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Eine mittellose junge Frau verzaubert das Herz
eines reichen Lords.
Die 34-jährige Emily Fox-Seton, aus vornehmer, aber längst verarmter Familie, schlägt sich in London durch, indem sie für adelige Herrschaften vertrauliche Aufträge und Besorgungen jeder Art ausführt: von einfachen Näharbeiten bis hin zum Finden eines neuen Butlers. Durch einen Schachzug ihrer Auftraggeberin Lady Maria Bayne lernt sie bei einem Sommerfest auf dem Lande deren Cousin Lord Walderhurst kennen, einen reichen Witwer, der sich prompt in Emily verliebt und um ihre Hand anhält. Mit der Hochzeit erfüllen sich Emilys kühnste Träume, zumal sie dem Lord einige Monate später den lang ersehnten Erben schenken wird. Doch Emilys Glück ruft jede Menge Neider auf den Plan, denn in Lord Walderhursts blasierter Verwandtschaft hat man ganz eigene Pläne mit dem erhofften Erbe … Erstmals auf Deutsch, in liebevoller Ausstattung mit illustriertem Vorsatzpapier und Lesebändchen.
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Seitenzahl: 423
Buch
Die 34-jährige Emily Fox-Seton, aus vornehmer, aber längst verarmter Familie, schlägt sich in London durch, indem sie für adelige Herrschaften vertrauliche Aufträge und Besorgungen jeder Art ausführt: von einfachen Näharbeiten bis hin zum Finden eines neuen Butlers. Durch einen Schachzug ihrer Auftraggeberin Lady Maria Bayne lernt sie bei einem Sommerfest auf dem Lande deren Cousin Lord Walderhurst kennen, einen reichen Witwer, der sich prompt in Emily verliebt und um ihre Hand anhält. Mit der Hochzeit erfüllen sich Emilys kühnste Träume, zumal sie dem Lord einige Monate später den lang ersehnten Erben schenken wird. Doch Emilys Glück ruft jede Menge Neider auf den Plan, denn in Lord Walderhursts blasierter Verwandtschaft hat man ganz eigene Pläne mit dem erhofften Erbe …
Autorin
Frances Hodgson Burnett (1849–1924) wurde in Manchester geboren und wanderte nach dem Tod des Vaters mit ihrer Familie 1865 in die USA aus. Nach ersten Kurzgeschichten, die in Zeitschriften veröffentlicht wurden, schrieb sie im Laufe ihres Lebens über 40 Romane für Kinder wie für Erwachsene, darunter Klassiker wie »Der kleine Lord« und »Der geheime Garten«. Ihr 1901 erstmals erschienener Roman »Die Liebenden von Palstrey Manor« wurde erst kürzlich in England wiederentdeckt und sogar verfilmt.
FRANCES HODGSON BURNETT
Die Liebenden von Palstrey Manor
Roman
Aus dem Englischenvon Michaela Meßner
MANHATTAN
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Die Originalausgabe erschien 1901 bei Smith, Elder, wiederveröffentlicht 2001 bei Persephone Books, London.
Manhattan Bücher erscheinen imWilhelm Goldmann Verlag, München,einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung Oktober 2016
Nachwort © Gretchen Gerzina 2001
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Die Nutzung des Labels Manhattan erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Hans-im-Glück-Verlags, München
Umschlaggestaltung und Konzeption:
Buxdesign | München
Coverillustration: © Natascha Römer
Redaktion: Antje Steinhäuser
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-19937-1V001www.manhattan-verlag.de
TEIL EINS
ERSTES KAPITEL
Miss Fox-Seton stieg aus dem Zwei-Penny-Bus und raffte dabei mit Sitte und Anstand ihren adretten, maßgeschneiderten Rock, denn sie war es gewohnt, mit Zwei-Penny-Bussen zu fahren und sich durch die schlammigen Straßen von London zu kämpfen. Eine Frau, deren maßgeschneiderter Rock zwei oder drei Jahre halten muss, lernt schnell, ihn vor Spritzern zu schützen und darauf zu achten, dass die Falten schön glatt bleiben. Emily Fox-Seton war an jenem regnerischen Morgen sehr vorsichtig durch die nassen Straßen gelaufen und kehrte ohne jeden Fleck in die Mortimer Street zurück, ganz wie sie aufgebrochen war. Sie hatte viel über ihren Kleiderstil nachgedacht – insbesondere über diesen Rock, der ihr nun schon ganze zwölf Monate lang die Treue hielt. Die Rockmode hatte sich erschreckend gewandelt, und als sie durch die Regent Street und die Bond Street ging, war sie des Öfteren unter dem Schild »Damenschneiderei und Anzugkonfektion« vor einem Schaufenster stehengeblieben, hatte die übernatürlich schlanken Schaufensterpuppen in ihren eng sitzenden Kleidern betrachtet, mit schreckgeweiteten, ehrlichen Haselaugen. Sie hatte sich genau angesehen, wo sie die Nähte setzen und wie sie die Falten legen musste, falls es überhaupt welche gab. Oder ob vielleicht auf jegliche Naht verzichtet wurde und der Stil so erbarmungslos schlicht war, dass ehrbare Frauen mit bescheidenen Mitteln keine Möglichkeit mehr sahen, sich aus der Patsche zu helfen, indem sie die Röcke der letzten Saison umänderten.
»Das ist nun doch ein eher gewöhnliches Braun«, murmelte sie vor sich hin, »ich könnte mir einfach einen Meter in einer ähnlichen Farbe kaufen, und damit es nicht so auffällt, bei den Falten im Rücken vielleicht noch eine Gere einsetzen.«
Bei dieser glücklichen Lösung ging ein Leuchten über ihr Gesicht. Sie war eine so schlichte und normal denkende Person, dass es nur weniger Dinge bedurfte, damit ihr das Leben in einem helleren Licht erschien und sich ein gutmütiges, kindliches Lächeln auf ihrem Gesicht zeigte. Die freundliche Geste eines Menschen, ein kleines Vergnügen oder ein kleiner Trost, und schon glühte sie vor inniger Freude.
Als sie aus dem Bus stieg, dabei ihren groben braunen Rock raffte, um beherzt durch den Schlamm der Mortimer Street zu ihrer Unterkunft zu stapfen, strahlte sie geradezu. Nicht nur ihr Lächeln war das eines Kindes, auch ihr Gesicht war kindlich für eine Frau ihres Alters und ihrer Größe. Sie war vierunddreißig und von guter Statur: hübsch gerade Schultern, eine lange, schmale Taille und üppige Hüften. Sie war eine große Frau, bewegte sich aber mit Anmut, und da sie es, trotz einer erstaunlichen Energie und geschicktem Wirtschaften, auf nicht mehr als ein gutes Ensemble im Jahr brachte, ging sie sehr sorgfältig damit um und änderte ihre alten Kleider mit solchem Geschick, dass sie stets recht elegant wirkte. Sie hatte schön runde, frische Wangen und große, ehrliche Augen, dichtes nussbraunes Haar und eine kurze, gerade Nase. Sie war apart und machte einen wohlerzogenen Eindruck, und durch das große herzliche Interesse, das sie allen und jedem entgegenbrachte, und ihre Freude an allem, das nur irgend Freude bringen konnte, hatten ihre großen Augen etwas so Frisches, dass Emily eher an ein hübsches, zu groß geratenes Mädchen denken ließ als an eine erwachsene Frau, deren Leben ein beständiger Kampf war, mit einem Einkommen, das bescheidener nicht hätte sein können.
Sie war aus gutem Hause und hatte eine gute Erziehung genossen, innerhalb der Grenzen, die Frauen wie ihr gesteckt waren. Verwandte besaß sie nur wenige, und keiner von ihnen verspürte eine Neigung, sich mit ihrer Mittellosigkeit zu belasten. Sie stammten aus den besten Familien, waren aber vollauf damit beschäftigt, ihre Söhne in der Armee oder bei der Marine zu unterstützen und ihren Töchtern einen Ehemann zu suchen. Als Emilys Mutter starb und mit ihrem Tod auch die kleine Jahresrente verloren ging, hatte sich niemand des großen, knochigen Mädchens annehmen wollen, sodass man Emily in aller Offenheit über ihre Lage in Kenntnis setzte. Mit achtzehn hatte sie Arbeit als Hilfslehrerin an einer kleinen Schule gefunden, im Folgejahr war sie als Gouvernante für jüngere Kinder in Stellung gegangen, anschließend in Northumberland bei einer unfreundlichen alten Dame als Vorleserin und Gesellschafterin. Die Dame hatte auf dem Land gelebt, und in Erwartung ihres Ablebens waren ihre Verwandten wie die Geier um sie gekreist. Das Haus war düster und unheimlich gewesen und würde wohl jede junge Frau ohne ein gesundes und den praktischen Dingen des Lebens zugewandtes Temperament in die Schwermut getrieben haben. Emily Fox-Seton hatte stets eine unerschöpfliche gute Laune verströmt und damit bei ihrer Herrin eine menschliche Regung geweckt. Als die alte Dame schließlich gestorben war und Emily wieder in die Welt hinausgehen musste, stellte sich heraus, dass sie ihr etliche Hundert Pfund hinterlassen hatte, nebst einem Brief mit eher praktischen, wenn auch harsch formulierten Ratschlägen.
»Geh zurück nach London«, hatte Mrs Maytham in ihrer dünnen, krakeligen Handschrift geschrieben, »du bist nicht klug genug, dir deinen Lebensunterhalt mit irgendeiner bedeutenden Tätigkeit zu verdienen, aber du hast einen so guten Charakter, dass du dich bei vielen hilflosen Geschöpfen nützlich machen kannst, auch wenn sie dir nur einen geringen Lohn dafür zahlen werden, dass du dich um Angelegenheiten kümmerst, zu deren Erledigung sie, aus Faulheit oder Dummheit, nicht selbst in der Lage sind. Du könntest bei einer dieser mittelmäßigen Modezeitschriften anfangen und lächerliche Fragen zu Haushaltsdingen, Tapeten oder Sommersprossen beantworten. Du weißt schon, was ich meine. Du könntest für irgendeine faule Dame die Post erledigen, dich um die Buchhaltung und die Einkäufe kümmern. Du bist eine praktisch veranlagte, ehrliche Person und hast gute Manieren. Wie oft habe ich bei mir gedacht, dass du genau die gewöhnlichen Talente besitzt, die viele gewöhnliche Leute von ihrem Dienstpersonal erwarten. Eine frühere Dienstmagd von mir wohnt in der Mortimer Street, sie kann dir vielleicht eine billige, anständige Unterkunft geben und wird dich gut behandeln, schon um meinetwillen. Sie hat allen Grund, mir dankbar zu sein. Sag ihr, ich hätte dich geschickt und sie solle dir für zehn Schilling die Woche ein Zimmer vermieten.«
Emily weinte vor Dankbarkeit und verehrte Mrs Maytham fortan als fürstliche und geheiligte Wohltäterin, auch wenn das angelegte Erbe ihr nur zwanzig Pfund Jahresrente einbrachte.
»Das war so freundlich von ihr«, sagte sie immer mit aufrichtiger Demut. »Ich hätte nie zu träumen gewagt, dass sie so großzügig sein würde. Ich hatte nicht das geringste Anrecht darauf – nicht das geringste.«
Sie brachte ihre aufrichtigen Gefühle mit einem Nachdruck zum Ausdruck, als wollte sie ihre Freude oder Wertschätzung buchstäblich unterstreichen.
Wieder machte sie sich auf den Weg nach London und suchte die ehemalige Dienstmagd auf. Mrs Cupp hatte in der Tat Ursache, ihrer einstigen Herrin in Dankbarkeit zu gedenken. In einer Zeit, in der ihre Jugend und die Liebe sie zu einer Unbesonnenheit verleitet hatte, rettete Mrs Maytham sie vor den verheerenden Folgen der öffentlichen Schande, indem sie sich ihrer annahm. Die alte Dame, zur damaligen Zeit eine energische, scharfzüngige Frau mittleren Alters, hatte den Soldaten-Liebhaber gezwungen, sein verzweifeltes Liebchen zu ehelichen, und nachdem er sich schon bald zu Tode getrunken hatte, übertrug sie der Witwe eine Pension, die unter ihrer Führung prosperierte und es ihr gestattete, für sie und ihre Tochter ein bescheidenes Auskommen zu finden.
Im zweiten Stock ihres ehrenwerten, aber schmucklosen Hauses gab es ein kleines Zimmer, das sie für die Freundin der verstorbenen Dame nach Kräften möblierte. Sie verwandelte es in ein Wohn- und Schlafzimmer, indem sie eine Pritsche hineinstellte, die Emily sich selbst gekauft hatte und die sie tagsüber mit einer zweifarbigen Como-Decke in Rot und Blau dezent in ein Sofa verwandelte. Das einzige Fenster ging auf einen dunklen kleinen Innenhof und eine rußschwarze Mauer hinaus, auf der magere Katzen auf leisen Sohlen herumschlichen oder auf der sie saßen und traurig ins Leere starrten. Como-Wolldecken spielten bei der Einrichtung des Zimmers eine große Rolle. Mit einem durch den Saum gefädelten Band wurde eine Decke vor die Tür gehängt und diente als portière; eine weitere kaschierte die Ecke, in der sich Miss Fox-Setons einziger Kleiderschrank befand. Als sie schließlich immer mehr Aufträge bekam, erstand das heitere und nach Verschönerung strebende Geschöpf ein Kensington-Teppichkarree von einem so kräftigen Rot, wie es für einen Kensington-Teppich gerade noch vertretbar war. Die Stühle bespannte Emily mit türkischroter Baumwolle, und die Sitzfläche verzierte sie mit einer umlaufenden Rüsche. Über die schlichten weißen Musselinvorhänge (bei Robson’s für acht Schillinge und elf Pence das Paar) hängte sie ebenfalls einen türkischroten Stoff. Bei Liberty’s erstand sie im Ausverkauf ein preisgünstiges Kissen und billiges China-Porzellan für den schmalen Kaminsims. Mit dem Lacktablett und einem Teegeschirr, das aus einer Tasse, einer Untertasse, einem Teller und einer Teekanne bestand, fühlte sich das Ganze fast schon wie Luxus an. War sie den lieben langen Tag durch nasse oder kalte Straßen gelaufen, hatte für die einen Gäste eingekauft und für wieder andere nach einem Schneider oder Dienstboten gesucht, dachte sie schon voller Freude an ihr Schlaf-Wohnzimmer. Wenn sie zur Tür hereinkam, brannte stets ein helles Feuer in Mrs Cupps kleinem Kamin, und wenn sie ihre Lampe mit dem selbst gebastelten Schirm aus purpurrotem Japanpapier anknipste, dann war der fröhliche Schein und das Singen des bauchigen schwarzen Wasserkesselchens auf der Herdplatte der höchste Luxus für die müde und vom Regen durchnässte Frau.
Mrs Cupp und Jane Cupp behandelten sie sehr freundlich und aufmerksam. Wer mit ihr unter einem Dach wohnte, musste sie einfach mögen. Sie machte so wenig Ärger und beantwortete jede Aufmerksamkeit mit einer so überschwänglichen Dankbarkeit, dass die Cupps, mit denen die »Professionellen«, die gewöhnlich die restlichen Zimmer belegten, manchmal sehr rüde umgingen, sie recht gern hatten. Diese »Professionellen«, sehr pfiffige Damen und Herren, die in großen Sälen ihre »Auftritte« hatten oder am Theater kleine Rollen besetzten, zahlten ihre Miete unregelmäßig oder machten sich aus dem Staub, ohne die Rechnung beglichen zu haben; Miss Fox-Seton hingegen zahlte regelmäßig jeden Samstagabend ihren Mietzins, und es hatte sogar Zeiten gegeben, in denen sie, war das Glück ihr nicht hold gewesen, lieber eine ganze Woche streng gehungert hatte, als sich in einem Damen-Teesalon von dem Geld für ihre Miete ein Mittagessen zu kaufen.
Damit war sie für die auf Rechtschaffenheit bedachten Cupps zu einer Art stolzem Besitz geworden. Sie schien den Duft der großen weiten Welt in die bescheidene Pension zu tragen – einer Welt, deren Bewohner in Mayfair wohnten und Landhäuser besaßen, in denen Schützen- und Jagdfeste veranstaltet wurden, wo es junge Mädchen und Gouvernanten gab, die im Frühling, wenn es morgens noch kalt war, in Wogen von Satin, Tüll und Spitze gehüllt und inmitten nickender Straußenfedern, stundenlang zitternd in ihren Kutschen saßen und darauf warteten, dass man sie endlich in den Buckingham Palace einfahren und den Salon betreten ließ. Mrs Cupp wusste, dass Miss Fox-Seton »gute Verbindungen« hatte; sie wusste auch, dass sie eine Tante von Adel hatte, wenngleich Ihre Ladyschaft ihrer Nichte keinerlei Beachtung schenkte. Jane Cupp las die »Modern Society« und hatte hin und wieder das Vergnügen, ihrem jungen Verlobten laut vorzulesen, welch kleinere Vorfälle sich auf einem Schloss oder Landsitz zugetragen hatten, in denen sich Miss Fox-Setons Tante, Lady Malfry, mit Earls und engen Günstlingen des Prinzen von Wales aufhielt. Jane wusste auch, dass Miss Fox-Seton gelegentlich Briefe »An die Sehr Ehrenwerte Gräfin von Soundso« schrieb und daraufhin Antwortschreiben erhielt, die ein Siegel mit Adelskrönchen trugen. Einmal war sogar ein mit Erdbeerblättern verzierter Brief angekommen, ein Ereignis, das Mrs Cupp und Jane bei heißem Buttertoast und Tee mit größtem Interesse erörtert hatten.
Emily Fox-Seton war allerdings weit davon entfernt, irgendeine Form von Grandezza zu zeigen. Mit der Zeit waren die Cupps ihr so sehr ans Herz gewachsen, dass sie ganz offen über ihr Verhältnis zu solch bedeutenden Persönlichkeiten sprach. Die Gräfin hatte von einer Freundin erfahren, dass Miss Fox-Seton ihr einmal eine hervorragende Gouvernante besorgt hatte und ihr sogleich den Auftrag erteilt, eine vertrauenswürdige Näherin für junge Damen zu finden. Sie hatte für eine wohltätige Einrichtung, der die Gräfin als Mäzenatin vorstand, Sekretariatsarbeit verrichtet. Diese Leute kannten sie eigentlich nur als eine kultivierte Frau, die sich gegen bescheidenen Lohn in zahllosen praktischen Dingen außerordentlich nützlich zu machen verstand. Sie was besser über die anderen unterrichtet als diese über sie selbst, und in ihrer zärtlichen Bewunderung für alle, die ihr mit Menschlichkeit begegneten, erzählte sie Mrs Cupp oder Jane manchmal mit großer Offenherzigkeit von deren Schönheit oder Mildtätigkeit. Natürlich schlossen einige der Herrschaften sie ins Herz, und da sie eine hübsche junge Frau mit einwandfreien Manieren war, machten sie ihr gerne eine kleine Freude, luden sie zum Tee oder Lunch ein oder nahmen sie mit ins Theater.
Sie zeigte so offen ihre Dankbarkeit für diese Vergnügen, dass die Cupps sie selbst als große Freude empfanden. Für Jane Cupp – die vom Schneidern einiges verstand – war es ein wundervolles Erlebnis, wenn man sie holte, um ein altes Kleid umzunähen oder beim Nähen eines neuen für irgendeine Festlichkeit behilflich zu sein. Die Cupps hielten ihre großgewachsene, kräftige Untermieterin letztlich für eine Schönheit, und nachdem sie ihr geholfen hatten, sich für den Abend anzukleiden, die kräftigen Arme und den feinen weißen Hals zu entblößen und den dicken Haarkranz mit glänzendem, flirrendem Schmuck zu zieren, setzten sie sie in ihre vierrädrige Kutsche und kehrten wieder in die Küche zurück, um über sie zu reden und sich zu wundern, warum kein Gentleman auf der Suche nach einer hübschen, stilvollen Gattin Emily Fox-Seton sich selbst und seinen Reichtum zu Füßen legte.
»In den Läden der Fotografen in der Regent Street sieht man einige Damen mit Adelskrönchen, die nicht halb so gut aussehen wie sie«, bemerkte Mrs Cupp des Öfteren. »Sie hat eine wundervolle Haut und herrliches Haar, und wenn du mich fragst, so hübsche helle Augen, ganz wie eine vornehme Lady. Und schau dir nur ihre Figur an – ihren Hals und die Taille! Ein paar Reihen Perlen oder Diamanten würden ihrem schlanken Hals gut stehen! Außerdem ist sie die geborene Lady, trotz ihrer einfachen und umgänglichen Art. Und sanft ist sie wie keine zweite. An Großherzigkeit und Gutmütigkeit kann es keine mit ihr aufnehmen.«
Unter Miss Fox-Setons Kundinnen befanden sich Damen aus der Mittelschicht und solche aus dem Adel – die Mittelschicht war allerdings zahlreicher vertreten als die Herzoginnen, und so konnte sie den Cupps so manche Gefälligkeit erweisen. In Maida Vale und Bloomsbury hatte sie oft Nähaufträge an Jane Cupp vermitteln können, und in dem Stockwerk, in dem sich Mrs Cupps Speisesaal befand, hatte jahrelang ein junger Mann gewohnt, der auf Emilys Empfehlung ins Haus gekommen war. So gern sie es hatte, wenn ihr jemand einen Gefallen tat, so gern tat sie anderen einen Liebesdienst. Nie ließ sie eine Gelegenheit verstreichen, anderen Menschen in irgendeiner Form behilflich zu sein.
An jenem Morgen lief sie nur deshalb so strahlend durch den Matsch, weil eine Kundin, die sie mochte, ihr einen Gefallen getan hatte. Das Landleben liebte sie geradezu über die Maßen, und da sie »einen schlechten Winter« gehabt hatten, wie sie es nannte, hatte sie in den Sommermonaten bisher keine Gelegenheit gehabt, aus der Stadt herauszukommen. Mittlerweile war es ungewöhnlich heiß geworden, und in ihr kleines rotes Zimmer, das im Winter so gemütlich wirkte, drang wegen der hohen Mauer nicht der leiseste Hauch. Hin und wieder legte sie sich auf ihre Pritsche und japste nach Luft, und dann war ihr, als verspräche das Leben in der Stadt, wenn alle privaten Busse, beladen mit Koffern und Dienstboten, davongerattert waren, um ihre Last am jeweiligen Ziel abzuliefern, recht einsam zu werden. Alle Bekannten würden fort sein, und die Mortimer Street im August war eine traurige Sache.
Aber jetzt hatte Lady Maria sie nach Mallowe eingeladen. Was für ein Glück – und wie überaus freundlich von ihr!
Sie wusste nicht, dass Lady Maria sie unterhaltsam fand und wie sehr die verrückte, welterfahrene alte Dame sie leiden mochte. Lady Maria Bayne war die gewitzteste, scharfzüngigste und klügste alte Dame von London. Sie kannte alles und jeden und hatte in ihrer Jugend nichts ausgelassen, darunter auch Vieles, das sich in den Augen der Gesellschaft nicht sonderlich ziemte. Ein gewisser königlicher Herzog hatte großen Gefallen an ihr gefunden, und es wurden ein paar sehr gemeine Dinge über sie gesagt. Aber Lady Maria focht das nicht an. Sie konnte auch ganz gemeine Dinge sagen, und da sie das auf eine witzige Art tat, hörte man ihr gewöhnlich zu und erzählte sie weiter.
Zu Anfang hatte Emily Fox-Seton jeden Abend eine Stunde bei ihr verbracht, um Briefe für sie zu schreiben. Sie hatte Einladungen verschickt, abgelehnt und angenommen, hatte wohltätige Werke ausgeschlagen und langweilige Leute abgewiesen. Ihr Schreibstil war elegant und flott und ihre Sicht auf die Dinge sehr pragmatisch. Schon bald wurde sie für Lady Maria unabkömmlich. Sie ließ sie ihre Einkäufe erledigen, und eine Reihe von Dingen legte sie gänzlich in ihre Hände. So gelangte sie häufig in die South Audley Street, und als Lady Maria einmal plötzlich erkrankte und sich ängstigte, war Emily ihr eine solche Hilfe, dass sie sie gleich drei Wochen bei sich behielt.
»Dieses Geschöpf ist so fröhlich und hat so gar keine Laster, dass es eine Freude ist«, sagte Lady Maria später zu ihrem Neffen. »Die meisten Frauen sind affektierte Kätzchen. Sie dagegen macht sich einfach auf den Weg und kauft eine Schachtel Tabletten oder ein Heftplaster und ist zugleich von einer solchen Einfachheit und frei von Bosheit und Neid, wie man es vielleicht nur von einer Prinzessin erwartet.«
So kam es, dass Emily hin und wieder ihr bestes Kleid anzog, ihren kunstvollsten Hut aufsetzte und in die South Audley Street zum Tee ging. (Manchmal war sie vorher mit dem Bus zu einem fernen Laden in der Stadt gefahren, um einen besonderen Tee zu kaufen, von dem man ihr erzählt hatte.) Sie begegnete recht klugen Leuten und nur selten auch einigen geistlosen. Lady Maria hatte sich eine perfekte Rüstung aus freimütigem, heiterem Egoismus zugelegt, was jede Langweile bereits im Keim erstickte.
»Ich möchte keine langweiligen Leute treffen«, sagte sie immer. »Langweilig bin ich ja selbst schon.«
Als Emily Fox-Seton sie an jenem Morgen, mit dem diese Geschichte beginnt, besuchen kam, überprüfte sie gerade das Gästebuch und machte Listen.
»Ich plane gerade meine Feste in Mallowe«, sagte sie mit einigem Ärger in der Stimme. »Das ist so anstrengend! Will man Leute an einem bestimmten Tag zusammenbringen, dann halten sie sich mit Sicherheit gerade am jeweils anderen Ende des Planeten auf und können nicht fort. Oder aber man erfährt so mancherlei über sie und kann sie erst wieder einladen, wenn Gras über die Sache gewachsen ist. Diese lächerlichen Dexters! Sie waren ein so entzückendes Paar – beide so gutaussehend, und sie haben so gern mit allen geflirtet. Zu viel wahrscheinlich. Herr im Himmel! Wenn man seine Liebschaften nicht geheim halten kann, dann sollte man halt keine anfangen. Komm, hilf mir, Emily.«
Emily setzte sich neben sie.
»Schau, das ist meine Feier zum Augustanfang«, sagte Ihre Ladyschaft und kratzte sich die zarte alte Nase mit dem Bleistift, »und Walderhurst kommt mich besuchen. Walderhursts Besuche sind immer sehr amüsant. Wenn ein Mann wie er zur Tür hereinkommt, beginnen augenblicklich alle Damen im Raum herumzuzappeln und ihn anzuschmachten, mit Ausnahme derer, die versuchen, ein interessantes Gespräch in Gang zu bringen, weil sie glauben, damit könnten sie seine Aufmerksamkeit fesseln. Sie haben allesamt die Hoffnung, er werde sie heiraten. Wäre er ein Mormone, er könnte viele Marquisen von Walderhurst haben, in allen Formen und Größen.«
»Ich nehme an«, sagte Emily, »er war sehr in seine erste Frau verliebt und wird nie wieder heiraten.«
»Nicht verliebter als in sein Hausmädchen. Er wusste, dass er heiraten musste, und es war ihm eine große Last. Als das Kind starb, hielt er es für seine Pflicht, sich wieder zu verheiraten. Aber es ist ihm ein Graus. Er ist ein rechter Langeweiler und kann es nicht ausstehen, wenn Frauen solch einen Wirbel machen und Liebesdienste von ihm erwarten.«
Sie gingen das Gästebuch durch und besprachen mit großem Ernst die möglichen Gäste und Termine. Bis Emily aus dem Haus ging war die Gästeliste fertig und die Einladungskarten geschrieben. Sie war schon aufgestanden und hatte ihren Mantel zugeknöpft, als Lady Maria ihr ein großzügiges Angebot machte.
»Emily«, sagte sie, »ich möchte dich bitten, am zweiten Tag nach Mallowe zu kommen. Du kannst mir dabei helfen, mich um die Leute zu kümmern und sie davon abzuhalten, dass sie mich und einander langweilen, obwohl es mir nur halb so viel ausmacht, wenn sie einander langweilen, als wenn sie mich langweilen. Ich möchte mich jederzeit zurückziehen und ein Schläfchen halten können. Ich habe nicht vor, die Unterhalterin zu spielen. Du dagegen kannst mit ihnen einkaufen gehen oder Kirchtürme besichtigen. Ich hoffe, du kommst.«
Emily Fox-Setons Wangen überlief eine leichte Röte, und sie riss die Augen auf.
»Lady Maria, Sie sind ja so freundlich«, sagte sie. »Sie wissen genau, was für eine Freude Sie mir damit machen. Ich habe schon so viel von Mallowe gehört. Alle sagen, wie wundervoll es ist und dass es in ganz England keine schöneren Gärten gibt.«
»Es sind wirklich schöne Gärten. Mein Mann war ein richtiger Rosennarr. Am besten, du nimmst den Zug um 14 Uhr 30 ab Paddington. Mit dem kommst du genau rechtzeitig zum Tee im Garten von Mallowe Court an.«
Emily hätte Lady Maria küssen mögen, wären sie auf so vertrautem Fuße gestanden, dass der offene Ausdruck von Gefühlen erlaubt gewesen wäre. Aber da hätte sie gerade so gut den Butler küssen mögen, wenn er sich beim Abendessen zu ihr hinabbeugte und vertraulich, aber mit großer Würde murmelte: »Port oder Sherry, Miss?« Bibsworth hätte das ebenso erstaunt wie Lady Maria, und Bibsworth wäre gewiss vor Abscheu und Entsetzen tot umgefallen.
Sie war so glücklich, als sie den Zwei-Penny-Bus heranwinkte, dass ihr Gesicht beim Einsteigen vor Freude glühte, was jede Frau noch ein wenig frischer und schöner aussehen lässt. Wenn sie nur daran dachte, was für ein Glück sie gehabt hatte! Oder daran, dass sie ihrem kleinen, heißen Zimmer entfliehen konnte und als geladener Gast in einem der schönsten Herrenhäuser von England wohnen durfte! Wie herrlich wäre das, eine Weile das Leben zu führen, das die Wohlhabenden Jahr um Jahr genießen konnten – in einer wundervoll geordneten, malerischen und würdevollen Umgebung! In einem hübschen Schlafzimmer nächtigen, am Morgen von einem perfekten Hausmädchen zum Frühstück gerufen werden, den ersten Tee aus einer zarten Tasse trinken und noch beim Trinken den Vögeln in den Bäumen lauschen, wie sie singen! Sie hatte eine so unverdorbene Freude an den einfachsten irdischen Dingen, und die Vorstellung, jeden Tag ihre schönsten Kleider zu tragen und sich jeden Abend zum Dinner umzukleiden, entzückte sie. Sie genoss ihr Leben viel mehr als die meisten Menschen, auch wenn sie sich dessen gar nicht bewusst war.
Sie öffnete die Vordertür des Hauses in der Mortimer Street, stieg die Treppe hinauf und merkte fast nicht, wie entsetzlich schwül es war. Sie sah Jane Cupp die Treppe herunterkommen und lächelte sie fröhlich an.
»Jane«, sagte sie, »wenn du gerade nichts zu tun hast, würde ich gerne kurz mit dir reden. Kommst du auf mein Zimmer?«
»Ja, Miss«, antwortete Jane respektvoll, wie es sich für eine Kammerzofe ziemte. Denn es war wirklich Janes größter Ehrgeiz, eines Tages die Zofe einer großen Lady zu sein, und sie war insgeheim davon überzeugt, dass nichts sie so gut darauf vorbereiten könnte wie der Umgang mit Miss Fox-Seton. Wenn diese ausging, bat sie darum, ihr beim Ankleiden helfen zu dürfen, und empfand es als Privileg, wenn ihr gestattet wurde, sie zu frisieren.
Sie half Emily beim Ausziehen ihres Straßenkleides, faltete Handschuhe und Schleier sorgfältig zusammen und legte sie beiseite. Sobald sie sah, dass die Miss sich setzte, kniete sie vor ihr nieder und zog ihr die schlammverdreckten Schuhe aus.
Oh, ich danke dir, Jane«, rief Emily mit der für sie typischen Betonung, die wie eine Unterstreichung wirkte. »Das ist so gut von dir. Ich bin wirklich müde. Aber mir ist etwas so Schönes passiert. Für die erste Augustwoche habe ich eine wundervolle Einladung erhalten.«
»Ich bin mir sicher, dass Sie es sehr genießen werden, Miss«, sagte Jane. »Im August ist es hier so heiß.«
»Lady Maria Bayne war so freundlich, mich nach Mallowe Court einzuladen«, erklärte Emily und lächelte auf den billigen Pantoffel hinunter, den Jane ihr über den langen, wohlgeformten Fuß streifte. Sie war ja recht groß geraten und auch ihr Fuß nicht gerade der eines Aschenputtels.
»Oh, Miss«, rief Jane aus. »Wie wundervoll! Ich habe letztens in ›Modern Society‹ etwas über Mallowe gelesen, und darin stand, was für ein zauberhafter Ort das doch ist und wie elegant die Feste Ihrer Ladyschaft sind. In dem Artikel stand auch etwas über den Marquis von Walderhurst.«
»Das ist Lady Marias Cousin«, sagte Emily, »er wird auch da sein, wenn ich komme.«
Sie hatte ein sympathisches Wesen und war in ihrem Alltag so gänzlich abgeschnitten von jeder normalen Gesellschaft, dass sie die einfachen Gespräche mit Jane und Mrs Cupp sehr genoss. Weder redeten die Cupps schlecht über andere noch mischten sie sich ein, und sie empfand sie als ihre Freundinnen. Als sie einmal eine ganze Woche krank war, wurde ihr bewusst, dass sie keine engen Freunde und Angehörigen hatte und dass Miss Cupp und Jane, sollte sie selbst einmal sterben, wahrscheinlich die letzten – und einzigen – Gesichter wären, in die sie schauen würde. In jener Nacht hatte sie bei dem Gedanken ein wenig geweint, sich dann aber gesagt, dass sie nur deshalb so düstere Vorstellungen habe, weil sie fiebrig und schwach war.
»Wegen dieser Einladung wollte ich mit dir sprechen, Jane«, fuhr sie fort. »Denn weißt du, ich muss mir allmählich über meine Kleidung Gedanken machen.«
»Das stimmt, Miss. Was für ein Glück, dass wir gerade Sommerschlussverkauf haben, nicht wahr? Ich habe gestern ein paar schöne bunte Leinenstoffe gesehen. Sie waren so billig und passen so gut aufs Land. Und dann haben Sie noch Ihr neues Kleid aus Tussahseide, das mit dem blauen Kragen und dem Taillenband. Das steht Ihnen so gut.«
»Also ich denke, ein Tussahseidenkleid sieht immer frisch aus«, sagte Emily. »Und ich habe ein sehr hübsches, hellbraunes Hütchen gesehen – einen dieser weichen Strohhüte – für drei Pfund und elf Pence. Mit ein wenig blauem Chiffon und einem Schleier würde das rechtgut aussehen.«
Sie hatte sehr geschickte Finger und schuf sehr hübsche Sachen aus ein klein wenig Chiffon und einem Schleier oder ein paar Metern Leinen oder Musselin und einem Rest Spitze, den sie beim Ausverkauf ergatterte. Sie und Jane verbrachten einen recht glücklichen Nachmittag bei der gemeinsamen gründlichen Musterung ihrer beschränkten Garderobe. Sie fanden, das braune Kleid könnte man ändern, und mit einem neuen Revers und Kragen und einem Jabot aus cremefarbener Spitze am Hals würde es wieder wie neu aussehen. Ein schwarzes Abendkleid, das eine großzügige Herrin ihr letztes Jahr geschenkt hatte, könnte umgearbeitet und ein bisschen aufgepeppt werden. Bei ihrem frischen Gesicht und den geraden weißen Schultern stand ihr Schwarz ganz gut. Es gab noch ein weißes Kleid, das man in die Reinigung geben könnte, und ein altes rosa Kleid, das etwas zu groß war und in Kombination mit etwas Spitze wundervoll aussehen dürfte.
»Ich denke, Abendkleider habe ich tatsächlich genug zur Auswahl«, sagte Emily. »Niemand erwartet von mir, dass ich mich oft umziehe. Jeder weiß Bescheid – falls sie überhaupt Notiz von mir nehmen.« Es war ihr gar nicht bewusst, wie bescheiden sie mit ihrer engelgleichen Genügsamkeit war. Im Grunde hatte sie keine Freude an der Betrachtung ihrer eigenen Tugenden, lieber betrachtete und bewunderte sie die Vorzüge der anderen. Was Emily Fox-Seton brauchte, war Essen und ein Dach überm Kopf, mehr nicht, und ihre Kleidung musste präsentabel genug sein, um bei ihren wohlhabenden Bekanntschaften einen guten Eindruck zu machen. Sie mühte sich redlich, dieses bescheidene Ziel zu erreichen, und war es zufrieden. In den Läden fand gerade der Sommerschlussverkauf statt, und sie hatte ein paar Baumwollröcke in ihrer Größe gefunden, die bei ihrer langen schmalen Taille eine gewisse modische Eleganz hatten. Ein Matrosenhut mit einem eleganten Band und einer geschmackvoll arrangierten Feder, ein wenig Tand für den Hals, eine Schleife, ein neckisch geknotetes Seidentaschentuch und ein paar nagelneue Handschuhe gaben ihr das Gefühl, hinreichend ausgestattet zu sein.
Bei ihrer letzten Expedition zum Ausverkauf hatte sie einen hübschen weißen Mantel und ein Kleid aus Segeltuch erstanden und Jane zum Geschenk gemacht. Sie musste mit dem Inhalt ihrer Geldbörse sorgfältig haushalten und auf den Kauf eines schmalen Regenschirms verzichten, obwohl er ihr gefiel, aber sie tat es mit bester Laune. Wäre sie eine reiche Frau, hätte sie für all ihre Bekannten Geschenke gekauft, und letztlich war es ein großer Luxus für sie, etwas für die Cupps tun zu können, die ihr so viel mehr gaben, als sie ihnen bezahlte, zumindest empfand sie es so. Wie rührend sie sich um ihr kleines Zimmer kümmerten, dann der frische heiße Tee, der immer für sie bereitstand, wenn sie nach Hause kam, der kleine Strauß Narzissen, den sie ihr manchmal auf den Tisch stellten, all das war Ausdruck ihrer Freundlichkeit, und sie war ihnen dankbar dafür.
»Ich bin dir so dankbar, Jane«, sagte sie zu der jungen Frau, als sie an dem bedeutenden Tag ihrer Reise nach Mallowe in die vierrädrige Kutsche stieg. »Ich weiß nicht, was ich ohne dich getan hätte, ganz sicher nicht. Ich komme mir so elegant vor in meinem Kleid, nachdem du es geändert hast. Sollte Lady Marias Hausmädchen sie je verlassen wollen, dann würde ich dich für diese Stelle empfehlen, ganz gewiss.«
ZWEITES KAPITEL
In dem Zug 14 Uhr 30 ab Paddington reisten noch zwei weitere Gäste nach Mallowe Court, die allerdings viel eleganter waren als Miss Fox-Seton und von einem Lakai mit Kokarde und gedecktem langen Mantel in einen Wagen der ersten Klasse gesetzt wurden. Emily, die in Gesellschaft von Arbeitern mit Reisebündeln in der dritten Klasse saß, sah aus dem Fenster, als sie vorüberkamen und hätte vielleicht einen leisen Seufzer ausgestoßen, wäre sie nicht so guter Dinge gewesen. Sie trug ihr leicht aufgepepptes braunes Kleid und eine weiße Leinenbluse mit braunen Punkten. Sie hatte ein elegantes hellbraunes Seidenband unter den frischen Kragen gebunden und trug ihren neuen Matrosenhut. Die Handschuhe waren braun, der Sonnenschirm auch. Sie sah hübsch und fesch und frisch aus in ihren Kleidern, auch wenn man ihnen ansah, dass sie nicht viel gekostet hatten. Wer regelmäßig zum Schlussverkauf ging, um dort den Meter Stoff für drei Pfund elf Schilling oder vier Pfund drei Schilling zu erstehen, hätte die Ausgaben zusammenrechnen und die Gesamtsumme nennen können. Aber Leute, die solche Rechnungen anstellen konnten, würde es in Mallowe nicht geben. Wahrscheinlich verstanden dort nicht einmal die Bediensteten so viel von Preisen wie dieser eine weibliche Gast. Jene Reisegäste, die ein Lakai im schlammgrauen Mantel zum Erste-Klasse-Waggon geleitete, waren Mutter und Tochter. Die Mutter hatte ein kleines Gesicht mit regelmäßigen Zügen, und man hätte sie hübsch nennen können, wäre sie nicht so überaus füllig gewesen. Sie trug ein todschickes Reisekleid und einen Staubmantel aus hauchzarter, pastellfarbener Seide. Sie war keine elegante Person, aber ihre Aufmachung war luxuriös, und man sah ihr an, dass sie sich gern etwas gönnte. Ihre Tochter war hübsch, hatte eine schlanke, biegsame Taille, zartrosa Wangen und einen Schmollmund. Ihr großer Florentinerhut aus blassblauem Stroh, mit Riesentüllschleife und gepressten Rosen, hatte etwas überzogen Pariserisches.
»Ein bisschen sehr herausgeputzt«, dachte Emily, »aber sie sieht reizend darin aus! Wahrscheinlich stand er ihr so gut, dass sie ihn einfach kaufen musste. Der ist sicher von Virot.«
Während sie gerade bewundernde Blicke auf das Mädchen warf, ging am Fenster im Gang ein Mann vorüber. Groß, mit kantigem Gesicht. Er ging dicht an ihr vorbei, starrte aber durch sie hindurch, als wäre sie durchsichtig oder unsichtbar. Dann ging er ins Raucherabteil, das neben dem ihren lag.
Als der Zug in den Bahnhof von Mallowe einfuhr, stieg er als einer der Ersten aus. Zwei von Lady Marias Dienern standen wartend auf dem Bahnsteig. Emily erkannte ihre Livreen. Einer von ihnen ging zu dem großen Mann hin, tippte sich an den Hut, folgte ihm zu einem hohen Pferdewagen, vor den man eine herrliche eisengraue Stute gespannt hatte, die nervös herumtänzelte. Kurz darauf saß der Ankömmling auf dem Kutschersitz, der Lakai dahinter, und die Stute preschte durch die Straße. Miss Fox-Seton folgte dem zweiten Lakaien sowie Mutter und Tochter zu dem Landauer, der vor dem Bahnhof geparkt stand. Der Lakai gab ihnen Geleit, tippte Emily zum Gruß nur kurz an seinen Hut, denn er hatte richtig erkannt, dass sie gut auf sich selbst aufpassen konnte.
Das tat sie auch sogleich, denn sie sah nach ihrem Reisekoffer und fand ihn sicher im Gefährt nach Mallowe verstaut. Als der Landauer kam, saßen die beiden Damen bereits darin. Sie stieg ein und setzte sich höchst zufrieden mit dem Rücken zu den Pferden.
Mutter und Tochter schienen sich eine Weile etwas unbehaglich zu fühlen. Man spürte, dass sie gesellig waren, aber nicht recht wussten, wie sie ein Gespräch anfangen sollten mit einer Dame, die man ihnen noch nicht vorgestellt hatte, die aber in dem gleichen Landhaus wohnen würde, in das auch sie selbst geladen waren.
Emily löste das Problem auf die übliche probate Weise, nämlich mit einem freundlichen, zaghaften Lächeln.
»Ist das nicht ein wundervolles Land?«, sagte sie.
»Es ist vollkommen«, antwortete die Mutter. »Ich bin noch nie in Europa gewesen, und in England ist es auf dem Land einfach herrlich. Wir haben einen Sommersitz in Amerika, nur ist die Landschaft dort so anders.«
Sie sah nett aus und redselig, und mit Emily Fox-Setons freundlicher Hilfe geriet das Gespräch keinen Augenblick ins Stocken. Noch ehe sie die Hälfte der Strecke nach Mallowe hinter sich hatten, war in Erfahrung gebracht, dass sie aus Cincinnati kamen und nach einem Winter in Paris, den sie vor allem mit Besuchen bei Paquin, Doucet und Virot verbracht hatten, für den Sommer ein Haus in Mayfair gemietet hatten. Sie hießen Brooke. Emily erinnerte sich vage an das Gerede, dass sie viel Geld ausgaben und ständig auf Feste gingen, immer in hübschen neuen Kleidern. Das Mädchen war dem amerikanischen Minister vorgestellt worden und hatte einigen Erfolg genossen, weil sie sich so vorzüglich kleidete und tanzte. Sie war die typische amerikanische junge Frau, die sich am Ende durch Heirat einen Adelstitel erwirbt. Sie hatte strahlende Augen und eine zarte kleine Stupsnase. Aber selbst Emily ahnte, dass sie es faustdick hinter den Ohren hatte.
»Sind Sie früher schon einmal in Mallowe Court gewesen?«, fragte sie.
»Nein, aber ich freue mich sehr darauf. Es ist wunderschön.«
»Sind Sie eine gute Bekannte von Lady Maria?«
»Ich kenne sie etwa seit drei Jahren. Sie ist immer unglaublich freundlich zu mir gewesen.«
»Also ich glaube ja nicht, dass sie besonders freundlich ist. Ich finde sie recht bissig.«
Emily lächelte herzlich. »Sie ist so klug«, erwiderte sie.
»Kennen Sie den Marquis von Walderhurst?«, fragte Mrs Brooke.
»Nein«, antwortete Miss Fox-Seton. In diesem Teil des Lebens von Lady Maria, mit all den vielen Marquis und Marquisen unter ihren Cousins und Cousinen, spielte sie nicht die geringste Rolle. Lord Walderhurst kam nie zum Fünf-Uhr-Tee vorbei. Er erschien nur zu besonderen Dinner-Partys.
»Haben Sie den Herrn in der hohen Kutsche wegfahren sehen?«, setzte Mrs Brooke hinzu und gab lebhaftes Interesse zu erkennen. »Cora meinte, das müsse der Marquis gewesen sein. Der Diener, der ihn abholen kam, trug die gleiche Livree wie unsrer hier«, sagte sie mit einem Nicken in Richtung Kutschbock.
»Ein Diener von Lady Maria«, sagte Emily. »Ich hab ihn schon einmal in der South Audley Street gesehen. Und Lord Walderhurst wird auch in Mallowe sein. Lady Maria sprach davon.«
»Siehst du, Mama!«, rief Cora aus.
»Also, wenn er auch eingeladen ist, dann wird es ja sicher interessant«, erwiderte die Mutter, die unverkennbar ein wenig erleichtert klang. Emily fragte sich, ob sie nicht lieber anderswo hinwollte, die Tochter aber fest darauf bestanden hatte, nach Mallowe zu fahren.
»In dieser Saison war in London viel von ihm die Rede«, erläuterte Mrs Brooke weiter.
Miss Cora Brooke lachte auf.
»Es war die Rede davon, dass mindestens ein halbes Dutzend Frauen entschlossen sind, ihn zu heiraten«, bemerkte sie mit einigem Zorn. »Da wird es ihm gewiss gefallen, eine junge Frau kennenzulernen, der das vollkommen gleichgültig ist.«
»Gib dich bloß nicht allzu gleichgültig«, bemerkte ihre Mutter in naiver Leutseligkeit.
Das war ein dummer kleiner Fehler, und ein Leuchten trat in Miss Brookes Augen. Wäre Miss Emily Fox-Seton eine scharfsinnige Frau, so hätte sie bemerkt, dass die Rolle der gleichgültigen und bissigen jungen Frau Lord Walderhurst bei seinem jetzigen Aufenthalt gefährlich werden könnte. Diese Schönheit aus Cincinnati und ihre recht geschwätzige Mutter waren eine Gefahr für den Mann, auch wenn der geschwätzige mütterliche Teil sich letztlich unversehens als sein Schutzengel erweisen könnte.
Aber Emily lachte nur freundlich über diese humorige Bemerkung. Sie war bereit, fast alles mit Humor zu nehmen.
»Er wäre ja nun wirklich für jede junge Frau eine tolle Partie«, sagte sie. »Er ist so reich, wissen Sie? So ungemein reich.«
Sie kamen in Mallowe an, und man führte sie in den Garten. Dort wurde unter ausladenden Bäumen der Tee serviert, und sie stießen auf eine Gruppe von Gästen, die kleine warme Kuchen aßen und Teetassen in den Händen hielten. Es gab einige junge Frauen dort, und eine von ihnen – eine sehr hoch gewachsene, sehr hübsche junge Frau mit großen Augen, blau wie Vergissmeinnicht, und einem lieblichen weichen und langen Rock im gleichen Farbton – war eine der Schönheiten der letzten Saison gewesen. Sie war eine Lady Agatha Slade, und Emily bewunderte sie vom ersten Moment an. Sie schien ihr ein unverhofftes Glück, das ein freundliches Schicksal ihr zugedacht hatte. Es war wundervoll, dass diese Frau an diesem besonderen Hausfest teilnahm – ein so entzückendes Wesen, das sie bislang nur von den Bildern aus den illustrierten Damenzeitschriften kannte. Sollte es ihr einfallen, Marquise von Walderhurst werden zu wollen, wer könnte ihr die Erfüllung ihrer Wünsche verwehren? Lord Walderhurst ganz bestimmt nicht, sofern er ein Mensch war. Sie lehnte zart am Stamm einer Stechpalme, dicht neben ihr stand ein schneeweißer Barsoi, drückte seinen langen zarten Kopf in ihr Kleid und forderte sie auf, ihn mit ihrer schönen Hand zu streicheln. In dieser attraktiven Pose befand sie sich gerade, als Lady Maria sich im Sitzen umdrehte und sagte:
»Da kommt Walderhurst.«
Jener Mann, der sich selbst mit dem Pferdewagen vom Bahnhof bis hierher kutschiert hatte, kam über den Rasen auf sie zu. Er hatte die Lebensmitte schon überschritten und war unscheinbar, aber angenehm groß und mit einer gewissen Ausstrahlung. Dabei strahlte er wohl letztlich vor allem eines aus: dass er wusste, was er wollte.
Emily Fox-Seton, die zu diesem Zeitpunkt bequem mit einem Kissen in einem Korbsessel saß und ihren Tee trank, entschloss sich, die Frage, ob er denn auch wirklich so vornehm und aristokratisch war, im Zweifelsfall zu seinen Gunsten zu entscheiden. Denn in Wahrheit war er weder das eine noch das andere, doch er war von kräftiger Statur und gut gekleidet und hatte gutmütige, grau-braune Augen, etwa von derselben Farbe wie sein Haar. Unter all diesen freundlichen, weltgewandten Menschen, die nicht im Geringsten von altruistischen Motiven bewegt wurden, war es Emilys größtes Kapital, nicht zu erwarten, irgendjemand werde auch nur die geringste Notiz von ihr nehmen. Doch dieses Kapital war ihr gar nicht bewusst, denn eine solche Haltung gehörte so ganz und gar zu ihrer schlichten Selbstgenügsamkeit, dass sie noch nie darüber nachgedacht hatte. Zuhörerin oder Zuschauerin zu sein, das war ihr in Wahrheit Unterhaltung und Beschäftigung genug.
Sie bemerkte gar nicht, dass Lord Walderhurst die eingeladenen Damen, die man ihm vorstellte, kaum eines Blickes würdigte. Er verbeugte sich zwar, aber man konnte nicht einmal sagen, er habe sie schon in der nächsten Sekunde wieder vergessen, denn er hatte sie erst gar nicht wahrgenommen. Emily genoss die köstliche Tasse Tee und den gebutterten Scone, und sie genoss es auch, Seine Lordschaft unauffällig zu beobachten und eine harmlose kleine Charakterstudie zu betreiben.
Lady Maria schien ihn gern zu mögen und sich zu freuen, ihn zu sehen. Er schien Lady Maria auf eine zurückhaltende Art ebenfalls zu mögen. Und war ganz offensichtlich froh, als er seinen Tee bekam, und trank ihn genüsslich, nachdem er den Platz neben seiner Cousine eingenommen hatte. Er schenkte niemandem sonst große Beachtung. Emily war ein wenig enttäuscht, dass er die Schönheit mit ihrem Barsoi keines zweiten Blickes würdigte, auch darüber, dass seine Aufmerksamkeit dem Windhund ebenso galt wie der schönen Frau. Zudem fiel ihr auf, dass die Runde, seit er sich ihr angeschlossen hatte, lebhafter geworden war, zumindest was die Damenwelt betraf. Und das erinnerte sie zwangsläufig an Lady Marias Bemerkung über die Wirkung, die er auf Frauen hatte, sobald er den Raum betrat. Einige interessante und spritzige Kommentare waren schon gemacht worden. Es wurde ein bisschen mehr gelacht und geplappert, so als wollte man Lord Walderhurst damit erheitern, auch wenn es nicht unmittelbar an ihn gerichtet war. Miss Cora Brooke schenkte ihre ganze Aufmerksamkeit allerdings einem jungen Mann in weißen Flanellhosen, dem man den Tennisspieler ansah. Sie saß ein wenig abseits und sprach so leise mit ihm, dass nicht einmal Lord Walderhurst ihr Gespräch mithören konnte. Schon bald erhoben sich die beiden und schlenderten davon. Sie gingen die breiten Stufen der alten Steintreppe hinunter, die zum Tennisplatz führte, auf den man vom Rasen aus die beste Sicht hatte. Dort spielten sie Tennis. Miss Brooke flog über den Platz, pfeilschnell, wie eine Schwalbe. Ihr wirbelnder Reifrock aus Tüll war hübsch anzusehen.
»In Schuhen mit so lächerlichen Absätzen sollte diese junge Dame besser nicht Tennis spielen«, bemerkte Lord Walderhurst. »Sie wird noch den Platz ruinieren.«
Lady Maria kicherte leise.
»Die Lust zu spielen hat sie ja eben erst gepackt«, sagte sie. »Und da sie gerade erst angekommen ist, wie hätte sie da planen können, schon in Tenniskleidung zum Tee zu erscheinen.«
»Trotzdem ruiniert sie den Platz«, sagte der Marquis. »Und diese Kleider! Unglaublich, wie junge Frauen sich heutzutage anziehen.«
»Ich wollte, ich könnte mir das erlauben«, antwortete Lady Maria und kicherte wieder. »Sie hat wunderschöne Beine.«
»Louis-Quinze-Absätze hat sie«, erwiderte Seine Lordschaft.
Auf jeden Fall glaubte Miss Fox-Seton, Miss Brooke halte sich eher von ihm fern und vermeide jeden zarten Annäherungsversuch. Als die Tennispartie zu Ende war, schlenderte sie mit ihrem Begleiter über den Rasenplatz und die Terrassen und hielt ihren Sonnenschirm anmutig über der Schulter, sodass Gesicht und Kopf einen bezaubernden Hintergrund bekamen. Sie schien den jungen Mann gut zu unterhalten. Sein lautes Lachen und die silbrige Musik ihres fröhlichen Gelächters klangen ein wenig aufreizend.
»Ich wüsste nur zu gerne, was sie ihm da erzählt«, sagte Mrs Brooke in die Runde hinein. »Sie bringt die Männer immer so zum Lachen.«
Nun wurde Emily selbst neugierig. Ihre Fröhlichkeit klang so anziehend. Sie fragte sich, ob eine junge Frau, die keinerlei Notiz von ihm nahm und andere Männer derart erheitern konnte, für einen Mann, dem die Frauen so hinterherliefen wie ihm, nicht doch auch etwas Angenehmes hatte.
Aber er nahm an jenem Abend mehr Notiz von Lady Agatha Slade als von jeder anderen Person. Beim Dinner platzierte man sie neben ihn, und in ihrem blassgrünen Tüllkleid sah sie wirklich bezaubernd aus. Sie hatte einen entzückenden kleinen Kopf, ihr hochgestecktes Haar war weich und wirkte wundersam leicht, und ihr zarter langer Hals bog sich wie der Stiel einer Blüte. Sie war von solchem Liebreiz, dass den Betrachter eine leise Furcht überkam, sie könnte dumm sein, aber das war sie ganz und gar nicht.
Lady Maria kam darauf zu sprechen, als sie spät am Abend im Schlafzimmer mit Miss Fox-Seton zusammentraf. Sie tauschte sich gegen Ende des Tages noch gerne eine halbe Stunde über ihre Eindrücke aus, und Emily Fox-Setons Interesse und Begeisterung für alles, was sie sagte, fand sie ebenso anregend wie trostreich. Ihre Ladyschaft war eine alte Dame, die sich selbst mit Nachsicht begegnete, durchdrungen von epikureischer Weisheit. Sie wollte zwar keine dummen Menschen um sich scharen, aber die ganz Schlauen auch nicht immer.
»Da muss ich mich zu sehr anstrengen«, sagte sie. »Bei Geistreichen muss man den lieben langen Tag über Hindernisse springen. Außerdem mache ich geistreiche Bemerkungen lieber selbst.«
Emily Fox-Seton nahm immer den goldenen Mittelweg und war eine aufrichtige Bewunderin. Sie war intelligent genug, ein Epigramm korrekt bis zum Ende zum Besten zu geben, und konnte darauf vertrauen, dass aller Ruhm an die eigentliche Erfinderin ging. Lady Maria wusste, dass es Leute gab, die sich jede geistreiche Bemerkung, die sie aufschnappten, skrupellos aneigneten und als eigenes Machwerk ausgaben. Und in jener Nacht, in der sie mit Emily über die einzelnen Gäste sprach und ihre Eigenarten kommentierte, machte sie einige geistreiche Bemerkungen.
»Walderhurst hat mir schon dreimal einen Besuch abgestattet, und dreimal war ich mir sicher, er werde mir nicht ohne eine neue Marquise im Schlepptau entkommen. Ich dachte schon, am Ende werde er nur deshalb eine nehmen, weil er damit dem lästigen Zustand, ungepflückt am Ast zu hängen, endlich ein Ende bereiten kann. Besitzt ein Mann in seiner Position genug Charakterstärke, um eine kluge Wahl zu treffen, kann er auch dafür sorgen, dass seine Frau ihm nicht lästig wird. Er bietet ihr ein schönes Zuhause, behängt sie mit dem Familienschmuck, gibt ihr eine anständige ältere Dame als eine Art Gesellschafterin an die Seite und passt auf, dass sie im Stall bleibt, wo sie ganz nach Belieben die Puppen tanzen lassen kann, solange die Grenzen des Anstands gewahrt bleiben. Seine Privatgemächer wären sein Heiligtum. Er könnte in Clubs gehen und seinen persönlichen Interessen nachgehen. Heutzutage gehen sich Eheleute nur noch selten auf die Nerven. Das Eheleben ist vergleichsweise angenehm geworden.«
»Ich denke, seine Zukünftige darf sich glücklich schätzen«, kommentierte Emily. »Er sieht sehr freundlich aus.«
»Ob er freundlich ist oder nicht, das weiß ich nicht. Ich musste mir noch nie Geld von ihm borgen.«
Lady Maria konnte mit ihrer gepflegten, etwas näselnden Stimme die seltsamsten Dinge sagen.
»Er ist respektabler als die meisten Männer seines Alters. Seine Diamanten sind eine Pracht, und er besitzt nicht nur drei herrliche Wohnsitze, er hat auch Geld genug, sie instand zu halten. Auf unserer Feier in Mallowe werden drei Kandidatinnen anwesend sein. Du kannst dir natürlich schon denken, um wen es sich handelt, nicht wahr, Emily?«
Emily Fox-Seton wurde fast ein wenig rot. Sie fand die Frage ein wenig taktlos.
»Lady Agatha würde sehr gut zu ihm passen«, sagte sie. »Und Mrs Ralph ist eine sehr kluge Frau. Und Miss Brooke ist wirklich hübsch.«
Lady Maria ließ ihr leises Kichern vernehmen. »Mrs Ralph ist eine von den Frauen, die alles ganz fürchterlich ernst nehmen. Sie wird Walderhurst in die Ecke treiben, Gespräche über Literatur führen und ihm schöne Augen machen, sobald er etwas sagt, und das so lange, bis er sie hasst. Diese schreibenden Frauen glauben in ihrer grenzenlosen Selbstzufriedenheit, sie könnten jeden heiraten, vor allem wenn sie noch dazu gut aussehen. Mrs Ralph hat hübsche Augen und verdreht sie auch ganz gern. Nur sollte man Lord Walderhurst keine schönen Augen machen. Die junge Miss Brooke geht da schon etwas geschickter vor als Miss Ralph. Auch heute Nachmittag. Sie ist gleich in die Vollen gegangen.«
»Das – das hab ich gar nicht bemerkt«, sagte sie verwundert.
»Doch, das hast du. Du hast es nur nicht verstanden. Das Tennis und das Herumschäkern mit dem jungen Heriot auf der Terrasse! Sie spielt das aufreizende junge Mädchen, das den anderen mit ihrer Gleichgültigkeit auf die Palme bringt und für Rang und Namen nur Verachtung übrig hat; eine junge Frau, die ihre Bildung aus billigen Groschenromanen gezogen hat, und nirgendwoher sonst. Erfolgreiche Frauen wissen sich auf die richtige Art beliebt zu machen, und zwar so, dass es nicht auffällt. Walderhurst hat eine viel zu hohe Meinung von sich, um eine junge Frau, die einen anderen Mann bezirzt, anziehend zu finden. Er ist nicht mehr fünfundzwanzig.«
Emily Fox-Seton musste unwillkürlich an Mrs Brookes Ermahnung denken: »Dann gib dich nicht allzu gleichgültig, Cora.« Sie wollte sich gar nicht so genau daran erinnern, denn sie fand die Brookes sehr angenehm im Umgang und hätte die beiden Frauen in diesem Punkt lieber für uneigennützig gehalten. Aber wenn sie darüber nachdachte, war es doch ganz naheliegend, dass eine so hübsche junge Frau in einer Ehe mit dem Marquis von Walderhurst eine mögliche Zukunftsperspektive sah. Vor allem war sie voller Bewunderung für Lady Marias Klugheit.
»Wie wunderbar Sie alles beobachten, Lady Maria!«, rief sie aus. »Einfach wunderbar!«