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Die junge Louise de la Valliere kommt an den Hof des Sonnenkönigs Ludwigs XIV. Der, obwohl verheiratet, möchte die junge, unschuldige Louise de La Valliere zu seiner Mätresse machen. Die Affäre, die Louise nach einigen Zögern eingeht, entwickelt sich zu einer echten Leidenschaft auf beiden Seiten. Es ist Louises erste Beziehung, und sie ist ein unschuldiges, religiös denkendes Mädchen, das weder mit Koketterie noch mit Eigennutz auf die Beziehung schaut, die gewissenhaft vertuscht wird. Intrigen, Schuldgefühle und höchstes Liebesglück bis zum bitteren Ende der Liebe werden durchlebt. Schlussendlich entsagt Louise dem Hof und geht zu den Karmelitinnen ins Kloster.
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Seitenzahl: 398
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Dora Duncker
Die Mätresse des Sonnenkönigs
Ein wundervoller Augusttag des Jahres 1661 neigte sich seinem Ende zu. Über den Türmen und den alten Befestigungsmauern des Schlosses La Vallière spann sich der Himmel mit zarten Rosawölkchen. Ein bezaubernder Duft von Frische, ein sanfter Hauch des Friedens lag über dem stillen Schlosspark mit seinen weiten grünen Wiesenflächen, seinen Weihern und leise rinnenden Wassern, seinen dunklen, schattenden Eichenbäumen.
Hinter einem der Boskette in der Nähe des großen Teiches girrte und schwirrte es von lustigen jungen Stimmen. Wie zwei weiße Tauben flatterten zwei junge Mädchen, dem Kindesalter kaum entwachsen, zwischen dem Grün hervor, ihnen nach ein paar wilde Knaben mit lautem fröhlichem Rufen.
„Halt doch, Louise - Rosalie - stehen bleiben - wir fangen das Spiel von vorne an - hört ihr denn nicht!“
Aber die beiden weißen Tauben waren davongeflattert wie der Wind, ohne sich auch nur nach den Knaben umzuschauen. Ärgerlich, dass der lustige Nachmittag auf La Vallière ein so rasches Ende haben sollte, hatten die jungen Leute kurz kehrtgemacht und waren dem Ausgang des Parks zu, auf der Straße nach Reugny, weitergeschritten.
Heiß und ein wenig außer Atem ließen sich die beiden Mädchen auf einer Bank, nahe dem Schlossaufgang, niedersinken.
„Warum eiltest du so, Louise? Das Spiel war doch so lustig! Ich spiele Blindekuh für mein Leben gern!“, fragte die kleinere der beiden, ein hübsches frisches Geschöpf mit schwarzem Haar und dunklen, lebhaften Augen.
„Die Mutter erwartet mich, Rosalie“, gab die andere mit einem leisen Seufzer zurück, indem sie die wundervollen blonden Locken aus dem zarten ovalen Gesicht strich.
„Sie hat mit mir zu sprechen. Ernstes, wie sie sagt.“ Die kleine Rosalie machte betrübte Augen.
„Du wirst doch nicht schon wieder fortmüssen von La Vallière? Das wäre gar zu traurig! Der Vater freut sich schon so darauf, dir die neuen Pflanzen zu zeigen, die er eigens für dich gezogen hat und die in nächster Woche ihre ersten Blüten ansetzen werden. Was willst du schon wieder in Blois bei den Orléans?“
Louise antwortete nicht gleich. Sie hatte den reizen den Kopf nachdenklich gesenkt und zog mit dem langen Stiel ihres Sonnenschirmes Figuren in den Sand.
Dann nach einer Weile sah sie mit traurigen Augen zu ihrer Jugendgespielin auf.
„Es ist ein Kurier vom Marquis de Saint Remi gekommen. Vielleicht hat er nichts Gutes für mich gebracht.“
Die Kleine trotzte auf.
„Ich verstehe deine Mutter nicht“, sagte sie ärgerlich, die junge Stirn in drollige Falten ziehend. „Ganz und gar nicht. Sie hat dich doch so lieb, weshalb denn richtet sie sich in allen Dingen, die dich betreffen, nach deinem Stiefvater?“
Louise lächelte ergeben.
„Sie haben mich beide lieb, Rosalie. Der Marquis ist wie ein wirklicher Vater für mich. Er kann für Catherine nicht besser sorgen, als er es für mich tut.“
Die Kleine zog das Näschen kraus und zuckte skeptisch mit den runden Schultern.
„Du kommst doch heute Abend noch mal zu uns herunter, Louise? Die Eltern würden sonst sehr traurig sein.“
Louise nickte. Dann sprangen sie beide auf, die kleine lustige Gärtnerstochter und die immer ernster gewordene Louise von La Vallière. Und während Rosalie munter über die weiten Rasenflächen in das hübsche alte Gärtnerhaus zwischen den Pappeln zurücksprang, stieg Louise langsam und nachdenklich hügelauf, dem alten Schlosse zu, über dessen Mauern die ersten Abendschatten krochen.
Die Marquise von Saint-Remi erwartete ihre Tochter. Liebevoll strich sie dem jungen Mädchen über das reiche blonde Haar und nötigte sie auf ein Taburett zu ihren Füßen.
„Mein liebes Kind“, sagte sie ein wenig feierlich - wie es letzthin ihre Art war, seit sie die Gattin Saint-Remis geworden „der Marquis und ich sind nach wohlerwogenem Überlegen zu einem Entschluss gekommen, den ich dir gerade hier in der Stille von La Vallière mitteilen möchte, damit du ihn in Ruhe in deinem Herzen bewegen kannst. Du bist stets ein liebevolles, sanftes Kind gewesen, du wirst deinen Eltern keinen Widerstand entgegensetzen, denn du weißt, was sie tun, tun sie zu deinem Besten.“
Louise nickte stumm und hielt das blonde Köpfchen gesenkt. Erst als die Mutter wieder zu sprechen anfing und dabei über sie fort durch das geöffnete Fenster in die dämmernde Landschaft hinausblickte, hob sie die ausdrucksvollen blauen Augen mit traurigem gespanntem Blick zu ihr auf.
„Du weißt, mein liebes Kind, weder die La Vallière noch die Saint-Remi gehören zu den reichen Leuten. So schön dein geliebtes La Vallière ist, so ist es, was seine Erträge betrifft, während der letzten Jahre immer wertloser geworden. Dein Vater war ein trefflicher Offizier, Ehre seinem Andenken, aber mit Glücksgütern war er nicht gesegnet, und Saint-Remis Einkünfte als Haushofmeister Gastons von Orléans reichen nicht aus, zwei erwachsene Töchter, wie du und Cathérine jetzt seid, standesgemäß zu erhalten und einen jungen Offizier, wie deinen Bruder François, angemessen zu unterstützen.“
„Ich weiß wohl, liebe Mutter! Ihr habt mancherlei Sorgen mit uns Kindern.“
Die Marquise nickte und fuhr noch um einen Grad feierlicher als zuvor in ihrer Rede fort.
„Meine liebe Louise Françoise, du bist die Erste, ja die Einzige vielleicht, die diese unsere Sorgen lindem kann! Der Marquis hat gefunden, wonach er schon lange gesucht, eine zuverlässige und vertrauensvolle Persönlichkeit, die deine Zukunft und damit einen Teil der unseren in die Hand zu nehmen versprochen hat. Frau von Choisy hat dir im Verein mit der mächtigen Montpensier eine Stellung als Ehrendame am Hofe Madames ausgewirkt!“
Louise sprang auf. Ihre Augen feuchteten sich. Ein schmerzliches Lächeln zog sich um ihren schön gewölbten Mund.
„Ich soll fort, an den Hof? Fort von euch allen? Allein?“ Ein Schluchzen brach aus ihrer jungen Brust. Die Marquise zog ihre Tochter fest in ihre Arme.
„Es ist kein Grund zum Weinen, mein geliebtes Kind. Ein herrliches Leben erwartet dich am Hofe Madames m der Nähe des Königs und der jungen Königin! Eine glänzende Zukunft eröffnet sich dir. Gibt es Beneidenswerteres? Große Männer, berühmte Frauen wirst du kennen lernen, an der Quelle alles Hohen und Schönen wirst du sitzen! Die Pracht von Versailles, Saint Germain und Fontainebleau wird sich dir erschließen! Du, die du so gern in Bücher dich versenkst, wirst sie lebendig werden sehen, all deine Träume vom Leben ...“
Aber Louise schüttelte traurig und verzagt den Kopf. „Ich gehöre nicht an den Hof, liebe Mutter - glauben Sie mir das.“
Die Marquise lächelte überlegen, indem sie ihre liebliche Tochter in der ersten Anmut ihrer knospenden Jugend betrachtete.
„Besser, als du glaubst, kleine Torin.“
Und weiter sprach sie von allen Wundern, die das Kind erwarteten, das aus den engen Grenzen eines provinziellen, oft beinahe ärmlichen Lebens noch niemals herausgekommen war.
„Und dann“, fuhr die Marquise fort, „wenn es dir gelungen ist, dir Madames Gunst zu gewinnen, wenn im Laufe der Zeiten vielleicht ein gütiger Blick aus den Augen unseres herrlichen Königs auf dich fällt, vermagst du viel für die Deinen zu tun. Nicht nur, dass wir dich selbst wohl geborgen, nahe den Stufen des Thrones wissen, nein, auch deinem Bruder kannst du durch deine Fürsprache zu einer raschen, glänzenden Karriere verhelfen, deinem Stiefvater zu einer Stellung am Hofe, einträglicher und befriedigender als die bei Gaston von Orléans, vergraben in der Provinz, wie es ist. - Hörst du, was ich sage, Louise Françoise?“
Das Mädchen nickte stumm. Ihr Ohr hatte die Worte der Mutter wohl vernommen, aber ihr Herz verschloss sich ihnen. Das lag in ihren Augen, die sehnsüchtig durch das offene Fenster in das Land ihrer Jugend flogen. Auf den kleinen Fluss, der so friedlich zwischen den hohen Pappeln dahinflog. Auf die Mühle, die seine Wellen trieben. Auf den spitzen Glockenturm von Reugny, auf die Weingärten, die nun bald in der Pracht ihrer edlen Früchte stehen würden, auf die dunklen Eichenwälder, die die sanfte lichte Landschaft wie in einen ernsten Rahmen fassten.
Zu all den frohen Spielen ihrer Jugend flog es zurück, dies bang schlagende Herz, deren Zeuge das geliebte La Vallière gewesen, zu den heiteren Gefährten, die diese Jugend bis zum heutigen Tage mit ihr geteilt, da sie mit der Mutter als Gast auf ein paar frohe Sommerwochen in der Heimat eingekehrt war.
Das alles sollte vorüber sein - vorüber für immer!?
Die Marquise war zu ihrer Tochter ans Fenster getreten und hatte den Arm um die zarten Schultern des gertenschlanken Geschöpfes geschlungen. Sie schien Louises Gedanken, so weit ab sie auch von den ihren gingen, erraten zu haben.
„Du sollst nicht ganz allein in die Fremde ziehen, mein liebes Kind. Ein Stückchen Jugendfreundschaft soll dich begleiten. Ich werde gleich morgen mit Gilbert sprechen, dass er dir Rosalie als Kammermädchen mitgibt.“
Ein schwacher Strahl der Freude erhellte des Mädchens blasses Gesicht.
„Auch sollt ihr die Reise nach Paris nicht allein machen. Der Marquis wünscht zwar aus diplomatischen Gründen nicht, dass wir dich begleiten - aber ein Kurier ist schon zu deiner alten Freundin Frau von Fleuvigny unterwegs. Ihr Gatte ist in geheimer Mission beim König. Es war die Rede davon, dass Frau von Fleuvigny ihm folgen sollte, um ein paar der großen Hoffeste mitzufeiern Sie wird sich sicherlich nicht weigern, dich unter ihren Schutz zu nehmen.“
„Oh, Suzette“, sagte Louise, ein weniger ruhiger geworden, „die liebe kluge Suzette. Ihr vertraue ich mich gerne an.“
Frau von Saint-Remi küsste ihre Tochter auf die Stirn und schlug das Kreuz über sie.
„Und nun geh mit Gott, liebe Tochter. Und wenn du unseren Entschluss überdenkst, so vergiss nicht, dass wir dabei in erster Stelle dein Glück und deine Zukunft im Auge haben. Kann sie am Hofe Louis’ XIV. anders als eine glänzende für dich sein?“
Wortlos küsste Louise die Hand der Mutter. Dann verließ sie ein wenig schleppenden Ganges das Gemach.
Einen Augenblick zog es wie Schatten über das Gesicht der Marquise, als sie ihrer Tochter nachsah. Aber die Schatten schwanden schnell. Obwohl Louise ein wenig lahmte, war sie bei den jugendlichen Tanzfesten der Orléans stets die graziöseste und begehrteste Tänzerin gewesen, bei allen Jagden die schneidigste Reiterin. Die Marquise lächelte. Es würde Louise Françoise am Hofe des galanten Königs nicht fehlen.
Jean Gilbert, der alte Gärtner, der seit mehr als fünfundzwanzig Jahren im Dienst der La Vallière stand, der vor nun siebzehn Jahren die kleine Louise Françoise hatte auf die Welt kommen sehen, der sie mit seiner Rosalie zusammen auf den Knien geschaukelt hatte, stimmte freudig zu, dass seine Tochter das Fräulein begleitete.
Wenn es denn ausgemachte Sache war, dass das arme, schöne, sanfte Ding von seinen geliebten Blumen fort an den Hof musste, sollte wenigstens die beherzte Rosalie an der Seite des Fräuleins bleiben, solange das Fräulein Louise sie behalten mochte. Rosalie war ein arger Strick und ein kleiner Wildfang, aber sie hatte Herz und Mund auf dem rechten Fleck und wusste genau was sie wollte. Das Fräulein aber war bei all seiner Schönheit und Liebenswürdigkeit viel zu gutherzig, weich und nachgiebig für die große Welt. Dem konnte es nicht schaden, wenn es ein so derbes gesundes Holz wie seine Älteste zum Anlehnen in der Nähe hatte.
So meinte der alte Jean Gilbert, der das Leben zu kennen glaubte.
Frau von Fleuvigny hatte ihre Ankunft in La Vallière für die Mitte des Oktobers festgesetzt.
Es war beschlossen worden, nicht erst nach Blois zurückzukehren, sondern die letzten schönen Herbstwochen in der alten lieben Heimat zu verleben. Louise hatte Muße, sich an den Abschied von La Vallière und den Ihrigen zu gewöhnen. Allgemach fing sie sogar an, der Zukunft zuversichtlicher ins Auge zu blicken.
Ihre immer rege Fantasie schuf sich die Bilder der Menschen, mit denen sie fortab leben sollte. Sie malte sich Madame und ihren Hof ein wenig in den Farben aus, mit denen die Mutter ihn geschmückt hatte.
Sie fing an, sich die junge Königin vorzustellen, deren Anmut man ebenso laut pries wie ihren frommen, rechtlichen Sinn. Auch von Anne d’Autriche, von der die Orléans so oft gesprochen, begann Louise sich ein Bild zu machen. Wenn es so war, dass diese Königin nach allen Stürmen, die ihr Leben durchbraust hatten, jetzt nur noch dem Glück ihrer Kinder lebte, so mochte für ihr eigenes kleines schüchternes Herz am Ende kein Grund zum Bangen vor der mächtigen Frau vorhanden sein!
Am wenigsten gelang es Louise, sich den König in irgendwelchen festen Umrissen vorzustellen. Sie hatte nie ein Bild von ihm gesehen, sie hatte nur gehört, dass er ein auffallend schöner, ritterlicher Mann sein sollte.
Vergebens grübelte sie darüber nach, wir der allmächtige Herrscher Frankreichs in Wahrheit aussuchen, wie sein Wesen, seine Sprache sein mochte. Hatte sie ein mal ein Bild dafür gefunden, zerfloss es auch also gleich wieder. Am Ende tröstete sie sich. Was ging sie schließlich der König an, der schwerlich jemals etwas von der Anwesenheit der kleinen Provinzialin an seinem glänzenden Hof bemerken würde!
Heute, an einem wundervoll milden Oktobertag, saß Louise unter den Eichen in der Nähe des großen Teiches, auf den die Herbstsonne glitzernde goldene Scheiben warf. Neben ihr auf der Bank lag ein neuer Roman Frau von Scuderys, aber sie blickte nicht hinein.
Sie befand sich heute in einer besonders frohen Stimmung, der sie träumerisch nachhing. Briefe aus Blois waren gekommen, von ihrem Stiefvater und Catherine, alle voll von Freude und Dankbarkeit, dass die liebe Tochter und Schwester nun bald ihrer aller Wohl in Händen halten sollte! Louises schöne Augen leuchteten unter den langen dunklen Wimpern hervor. Ihr höchstes Glück war es von je gewesen, Glück bereiten zu dürfen.
Auf der stillen Straße in ihrem Rücken, die von Reugny herüber führte, wurde plötzlich Pferdegetrappel laut. Dann ein kurzes scharfes Parieren. Der Reiter musste ganz in ihrer Nähe am östlichen Parktor gehalten haben.
Schon hörte sie rasche Schritte sich ihrem Sitz unter den Eichen nahen. Sie hob das Auge. Im gleichen Augenblick fast gab eine Lücke in dem dichten Boskett den Blick auf einen jungen, schmal und schlank gewachsenen Mann frei, der mit blassem Gesicht und gespannten Mienen auf Louise zuschritt. Das junge Mädchen erhob sich rasch und ging dem Ankommenden entgegen.
„Bragelonne“, rief sie überrascht, „wo kommen Sie so plötzlich her?“
Der junge Mensch, bleicher noch geworden, da er Louise nun ganz nahe gegenüberstand, beugte sich auf die Hand des jungen Mädchens und küsste sie leidenschaftlich. Sanft entzog ihm Louise ihre Hand.
Der Graf stammelte Unverständliches.
„Wollen Sie sich nicht setzen?“ bat Louise. „Sie sind ja ganz außer Atem von dem schnellen Ritt.“
Er schüttelte den Kopf und sah sie aus seinen warmen dunklen Augen traurig an.
„Ich habe keine Ruhe“, sagte er mit leiser Stimme, in der die unterdrückte Leidenschaft zitterte, „bevor ich nicht weiß, dass das, was man mir gesagt, ein Irrtum ist. Sagen Sie, Louise - von Ihren eigenen Lippen muss ich es hören, wenn ich nicht verzweifeln soll - Sie - Sie gehen nicht an den Hof?“
Das junge Mädchen sah den Aufgeregten befremdet an. Dann schüttelte sie sanft den reizenden Kopf.
„Es ist kein Irrtum, Graf. Ich gehe an den Hof, in wenigen Wochen schon. Ist das etwas so Fürchterliches, dass Sie bei dem bloßen Gedanken schon außer sich geraten?“ Sie hatte sich langsam auf die Bank zurücksinken lassen.
Bragelonne stürzte wie gefällt vor ihr auf die Knie. Mit beschwörenden Blicken sah er zu ihr auf. Mit eiskalten Händen griff er nach den ihren.
„Sie dürfen nicht, Louise - ich beschwöre Sie! Sie nicht, so rein, so keusch, so unwissend, so vertrauensselig, an diesen Hof, an dem alles eitel Glanz, leerer Schein, Falschheit, Lüge ist! Ich beschwöre Sie, Louise, stehen Sie ab von diesem unglückseligen Plan, der Sie, mich, uns alle ins Verderben stürzen wird!“
Mit rascher Bewegung machte Louise sich von Bragelonnes verzweifelten Griffen los und schüttelte unwillig den Kopf.
„Wie dürfen Sie so sprechen, Graf! Wie dürfen Sie den Hof so lästern! Im Übrigen ist es beschlossene Sache und der Wunsch meiner Eltern.“
Bragelonne war aufgestanden und hatte die Lippen fest zusammengebissen.
„Und Ihr eigener, Fräulein von La Vallière“, murmelte er bitter.
„Vielleicht“, sagte sie und hob die zarten Schultern ein weniges. „Vielleicht ist er es geworden, seit ich mich an den Gedanken gewöhnt habe. Ist es nicht besser so, als wenn ich mit Abscheu ginge?“
Er sah von ihr fort und starrte finsteren Blickes auf den Teich hinüber, auf dem noch immer die goldenen Sonnenflecken spielten.
„So sind Sie für mich verloren, Louise, auf ewig verloren!“
Ihr Herz zitterte unter seinen verzweifelten Worten, beim Anblick seiner völlig zusammengebrochenen Gestalt. Sanft legte sie die Hand auf seinen Arm.
„Nicht doch, Graf! Weshalb sollte ich Ihnen verloren sein? Der Weg zu mir steht Ihnen immer frei. Sie können mich besuchen! Die Ehrendamen Madames sind keine Gefangenen. Dann reden wir von der Heimat - und Sie bringen mir wieder Veilchen - wie sonst. Oder haben Sie die Veilchen heute vergessen, Graf?“
Er lächelte trübe und griff in seine Brusttasche, wo wohlverwahrt in einer Papierhülle ein duftender Veilchenstrauß steckte. Louise nahm ihn aus Bragelonnes immer noch kalter, bebender Hand und versteckte ihr Gesichtchen in der zarten, duftenden Blütenpracht.
„Dank, lieber Graf - und nicht wahr, Sie vergessen meine Veilchen und Ihre kleine Jugendfreundin Louise nicht?“
Bragelonne erwiderte den Druck der schlanken, weißen Hand, aber er wandte den Blick. Er wollte Louise nicht sehen lassen, dass Tränen in seinen Augen standen.
Eine lange Weile schwiegen beide. Dann wandte Bragelonne sich Louise wieder zu. Er schien ruhiger geworden zu sein.
„Verzeihen Sie den ungestümen Ausbruch meines Schmerzes, Louise! Sie wissen seit lange, dass es für mich nur einen Gedanken auf der Welt gibt, für den ich lebe und sterbe, er heißt: Louise von La Vallière! Ich hoffte, wenn nicht im Sturm, so doch in treuer, ausdauernder Liebe mir Ihr Herz zu gewinnen - Ihre Freundschaft in Liebe verwandelt zu sehen. Heute begrabe ich diese Hoffnung auf ewig. Glänzendere Gestalten als die des armen Bragelonne werden fortab Ihre Wege kreuzen - der Jugendfreund wird auf immer vergessen sein!“
Er konnte es nun doch nicht hindern, dass sie die Tropfen in seinem Auge sah.
Auch Louise war tief bewegt durch den Schmerz, den sie dem Freunde zufügen musste. Was hätte sie darum gegeben, ihm diese traurige Stunde ersparen zu können! Aber so gern sie gewollt, sie hatte ihm, ehrlichen Herzens, keinen anderen Trost zu geben als den einen: dass sie ihn nie vergessen, dass sie ihm Freundschaft bewahren würde, was immer das Leben ihr bringen möge!
Noch einmal küsste er ihre schlanken Finger, lange, heiß. Zugleich mit seinen Küssen brannten seine Tränen auf ihrer Hand. Dann schritt er, ohne sich noch einmal umzuschauen, dem östlichen Parktor wieder zu. Bald verschlangen die dichten Boskette seine schlanke, gebeugte Gestalt.
Louise Françoise verbarg das blasse Gesicht in den Veilchen, den letzten, die der Jugendfreund ihr nach La Vallière gebracht. Und während sie dem harten Hufschlag des Pferdes auf der Straße nach Reugny nachhörte, fragte sie sich, nicht ohne Bangen: Wann und unter welchen Verhältnissen werde ich Bragelonne Wiedersehen?
Während Louise Françoise ihre letzten Reisevorbereitungen traf, saßen die Marquise von Saint-Remi und Frau von Fleuvigny in ernstem Gespräch zusammen.
Der schöne Oktobertag war längst in den Abend gesunken. In dem mächtigen Kamin des niederen, etwas düsteren Gemaches prasselten die Holzscheite und vermischten den Schein ihrer roten Glut mit dem bleichen Licht der Wachskerzen in den verschnörkelten Wandleuchtern.
Die Marquise hatte der jungen Frau aufmerksam zugehört. Zuweilen war es wie nachdenkliches Bedauern über ihr Gesicht gegangen, immer wieder aber hatte die zuversichtliche Haltung den Sieg davongetragen.
„Meine liebe Frau von Fleuvigny“, meinte sie endlich, „es mögen viele Ihrer Bedenken zutreffend sein. Dennoch können weder der Marquis noch ich daran denken, von unserem Entschluss zurückzutreten. Es ist wahr, dass das Gehalt von sechshundert Francs, das die Ehrendamen Madames beziehen, längst nicht einmal für die geforderten Toiletten ausreicht. In unserem Fall ist Louise auf diesem Punkt durch das kleine Vermächtnis ihrer Patin sichergestellt -“
„Und der Ton am Hofe Madames?“, fiel Frau von Fleuvigny lebhaft ein. „Ich kenne ihn leider sehr genau. Madame ist trotz aller Liebenswürdigkeit von unberechenbarer Launenhaftigkeit. Ihre Ehrendamen sind heute ihre Puppen und morgen, wenn es ihr so passt - ihre Dienstboten.“
Die Marquise lächelte überlegen.
„Sie übertreiben wohl ein wenig, meine liebe Frau von Fleuvigny. Ihre Freundschaft für Louise lässt Sie zu schwarz sehen!“
Frau von Fleuvigny seufzte.
„Wollte Gott, es wäre so!“
Dann brach sie das Gespräch, von dem sie überzeugt war, dass es doch zu nichts führen würde, ab. Es war von den letzten Reisevorbereitungen und den Abschiedsbesuchen die Rede, die in der Nachbarschaft noch gemacht werden mussten. Am Ende kam man auch auf die Bragelonne.
„Es ist nicht nötig, dort Lebewohl zu sagen“, meinte die Marquise. „Die alten Herrschaften sind noch auf Reisen, und der junge Graf hat sich schon selbst empfohlen, wie mir Louise gesagt.“
Die beiden Frauen sahen sich fragend in die Augen. Dann zuckte die Marquise von Saint-Remi die Achseln.
„Ich habe keine Ahnung, wie die beiden stehen - wenn Sie, Louises vertraute Freundin, es nicht wissen!“
„Louise ist sehr verschlossen.“
„Wenn Sie mich ehrlich fragen, ich glaube nicht, dass meine Tochter die stürmische Neigung des Grafen erwidert. Ich hätte es nicht ungern gesehen. Die Bragelonne sind vornehme Menschen, und wenn auch nicht gerade reich, so doch leidlich begütert. Am Ende wird sich am Hofe leicht eine bessere Partie für Louise Françoise finden.“ „Vielleicht auch entdeckt sie erst da ihr Herz für den prächtigen, jungen Menschen. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine neue Welt die Augen für die verlassene alte erst erschließt.“
Eine Woche nach diesem Gespräch hielt der große, schon etwas altersschwache Reisewagen an der Haupteinfahrt von La Vallière. Louise barg ihr tränenüberströmtes Gesicht an der Brust der Marquise.
„Leben Sie wohl, liebe, liebe Mutter“, schluchzte sie, „vergessen Sie Ihre arme Louise nicht. Behalten Sie sie lieb. Und Dank, Dank für alles.“
Endlich war schweren Herzens der letzte Abschiedskuss getauscht. Louise nahm ihr schlichtes, graues Reisekleid zusammen und stieg zu Frau von Fleuvigny in den Wagen. Jetzt erst bemerkte sie, dass die ganze Dienerschaft von La Vallière bereitstand, ihr ein letztes Lebewohl zu sagen, allen voran der alte Gärtner Jean Gilbert mit einem mächtigen Korb der schönsten Blumen. Er hatte alle Gewächshäuser geplündert, um dem armen, lieben Fräulein von seinen kostbaren Schätzen mit auf den Weg zu geben.
Rosalie, die auf dem Bock neben dem Kutscher thronte, hatte auch ihr Sträußchen an der Brust. Lustig lachten ihre schwarzen Augen auf die Abschiedsszene herunter. Der kleine Wildfang begriff es nicht, wie man weinen könne, wenn es hinausging in die schöne, weite Welt.
Gerade wollte die schwerfällige Kalesche sich in Bewegung setzen, als auf der Straße ein halbwüchsiger Bursche auftauchte, der schon von weitem eifrig mit einem weißen Päckchen winkte. Als er näher kam, bemerkte die Marquise, dass er die graue Livree der Bragelonne trug. Atemlos gelangte er an den Wagenschlag und überreichte dem Fräulein von La Vallière das kleine, weiße Paket. Dann zogen die Pferde an.
Louise lehnte sich weit aus dem Wagen; sie winkte den Zurückbleibenden mit der Hand sehnsüchtige Grüße zu. Dann, als bei einer scharfen Wegbiegung Schloss La Vallière mit seinen alten Türmen, seinen efeuumsponnenen Mauern, mit seinem Kranz von roten und bronzefarbenen Eichenwäldern verschwand, sank Louise Françoise schluchzend in den Fond des Wagens zurück.
Ihr Herz zog sich in wildem Weh zusammen. Sie hatte ein Gefühl, als sei mit diesem Abschied von der geliebten Heimat das unschuldige Glück ihrer Jugend gestorben.
Es war an einem frühen Nachmittag, als die Kalesche mit den beiden Damen und der lustigen Rosalie vor dem Tor eines geachteten Gasthofs in Tours hielt.
Frau von Fleuvigny, ermüdet und hungrig, wollte ihr Zimmer nicht mehr verlassen und sich zeitig zur Ruhe begeben. Louise aber ließ es keine Ruhe, bevor sie Rosalie das alte Haus nicht gezeigt, in dem sie geboren worden war, und die Kirche von Saint-Saturin, in der sie einen Tag nach ihrer Geburt das heilige Sakrament der Taufe empfangen hatte.
Das Hotel de la Crouzille in der Rue de Commerce Nr. 1 war nicht schwer zu finden. Louise erkannte es schon von weitem an dem großen Muschelornament an der Front, von dem ihr Vater ihr oft gesprochen hatte. Gaston von Orléans, dessen Gelehrsamkeit und reichen Bücherschätzen Louise mancherlei Kenntnisse verdankte, hatte ihr erzählt, dass die Baumeister der Renaissance gern dergleichen griechische Motive verwandt hätten, vornehmlich das Muschelmotiv, das auch an den meisten Bildwerken der wellenentsteigenden Venus zu sehen war.
Vor ihrem alten Geburtshaus brachte sie heute ihre junge Weisheit bei Rosalie an den Mann. Das lustige Mädel hörte Louise scheinbar aufmerksam zu, während ihre Gedanken ganz woanders waren. Sie zählte aufmerksam die Fenster des Hauses und riet hin und her, hinter welchem ihre junge Herrin wohl geboren sein möge?
Der wundervolle romanische Bau von Saint-Saturin, mit seinen herrlichen Skulpturen aus dem XVI. Jahrhundert, interessierte Rosalie noch weniger. Es hatte eben weder Kunstverständnis noch Sinn für Traditionen, dies lustige kleine Ding, das sich so sehr auf die gegenwärtige Welt freute!
Nach mancherlei Streifereien durch die Stadt kamen die Mädchen gegen Abend in den Gasthof zurück. Frau von Fleuvigny war gerade dabei, sich zur Ruhe zu begeben. Louise küsste sie und wünschte ihr eine gute Nacht. Dann ging sie in das kleine Zimmer hinunter, in dem Rosalie ihr den Abendimbiss bestellt hatte.
Auf dem Tisch neben den Platten mit kaltem Geflügel und Früchten lag die „Gazette de France“. Louise nahm selten die Zeitung zur Hand, auch in Blois nicht, trotzdem ihr Stiefvater darauf hielt, dass die Töchter dem Beispiel der Prinzessinnen von Orléans folgten und sich mit den Tagesereignissen auf vertrautem Fuß hielten. Louises fantastisches Köpfchen aber hatte wenig Sinn, weder für Politik noch für andere Dinge, die der Mitwelt wichtig scheinen.
Heute, da sie allein war - Rosalie, der es die Marquise zur Pflicht gemacht, in der Jugendgespielin fortan nur die Herrin zu respektieren, speiste allein auf ihrem Zimmer - nahm sie aus Mangel an besserer Gesellschaft das Blatt zur Hand. Finanzangelegenheiten, wirtschaftliche Abhandlungen, Kriegsfragen! Schon wollte sie die Zeitung gelangweilt wieder aus der Hand legen, als ihr am Ende der ersten Seite der Name des Königs ins Auge fiel. Aufmerksam fing Louise zu lesen an. Es war von einem Jagdritt Louis’ XIV. nach Fontainebleau die Rede.
„Wie Augenzeugen melden, scheute auf dem Wege nach Fontainebleau das Pferd eines Bauernwagens infolge des raschen Rittes und des Glanzes der königlichen Suite. Der König parierte sein Pferd, stieg als Erster aus dem Sattel, fiel dem hoch aufbäumenden Tier des vor Schreck fassungslosen Bauern in die Zügel und führte es seitab an den Waldrand, wo das Tier sich alsbald beruhigte. Der Bauer erhielt ein ansehnliches Geldgeschenk als Pflaster für den ausgestandenen Schrecken. Man sieht, unser ritterlicher König versteht es, galant und liebenswürdig nicht nur gegen schöne Frauen zu sein.“
Louises blaue Augen leuchteten. Ihre Fantasie spiegelte ihr die kleine Szene mit allerhand buntem, romantischem Beiwerk wider. Sie sah den jungen König als Helden eines Abenteuers, das er mit eigener Lebensgefahr bestand.
Aber wiederum geschah es ihr, dass sie sein körperliches Bild nicht festhalten konnte. Bald sah sie Louis als heiligen Georg mit der Lanze gegen den Drachen kämpfen, bald als Achill mit goldenem Helm, bald als gewöhnlichen Sterblichen in der Gestalt irgendeines gleichgültigen Edelmannes, der ihr da oder dort einmal begegnet war.
Sie schob die kaum angerührten Speisen beiseite und grübelte gesenkten Hauptes. Als ihr Blick dabei auf das weiße Päckchen Bragelonnes fiel, das noch immer ungeöffnet geblieben und das Rosalie ihr mit leiser Mahnung neben das Obstkörbchen gelegt, nahm Louise es mechanisch in die Hand und erhob sich von ihrem einsamen Sitz an dem großen Tisch.
Sie wollte in ihr Schlafzimmer hinaufgehen, das neben dem der Freundin lag. An der Treppe kehrte sie wieder um. Sie fühlte, sie würde noch keinen Schlaf finden können.
In dem Halbdunkel des schwach erleuchteten Flurs verfehlte sie den Eingang zu dem kleinen Gemach, aus dem sie gekommen war. Schwer und größer war die Tür, die sie aufstieß. Sprachlos blieb Louise auf der Schwelle stehen.
Vor ihr tat sich ein hell erleuchteter Raum auf, augenscheinlich für ein Fest geschmückt. Eine reich dekorierte Tafel, silbernes Gerät, Armleuchter und Fackelständer, in denen eine Menge von Wachskerzen brannten.
Plötzlich stockte ihr Fuß. Geblendet schloss sie für einen Augenblick die Augen. In die Querwand eingelassen, gerade der Stelle gegenüber, an der sie stand, sah sie ein Gemälde, das ihr den Atem stocken machte.
Was waren alle Fantasiegebilde, die sie sich geschaffen, gegen dieses Abbild der Wirklichkeit! Hoch aufgerichtet stand des Königs elastisch majestätische Gestalt, von einem silberblinkenden Harnisch umschlossen, über den ein breites, blaues Ordensband lief. Über die Schultern fiel wallend ein blauer, goldgestickter Mantel, von goldenen Schnüren gehalten. Die leuchtenden Augen in dem schönen, jungen Gesicht sahen gerade aus, als ob sie mit ihrem Siegerblick die Louises treffen wollten.
Mit gefalteten Händen stand das Mädchen da. Das weiße Päckchen Bragelonnes war ihren Händen entfallen, sie bemerkte es nicht. Tiefer und tiefer versenkte sie sich in das schöne, herrische Antlitz, das ihr Entzücken und Furcht zugleich einflößte.
Der laute Anruf ihres Namens weckte sie aus ihrem traumhaften Zustand. Rosalie stand hinter ihr. Sie sah nicht nach dem Bilde, nur nach ihrem Fräulein, das sie im ganzen Haus vergebens gesucht hatte.
„Es ist spät, Fräulein von La Vallière“, mahnte die kleine Gilbert mit ihrer lustigen Stimme.
Als das Fräulein sich nicht rührte, trat Rosalie ganz nahe zu ihr hin. Dabei bemerkte sie das weiße Päckchen auf dem Boden. Die Kleine schalt ärgerlich vor sich hin und nahm es an sich. Und da das Fräulein noch immer wie verzaubert mit den Blicken an dem Bild des schönen, fremden Ritters hing, machte Rosalie rasch ein Ende und öffnete selbst das kleine Paket.
Ein Kästchen aus Rosenholz kam zum Vorschein. Als Rosalie neugierig das Schloss geöffnet hatte, sah sie auf weißem Samtpolster ein feines Kettchen liegen, an dem ein aus zarten lila Edelsteinen geformtes Veilchen hing.
Das Mädchen brach in einen hellen Ruf des Entzückens aus. All den ihr anempfohlenen Respekt vergessend, nahm sie die Jugendgefährtin kräftig bei den Schultern, drehte sie von dem Bildnis des geharnischten Ritters fort und hielt ihr das reizende Schmuckstück vor die Augen.
„Sehen Sie nur, Fräulein, was Ihr Veilchenkavalier Ihnen schickt!“
Louise sah mit wehmütigen Blicken auf das Veilchen aus blasslila Edelsteinen. Dann behielt sie es mechanisch in der Hand, wie sie zuvor das weiße Päckchen in der Hand behalten hatte.
Langsam, mit schleppendem Schritt, folgte sie der eilends voranschreitenden Rosalie.
An der Tür sah sie sich noch einmal nach dem Bilde um. Dann wandte sie rasch, furchtsam fast, den Blick und stieg in ihr Schlafgemach hinauf.
Mit so wenig Unterbrechungen, als es sich irgend einrichten ließ, wurde die Fahrt von Tours nach Paris zurückgelegt. Frau von Fleuvigny sehnte sich nach ihrem Gatten. Auch sollte die Reise nach Möglichkeit verbilligt und die Nachtquartiere in den Gasthöfen gespart werden.
Bei ihrer Ankunft wurden die Damen ohne besonderes Zeremoniell kühl und steif von Frau von Choisy empfangen. Bis zur Vorstellung Fräulein von La Vallières am Hofe Madames und ihrer offiziellen Ernennung zur Ehrendame hatte man ein bescheidenes Quartier im Palais de Luxembourg für sie bestimmt, in dem die „Grande Mademoiselle“, die Tochter erster Ehe Gastons von Orléans, residierte.
Louise war enttäuscht. Sie hatte sich ihren Einzug in Paris anders vorgestellt. Vielleicht nicht mit mehr Glanz, aber mit mehr Wärme und Herzlichkeit. Frau von Fleuvigny tröstete, ein wenig gegen ihre Überzeugung, ein wenig zerstreut auch, da ihr Gatte mit dem König in Compiègne war und erst in drei Tagen zurückerwartet wurde.
Während Rosalie in den königlichen Gärten umherstrolchte und in den Gewächshäusern eine ganze Menge neuer Blumenarten entdeckte, von denen sie dem Vater unbedingt berichten musste, vertrieben sich die einsamen Frauen die Zeit damit, aus den Fenstern ihrer hoch gelegenen Wohnung Louises künftige Heimat kennen zu lernen. Zärtlich umschlungen sahen sie über die engen und niederen Häuser fort auf Paris, die Stadt des verschwenderischen Genusses, hinüber auf den Glanz des Louvre und die stolzen Tuilerien.
Dann, als sie ahnungslos sich zur anderen Seite wandten, lief ein Schauer über sie hin. In düsterem Gegensatz zu Glanz und Pracht und Farbe sahen sie auf finstere Klöster, auf unheimliche Häuser strenger, religiöser Zurückgezogenheit. Die Mauern der Chartreux, die Kuppel von Val-de-Grâce starrten ihnen entgegen, und abseits dieser beiden ein großer, finsterer Bau, dessen Name allein genügte, all denen kalte Schrecken durch das warme Blut zu jagen, die die Welt mit ihrem Glanz und ihren Freuden liebten - das Kloster der Karmeliterinnen.
Schaudernd wandten sich die Frauen und hielten sich fester umschlungen.
Der gelbe Saal im Palais Royal strahlte hell im Glanz seiner Lichter und kristallenen Spiegel. Madame hielt, wie jeden Sonnabend, ihren Spielcercle en petit comité.
Die Diener hatten Befehl erhalten, heute nicht mehr als fünf Spieltische auf zustellen. Die schöne Henriette erwartete von ihren Intimen nur die Intimsten.
Lange vor der Zeit hatte sie selbst den gelben Saal betreten. Zerstreut, die schöne junge Stirn in nachdenkliche Falten gelegt, schritt sie zwischen den Spieltischen auf dem blanken Parkett auf und nieder. Die nachdenklichen Falten verschwanden und ihre Züge erhellten sich erst wieder, als sie in einem der in die Wand gelassenen Spiegel ihr eigenes Bild erblickte. Ihre lebhaften dunklen Augen leuchteten auf.
Wahrhaftig, er hatte Recht, der Spiegel - und ein anderer auch: Sie war schön!
Mit drolliger Schwermut seufzte sie auf. Warum nur hatte dieser andere erst jetzt Augen für ihre Schönheit - jetzt, da es eigentlich nicht mehr sein sollte!
Dann lächelte Henriette von England ihrem schönen Spiegelbild wieder zu, sorglos, ein wenig leichtsinnig, ein wenig kokett. Im Grunde lohnte es nicht, sich den Kopf darüber zu zerbrechen! Mit ihren siebzehn Jahren, was wollte sie andres als leben und glücklich sein!
Nur Vorsicht war geboten - große Vorsicht vor den Späheraugen ihres eifersüchtigen Gatten, vor der Königinmutter eindringlicher Aufmerksamkeit, die wie ein Argus über dem legitimen Glück des königlichen Hauses wachte, vor den Beobachtungen der Herzogin von Navailles, die der Königin so ganz ergeben war, dass sie sich gegen jeden Schatten, der Marie Thérèse bedrohte, mit Löwenmut gewehrt haben würde.
Henriette bog das pikante Köpfchen mit dem hochgetürmten Haaraufsatz, in dem die brillantenbesetzte Haarschleife funkelte, lauschend zur Seite. War das nicht ein wohlbekannter, fester und doch so elastischer Schritt - ein Schritt, den ungezählte Tausende kannten und der doch in diesem Augenblick nur für sie auf der Welt war!
Sie huschte an die kostbare Gobelinportiere und lüftete sie ein wenig. Dann ließ sie den schweren Stoff errötend wieder fallen. Triumphierend lachten ihre Augen. Sie hatte sich nicht getäuscht - der König kam!
Mit einem Lächeln trat er ein, seiner schönen Schwägerin beide Hände küssend, länger und zärtlicher, als das Zeremoniell es verlangte. Die junge Prinzessin sah strahlenden Blicks zu dem König auf. Dann hob sie den Finger scherzhaft drohend gegen ihn.
„Eigentlich müsste ich schelten, Sire! Der galanteste Mann Frankreichs - und zu spät beim Rendezvous!“
„Ist es ein Rendezvous, Henriette?“, neckte Louis. „Ich hielt es für eine simple Schachpartie. Aber in der Tat, ich muss mich entschuldigen - im letzten Augenblick noch brachte Fouquet einen Haufen Dekrete zur Unterschrift.“ Dabei warf der König einen Blick nach der Boulle-Uhr auf dem Kaminsims.
„Eine Viertelstunde nach der Zeit. Diesen Finanzminister soll der Teufel holen! Er hat mich heute nicht nur wieder Unsummen Geldes, sondern auch eine kostbare Viertelstunde gekostet. In diesem Fall eine sehr kostbare sogar.“
Er nahm die Hand Madames und streichelte sie.
„Und nun, was ist das Wichtige, das Ihr Briefchen andeutet?“
„Wichtiges und Dringendes, Sire.“
Sie zog ihn zu einem Spieltisch in der Nähe des Kamins - ein wenig abseits von den anderen Tischen auf dem das Schachbrett und die Figuren schon bereitstanden.
„Wir tun am besten, Sire, sogleich ein Spiel zu markieren, damit meine Gäste uns beschäftigt finden.“
Der König lächelte.
„So vorsichtig, Henriette? Das pflegte doch sonst nicht Ihre Art zu sein.“
„Muss es aber künftig werden, Sire - man beobachtet uns.“
Des Königs Stirn zog sich in ärgerliche Falten.
„Späher und kein Ende!“
Henriette lächelte und machte einen fingierten Zug auf dem Schachbrett.
„Schach dem König. So weit sind wir noch nicht, Louis. Die Grande Mademoiselle hat mich durch die Blume gewarnt - wie ich glaube, aus gutem Herzen.“
„Zum Teufel soll sie sich scheren mit ihrem guten Herzen! Sie täte besser daran, diese Montpensier, ihre Autorität bei Hofe nicht zu missbrauchen, sich um ihr Literatur-Porträt zu bekümmern und uns mit ihrer Fürsorge zu verschonen.“
Der König war aufgestanden und ging mit großen, raschen Schritten im Zimmer auf und nieder.
„Sie soll heute Abend nicht viel Liebenswürdiges von mir zu hören bekommen.“
„Sie werden wenig Gelegenheit haben, Sire, die Arme zu kränken. Sie hält große literarische Versammlung im Luxembourg. Wir werden schwerlich das Vergnügen haben, sie an unserem Spielabend zu sehen.“
„Umso besser“, sagte Louis besänftigt und setzte sich der Prinzessin wieder gegenüber, ihre reizende Gestalt mit den Blicken verschlingend.
„Wie entzückend Sie heute sind, Schwägerin! Wie das Perlgrau des Kleides Ihrer weißen Haut schmeichelt! Wahrhaftig, ich gönne Sie Philippe täglich weniger.“
„Warum sind Sie nicht früher auf diesen guten Gedanken gekommen, Sire?“, schmollte Henriette, ihn kokett mit ihren schwarzen Augen anblitzend. Als der König eine Antwort geben wollte, unterbrach sie ihn rasch.
„Ich weiß, was Sie sagen wollen, Sire! Ich will Ihnen das Bekenntnis ersparen - Sie haben mich als Mädchen nicht leiden mögen!“
Seine Hand fuhr beschwichtigend über die ihre.
„Vielleicht, Henriette. Aber es war nicht meine Schuld. Sie sind erst als Frau geworden, was Sie heute sind - ein bezauberndes Wesen voll Geist, Grazie und Schönheit.“
„Ich war kein glückliches Kind, Sire. Im Exil verlernt man es leicht, lustig und hübsch zu sein! Wäre Ihre Mutter nicht gewesen! - Und darum möchte ich Anne d’Autriche nicht kränken - und Sie sollen es auch nicht.“
„Und mein Bruder?“ fragte der König, den Schalk im Auge, zurück.
„Ah bah, Sire - Monsieurs Eifersucht geniert mich wenig.“
Und mit übermütigem Lachen bog sie sich weit über den Spieltisch dem König zu und flüsterte: „Ich habe einen Plan, Sire, der Sie entzücken wird, um die Aufmerksamkeit von uns abzulenken.“
„Und der wäre?“
„Sie müssen einer meiner Damen auf Tod und Leben den Hof machen, Louis. Dann wird man glauben, dass sie es ist, die Sie so oft an meine Seite lockt.“
„Nicht übel, wenn die Dame hübsch ist“, neckte der König.
„Ich werde mich hüten, Ihnen eine hübsche zur Verfügung zu stellen. Monsieur ist nicht allein eifersüchtig - Madame ist’s noch mehr.“
„Monsieur hat Grund. Madame nicht. - Das ist der Unterschied, meine schöne Henriette! Wen also hatten Sie als meine Partnerin bei dieser artigen Komödie im Auge?“ „Mademoiselle de Pons.“
„Einverstanden. Sie ist keine Schönheit, aber auch keine Vogelscheuche - und ein munteres Mädchen, das genügt mir.“
„Ich werde trotzdem die Augen offen halten, Sire.“
„Es wäre schade, täten Sie das nicht. Madames Augen sind weitaus die schönsten am Hof.“
Die Prinzessin lächelte triumphierend.
„Das Spiel kann sofort beginnen. Die de Pons und die Chimerault haben heute Abend den Dienst.“
Im gleichen Augenblick öffnete sich die Tür, die von den intimen Gemächern Henriettes in den gelben Saal führte. Die Oberhofmeisterin ließ sich melden. Sie berichtete, dass Mademoiselle de Pons plötzlich erkrankt sei und Fräulein von La Vallière statt ihrer den Dienst übernähme.
Henriette lächelte boshaft.
„Armer Louis. Ihre Genügsamkeit wird auf eine harte Probe gestellt. Die La Vallière ist weder schön noch ein munteres Mädel. Sie blüht im Verborgenen wie die Veilchen, die sie täglich frisch am Busen trägt. Was mich betrifft - ich kann bei dem Tausch nur gewinnen.“
Der König hielt seinen Springer einen Augenblick sinnend in der Hand. Seine Schwägerin hatte ihn während der letzten Wochen so stark in Anspruch genommen, dass er von ihren Damen so gut wie gar keine Notiz hatte nehmen können. Jetzt plötzlich erinnerte er sich, dass ihm dennoch eine flüchtig aufgefallen war, ein schlankes blondes Geschöpf mit stillem traurigem Gesicht, und dass er dem Grafen von Guiche gesagt, das Mädchen habe Gestalt und Antlitz einer griechischen Statue und den Ausdruck der tragischen Muse.
Ob dieses stille, vornehme Geschöpf das Fräulein von La Vallière gewesen?
Der König hatte nicht mehr Zeit zu fragen. Die Boulle-Uhr auf dem Kamin schlug sieben, die großen Flügeltüren zum gelben Saal wurden weit geöffnet und ließen die Gäste ein. Es waren wirklich nur die Allerintimsten. Allen voran Monsieur, der einen schnellen eifersüchtigen Blick auf den König und Madame warf und seinen Bruder dann rasch in ein Gespräch verwickelte, zu dem der Graf von Guiche und der Marquis von Vardes zugezogen wurden.
Die Herzogin von Navailles hatte während der Verbeugung Madame mit ernstem Blick gestreift und sich dann mit Fräulein von Chimerault und einem jungen Offizier von der Garde, einem Günstling des Königs, zum Tric-Trac gesetzt.
In einem Winkel nahe den Fenstern stand Fräulein von La Vallière und hörte aufmerksam auf Benserade, der ihr von seinem neuen Ballett „Les Saisons“ sprach, das im Mai in Fontainebleau zur Aufführung kommen sollte.
„Ich habe eine Rolle darin für Sie geschrieben, Fräulein von La Vallière. Die Rolle einer Nymphe, zu der Sie wie geschaffen sind.“
Louise wehrte errötend ab.
„O nein - ich bin nicht schön - nicht glänzend wie die anderen hier. Wählen Sie Fräulein de Pons oder die kleine Artigny!“
Der Dichter schüttelte lächelnd den Kopf und streifte die zarte Gestalt, das seelenvolle Gesicht des scheuen Mädchens mit warmem Blick.
„Kennen Sie nicht die hübsche Strophe La Fontaines: Et la grâce plus belle encore que la beauté. Sie scheint eigens auf Sie gemacht zu sein, Fräulein von La Vallière. Wollen wir den König um seine Meinung fragen?“
Louise zitterte wie Espenlaub in dem beklemmenden Gefühl, Benserade könne in der Tat die Aufmerksamkeit des Königs auf sie lenken, ihn, den sie bisher nur aus der Entfernung scheu bewundert, vermögen, sie, die kleine unscheinbare La Vallière ins Gespräch zu ziehen.
Wie hilfesuchend sah sie sich nach Madame um, ob sie nicht vielleicht einen Befehl für sie habe. Aber Madame stand im lebhaften Gespräch mit dem Marquis von Vardes, der sich von der Gruppe Monsieurs losgemacht hatte, ganz in der Nähe des Königs.
Plötzlich, während Benserade noch auf Louise einsprach, richtete Henriette den Blick auf Fräulein von La Vallière, eindringlich, lächelnd, triumphierend. Dann sagte sie laut genug, dass man es im ganzen Saal hören konnte, und ein wenig spöttisch: „Sire, Sie beauftragten mich, Sie daran zu erinnern, dass Sie Fräulein von La Vallière fragen wollten, woher die Veilchen stammen, die sie täglich frisch am Kleiderausschnitt trägt.“
Dem König war diese laute Herausforderung, mit der Komödie zu beginnen, nicht eben genehm, aber er war zu galant, um die Freundin zu kontrekarieren. So schritt er auf Benserade und Fräulein von La Vallière zu, die in hilfloser Verlegenheit stand, das Glas mit Gefrorenem in der Hand, das der Dichter ihr eben gereicht hatte und das ihre Finger krampfhaft umschlungen hielten.
Der König, der nicht ungern den Eindruck seiner machtvollen Persönlichkeit sichtbarlich in Erscheinung treten sah, lächelte dem jungen Mädchen freundlich zu. Louise hob den Blick mit der Scheu eines jungen verfolgten Rehs zu ihm auf. Sie hatte nur den einen Gedanken, die heiße Bewunderung zu verbergen, die ihre ganze Seele für ihn erfüllte.
„Madame hat Recht, Fräulein von La Vallière. Ich wüsste gern, woher die Veilchen stammen, die Sie an der Brust tragen. Ihre Frische und ihr Duft beschämen die Le Nôtres.“
„Sie kommen aus der Heimat, Sire“, sagte Louise mit ihrer leisen süßen Stimme, deren Zauber nie vergaß, wer sie einmal gehört hatte.
Der König sah in das blasse, von reichem blondem Haar umrahmte Gesicht; er sah die schönen blauen Augen des Mädchens unter den langen Wimpern scheu zu sich aufgehoben, und im gleichen Augenblick fasste er den Entschluss, das Spiel Madames nicht mitzumachen. Dies junge Geschöpf in seiner ahnungslosen Unschuld, in seiner unberührten Keuschheit, war zu schade für die geplante Komödie.
„Und wo liegt diese Heimat, Fräulein von La Vallière, die dem Gedeihen der Veilchen so günstig ist?“
„In der Touraine, Sire.“
„Ihrem traurigen Gesicht nach, Fräulein von La Vallière, haben Sie Sehnsucht nach dieser Heimat.“
„Ein wenig wohl, Sire!“, gab Louise ehrlich zurück.
Dann erinnerte sie sich, dass die Mutter und Suzette ihr gesagt, man dürfe bei Hofe nie seine wahre Meinung aussprechen. Sie errötete heiß und wollte das unbedachte Wort zurücknehmen. Der König aber lächelte gütig und schritt mit kurzem Gruß zu dem Spieltisch zurück, an dem Madame ihn schon ungeduldig erwartete.
„Und Sie werden die Nymphe darstellen?“, fragte Benserade, wieder zu der tief in Gedanken Verlorenen tretend.
„Wenn Sie es wünschen, Herr von Benserade.“
Der Dichter, der den König und seine impulsive Natur sehr genau kannte, sagte mit Nachdruck: „Von diesem Augenblick an bin ich nicht der Einzige, der es wünscht, Fräulein von La Vallière.“
Louise verstand ihn nicht. Sie stand in tiefer Bewegung, dem Blick des Königs nachsinnend, dem ersten voll Güte und Sympathie, der ihr geworden war, seit sie vor einem halben Jahr von Frau von Fleuvigny Abschied genommen hatte.
Drüben am Spieltisch aber flüsterte Madame gereizt: „Sie geben nicht Acht, Sire. Dieser Zug gehört mir. Sollten Sie schon so eingenommen sein von den Reizen dieser kleinen simplen Provinzialin, dass Ihre Gedanken vom Spiel abirren?“
Louis lächelte galant, verbindlich und ein ganz klein wenig sarkastisch.
„Im Gegenteil, Henriette. Ich wollte Sie gerade bitten, mich von der Verpflichtung zu entbinden, Fräulein von La Vallière den Hof zu machen. Warten wir, bis die de Pons sich wieder erholt hat.“
Madame warf einen halb mitleidigen, halb spöttischen Blick auf Fräulein von La Vallière, die sich nicht weit von ihr mit Guiche und Benserade zum Spiel gesetzt hatte.
„Vielleicht haben Sie Recht...“
Dann, indem sie mit raschem Blick das schwarz-weiße Spielfeld musterte, rief sie mit erhobener Stimme: „Gardez la reine, Sire!“
In den kleinen, nichts weniger als fürstlich eingerichteten Räumen, die das Fräulein von La Vallière im Palais Royal bewohnte, saß Rosalie und nähte an dem Nymphenkostüm für ihre Herrin. Ab und zu sprang sie lebhaft auf und hielt es bewundernd vor sich hin. Bezaubernd würde es Fräulein Louise kleiden, das spinnwebfeine, zartgrüne, silbergestickte Gewand, das so recht zu der schlanken Gestalt und dem zarten Teint passte.
Wenn es nach ihr ginge, würde Louise einen Kranz frischer Waldblumen dazu im Haar tragen. Sie brauchten gar keinen der vornehmen Hofgärtner dazu. Aufs Kränzewinden verstand sich die kleine Gilbert von Kindheit an, und in den herrlichen Wäldern von Fontainebleau, die viel schöner sein sollten als die Wälder der Touraine, würde sie jetzt im Mai Blumen übergenug finden.
Überhaupt Fontainebleau und die Feste des Königs!
Wie eine kleine Wilde sprang Rosalie vor Vergnügen in dem engen Zimmer umher. Was würde sie da alles zu sehen bekommen! Die Proben zu dem neuen Ballett des Herrn von Benserade, den sie sogar persönlich kennen gelernt hatte, als er dem Fräulein einmal Besuch gemacht, um die Rolle der Nymphe mit ihr zu studieren. Er war kein junger Mann mehr, der königliche Hofdichter - Mitte vierzig, wie man sagt - was für Rosalies achtzehn Jahre beinahe schon ein Greisenalter war -, aber stattlich und gut aussehend, und sehr artig mit dem Fräulein und gar nicht stolz.
Vor allem aber würde sie endlich den Hof mal aus der Nähe sehen! Was die kleine Neugierige bisher davon erblickt, war herzlich wenig gewesen.
Madame und Monsieur freilich, mit denen man die Ehre hatte, unter einem Dach zu wohnen, war Rosalie schon dann und wann begegnet. Einmal sogar hatte sie sich hinter einer Säule der großen Treppe versteckt gehalten und gesehen und gehört, wie Monsieur und Madame sich zankten. Monsieur schien sehr böse auf Madame zu sein, weil sie zu intim mit irgendeinem Herrn vom Hofe gewesen. Den Namen hatte Monsieur nicht genannt. Rosalie kicherte noch jetzt bei dem bloßen Gedanken an diesen Streit, der ihr furchtbar komisch vorgekommen war, besonders Monsieur in seiner Wut.
Aber auf diese beiden hatte die kleine Tourainerin es eigentlich gar nicht besonders abgesehen, sondern auf den König und die junge Königin! Ach, wenn sie nur erst in Fontainebleau wären, wo man ganz nah beisammen wohnen würde!
Fünf, sechs, acht Tage noch! Eigentlich nicht lange mehr, wenn sie bedachte, was es bis dahin noch alles an des Fräuleins Garderobe zu tun gab.