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Beide, ein gut etabliertes und ein Startup-Unternehmen der deutschen Kunst-stoffindustrie wetteifern um die markt-beherrschende Stellung mit einer kleinen medizinischen Prothese. Dabei werden die verschiedensten Möglichkeiten der Spionage ausgenutzt. Jedes Hindernis, das sich in den Weg stellt, wird trickreich umgangen oder rücksichtslos liquidiert. Hierbei schreckt keiner der Konkurrenten vor Mord zurück. Die immer wieder auf den Plan gerufene Polizei wird mit List und Tücke auf falsche Fährten gelockt. Die erreichten Erfolge in der Industriespionage lassen auch eine kleine chinesische Agentur aufhorchen. Diese sucht schon seit längerer Zeit weltweit nach neuen Entwicklungen unterschiedlicher Branchen, um sie gewinnbringend an heimischen Firmen zu verkaufen. Ein deutscher Agent hat sich aus einem Zufall heraus auf eine Art High-Tech-Spying spezialisiert und durchbricht selbst die Schranken zu strengst geheim gehaltenen Patenten. Er und seine außergewöhnlichen Fähigkeiten und Methoden bleiben auch der chinesischen Agentur nicht verborgen, die ihn für ihre Dienste gewinnt und reichlich dafür entlohnt. Es liegt in seiner Hand, Firmen entstehen oder sterben zu lassen. Er wird zu einem Zyklopen der Macht.
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Seitenzahl: 353
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Der Autor Pit Saylor ist im Oktober 1974 in Hamburg geboren. Sein Vater ist Engländer und fährt als Nautiker zur See. Seine Mutter ist Lehrerin in einer Hamburger Schule, ebenso wie seine Frau. Beide sind glücklich verheiratet, haben zwei Kinder und leben in der Nähe von Hamburg. Er begann auf Grund eines guten Abiturs in Hamburg Physik zu studieren, brach das Studium aber nach dem vierten Semester ab und schrieb sich in der juristischen Fakultät ein. Aber auch dieses Studium entsprach nicht ganz seinen Vorstellungen und so ging er in die Praxis. Jetzt ist er in einer technischen Bibliothek tätig. Das ist genau sein Metier. Nebenbei verfasst er Kurzgeschichten und schreibt Romane. Seine Vorliebe gilt der Kriminalliteratur. Ein guter Freund aus der Nordheide entwirft die Covers für seine Bücher und ist auch sein Manager. Er unterstützt ihn bei allen technischen Details, bei der Gestaltung seiner Bücher und deren Vermarktung. So kann sich der Autor in seiner Freizeit dem Schreiben widmen.
www.pitsaylor.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Letztes Kapitel
Die 28-jährige Bankangestellte Gertrud Schwindt beginnt den sonnigen Tag schon um 6:00 Uhr mit einem Trainingslauf auf der kleinen Leinerunde. Die schöne, 3, 8 km lange Strecke führt kurz hinter der Schlossstraße an das Ufer der Leine. Dabei kommt sie schnell in den Ihme-Park. Da um diese Zeit noch nicht viele Menschen unterwegs sind, genießt sie die morgendliche Ruhe. Aber ganz so besinnlich ist es auch nicht, denn etwa 100 Meter von ihr entfernt beobachtet sie eine männliche Person, die mit einem anderen, auffallend schlanken Mann herumrangelt und ihn schließlich zu Boden wirft. Gertrud unterbricht das Training, weil ihr das Verhalten der Männer komisch vorkommt. Sie stellt sich hinter einen Baum, damit sie nicht gesehen wird. Plötzlich richtet sich der sportlich aussehende Mann auf, schaut in die Runde und entdeckt sie dabei, weil sie etwas neugierig hinter dem schützenden Baum hervorgetreten ist. Er erblickt sie und rennt plötzlich los. Als er in die enge Glockseestraße mit der Grafikkünstler Fassadenkunst hineingerannt ist, hat sie ihn aus ihrem Blickfeld verloren. Weil sie sich nun nicht mehr als mögliche Zeugin in Gefahr sieht, läuft sie zu dem am Boden liegenden Mann hin. Doch dieser liegt regungslos, mit geschlossenen Augen auf der Seite in einem niedrigen Gebüsch auf dem Rasen. Sie greift mit zwei Fingern an seine Halsschlagader, verspürt aber keinen Puls und wählt jetzt sofort auf ihrem Smartphone die 110.
Beim Kommissariat Mitte klingelt das Notruftelefon und schon nimmt ein Beamter den Hörer hoch:
„Polizeinotruf Hannover Mitte, wie können wir helfen?“
„Hier spricht Gertrud Schwindt, ich jogge gerade durch den Ihme-Park, da sehe ich einen Mann regungslos im Gras liegen. An der Aorta habe ich keinen Puls gespürt.“
„Danke, wo sind Sie genau?“
„Ich schicke Ihnen per WhatsApp die GPS-Daten: An welchen Namen soll ich die Daten senden?“
„Bitte schicken Sie an ‚0178 110 110 110‘. Danke und bleiben Sie vor Ort, wir sind gleich da.“
Während Gertrud ihr Smartphone wieder in die Tasche steckt, atmet sie erst einmal tief durch, denn der Schreck sitzt ihr immer noch in den Gliedern. Sie lehnt sich an einen Baum und hat den Toten ständig im Auge. Es ist das erste Mal in ihrem Leben, dass sie mit dem Tod eines Menschen konfrontiert wird. Es ist aber nicht allein der Anblick, sondern auch die Erinnerung, dass sie aus relativ geringer Distanz ansehen musste, wie ein Mann getötet wurde. Schon hört Gertrud das Signal des nahenden Polizeifahrzeuges. Gleichfalls kommt ein Rettungswagen dazu, damit ein Arzt feststellen kann, ob vielleicht noch Hilfe möglich ist oder er nur noch den Tod feststellen kann.
Drei Beamten steigen aus dem Streifenwagen aus. Während zwei zu dem im Gras liegenden Mann gehen, kommt ein Polizist auf Gertrud zu und fragt:
„Guten Morgen, hatten Sie uns angerufen?“
„Ja, ich habe den Notruf abgesetzt und Ihnen die GPS-Daten geschickt.
„Danke, das war sehr gut, so fanden wir schnell hier im Ihme-Park die genaue Stelle. – Bitte beschreiben Sie mir jetzt im Detail, was Sie beobachtet haben.“
Nun nennt Gertrud ihren vollen Namen und gibt dem Polizisten ihre Kontaktdaten, damit der auch die Telefonnummer und die E-Mail-Adresse hat, falls es noch Nachfragen geben sollte.
Danach darf Gertrud ihr Training fortsetzen, was sie aber wegen des Zwischenfalls nicht macht. Sie wählt eine Abkürzung, denn schließlich hat sie auch heute noch einen Arbeitstag vor sich. Dieser wird gewiss durch das einmalige Erlebnis im Kreis ihrer Kollegen etwas anders aussehen. Sie wird einige Fragen beantworten müssen.
Am Tatort sind die Polizeibeamten damit beschäftigt, die Personalien des Getöteten aufzunehmen, die Spuren zu sichern und diverse Fotos zu machen. Der Rettungswagen muss den Tatort wieder verlassen. Leider kam für das Opfer jede Hilfe zu spät. Die Bestattungsgesetze der einzelnen Länder verbieten es Privatpersonen und damit auch dem Personal von Rettungsfahrzeugen, einen Leichnam zu transportieren. Die Überführung eines Verstorbenen darf daher ausschließlich von Bestattungs- oder Überführungs-unternehmen vorgenommen werden. Da es nicht zulässig ist, den Toten mitzunehmen, warten die Polizisten auf den Leichenwagen, der das Opfer direkt in die Gerichtsmedizin fährt.
Hier wird die soeben eingelieferte tote Person gleich begutachtet.
Es handelt sich um Christian Groß, 36 Jahre. Die Pathologin, Dr. Ilse Eichmann, bestätigt als Erstes den Todeszeitpunkt mit 6:22 Uhr. Dann geht sie systematisch an ihre Arbeit. Es braucht nicht lange, dass sie überrascht feststellt, dass der Tote nur ein funktionierendes Auge besitzt und sich die Kunststoffprothese des rechten Auges nicht in der Augenhöhle befindet, sondern schlechthin fehlt. Sofort ruft sie Oberkommissar Helmut Brenner an:
„Oberkommissar Brenner, was gibt’s denn?“
„Hier spricht Dr. Eichmann aus der Pathologie. Herr Brenner, ich habe gerade den heute früh eingelieferten Leichnam des Christian Groß auf dem Tisch und musste eine ungewöhnliche Feststellung machen. Groß hat operationsbedingt nur noch das linke Auge, doch die Prothese des rechten Auges ist nicht vorhanden. Er muss sie bis zu seinem Tod getragen haben, sonst hätte er starke Schmerzen gehabt. Es ist mir ein Rätsel, wie man auf dem Wege vom Tatort bis in die Pathologie sein ‚Glasauge‘ verlieren kann. Er hat sozusagen das Auge aus dem Auge verloren.
Bitte klären Sie unverzüglich den Sachverhalt. Vielleicht ist es in dem eventuell stattgefundenen Todeskampf verloren gegangen. Auf Wiederhören.“
So etwas hat O. K. Brenner in seiner gesamten Dienstzeit noch nicht erlebt, dass eine Leiche sein Kunstauge verliert. Daher ruft er sofort seine beiden Kommissare Berta Zöllner und Klaus Weise zu sich ins Büro.
„Wie Ihr erfahren habt, mussten wir heute in aller Frühe zu einem Mordfall in den Ihme-Park fahren. Nach Abschluss unserer Untersuchungen wurde die Leiche in die Gerichtsmedizin gebracht. Dort stellte Dr. Eichmann fest, dass dem Opfer das rechte, künstliche Auge fehlt. Die Augenhöhle rechts ist leer.
Ihr müsst also sofort noch einmal zum Tatort fahren und das Glasauge suchen. Man sagt zwar Glasauge, weil sich dieser Ausdruck über Jahre eingebürgert hat, als es noch keine Kunststoffaugen gab. Fahrt bitte los, durchkämmt den ganzen Rasen im Ihme-Park und kommt mit insgesamt fünf Augen zurück. Na ja, dieser Spaß sei mir vergönnt, aber Ihr wisst, was ich meine. Viel Erfolg!“
Und wieder fährt ein Streifenwagen lautlos aber mit Blaulicht in den ruhigen Park. Sie kriechen förmlich über den Rasen, denn so ein kleines Teil ist zwischen Blumen und Grashalmen schlecht auszumachen.
Nach erfolglosem Suchen fällt es wie Schuppen von Bertas Augen und sie sagt:
„Klaus, ich wohne nicht weit von hier entfernt. Lass uns schnell in unseren Garten fahren und ich nehme mir von uns eine Harke mit. Damit sind wir auf der sicheren Seite. Komm, fahr!“
Jetzt geht die Fahrt wieder los, doch dieses Mal mit Sondersignal. Allerdings ist Klaus noch nicht klar, wie er das ‚Herbeiholen eines dienstlich erforderlichen Hilfsmittels‘ mit einem eingeschalteten Sondersignal begründen kann. Doch es muss jetzt schnell gehen und so sind sie auch schon vor Bertas Gartenhaus. Mit der Harke in der Hand kommt sie wieder zurück zum Streifenwagen.
Da Bertas Mutter nicht berufstätig ist und das Haus hütet, entgeht ihr nichts. Der plötzliche Besuch ihrer Tochter im Gartenhaus erscheint ihr schleierhaft. Das wird noch fragwürdiger, als sie sieht, dass Berta mit einer Harke wieder abzieht und mit dem Streifenwagen auf und davon ist.
Ohne nennenswerten Zeitverzug sind sie wieder am Tatort. Noch auf dem Weg dorthin hat Berta sicherheitshalber ihren Chef berichtet, was sie eben gemacht haben.
Während sie ihre besondere Art der Beweismittelsuche fortsetzen, klingelt bei Oberkommissar Helmut Brenner das Telefon:
„Hallo Helmut, hier spricht Eduard vom Kommissariat Süd. Sag mal, hattet ihr eben schon wieder einen Einsatz? Ich sah nur an unserem Gebäude einen von euren Streifenwagen mit Sondersignal vorbeirasen. Auch meine Kollegen hier sind ganz aufgeregt, deshalb habe ich auf ‚laut‘ gestellt, damit sie deine Antwort hören können. Nun erzähl mal, Helmut, was ist los bei euch?“
Helmut fasst sich bewusst kurz:
„Nichts Besonderes, Berta und Klaus haben nur eine Harke geholt.“
Das ist der akustische Startschuss für ein lautes Gelächter im Kommissariat Süd. Dieses Telefonat zwischen den beiden Kommissariaten wird mit Sicherheit in die Annalen der Landespolizei Hannover aufgenommen.
Die gesamte Rasenfläche im Ihme-Park wird förmlich gerastert, doch leider ohne Erfolg. Nach über vierstündiger vergeblicher Suche, das Glasauge zu finden, geben sie auf und fahren ohne Sondersignal zurück in ihr Kommissariat. Dort können sie ihrem Chef nur berichten, dass sie trotz penibler Suche nichts gefunden haben, was einem Kunststoffauge ähnlich sah. Auch Bruchstücke konnten nicht gesichtet werden. Dazu sagt jetzt Helmut mit betont ruhiger und sachlicher Stimme:
„Liebe Kollegen, ich weiß, und nicht nur von Euch, dass Ihr mit aller Kraft und allen Mitteln versucht habt, das Beweisstück ausfindig zu machen. Bedauerlicherweise ist es nicht gelungen.
Mir hat Dr. Eichmann gesagt, dass er ohne das künstliche Auge große Schmerzen gehabt hätte. Das heißt aber auch, dass er zum Tatort noch mit der Augenprothese gekommen sein muss. Wenn Ihr dort trotz intensiven Suchens keine Prothese gefunden habt, ist sie auf dem Transport in die Gerichtsmedizin abhandengekommen oder der Täter hat sie gestohlen. Soll eine Augenprothese wirklich ein Tatmotiv sein? Also das kann ich mir nicht denken und daher müssen wir als Nächstes das Motiv des Täters herausfinden.“
Nun wirft Berta aber ein:
„Da hast du vollkommen recht, aber zunächst müssen wir wissen, wer er überhaupt ist.“
Helmut legt nun die weitere Vorgehensweise fest:
„Da wir den Täter nicht kennen, müssen wir das Umfeld des Opfers erkunden. Vielleicht haben Täter und Opfer schon einmal Kontakt gehabt. Bitte übernehmt Ihr beide diese Aufgabe und sucht die Angehörigen von dem getöteten Christian Groß auf. Hier ist die Adresse.“
Die Kommissare Berta Zöllner und Klaus Weise fahren zur angegebenen Adresse. Sie stehen vor einem Einfamilienhaus, vor dem ein kleiner Vorgarten angelegt ist. Das ist am Weddingenufer bei vielen Häusern so, dass vor dem Hauseingang ein bisschen Grün dem Haus schon einen netten Anstrich gibt. Berta klingelt und eine Frau öffnet die Tür. Die beiden Polizisten stellen sich vor:
„Guten Tag! Ich bin Kommissarin Berta Zöllner und das ist mein Kollege Klaus Weise. Sie sind wahrscheinlich Frau Groß?“
„Ja, das bin ich. Aber was führt Sie zu mir?“
„Frau Groß, dürfen wir kurz eintreten.“
Sie werden in das Wohnzimmer geführt, wo alle drei Platz nehmen. Jetzt beginnt Berta:
„Frau Groß, wir müssen Ihnen leider eine traurige Nachricht überbringen. Ihrem Mann ist heute früh etwas zugestoßen. Er wurde im Ihme-Park von einem unbekannten Mann ermordet.“
Frau Groß bricht in Tränen aus und Berta versucht sie zu trösten. Doch schnell fängt sich die Frau wieder und stellt die Frage:
„Wer hat das denn getan?“
„Ja, das wüssten wir auch gern. Uns ist nur bekannt, dass es eine männliche Person war, die ihrem Mann im Park aufgelauert hat.“
„Mein Mann machte immer gern in aller Frühe vor seinem Dienstbeginn einen Morgenspaziergang und der führte ihn dann auch in den Ihme-Park und an der Ihme entlang.“
„Wir werden alles daransetzen, den Mörder zu finden. Dürfen wir Ihnen denn jetzt schon einige Fragen stellen?
Hatte ihr Mann jemals in seinem Umfeld einen Menschen, dem Sie so etwas zutrauen würden?“
„Nein, denn das hätte er mir gewiss nicht verschwiegen, weil wir immer offen zueinander waren. Aber vor wenigen Tagen hatte er eine Andeutung gemacht, dass ein Unternehmen gern einen Erfahrungsbericht über sein künstliches Auge haben möchte und er ihm dafür viel Geld anbot. Und jetzt, wo Sie danach fragen, fällt mir ein, dass mein Mann gestern Abend sagte: ‚Wenn ich morgen vom Dienst komme, trinken wir ein Glas Sekt zusammen.“
„Was Sie uns da sagen, ist ein wichtiger Hinweis. Das könnte der Mörder gewesen sein, der Ihren Mann unter diesem Vorwand heute früh im Ihme-Park treffen wollte. Haben Sie denn einen Namen oder eine Telefonnummer erfahren?“
„Frau Kommissarin, Sie sollten wissen, dass mein Mann mit Leib und Seele Beamter bei der Finanzbehörde war. Wir hatten vereinbart, dass wir immer, wenn wir aus dem Haus gehen, eine kurze Info auf einem Zettel hinterlassen, wohin wir gehen und wann wir wieder zurück sein werden. Ich schau mal nach, wo ich einen solchen Zettel finde.
Einen Augenblick bitte, ich gehe zu seinem Schreibtisch und werde nachsehen, ob er im Tischkalender etwas vermerkt hat. – Ja, hier steht: ‚Treffen mit Harald und dann diese Telefonnummer hier.“
„Finden Sie im Kalender vielleicht ein paar Tage vorher noch einen anderen relevanten Hinweis?“
„Ja, hier stehen aber nur zwei Buchstaben mit einem Fragezeichen:‘ J&C?‘. Mehr steht da nicht, aber diese Zeichen kommen mir irgendwie bekannt vor. –
Mein Mann war begeisterter Dart-Spieler und das war sein großes Übel. Bei einem solchen Spiel im Club prallte ein Pfeil aus Versehen an einer harten Kante ab und traf sein rechtes Auge. Das lief sofort aus. Er kam zwar unmittelbar danach ins Krankenhaus, doch das Auge war für immer verloren.“
„Aber woher kennen Sie jetzt J&C?“
„Im Krankenhaus musste er eine Woche bleiben, bis die große Wunde versorgt war. Und da kam zu ihm einmal ein Vertreter von J&C und bot ihm an, dass seine Firma ihm gern ein künstliches Auge liefern würde. Sie seien noch eine Firma im Aufbau und brauchten jeden Auftrag. Er hatte das mit seinem behandelnden Augenarzt besprochen, doch der empfahl ihm das Produkt eines anderen Herstellers, mit dem sie bereits gute Erfahrungen gesammelt hätten. Christian hat sich dann für diese Firma entschieden. Da es sein momentanes Problem war, wieder schnell einen hochwertigen Ersatz zu bekommen, hat er mir alles, was diese Operation betraf, genauestens erzählt.
Mehr weiß ich nicht und langsam wird es mir auch zu viel.“
„Vielen Dank, dass Sie uns so viele Informationen gegeben haben. Es wird helfen, den Mörder zu finden und ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen“
Das waren die Abschiedsworte von Kommissar Klaus, der sich mit Fragen sehr zurückgehalten hatte, weil er überzeugt ist, dass das in einer solchen Situation einer Frau besser gelingt.
Wieder zurück auf dem Kommissariat berichten sie kurz Helmut von dem Gespräch mit der Witwe Groß. Er meint dazu:
„Jetzt müssen wir versuchen, alles über diese Firma J&C und über Harald zu erfahren. Bitte geht in dieser Richtung weiter.“
Klaus sucht nun in verschiedenen Quellen nach dem Kurzzeichen J&C. Er wird dabei schnell fündig und erfährt, dass diese beiden Buchstaben auf folgendes Unternehmen hinweisen. Es ist die
J&C Prosthetic in Sarstedt.
Sie produzieren diverse Kunststoffprodukte und sind noch nicht so lange auf dem Markt. Daher versuchen sie, sich auf dem Gebiet künstlicher Prothesen zu profilieren. Aus dem Gespräch mit Frau Groß ist herauszuhören, dass dieses Unternehmen beabsichtigt, künstliche Augen herzustellen.
Klaus hat aber auch herausgefunden, dass der Marktführer für Augenprothesen neben Anbietern aus Fernost das deutsche Unternehmen SEP in Isernhagen ist. Hinter den drei Buchstaben verbirgt sich die vielversprechende Firmenbezeichnung ‚Scientific Eye Prosthetis‘ mit einem Dr. Wagner als Leiter.
Nun kommt Kommissarin Berta Zöllner ins Spiel, denn sie vermutet, dass der Täter mit dem Namen Harald bei J&C anzutreffen ist. Aber sie will absolut sicher sein und so ruft sie von ihrem privaten Handy aus an. Aus gutem Grund ist auch auf diesem Gerät die Positionsweitergabe unterdrückt. Andernfalls könnte der Angerufene schnell feststellen, dass der Anruf aus der Landespolizeibehörde in Hannover kommt und das muss vermieden werden.
Berta wählt die Nummer, die dieser noch unbekannte Harald Herrn Groß gegeben hatte und jemand meldet sich:
„J&C Sekretariat, guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“
„Hallo, hier ist Berta. Ich wollte gern Harald sprechen. Er gab mir aber nur diese Nummer, können Sie mich weiterverbinden?“
„Was wollen Sie denn von Harald Bruhn, ist es geschäftlich oder privat?“
„Es ist ganz privat und es soll eine Überraschung für ihn sein.“
„Nun gut, ich versuche, sie zu verbinden!“
Die Sekretärin ist etwas verunsichert, denn noch nie hat eine Berta sich für Harald interessiert. Aber sie versucht trotzdem ihn zu erreichen:
„Hallo Harald, hier ist Heidrun aus dem Sekretariat. Gerade ruft eine Berta an, die möchte Harald sprechen. Soll ich sie durchstellen?“
Genau in diesem Moment kommt aus dem Nebenzimmer der Chef herein und deutet seiner Sekretärin an, sie möge auf ‚Mithören‘ stellen.
„Hallo Heidrun. Du, ich kenne aber keine Berta. Wer soll das denn sein?“
„Also das weiß ich nicht. Sie sagte bloß, dass sie dich überraschen will! Soll ich sie nun durchstellen, denn die hängt ja noch immer in der Leitung und blockiert alle geschäftlichen Anrufe?“
Dr. Daub, der Chef, hat alles mit angehört und schüttelt den Kopf. In diesem Moment verlischt die rote LED und die grüne leuchtet wieder. Als Heidrun das sieht, sagt sie nur ein Wort:
„Aufgelegt!“
Nun wendet sich Dr. Daub an Frau Heidrun Lange und bittet sie, Harald sofort in sein Büro zu bestellen. Er selbst sei für niemanden für den Rest des Tages zu sprechen.
Im Kommissariat hält Berta noch immer den Hörer in der Hand, überlegt und bittet Klaus zu sich an ihren Arbeitsplatz.
„Klaus, ich habe eben versucht, über die uns bekannte Rufnummer einen Harald zu erreichen. Aber ich hatte nur das Sekretariat an der Strippe. Die Dame fragte, ob ich Harald Bruhn privat oder geschäftlich sprechen will und sie würde weiter versuchen, mich zu verbinden. Doch da wurde es plötzlich still und dann habe ich aufgelegt.“
„Berta ich vermute, dass Harald Bruhn der Tatverdächtige ist und er den Anruf von dir als einen Kontrollanruf der Polizei gedeutet hat. Damit hat Harald auch recht. Er wird jetzt irgendwo versuchen unterzutauchen. Ich werde mich bemühen, die Wohnanschrift dieses Harald Bruhn herauszubekommen.“
Sofort fangen beide an, auf ihren PCs nach einem Harald Bruhn zu fahnden. Berta schaut auch im Netz der Polizei nach auffällig gewordenen oder vorbestraften Personen.
Nach einer Viertelstunde ruft Berta freudig aber halblaut: „Wau, ich habe einen Harald Bruhn gefunden. Wir haben seine Fingerabdrücke und auch seine DNA. Er ist vor 7 Jahren gefasst worden, als er in einen Supermarkt eingebrochen war und eine größere Menge Alkohol stehlen wollte. Nun frage ich bei der KTU nach, ob sie schon an der Brille des Toten, Spuren sichern konnten.“
Das hört sich alles sehr positiv an, doch oft findet man eine Schwachstelle.
Bei J&C klopft jemand vorsichtig an die Tür des Sekretariats und Harald tritt ein. Heidrun führt ihn gleich weiter in das Büro von Dr. Daub, der ihn empfängt und sagt:
„Bruhn, Sie nehmen ihr Handy, blockieren die GPS-Weitergabe und kommen gemeinsam mit mir zu meinem Auto in die Tiefgarage. Sollte zu irgendeinem Zeitpunkt ein Anruf kommen, sagen Sie, dass Sie zu Kundengesprächen in Hamburg seien und erst morgen wieder in der Firma zu erreichen sind. Ist das klar?“
Beide gehen hinunter in die Tiefgarage, setzen sich in den Mercedes von Daub und verlassen so das Unternehmen. Auf kürzestem Weg gelangen sie auf die Bundesstraße 3 und fahren in nordwestlicher Richtung weiter zum Steinhuder Meer. Dort fühlen sie sich ungestört und können in Ruhe den Tag verbringen, sicher vor der Polizei. Wären sie in der Firma geblieben, hätten sie immer damit rechnen müssen, dass die Kommissare auftauchen und unangenehme Fragen stellen.
Wie nicht anders zu erwarten ist, bekommt Dr. Daub einen Anruf von seiner Sekretärin, doch auf seinem privaten Handy. Diese Nummer kennt nur sie und seine Frau. Frau Lange teilt ihm Folgendes mit:
„Herr Dr. Daub, eben hatte ich einen Anruf von der Kriminalpolizei. Die Beamten baten um einen Gesprächstermin, ergänzten aber, dass es zwar dringend, aber nicht sehr dringend sei. Ich habe ihnen für morgen um 14:00 Uhr einen Termin vorgemerkt.
Im Kommissariat Mitte kann inzwischen Klaus einen Erfolg verbuchen, denn er hat die Adresse von Frau Ursula Bruhn gefunden, der Exfrau von Harald. Für heute um 15:30 hat er ein Treffen mit ihr vereinbart. Klaus möchte, dass auch Berta dabei ist.
Zur verabredeten Zeit klingelt Klaus an der Wohnungstür eines Mehrfamilienhauses in der Falkenstraße in Sarstedt. Auf dem Klingelschild steht der Name ‚Ursula Bruhn‘.
Eine Frau öffnet und fragt leicht erregt:
„Guten Tag! Wollen Sie zu mir oder suchen Sie meinen Exmann? Der ist zwar hier noch polizeilich gemeldet, aber nur selten zu Hause.“
„Guten Tag, Frau Bruhn, ich bin Kommissarin Berta Zöllner und das ist meine Kollege Klaus Weise. Dürfen wir eintreten?“
„Ja, natürlich, bitte kommen Sie am besten gleich ins Wohnzimmer. Was möchte Sie nun wissen?“
„Zum besseren Verständnis muss ich nachfragen. Sie sind doch regulär geschieden und trotzdem wohnen Sie noch zusammen. Ergeben sich daraus keine Probleme?“
„Nein, denn wir sind uns nicht direkt böse, doch bin ich es leid ein unkalkulierbares Leben zu führen. Jeder lebt jetzt nach seinem eigenen Willen.“
Exmann auch zutrauen, einen anderen Menschen zu töten?“
„Frau Kommissarin, auch wenn ich diesem Mann einmal sehr nahe stand und in ihn verliebt war, muss ich Ihre klare Frage eindeutig mit einem ‚Ja‘ beantworten. Es mag in seiner Unbeherrschtheit liegen. Als junger Mann hat er sogar einmal einen Einbruch in einen Supermarkt begangen und mir später alles haarfein erzählt. Es tat ihm sogar leid.- Doch es ist ganz schwierig, mit einem Menschen zusammen zu sein, der einem in ein Wechselbad der Gefühle bringt und sich am nächsten Tag verhält wie ein Fremder. Aber plötzlich steht er vor der Tür, drückt mir einen wunderschönen Blumenstrauß in die Hand und geht gleich wieder. So ein Leben halte ich nicht aus und daher wollte ich auch unbedingt die legale Trennung.“
Klaus möchte nun auch eine wichtige Frage beantwortet haben:
„Können Sie uns denn einen Hinweis geben, wo wir ihn eventuell finden könnten?“
„Leider kann ich Ihnen gar nichts dazu sagen, doch wenn Sie mir Ihre Rufnummer hierlassen, kann ich Sie anrufen, wenn ich weiß, wo er ist.
Es war doch nicht von ungefähr, Frau Kommissarin, dass sie fragten, ob ich ihm einen Mord zutrauen könnte. Hat er sich denn verdächtig gemacht?“
„Frau Bruhn, diese Frage darf ich Ihnen nicht beantworten, aber nur sagen, dass Sie ein feines Gespür besitzen. Wir danken Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, solange mit uns zu sprechen. Auf Wiedersehen!“
Dieses Gespräch war für beide sehr aufschlussreich, auch wenn sie nicht erfahren haben, wo er gerade ist.
Am Steinhuder Meer strahlt die Sonne und Dr. Daub und Harald Bruhn genießen einen Arbeitstag der besonderen Art. Dr. Daub ist es in den vergangenen Stunden gut gelungen, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, wobei es mehr einseitiger Natur ist. Er fragt nun gezielt:
„Harald, ich schätze es ja unendlich, dass Sie mit viel Engagement daran gehen, unsere Neuentwicklung eines hochwertigen Kunststoffauges zu unterstützen. Dazu ist es natürlich äußerst wichtig, zu wissen, wieweit die Marktführer gekommen sind. Aber war es denn wirklich nicht zu vermeiden, dass Sie den Mann umbringen mussten, um an sein Auge zu kommen?“
„Chef, es tat mir ja auch leid, aber er hat sich so gewehrt und dann sah ich nur das Ziel, das wir erreichen wollen. Ich habe ihm nur mit beiden Händen die Kehle zugedrückt, so dass er nicht lange leiden musste. Da merkte ich aber, dass mich eine Joggerin gesehen hatte und da bin ich losgerannt.“
„Und wo ist das gute Stück jetzt?“
„Das habe ich gut verwahrt, denn es bedeutet für mich so viel wie bares Kapital.“
„Da haben Sie vollkommen recht. Ich biete Ihnen bar auf die Hand 200.000 EUR. Die können Sie von mir noch heute Abend bekommen und sich morgen sofort in einen Flieger setzen und ab nach Hawaii!“
„Und wo haben Sie plötzlich so viel Geld her, das kann ich kaum glauben?“
„Gut nachgedacht, Bruhn! Sie fahren mit mir noch heute zu dem Sommerhaus meiner Eltern, denn dort steht in einer versteckten Ecke mein Tresor mit meinem ‚Ersparten‘. Sie geben mir das Kunstauge und sie bekommen von mir den genannten Betrag, den Sie in Ruhe abzählen können bei einem Gläschen Wein oder Sekt. Doch ich habe noch eine Bitte, die fast eine Bedingung ist. Ich komme heute Abend mit meinem Wagen um 19:30 zum Bahnhof Sarstedt. Dort stehen Sie mit Ihrem Auto und ich gebe Ihnen 5.000 EUR. Die bringen Sie zusammen mit einem Blumenstrauß auf dem schnellsten Wege Ihrer Exfrau. Bedenken Sie, dass sie sich immer um sie gekümmert hat, wenn Sie wieder einmal in der Klemme saßen, obwohl Sie geschieden sind.
Dann kommen Sie wieder zurück, lassen Ihr Auto auf dem Bahnhofsparkplatz stehen und steigen um in meinen Wagen. Wo es dann hingeht, hatte ich Ihnen schon gesagt.
Danach fahren wir wieder zurück und sind kurz nach Dienstschluss in der Firma, von wo aus Sie mit Ihrem Auto zu Ihrem Zuhause fahren können, wo das auch immer sein mag.“
Genau so geschieht es und Dr. Daub fährt nicht nach Hause, sondern bleibt noch die wenigen Stunden in der Firma.
Um 19:10 steigt er in sein Auto und legt eine kleine braune Tüte in das Handschuhfach, mit den 5.000 EUR für Haralds Exfrau.
Pünktlich zur verabredeten Zeit ist auch Harald da, übernimmt das wertvolle Päckchen und verschwindet in Richtung Falkenstraße. An der Wohnungstür klingelt er kurz und Beate öffnet:
„Nanu, was machst du denn hier? Möchtest du mit mir Abendbrot essen?“
„Nein, das geht wirklich nicht, aber bald werden wir viel Zeit haben, in Ruhe und teuerster Umgebung zu speisen. Nimm die Blumen und die Tüte. Darin sind 5.000 EUR für dich ganz allein. Aber zu keinem Menschen ein Sterbenswörtchen. Mach’s gut!“
Er rennt die Treppe hinunter, springt förmlich in sein Auto und rast zum Bahnhofsparkplatz.
Dort steigt er um in das Auto seines Chefs, der ihn bereits erwartet. Harald spricht ihn an:
„So, ich habe alles erledigt, wie Sie es gesagt haben. Auf dem Weg zu Beate habe ich noch schnell einen kleinen Blumenstrauß gekauft, über den sie sich sehr gefreut hat. Meinetwegen können wir jetzt starten.“
„Ja Harald, das können wir, aber ich habe den Plan geändert. Sie steigen wieder in Ihr Auto und fahren zum Ruheforst Deister, diese Adresse kennt Ihr Navi. Dann fahren Sie etwa 100 – 200 Meter in den Wald hinein und stellen ihr Auto ab. Sie steigen aus und lassen den Schlüssel stecken. Dann gehen Sie wieder zu Fuß zurück zur Straße und darauf etwa 100 Meter in südlicher Richtung. Dort steht der Kilometerstein mit der Bezeichnung 34,7 KM. Dort warten Sie auf mich. Am besten ist es, dass Sie sich hinter den Büschen verstecken, damit Sie kein Vorüberfahrender sieht. Ich komme und halte genau neben diesem Kilometerstein.“
„Moment, Doktor, was soll denn dieser Umweg und was soll ich jetzt schon im Ruheforst?“
„Harald, ich will Ihnen das gern erklären. Wenn Sie Ihr Auto auf dem Bahnhofsparkplatz stehen lassen, wird es gewiss jemandem auffallen, weil Sie nur 15 Minuten parken dürfen. Wenn dann noch die Polizei dazu kommt und feststellt, dass es das Fahrzeug eines Tatverdächtigen ist, werden sie annehmen, dass Sie mit dem Zug zum Flughafen unterwegs sind. Dort wird dann Alarm ausgelöst und man sucht Sie. Es wäre gewiss nicht gut, wenn Sie heute Nacht auf dem Weg nach Hawaii gleich auf dem Airport festgenommen würden. Dann wäre die Reise vorbei und das Geld in den Händen der Polizei.
Wenn aber der Förster oder ein anderer Besucher des Ruheforstes Ihr Auto entdeckt, wird man auch die Polizei rufen. Die aber nimmt an, dass man Sie entführt, hier ermordet und vergraben hat. Dann kommt gewiss eine ganze Hundertschaft mit Spaten und Schaufeln und graben den halben Ruheforst um, weil sie den Leichnam von Harald finden wollen.- Verstehen Sie jetzt den Plan und die Umwege?
Bitte fahren Sie jetzt los und warten dann bei dem erwähnten Kilometerstein.“
Harald setzt sich in sein Auto und gibt in das Navigationsgerät das Fahrziel ein.
Auch Dr. Daub setzt seinen BMW in Gang und fährt in Richtung seiner Firma. Dort benutzt er aber nicht den firmeneigenen Parkplatz, sondern lässt sein Auto etwas abseits auf der Straße stehen. Er steigt aus, geht an der geschlossenen Schranke und dem unbesetzten Wärterhäuschen vorbei zum Hauptgebäude. Dort begrüßt ihn der Pförtner, der heute seinen Dienst in der Spätschicht hat:
„Na, Herr Doktor, müssen Sie auch noch arbeiten?“
„Ja, Herr Kunze, ich habe noch einen wissenschaftlichen Beitrag auszuarbeiten und den Abgabetermin will ich einhalten! Dazu brauche ich Ruhe und möchte nicht gestört werden.“
Dr. Daub geht die Treppe hoch, schließt sein Büro auf, schaltet das Deckenlicht und sein kleines Radio ein. Danach verlässt er sein Büro wieder und schließt ab. Er geht aber bis in den Keller und nimmt eine Seitentür, die von keiner der installierten Überwachungskameras erfasst wird. Nun geht er zu seinem Auto, ohne von Herrn Kunze gesehen zu werden und fährt los zu dem vereinbarten Kilometerstein. Nach der kurzen Fahrt von nur einer Viertelstunde erreicht er das Ziel und bleibt stehen. Hinter dem Gebüsch kommt Harald hervor, steigt lautlos ein und Daub setzt die Fahrt fort. Sie fahren jetzt auf einem für Harald unbekannten Weg zu einem einsamen Grundstück. Es ist nicht weit, denn nach zwanzig Minuten sind sie da Eine hohe Hecke umschließt die ausgedehnte Fläche und darin steht ein eingeschossiges Haus im Niedersachsenstil. An der Vorderseite des Grundstücks sind nur eine Gartentür und ein Tor für eine Fahrzeugeinfahrt zu sehen. Vom Haus sieht man nur wenig. Dr. Daub schließt die Gartentür auf, geht nach rechts und öffnet von innen die Toreinfahrt. Dann fährt er das Auto hinein und hinter das Haus. Dort ist eine befestigte Stellfläche für zwei Fahrzeuge angelegt. Daneben steht auf einem runden, 30 Zentimeter hohen Betonsockel eine alte gusseiserne Pumpe. Der Betondeckel ist zweigeteilt. Während am Rand der einen Hälfte die Pumpe angeordnet ist, lässt sich die andere Hälfte bewegen und abnehmen, falls man in den Schacht steigen muss. Der Brunnenschacht, den Daubs Vater ausheben ließ, reicht bis in eine Tiefe von 6 Metern. Das ist deshalb erforderlich, weil oft der Grundwasserspiegel sehr weit absinkt. Eine öffentliche Wasserleitung gibt es hier nicht. Eine elektrische Pumpe wollte sein Vater absolut nicht haben, weil sie zu keinem alten Bauernhof passt.
Jetzt erst steigt Harald aus und Dr. Daub verschließt das Tor wieder. Dann schließt er die Haustür auf und beide betreten das Haus. Obwohl es noch nicht dunkel ist, schaltet Dr. Daub im Wohnzimmer die große Stehlampe ein. Die Fenster lassen kein Licht durch, denn alle sind mit Fensterläden verschlossen. So kann niemand erkennen, ob sich jemand im Haus befindet. Daub nimmt Harald mit ins Haus hinein und zeigt ihm alle Räume und verweist sogar auf die Ecke, in der sich der Tresor befindet. So gelingt es Daub Harald ein vertrautes Verhältnis vorzuspielen. Dann nehmen sie im Wohnzimmer Platz und Daub holt aus einer antiken Vitrine zwei Weingläser, stellt sie auf den Tisch und fragt:
„Harald, was bevorzugen Sie? Möchten Sie lieber einen Rotwein oder sagt Ihnen ein lieblicher Weißwein mehr zu?“
Beide sind sich einig und so bringt Daub aus der Küche einen Rotwein, Neben dem Kühlschrank steht ein kleines Weinregal, wo nur der Rotwein liegt, um die richtige Temperatur zu erhalten. Der Weißwein wird in einem kleinen Kriechkeller gelagert. Dieser hat nur eine geringe Höhe von 90 Zentimetern. So kann man sich in stark gebückter Haltung bewegen und dennoch ist der Raum ähnlich kalt wie ein tiefer Keller. Der Zugang erfolgt von der Küche über eine Bodenklappe. Aber meist stellt man das, was kühl gelagert werden soll, nicht weit von der Klappe entfernt auf den Boden, sodass man es erreicht ohne in den Zwischenkeller hinein kriechen zu müssen. Diese Art von Kellern ist eine praktische Alternative zu einem Vollkeller und ist dort angebracht, wo das Grundwasser einmal höher steigen kann.
Daub geht nun zu seinem Tresor, öffnet diesen und nimmt zwei Päckchen zu je 100.000 EURO heraus. Mit diesem Geld kommt er zurück ins Wohnzimmer und lässt die Päckchen direkt vor Haralds Nase auf den Tisch fallen. Einen Augenblick herrscht Totenstille. Dann fasst Harald nach einem dieser Päckchen, nimmt es in die Hand und dreht es mehrmals um. Schließlich kommt er heraus mit der Sprache:
„Soviel Geld habe ich noch nie in meinem Leben gesehen!“
Von Haralds Staunen gänzlich unbeirrt geht Daub in die Küche und füllt zwei Gläser mit zimmerwarmen Rotwein. Er stellt die beiden Gläser auf ein Tablett, trägt sie auf den Wohnzimmertisch, stellt vor jeden Platz ein Glas und sagt:
„Harald, so ist es, wenn man ein gutes Geschäft zu Ende geführt hat. Ich warte nun auf Ihren Anteil.“
Harald holt aus der Innentasche seiner Jacke eine kleine Schachtel, öffnet diese und reicht Dr. Daub ein kleines, in ein Taschentuch eingewickeltes Päckchen. Daub nimmt das Tuch auseinander und hält das ersehnte Kunststoffauge in der Hand. Er schaut sich das kleine Gebilde von allen Seiten an und fühlt sich erfolgreich. Dann hebt er sein Glas und meint:
„Das ist wahrlich ein Grund anzustoßen. Sehr zum Wohl!“
Daub trinkt das Glas zur Hälfte aus und stellt es wieder ab. Harald macht es ebenso. Nun fangen beide an zu erzählen während Daub auf seine Uhr schaut und schließlich zu Harald sagt:
„Ich werde Ihnen jetzt ein Taxi bestellen, das Sie zum Airport bringt.“
Daub greift zum Telefon und wählt die Nummer des Taxiunternehmens:
„Hallo, spreche ich mit dem Taxibetrieb ‚Express-Car‘? Ja; O. K., dann möchte ich ein Fahrzeug bestellen in den Wiesenweg 26, das Anwesen gehört zu Ilsede, aber Sie finden das gewiss in Ihrem Navigerät. Mein Name ist Bruhn. Danke und dann bis bald!“
Nun wendet sich Daub noch einmal mit einem ernsten Wort an sein Gegenüber:
„Harald, Sie haben einem Menschen das Leben genommen. Doch jetzt haben Sie genug Geld, so dass es nicht wieder vorkommen darf. Bitte, versprechen Sie mir, so etwas nie wieder zu tun. Einen Moment bitte!“
Daub verschwindet in das Zimmer, wo der Tresor steht und kommt mit einem eingerahmten Bild seiner Eltern zurück. Er legt es vor Harald auf den Tisch und sagt:
„Legen Sie Ihre rechte Hand auf das Bild und schwören beim Leben meiner Eltern, dass Sie nie wieder einen Mord begehen werden.“
Harald findet das höchst eigenartig, denn geschworen hat er noch nie, und dann noch beim Leben von Daubs Eltern. Er denkt bei sich, so einen Quatsch mache ich auch nur, weil vor mir 200.000 Euro auf dem Tisch liegen und mir gehören werden. Er nimmt seine Hand, legt sie schon etwas schwerfällig auf die Glasscheibe des Bildes und sagt:
„Ich schwöre es.“
Nun nimmt Daub seine rechte Hand und drückt Haralds Hand, die noch auf der Scheibe ruht, kräftig auf die Glasplatte des Bildes. Dann sagt er zu Harald:
„Danke Harald! Und da bald das Taxi hier sein wird, will ich aber vorher verschwinden, damit mich keiner sieht. Sie gehen hinter das Haus und setzen sich dort auf die Bank, da kann Sie auch keiner vom Weg aus sehen. Wenn Sie das Fahrzeug kommen hören, gehen sie nach vorn und steigen ein. Ich wünsche Ihnen in Ihrem neuen Leben alles Gute.“
Harald geht hinaus. Daub hängt das Bild seiner Eltern wieder auf, steckt das Kunststoffauge in seine Jackentasche und nimmt die beiden Weingläser mit zum Auto. Er löscht das Licht, fährt den Wagen auf den Weg und verschließt alle Türen und das Tor.
Seine Fahrt führt ihn zurück in die Firma. Wieder lässt er sein Auto auf der Straße stehen, geht zur Kellertür des Hauptgebäudes, steigt leise die Treppe hoch und betritt sein Büro. Nun schaltet er das Radio aus, löscht das Licht und verschließt sein Büro. Als er am Pförtner vorbeigeht, spricht ihn dieser wieder an:
„Na, Doktor, haben Sie Ihren wissenschaftlichen Bericht fertigbekommen? Dann haben Sie sich den Feierabend endlich verdient. Gute Nacht!“
Zu Hause angekommen, fragt ihn seine Frau, ob er seinen Bericht vollenden konnte. Er geht in die Küche, spült die mitgebrachten Weingläser sorgfältig aus, füllt beide wieder mit einem trockenen Rotwein, geht ins Wohnzimmer zurück und wendet sich an seine Frau:
„Nun haben wir uns aber einen guten Tropfen redlich verdient. Du hast auf mich gewartet und ich habe fleißig für die Wissenschaft gearbeitet.“
Es ist erst 6:20 Uhr und schon klingelt im Polizeikommissariat Hannover Mitte das Telefon. Der Diensthabende nimmt dieses Gespräch entgegen:
„Guten Morgen. Hier spricht Herbert Uhl, Jäger aus Wennigsen am Deister. Ich möchte eine Beobachtung melden. Hier steht im Wald, am Rande des Ruheforstes ein nicht abgeschlossener PKW und auf dem Beifahrersitz habe ich einen Blutfleck gesehen. Ende der Meldung.“
Die Kommissare Jürgen Stegen und Michael Hofmann sind heute recht früh im Büro und bekommen gleich die Information, dass telefonisch ein herrenloses Auto im Deister Ruheforst gemeldet wurde.
Beide Kommissare warten nicht darauf, dass sie von ihrem Chef den dienstlichen Auftrag bekommen, sondern machen sich gleich auf den Weg. Nach knapp 30 Kilometern halten sie vor dem Schild ‚Ruheforst Deister‘, doch ein Auto sehen sie noch nicht. Also fahren sie noch ein Stück den schmalen Waldweg am Ruheforst vorbei und werden nach 200 Metern fündig. Sie schauen in das Fahrzeug hinein und stellen fest, dass der Beifahrersitz in Liegeposition verstellt ist. Auf der Sitzfläche entdecken sie einen mittelgroßen Blutfleck. Das macht sie stutzig. Sie notieren das Kennzeichen und setzen sofort eine Halternachfrage an die Zulassungsstelle ab. Schon nach kurzer Zeit erfahren sie den Namen des Besitzers: Harald Bruhn. Ihnen sagt der Name nichts, so halten sie es für angebracht, Oberkommissar Helmut Brenner zu informieren:
„Guten Morgen Helmut. Hier spricht Jürgen und ich bin mit Michael in den Deister Ruheforst gefahren, weil im Waldgebiet ein herrenloses Auto gemeldet wurde. Wir haben das Fahrzeug bereits gefunden und auch auf unsere Halterabfrage den Besitzer genannt bekommen. Es ist ein gewisser Harald Bruhn. Sagt dir der Name etwas?“
„Aber natürlich, kenne ich den Namen. Es ist der Tatverdächtige im Mordfall Christian Groß. Ich schicke sofort einen Abschleppwagen, der den PKW zur KTU bringen soll. Ihr seht euch noch die Gegend an, ob vielleicht weitere Spuren erkennbar sind. Doch wenn ihr im Fahrzeug Blut gefunden habt, ist es denkbar, dass auch hier ein weiterer Mord stattgefunden hat, möglicherweise, um den uns bekannten Täter mundtot zu machen, damit er nicht die Auftraggeber nennen kann. Ich überlege, ob wir nicht nach einer vergrabenen Leiche suchen sollten, weil einige Anzeichen dafür sprechen. Lasst mich nachdenken, ich melde mich wieder!“
Nun will Helmut sich mit Kollegen beraten, wie sie vorgehen würden. Schließlich ist ein Einsatz mit einer Hundertschaft wohl zu überlegen. Doch es wäre ein grobes Versäumnis, wenn sich später herausstellen würde, dass Harald Bruhn hier vergraben ist und sie viel Zeit verloren hätten.
Die Beratung mit seinen Kollegen ließ ihn zu dem Schluss kommen, dass er doch eine Hundertschaft mit Spaten und Schaufeln in das Waldgebiet schickt.
Bereits nach 20 Minuten verlassen zwei Mannschaftswagen die entsprechende Abteilung, um sich auf den Weg zum vermeintlichen Tatortsbereich zu begeben.
Allerdings muss man trotz der gegebenen Aufgabenstellung sehr vorsichtig sein, um nicht in den Verdacht zu kommen, die Totenruhe zu stören. Kaum ist die Hundertschaft vor Ort, kommt auch schon auf einem Moped der schwarz gekleidete Pastor an und fragt nach dem Kommandanten und spricht zu ihm:
„Herr Kommandant, ich kenne nicht den Beweggrund, hier in die Stille einzudringen und durch hektische Suche oder Erdarbeiten die Totenruhe zu stören, doch es muss schon ein sehr wichtiger Grund sein. Also bitte, warum tun Sie das hier?“
„Herr Pastor, wir haben uns die Entscheidung, hier zu suchen, gewiss nicht leicht gemacht. Doch es geht darum, einen Mörder zu finden. Damit wird es uns möglich sein, weitere Morde zu verhindern. Leben zu bewahren ist doch auch eine christliche Pflicht, oder sehe ich das verkehrt?“
„Nein, das ist so. Doch bitte, graben Sie so leise wie möglich. Auf Wiedersehen!“
Der Kommandant weist die Kollegen an, gründlich das gesamte Waldgebiet nach einer Stelle abzusuchen, die frisch ausgehobenes Erdreich zeigt oder auffällig ist. Während hier in der unmittelbaren Nähe Verstorbener vehement nach einem vergrabenen Mörder gesucht wird, schickt der Oberkommissar Berta Zöllner und Klaus Weise ein zweites Mal zu Frau Bruhn.
Da sie die Adresse ja bereits kennen, ist es ein leichtes, das Haus wiederzufinden und Klaus drückt den Klingelknopf.
„Guten Tag, die Herren Polizisten! Kommen Sie herein, aber leider sind Sie wieder vergebens, denn mein Exmann ist „aushäusig“!
„Frau Bruhn, das macht nichts, denn Sie sind ja anwesend. Wir haben schon wieder die alte Frage, wo denn Ihr Mann ist und wann Sie ihn zum letzten Mal gesehen haben?“
„Ach, warten Sie mal, das ist schon ein bisschen her!“
„Das bisschen kann aber nur einige Stunden bedeuten, denn der Blumenstrauß ist noch jung, oder? – Also, Frau Bruhn, sagen Sie uns doch einfach nur die Wahrheit!“
„Sie haben ja recht! Gestern Abend hat er geklingelt und mir den Strauß in die Hand gedrückt, bevor ich mich versah. Dann zischte er wieder ab, sagte aber, dass er heute keine Zeit hat, aber bald werden wir viel Zeit haben und uns irgendwo wiedersehen und glücklich werden. – Wie er das gemeint hat, weiß ich nicht, aber so richtig ernst nehmen konnte ich das nicht, denn er hatte öfter solche Sprüche drauf.“
„Und haben Sie eine Ahnung, wo er so schnell hinwollte?“
„Bedauerlicherweise, Antwort negativ! Das wusste ich bei ihm nie. Nun bin ich wirklich gespannt, wann und wo ich ihn wieder einmal zu Gesicht bekomme.“
„Schade, aber Frau Bruhn, Sie wirken so unerwartet ehrlich als Exfrau von diesem, Entschuldigung ‚Windhund‘, dass wir Ihnen das sogar alles glauben. Wir gehen dann wieder!“
Aber nun steht ja noch der Besuch beim Arbeitgeber aus, denn sie haben sich für heute angekündigt.
Die Kommissare melden sich im Sekretariat, stellen sich vor und Frau Lange spricht sie gleich an:
„Guten Tag, ich habe Sie bereits erwartet, denn unser Pförtner hat mich informiert. Was kann ich für Sie tun?“
„Wir hätten gern Herrn Harald Bruhn gesprochen.“
„Einen Moment bitte. Ich habe ihn zwar heute noch nicht gesehen, aber ich rufe kurz durch. – PAUSE-. Da meldet sich keiner. Kann ich ihn denn etwas ausrichten oder ihm sagen, dass er sich bei Ihnen meldet?“