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SIE KANN DICH HÖREN. SIE KANN DICH SEHEN.
SIE KANN SICH NEHMEN, WAS DIR GEHÖRT.
In Lexies Leben scheint alles perfekt: Sie liebt ihren Freund Tom, die beiden planen eine Familie, und sie wohnen in einem eleganten Apartment mitten in London, das keine Wünsche offen lässt. Doch Lexies Idylle trügt. Wenn sie allein ist, lauscht sie den Geräuschen aus der Nachbarwohnung. Und stellt sich dabei das mondäne Leben ihrer Nachbarin vor ...
Harriet führt ein ausschweifendes Leben voller wilder Partys, ihr Leben ist ein Abenteuer. Nur selten gesteht sie sich ein, wie unglücklich sie in Wahrheit ist. Sie wünscht sich einen Freund wie Tom. Sie möchte das Leben ihrer Nachbarin Lexie. Und sie ist bereit, alles zu tun, damit dieses Leben ihr gehört ...
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Seitenzahl: 510
Veröffentlichungsjahr: 2020
Zum Buch
Lexie
»Von meinem Arbeitsplatz – sprich: dem Sofa an der Wand – aus kann ich das Leben meiner Nachbarin hautnah mitverfolgen. Es ist reich und prall und quillt nur so über vor tollen Erlebnissen.«
»Ich weiß mehr über ihren Alltag als über den meiner Freunde. Unsere Leben sind eng miteinander verwoben, denn sie ist der Mensch, mit dem ich am meisten Zeit verbringe – und zwar mit Abstand. Ich weiß von ihren Partys, auf denen sie ihren Freunden Prosecco nachschenkt, die sich so amüsieren, dass sie sich einfach nicht loseisen können.«
Harriet
»Lexie. Immer Lexie. Warum darf sie dieses Leben führen – ein Leben, wie ich es mir immer gewünscht habe? Ich habe so hart gearbeitet und so viel ertragen. Was gibt ihr das Recht, mich auszulachen, während ich auf der anderen Seite der Wand sitze und einsam bin? Ich verspüre einen brennenden Zorn in mir, also entkorke ich die nächste Flasche Wein und fange langsam an zu tippen. Sie hat keine Ahnung, wozu ich fähig bin. Sie hat keine Ahnung, was ich getan habe und mit wem sie Tür an Tür lebt.«
Zur Autorin
Caroline Corcoran arbeitet als selbstständige Lifestyle- und Kulturredakteurin. Sie hat für einige der wichtigsten Online- und Printmagazine und Zeitungen in Großbritannien geschrieben. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn auf der Halbinsel Wirral im Norden Englands. Zuvor hat sie 13 Jahre in London gewohnt. Sie konnte ihre Nachbarin durch die dünnen Wände ihrer Wohnung stets hören, doch getroffen haben sich die beiden nie – ein kurioser Umstand, der sie zu diesem packenden Thriller inspirierte. Die Nachbarin ist ihr erstes Buch bei Heyne.
Caroline Corcoran
DIE NACHBARIN
Thriller
Aus dem Englischen von Sybille Uplegger
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel Through the Wall bei Avon Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Deutsche Erstausgabe 09/2020
Copyright © 2019 by Caroline Corcoran
Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Lisa Scheiber
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design,
unter Verwendung von Shutterstock/Ferreiro/Timallenphoto
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN: 978-3-641-25302-8V001www.heyne.de
Ich sitze da und lausche dem Tropf, tropf, tropf der Dusche, die immer nur für kurze Zeit Wasser spendet, damit ich keine Möglichkeit habe, mich zu ertränken.
Vom anderen Ende des Ganges her kommt ein lauter, undefinierbarer Knall. Dann ein Schluchzen, das direkt vor meiner Tür seinen Höhepunkt erreicht und nun wie eine Sirene wieder leiser wird, als sein Verursacher weitergeht, wohin auch immer.
Vor lauter Frust schlage ich mit der Faust auf den abgenutzten, graugrünen Teppichboden. Ich ziehe an einem Faden. Schreibe mit dem Finger die Initialen hinein, die mir nicht aus dem Kopf gehen: A. A.
Eine psychiatrische Klinik ist ein entsetzlicher Ort. Es ist nie still, nicht einmal für ein paar Sekunden, obwohl ich wirklich dringend Ruhe bräuchte.
Trotzdem unternehme ich einen weiteren Versuch. Ich lege das Ohr an den Putz und schließe die Augen. Vielleicht kann ich das, was auf der anderen Seite der Wand vor sich geht, besser hören, wenn ich meine übrigen Sinne ausschalte.
Doch es nützt nichts.
Wütend mache ich die Augen wieder auf. Von meinem Platz auf dem Fußboden aus betrachte ich die Umgebung, die mir seit meiner Ankunft vor vier Wochen mittlerweile vertraut geworden ist. Den Maschendraht vor den Fenstern. Die Pantoffeln – keine richtigen Schuhe –, die ich fast immer an den Füßen trage. Den Nachtschrank, in dem sich weder Nachtcreme noch Pinzette noch irgendwelche anderen Gegenstände befinden, die normalerweise im Dasein eines Nachtschranks eine Rolle spielen.
Danach wende ich mich wieder der Unterhaltung zu, die meine Besucherin und ihr Freund im Nebenraum führen. Die Gelegenheit ist einfach zu gut, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen.
»Die beiden sind wieder da«, verkündet die Pflegerin, als sie schwungvoll die Tür zu meinem Zimmer öffnet.
Sie sieht mich auf dem Boden sitzen und zieht die Brauen hoch. Ich stehe langsam auf und gehe zurück zum Bett. Falls sie mein Verhalten seltsam findet, so gibt sie keinen Kommentar dazu ab. Wahrscheinlich ist sie an seltsames Verhalten gewöhnt. Und daran, keine Kommentare dazu abzugeben.
»Wir erledigen nur noch schnell die Formalitäten, dann kommt sie zu Ihnen«, sagt sie. »Er will so lange nebenan warten. Keine Ahnung, wieso er überhaupt mitgeht.«
Aber er geht mit. Jedes Mal. Es gibt die beiden nur im Doppelpack, wie einen KitKat-Riegel.
Abermals presse ich das Ohr gegen die Wand, diesmal so fest, dass es wehtut. Aber seit wann machen Schmerzen mir etwas aus?
Ich höre, wie sie Sex haben, und runzle irritiert die Stirn, weil es so obszön klingt.
Doch schon im nächsten Moment denke ich: Was bin ich bloß für eine Heuchlerin. Schließlich habe ich selber gerade Sex. Mit einem Mann, von dem ich glaube, dass er Eli heißt. Ich frage mich, ob das Paar nebenan uns auch hören kann; ob ihnen wohl gerade ähnliche Gedanken durch den Kopf gehen wie mir.
Über Elis nackte, gebräunte Schulter hinweg schaue ich in Richtung Fernseher. Keine Ahnung, wer ihn eingeschaltet hat, aber er läuft ohne Ton. Die Morgennachrichten, irgendein Beitrag über Truthahnmastbetriebe. Ein ziemlich merkwürdiger Kontrast zu all dem Sex.
Als Eli fertig ist, wende ich peinlich berührt den Blick von den Geflügelbildern ab und ziehe mir das Kleid herunter.
»Ich muss dann mal los, zur Arbeit«, sagt er, ohne mich anzusehen. Meine Energie reicht gerade noch für ein lustloses Nicken.
»Tür ist nicht abgeschlossen«, antworte ich, und er geht ohne ein weiteres Wort.
Ich atme aus, angle mir mein Glas vom Boden und trinke einen Schluck Amaretto Cola. Es ist sieben Uhr morgens, aber ich war noch gar nicht im Bett, deshalb ist es nicht so schlimm, wie es sich vielleicht anhört. Außerdem habe ich Durst, und das Glas stand in Reichweite. Die Tür fällt krachend ins Schloss.
Ich lasse den Kopf gegen das Sofapolster sinken und sehe mich um. Halbvolle Gläser, Pinot-Grigio-Flaschen, Zigarettenstummel, die in leeren Schokopuddingbechern ausgedrückt wurden. Unzählige winzige, nach Essig schmeckende Chipskrümel auf einem Kissen. Szenen wie aus meiner Studentenzeit. Irgendwie habe ich mir das Leben mit zweiunddreißig anders vorgestellt.
Ich schalte den Fernseher aus und wende meine Aufmerksamkeit wieder dem Pärchen in der Wohnung nebenan zu. Ich glaube, sie treiben es auf dem Sofa, denn hin und wieder stößt die Armlehne gegen die Wand. Entschuldigung, falsches Pronomen: gegen meine Wand.
»Tom, wir müssen es machen«, sage ich provokant, wie es so meine Art ist.
Er sitzt in T-Shirt und Hose auf dem Sofa und löffelt mit der einen Hand Porridge, während er mit der anderen auf dem Smartphone durch seine Social-Media-Seiten scrollt. Ohne seine Antwort abzuwarten, ziehe ich mir das Schlafanzugoberteil über den Kopf. Der Teststreifen sagt, dass es jetzt passieren muss, und wir sind Sklaven des Teststreifens. Tom weiß, dass er keine andere Wahl hat, obwohl er ziemlich müde aussieht, aller Wahrscheinlichkeit nach zu spät zur Arbeit kommen wird und wirklich Appetit auf sein Porridge zu haben scheint.
Aber er fährt heute Abend für drei Tage weg, deshalb heißt es: jetzt oder nie. Und wenn man dreiunddreißig ist und seit zwei Jahren vergeblich versucht, schwanger zu werden, ist nie keine Option.
Ohne den Blick von seinem Smartphone loszureißen, zieht sich Tom mit einer Hand die Hose herunter. Der Versuch, ein Kind zu zeugen, macht einen früher oder später zu einem wahren Experten des Multitaskings.
Ich stelle seine Porridgeschüssel beiseite, damit sie nicht versehentlich umgestoßen wird. Das hier wird kein »Ich muss dich jetzt unbedingt haben«-Sex, eher ein »Ich muss dich jetzt haben, weil der Ovulationstest es befiehlt, aber wir haben noch Zeit, das Porridge in Sicherheit zu bringen, schließlich möchten wir keinen »klebrigen Haferflocken auf unserem Sofa aus dem Online-Versandhaus haben«-Sex.
»Keine Sorge«, flüstere ich atemlos. »Wir machen schnell, dann kommst du nicht zu spät zur Arbeit.«
Tom schluckt noch seinen Mundvoll Porridge herunter und wartet bis zur letzten Sekunde, ehe er aufhört, an seinem Handy zu spielen. Eine halbe Stunde nachdem er gegangen ist, liege ich immer noch ohne Slip auf dem Sofa, die Beine gegen die Wand gelehnt, und hoffe – so wie jedes Mal –, dass diese Schwerkraft-verstärkende Position die Vorgänge in meinem Körper beschleunigt, auch wenn alle Fakten dagegen sprechen. Ich war schon einmal schwanger. Seitdem hat es nie wieder geklappt.
Inzwischen betrachte ich Schwangerschaft nicht länger als einen Zustand des Entweder-oder, sondern eher als etwas Kumulatives, eine Art Spektrum. Und ich befinde mich an der Stelle, die als »eindeutig unschwanger« gekennzeichnet ist.
Vorsichtig ziehe ich mir meinen Slip wieder an. Bloß nicht den potenziellen Embryo stören. Bloß nicht das Sperma von seinem rechten Weg abbringen.
Ich stehe auf. Nebenan höre ich, wie meine Nachbarin Harriet in hochhackigen Schuhen über ihren Holzfußboden läuft. Ein Schlüssel klimpert, dann geht ihre Wohnungstür auf.
Ich weiß, es sollte mir peinlich sein, dass sie uns möglicherweise gehört hat, aber ich bin so sehr auf mein derzeit einziges Ziel fokussiert, dass mir dafür schlichtweg das nötige Maß an Stolz fehlt.
Außerdem könnte ich schwören, dass ich aus ihrer Wohnung vorhin auch Sexgeräusche gehört habe. Vermutlich heißer Morgensex. Sie konnten sich einfach nicht beherrschen, obwohl sie eigentlich zur Arbeit mussten. Das genaue Gegenteil von uns. Wir haben lediglich einen Punkt auf unserer To-do-Liste abgehakt.
»Krass, wie viele Restaurantketten ihr hier in der Gegend habt«, meint Iris, wobei sie das Wort »Restaurantketten« in einem Tonfall sagt, der bei den meisten Menschen wohl Begriffen wie »Terrorcamps für Kleinkinder« vorbehalten wäre. Dann grinst sie vor Stolz über ihre messerscharfe Beobachtung. »Echt wahr, oder?«
Echt wahr.
Ich trinke noch einen großzügigen Schluck Wein und spüre meine Wangen brennen. Sie findet meine Wohngegend peinlich. Sie findet mich peinlich. Alle hier finden mich peinlich. Heute Abend habe ich es ein bisschen zu gut gemeint mit dem Alkohol, das Zimmer dreht sich schon um mich. Ich starre Iris an und versuche sie scharf zu stellen.
Eigentlich, denke ich, sollte Iris lieber versuchen, mich scharf zu stellen. In Wahrheit hat sie – so wie der Rest der Anwesenden – nämlich keine Ahnung, wer ich bin. Niemand hier weiß, wozu ich fähig bin oder wie mein richtiger Name lautet. Niemand kennt mein wahres Ich. Niemand weiß, was mich ausmacht und was ich vor mittlerweile zweieinhalb Jahren getan habe, bevor sie mich kannten.
Und überhaupt, denke ich, von plötzlichem Zorn gepackt, während sich alle um mich herum seelenruhig weiter unterhalten. Ich liebe Islington. Wenn man einen sozial gehemmten Menschen nimmt und ihn ins Herz einer der belebtesten Gegenden von London verpflanzt, dann wird einem dieser Mensch auf ewig dankbar sein. Hier wird niemand genötigt, Smalltalk mit dem Fleischer zu machen. Man muss kein Lieblingsrestaurant haben, weil es sechzig verschiedene Restaurants in fußläufiger Entfernung gibt, und falls man doch eins hat, wechselt es sowieso innerhalb kürzester Zeit den Besitzer und wird zu einer Aperol-Bar umgebaut. Hier fällt es nicht negativ auf, wenn man keine Menschenseele kennt, im Gegenteil: Es ist so gewollt. Man muss hier keine Angst um seine Geheimnisse haben, denn man kann sich gut verstecken.
Doch ich erhole mich recht schnell von der Kränkung, und ein paar Drinks später rede ich mit ungerechtfertigter Selbstsicherheit von den politischen Umwälzungen im England der Achtzigerjahre, während ich gleichzeitig zu Popsongs der Zweitausender im Sitzen hin und her schunkle. Ich bin ziemlich betrunken – das bin ich oft – und lache viel, aber es ist ein hohles Lachen, weil ich die Leute, mit denen ich lache, im Grunde gar nicht kenne.
Neben mir auf dem Sofa hockt ein Mann namens Jim. Er ist »unglaublich talentiert«, schwul und lässt sich laut und wortreich darüber aus, wie introvertiert er doch sei. Mir gegenüber sitzt Maya, die sich seit zwei Stunden an ihrem Glas Pinot Noir festhält, obwohl ich schon mehrfach versucht habe, ihr nachzuschenken, damit sie ein bisschen lockerer und fröhlicher wird. Oder überhaupt irgendwie in Erscheinung tritt. Auf dem Boden, barfuß und mit angezogenen Knien, hocken Buddy und Iris. Sie wohnen in Hackney, und ich wette, in Wahrheit heißen sie Sarah und Pete und verlassen nie das Haus, ohne vorher ein Buch von Proust einzustecken, und zwar so, dass der Titel oben aus ihrer Tasche hervorschaut. Auf Iris’ glänzendem Bob sitzt freudlos ein Partyhütchen.
Ich schaue alle diese Leute an und versuche etwas dabei zu empfinden, aber da ist nichts. Oder doch, aber es ist noch schlimmer als nichts: ein latentes Ziehen im Magen, das mir sagt, was für ein trauriges Dasein ich friste und dass diese Zusammenkunft in meiner Wohnung das Gegenteil von Freundschaft ist.
Frohe verfickte Weihnachten.
Die Gäste, die sich in meinem kleinen Wohnzimmer drängen, habe ich erst vor einem Monat kennengelernt. Ich komponiere Songs, und wir arbeiten zusammen an einem Musical. Heute habe ich sie zu einem weihnachtlichen Umtrunk eingeladen. Ob man es glaubt oder nicht, ich habe sogar einen Karton mit Knallbonbons rausgeholt.
Das mache ich bei jedem neuen Projekt so. Normalerweise muss der Termin viermal verschoben werden, und ich bekomme eine Menge vage Ausreden zu hören, aber ich bleibe hartnäckig. Früher oder später haben noch alle kapituliert.
Obwohl mittlerweile mehr als vier Jahre vergangen sind, seit ich meine Heimatstadt Chicago verlassen habe, bin ich immer noch auf der Suche nach etwas, das mich von meiner Sehnsucht nach großstädtischer Anonymität heilt. Nach jemandem, der sich meiner annimmt. Ich bemühe mich verzweifelt, gesellig zu sein, aber manchmal glaube ich, dass man, wenn man eine Geschichte hat wie meine, anderen Menschen nie wirklich nahekommen kann. Es ist zu riskant. Man könnte auffliegen.
Ich ziehe mit Buddy an einem Knallbonbon und stehe am Ende mit der kürzeren Hälfte da.
Trotzdem. Ich gebe nicht auf.
»Und, Harriet? Gibt es einen Mann in deinem Leben?«, reißt mich der introvertierte Jim laut und rüde aus meinen Gedanken.
Ich schüttle den Kopf und schenke mir Wein nach.
»Nein, Jim«, lalle ich genauso laut, während der Wein in mein Glas gluckert. Ich vergesse, den anderen ebenfalls die Flasche anzubieten. »Ich bin allein.«
Und wie allein ich bin. Allein und unglücklich. Denn es reicht mir nicht, einfach nur ich zu sein. In meiner eigenen Gesellschaft fühle ich mich unwohl. Ich bin plump und hilflos und treffe nie die richtigen Entscheidungen, und ich wünsche mir nichts sehnlicher als eine bessere Hälfte, damit ich zu fünfzig Prozent weniger ich sein kann. Das Ziel ist es, mich zu verdünnen, so wie einen Getränkesirup.
»Karaoke!«, rufe ich, getrieben vom Wein und von der Panik, meine Gäste könnten nach Hause gehen. Iris und Buddy finden in der Idee – genau wie in den Partyhütchen – ausreichend Potenzial für Ironie, um mitzumachen. Maya schlüpft in ihre Jeansjacke und macht sich aus dem Staub. Beim Abschied wirft sie mir noch einen mitleidigen Blick zu, der in meinem Innern brennt wie Feuer. Jim hingegen lässt sich zur Teilnahme überreden, nachdem ich eine verstaubte Flasche Tequila für ihn ausgegraben habe.
Diese Kollegen stellen natürlich keine unmittelbare Lösung für das Problem meiner Einsamkeit dar, aber eines Tages wird diese Lösung vielleicht erscheinen – in Gestalt eines männlichen Bekannten, den einer von ihnen mitbringt.
Außerdem kommen, dem in Strömen fließenden Alkohol sei Dank, längst nicht nur Kollegen zu meinen Partys.
Es passiert immer, so auch an diesem Abend. Meine Tür ist angelehnt, damit die Gäste zwischendurch zum Zigarettenholen nach unten gehen können. Weil meine Nachbarn bei Tageslicht extrem kontaktscheu sind, habe ich anfangs gar nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass sich der Gästestrom spätabends auch in die andere Richtung bewegen könnte. Aber meine Wohnung liegt direkt neben dem Fahrstuhl, und so kommt es häufig vor, dass einige Nachbarn auf dem Heimweg kurz vorbeischauen, weil sie neugierig sind, was bei mir los ist. Durch Zufall hören sie dabei vielleicht einen Song, der ihnen gefällt. Sie nehmen sich ein Bier und bleiben.
Es könnte also auch einer von ihnen sein; ein bislang unbekannter Nachbar, der wegen des Alkohols kommt, aber meinetwegen bleibt. Ich bin nicht perfekt, aber ich habe durchaus etwas zu bieten. Genug, um hoffen zu dürfen, dass mich eines Tages vielleicht auch einmal jemand zu sich nach Hause einlädt. Dass ich einen Abnehmer finde.
Unser imposantes Hochhaus hat Hunderte von Apartments. In den meisten leben Männer und Frauen zwischen zwanzig und vierzig, die keine Kinder haben und sich auch an einem Dienstagabend betrinken können, ohne dass es negative Auswirkungen hat – abgesehen von dem Kater, den sie am nächsten Tag im Büro mit rauen Mengen von Kohlenhydraten bekämpfen müssen. Selbst wer hier nur zur Miete wohnt, verdient gut und arbeitet viel, sodass sich am Abend oft eine gewisse Verzweiflung breitmacht. Man will die freie Zeit um jeden Preis genießen, das Beste rausholen, Alkohol trinken und sich Drogen einwerfen, bevor man am nächsten Morgen um acht Uhr wieder im Meeting sitzen muss.
Ich habe den Eindruck, dass das Gebäude mit seiner modernen Architektur einem solchen Lebenswandel Vorschub leistet. Das Foyer ist ein großer, kahler, anonymer Raum und von oben bis unten in Magnolienweiß gestrichen. Darin gibt es nur den Tresen für den Pförtner sowie eine einzelne Topfpflanze, die weder welkt noch wächst. Ist sie künstlich? Selbst wenn ich sie aus der Nähe betrachte, kann ich es nicht erkennen. Ob die Leute über mich dasselbe denken?
Im Foyer liegt immer derselbe undefinierbare, aber sehr charakteristische Duft in der Luft, und die Temperatur ist zu jeder Jahreszeit gleich angenehm.
Manchmal erinnert es mich an einen Flughafen. Die Leute eilen hin und her, holen ihre Pakete ab, steigen in den Lift, um in den achten Stock zu fahren, und es ist gut möglich, dass man sie nie wiedersieht. Gelegentlich erinnert es mich aber auch an einen anderen, sehr viel düstereren Ort: an die psychiatrische Klinik, in der ich Patientin war. Zufall? Vielleicht will ich ja genau das von meinem Zuhause: größtmögliche Sterilität.
Jetzt trudeln langsam die Nachbarn ein. Etwa drei bis vier sind es alle halbe Stunde. Sie kommen von der After-Work-Party oder aus einem Restaurant und stecken ihre leicht beschwipsten Köpfe zur Tür herein, um zu schauen, was bei mir so vor sich geht. Jemand – aller Wahrscheinlichkeit nach ich – drückt ihnen ein Weinglas in die Hand, und ehe man es sich versieht, ist es ein Uhr morgens, und ein Banker Anfang zwanzig, den ich noch nie in meinem Leben gesehen habe, küsst Chantal aus dem fünften Stock und schwört, mit ihr zusammen in eine Hippiekommune nach Bali zu ziehen. Chantal zählt wie ich zu den wenigen Personen im Haus, die nicht bei einer Bank arbeiten, aber dazu komme ich gleich. Tagsüber sind meine Nachbarn einzelgängerisch bis abweisend; nachts sind sie enthemmt und allerbeste Freunde und genießen ihre Freiheit in vollen Zügen. Hier in Zone eins des öffentlichen Nahverkehrsnetzes halten wir nicht viel vom gesunden Mittelmaß.
Hab ich mich zum Affen gemacht?, wird Chantal mich morgen unweigerlich per WhatsApp fragen.
Die Nachricht wird sie von ihrem Sofa aus verfassen, wo sie Tag für Tag liegt und darüber nachdenkt, ob sie vielleicht eine Umschulung zur Masseurin machen sollte. Chantal hat im Marketing gearbeitet, bis sie vor einem Jahr entlassen wurde, und man sieht ihr schon von Weitem an, dass sie unter Depressionen leidet. Dass ihre reichen Eltern sie dafür bezahlen, faul herumzuliegen und Trübsal zu blasen, macht die Situation nicht gerade besser. Sie hat keine Motivation, ihr Leben zu ändern. Doch um ein Uhr nachts, im Schein der Lampen und mit ausreichend Prosecco, strahlt Chantal. Um ein Uhr nachts sind Chantal und ich fast so etwas wie Freundinnen.
Um ein Uhr mittags dagegen unterhalten wir uns steif und unbeholfen in der Convenience-Abteilung des Waitrose-Supermarktes.
»Ich muss dann mal …«, murmelt sie und deutet vage auf ein Brot oder den Ausgang oder sonst wohin.
»Ja, ich auch«, pflichte ich ihr eifrig bei, ehe ich mich wieder nach Hause auf meine Couch zurückziehe.
Den richtigen Mann kennenzulernen ist eine Frage der Statistik. Die Menge macht’s, würde meine Mutter sagen, wenn wir noch miteinander reden würden. Wenn nach dem, was ich getan habe, eine Kommunikation zwischen uns noch möglich wäre. Die Menge macht’s. An dieser Maxime richte ich mein Handeln aus. Lasset die Fremden zu mir kommen. Nachschub bitte nicht stoppen.
Die Abende beginnen mit höflich herumgereichtem Wein und Smalltalk und enden zwischen lauter Unbekannten in Trunkenheit und Chaos, sodass ich den Großteil des darauffolgenden Tages mit Aufräumen verbringen muss. Aber es lohnt sich. Und die Sauerei hinterher hat auch etwas Beruhigendes. Sie gibt mir eine Aufgabe.
Auch an diesem Abend ist meine Wohnung wieder voll mit fremden oder mir allenfalls vom Sehen her bekannten Nachbarn sowie dem harten Kern meiner Kollegen, die jetzt, gegen zwei Uhr, lallend den Heimweg antreten. Während sie draußen auf den Fahrstuhl warten, höre ich sie durch die Wohnungstür, die ich, um weiteren Besuch anzulocken, noch immer offen halte.
»Sie ist mir einfach ein bisschen … zu viel, weißt du?«, sagt Iris. Sie redet zu laut, weil sie sich in meiner Wohnung mit meinem Alkohol betrunken hat. Und sie redet von mir.
Buddy pflichtet ihr bei. In dieser Sache war sich die Welt schon immer einig. Ich bin ein bisschen … zu viel. Es gelingt mir nicht, das richtige Maß einzuhalten. Ich bin nicht das Quantum Mensch, das man sich idealerweise wünschen würde. Wenn ich die Zutat in einem Rezept wäre, würde man einen Teil von mir weglassen oder als Ausgleich etwas mehr Salz nehmen. Aber da ich ein Mensch bin, kann man bei mir nichts ausgleichen, deshalb bin und bleibe ich ein bisschen … zu viel.
Ich sitze an der Wand nahe der Tür und lausche dem Rest ihres halbminütigen Gesprächs, ehe der Fahrstuhl geräuschvoll sein Kommen ankündigt. Eine Stunde später, nachdem alle gegangen sind, ist es still in meiner Wohnung. Ich höre, wie nebenan der Fernseher ausgeschaltet wird, dann das leise Tappen von Hausschuhen auf Laminat.
Im Geiste verabschiede ich mich von meiner Nachbarin Lexie. Sie kommt zwar nie zu meinen Partys, aber ich weiß, wie sie heißt, weil ich ihren Freund durch die Wand ihren Namen habe sagen hören. Dann lege ich mich aufs Sofa. Mascara verschmiert das Kissen, weil mir plötzlich die Tränen kommen. Sie werden immer weiter und weiter fließen, bis zu dem Moment, in dem ich endlich einschlafe.
Ich tippe etwas, dann lösche ich es wieder. Im nächsten Moment fängt Harriet an zu singen. Sie klingt wie die Moderatorin einer Kindersendung und ist unglaublich laut. Das kann doch nicht normal sein. Hat mich der Lärm anderer Menschen auch schon so gestört, als ich noch im Büro gearbeitet habe? Eigentlich habe ich Geräusche immer geliebt; das Radio im Hintergrund, Gespräche mit Freunden, während gleichzeitig der Fernseher läuft. Doch allmählich scheinen sich alle Regeln, die bisher für mich gegolten haben, zu ändern. Ich werfe ein Kissen gegen die Wand.
Ich stehe vom Sofa auf und gehe in die Küche, weil ich schon den ganzen Morgen an die Müsliriegel denken muss, die wir im Schrank haben.
Ich schaue an mir herunter. Ich trage Toms Schlafanzughose. Meine eigene sitzt inzwischen an der Taille so eng, dass sie mir unbequem geworden ist.
Ich esse einen Riegel, dann kehre ich zum Sofa zurück und denke nach. Ist es nachvollziehbar, dass Harriet mir dermaßen zusetzt? Ist es normal?
Jedem, der nicht in einem riesigen modernen Wohnblock mitten in London lebt, wo es einen Pförtner gibt, der Päckchen entgegennimmt oder dem überforderten Deliveroo-Boten mit seinem Pad Thai hilft, sich im Labyrinth aus Hunderten identisch aussehender Flure zurechtzufinden, muss mein Verhältnis zu meiner Nachbarin einigermaßen bizarr vorkommen. Ich weiß mehr über ihren Alltag als über den meiner Freunde. Unsere Leben sind eng miteinander verwoben, denn sie ist der Mensch, mit dem ich am meisten Zeit verbringe – und zwar mit Abstand. Ich weiß von ihren Partys, auf denen sie ihren Freunden Prosecco nachschenkt, obwohl diese gar keinen mehr möchten, weil sie eigentlich längst nach Hause hätten gehen wollen, aber sie amüsieren sich so gut, dass sie sich einfach nicht loseisen können.
Ich weiß auch, wie gern Harriet Karaoke singt und dass ihre Freunde immer halb lachend, halb stöhnend dagegen protestieren, weil sie doch morgen früh zur Arbeit müssen. Aber kaum setzt das Intro des ersten Songs ein, brechen sie in Jubel aus und bleiben doch. Mehr Freunde gesellen sich zu ihnen. Die gute Laune vervielfacht sich. Und es ist immer laut.
Und jetzt also das Klavier. Ich presse mir zwei Kissen über die Ohren, doch es ist unmöglich, die Geräusche von drüben auszublenden. Sie sind allgegenwärtig und stehen in permanentem Widerstreit zu unserem ruhigen Zuhause.
Harriet schreibt Lieder für Musicals, die Tausende von Menschen auf der Heimfahrt aus dem West End im Bus vor sich hin summen. Sie wird regelmäßig für Branchen-Websites interviewt und klingt geradezu Ehrfurcht gebietend intelligent. Da sie hier wohnt, muss sie erfolgreich sein. In diesem Gebäude stellen Tom und ich mit unserem eher durchschnittlichen Einkommen die absolute Ausnahme dar. Wir können uns die Wohnung nur leisten, weil sie Toms Eltern gehört und wir sie weit unter Marktwert von ihnen mieten.
Ich stelle fest, dass ich schon wieder dabei bin, Harriet zu googeln. Ich betrachte das Porträtfoto auf ihrer Website. Sie ist eine große, aparte und attraktive Frau. Sie strahlt Stärke aus. Ich mag ihren Mund und beneide sie um ihre glatten, seidig blonden Haare. In der Schule war sie sicher eins der beliebtesten Mädchen; von jemandem wie mir mit meinem strohigen Pony und den speckigen Schenkeln hätte sie keine Notiz genommen.
In ihrer Wohnung, die ihr zugleich als Studio dient, sitzt sie am Klavier. Den nackten Fuß auf dem Pedal, kritzelt sie Noten und streicht sie wieder durch. Ihre Finger, die Nägel lackiert, der Lack leicht abgeblättert, tanzen durch die Luft, ehe sie die Melodie, die sie sich ausgedacht hat, zu Papier bringt. Harriet ist eine Kreative. Sie kreiert Dinge. Sie ist kreativ. Oft versinkt sie so sehr in ihrer Arbeit, dass sie Termine vergisst und viel zu spät dran ist, wenn sie loshetzt, um sich mit Freunden zum Brunch zu treffen. Sie kauft Blumen in der Columbia Road, um sie aufs Klavier zu stellen und damit noch mehr Farbe in ihr schönes, helles Heim zu bringen. Sie weiß genau, was sie denkt und was sie will, und würde niemals ihre Wohnung mit austauschbarer Massenware aus einer Möbelhauskette dekorieren. Für Männer bringt sie das gesamte Paket mit: klug, immer gut aufgelegt und dazu noch umwerfend schön.
Ach so, ich vergaß: Natürlich bin ich ihr noch nie begegnet.
Ich habe sie lediglich einmal von Weitem gesehen, als sie aus dem Fahrstuhl kam. Ich hatte die Treppe genommen, weil ich zu der Zeit gerade versuchte, mehr Sport zu machen. Hin und wieder finde ich an sie adressierte Post in unserem Briefkasten und werfe sie in ihren, und manchmal, so wie jetzt, google ich ihren Namen. Mehr nicht. Trotzdem habe ich irgendwie das Gefühl, sie zu kennen.
Von meinem häuslichen Arbeitsplatz – sprich: dem Sofa an der Wand – aus kann ich ihr Leben hautnah mitverfolgen. Es ist reich und prall und quillt nur so über vor tollen Erlebnissen.
Ich hingegen sitze jetzt schon seit drei Stunden hier. Mein Rücken fängt langsam an zu zwicken, ich habe Haferflocken am Kinn, und von meinem Auftrag, der zweitausend Wörter umfassen soll, sind gerade einmal sieben Sätze geschrieben.
Ich fege Krümel von meinem Schoß. Ich bin keine Harriet.
Steige gerade in die U-Bahn, schreibt Tom mir einige Zeit später. Curry?
Während ich eine Antwort tippe, fällt mir der Fleck auf meiner – seiner – Pyjamahose auf. Ich nehme mir vor, mich umzuziehen, vergesse es dann aber, weil ich die Speisekarte vom Thai-Imbiss studiere.
Curry ist nicht gut. Curry bedeutet, dass meine Jeans in Größe 40 kneifen wird. Curry bedeutet, dass wir heute Abend höchstwahrscheinlich nicht miteinander schlafen werden. Dabei sollten wir jede Gelegenheit nutzen.
Unser spontaner, erotischer Sofasex vor knapp einem Monat hat keine Ergebnisse gezeitigt. Mein Ovulationstest zeigt zwar an, dass ich noch nicht in der fruchtbaren Phase bin, aber der Große Doktor Google kann noch mehr, als mich in Bezug auf alles, was ich tue, jemals getan habe und im Laufe meines Lebens noch tun werde, heillos zu verunsichern. Er hat mir auch verraten, dass »viel hilft viel« der zurzeit vorherrschende medizinische Trend ist. Der Gedanke, dass es in der Medizin so etwas wie Trends gibt, ist besorgniserregend, also schiebe ich ihn beiseite und wähle stattdessen meine Beilagen aus. Ich setze Frühlingsrollen mit Ente auf die Liste der Dinge, von denen ich befürchte, sie könnten eine Schwangerschaft verhindern. Sie befinden sich dort in sehr, sehr guter Gesellschaft.
In Wahrheit haben wir keine Ahnung, weshalb es nicht längst passiert ist. Wir haben keine Ahnung, weshalb ich einmal schwanger war, eine Fehlgeburt hatte, und es seitdem nie wieder geklappt hat. Wir haben keine Ahnung, weshalb wir zwei Jahre später immer noch warten und hadern und erst ganz allmählich zu der Erkenntnis gelangen, dass wir eine weitere Schwangerschaft immer als selbstverständlich betrachtet und deshalb nie richtig um unser verlorenes Baby getrauert haben.
Mit jedem Monat, der vergeht, wird meine Angst größer. Ich rede mir ein, dass es meine Schuld ist, obwohl ich wirklich nichts unversucht lasse. Ich reise Tom, der Dokumentationen fürs Fernsehen dreht und manchmal länger unterwegs ist, hinterher, damit wir genau zum richtigen Zeitpunkt Sex haben können. Einmal habe ich mir sogar ein verführerisches Nachthemd bei Figleaves gekauft und eine ganze Woche in Hull in einem Travelodge-Motel verbracht. Es war grauenhaft.
Doch in letzter Zeit mache ich mir immer häufiger Vorwürfe, genau wie ich mehr esse und mehr schlafe, während ich andere Dinge zunehmend weniger tue: mich mit Freunden treffen, mir die Augenbrauen zupfen, Hosen ohne Gummizug tragen. Lachen.
Als wolle sie mich aus meinem inneren Monolog reißen, höre ich, wie Harriet nebenan vor Frust auf ihr Klavier einschlägt. Im nächsten Moment klingelt ihre Gegensprechanlage.
»Ja?«, meldet sie sich im brüsken Ton eines Menschen, der viel zu tun hat. Ich habe nie viel zu tun, nicht einmal jetzt, obwohl die Woche vor Weihnachten anerkanntermaßen die stressigste Woche des Jahres ist.
Es muss ein Lieferant sein, denn zehn Sekunden später höre ich, wie sie den Summer betätigt, die Wohnungstür öffnet und sich überschwänglich für die wunderschönen Blumen bedankt. Ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk? Von einem Freund? Von ihrer Mutter?
Ich rücke von der Wand ab und kuschle mich wieder aufs Sofa. Seit ich freischaffend arbeite, verbringe ich so viel Zeit zu Hause, dass Harriet einen beängstigend großen Teil meiner zwischenmenschlichen Interaktion ausmacht.
Ich stelle sie mir in hochhackigen Schuhen vor, wie sie, das Smartphone in der Hand, in ein Uber-Taxi springt, um zu einem Abendessen, einem Galerieabend oder in eine Bar zu fahren, in der starke, aufwendig gemixte Cocktails serviert werden. Und ich fühle mich an mein altes Ich erinnert, bevor das Thema Kinderwunsch die Kontrolle über mein Leben übernommen hat.
In meinen ausgelatschten Hausschuhen schlurfe ich ins Schlafzimmer und wühle im Schrank, bis ich die Schachtel finde, nach der ich gesucht habe. Es ist – wie sollte es anders sein? – ein alter Schuhkarton, und er ist voll mit Fotos, die ich eigentlich längst hätte einkleben wollen, nur dass die entsprechenden Alben nie gekauft wurden. Nun fristen sie ihr Dasein zwischen lauter Ansichtskarten, Souvenirs von Junggesellinnenabschieden, Geburtstagseinladungen, Abschiedskarten mit witzigen Sprüchen und alten Tickets.
Irgendwann habe ich aufgehört, jemand zu sein, der andere dazu beflügelt, Postkarten umzudrehen um noch an den Seiten weiterzuschreiben. Jemand, der andere zum Gebrauch von Ausrufezeichen, Großbuchstaben und Einschüben inspiriert.
Ich denke an meinem alten Arbeitsplatz in der Redaktion einer Frauenzeitschrift. Dort stand ich in dem Ruf, immer die besten Ideen für Interviews zu haben.
»Lexie bringt es auf den Punkt«, sagten die anderen oft, und ich besaß genug Selbstvertrauen, um ihnen zuzustimmen. Ich machte Witze und schlug neue Restaurants für die Mittagspause vor. Bis ich irgendwann zu schrumpfen begann. Und jetzt, während die Leute unten vor meinem Fenster Weihnachtslieder singen und den fünften Truthahnbraten des Monats essen, sitze ich wieder einmal allein zu Hause und warte.
Ich weiß nicht, wie mein Leben so klein und eng werden konnte. Ich weiß nicht, wann ich mich in diese Schachtel gesperrt habe, die gerade groß genug ist für mich selbst. Früher war auch ich eine Harriet. Heute bin ich neidisch.
Ich bin auf dem Weg zu einer Weihnachtsfeier mit Kollegen – ein Essen, für das ich bereits im Oktober Suppe, Truthahn und Tiramisu vorbestellt habe –, als mir klar wird, dass ich mein Handy zu Hause vergessen habe und noch einmal umkehren muss.
Als ich aus dem Bus steige, rutsche ich beinahe aus und fluche halblaut.
Ich bin zu groß und tollpatschig für meine hohen Schuhe und nehme mir vor, sie zu Hause gegen Sneaker auszutauschen, obwohl ich in Sneakern nie so lässig wirke wie andere Frauen – Iris, zum Beispiel –, die ihre hübschen entblößten Knöchel zur Schau stellen. Wie kann es sein, dass sie nicht frieren?
Ich sehe in Sneakern und Jeans immer aus wie eine Dreizehnjährige auf einem Schulausflug, nicht wie eine über Dreißigjährige, die ihren eigenen Look gefunden hat. Ich schaue an mir herunter: Nein. Weit davon entfernt.
Ich halte meine Schlüsselkarte vor das Display und ziehe die Eingangstür auf. Als ich sehe, wie jemand in den Aufzug steigt, verwünsche ich mein schlechtes Timing. In unserem Gebäude gibt es die ungeschriebene Regel, niemals mit einer anderen Person zusammen im Aufzug zu fahren.
Erst dann werfe ich einen Blick auf den Mann, der mir zuvorgekommen ist.
Er hat dunkle, ungezähmte Locken, die er sich abwechselnd mit der rechten und der linken Hand aus den Augen schiebt.
Mein Atem beschleunigt sich, als müsste ich in zwei Sekunden aus einem Flugzeug springen. In meinem Kopf schrillt eine Alarmglocke los, die so laut ist, dass sie alles andere übertönt.
Es sind nicht nur seine Haare. Es sind seine dunklen Augen und seine leicht gebeugten Schultern, als er sich den großen Rucksack auf den Rücken schwingt und eine Plastiktüte mit Essen auf dem Boden abstellt. Es ist der selbstvergessene Seufzer, den er ausstößt. Es sind seine langen Beine und seine gerade geschnittene Jeans, und es ist die Nase mit dem Höcker, der für die meisten Menschen wahrscheinlich ein bisschen zu groß wäre, aber für mich nicht.
Der Unbekannte und mein Ex-Verlobter Luke, der früher mit mir in dieser Wohnung gelebt hat und in diesem Aufzug gefahren ist, sehen einander nicht nur ähnlich – sie sind wie Doppelgänger. Austauschbar. Absolut identisch.
Ausnahmsweise nehme ich die Treppe. Kaum oben angekommen, knalle ich die Tür hinter mir zu, doch genau wie die thailändischen Aromen ist auch der Mann irgendwie mit mir in die Wohnung geschlüpft. Rein rational weiß ich natürlich, dass es nicht Luke war – dass er es gar nicht gewesen sein kann, weil Luke gar nicht in London ist und folglich auch nicht mit einer Tüte vom Thai-Imbiss in meinem Fahrstuhl gestanden haben kann. Nach allem, was war, ist sein ehemaliges Zuhause der letzte Ort, an dem man ihn antreffen würde. Aber ein Teil meines Gehirns hat diese Botschaft nicht empfangen, und dieser Teil ist schuld daran, dass mein Herz wie verrückt hämmert. Bestimmt hört man es bis nebenan, denke ich, als ich feststelle, dass ich mich gegen unsere gemeinsame Wand habe sinken lassen. Ich ringe um Atem.
Wenig später höre ich Lexies leise, sanfte Stimme, die das genaue Gegenteil von meiner ist. Ein Akzent aus dem Norden, vermute ich, obwohl ich mich mit britischen Dialekten nach wie vor nicht besonders gut auskenne.
»Tom?«, ruft sie etwas lauter, damit er es in der Küche hört. »Bringst du mir einen …«
Den Rest des Satzes bekomme ich nicht mehr mit. Die Wand zwischen uns ist gerade so dick, dass sie die Details verschluckt.
Aber Tom. Nicht Luke. Tom. Tom von nebenan. Das muss ich mir ins Gedächtnis rufen, wenn mein Herz anfängt zu rasen. Wenn meine Gedanken sich überschlagen. Und um vier Uhr morgens. Vor allem um vier Uhr morgens. Ich schenke mir ein Glas Wein ein und leere es in einem Zug. Dann befördere ich – ohne die Schuhe gewechselt zu haben – die langweiligen Blumen, die mir ein langweiliger Ex-Kollege geschickt hat, um sich auf langweilige Art bei mir zu bedanken, mit einem Fußtritt aus dem Weg, schnappe mir mein Handy und gehe wieder. Dabei muss ich die ganze Zeit gegen das Gefühl ankämpfen, dass Lexie von nebenan mir meinen Luke gestohlen hat. Dass Lexie von nebenan mir mein verficktes Leben gestohlen hat.
»Ich vermisse Islington«, seufzt Anais, als ich den Wasserkocher einschalte und sie sich hinter mir im Flur einen braunen Chelsea Boot vom Fuß zerrt. »Clapton ist der reinste Horror.«
Mir war seit einer Woche bekannt, dass sie in der Nähe eine betriebliche Weihnachtsfeier hatte und mich danach besuchen kommen wollte. Trotzdem bin ich kurz vor ihrer Ankunft fünf Minuten lang kopflos durch die Wohnung gerannt, um in aller Eile Eyeliner aufzutragen, mir zu überlegen, was normale Menschen anziehen (seit ich im Homeoffice arbeite, zähle ich mich nicht mehr zu dieser Kategorie), und Stapel mit Post wahllos in irgendwelche Schubladen zu stopfen. Tom ist jetzt seit einer Woche weg. Ich bin überfordert.
»Vergiss nicht, weshalb du in Clapton wohnst«, sage ich, während ich ihr eine Schachtel mit Pfefferminztee und eine andere mit einer sündhaft teuren Mischung von Planet Organic hinhalte. Sie entscheidet sich natürlich für letztere, wie es sich für jemanden gehört, der der Londoner Mittelschicht angehört. »Ihr habt ein eigenes Haus. Ihr müsst euer Geld nicht für Miete durch den Schornstein blasen.« Ich seufze. »Wir werden bis in alle Ewigkeit hier wohnen, weil Toms Vater garantiert nie die Miete erhöhen wird und wir ohnehin nichts Besseres finden würden. Uns fehlt die Motivation, eine Hypothek aufzunehmen.«
Das sage ich nicht nur zu Anais. Ich sage es allen. Und zwar ständig. Es ist für mich die einzige Art, mit meiner Scham umzugehen, weil wir das unverschämte Glück hatten, dieses Jahr eine Wohnung in Central London beziehen zu können, in einem Haus, das einen eigenen Swimmingpool im Keller hat.
Ich kann es immer noch nicht richtig glauben. Meine Eltern haben mir in meinem gesamten Leben, wenn es hochkommt, vielleicht zwanzig Pfund geliehen. Sie gehören der »Das Kind muss den Wert von Geld lernen«-Schule der Erziehung an und haben mich stets dazu ermutigt, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Insofern entbehrt unsere derzeitige Situation nicht einer gewissen Ironie.
Ich zahle weniger Miete als meine Freunde in ihren heruntergekommenen Bruchbuden in den Randbezirken und wohne in einem Haus, wo nicht die Farbe von den Wänden blättert, weil sie alljährlich in exklusivem Magnolienweiß frisch gestrichen werden. Wo das Reinigungspersonal wie in einem Fünfsterne-Hotel tote Fliegen augenblicklich aufsammelt und danach die Fenster aufreißt, damit auch ja nicht das sterile Krankenhausgefühl verlorengeht. Wo alle erdenklichen Formen des Tag- und Nachtlebens nur einen Katzensprung weit entfernt sind.
Im Moment empfinde ich die Anonymität von Islington als tröstend. Manchmal verlasse ich ohne Ziel die Wohnung und schlendere durch die Straßen, vorbei an hippen Mittdreißigern, deren Kinder in fünfzig Pfund teuren Pullis auf ihren Rollern hin und her sausen. Am Wochenende besuche ich den Buchladen auf dem Lastkahn im Kanal und kaufe stapelweise zerfledderte Klassiker. Ich rieche das Essen, das sich die Leute beim Brunch selbst bei sieben Grad Außentemperatur draußen auf den Gehsteigen schmecken lassen, als wäre es Juli in Madrid. So etwas gibt es nirgendwo sonst in diesem Land, weil wir in einer Blase leben. Nichts ist echt. Nichts dringt zu uns ein.
Hier verabreden sich CEOs zum Tennisspielen in Highbury Fields, als wären sie fünfzehn. Im Sommer sehe ich, wie erwachsene Menschen wie zu Schulzeiten Rounders spielen und mit Freunden wie die Irren im Kreis herumrennen. Einheimische sucht man in den Pubs vergebens, dafür gibt es immer jemanden, der zweiundzwanzig ist und zu seiner großen Begeisterung gerade entdeckt hat, dass er sich an einem Montagabend betrinken oder eine Tüte Chips zum Abendessen essen kann, ohne dass jemand kommt und es ihm verbietet.
An sonnigen Abenden sitzen wir vor übervölkerten Bars und trinken Gin Tonic. In der Vorweihnachtszeit kann ich sämtliche Geschenke besorgen, ohne dafür länger als zehn Minuten zu Fuß gehen zu müssen. Wir sind verwöhnte Kinder, und ich finde es herrlich. Vorher kannte ich dieses Gefühl nicht.
Aber weil ich immer wieder besagtes Hypotheken-Gespräch führe, hat es sich für mich zu einem reellen Problem entwickelt. Immer häufiger denke ich darüber nach, wie es wäre, einen Kredit aufzunehmen, den man zu Lebzeiten nie abbezahlen wird, und davon ein Haus zu kaufen. So geht es mir oft: Eigentlich bin ich zufrieden mit meinem Leben, aber sobald ich mich umschaue und sehe, was die anderen haben, weckt das bei mir Begehrlichkeiten. So bin ich nun mal gestrickt. Vielleicht ist jeder so gestrickt.
Und das Leben in diesem Teil Londons bringt auch Nachteile mit sich. Alles hat den Charakter des Provisorischen, weil die Leute von vorneherein wissen, dass sie nur eine begrenzte Zeit hier verbringen werden.
Sicher, im näheren Umkreis von Highbury Fields gibt es auch eine Handvoll Einfamilienhäuser. Wenn ich an ihnen vorbeikomme, frage ich mich jedes Mal, wer um alles in der Welt dort lebt. Wer gründet in diesen Häusern eine Familie? Wer wird in ihnen alt? Aber es stehen Mülltonnen voller Pizzaschachteln, Weinflaschen, leerer Klopapierrollen und Windeln vor den Türen. Sie sind also bewohnt.
Die Mehrheit von uns wird allerdings nie zu diesen 0,000001 Prozent gehören, Pizzaschachteln im Mülleimer hin oder her. Spätestens wenn man neununddreißig ist, schaut Islington einen nur noch traurig an, wie einen Gast, der ein bisschen zu lange auf der Party geblieben ist. Vielleicht gibt es zum Abschied noch ein schnelles Sonntagsnachmittagspicknick im Park, aber dann wird es Zeit, in einen der Randbezirke umzusiedeln.
Genau so hat es auch Anais gemacht. Sie baut sich ein echtes Leben auf. Dort, wo sie wohnt, gibt es alteingesessene Lebensmittelgeschäfte, traditionsreiche Pubs und Menschen, die ihr ganzes Leben an ein und demselben Ort verbracht haben. Menschen, die lautstark ihr Gemüse anpreisen und verständnislos gucken, wenn man das Wort »Brunch« erwähnt. Sicher, es gibt auch Hinzugezogene, aber es ist nicht wie hier. Hier geht das Ursprüngliche Stück für Stück verloren, mit jedem Gemüseladen, der einer Gin-Bar weicht, und mit jedem Pub, in dessen Fenster ein »Zu vermieten«-Schild auftaucht. Wir alle tragen eine Mitschuld daran. Ich verbringe meine Sonntage damit, zwischen Marktständen umherzuschlendern, die Medaillons und anderen Klimbim feilbieten, und sauge die schöne Atmosphäre in mich auf, aber mein Geld trage ich zu Waitrose. Ich bin ein Teil des Problems. Ich bin sein Kern.
»Hypotheken sind überbewertet. Mir ist echt schleierhaft, was andere so toll daran finden«, sagt Anais, während sie ihre Tasche nach der Schachtel Brownies durchwühlt, die sie mitgebracht hat. »So ähnlich wie Babys.«
Prompt regt sich Empörung in mir. Sie legt die Brownies auf den Tresen.
»Salzkaramell«, lese ich auf der Packung, um mich von meinem Ärger abzulenken, den ihre flapsige Bemerkung bei mir ausgelöst hat. »Danke.«
Seit wir zusammen auf der Uni waren, spricht sich Anais vehement gegen die Fortpflanzung aus. Dass sie jetzt fest mit Rafael zusammen ist, hat an ihrer Haltung nichts geändert. Rafael ist Spanier, sie selbst kommt aus Barbados, und wäre man jemand, der gern peinliche Klischees bemüht, würde man sagen, dass die beiden sicher wunderschöne Babys machen würden.
Aber so jemand bin ich nicht, also sage ich nichts dergleichen. Wenn meine Schwierigkeiten, schwanger zu werden, irgendeinen Vorteil haben, dann den, dass sich dadurch meine emotionale Intelligenz erhöht hat. Ich nehme mir vor, niemals so zu werden wie die Frauen, denen es überhaupt nicht in den Sinn kommt, dass sie ihren Geschlechtsgenossinnen womöglich die ganze Woche verderben, indem sie ungebeten ihre Meinung zu Kinderfragen kundtun. Man kann nie wissen. Man kann es einfach nicht wissen.
Anais und ich waren zusammen auf der Journalistenschule. Mit den anderen Kommilitonen treffe ich mich höchstens einmal im Jahr, aber Anais und ich sind immer noch fest befreundet. Sie: Redakteurin im Politikressort einer angesehenen Tageszeitung. Ich: Texterin für verschiedene Firmen, die mich bezahlen, damit ich Texte über beziehungsweise für ihre uninteressanten Produkte verfasse. Gegenwärtig arbeite ich an einer Gebrauchsanleitung für eine Waschmaschine. So habe ich mir meine Karriere nicht vorgestellt, als ich vor zehn Jahren zum ersten Mal die Uni betrat, im Gepäck eine Ausgabe des Empire Magazine und die felsenfeste Überzeugung, dass ich eines Tages Filmkritikerin werden würde.
Ich hatte eine feste Stelle bei einer Zeitschrift, aber die habe ich gekündigt, weil ich an vier von fünf Abenden pro Woche völlig ausgelaugt und gestresst von irgendwelchen internen Querelen nach Hause kam. Damals erschienen mir solche Dramen wie der Mittelpunkt des Universums, obwohl sie in Wahrheit zu einem weit entfernten Sonnensystem gehören, an das kein vernünftiger Mensch jemals auch nur einen Gedanken verschwenden sollte.
Der Hauptgrund für meine Kündigung allerdings war der Umstand, dass Tom und ich seit zwei Jahren erfolglos versuchten, ein Kind zu bekommen. Seit meiner Fehlgeburt hat sich auf dem Gebiet nichts getan, und ich wollte etwas ändern. Ich wollte weniger Druck und eine bessere Work-Life-Balance. Ich wollte in der Lage sein, um vierzehn Uhr zum Pilates zu gehen, wenn ich Lust hatte. Das Dumme war nur: Ich hatte nie Lust. Stattdessen saß ich den ganzen Tag allein zu Hause und langweilte mich, weil ich jetzt keine redaktionsinternen Querelen oder Zehn-Uhr-Meetings mehr hatte, auf die ich mich vorbereiten musste. Mit der Zeit wurde ich immer depressiver und so ängstlich, dass mir bereits der kurze Fußmarsch zur Post wie eine unüberwindbar große Anstrengung vorkam. Meine Gedanken kreisten nur noch um das Baby, das wir nicht hatten, und die Trauer um mein verlorenes Kind ließ nicht nach, sondern wurde immer schlimmer. Damit will ich nicht sagen, dass es die falsche Entscheidung war, meinen Job zu kündigen. Aber es war definitiv nicht die Lösung all meiner Probleme.
»Bei uns herrscht so eine Wahnsinnshektik in der Vorweihnachtszeit«, sagt Anais und nimmt ihren Tee von mir entgegen, ehe sie sich in die offene Tür zur Küche stellt wie in einen Bilderrahmen. Sie sieht wirklich wunderschön aus. »Ich bin so neidisch auf dich, weil du von zu Hause aus arbeiten kannst.«
Ich betrachte mein offizielles Besucher-Outfit, das ich zwei Minuten vor ihrer Ankunft übergeworfen habe und sofort wieder ausziehen werde, wenn sie weg ist. Dann schaue ich zu ihrem Smartphone, das auf dem Tisch liegt und ständig aufleuchtet, weil sie dringende Nachrichten bekommt. Sicher, Anais, denke ich. Klar.
»Allein die Flexibilität …«
Sie nennt mir sogleich ein konkretes Beispiel.
»Du kannst dir bei der Arbeit eine Ofenkartoffel machen.«
Das ist es. Genau das hatte ich im Sinn, als ich damals die Ausgabe des Empire in der Hand hielt: bei der Arbeit Ofenkartoffeln essen zu können.
»Du kannst um drei Uhr nachmittags joggen gehen.«
Und das mache ich natürlich auch. Andauernd.
Auf Strumpfhosen tappt sie durchs Wohnzimmer.
»Gott, was ist denn das für ein Krach?«, fragt sie, während sie an ihrem Tee nippt. Irgendetwas mit Fenchel.
Ich gehe zurück in die Küche. »Ach, das ist bloß Harriet!«, rufe ich, während ich meinen Teebeutel an der Innenwand der Tasse ausdrücke und herausnehme. Ich schütte die Brownies auf einen Teller, dann folge ich Anais ins Wohnzimmer und lache, weil sie dasteht und das Ohr gegen die Wand presst, um Harriets neuester Komposition über Hühner auf einem Bauernhof zu lauschen.
»Geh da weg.« Ich flüstere, obwohl wir beide wissen, dass Harriet uns bei all den Bauernhofgeräuschen höchstwahrscheinlich sowieso nicht hören kann. Ein rhythmisches Hühnergackern setzt ein, und wir krümmen uns vor Lachen.
Als wir uns wieder beruhigt haben, lässt Anais sich aufs Sofa fallen und ahmt lautlos eine Opernsängerin nach, ehe sie die Beine unterschlägt.
Dann beugt sie sich nach vorn und angelt sich einen Brownie von dem Teller, den ich auf unserem winzigen Couchtisch gestellt habe.
»Macht sie das öfter?«, will sie wissen.
Ich überlege.
Auf einmal kommt es mir komisch vor, dass ich es inzwischen als vollkommen normal betrachte, wenn meine Nachbarin lauthals über Liebe, Träume, Gefühle und Hühner singt. Ich höre, wie sie manchmal frustriert aufs Klavier einschlägt, oder ihr lautes »Arrrggghh!«, wenn es nicht gut läuft. Ich bekomme alles von ihr mit, als wären wir Zellengenossinnen.
»Ja, eigentlich schon. Siehst du? Noch ein Nachteil am Leben hier in Islington. Wenn du Pech hast, zieht nebenan eine erfolgreiche Komponistin ein und trällert schräge Songs über Nutztiere.«
Wir lachen ausgiebig, aber irgendwann tritt wieder Stille ein.
»Und? Wie geht’s dir so?«, erkundige ich mich.
Während ich meinen Brownie esse, erzählt sie mir von der neuen App, die Rafael gerade entwickelt hat, einem koreanischen Restaurant, das sie am Wochenende ausprobiert haben, und ihrer anstehenden Mexikoreise. Und irgendwann, als ich sie nicht länger mit Fragen hinhalten kann, stellt sie mir selbst eine. Davor habe ich mich die ganze Zeit gefürchtet.
»Und bei euch? Gibt’s irgendwelche Neuigkeiten?«
Ich tue so, als hätte ich den Mund voll, und nutze die Zeit, um meine Gedanken zu ordnen.
Sobald man die Dreißig überschritten hat, ist diese Frage alles andere als unschuldig. Sie bedeutet: »Und? Heiratet ihr bald? Bekommt ihr ein Baby? Kauft ihr ein Haus? Hast du einen tollen neuen Job, bei dem du so viel verdienst, dass du Wohneigentum in Notting Hill erwerben kannst?« Wenn das alles nicht zutrifft, kommt man sich vor, als hätte man nichts zu berichten. Als wäre man ein kläglicher Versager. Manchmal glaube ich, ich will auch deshalb ein Baby, um endlich Neuigkeiten zu haben.
»Nein, eigentlich nicht«, sage ich, ehe ich aus einem unwichtigen Auftrag und einem Theaterbesuch mit Toms Eltern eine Geschichte zusammenbastle.
Denn gar keine Neuigkeiten zu haben ist verboten. Wir müssen immer beschäftigt sein, immer etwas erleben. Keine Neuigkeiten sind tabu. Ich wische Browniekrümel von meinem Kinn auf einen Teller.
Nachdem Anais gegangen ist, ziehe ich wieder meinen – soll heißen: Toms – Schlafanzug an und frage mich, weshalb ich ihr nichts von unserem unerfüllten Kinderwunsch erzählt habe.
Jedes Mal, wenn sie mich danach fragt und ich es ihr verschweige, überrasche ich mich selbst. Denn das sind doch meine Neuigkeiten. Das ist meine Geschichte. Anais ist meine Freundin, und normalerweise habe ich keine Probleme damit, Persönliches mit anderen zu teilen. Dadurch, dass ich es ihr vorenthalte, steht es bei jedem Treffen zwischen uns, und ich habe immer ein ungutes Gefühl. Ich habe ihr nicht einmal von meiner Fehlgeburt erzählt. Anais, meine beste Freundin, hat keine Ahnung, dass ich schwanger war und das Baby verloren habe. Es war das wichtigste Ereignis meines bisherigen Lebens, und sie weiß nichts davon. Inzwischen kommt mir das absolut widersinnig vor, aber damals hatte ich noch die Hoffnung, dass die Fehlgeburt letztendlich nur eine unbedeutende Episode war und ich schon bald mit einer guten – einer wunderbaren – Nachricht würde aufwarten können.
Mein Schweigen hat eine Distanz zwischen uns geschaffen. Ich spüre es, und sie spürt es auch. Die Kluft wird immer größer, und trotzdem bin ich nicht in der Lage, das zu tun, was notwendig wäre, um sie zu überbrücken. Warum nicht?
Vielleicht liegt es daran, dass ich es, einmal ausgesprochen, nicht mehr zurücknehmen könnte. Sobald ich ihr sage, dass wir versuchen, ein Kind zu bekommen, wird die Sache zum Dauerthema werden. Die Frage, ob und wann es endlich so weit ist, wird mich permanent verfolgen. Sie wird, für alle Welt sichtbar, wie eine schwarze Wolke über meinem Kopf hängen.
»Geht es dir gut?«, hat Anais mir ins Ohr geflüstert, als sie mich zum Abschied umarmte. »Du wirkst so …«
Ich vermied es, sie anzusehen, schüttelte ihre Umarmung ab und komplimentierte sie mit einem Standardspruch über eine anstrengende Woche und berufliche Probleme zur Tür hinaus.
Jetzt stehe ich allein in der Küche und esse, über die Spüle gebeugt, die restlichen Brownies auf.
Es dauert eine ganze Weile, bis ich wieder von Anais höre; definitiv länger als sonst.
Auf einmal höre ich von nebenan ein lautes Kichern, das mich vor Schreck zusammenfahren lässt. Es kommt nicht von Lexie, sondern von einer anderen Frau mit einer deutlich lauteren Stimme. Wie um sich an ihre Freundin anzupassen, antwortet auch Lexie lauter als gewöhnlich und lacht herzhaft.
Wenn ich mich nicht irre, ist Tom seit einigen Tagen beruflich unterwegs, deshalb verbringt Lexie ihre Zeit mit anderen Menschen, die ihr wichtig sind. Ihre Gier macht mich wütend. Ein attraktiver Freund, der sie liebt und ihr Essen vom Thai-Imbiss mitbringt, und dann auch noch Freunde – echte Freunde, die auf einen Tee vorbeikommen und mit ihr herumalbern. Gibt es so etwas wirklich?
»Bloß Harriet«, ruft sie, als ich kurz im Spielen innehalte. Abermals zucke ich zusammen.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, auf der anderen Seite der Wand meinen Namen zu hören. Bisher dachte ich immer, ich würde für meine Nachbarn gar nicht existieren. Aber sie wissen von mir, so wie ich von ihnen weiß. Ich richte den Blick nach unten. Meine Hände zittern. Ich bin so durcheinander, dass ich mich nicht einmal mehr aufs Klavierspielen konzentrieren kann.
Jetzt lachen sie schon wieder, schallend und im Chor.
Ich bin jemand auf der anderen Seite der Wand. Sie kennen mich. Sie sprechen über mich. Sie lachen mich aus. Wenn ich eins nicht leiden kann, Lexie, dann, wenn man mich auslacht.
Mein Herz hämmert.
Es ist jetzt drei Tage her, seit ich gesehen habe, wie Tom/Luke mit seinem thailändischen Essen in den Aufzug gestiegen ist. Das Haar. Die Schultern. Diese Nase. Ich erschauere. Seitdem schlafe ich schlecht und bin mit der Partitur für ein Kindermusical im Verzug. Mein Auftraggeber wird langsam unruhig. Mein üblicher Drang, andere beeindrucken zu wollen, hat mich verlassen, aber selbst das ist mir egal. Ich bin ganz auf Lexie fixiert. Ich spüre einen plötzlichen Zorn in mir aufwallen.
Ich schaffe es nicht einmal, meine langweiligen Blumen in eine langweilige Vase zu stellen. Inzwischen habe ich sie zwar vom Boden aufgehoben, aber jetzt liegen sie, halb verwelkt und immer noch in Plastikfolie eingewickelt, auf dem Tisch, wo sie um einen Schluck Wasser betteln wie ein vernachlässigtes kleines Hündchen. Was soll ich sagen? Ich bin kein fürsorglicher Mensch.
Im Internet surfen ist alles, was ich zustande bringe. Meistens fängt es ganz harmlos an, aber früher oder später kann ich es mir natürlich nicht verkneifen und google Luke, obwohl ich weiß, dass er online praktisch nicht mehr existiert. Die Frau, mit der er eigentlich sein Leben verbringen wollte, soll nicht sehen, dass er befördert wurde oder auf welchem Konzert er gestern Abend war.
Ich versuche es trotzdem.
Luke Miller, Chicago. Luke Miller, Medienagenturen. Nichts.
Ich schlage mit dem Hinterkopf gegen die Sofalehne. Was glaubt er denn, was passieren würde? Dass ich auf seiner Instagram-Seite irgendein Food-Foto finde und sofort den nächsten Flieger nach New York nehme, um mich draußen vor dem Diner auf die Lauer zu legen, in der Hoffnung, dass er vielleicht zurückkommt, um noch einen Burger zu essen? Dass ich ihm eine Falle stelle? Oder etwas noch Schlimmeres tue, so wie beim letzten Mal?
Ich knalle meinen Laptop zu, sitze da und grüble.
Wenn alles gutgegangen wäre, wäre ich jetzt verheiratet. Vielleicht hätten wir ein Haus in Hertfordshire, und unser Baby würde oben im ersten Stock in seinem Bettchen liegen und schlafen. Vielleicht hätte Luke mir auch meinen Rucksack hingehalten und verkündet, dass wir auf Europareise gehen. Von den USA bis nach England hatten wir es ja schon geschafft. Vielleicht wären wir für ein Jahr nach Frankreich gezogen, um Comté zu essen, oder hätten in Barcelona Kunst bestaunt. Ich hätte getan, was immer er wollte. So war das in unserer Beziehung.
Mir fällt auf, dass meine Hände wehtun, und ich senke den Blick. Ich habe die Fingernägel so fest in meine Handflächen gegraben, dass sie bluten. Ich habe um meine Nägel herum die Haut abgerissen, sodass sie jetzt wund und rot sind. Der Anblick verunsichert mich. Ich habe gar nicht gemerkt, was für einen Schaden ich anrichte. Das passiert mir häufig.
Vielleicht wäre Luke auch nach wie vor von London begeistert. Es waren ja nur ein paar Jahre, und er hat sich hier wohlgefühlt wie ein Fisch im Wasser. Wir haben gutes Geld verdient, ich als Komponistin für Musicals und Fernsehsendungen, Luke als Vertriebler im Medienbereich. Wir hatten … Er hatte einen riesigen Freundeskreis. Wenn er donnerstagsabends mit Kollegen in irgendeiner noblen Hotelbar am Ufer der Themse etwas trinken ging, bettelte ich immer darum, mitkommen zu dürfen. Manchmal erlaubte er es mir.
In meinen Augen schwimmen Tränen. Ich weiß nicht, wie lange ich sie noch zurückhalten kann.
An den Wochenenden hatten wir zum Glück mehr Zeit für uns. Ich erinnere mich an verkaterte Winterspaziergänge auf dem Primrose Hill. Lukes empfindliche Zähne schmerzten in der Kälte, und unsere Ohren brannten, bis wir irgendwo einen Pub fanden, wo wir am Kaminfeuer sitzen und Tee trinken konnten.
Wir zogen uns die Mützen vom Kopf und blätterten in der Wochenendbeilage der Zeitung. Ich verlor absichtlich gegen ihn beim Scrabble, um Streit zu vermeiden. Ich streichelte den Spaniel hinter der Theke und malte mir aus, wie es wäre, ganz viele Hunde zu haben, woraufhin Luke missmutig die Stirn runzelte und all die Gründe aufzählte, weshalb Haustiere nicht infrage kamen. Natürlich sah ich sofort ein, dass er recht hatte.
»Hattest du nicht mal mit dem Gedanken gespielt, dir ein Haustier anzuschaffen?«, fragte meine Mutter mich eines Tages am Telefon.
»Luke hält das für keine gute Idee«, antwortete ich unbedacht. Normalerweise überlegte ich immer genau, was ich ihr sagte.
»Wie ist denn deine Meinung dazu, Harriet?«, sagte sie sanft, aber zugleich bestimmt. »Manchmal habe ich den Eindruck, dass du dir so viele Gedanken über Lukes Wünsche machst, dass du ganz vergisst, dich zu fragen, was du eigentlich möchtest.«
Ich legte auf. Von da an meldete ich mich noch seltener.
In meiner Version unserer gemeinsamen Zukunft bin ich ein besserer Mensch. Niemand, der Pommes bestellt, weil er vergessen hat, dass er eigentlich Diät halten sollte. Niemand, der schlecht sitzenden Jeans trägt und »seit mindestens 2003« denselben Haarschnitt hat. Danke, Luke.
Mittlerweile schluchze ich hemmungslos. Vorletztes Jahr im Februar, ein Jahr nach unserer Verlobung, hat Luke mich verlassen.
Ich hole eine Nagelschere und fange an, die Enden meiner langen, schmutzig blonden Haare abzuschneiden. Dann wird mir voller Entsetzen bewusst, was ich tue, und ich lege die Schere weg. Ich gehe zurück an die Arbeit. Jedenfalls versuche ich es.
Aber dann fange ich an, Lexie zu googeln. Diesmal entscheide ich mich für eine Bildersuche. Anders als bei Luke werden bei ihr jede Menge Ergebnisse angezeigt. Sie ist keine Bloggerin, die ihr gesamtes Leben im Netz ausbreitet, trotzdem gibt es rund einhundert Bilder von ihr, die der Öffentlichkeit, zu der auch ich – noch – gehöre, frei zugänglich sind.
Lexie am Strand, auf einen Ellbogen gestützt, mit wilder Lockenmähne, die ihr über sonnengebräunte Schultern fällt. Lexie am Laptop, mit einer frischen Tasse Kaffee und einer Jo-Malone-Duftkerze auf dem makellos aufgeräumten Schreibtisch. Ich verdrehe die Augen.
Als Nächstes ein Selfie von Lexie und Tom zu Hause vor ihrem Weihnachtsbaum. Dieses Bild betrachte ich eingehender. Ich analysiere den Hintergrund, weil ich herausfinden will, wo genau sie stehen. Ihre Wohnung ist vom Grundriss her ein Spiegelbild meiner eigenen.
Dann suche ich weiter. Ich entdecke ein Bild von Lexie im Bleistiftrock, mit hohen Schuhen und professionellem Make-up, wie sie, eine Hand in die perfekt geschwungene Hüfte gestemmt, ohne zu lächeln in die Kamera blickt.
Auf diesem Foto sieht sie atemberaubend schön aus – Lichtjahre entfernt von dem sommersprossigen Mädchen am Strand oder der Lexie vor dem Weihnachtsbaum. Im Netz präsentiert sie sich so wandlungsfähig wie eine Barbiepuppe, und dies hier ist ihre Party-Version.
Sie hat Selbstbewusstsein, sie hat tolle Haare, und sie hat Tom. Sie wirft den Kopf in den Nacken und lacht ausgelassen im Kreis ihrer Freunde. Sie steht auf Dachterrassen und trinkt pinkfarbene Cocktails, sie zeigt im Urlaub ihre braungebrannten Beine und umarmt ihren Neffen, während der sich auf die Zehenspitzen stellt, um ihr einen Kuss zu geben. Sie sitzt vor einem flackernden Holzofen und hält eine Tasse in beiden Händen, behutsam, als wäre sie ein kleines Hündchen. Ein Thema zieht sich wie ein roter Faden durch alle Bilder: Lexie ist umgeben von Zuneigung, sie wirkt glücklich und verliebt. Nicht angespannt. Nicht nervös. Nicht wie jemand, der ängstlich darauf wartet, dass das nächste Unglück über ihn hereinbricht. Wie schön für dich, Lexie. Du kannst mich mal.