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In "The Nameless City" von H.P. Lovecraft wird der Leser eine düstere und geheimnisvolle Welt entführt, die von vergessenen Zivilisationen und alten Mysterien zeugt. Die Erzählung folgt einem namenlosen Protagonisten, der die Ruinen einer längst verlassenen Stadt in der arabischen Wüste erkundet. Während er die Ruinen durchstreift, entdeckt er versteinerte Überreste und seltsame Inschriften, die darauf hinweisen, dass diese Stadt einst von einer antiken und unbekannten Zivilisation bevölkert wurde. Je tiefer der Protagonist in die unterirdischen Katakomben der Stadt vordringt, desto mehr wird er von einem unheimlichen Gefühl der Bedrohung und des Grauens erfasst. Schließlich stößt er tief im Erdinneren auf eine geheime Kammer, die das scheußliche Zentrum der Stadt zu sein scheint.
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Seitenzahl: 25
Die namenlose Stadt
The Nameless City (1921)
von H. P. Lovecraft
Übersetzung: Stefan Gresse (2023)
Als ich mich der namenlosen Stadt näherte, wusste ich, dass sie verflucht war. Ich reiste im Schein des Mondlichts in einem ausgedörrten und furchterregenden Tal, und in der Ferne sah ich sie unheimlich aus dem Sand hervorragen, wie Leichenteile aus einem schlecht gemachten Grab. Furcht sprach aus den altersschwachen Steinen dieses grauenhaften Überlebenden der Sintflut, dieser Ururgroßmutter der ältesten Pyramide; und eine unsichtbare Aura stieß mich ab und befahl mir, mich von den antiken und finsteren Geheimnissen zurückzuziehen, die kein Mensch sehen sollte und die nie ein Mensch je gewagt hatte zu sehen.
Abgelegen in der Wüste Arabiens liegt die namenlose Stadt, zerfallen und kaum sichtbar; ihre niedrigen Mauern beinahe verborgen unter den Sandmassen unzähliger Zeitalter. Sie muss schon so dagelegen haben, noch bevor die ersten Steine von Memphis gelegt wurden und die Ziegel Babylons noch ungebrannt waren. Es gibt keine Legende, die dieser Stadt einen Namen gibt oder daran erinnert, dass sie jemals existiert hat; aber man erzählt sich flüsternd am Lagerfeuer davon und Großmütter munkeln in den Zelten der Scheichs von ihr, sodass alle Stämme sie meiden, ohne genau zu wissen, warum. Von diesem Ort träumte der verrückte Dichter Abdul Alhazred in jener Nacht, bevor er seinen unerklärlichen Zweizeiler schrieb:
Was ewig liegen kann, das ist nicht tot, und in Äonen selbst der Tod zu sterben droht.
Ich hätte erkennen müssen, dass die Araber gute Gründe hatten, die namenlose Stadt zu meiden, von der zwar in seltsamen Geschichten berichtet, die aber von keinem lebenden Menschen je betreten worden war. Doch ich trotzte diesen Erzählungen und zog mit meinem Kamel in die unbekannte Einöde. Ich allein habe sie gesehen, und deshalb trägt kein anderes Gesicht solch abscheuliche Angstfalten wie das meine; und deshalb schaudert es auch keinen anderen Menschen so furchtbar, wenn der Nachtwind an den Fenstern rüttelt. Als ich in der gespenstischen Stille des ewigen Schlafes auf sie stieß, schaute sie mich an, unterkühlt von den Strahlen eines kalten Mondes inmitten der Wüstenhitze. Und als mein Blick auf sie fiel, vergaß ich meinen Triumph, sie gefunden zu haben, und blieb mit meinem Kamel stehen, um auf den Morgen zu warten.
Stundenlang wartete ich, bis der Osten ergraute und die Sterne verblassten und das Grau in ein rosiges Licht mit goldenem Rand überging. Ich hörte ein Stöhnen und sah einen Sandsturm, der sich zwischen den antiken Steinen regte, obwohl der Himmel klar war und die weiten Flächen der Wüste ruhig. Hinter dem winzigen Sandsturm, der sich mittlerweile auflöste, stieg dann plötzlich über dem fernen Rand der Wüste die gleißende Sonne empor und in meinem fiebrigen Zustand bildete ich mir ein, dass aus großer Ferne der Klang metallischen Klirrens zu hören war, um die feurige Scheibe zu begrüßen, so wie Memnon sie von den Ufern des Nils aus begrüßt.