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Seitenzahl: 44
Anmerkungen zur Transkription
Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet.
Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so ausgezeichnet.
Weitere Anmerkungen befinden sich am Ende des Buches.
Humoreske
von
Ernst Eckstein.
Mit 6 Original-Illustrationen von G. Sundblad.
Fünfundzwanzigste Auflage.
Berlin. Richard Eckstein Nachfolger.(Carl Hammer). 1883.
Alle Rechte vorbehalten.
Die Zöglinge des Holger'schen Pensionats, acht rosige Mädchen von vierzehn bis siebzehn Jahren, saßen eifrig plaudernd beim nachmittäglichen Kaffee. Die Vorsteherin, Fräulein Adelgunde Holger, hielt sich seit gestern behufs der Abwickelung wichtiger Geschäftsangelegenheiten in der benachbarten Residenz auf. Miß Jobbington, die englische Lehrerin, litt wieder einmal an ihrer schrecklichen Migräne. So kam es, daß die jungen Damen ausnahmsweise sich selbst überlassen waren, ein Umstand, der indeß nach der Ansicht der liberal gesinnten britischen Dulderin wenig zu besagen hatte, da innerhalb des Pensionsgebäudes keinerlei Gefahr drohte, und Josephine, die älteste der Elevinnen, eine Art mütterlicher Autorität ausübte, vermöge deren sie die abwesende Beschützerin ganz befriedigend ersetzen konnte. Josephine war nämlich verlobt, wirklich und anerkanntermaßen verlobt. Von einer Braut erwartet man mit Recht eine gewisse Haltung. Auch entehrt es kein Mädchen, dessen Herz und Hand noch frei ist, sich der höheren Würde einer Braut unterzuordnen.
Josephine, Eulalie, Rosa, Martha, Iduna, Laurentia, Asta und Virginie saßen also in reizender Gruppirung beim Kaffee, als die greise Wirthschafterin auf der Schwelle erschien und die überraschende Mittheilung machte, ein junger, vornehmer Herr wünsche dringend die Vorsteherin des Pensionats zu sprechen.
Die Mädchen wechselten Blicke der Rathlosigkeit und der Neugierde.
»Was soll ich sagen?« fragte die alte Barbara, indem sie mit der Rechten die derangirte Schürze glättete.
»Gehen Sie zu Miß Jobbington!« sagte Josephine.
»Das englische Fräulein hat sich eingeriegelt; sie will mit keiner Seele zu thun haben«, versetzte die Wirthschafterin.
»So sagen Sie, es sei Niemand zu Hause«, rief die schwarzlockige Asta mit lebhafter Stimme.
»Wie unhöflich!« bemerkte die aristokratische Virginie. »Der Herr hat doch bereits gehört, daß Barbara mit uns unterhandelt.«
»Er kann ja immerhin hereinspazieren, und sagen, was er will«, bemerkte Rosa.
»Aber wenn es Angelegenheiten betrifft, die … die man nicht vor aller Welt auskramen mag?« flüsterte die aschblonde Laurentia erröthend.
»Wir müssen ihm überlassen, ob er uns einweihen will oder nicht«, sagte die schlanke Rosa.
»Gott, am Ende ist es gar Otto«, raunte Eulalie der vollgewachsenen Iduna ins Ohr … »Er kömmt, um Fräulein Holger zu sagen, daß er mich liebt, daß sie mir die Freiheit zurückgeben muß …«
»Oder wäre es gar Ferdinand, der Bräutigam Josephinens?« entgegnete Iduna. »Er hat immer solche Sehnsucht nach ihr. O, ich sage Dir, sie erzählt mir manchmal Dinge …«
»Nun, was soll ich dem Herrn antworten?« fragte die ehrbare Wirthschafterin, ein wenig ungeduldig.
»Heißen Sie ihn eintreten!« sagte Josephine mit Würde.
Barbara ging. Eine halbe Minute später trat ein elegant gekleideter Herr in die Thüre und verneigte sich mit verführerischer Anmuth. Sein sorgfältig gescheiteltes Haar stimmte vortrefflich zu den langen weißen Fingern der rechten Hand, in welcher er den blinkenden Cylinderhut hielt, während die linke, von einem safrangelben Glacé-Handschuh bedeckt, graziös auf das großkarrirte Beinkleid herabfiel. Die etwas kreischenden Lackstiefel und der blonde, seidenweiche Cotelettbart vollendeten das Bild eines Gentleman comme il faut.
»Um Vergebung, meine Damen«, begann der Fremde, der weder Otto noch Ferdinand war, mit wohlklingender, wenn gleich etwas affektirter Stimme, »ich bin doch hier recht im Pensionate des Fräuleins Adelgunde Holger? …«
»Ja wohl, mein Herr«, sagte Josephine.
»Die Frau da draußen scheint mich nämlich nicht verstanden zu haben …«
»Sie ist etwas schwerhörig«, versetzte Martha.
»Sie befehlen?« fragte der Fremde.
»Sie hört nicht gut«, wiederholte die Angeredete, während ihr Antlitz sich mit flammendem Purpur bedeckte.
»Ah so! Nun, jedenfalls scheint sie mich mißverstanden zu haben. Ich suche nämlich …«
»Wollen Sie nicht gefälligst Platz nehmen?« sagte Josephine verbindlich.
»Ach ja, bitte, nehmen Sie Platz«, rief Rosa, die Schlanke.
»O, die Damen sind zu gütig …«
Die vollgewachsene Iduna wollte mit der ihr eigenen Herzlichkeit die Freundin überbieten und sprudelte heraus:
»Dürfen wir so frei sein, Ihnen eine Tasse Kaffee zu offeriren?«
»Ich weiß in der That nicht …«
»O, ist gar nicht stark«, rief die schwarzlockige Asta.
»Nein, gar nicht«, bestätigte Iduna. »Sie können immerhin eine Tasse nehmen, wenn Sie auch schon welchen getrunken haben.«
»Nun denn – ich … ich bin so frei …«
Iduna erhob die Kanne. Der Fremde setzte sich und stellte den blinkenden Cylinderhut unter den Tisch.