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An verschiedenen Orten werden in kurzer Zeitfolge Abiturientinnen vermisst. Der Täter lockt sie bei Chats im Internet mit einem winzigen digitalen High Tech Gadget, das ihnen auf jede Prüfungsfrage mittels Künstlicher Intelligenz die richtige Antwort ins Ohr flüstert. Die Leichen aller Vergewaltigungsopfer zeigen keinerlei Verletzungen. Auch erfahrene Pathologen sind ratlos, weil sie keine Todesursache feststellen können. Die beiden erfahrenen Kommissare Herta Zeidler und Benno Grossmann sind hilflos. Die Suche nach dem Täter erfolgt auf vollen Touren und geht in alle Richtungen. Selbst ganz abwegige Vermutungen bleiben erfolglos. Aber unerwartet finden die Ermittler eine neue Spur. Letztlich vermuten sie eine bislang unbekannte Facette im Täterprofil. Soll ein Selbstversuch Licht in das mysteriöse Dunkel bringen?
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Seitenzahl: 298
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Der Autor Pit Saylor ist im Oktober 1974 in Hamburg geboren. Sein Vater ist Engländer und fährt als Nautiker zur See. Seine Mutter ist Lehrerin in einer Hamburger Schule, ebenso wie seine Frau. Beide sind glücklich verheiratet, haben zwei Kinder und leben in der Nähe von Hamburg. Er begann auf Grund eines guten Abiturs in Hamburg Physik zu studieren, brach das Studium aber nach dem vierten Semester ab und schrieb sich in der juristischen Fakultät ein. Aber auch dieses Studium entsprach nicht ganz seinen Vorstellungen und so ging er in die Praxis. Jetzt ist er in einer technischen Bibliothek tätig. Das ist genau sein Metier. Nebenbei verfasst er Kurzgeschichten und schreibt Romane. Seine Vorliebe gilt der Kriminalliteratur. Ein alter Freund aus der Nordheide entwirft die Cover für seine Bücher und ist auch sein Manager. Er unterstützt ihn bei allen technischen Details, bei der Gestaltung seiner Bücher und deren Vermarktung. So kann er sich in seiner Freizeit dem Schreiben widmen.
www.pitsaylor.de
Die Handlung und alle handelnden Personen und Institutionen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Buches darf in irgendeiner Form (durch Mikrofilm, Fotografie oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
SONNABEND
SONNTAG
MONTAG
EINE WOCHE SPÄTER
DIENSTAG
MITTWOCH MORGEN AUF DEM POLIZEIKOMMISSARIAT IN LÜCHOW
FREITAG IN LÜCHOW
FREITAG IN GÖTTINGEN
SONNABEND
MONTAG IN GÖTTINGEN
MONTAG IM POLIZEIKOMMISSARIAT LÜCHOW
DIENSTAG IN GÖTTINGEN
WIEDER EIN MONTAG IN GÖTTINGEN
DIENSTAG
MITTWOCH
FREITAG IN HUNDESHAGEN
SONNABEND
MONTAG
ZURÜCK IM KOMMISSARIAT
DIENSTAG IN HUNDESHAGEN
DONNERSTAG IM KOMMISSARIAT
FREITAG
SONNABEND
SONNTAG
MONTAG
DIENSTAG
MITTWOCH
FREITAG IN SAALFELD
MONTAG
DIENSTAG
MITTWOCH
DONNERSTAG
FREITAG
MONTAG
DONNERSTAG
FREITAG
MONTAG
DIENSTAG
MITTWOCH
DONNERSTAG
FREITAG
MONTAG
DIENSTAG
DONNERSTAG
SONNABEND
SONNTAG
FREITAG
SONNABEND
Margarete und Ewald sitzen am Frühstückstisch und lassen sich das Rührei mit Speck gut schmecken. Sie haben es zu ihrer Gewohnheit werden lassen, am Sonnabend zum Frühstück etwas Besonderes zu essen. Beide finden es angenehm, im Leben gewisse Regelmäßigkeiten zu pflegen. Das hat auch ihre Tochter Hanna übernommen und dieses Gleichmaß auf ihren schulischen Alltag übertragen. So schafft sie es immer, ihre Aufgaben zum geforderten Termin und mit der ihr eigenen Gewissenhaftigkeit abzugeben. Doch wo ist sie heute? Auch Vater Ewald fragt:
„Wo bleibt denn Hanna? Sie hat doch nicht etwa verschlafen?“
Das will die Mama genau wissen und ruft:
„Hanna aufstehen! Dein Rührei wird kalt!“
Es rührt sich nichts. Bello liegt unter dem Tisch und bewegt sich ebenso wenig. Da steht Ewald auf, schluckt den letzten Bissen hinunter und steigt die Treppe hinauf. Hanna hat ihr eigenes Zimmer im Dachgeschoss, denn die Eltern begnügen sich mit dem gesamten Wohnraum unten im Haus.
Zweimal klopft der Vater an die Tür und wartet einen Moment. Doch er hört absolut kein Geräusch in ihrem Zimmer. Nun versucht es der Vater noch einmal und klopft etwas lauter. Doch auch auf dieses Pochen gibt es keine Reaktion. Da drückt er den Türdrücker vorsichtig nach unten und öffnet die Zimmertür nur einen kleinen Spalt. Weil ihr Bett auf der gegenüberliegenden Seite der Tür steht, hat er es im Blickfeld. Da erkennt schon, dass es unbenutzt ist. Schnell öffnet er die Tür ganz weit, betritt Hannas Zimmer und sieht sich suchend um. Dann geht er an ihr Fenster, das aber fest verschlossen ist. Im Fensterhebel steckt der kleine Sicherheitsschlüssel. Keine Hanna weit und breit, da schreit er laut los:
„Grete, komm schnell hoch! Hanna ist nicht hier!“
Schnell springt Grete auf, reißt dabei noch ihre Kaffeetasse um und poltert die Holztreppe hinauf. Sie läuft in Hannas Zimmer und ruft:
„Hanna, wo bist du denn, verdammt noch mal!“
Die Eltern sehen sich wortlos an. Da tritt Grete an ihr Bett, schlägt die Bettdecke hoch und legt ihre flache Hand auf das Bett:
„Kalt! Sie hat heute Nacht nicht in diesem Bett gelegen, sonst würde ich es fühlen!“
Skeptisch meint Ewald:
„Aber sie war doch gestern Abend noch unten und hat mit uns Abendbrot gegessen. Dann ging sie wieder hoch in ihr Zimmer. Im Hinaufgehen rief sie lachend herunter: „Dann Tschüss!“
Dabei schauten sich die Eltern an und der Vater rief hinterher:
„Das heißt gute Nacht, oder willst du noch weg?“
Es sieht jetzt ganz so aus, als hätte sie tatsächlich die Absicht gehabt, noch das Haus zu verlassen, wollte aber überflüssige Fragen vermeiden. Grete und Ewald gingen in das Wohnzimmer und setzten sich auf das Sofa, um den Fernsehfreitag zu beginnen.
„Ich rufe sofort Emma an, vielleicht hat Hanna bei ihr geschlafen. Das machen die Mädchen manchmal, wenn sie sich viel zu erzählen haben.“
„Ja, hier bei Schwanke!“
„Emma, bist du das?“
„Nein, hier ist Lieselotte Schwanke!“
„Lilo hier ist Grete. Sag mal, hat unsere Hanna heute Nacht bei Emma geschlafen?“
„Da muss ich mal kurz nachsehen, Emma war heute früh noch gar nicht unten, denn am Sonnabend pennt sie immer bis in die Puppen. -PAUSE – Grete, hörst du? Also Emma schläft noch, aber sie liegt allein in dem großen französischen Bett.“
„Lilo, bitte weck sie auf, wir müssen wissen, ob sie uns etwas sagen kann, wo Hanna ist!“
„Guten Morgen, Tante Grete! Was gibt es denn so früh?“
„Emma, Hanna ist verschwunden. War sie denn gestern Abend noch bei dir?“
„Nein, ich hatte sie gefragt, ob sie herüberkommen will, doch sie meinte, sie müsse noch für Mathe pauken, denn mit den Zahlen hat sie es nicht so!“
„Hat sie sich denn irgendwie geäußert, ob sie noch wegwollte?“
„Nein Tante Grete, nicht die Bohne, sie legte schnell auf.“
Nach diesem Gespräch lässt sich Grete förmlich in den Armsessel fallen, der im Flur neben dem Telefon steht. Diesen bequemen, gepolsterten Sessel hatte Ewald vor langer Zeit neben das Telefon gestellt, weil er beizeiten feststellen konnte, dass Gretes Telefongespräche längere Zeit in Anspruch nehmen.
Vater Ewald wird nun sachlich:
„Grete, wir müssen die Polizei anrufen“!“
Grete bremst Ewald ab:
„Nein, Ewald, bitte warte noch einen Moment. Ich rufe noch bei ihrer anderen Freundin an, denn mit Marlene ist sie auch hin und wieder zusammen.“
Margarete nimmt eine neue Tasse und gießt sich etwas von dem mittlerweile ausgekühlten Kaffee ein. Dann wählt sie die Nummer von Familie Walther:
„Guten Morgen, Frau Walther, hier ist Margarete Möller, die Mutter von Hanna. Ich wollte wissen, ob unsere Tochter heute Nacht bei Ihnen gewesen ist.“
„Also, ich habe davon nichts mitbekommen, aber ich will einmal nachsehen, ob Marlene jetzt um neun Uhr schon wach ist.“
„Hallo Frau Möller, hier ist die verschlafene Marlene, bitte entschuldigen Sie, aber am Samstag schlafe ich gern ein bisschen länger. Also, Hanna habe ich gestern nach dem Unterrichtsschluss überhaupt nicht mehr gesehen. Und hier war sie auch nicht. Sie hat auch nichts erwähnt, dass für sie da etwas anlag“.
„Bitte erzähle mal, Marlene, was dir Hanna anvertraut hat, denn Eltern erfahren ja von ihren Kindern in diesem Alter eigentlich überhaupt nichts mehr. Aber weil Hanna verschwunden ist, hätte ich gern gewusst, ob sie einen Freund hat oder ob sich ein Junge um sie bemüht. Sei so lieb, ich bin so in Sorge um sie. Weißt du etwas?“
„Nein, ich weiß nichts von einem Lover, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Hanna ist ein Streber, und sie tut alles, um gute Zensuren zu bekommen. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, dass sie Medizin studieren will. Sie erzählte, sie werde auch nach dem Studium so viel büffeln und arbeiten, bis sie einmal Oberärztin ist. Das ist ihr ganz großes Ziel und dafür schaut sie auch an den nettesten Typen vorbei. So, mehr kann ich nicht sagen und möchte mich noch einmal aufs Ohr legen, weil ich geweckt wurde. Tschüss!“
Die Freundinnen konnten den besorgten Eltern nicht weiterhelfen. Ewald kommt zu dem Schluss, dass es keinen anderen Weg gibt, als die Polizei um Hilfe zu bitten.
Mit knappen Worten wendet er sich an Grete:
„Ich fahre nun zur Polizei!“
Grete sagt betont:
„Da komme ich aber mit!“
Ewald erwidert:
„Nein, du bleib man hier! Falls sich Hanna doch noch einfindet, muss jemand zu Hause sein. Vielleicht braucht sie dann Hilfe, weiß man’s?“
Ewald startet seinen Golf und fährt ab in Richtung Gartow. Weil am Sonnabend die Straßen frei von dem Werktagsverkehr sind, kommt er schnell voran.
Er meldet sich bei dem diensthabenden Beamten und sagt, dass er eine Vermisstenanzeige aufgeben will. Das passt dem Polizisten auf der Polizeistation aber gar nicht, denn er ist die „Notbesetzung“ für dringendste Fälle. Aber wegschicken kann er den Bürger auch nicht und so ringt er sich durch und bittet ihn schließlich:
„Na, dann kommen Sie mal rein und gehen Sie schon vor bis zum Tresen!“
Danach erscheint auf der anderen Seite dieser Beamte mit einem großen Blatt Papier in der Hand:
„Wann wurde die vermisste Person das letzte Mal gesehen?“
„Gestern Abend nach dem Abendbrot.“
„Also, wenn Sie die vermisste Person gestern Abend gegen acht Uhr das letzte Mal gesehen haben, dann sind ja schon die erforderlichen 12 Stunden um und ich kann die Vermisstenanzeige aufnehmen.“
„Ja, bitte, tun Sie das!“
„So, Name?“
„Ewald Möller“
„Nein, Sie sind doch nicht weg. Ich brauche den Namen der vermissten Person. Also wie?“
„Hanna Möller“
„Alter, aber der vermissten Person nicht Ihr Alter.“
„Neunzehn“
„Wohnort“
„Gorleben, Dohlenstraße 48“
„Name des Auftraggebers. Das sind jetzt Sie“.
„Ewald Möller“
In dieser Art werden nach und nach die wichtigsten Daten mühsam erfragt und zusammengetragen. Dann schaut der Beamte auf die Uhr und meint:
„Wenn sich Ihre Tochter nicht in den nächsten 12
Stunden meldet, beginnen wir mit der Suche!“
„Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Es besteht Gefahr für Leib und Leben, da gibt es keine 24-Stunden, das weiß ich genau. Ich bin schließlich auch Beamter.“
„Gut, dann gebe ich jetzt Ihre Daten der Vermisstenanzeige weiter zum Kommissariat Lüchow. Von dort aus wird die Suche gestartet.“
Vater Ewald verlässt kopfschüttelnd die Polizeistation und steigt wieder in seinen Golf, um zurück nach Hause zu fahren. Das tut er mit Ruhe und denkt dabei nach, wo denn Hanna sein könnte.“
Er ist noch gar nicht lange aus der Stadt heraus, und ein Streifenwagen mit Blaulicht rast nach Gorleben. Ewald vermutet, dass die Polizisten zu ihm wollen und so gibt er Gas, ohne auf eine Geschwindigkeitsbeschränkung zu achten, denn auch für ihn herrscht jetzt Alarm.
Ewald hatte die richtige Vermutung. Er ist noch gar nicht zu Hause, da klingelt schon einer der beiden Polizisten an seiner Haustür. Margarete öffnet und zwei Polizisten stellen sich vor:
„Guten Morgen, das ist meine Kollegin Ewert und ich bin Kommissar Kühne. Wir haben eine Vermisstenmeldung bekommen und dazu haben wir einige Fragen an Sie.“
„Ja, bitte, kommen Sie herein. Mein Mann kommt auch gleich dazu.“
„Frau Möller, können Sie uns Hanna bitte kurz beschreiben.“
„Ja. Hanna ist mittelgroß, hat schwarze mittellange Haare, blaue Augen und ist schlank. Sie trägt blaue Jeans, weiße Sneakers und ein graues Kapuzenshirt. Dieses Foto habe ich schon herausgesucht und das können Sie gern mitnehmen und verwenden.“
„Vielen Dank, das war sehr ausführlich und aufschlussreich.
Wann haben Sie Ihre Tochter zuletzt gesehen und was passierte da?“
„Gestern Abend ging sie die Treppe hinauf und sagte freundlich Tschüss. Da erwiderte mein Mann noch: ‚Das heißt eigentlich ‚Gute Nacht‘. Aber da verschwand Hanna in ihr Zimmer und wir gingen in unser Wohnzimmer, weil wir noch fernsehen wollten.“
„Frau Möller, wann haben Sie festgestellt, dass Ihre Tochter nicht mehr zu Hause ist?“
„Heute Morgen erschien Hanna nicht wie gewohnt zum Frühstück und da fanden wir ihr leeres Zimmer vor. Ich fasste noch unter die Bettdecke und merkte, dass das Bett kalt war. Da folgerte ich, dass sie die ganze Nacht nicht im Bett gewesen ist.“
„Besitzt Hanna einen Laptop oder ein Handy?“
„Aber selbstverständlich hat sie beides. Das geht doch heute bei der Jugend gar nicht mehr ohne.“
„Geben Sie mir bitte diese beiden Beweisstücke.“
„Oh, das Handy finde ich nicht und von dem Laptop sehe ich nur das Netzteil.“
„Führt ihre Tochter ein Tagebuch? – Und dürfen wir uns in Hannas Zimmer ein bisschen umsehen? Vielleicht entdecken wir etwas Wichtiges, was Sie für belanglos halten?“
„Ja bitte schauen Sie sich nur alles an.“
„Wir benötigen alle Informationen. Das kann uns helfen, Ihre Tochter schnell zu finden.“
Die beiden Kriminalisten durchsuchen akribisch das gesamte Zimmer. Es ist gut, dass eine Kommissarin dabei ist, weil sich eine Frau eher in die Lebensgewohnheiten junger Mädchen hineinversetzen kann, als es einem Mann möglich ist. Sie finden viele Bücher über Medizin und auffallend unterschiedliche Lernhilfen für Mathematik und Physik. Es sieht so aus, als hätte Hanna in diesen Fächern einen Nachholbedarf. Kommissarin Christine Ewert legt sich nun in das Bett von Hanna und tastet ringsum alles ab, besonders auch unter dem Bett. Und hier wird sie fündig. Mit einem Gummibändchen befestigt, hängt ein kleines Büchlein. Christine nimmt es hoch und wendet sich an Klaus Kühne:
„Schau an, hab ich es mir doch gedacht, dass wir so ein Tagebuch finden. Fast jeder zweite Teenager führt so eins, trotz der Digitalisierung.“
„Lies doch einmal vor, von wann der letzte Eintrag ist.“
Christine schlägt die letzte Seite auf und findet eine hastig geschriebene Eintragung:
„Das ist ein Geschenk des Himmels. Er muss mir helfen, mit seinem ‚aide in ear‘ die mündlichen Prüfungen in Mathe und Physik zu packen. Weiß der Henker, was das für ein Teil ist, aber er wird es mir sagen, heute noch, dafür ist kein Preis zu hoch. - Ich habe ein Ziel und werde es erreichen.“
Beide Kriminalisten schauen sich wortlos an und interessiert fragt Christine:
„Sag mal Klaus, hast du schon einmal etwas von diesem ‚aide in ear‘ gehört?“
„Das ist ein typischer Fall für die KTU. Dort sind Spezies, die sich mit solchen Geräten oder Hilfsmitteln auskennen“,
ist die zutreffende Antwort von Klaus. Sie nehmen dieses Buch mit und verlassen Hannas Zimmer.
Von Hannas Mutter wollen sie aber noch wissen, ob ihre Tochter ein Fahrrad besitzt und ob sie es oft benutzt. Das beantwortet Frau Möller so:
„Ja, Hanna besitzt zwar ein eigenes Fahrrad, doch sie nimmt es sehr selten, weil sie die kurzen Wege im Ort lieber läuft, um fit zu bleiben.“
„Trotzdem möchten wir uns das gute Stück einmal anschauen, wo steht es denn?“
„Neben dem Haus ist die Garage, da steht es drin.“
Die beiden Polizisten lassen sich den Garagenschlüssel geben und gehen neben das Haus zu der Garage. Sie öffnen das Klapptor, aber erblicken nur den Golf, den Herr Möller nach seinem Polizeibesuch wieder hineingefahren hat. Doch von einem Fahrrad ist nichts zu sehen. Nun müssen sie noch einmal die Mutter befragen:
„Frau Möller, dort steht kein Fahrrad. Wenn Hanna es aber nur benutzt, wenn es größere Strecken sind, dann würde es ja bedeuten, dass sie letzten Abend einen weiteren Weg vor sich hatte oder sehe ich das falsch?“
Mit dieser Erkenntnis verabschieden sie sich von Hannas Eltern und fahren zurück auf ihr Revier.
Dort verfassen sie schnell ein Protokoll und Christine ruft ihren Oberkommissar Rolf Fischer an:
„Hallo Rolf, hier ist Christine. Klaus und ich waren eben bei den Eltern der vermissten 19-jährigen Hanna Möller. Wir haben eine Eintragung in einem Tagebuch gelesen, dass sie eine männliche Person treffen will, die ihr eine Hilfe für die bevorstehende Abi-Prüfung versprach. Sie zeigt sich gemäß dem Eintrag fest entschlossen, dieses ominöse „aide in ear“ - Ding zu bekommen.
Ich leite daraus eine lebensbedrohliche Situation ab, oder wie denkst du darüber?“
„Christine, ich sehe das genauso. Daher werde ich jetzt zwei weitere Streifenwagenbesatzungen mit der Suche beauftragen. Bitte fragt alle Leute, die ihr trefft, ob jemand gestern Abend diese Radfahrerin gesehen hat. Suchhunde einzusetzen, halte ich für nicht sinnvoll, da sie mit dem Fahrrad unterwegs war oder ist.“
Drei Streifenwagen fahren durch den kleinen Ort und jede Person, die die Polizisten erblicken, wird gefragt. So geht es Stunde um Stunde doch leider ohne einen Erfolg.
Nun entschließen sie sich, den Umkreis ihrer Ermittlungen zu vergrößern und befragen weiter. Aber auch hier haben sie kein Glück. Doch dem Streifenwagen, in dem Christine und Klaus sitzen, kommt ein Bus entgegen. Schnell schaltet Klaus das Blaulicht ein und Christine hält die „STOPP-Kelle“ zum Beifahrerfenster hinaus. Der Busfahrer reagiert prompt, fährt scharf rechts heran und stoppt sein Fahrzeug abrupt.
Christine und Klaus steigen aus und begeben sich zu dem verdutzten Fahrer, der ihnen schon entgegenkommt und fragt:
„Gibt es eine Gefahrensituation oder warum stoppen Sie mich?“
„Kommissar Kühne, es besteht keine unmittelbare Gefahr, doch wir haben eine Frage an Sie:
„Haben Sie gestern Nacht oder in den Frühstunden ein Mädchen mit einem Fahrrad gesehen?“
„Ja, habe ich. Gestern Abend, als ich den Bus in die Halle zurückbrachte, begegnete ich einem Mädchen, das es mit seinem Fahrrad scheinbar sehr eilig hatte, als sei jemand hinter ihm her. Aber ich habe danach weder ein Auto noch einen Radfahrer erblicken können.“
„Danke, dann werden wir in diese Richtung fahren und weitersuchen.“
Während sich der Bus wieder in Bewegung setzt, fahren sie weiter bis in das nächste Dorf. Dort beginnen sie wieder, Bewohner und Spaziergänger zu befragen. Aber leider ist ihnen auch hier kein Glück beschieden. Sie melden sich bei Rolf und bitten darum, die Suche abzubrechen. – Auch die anderen beiden Streifenwagen dürfen wieder zurückfahren und damit ihren Auftrag beenden.
Auf dem Polizeirevier in Lüchow klingelt das Telefon und Herr Möller fragt besorgt nach:
„Moin, hier ist Ewald Möller. Können Sie uns denn schon etwas mitteilen? Haben Sie eine Spur ausfindig gemacht?“
„Nein, Herr Möller. Bedauerlicherweise hat kein Polizist unserer drei Streifenwagen ein positives Ergebnis der Befragung melden können. Aber wir suchen weiter und geben noch heute eine Suchmeldung an den Rundfunk und an den Fernsehfunk weiter. Ein Bild von Hanna soll dabei helfen und wir erhoffen uns damit ein Echo zu bekommen.“
Bei dem Ehepaar Möller herrschen große Aufregung und Angst. Gelegentlich rufen Freunde und Bekannte an, weil sie alle mit bangen.
Für sie geht ein trauriges Wochenende vorüber. Am nächsten Tag beginnt der Alltag wieder und bringt sie mit der Arbeit auf andere Gedanken.
Im Sekretariat des Gymnasiums erscheinen die beiden Kommissare Ewert und Kühne. Sie bitten darum, schnell den Schülern der Abiturklasse ein paar Fragen zu stellen. Die Sekretärin führt sie zu dem Klassenraum, klopft kurz an und betritt darauf mit den beiden Polizisten das Klassenzimmer:
„Guten Morgen, Herr Krämer, bitte entschuldigen Sie die plötzliche Unterbrechung Ihres Unterrichtes, doch hier sind zwei Polizeibeamte, die den Schülern ein paar Fragen stellen möchten.“
Damit verabschiedet sie sich von den Kommissaren und geht zurück in ihr Büro.
„Ich bin Kommissarin Ewert, und das ist mein Kollege Kühne. Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Mitschülerin Hanna Möller seit Freitagabend spurlos verschwunden ist. Obwohl wir mit drei Gruppen ununterbrochen gesucht und Bewohner befragt haben, konnten wir keinen Hinweis auf den Verbleib von Hanna bekommen. Um die Suche nach ihr zu fokussieren, benötigen wir alle möglichen Details aus ihrem Leben. Wir möchten Sie daher bitten, dass kurz nacheinander jeder von Ihnen in den leeren Klassenraum nebenan kommt und uns sagt, was ihm zu Hanna einfällt. Wir sind sicher, dass Sie alle daran interessiert sind, Ihre Mitschülerin bald wieder in Ihrem Team zu haben. Wir gehen jetzt beide nach nebenan und erwarten den ersten Schüler. Vielen Dank auch im Namen von Hannas Eltern, dass Sie uns helfen.“
Christine und Klaus haben an einem Tisch Platz genommen und sind gespannt, ob sie erfolgreich sein werden.
Nach und nach und in schneller Folge kommen zuerst die Mädchen und dann die Jungen. Aber zum großen Bedauern ergibt diese Befragung keine relevanten Hinweise. Dabei rundet sich das Bild von Hanna ab und stimmt mit dem überein, was sie bereits von ihren Eltern erfahren haben. Hanna ist eine sympathische, offenherzige, hilfsbereite und strebsame Abiturientin, die ihre gesteckten Ziele unbeirrbar verfolgt.
Die beiden Polizisten fahren zurück auf ihr Revier. In dieser Woche gehen vereinzelt einige Anrufe ein, teils mit unwichtigen Mitteilungen, teils, um etwas vom Fortgang der Ermittlungen zu erfahren. Man fühlt, dass das ganze Dorf betroffen ist. Verschiedene Leute, die die Möllers nicht so richtig kennen, melden sich bei ihnen und erkundigen sich nach Hanna. Auch bieten sie Hilfe an, wie sie auch immer aussehen mag.
Auf dem Polizeikommissariat in Lüchow klingelt das Telefon. Eine aufgeregte Stimme eines Mannes meldet den Fund einer leblosen Person. Er gibt die genaue Position durch und sagt, dass er und seine Freundin an Ort und Stelle warten, bis die Polizei eintrifft.
Der Kommissar Fritz Behnke hat diese Mitteilung aufgenommen und ruft sofort Oberkommissar Fischer an:
„Hallo Rolf, eben wurde uns von zwei Zeugen ein Leichenfund am Elbufer gemeldet. Die genaue Position habe ich mir sagen lassen und notiert.“
„Danke Fritz, am besten du fährst zusammen mit Oliver dorthin und nehmt alles auf. Ich verständige jetzt den Erkennungsdienst, damit die Kollegen auch zum Fundort fahren.“
Zusammen mit dem Streifenwagen naht auch ein kleiner Bus des Erkennungsdienstes. Während sich die Kollegen ihre weißen Schutzanzüge anziehen, gehen Fritz und Oliver zu der Leiche. In diesem Augenblick trifft auch schon der nächste Streifenwagen mit vier Beamten ein, die sofort den Fundort weiträumig absperren.
Zwei Beamte gehen auf das Pärchen zu und fragen:
„Haben Sie angerufen?“
„Ja, das war ich. Wir sind nicht von hier und lieben es, an der Elbe spazieren zu gehen. Da erblickten wir am Ufer im Schilf Kleidungsstücke und eine leblose Frau. Deshalb habe ich sofort angerufen.“
Oliver hat immer einen Fotoapparat dabei und macht die ersten Aufnahmen vom Opfer. Es ist eine weibliche Person mit kräftigen, schwarzen Haaren. Auch Fritz sieht sich die Leiche genau an, blickt dabei auf Oliver und sagt:
„Die gefundene Person entspricht der Beschreibung der jungen Frau, die wir am vorletzten Sonntag, also vor 8 Tagen vergeblich gesucht haben. Wenn ich mich recht erinnere, hieß sie Hanna.““
Beide gehen einen Schritt zur Seite, weil nun Dr. Wunther von der Gerichtsmedizin die Leiche genauer betrachtet. Er bestimmt die Körpertemperatur und stellt sofort fest, dass der Tod bereits vor mehr als 24 Stunden eingetreten sein muss. Er hält es aber für wahrscheinlich, dass sie nicht durch Ertrinken zu Tode kam, doch genauere Aussagen sind erst nach der Obduktion möglich.
Nachdem Dr. Wunther sich ein Bild verschafft hat, schaut sich Oberkommissar Fischer die Tote genau an, um mit Sicherheit festzustellen, dass es sich um die vermisste Hanna Möller handelt. Mitarbeiter der KTU ziehen den Reißverschluss des Transportsacks langsam zu, legen ihn in die Leichenwanne und verschließen sie mit dem Deckel.
Sofort drängt sich die Frage auf, wer hat diese junge Frau umgebracht?
Rolf gibt den Kommissaren Behnke und Raage den Auftrag, die traurige Aufgabe zu übernehmen, die Eltern zu verständigen. Es ist für Oliver Raage das erste Mal, dabei zu sein, wenn Eltern mitgeteilt werden muss, dass ihr einziges Kind dem Anschein nach umgebracht wurde.
Der Fundort wird noch für weitere Untersuchungen gesichert, denn die Kollegen der KTU suchen jetzt nach Spuren oder versteckten Hinweisen, die auf den Täter oder den Tathergang schließen lassen.
Fritz und Oliver stehen vor der Haustür der Familie Möller. Beide schauen sich an, dann drückt Oliver auf den Klingelknopf. Schnell öffnet jemand die Tür und Frau Möller sieht die beiden Polizisten an, ohne eine Frage zu stellen. Sie tritt zur Seite und bittet die Polizisten, in das Wohnzimmer zu kommen. Alle drei nehmen Platz und Margarete Möller fragt ziemlich gefasst:
„Wo haben Sie Hanna gefunden?“
„Spaziergänger fanden sie am Elbufer im Schilf liegen. Sie hat keine sichtbaren Verletzungen und ihre Kleidungsstücke sind unbeschädigt. Wir können noch nicht sagen, ob ein Unfall, ein plötzlicher Herzstillstand oder eine äußere Gewalteinwirkung den Tod herbeigeführt haben. Wir möchten Ihnen unser tief empfundenes Beileid ausdrücken. Sobald wir mehr wissen, werden wir Sie informieren.“
Inzwischen liegt die Leiche bei Dr. Wunther auf seinem Seziertisch zur näheren Untersuchung. Wie immer verläuft eine solche Obduktion nach einer besonderen Reihenfolge mit festliegenden Kriterien. Als Erstes legt er den Zeitpunkt des Todes mit guter Wahrscheinlichkeit auf den vergangenen Sonntag fest, doch eine genauere Zeitangabe ist wegen der Lagerung im Wasser nicht möglich.
Nach langer und überaus gründlicher Obduktion kann er keine Todesursache feststellen. Zwar lässt sich mit Sicherheit sagen, dass die Frau vor ihrem Tode mehrmals Geschlechtsverkehr gehabt hat. Diesbezügliche Verletzungen sind aber nicht zu finden.
Es ist für Dr. Wunther ein höchst unbefriedigendes Obduktionsergebnis, wenn er keine Todesursache diagnostizieren kann. Dieser Fall ist erstmalig in seiner mehr als 34-jährigen Tätigkeit bei unterschiedlichsten Leichenöffnungen. Er kommt aber nicht umhin, Oberkommissar Fischer anzurufen:
„Hier ist Dr. Wunther. Herr Oberkommissar Fischer, es ist mir eigentlich peinlich, doch das erste Mal in meiner Ausübung als Sektionsarzt kann ich bei einer Leiche keine Todesursache definieren. Kein Anzeichen einer äußeren Gewalteinwirkung, keine krankhafte Veränderung der inneren Organe und keine nachgewiesenen toxischen Einwirkungen weisen auf einen Tod hin. Ich weiß beim besten Willen nicht, was ich in das Protokoll schreiben soll.“
Für einen ambitionierten Wissenschaftler – und so sieht sich Dr. Wunther – ist es unerträglich, ein ungelöstes Problem mit sich herumzutragen. Einen Mord ohne Todesursache kann es nicht geben. Er telefoniert mit mehreren seiner Fachkollegen und ehemaligen Professoren. Doch immer wieder hört er die gleiche Antwort:
„Sehr geehrter Herr Kollege, Sie müssen da etwas übersehen haben!“
Gerade solch eine Antwort kann er gar nicht gebrauchen und sie ist auch nicht hilfreich. Wunther blättert weiter in diversen Fachzeitschriften und wird tatsächlich dabei fündig. Er stößt auf eine kleine Anzeige, auf der die nächste Tagung einer Arbeitsgruppe von Pathologen angekündigt wird, die sich mit der Ermittlung von Todesursachen an Mordopfern befasst. Ohne Frage muss er unbedingt an dieser Fachtagung teilnehmen und meldet sich umgehend dazu an. Die Zusammenkunft soll in zwei Wochen in Hannover stattfinden.
Seit dem Fund der Leiche von Hanna Möller sind auch schon zwei Monate vergangen, doch trotz intensiver Ermittlungsarbeit und breit gefächerter Suche können die Kriminalisten keinen Schimmer eines Erfolges verkünden.
Die Bauersleute Hilde und Heinrich Koog sitzen gemütlich auf der Couch. Hilde hat wie jeden Abend ihr Strickzeug neben sich liegen und ist dabei, den soundsovielten Pullover für Heinrich zu stricken. Heinrich tut weiter gar nichts, sondern zieht genüsslich den Rauch seiner Pfeife in die Lunge.
Aber nun beginnt er doch ein Gespräch und dreht sich der fleißigen Hilde zu:
„Du weißt doch, dass ich da unten eine Koppel für die Kühe habe, die unmittelbar an die Elbe grenzt. Gelegentlich schau ich nach, ob der Zaun noch in Ordnung ist. Als ich so dastand und auf den Spülsaum schaute, entdeckte ich im Modder noch halb im Wasser eine kleine rechteckige Platte. Ich stieg also durch den Zaun und hob dieses Ding auf. Es war ein vollkommen verdreckter Laptop. Ich dachte mir, den Schrott braucht zwar keiner, aber einfach in der Elbe entsorgen, das geht auch nicht!“
„Und nu?“
„Hab ich mitgenommen.“
„Und wo ist das Ding?“
„Im Kuhstall.“
„Na los, bring mal her, den ollen Laptop. Aber erst spülst du ihn unter dem Wasserhahn tüchtig ab. Bring bloß keinen Elbschlamm in unsere gute Stube. Hast du verstanden, Heinrich?“
„Ja, hab ich.“
Eine Viertelstunde später kommt er zurück und hält den noch tropfenden Laptop in der Hand. Nun macht er eine Handbewegung damit, als wollte er das Teil auf den Tisch legen.
Da schreit ihn Hilde an:
„Du büst wohl tüderich! Du kannst den doch nicht so auf den Couchtisch packen. Da leg gefälligst eine Zeitung unter!“
Heinrich legt das Stückchen Schrott erst einmal auf den Teppich und greift dann nach der Zeitung, um sie auf dem Tisch auszubreiten.
Hilde schielt über ihre Brille auf den Laptop, der auf dem guten Teppich einen Zwischenaufenthalt machen darf. Dann wirft sie ihrem Gatten kopfschüttelnd einen bösen Blick zu und strickt weiter.
Jetzt erst hebt er den Laptop auf und legt ihn ganz ordentlich auf die Zeitung der letzten Woche.
Beide schauen auf das Fundstück und Hilde findet es als eine willkommene Abwechslung, einmal auf etwas anderes zu sehen als auf rechte und linke Maschen. Sie legt ihre Strickarbeit zur Seite und klappt den Deckel hoch.
„Ach du meine Güte, da hat ja wohl einer mit dem Hammer auf die Tasten geschlagen. Die sind ja so was von zerdroschen, da erkennt man sogar schon das Innenleben des Computers. Also, Heinrich, den wirst du nicht einmal mehr bei eBay loswerden. Das ist nur noch unbrauchbarer Schrott.“
Hilde hebt mit gespreizten Fingern den Boden an, um darunter zu sehen. An der Ecke findet sie ein kleines Etikett und darauf steht ‚Hanna Möller‘.
„Heinrich, dieses Ding gehört einer Hanna Möller“.
„Ja, und? Den Namen habe ich schon einmal gehört. – Ach nee! Hier auf der Zeitung steht:
‚Wer hat unsere Tochter „Hanna Möller“ gesehen?“
„Sag mal, ist das nicht die Schülerin, die tot am Elbufer gefunden wurde? – Heinrich, diesen Laptop bringst du zur Polizei, die suchen immer solche Beweisstücke!“
„Ja Hilde, das mache ich, wenn du meinst. Aber erst gucken wir uns den noch mal von allen Seiten an. - Hier sind zum Beispiel auf der linken Seite zwei kleine Schlitze, schau her.“
„Heinrich, du büst ein lütten Dösbattel. Das sind keine Schlitze, das ist der Slot. Da kann man eine Speicherkarte einstecken, den hat mein Laptop auch.“
Hilde zeigt ihrem technisch unbegabten Mann, dass man durch einen leichten Druck auf den schmalen Rand die Speicherkarte aus dem Slot ziehen kann.
Plötzlich erwacht in beiden die Neugier. Das Strickzeug besitzt nicht mehr die Priorität eins und wandert sofort in die oberste Schublade der Kommode. An dessen Stelle holt Hilde jetzt ihren Laptop, der sich natürlich in einem pieksauberen Zustand befindet. Sie klappt ihn auf, schaltet ihn ein und schiebt die gefundene Speicherkarte in den SD Card Slot ihres PC.
Nachdem sie sich die fünf Fotos angesehen haben, die sich auf der Speicherkarte befinden, zieht Hilde die Karte wieder aus ihrem Laptop heraus und legt sie in den Schrott-PC wieder ein. Danach bekommt ihr Mann einen Auftrag:
„Heinrich, du fährst morgen früh gleich in das Kommissariat und gibst den gefundenen Laptop ab. Vielleicht gibt es einen Finderlohn, der ist dann für uns beide.“
Damit war das Kapitel ‚gefundenes Beweisstück‘ beendet und Hilde greift wieder nach ihrem Strickzeug.
Heinrichs Pfeife hatte aber das Leben ausgehaucht.
Es ist soeben der Zeitpunkt für den Dienstbeginn gekommen, da klopft jemand an die Tür:
„Moin. Darf ich eintreten? Ich habe hier ein mögliches Beweisstück und das möchte ich Ihnen zur Verfügung stellen.“
„Guten Morgen Herr .... Verzeihung, wie ist Ihr Name?“
„Ich bin Heinrich Koog und komme aus Vietze.“
„Herr Koog, was für ein Beweisstück bringen Sie uns und woher haben Sie es?“
„Also, das war so. Ich habe meine Kühe auf einer Koppel bei Vietze. Diese Koppel reicht bis genau an die Elbe ran und zur Abgrenzung des landwirtschaftlich genutzten Grundstückes habe ich einen Elektrozaun um die Koppel gezogen und …“
„Entschuldigung Herr Koog, werden Sie bitte konkret
und erklären Sie uns, was die Kühe mit dem Beweisstück in Zusammenhang bringt?“
„Herr Oberleutnant, Verzeihung, denn ich meine Oberkommissar, das will ich Ihnen ja kurz und knapp berichten. Also nach positiver Kontrolle des Elektrozaunes werfe ich einen Blick auf die vorbeifließende Elbe und entdecke im Spülsaum, so leicht im Modder eingeschwemmt, einen rechteckigen Gegenstand. Zur näheren Erkundung bin ich durch den Elektrozaun gekrochen und habe dieses Teil freigelegt. Im Kuhstall habe ich es danach unter fließendem Wasser von der groben Verunreinigung freigespült und sauber neben den Strohballen abgelegt.
Als ich meiner Hilde, das ist meine Ehefrau, erzählt hatte, wollte sie es auch sehen. Da habe ich es aus dem Kuhstall in die gute Stube gebracht und auch eine Tageszeitung als Unterlage auf den Tisch gelegt. Aber Hilde drehte das Teil gleich um und erblickte ein kleines Etikett mit dem Namen ‚Hanna Möller.‘ Wir erinnerten uns sofort an den Namen, weil wir ihn gleich zweimal vor unseren Augen hatten. Nämlich einmal auf dem Laptop und dann in einer Blitzmitteilung in der Zeitung, die ich unter den Laptop legen musste, weil das Hilde so verlangt hatte.
Und nun bin ich damit hier.“
„Danke Herr Koog, dass Sie uns dieses Beweisstück übergeben. Wir werden es genauer untersuchen und uns gegebenenfalls bei Ihnen melden.“
„Gibt es da auch einen Finderlohn?“
„Herr Koog, warten Sie es ab, man weiß ja nie?“
Durch die leicht geöffnete Tür hat sich Rolf die Darstellung angehört und sagt gleich zu Benno Grossmann:
„Schnapp dir den nassen Laptop und bring ihn rüber in die KTU, die sollen sehen, was er für Informationen in sich birgt.“
Von den stets gut gelaunten Kollegen in der KTU wird er gleich freudig begrüßt:
„Moin Benno, bringst du uns eine kleine Waschmaschine, die tropft ja noch wie nach dem ersten Schleudergang“.
„Nein, ein Bauer aus der Elbmarsch hat uns eben diesen Laptop gebracht. Er hatte ihn am Elbufer entdeckt, aus dem Modder herausgezogen und ihn im Kuhstall sauber geduscht. Nun meint Rolf, Ihr möchtet nachsehen, ob er uns noch relevante Informationen liefert. Es hängt mit dem Leichenfund ‚Hanna Möller‘ zusammen, denn ihr Name steht darunter. Also, Ihr wisst Bescheid. Tschüss dann.“
Gleich zwei junge Mitarbeiter nehmen sich den Laptop vor und öffnen den Deckel. Da erleben sie einen Schrecken, denn ein so heftig demoliertes Gerät ist ihnen bis heute nicht unter die Augen gekommen. Mit Geschick und einer angemessenen Portion Gewalt gelingt es ihnen, die Tastaturplatte abzuheben. Aber alles, was jetzt zum Vorschein kommt, wurde mit brachialer Wucht und harten Hammerschlägen förmlich breit geklopft. Es ist offensichtlich, dass hier jeder Versuch, Daten zu regenerieren, zwecklos ist. Lediglich die linke Kante erinnert noch an Teile eines Laptops. Der SD Card Slot ist nur leicht eingedrückt, so dass es ihnen gelingt, eine 1 GB Speicherkarte herauszuziehen. Von großer Neugier getrieben, legen sie dieses einzige gerettete Teil in den Slot ihres PC ein. Nun suchen sie nach Dateien und Ordnern. Aber schnell erkennen sie, dass sich der ehemalige Besitzer keine große Mühe gegeben hatte, dieses Speichermedium zu strukturieren. Es gibt darauf keinen einzigen Ordner, sondern nur fünf JPG-Dateien. Sie öffnen mit einer Foto-Software nacheinander diese Dateien. Das erste Bild ist das Foto eines Einfamilienhauses, dann ein Bild von einem älteren Herrn, der wahrscheinlich der Vater ist. Auf dem nächsten Foto ist die Mutter als Hausfrau mit Schürze abgebildet und schließlich hat Hanna ihren Hund fotografiert. Das fünfte Foto fällt etwas aus der Reihe, denn es ist ein Screenshot und zeigt das reichlich undeutliche Brustbild mit dem Kopf einer männlichen Person. Trotz der minderwertigen Abbildung lassen sich daraus die biometrischen Daten zur Identifikation einer Person gewinnen.
„So, das hätten wir. Und jetzt kommt der schäbige Rest in einen großen Folienbeutel und ab damit in die Asservatenkammer,“
ist der Schlusssatz des Technikers, der zusammen mit einem jüngeren Kollegen die Untersuchung durchgeführt hat.
Oberkommissar Fischer ist erfreut über das Ergebnis. Das minderwertige Bild von dem Screenshot, welches die Techniker ihm gegeben haben, lässt ihn hoffen, damit ein Konterfei des Täters zu bekommen. Aber ist es tatsächlich der Täter? Warum hat Hanna diesen Screenshot überhaupt aufgenommen? Leider ist nur das Brustbild vorhanden, ohne einen Hintergrund zu erkennen. Es wäre aber von Interesse, den Bildschirm als Ganzes zu sehen. Warum geht das nicht? Wahrscheinlich reicht die Auflösung des Laptops nicht aus. Nun gut, sie haben schließlich das Gesicht.
Gleich am frühen Morgen bekommt Kommissarin Ewert den Auftrag, mit dem Bild vom Screenshot die Eltern zu besuchen und zu befragen.
Es ist Eile geboten, weil Fischer verhindern will, dass noch weitere Abiturientinnen von diesem Schicksal getroffen werden. Daher begibt sich Christine Ewert sofort auf den Weg zu den Eltern und klingelt die Mutter heraus:
„Guten Tag Frau Möller, bitte entschuldigen Sie die Störung, aber ich habe eine dringende Frage, weil wir verhindern müssen, dass noch mehr Unheil geschieht.“
„Ja bitte, fragen Sie nur!“
Die Kommissarin holt das Bild aus ihrer Tasche, gibt es Frau Möller direkt in die Hand und fragt: