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Im Jahre 1572 überschattet die grausame Hugenottenverfolgung auch das Leben der Grafen- Familie Antoine de Brionne. Sie fliehen nach Hessen auf die Ronneburg. Die achtzehnjährige Tochter Judith findet auf der Ronneburg die Burgchronik und das Tagebuch der Magd Maria Müller. Diese wurde im Jahre 1563 als Hexe verbrannt. Ihr Leben scheint mit dem der Magd Maria verwoben zu sein. Sie stellt fest, dass es in ihrer eigenen Familie dunkle Geheimnisse gibt.
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Seitenzahl: 257
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Ingeborg Elisabeth Ohlmann wurde 1956 in Illingen/ Saarland geboren. Nach einer Ausbildung als Altenpflegerin studierte sie Sozialpädagogik. Die Autorin arbeitet in Dietzenbach und lebt mit ihrem Lebenspartner, einem Pferd und zwei Katzen im Odenwald. Bei R. G. Fischer in der Anthologie, Autoren-Werkstatt; 36 ist ihre Kurzgeschichte: „Das lebendige Bild“ 1993 erschienen. In dem Gedichtband der Nationalbibliothek des Deutschsprachigen Gedichtes, Ausgewählte Werke IV erschien 2001 ihr Gedicht: „Die Mauer“ und bei der Frankfurter Bibliothek, Jahrbuch für das neue Gedicht, Brentano-Gesellschaft, Frankfurt a. M. wurde 2004 ihr Gedicht: „Jerusalem“ veröffentlicht. „Die Magd von der Ronneburg“ ist ihr erster Roman.
© 2016 Ingeborg Elisabeth Ohlmann
Titelfoto: Jürgen Arnold
Lektorat, Korrektorat: Birgit Closen, Dajana Arnold und Jürgen Arnold.
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback 978-3-7345-8176-2
Hardcover 978-3-7345-8177-9
e-Book978-3-7345-8178-6
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichkeit.
Ingeborg Elisabeth Ohlmann
Historischer Roman
Für Karl-Heinz
Frankreich 1572. Das Land war durch mehrere Religionskriege zwischen den Altgläubigen und den Protestanten, die auch mit dem Schimpfwort „Hugenotten“ genannt wurden, erschüttert. Die Königin-Mutter, Katharina von Medici, verlor ihren Mann, König Heinrich II, als er bei einem Turnier tödlich verwundet wurde. Im darauffolgenden Jahr starb ihr ältester Sohn unter ungeklärten Ursachen. Jetzt unterstützte sie ihren zweiten Sohn, König Karl IX, der keine starke Amtsführung hatte. Sie arrangierte die Heirat ihrer Tochter Margarete mit dem protestantischen König, Heinrich II. von Navarra, um somit die Versöhnung von Protestanten und Katholiken herbeizuführen und dadurch Frankreich wieder zu stärken. Auf der Hochzeitsfeier kam es zu einem Überfall auf die protestantischen Adeligen. Viele wurden einfach niedergemetzelt. Es folgten in dieser Bartholomäus-Nacht weitere Mordanschläge auf Hugenotten in vielen Städten Frankreichs. Es wurden mehrere Tausend Menschen brutal ermordet. In den Tagen danach flohen viele adelige Familien in die Nachbarländer. Auch die Familie des Grafen Antoine I. de Brionne mit seiner Familie waren bei dem Flüchtlingsstrom dabei. Sie wurden im angrenzenden Saarland aufgenommen.
Obwohl es verboten war aus Frankreich auszureisen, flohen viele Menschen in die angrenzenden Länder, wie: Brandenburg-Preußen, Hessen-Kassel, Rhein-Main-Gebiet, Kurpfalz und Saarland. Auch in andere Länder, wie England und in die Schweiz gelangten die verfolgten Hugenotten. Niemand ahnte damals, dass sich die Vertreibung und Verfolgung der Andersgläubigen bis ins Jahr 1685 hinziehen sollte und es zu Massenfluchten kommen sollte. Die begüterten Familien hatten für ihre Reise zumeist eine Kutsche zur Verfügung. Viele Handwerksfamilien spannten in ihrer Not zwei Ochsen vor ihren Holzleiterwagen. Sie konnten nur das Notwendigste mitnehmen, denn Frau und Kinder mussten auch noch in den Wagen passen. Der Familienvater ging dann zu Fuß neben dem Karren her. Eine alte Witwe packte ihr Bündel in einen großen Leinensack und verknotete ihn, warf diesen auf eine von ihrem verstorbenen Mann selbst gezimmerte Schubkarre, davor spannte sie ihre zwei Hunde, den Welpen setzte sie auf die Karre. Sie selbst nahm die zwei Holzgriffe in ihre Hände und drückte die Karre vorwärts. Unterwegs wurde sie von einer Kutsche überholt. Die Fahrgäste saßen zusammengedrückt: Graf Ferdinand de Brionne, seine Frau Celine, sein erwachsener Sohn mit seiner Ehefrau Eveline und ihrem Kleinkind Judith auf dem Schoß. Als sie die alte Frau überholten, hielt die Kutsche an. Der Graf bedauerte sehr, dass sie die alte Frau nicht in ihre Kutsche aufnehmen konnten, da sie schon überfüllt war. Sie gaben der Witwe einen kleinen Teil ihres Nahrungsvorrates ab. Die alte Frau war nicht gewohnt, dass sie beschenkt wurde. Sie hatte tränennasse Augen und nickte nur dankbar. Gerade kam die gräfliche Kutsche an einem schäbigen Gasthof in Metz an. Sie waren seit ihrer Abreise mehrere Stunden unterwegs, die Pferde mussten rasten und die Menschen auch. Graf Antoine warf einen besorgten Blick auf seine junge Frau. Sie sah sehr blass aus. Sie wirkte wie eine weiße Porzellanstatue, so als wäre alle Lebensfreude aus ihr gewichen. Selbst das kleine Töchterchen, das mit den Haaren der Mutter spielte, konnte dem maskenhaften Gesicht kein Lächeln entlocken. Ferdinand legte seine rechte Hand aufmunternd auf die Schulter seines Sohnes: „Wenn wir erst eine neue Heimat gefunden haben, dann geht esdeiner Frau auch wieder besser.“ Seine Mutter erwiderte: „Den Tod eines Kindes zu verarbeiten, ist das Schwerste, was eine Mutter zu verkraften hat.“ „Aber sie hat doch Judith“. „Mein Sohn, mit den Jahren wird es besser, glaube daran.“ Die junge Frau hatte sich währenddessen bereits auf ihren Strohsack gelegt und war erschöpft eingeschlafen. Die Gespräche ihrer Verwandten bekam sie nicht mit. Ihr Mann nahm das spielende Kleinkind auf seinen Arm. Er herzte und drückte die Kleine. „Du bist mein Sonnenscheinchen.“ Das Kind zog mit seinen Patsche-Händchen am Bart des Vaters. „Au weh“, sagte er gespielt. Die Kleine lachte. Das Abendessen bestand aus einer dünnen Fleischsuppe, die von einer älteren, behäbigen Bedienung mit Blut gefleckten Schürze, gebracht worden war. Eveline hatte noch Hühnerfedern im Haar der Marketenderin entdeckt. Jetzt ahnte sie, welcher Tätigkeit die Angestellte vorher nachgegangen war. Sie brachte keinen Bissen herunter, als sie die Brühe in ihrer Holzschüssel sah. Besorgt betrachtete der ältere Graf, dass seine Schwiegertochter nichts anrührte. Er hoffte, dass sie die weite Reise überstehen würde. Sie würden noch Wochen unterwegs sein. Zudem befürchtete er auch noch die Verfolgung durch die königlichen Truppen, denn der König hatte es seinen Untertanen verboten, auszureisen. Angestrengt überlegte er noch, wie er es seiner Familie vermitteln sollte, dass sie beim nächsten Gasthof die Kutsche verkaufen müssten und nur mit den Pferden weiter reiten könnten, da sie sonst die Gefahr bestand, von den Häschern eingeholt zu werden. Er war im Zwiespalt. Konnte er es riskieren mit der Kutsche weiterzureisen, trotz der schwachen Gesundheit der Schwiegertochter? Durfte er wegen ihr alle anderen in Lebensgefahr bringen?
In der Nacht stürmte es, es blitzte und donnerte. Äste vom Baum peitschten vom Wind getrieben, erbarmungslos gegen die Fensterscheibe. Als Ferdinand, noch bevor die Familie aufwachte, nach den Pferden sehen wollte, war die Straße voller Schlamm. Herrenlose Schweine kamen ihm aus der Seitenstraße quiekend entgegen. Sie wurden von einem bellenden Hund gejagt. Die Kutsche, die draußen stand, sah aus, als hätte sie eine Schlammpackung genommen. Die Pferde standen im Stall bereits im Wasser. Ferdinand watete im Wasser bis zu seinen Knöcheln. Er band die Tiere los und schirrte sie an. Mittlerweile kam das Frühstück. Er trieb seine Familie an. „Beeilt euch, denn bei diesem Schlamm kommen wir nicht schnell genug voran. Wir müssen los.“ Endlich waren alle Personen wieder in die Kutsche eingestiegen und es konnte losgehen. Der Kutscher August hatte seine liebe Not, die Pferde anzutreiben. Nach einiger Zeit hatten sie die Stadt hinter sich gelassen, als der Weg immer schlechter wurde. Der Fluss war durch den Dauerregen in der Nacht über die Ufer getreten. Die Kutsche hatte sich festgefahren. Die drei Männer mussten ihre ganze Kraft einsetzen. August schippte das Wagenrad mit einer mitgebrachten Schaufel frei. Der Kutscher trieb die Pferde an und die beiden Grafen schoben mit aller Kraft hinten die Kutsche nach vorne. Schweißperlen zeigten sich auf der Stirn des alten Grafen. Er war mit seinen fünfundfünfzig Jahren zu alt für solche Strapazen. Mit Mühe und Not schafften es die Männer die Kutsche herauszubekommen. So kamen sie mit einiger Verspätung an ihrer nächsten Raststätte an. Das Gasthaus wirkte auch durch den Sonnenschein schon einladender als die letzte Bleibe. Hier trafen sie auf eine Gruppe von Handwerkern mit ihren Familien. Sie waren ebenfalls Hugenotten. Sie berichteten, dass sie nur knapp den königlichen Soldaten entkommen waren. „Unterwegs haben wir ein Mütterchen notdürftig unter die Erde gebracht. Sie lag neben ihren zwei toten Hunden. Sie waren an Hunger und Erschöpfung gestorben. Wir haben sie zusammen begraben. Nur einen kleinen Hund konnten wir retten, den hat jetzt meine Tochter aufgepäppelt. Plötzlich hörten wir entfernt einen Reitertrupp entgegenkommen. Wir konnten uns gerade noch rechtzeitig in einem Wäldchen verstecken. Stellt euch nur einmal vor, mein italienischer Freund Antonio hat mir beim letzten Handwerkertreffen berichtet, dass Papst Gregor VIII zutiefst beunruhigt ist, dass am 23. August, in der Bartholomäus-Nacht, unsere Glaubensbrüder ermordet worden sind. Antonio erzählte, dass der Papst sogar eine Siegesmedaille mit der Aufschrift: „Niederschlagung der Hugenotten“ in Auftrag gegeben hat, ebenso ein Gemälde, das den Triumph der Katholiken über die Protestanten zeigen soll. Ich frage mich, wo bleibt da die Lehre Christi?“ Der Handwerker Paul seufzte tief und schüttelte dabei ungläubig den Kopf. Jetzt erzählte er weiter: „Unterwegs haben wir mehrere tote Kleinkinder in den ausgemergelten Armen ihrer Mütter gesehen. Die Frauen standen dem Tod näher als dem Leben.“ Er entdeckte Judith.“ „Oh, Sie haben auch ein Kleinkind. Wir haben mehrere Ziegen. Ich gebe euch eine Ziege ab, denn die Milch wird ihrem Kind guttun.“ Die Gräfin bedankte sich herzlich bei den Handwerkern. „Lieben Dank, für eure großherzige Hilfe und eine gute und glückliche Reise wünsche ich euch und euren Familien.“ „Wir müssen doch als Glaubensverfolgte zusammenhalten“, sagte der französische Schreiner. „Wohin reist ihr denn?“ fragte Graf Ferdinand. „Wir reisen nach Hessen zu befreundeten Handwerkern, die wir seit unserer Gesellenzeit kennen.“ „Wir reisen ins Saarland, der Graf von Nassau-Saarbrücken hat uns eine Bleibe versprochen“, entgegnete Graf Ferdinand. Am folgenden Morgen verkaufte der alte Graf die Kutsche mit den Pferden. Bei einem Pferdehändler kaufte er für das Geld vier Reitpferde und zwei Kaltblüter als Packpferde. Die kostbaren Gewänder verkauften sie auch und zogen Leinengewänder an, denn sie wollten sich als Bauern oder Handwerker tarnen, um so ihren Verfolgern zu entkommen.
Am Morgen waren sie noch auf dem Markt, um sich mit Lebensmittel einzudecken, als sie eine Gruppe von Soldaten des Königs an ihren Uniformen erkannten. „Bitte verliert nicht die Nerven, verhaltet euch ganz unauffällig,“ ermahnte sie der alte Graf. Sie waren erleichtert, dass der Käufer ihrer Kutsche schon abgereist war. Sie hörten einen Soldaten des Königs die Marktfrau vom Obststand, an der Eveline gerade Obst kaufte, fragen: „Weib, hast du eine gräfliche Kutsche gesehen, das Wappen der Grafen de Brionne ist gut erkennbar?“ „Nein, habe ich nicht, mein Herr.“ Der Soldat wollte gerade gehen, als er die junge Frau sah. Die Hände von Eveline zitterten stark, und sie fing unvermittelt an zu schreien. Sofort sprang ihr Mann an ihre Seite. „Entschuldigen Sie mein Herr, aber meine Frau ist seit dem Tod unserer Tochter hysterisch geworden.“ Er schob seine immer noch schreiende Frau aus der Gefahrenzone. Der Soldat nickte verständnisvoll. Als der junge Graf mit seiner immer noch schreienden Frau in der Gaststätte ankam, gab er ihr eine Ohrfeige, sodass sie aus ihrer Verkrampfung erwachte. Sie fiel in sich zusammen und wimmerte. Die Schwiegermutter tröstete sie, und allmählich erholte sie sich wieder. Am nächsten Morgen stiegen sie auf ihre Pferde. Eveline wirkte wieder geistesabwesend, in sich gekehrt, deshalb nahm die Schwiegermutter die kleine Tochter in ihre Obhut. Sie band sich mit einem Tuch das kleine Mädchen vor ihre Brust. Der junge Graf nahm von seinem Pferd aus auch die Zügel vom Pferd seiner Frau auf. Sie schien es gar nicht zu merken. Der Vater hatte die zwei Packpferde im Schlepptau. Nach einigen Tagen mit mehreren kleinen Pausen waren sie kurz vor der Grenze ins Saarland angelangt, als sie plötzlich in einem Feldstück nahe der Straße eine zerschellte Kutsche erkannten. Sie fanden noch mehrere geschundene Leichen, teilweise waren diese auch bereits von Tieren angefressen. Die Toten waren keines natürlichen Todes gestorben. Sie waren auf grausamste Weise ermordet worden. Der Mann mit seiner Frau und seinen zwei Kindern. Dem alten Grafen liefen lautlos Tränen seine Wangen herunter, auch seine Frau weinte. „Hätte ich das geahnt, dann hätte ich doch lieber die Kutsche eigenhändig zertrümmert.” „Vater, das konnte doch niemand ahnen.” Sie begruben die Familie und beschwerten die Grabstelle mit Steinen, die sie im Feld fanden. Die Familie de Brionne wurde von dem Grafen von Saarbrücken-Nassau aufgenommen. Sie fanden später eine Heimstatt auf der Burg Kerpen bei Illingen. 18 Jahre später, als Graf Ferdinand und seine Frau in Abstand von zwei Tagen beide an Lungenentzündung verstorben waren, zogen Graf Antoine de Brionne mit seiner Frau Eveline und ihrer Tochter Judith auf Empfehlung des Grafen von Nassau-Saarbrücken auf die Ronneburg ins Herrschaftsgebiet des Landgrafen von Hessen.
Hier war der Landgraf Philipp I. von Hessen bereits im Jahre 1524 zur lutherischen Lehre übergetreten. Er hatte sich sogar mit Kaiser Karl V. angelegt, der die Lehre von Luther ablehnte. Er wurde nach der Niederlage 1547 gegen den Kaiser 5 Jahre in den Niederlanden gefangen gehalten. Nach seiner Befreiung aus der Gefangenschaft kam es zum Augsburger Religionsfrieden. Es galt, dass der Landesherr die Religion seiner Landeskinder bestimmen durfte. Die Untertanen, die damit nicht einverstanden waren, hatten das Recht auszuwandern.
Ronneburg- anno 1590.
Die Höhenburg thronte wie festgemeißelt auf einem Basaltfelsen. Durch diese besondere Lage konnten die Handelsstraßen für die Mainregion und die Wetterau überwacht werden. Schon von weitem sichtbar war der Bergfried mit seiner berühmten „Welschen Haube.“ Ein sehr steiler serpentinenartiger Weg, umsäumt auf beiden Seiten mit hohen Laubbäumen und dunklen Tannen, führte hinauf zur Vor-Burg. An w indigen regnerischen Herbsttagen kamen den Reitern kleine Sturzbäche entgegen, die die rote angeschwemmte Erde mit darin gefangenen Kieselsteinen den Berg herunter trieben. An schroff abfallenden Wiesenhängen mussten die Pferde tritt sicher sein, denn es bestand jederzeit die Gefahr abzurutschen und den steilen Hang mit dem Reiter in die Tiefe zu stürzen. Erst durch das dritte Torhaus gelangte ein Reiter in den inneren Burghof. Der Innenhof wurde besonders durch den „Schönen Erker“ auf der Hofseite des Zinzendorf-Baues hervorgehoben. Sechs Butzenscheiben schmückten neben Wappen und Verzierungen den Erker. Das Besondere an dieser Burg war der 96 m tiefe Brunnen, der mit einem Tretrad bedient wurde, um das Wasser heraufzuziehen und somit die Bewohner unabhängig vom Dorf machte.
Judith, ein junges Mädchen, gerade achtzehn Jahre alt, hatte ihre kastanienbraunen Haare zu einem Zopf geflochten. Ihre sanften braunen Augen wirkten in dem schmalen Gesicht übergroß. Mit ihrem schlanken Körper bewegte sie sich beim Gehen so graziös wie eine Gazelle. Sie interessierte sich sehr für die Geschichte der Ronneburg und fand in der kleinen Schreibstube die Burgchronik. Sie brachte das dicke Buch zu der Gruppe von Menschen, die sich gerade in der gemütlichen Küche der Ronneburg um das Kaminfeuer gruppiert hatten. Neben ihrer Familie und der befreundeten Familie, den Saint Germains, war auch Pater Albert aus Frankreich anwesend.
Judith liebte diese Küche. Sie strahlte so viel Atmosphäre aus. Auf dem gemauerten Kaminaufsatz war das Kaminfeuer entfacht worden, darüber hing ein vom Feuer geschwärzter Kessel, der die Suppe warmhielt. An den offenen Kamin war ein Backofen gemauert. Durch das offene Kaminfeuer war die Küchendecke von Ruß geschwärzt. Diverse Holzkochlöffel baumelten über dem Kaminfeuer. Über dem Backofen waren Kräuter zum Trocknen aufgehängt. Das Fenster verlieh der Küche die notwendige Helligkeit zum Arbeiten. An dem großen Eichentisch saßen die Bewohner aus Frankreich auf einer einfach gezimmerten Holzbank ohne Rückenlehne. Die Tür zum Backhaus stand offen. Der Geruch von frisch gebackenem Brot kam einem entgegen. Judith ging zu ihren Eltern: „Ich habe was Interessantes in der Burgchronik gefunden. Hier gab es im Jahre 1563 einen Hexenprozess auf der Burg. Die Magd, Maria Müller, wurde der Hexerei beschuldigt und zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Das Urteil trägt die Unterschrift der Gräfin Isabella von Ronneburg. In der Chronik ist die Lebensgeschichte der Magd detailliert aufgeführt.“ Judith begann vorzulesen:
„Für meinen Enkelsohn Michael, Graf von Ronneburg. Dies ist die Lebensgeschichte deiner Mutter, Maria Müller.
Meine damals achtzehnjährige Maria wurde im Jahre 1562 als Magd auf der Ronneburg eingestellt. Sie war von natürlicher Schönheit, mit ihrem fein geschnittenen Gesicht, den schwarzen langen Haaren, die sie kunstvoll hochsteckte und der schlanken und trotzdem fraulichen Gestalt. Was besonders auffiel, war ihr anmutiger Gang. In kostbare Kleider gesteckt, hätte jedermann sie für die Gräfin gehalten. Der eigentlichen Gräfin missfiel die junge Magd, denn sie befürchtete die Gunst ihres Mannes an sie zu verlieren.
Ihre Heirat war wegen der Zusammenlegung der Güter arrangiert worden. Allerdings war sie ihm seit ihrer vierjährigen Ehe sehr zugetan. Über die Gefühle ihres Mannes wusste sie nichts. Bitter beobachtete sie ihren Gatten, als Maria ihm Wein nachgoss. Sie sah diesen leidenschaftlichen Blick, mit dem er die junge Bedienstete betrachtete. Sie nahm sich vor, hier besonders auf der Hut zu sein. Durch ihren vertrauten Diener hatte sie Erkundigungen über unsere Familie eingeholt, dass meine Mutter und ich mit Heilkräutern sehr kundig waren und dass wir in Gelnhausen arbeiteten. Angeblich hätten wir heilende Kräfte. Eine werdende Mutter, die bei der Geburt fast gestorbenen wäre, hätten wir durch einen Kräutersud und allerlei Gebete gerettet. Die Gräfin bat ihren Diener die Dorfbewohner nach Geburten zu fragen, die nicht so gut verlaufen waren. Und diese Fälle gab es natürlich auch, denn ich konnte keine Wunder vollbringen.
In jener folgenschweren Nacht hatte mir Maria wie schon oft geholfen. In dieser Nacht stürmte es, die Straßen waren kaum mit der Pferdekutsche passierbar. Die Wege waren voller Schlamm. Es war mitten in der Nacht, als ich zu einer Gebärenden gerufen wurde. Durch den Sturm kamen wir viel später an. Die Frau war schon sehr schwach und das Kind lag in Steißlage. Vergeblich versuchte ich Mutter und Kind zu retten. Der Ehemann, ein grober Bauer, drohte mir: „Ihr seid schuld, Ihr seid zu spät gekommen.“ „Es tut mir leid, aber ich konnte durch den Sturm nicht eher da sein. Mein Pferd ist mir fast durchgegangen.“ Ich verließ das Haus. In meiner Kutsche weinte ich und betete für Mutter und Kind, die ich nicht retten konnte. Auch Maria weinte.
Der Sturm hatte sich etwas gelegt, aber es war sehr dunkel und wir mussten noch durch ein Waldstück. Wir hatten nur eine Wachsfackel, die war durch den heftigen Sturm gelöscht worden. Mein Pferd erschreckte sich durch eine Gruppe von Rehen, die plötzlich durchs Gebüsch rannten. Ich hatte Mühe das aufgeregte Tier zu zügeln und zu beruhigen. In der Ferne auf der Anhöhe sah ich die imposante Burg, im Morgengrauen wirkte sie bedrohlich. Mich fröstelte es und ich zog den Wollschal fester um meine Schultern.“
Hier unterbrach Eveline ihre Tochter: „Judith, ich finde die Geschichte auch interessant, aber unsere Kerzen sind bald abgebrannt, lass uns doch morgen weiterlesen.“ Die anderen Personen nickten dazu und jeder zog sich in sein Zimmer zurück.
Judith war sehr aufgewühlt durch diese Geschichte und konnte nicht einschlafen. Sie nahm sich einen Kerzenleuchter und ging die steinerne Wendeltreppe herunter. Es schien so, als folge sie einer inneren Stimme. Durch die Burgkarte hatte sie bald den Turm gefunden, in dem die Magd Maria vor ihrem Prozess eingekerkert worden war. Knarrend öffnet sich das hohe Holztor auf Druck von Judiths Hand. Sie erschreckte sich über dieses Geräusch und zuckte zusammen. Obwohl sie Angst verspürte, leuchtete sie mit dem fünfarmigen Kerzenleuchter den Raum aus. Es führte eine steinerne Treppe den Turm herunter. Es roch nach Moder und Feuchtigkeit. Das Licht der Kerzen fiel gerade auf einen Fensterabsatz. Irritiert blieb Judith stehen. Sie entdeckte einen Mauerstein unter dem Fensterbrett, auf dem ein Kreuz eingeritzt war. Sie stellte fest, dass von diesem Stein Mörtel abgebröckelt war. Spontan zog sie an diesem Stein und war fast erschrocken, als dieser nachgab und sich mit einem Ruck aus der Wand ziehen ließ. Judith tastete die Öffnung mit ihrer Hand ab und zog ein kleines Büchlein, das mit zwei Holzdeckeln gebunden war, hervor. Hier stand in schön geschriebener, schwungvoller Handschrift:
„Das Tagebuch von Maria Müller.“
Judith war sehr bewegt. Sie hatte das Gefühl, als hielt sie mit diesem kleinen Holz-Buch ein Leben in ihren Händen. Sie spürte ein Zittern ihrer Hände. Fast hätte sie das Büchlein fallen lassen.
Besorgt schaute sie auf ihren Kerzenständer. Sie musste hurtig wieder zu ihrem Zimmer, die Kerzen waren fast abgebrannt. Sie rannte fast die Treppenstufen hoch. Jetzt hatte sie gerade die Küche erreicht. Von hier aus führte eine steinerne Wendeltreppe zur Kapelle hinauf. Sie ging durch die Kapelle hindurch, den zweiten Eingang wieder heraus und erreichte so schneller ihr Zimmer, das auf dieser Etage lag. Sie war traurig, dass ihre Kerzen jetzt erloschen waren, denn jetzt musste sie bis zum nächsten Tag warten, um das kleine, dicke Büchlein von Maria Müller lesen zu können. Sie spürte diesen inneren Drang, mehr über das Leben dieser Frau zu erfahren, die genauso alt war wie sie jetzt, als sie auf die Ronneburg kam.
Kaum leuchteten die ersten Sonnenstrahlen durch die Fensterscheiben, nahm die junge Französin das kleine Tagebuch von Maria Müller zur Hand und begann zu lesen:
„1. Mai 1562. Es ist mein erster Tag auf der Ronneburg als Magd. Die Mamsell Mathilde hat mir die Küche gezeigt. Sie ist jetzt mein neuer Arbeitsplatz. Die Küche hat sehr viel Atmosphäre. Heute habe ich auch zum ersten Mal die gräfliche Familie kennen gelernt. Ich habe das Gefühl, dass die Gräfin mich nicht mag. Ich fühlte ihren Blick, es war Hass den ich spürte. Ganz im Gegenteil der Herr Graf. Er hat mich herzlich willkommen geheißen.
In seinem Blick war so viel ehrliche Herzlichkeit. Er ist eine imponierende Persönlichkeit. Graf Wilhelm ist ein stattlicher Herr, sehr groß und schlank, seine blauen Augen bilden einen schönen Kontrast zu seinen schwarzen Haaren, die bis auf die Schulter fallen. Sein gepflegter Bart betont noch das markante Gesicht. So stelle ich mir König Artus oder Richard Löwenherz aus den Erzählungen meiner Großmutter vor. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese Gräfin Isabella nicht so feinfühlig ist wie ihr Mann. Egal, was diese Herrschaften sind und tun, geht mich nichts an.“
Hier endete die erste Eintragung von der jungen Magd über ihren Eindruck von der Ronneburg und ihren Bewohnern.
Gerade wollte Judith weiterlesen, als es an ihrer Tür klopfte. „Judith, wir warten alle auf dich mit dem Frühstück, hast du verschlafen?“ rief ihre Mutter. „Ich bin gleich da.“ Schnell zog sie sich an und machte in Windeseile ihre Morgentoilette. Sie leerte die Waschschüssel diesmal in den Toilettenstuhl, weil der neben dem Bett stand und wollte später den ganzen Eimer in der kleinen Toilette entleeren, die in dem schmalen Gang neben ihrem Zimmer eingebaut war. So unterstützte Judith Martha, die Wirtschafterin, damit sie wegen dem wenigen Personal auf der Burg entlastet war. Etwa zehn Minuten später rannte sie förmlich durch die Kapelle, umso schneller in die Küche zu gelangen.
Die wenigen Bewohner der Burg: Das Grafenpaar Saint Germain mit ihrer fünfzehnjährigen Tochter Sophie, Pater Albert, Judiths Eltern, das Ehepaar de Brionne sowie das Burgverwalterpaar Maurer. Das Ehepaar war von dem letzten Grafen Michael I. eingesetzt worden, da er sich häufig auf Auslandsreisen befand. Sie hatten den Auftrag, alle Gäste, vor allem die wegen ihres Glaubens Verfolgten, aufzunehmen und zu betreuen. Frau Maurer war eine etwas beleibte kleine Frau mit bereits ergrauten, zu einem Knoten hoch gesteckten Haaren, welche durch ein weißes Spitzenhäubchen verziert waren. Ihr rundliches, gutmütiges Gesicht, mit ihren warmen braunen Augen, strahlte Mütterlichkeit aus. Sie war die gute Seele dieser Ronneburg. Ihr Mann Hermann war früher hier der Stallmeister gewesen, aber jetzt gab es nur noch vier Pferde im Stall. Mit zwei Pferden war Graf Michael zur Reise aufgebrochen.
Zwei seiner Pferde blieben zurück im Stall. Diese waren die Lieblingstiere von Graf Michael. Hermann war handwerklich sehr begabt, denn es gab immer viel zu richten und auszubessern auf der Burg. „Komm setzt sich hier hin, mein Kind“, wurde Judith von Frau Maurer empfangen. Es roch nach aufgebrühtem Tee und frisch gebackenem Brot. Diese Küche war für Judith ein Ort des Wohlfühlens. Das Kaminfeuer schien hier nicht nur den Körper zu erwärmen, sondern war auch Balsam für die Seele. Auch die kleine Sophie taute allmählich auf. Sie hatte rote Haare, die sie zu einer Krone auf dem Kopf geformt hatte. Sie war ein kleines, eher schmächtiges junges Mädchen. Sie wirkte noch kindlich. Ihre Haut war sehr blass, so dass die gutherzige Frau Maurer den Eindruck hatte, sie sei krank. Deshalb bot sie ihr immer zusätzlich Essen an, damit sich das ändere. Sophie war zu schüchtern und wohl erzogen, um das Geschenk abzulehnen, so dass sie das zusätzliche Obst in ihrem Zimmer hortete und davon schon einen eigenen Marktstand hätte eröffnen können. Sie war sehr gutherzig und verteilte das Obst in unbeobachteten Augenblicken an bettelnde Kinder im Dorf unten. Judith und Sophie begleiteten Frau Maurer oft zum Markt in den nahegelegenen Ort unterhalb der Ronneburg. Dazu spannte Herr Maurer die Pferde vor den Wagen. Der Rückweg mit Gepäck war ohne Wagen zu mühsam zum Laufen, denn es führte nur ein steiler Waldweg serpentinenartig auf die Ronneburg hinauf. Sophie und Judith kleideten sich unauffällig, so dass sie bei dem Bauernmarkt nicht als Adelige auffallen würden. Sie trugen grob gewebte Bauernkleider aus Wolle. Die Verwalterin schmunzelte: „Dieser graziöse Gang, Judith, passt nicht zu einer derben Bauern-Magd.“ Judith gab sich Mühe etwas plumper aufzutreten. Sophie lachte herzlich, weil es urkomisch aussah. Am meisten waren die jungen Mädchen von den Gauklern fasziniert. Ein bärtiger, älterer Mann winkte Judith zu. Spontan winkte sie zurück. Als Magd verkleidet schien ihr das passend. Sie fühlte sich dazu gehörig, während sie als Tochter des Grafen aus Frankreich sich eher ausgeschlossen fühlte. In diesem Augenblick vermisste sie ihre Freundinnen aus dem Saarland. Hier hatte sie noch keine Freunde gefunden, außer den Menschen, die mit ihr auf der Burg lebten. Judith und Sophie waren begeistert von den bunten Obstständen, Gemüseangeboten und der Blumenvielfalt. Kräuterfrauen boten in ihren kleinen Körben ihre Heilkräuter feil. Eine Töpferfamilie hatte einen Stand mit ihren gefertigten Tellern, Krügen, Bechern und Schüsseln platziert. Ein Korbflechter zeigte seine Ware. Sogar mit Schafen, Hühnern und Ziegen waren sie gekommen. Ein Tuchverkäufer verbeugte sich vor Judith und sagte: „Es soll Rosen regnen auf all ihren Wegen.“ Judith setzte ihr bezauberndes Lächeln auf. „Judith, dosiere dein Lächeln, sonst schmilzt der arme Kerl dahin“, stellte die Verwalterin fest. „Mädchen, auf euch muss man ja aufpassen, ihr geht schneller weg wie warme Semmeln. Gut dass eure Eltern nicht dabei sind, sonst bekommt ihr einen Mann als Aufpasser zugeteilt,“ erwiderte Frau Maurer. Eine Gruppe Menschen hörte einem Spielmann zu. Judith hoffte, dass bald auch einmal ein Markt auf der Burgwiese stattfinden würde. Sie liebte das Markttreiben, das pralle Leben, den Tanz auf der Straße. Mit Bedauern stellten die Mädchen fest, dass der Verwalter schon mit dem Holzwagen auf sie wartete und zum Aufbruch rief. Wie abschied nehmend schweifte der sehnsüchtige Blick von Judith auf das bunte Treiben der Marktfrauen. Zurück auf der Burg suchte sie sich ein ruhiges Plätzchen mit viel Licht aus. Sie fand im ersten Stock einen gemauerten Fenstersitz. Hier nahm sie wieder das kleine dicke Holzbüchlein zur Hand. Die Magd, Maria Müller, hatte folgende Worte eingetragen:
„Ich bin so froh, dass ich dieses kleine Buch habe, um meine Gefühle mitzuteilen. Mutter hat es mir zum Abschied geschenkt. Als sie es mir überreichte, standen Tränen in ihren Augen.“ „Das ist von jetzt an dein kleiner Freund, wenn du einsam bist, denn wir werden uns eine Weile nicht sehen können, wenn du auf der Burg arbeitest. Das Schreiben wird dir über die Einsamkeit hinweghelfen. Vielleicht findest du aber auch gute Freunde auf der Burg. Sei aber nicht so vertrauensselig. Es gibt auch viele Neider auf der Burg. Suche dir deine Freunde mit Bedacht aus, denen du dein Vertrauen schenkst. Bis bald mein Kind.“
„Liebes Tagebuch, es sind schon einige Monate vergangen, seit ich hier auf der Burg arbeite. Ich vermisse meine Mutter und meine Großmutter. Mutter hat mir geschrieben, dass Großmutter krank ist, und ich kann sie nicht besuchen. Aber wir brauchen auch dringend meinen Lohn, die Grafen bezahlen besser als die armen Bauern. Meist geben sie Mutter nur Naturalien: Eier, Kartoffeln, selbst Hühner, aber keine Taler. Mutter weiß gar nicht, wie sie die Reparaturen von unserem Haus bezahlen soll, seit Vater vor einem Jahr bei Holzarbeiten im Wald ums Leben kam. Ach, Vater du fehlst mir so. Du bist viel zu früh von uns gegangen.“ Hier war ein Absatz im Text und Judith sah, dass die folgenden Zeilen mit anderer Tintenfarbe weitergeschrieben waren. Hier hatte Maria vermutlich geweint und dann erst weitergeschrieben. „Ich hoffe, dass ich bald einen freien Tag bekomme und nach Hause fahren kann. Die Arbeit hier ist sehr hart. Das Tagewerk ist lang. Am 22.8.1562 gab es auf der Ronneburg ein Fest, der vierzigste Geburtstag des Grafen. Wir waren von 5 Uhr morgens bis 22 Uhr abends auf den Beinen. Ich durfte sogar im großen Saal bedienen. Der Herr Graf sah so stattlich aus. Er ist ein wirklich schöner Mann. Er war so freundlich zu mir, fast so als sei ich auch eine vornehme Dame. Nur die Gräfin war sehr gemein zu mir. Sie hat ein Glas Rotwein verschüttet und hat mich angeschrien, was ich doch für eine ungeschickte Bauernmagd sei. Sollte das noch einmal passieren, würde sie mich entlassen. Graf Wilhelm war für mich eingetreten. Ich hatte das Gefühl, dass sie das noch wütender machte.
Ich habe immer noch große Angst. Eben war ich beim Pferdestall, ich hatte eine Stunde frei und wollte ein Pferd striegeln. Der Stallmeister, der alte Bernhard hat es mir erlaubt, denn er weiß, dass ich Pferde liebe. Da, plötzlich packte mich ein junger Mann am Arm, er drückte mich an die Wand und riss mir mein Mieder auf. Ich schrie um Hilfe. Plötzlich hörte ich den Grafen zum ersten Mal schreien: „Du Tunichtgut, wie kannst du es wagen, das junge unschuldige Mädchen anzurühren.“ Er versetzte dem jungen Stallburschen einen Faustschlag ins Gesicht. „Du bist entlassen, packe Deine Sachen und verschwinde auf der Stelle!“ kommandierte der Graf. Der junge Mann rannte hinaus. Ich stand da wie gelähmt. Der Graf nahm mich in den Arm. Jetzt erwachte ich aus der Erstarrung und konnte weinen. „Weine nur Maria, das wird dir guttun.“ Dabei streichelte er mir liebevoll über den Kopf. „Es wird alles wieder gut.“ Er begleitete mich auf mein Zimmer. Ich bedankte mich für seine Hilfe. Ich fühlte mich so beschützt in seinen Armen. Ich finde ihn einfach ritterlich. Am nächsten Tag brachte mich der Graf mit seiner Kutsche zu meiner Mutter. Er sagte zu mir: „Maria, du brauchst nach dem Schrecken von gestern einfach einmal einen Tag frei.“ Ich bedankte mich sehr. Mutter war so erfreut über den unangemeldeten Besuch und auch Großmutter ging es, Gott sei Dank, etwas besser. Sie saß vor dem kleinen Fachwerkhaus auf der Bank, die mein Vater schon vor Jahren aus Baumstämmen gezimmert hatte. Mutter war so überrascht über meinen Besuch. Beinahe hätte sie das Tablett mit den Teetassen und der Teekanne fallen lassen. Sie stellte das Tablett auf dem Tisch ab und umarmte mich herzlich. Ihre Augen schimmerten feucht. Als die Kutsche schon im Wald verschwunden war, bemerkte Mutter: „Der Herr Graf muss mich für sehr unhöflich halten, denn ich habe ihm keinen Tee angeboten.“ „Mach dir keine Gedanken, Graf Wilhelm sieht das bestimmt nicht so.“