweisungen nehme ich nur vom Piloten entgegen.«

Ich erkannte eine dieser freundlichen Frotzeleien, wie sie zwischen den Hollywoodgewaltigen und ihren Satelliten üblich sind.

»Nicht so laut, bitte«, wies ihn die Stewardess zurecht, »einige Passagiere schlafen schon.«

Jetzt sah ich, dass der andere Mann, der Jude mittleren Alters, auch aufgestanden war und mit gierigem Blick auf den Mann starrte, der gerade vorbeigekommen war. Oder vielmehr auf den Rücken dieses Mannes, der die Hand wie zu einem Gruß hob, ehe er aus meinem Blickfeld verschwand.

»Ist das der Kopilot?«, fragte ich die Stewardess.

Sie löste unseren Gurt, offenbar gewillt, mich schnöde Wylie White zu überantworten.

»Nein, das ist Mr.Smith. Er hat die Privatkabine, die [13] sogenannte ›Hochzeitssuite‹, aber er hat sie für sich allein. Der Kopilot trägt immer Uniform.« Sie stand auf. »Ich will mal eben fragen, ob wir in Nashville am Boden bleiben müssen.«

»Warum?«, fragte Wylie White entsetzt.

»Im Mississippi Valley zieht eine Gewitterfront heran.«

»Soll das heißen, dass wir die ganze Nacht hier verbringen müssen?«

»Wenn das so weitergeht…«

Ein unerwartetes Luftloch machte deutlich, dass damit zu rechnen war. Es sorgte dafür, dass Wylie White in den Sitz mir gegenüber plumpste, die Stewardess überstürzt in Richtung Cockpit entschwand und der Jude unversehens wieder auf seinem Platz saß. Nachdem wir als routinierte Flugreisende unserem Unmut unbeeindruckt und natürlich in gemessenen Worten Ausdruck verliehen hatten, kehrte wieder Ruhe ein. Man machte sich bekannt.

»Miss Brady – Mr.Schwartze«, sagte Wylie White. »Er ist auch ein großer Bewunderer Ihres Vaters.«

Mr.Schwartze nickte so heftig, dass ich ihn fast sagen hörte: »Ja, wahrhaftig, so verhält es sich, Gott der Gerechte ist mein Zeuge.«

Früher hätte er das vielleicht sogar laut gesagt, aber der Mann hatte unverkennbar einiges hinter sich. Es war, als träfe man einen Freund nach einem Boxkampf oder einem Zusammenstoß, bei dem er den Kürzeren gezogen hat. Man sieht ihn mit großen Augen an und fragt: »Was ist denn mit dir los?«, und durch abgebrochene Zähne und verschwollene Lippen hindurch kommt eine unverständliche Antwort. Er kann sich nicht einmal mehr mitteilen.

[14] Mr.Schwartze war körperlich unversehrt, die markante Nase und die Schatten um die Augen waren ihm ebenso angeboren wie meinem Vater die irische Röte um das knollige Riechorgan.

»Nashville!«, sagte Wylie White. »Mit anderen Worten: Wir müssen in ein Hotel. Dann kommen wir bestenfalls morgen Abend an die Küste. Mein Gott! Ich bin in Nashville geboren.«

»Dann müssten Sie sich eigentlich freuen, die Stadt wiederzusehen.«

»Keine Spur. Ich habe seit fünfzehn Jahren alles getan, um mich von ihr fernzuhalten, und kann nur hoffen, dass es dabei bleibt.«

Diese Hoffnung musste er begraben, denn das Flugzeug ging tiefer, immer tiefer und tiefer, wie Alice im Kaninchenbau. Ich legte die hohle Hand vors Fenster und sah weit weg zur Linken verschwommen die Stadt liegen. Die grüne Schrift »Bitte anschnallen und das Rauchen einstellen« leuchtete schon, seit wir in das Gewitter hineingeflogen waren.

»Haben Sie gehört, was sie gesagt hat?«, fragte Mr.Schwartze aus einer seiner verbissenen Schweigephasen heraus.

»Gehört? Was denn?«, gab Wylie zurück.

»Wie er sich genannt hat. Mr.Smith!«

»Na und?«, sagte Wylie.

»Nichts dagegen«, versetzte Schwartze eilig. »Klang nur so komisch. Smith.« Ich habe nie ein unfroheres Lachen gehört. »Smith!«

Seit den Tagen der Poststationen hat es wohl nichts [15] gegeben, was mit einem Flugplatz vergleichbar wäre, nichts, was so einsam, stumm und düster ist. Die alten roten Backsteinhallen waren direkt in die Städte hineingebaut und prägten sie – an diesen entlegenen Orten ging endgültig von Bord nur, wer dort wohnte. Aber Flughäfen führen weit zurück in die Geschichte, wie die Oasen, wie die Rastplätze auf den berühmten Handelsstraßen. Der Anblick von einzeln oder zu zweit gemächlich dem mitternächtlichen Flughafengebäude zustrebenden Reisenden lockt jede Nacht bis früh um zwei Gruppen von Schaulustigen an. Die Jungen besehen sich die Flugzeuge, die Älteren beobachten in gespanntem Staunen die Passagiere. Auf den großen Transkontinentalmaschinen waren wir die Reichen von der Küste, die im Kernland Amerikas lässig von ihrer Wolke herabstiegen. Es war jederzeit denkbar, wenn auch in der Realität höchst selten, dass sich unter uns das große Abenteuer in Gestalt eines Filmstars befand, und ich bedauerte immer, dass wir nicht interessanter aussahen – ein Gedanke, der mich auch oft bei Filmpremieren beschäftigt, wo die Fans einen abschätzig und vorwurfsvoll anstarren, weil man kein Star ist.

Sobald wir festen Boden unter den Füßen hatten, waren Wylie und ich plötzlich Freunde, denn er streckte einen Arm aus, um mich beim Aussteigen zu stützen. Offenbar war er fest entschlossen, sich an mich heranzumachen – und ich hatte nichts dagegen. Bis wir zum Flughafengebäude kamen, war klar, dass wir, wenn wir schon hier stranden mussten, zumindest gemeinsam stranden konnten. (Anders als damals, als ich meinen Freund verlor – als er mit dieser Reina in einem kleinen Farmhaus in Neuengland nicht weit [16] von Bennington am Klavier saß und ich endlich begriff, dass ich überflüssig war. Im Radio lief Guy Lombardo mit Top Hat und Cheek to Cheek, und sie brachte ihm die Melodien bei. Die Tasten tanzten wie Blätter, ihre Hand spreizte sich über der seinen, als sie ihm einen schwarzen Akkord zeigte. Es war mein erstes Semester.)

Als wir das Flughafengebäude betraten, war auch Mr.Schwartze mit von der Partie, aber er bewegte sich wie im Traum. Während wir versuchten, am Schalter exakte Auskünfte zu bekommen, starrte er auf die Tür, die zum Flugfeld führte, als hätte er Angst, die Maschine könne ohne ihn starten. Ich entschuldigte mich für ein paar Minuten, und inzwischen tat sich wohl irgendetwas, was ich nicht mitbekam, jedenfalls standen er und White dicht zusammen, White redete und Schwartze sah aus wie ein Mann, den ein schwerer Laster soeben im Rückwärtsgang überrollt hat. Er hatte die Tür zum Flugfeld nicht mehr im Blick. Ich hörte den Schluss von Wylie Whites Satz.

»…Ihnen doch gesagt, Sie sollen den Mund halten. Geschieht Ihnen recht.«

»Ich habe doch nur…«

Als ich dazukam, unterbrach er sich und fragte, ob es etwas Neues gäbe. Inzwischen war es halb drei.

»Nicht viel«, sagte Wylie White. »Es heißt, dass wir frühestens in drei Stunden weiterfliegen können, ein paar Schlappschwänze gehen in ein Hotel. Aber ich würde gern mit euch zur Hermitage fahren, dem Haus von Andrew Jackson.«

»Wie sollen wir denn da in der Dunkelheit was sehen?«, wandte Schwartze ein.

[17] »Ach was, in zwei Stunden geht die Sonne auf.«

»Fahren Sie beide«, sagte Schwartze.

»Na schön, dann nehmen Sie den Bus ins Hotel, der steht noch da. Und er sitzt drin.«

»Nein, ich komme mit Ihnen«, sagte Schwartze hastig.

Draußen in der ländlichen Dunkelheit nahmen wir uns ein Taxi, und seine Stimmung hob sich. Er tätschelte mir aufmunternd das Knie.

»Ist schon besser, wenn ich mitfahre«, sagte er. »Als Beschützer. Früher, als ich richtig viel Geld verdiente, hatte ich eine Tochter – eine schöne Tochter.«

Man konnte fast glauben, er hätte sie als Vermögenswert seinen Gläubigern überlassen müssen.

»Sie kriegen wieder eine«, tröstete Wylie. »Sie kriegen alles zurück. Beim nächsten Umschwung sind Sie da, wo Cecelias Papa heute ist, stimmt’s, Cecelia?«

»Wo liegt die Hermitage?«, fragte Schwartze bald darauf. »Am Ende der Welt? Verpassen wir womöglich das Flugzeug?«

»Ist doch unwichtig«, sagte Wylie. »Wir hätten für Sie die Stewardess mitnehmen sollen. Hat Ihnen die Stewardess nicht gefallen? Also ich fand sie klasse.«

Wir fuhren lange durch eine flache Landschaft, nur Straßen und Bäume, Schuppen und Bäume, dann ging es unvermittelt in Kurven an einem Waldstück entlang. Selbst in der Dunkelheit spürte ich, dass die Bäume grün waren, nicht staubig olivbraun wie in Kalifornien. Irgendwo überholten wir einen Neger, der drei Kühe vor sich hertrieb, sie muhten, als er sie an den Straßenrand scheuchte. Es waren leibhaftige Kühe mit frischwarmen seidigen Flanken, und [18] auch der Neger wuchs nach und nach leibhaftig aus der Dunkelheit heraus und sah uns, ganz nah an unserem Wagen stehend, aus großen braunen Augen an, als Wylie ihm einen Vierteldollar gab. »Danke, danke«, sagte er, ohne sich zu rühren, die Kühe muhten wieder in die Nacht hinein, und wir fuhren weiter.

Ich dachte an die ersten Schafe, die ich bewusst gesehen hatte – Hunderte von Schafen, in die unser Wagen auf dem Aufnahmegelände des alten Laemmle-Studios plötzlich hineingefahren war. Sie fühlten sich sichtlich unwohl als Komparsen, aber der Mann, der mit uns im Auto saß, fragte ständig:

»Famos, was?«

»Hast du es dir so vorgestellt, Dick?«

»Ist es nicht famos?« Und der mit Dick Angeredete stand immer wieder im Wagen auf wie Cortez oder Balboa und ließ den Blick über das graue, wollige Gewoge schweifen. In welchem Film sie mitgespielt haben, ist mir längst entfallen, vielleicht habe ich es nie gewusst.

Wir waren eine Stunde gefahren. Auf einer alten, klapprigen, mit Holzplanken belegten eisernen Brücke überquerten wir einen Bach. Jetzt hörte man Hähne krähen, und blaugrüne Schatten regten sich, wenn wir an einem Farmhaus vorbeikamen.

»Was hab ich euch gesagt?«, triumphierte Wylie. »Im Nu ist der Morgen da. Ich bin hier in der Nähe zur Welt gekommen, als Sohn armer Schlucker aus dem Süden, die mal bessere Tage gesehen hatten. Der Familiensitz dient jetzt als Schuppen. Wir hatten vier Domestiken – meinen Vater, meine Mutter und meine beiden Schwestern. Weil [19] ich nicht mitmachen wollte, bin ich nach Memphis gegangen, um meine Karriere zu starten, aber die hat sich mittlerweile festgefahren.« Er zog mich an sich. »Willst du mich heiraten, Cecelia, und mich am Brady-Vermögen teilhaben lassen?«

Er war so entwaffnend, dass ich meinen Kopf an seine Schulter legte.

»Was machst du, Cecelia? Gehst du zur Schule?«

»Ich studiere in Bennington. Als Junior.«

»Entschuldige, das hätte ich mir denken können, aber die Vorteile einer Collegeausbildung sind mir versagt geblieben. Als Junior also… Ich habe im Esquire gelesen, dass die Juniors nichts zu lernen brauchen, Cecelia.«

»Warum denken eigentlich alle, dass Mädchen, die aufs College gehen…«

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Wissen ist Macht.«

»So, wie du daherredest, merkt man gleich, dass wir auf dem Weg nach Hollywood sind«, sagte ich. »Dort sind sie immer um Jahre hinter der Zeit zurück.«

Er tat empört.

»Willst du damit sagen, dass die Mädchen im Osten sich privat nicht ausleben dürfen?«

»Doch, natürlich, das ist es ja gerade. Du wirst lästig. Lass mich los.«

»Geht nicht, dann wacht womöglich Schwartze auf, und ich denke, dass er seit Wochen zum ersten Mal wieder zum Schlafen gekommen ist. Hör zu, Cecelia, ich hatte mal ein Verhältnis mit der Frau eines Produzenten. Ein sehr kurzes Verhältnis. Als es vorbei war, erklärte sie mir klipp und [20] klar: ›Wenn du das rumerzählst, fliegst du aus Hollywood raus. Mein Mann hat hier nämlich sehr viel mehr zu sagen als du.‹«

Jetzt war er mir wieder sympathisch. Wenig später bog das Taxi in eine lange, nach falschem Jasmin und Narzissen duftende Auffahrt ein und hielt an einem großen grauen Etwas – dem Haus von Andrew Jackson. Der Fahrer drehte sich um und wollte uns etwas darüber erzählen, aber Wylie bedeutete ihm, auf Schwartze zeigend, er solle den Mund halten.

»Um diese Zeit kommen Sie nicht hinein«, sagte der Taxifahrer höflich.

Wylie und ich setzten uns vor die dicken Säulen der Treppe und lehnten uns an. »Was ist eigentlich mit Mr.Schwartze los?«, fragte ich. »Wer ist der Mann?«

»Zum Teufel mit Schwartze. Er hat früher mal einen großen Laden geleitet… First National? Paramount? United Artists? Zur Zeit ist er total am Boden. Aber der kommt wieder. Wer im Filmgeschäft endgültig baden geht, muss schon Alkoholiker oder Junkie sein.«

»Du magst Hollywood nicht«, stellte ich fest.

»Doch, doch – aber ist das ein Thema, wenn man im Morgengrauen vor Andrew Jacksons Haus sitzt?«

»Also ich mag Hollywood«, beharrte ich.

»Es ist schon okay. Eine Goldgräberstadt im Lotusland. Weißt du, von wem das ist? Von mir. Es ist ein guter Ort für harte Typen, aber ich bin aus Savannah, Georgia, nach Hollywood gekommen. Am ersten Tag war ich auf einer Gartenparty. Mein Gastgeber schüttelte mir die Hand und verschwand. Es war alles da – der Swimmingpool, [21] samtgrüner Rasen zu zwei Dollar pro Quadratzentimeter, schöne katzenhafte Wesen, die Cocktails schlürften und Spaß hatten… Und kein Mensch, der mit mir geredet hat. Keine Seele. Ich habe fünf, sechs Leute angesprochen, ohne eine Antwort zu bekommen. Das ging eine Stunde so und noch eine, dann bin ich aufgestanden und wie ein Verrückter rausgerannt. Erst als ich wieder im Hotel war und der Mann am Empfang mir einen an mich gerichteten Brief überreichte, einen Brief, auf dem mein Name stand, hatte ich wieder das Gefühl, ein eigenes legitimes Ich zu haben.«

Begreiflicherweise hatte ich solche Erfahrungen nie gemacht, aber wenn ich an Partys dachte, auf denen ich gewesen war, konnte ich mir diese Situation schon vorstellen. Wir nehmen in Hollywood Fremde nicht mit offenen Armen auf, es sei denn, sie trügen ein Schild um den Hals, auf dem steht, dass sie ihre Lorbeeren anderswo erworben haben und uns nicht gefährlich werden können – mit anderen Worten, dass sie bereits prominent sind. Und auch dann müssen sie sich noch vorsehen.

»Da muss man über den Dingen stehen«, erklärte ich gespreizt. »Solche Flegeleien darfst du nicht persönlich nehmen, das machen die mit allen.«

»So ein hübsches Mädchen – und so altklug.«

Der östliche Himmel war in erwartungsvolle Bewegung geraten, so dass Wylie mich deutlich sehen konnte: schlanke Figur, gut geschnittenes Gesicht, stilsicheres Auftreten – und immerhin leichte Ansätze von Verstand. Wie sah ich wohl aus an jenem frühen Morgen vor fünf Jahren? Ein bisschen blass und verknittert wahrscheinlich, aber ich war noch jung genug, um mir einzubilden, dass Abenteuer fast [22] ausnahmslos etwas Positives sind, und hätte ich baden und mich umziehen können, hätte ich noch stundenlang durchgehalten.

Wylie musterte mich mit schmeichelhaftem Wohlgefallen – und dann waren wir plötzlich nicht mehr allein. Schuldbewusst kam Mr.Schwartze angetappt und störte die hübsche Szene. »Ich hab mich an einem großen Metallknauf gestoßen«, sagte er und griff sich an ein Auge.

Wylie sprang auf. »Wo bleiben Sie denn, Mr.Schwartze? Die Führung fängt gerade an. Hier sehen Sie die Heimstatt von Old Hickory, dem zehnten Präsidenten Amerikas, Sieger von New Orleans, Gegner der National Bank und Erfinder der Filzokratie.«

Schwartze sah zu mir hin wie zur Geschworenenbank.

»Typisch Autor«, sagte er. »Weiß alles und nichts.«

»Na hören Sie mal«, empörte sich Wylie.

Ich hatte bis dahin nicht geahnt, dass er Drehbuchschreiber war. Und auch wenn ich die durchaus mag – wenn man sie was fragt, bekommt man meist eine Antwort –, fiel er damit in meinen Augen eine Stufe tiefer. Drehbuchschreiber sind keine richtigen Menschen oder aber – wenn sie gut sind – viele verschiedene Personen, die sich krampfhaft bemühen, sich als eine einzige darzustellen. Darin ähneln sie Schauspielern, die so rührend bestrebt sind, nicht in den Spiegel zu sehen, dass sie sich furchtbar verbiegen – und dann in den spiegelnden Kronleuchtern plötzlich ihr Gesicht entdecken.

»Sind Drehbuchschreiber nicht wirklich so, Celia?«, fragte Schwartze. »Mit Worten kann ich es nicht ausdrücken, ich weiß nur, dass es stimmt.«

[23] Wylie wurde allmählich ärgerlich. »Die Sprüche kenne ich. Also in der praktischen Lebenserfahrung bin ich Ihnen allemal überlegen, Mannie. Ich habe in einem Büro gesessen und mir angehört, wie ein komischer Typ stundenlang auf und ab tigerte und einen Stuss erzählte, der ihn außer in Kalifornien überall in die Klapsmühle gebracht hätte – und musste mir zum Schluss noch sagen lassen, er sei der Mann der Praxis und ich der Träumer, und ich möge mich jetzt gefälligst hinsetzen und aus dem, was er gesagt hat, etwas Vernünftiges machen.«

Mr.Schwartzes Gesichtszüge verrutschten. Ein Auge sah durch die hohen Ulmen nach oben; er hob die Hand und biss lustlos an der Nagelhaut seines Zeigefingers herum. Ein Vogel flog über den Kamin, und Schwartzes Blick folgte ihm. Der Vogel setzte sich wie ein Rabe auf den Kaminaufsatz, und Mr.Schwartze sagte, ohne ihn aus den Augen zu lassen: »Ins Haus können wir sowieso nicht. Und es wird Zeit, dass ihr beide wieder zum Flugzeug kommt.«

Es war noch immer nicht ganz hell. Die Hermitage sah jetzt aus wie ein hübscher weißer Karton, aber sie wirkte ein bisschen einsam und noch nach hundert Jahren wie erst gestern geräumt. Wir gingen zurück zum Wagen. Erst als wir eingestiegen waren und Mr.Schwartze überraschend die Taxitür hinter uns zumachte, begriffen wir, dass er nicht die Absicht hatte mitzufahren.

»Ich fliege nicht weiter, das habe ich nach dem Aufwachen beschlossen. Ich bleibe hier, und der Fahrer kann mich später abholen.«

»Sie wollen zurück in den Osten?«, fragte Wylie erstaunt. »Nur weil…«

[24] »Mein Entschluss steht fest.« Schwartze lächelte matt. »Früher war ich ein Ausbund an Entscheidungsfreude, Sie hätten gestaunt.« Er kramte in der Tasche herum, während der Taxifahrer den Motor warmlaufen ließ. »Würden Sie Mr.Smith diesen Brief geben?«

»Ist es recht, wenn ich in zwei Stunden wiederkomme?«, fragte der Fahrer.

»Ja, sehr recht. Ich schau mich in der Zwischenzeit hier ein bisschen um.«

Auf der Rückfahrt zum Flughafen musste ich die ganze Zeit an ihn denken und versuchte, ihn in diese frühe Stunde und in diese Landschaft einzuordnen. Er hatte einen langen Weg zurückgelegt aus irgendeinem Ghetto bis zu jenem schlichten Schrein. Mannie Schwartze und Andrew Jackson – es war fast unmöglich, beide Namen in einem Satz zu nennen. Ob er wusste, wer Andrew Jackson war, wenn er dort herumschlenderte, darf bezweifelt werden, aber vielleicht sagte er sich, dass dieser Andrew Jackson, wenn man sein Haus erhalten hatte, ein großer Mann sein musste, barmherzig und verständnisvoll. Am Anfang und am Ende seines Lebens braucht der Mensch Nahrung. Eine Brust… einen Schrein… einen Ort, an dem er sich, wenn er nicht mehr gebraucht wird, niederlegen kann, um sich eine Kugel durch den Kopf zu schießen.

Das haben wir aber erst zwanzig Stunden später erfahren. Als wir zum Flughafen kamen, sagten wir dem Purser, dass Mr.Schwartze den Flug nicht fortsetzen würde, und vergaßen ihn dann. Die Gewitterfront war ins östliche Tennessee weitergezogen und hatte sich an den Bergen [25] entladen, und knapp eine Stunde später waren wir wieder startbereit. Verschlafene Reisende kamen aus dem Hotel, und ich döste ein paar Minuten auf einer dieser fälschlicherweise als Couch bezeichneten Eisernen Jungfrauen. Langsam erstand aus den Trümmern unserer verpatzten Unternehmung wieder die Vorstellung einer gefahrvollen Reise. Eine neue Stewardess, groß, bildhübsch, auffallend brünett, der anderen zum Verwechseln ähnlich, nur dass sie Seersucker trug statt französisches Rotblau, ging mit einem Koffer in der Hand forschen Schrittes an uns vorbei. Wylie hatte sich neben mich gesetzt.

»Hast du Mr.Smith den Brief gegeben?«, fragte ich schon fast im Halbschlaf.

»Allerdings.«

»Wer ist Mr.Smith? Ich habe den Verdacht, dass er Mr.Schwartze die Reise vermasselt hat.«

»Das hat Schwartze sich selber zuzuschreiben.«

»Ich habe was gegen Dampfwalzen«, sagte ich. »Wenn mein Vater anfängt, zu Hause die Dampfwalze zu spielen, sage ich ihm, dass er sich das fürs Studio aufheben soll.«

War das fair? So früh am Morgen sind Worte matte Münze. »Immerhin haben mich seine Dampfwalzenmethoden bis nach Bennington gebracht, und dafür bin ich sehr dankbar.«

»Ein Zusammenstoß von Dampfwalze Brady mit Dampfwalze Smith würde ganz schön krachen«, sagte Wylie.

»Ist Mr.Smith ein Konkurrent meines Vaters?«

»Nicht wirklich. Nein, genau genommen gar nicht. Wäre er ein Konkurrent, wüsste ich, auf wen ich mein Geld zu setzen hätte.«

[26] »Auf meinen Vater?«

»Nein, bedaure.«

Es war zu früh für familienpatriotische Aufwallungen. Der Pilot stand mit dem Purser am Schalter und besah sich kopfschüttelnd einen künftigen Passagier, der zwei Nickel in den elektrischen Plattenspieler gesteckt hatte und jetzt alkoholisiert auf einer Bank saß und gegen den Schlaf ankämpfte. Lost, der erste Song, den er ausgesucht hatte, dröhnte durch den Raum, nach einer kleinen Pause gefolgt von Gone, seiner zweiten Wahl, die nicht weniger dogmatisch und endgültig war. Der Pilot schüttelte wieder nachdrücklich den Kopf und ging zu dem Passagier hinüber.

»Diesmal können wir Sie leider nicht mitnehmen, alter Junge.«

»Wa-was?«

Der Betrunkene setzte sich auf – er war in einem schrecklichen Zustand, dennoch erkennbar gut aussehend –, und trotz seines heftigen musikalischen Missgriffs tat er mir leid.

»Fahren Sie zurück ins Hotel und schlafen Sie ein paar Stunden. Heute Abend kommt die nächste Maschine.«

»Hinauf in die Lü-hüfte…«

»Diesmal nicht, alter Junge.«

Vor lauter Enttäuschung plumpste der Betrunkene von der Bank – und über das Plattenspielergedudel hinweg rief ein Lautsprecher uns ehrbare Bürger nach draußen. Wir gingen an Bord, und im Gang fiel ich fast Monroe Stahr in die Arme, was mir nicht unlieb war. Es war ein Mann, auf den alle Mädchen flogen, ob er sie nun dazu ermunterte oder nicht. Bei mir war das eindeutig nicht der Fall, aber er mochte mich und setzte sich bis zum Start zu mir.

[27] »Am besten lassen wir uns alle unser Geld zurückgeben«, schlug er vor. Seine dunklen Augen musterten mich nachdenklich, und ich fragte mich, wie sie wohl aussehen mochten, wenn er sich verliebte. Sie hielten einen, so freundlich sie auch waren, auf Distanz und wirkten, auch wenn sie einem aufmunternd zuzureden schienen, immer eine Spur überheblich. Sie konnten nichts dafür, dass sie so viel wahrnahmen. Stahr konnte bei Bedarf perfekt den guten Kumpel geben, im Großen und Ganzen aber, denke ich, war er wohl genau das nicht. Doch er verstand sich aufs Schweigen, verstand sich darauf, in den Hintergrund zu treten, zuzuhören. Von seinem Standort aus beobachtete er (und obwohl er nicht groß war, hatte man den Eindruck, dass dies aus großer Höhe geschah) das vielgestaltige Tun und Treiben seiner Welt wie ein stolzer junger Hirte, dem Tag und Nacht gleich galten. Er war von Geburt an mit Schlaflosigkeit geschlagen, war rastlos, ja sogar ohne das Bedürfnis nach Ruhe zur Welt gekommen.

Wir saßen in freundschaftlichem Schweigen beieinander. Ich kannte ihn, seit er – damals war ich sieben und Stahr zweiundzwanzig – vor zwölf Jahren Vaters Partner geworden war. Wylie saß auf der anderen Gangseite, und ich wusste nicht recht, ob ich die beiden miteinander bekannt machen sollte oder nicht, aber Stahr drehte so gedankenverloren an seinem Ring herum, dass ich mir jung und unsichtbar vorkam und mich nicht dazu aufraffen konnte. Ich habe mich nie getraut, von ihm wegzusehen oder ihn direkt anzuschauen, wenn ich nicht gerade etwas Wichtiges zu sagen hatte – und ich wusste, dass viele Menschen ebenso auf ihn reagierten.

[28] »Ich schenke dir den Ring, Cecelia.«

»Entschuldige. Ich wusste nicht, dass ich…«

»Von der Sorte habe ich ein halbes Dutzend.«