Die Narrenburg - Adalbert Stifter - E-Book

Die Narrenburg E-Book

Adalbert Stifter

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Beschreibung

Adalbert Stifters Die Narrenburg ist ein Meisterwerk der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Das Buch erzählt die Geschichte des jungen Malers Julius, der in die geheimnisvolle Welt der Narrenburg gerät, einer alten Burg, die von seltsamen und exzentrischen Figuren bewohnt wird. Stifter's literarischer Stil zeichnet sich durch seine detaillierte Beschreibung der Natur und der Charaktere aus, wodurch er eine poetische und melancholische Atmosphäre schafft. Die Narrenburg ist eine Mischung aus Romantik und Realismus und reflektiert Stifters Interesse an der menschlichen Natur und der Suche nach Identität. Adalbert Stifter, ein österreichischer Schriftsteller und Maler, war bekannt für seine poetischen Beschreibungen der Natur und sein tiefes Verständnis für die Psychologie der Figuren. Stifter selbst war ein genauer Beobachter der Natur und übertrug dieses Detailbewusstsein auf seine Schreibweise. Die Narrenburg wurde 1844 veröffentlicht und ist ein Beispiel für Stifters Fähigkeit, komplexe emotionale und philosophische Themen in seine Werke einzubinden. Lesern, die sich für deutsche Romantik und realistische Erzählungen interessieren, wird Die Narrenburg von Adalbert Stifter dringend empfohlen. Tauchen Sie ein in eine Welt voller Geheimnisse, Charaktere und Naturbeschreibungen, die Sie in ihren Bann ziehen wird und zum Nachdenken anregt.

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Adalbert Stifter

Die Narrenburg

Eine Familiensaga

Books

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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-3759-3

Inhaltsverzeichnis

1. Die grüne Fichtau
2. Das graue Schloß
3. Der rothe Stein

1. Die grüne Fichtau

Inhaltsverzeichnis

Hanns von Scharnast hatte ein lächerliches Fideicommiß gestiftet. Seine Burg Rothenstein sammt Zugehör an Unterthanen, an Jagd-, Fisch- und Berggerechtigkeit solle sich in gerader Linie immer auf den ältesten Sohn forterben; ist kein Sohn da, auf Töchter, und in Ermanglung dieser auf die älteste Seitenlinie und so fort, bis etwa einmal der Fall eintritt, daß weder ein Cognat, noch ein Agnat von benanntem Hause übrig ist, wo sodann die Burg sammt Zugehör an den Fiscus fällt. Bis hieher wäre Alles richtig; aber eine Bedingung fügte er dem Fideicommisse bei, welche der ganzen Sache eine andere Wendung gibt. Jeder nämlich, dem die Burg als Erbschaft zufiel, mußte, ehe sie ihm ausgeantwortet würde, zweierlei Dinge leisten: erstens mußte er schwören, daß er getreu und ohne geringsten Abbruch der Wahrheit seine Lebensgeschichte aufschreiben wolle, und zwar von der Zeit seiner ersten Erinnerung an bis zu jener, da er nur noch die Feder zu halten im Stande war. Diese Lebensbeschreibung solle er dann Heft für Heft, wie sie fertig wird, in dem feuerfesten Gemache hinterlegen, das zu diesem Zwecke in den rothen Marmorfels gehauen war, der sich innerhalb der Burg erhebt; - zweitens mußte er schwören, daß er sämmtliche bereits in dem rothen Steine befindlichen Lebensbeschreibungen lesen wolle, wobei es ihm aber nicht gestattet ist, irgend eine von dem Gemache ihrer Aufbewahrung wegzutragen. Wer eine von diesen Bedingungen nicht erfüllen könne oder wolle, der wird betrachtet, als sei er im Augenblicke des Anfalles des Fideicommisses gestorben, und dasselbe geht auf seinen fideicommissarischen Nachfolger über. Für jeden minderjährigen Fideicommissar müsse das Erbe so lange vormundschaftlich verwaltet werden, bis er großjährig geworden, und sich erklären könne, ob er schwören wolle, ob nicht. Bei wessen Tode sich der Fall ereigne, daß man von ihm gar keine Lebensbeschreibung in dem rothen Steine finden könne, der wird als gar nicht geboren betrachtet, also ist auch seine ganze Nachkommenschaft nicht geboren, und das Fideicommiß geht an ihnen vorüber den Weg Rechtens weiter.

Der Grund, der Hannsen leitete, eine so seltsame Klausel an sein Fideicommiß zu hängen, war ein zweifacher. Erstens, obwohl er ein sehr frommer und tugendhafter Mann war, so hatte er doch in seinem Leben so viele Narrheiten und Uebereilungen begangen, und es war ihm daraus so viel Beschämung und Verdruß zugewachsen, daß er beschloß, alles haarklein aufzuschreiben, ja auch seinen Nachfolgern die Pflicht aufzulegen, daß sie ihr Leben beschreiben, damit sich Jeder, der nach ihnen käme, daran zu spiegeln und zu hüten vermöge.

Der zweite Grund war: daß sich jeder, der nur die entfernteste Anwartschaft auf Rothenstein hätte, gar wohl von Laster und Unsitte fern halten würde, damit er nicht dereinst in die Lage käme, sie beschreiben zu müssen, oder sie doch halbwegs einzugestehen, wenn er den Eid von sich schiebe.

Was nun den ersten Punkt anlangt, so hatte Hanns das Unglück, das schnurgerade Gegentheil von dem zu erreichen, was er erzielen wollte. Es mußte nämlich von ihrem Ahnherrn her so viel tolles Blut, und so viel Ansatz zur Narrheit in den Scharnasts gelegen haben, daß sie, statt durch die Lebensbeschreibungen abgeschreckt zu werden, sich ordentlich daran ein Exempel nahmen, und so viel verrücktes Zeugs thaten, als nur immer in eine Lebensbeschreibung hineingeht - ja selbst Die, welche bisher ein stilles und manierliches Leben geführt hatten, schlugen in dem Augenblicke um, als sie in den Besitz der verwetterten Burg kamen, und die Sache wurde immer ärger, je mehr Besitzer bereits gewesen waren, und mit je mehr Wust sich der neue den Kopf anfüllen mußte. Der Stifter würde sich im Grabe umgekehrt haben, wenn er durch die dicken Felsenwände in seine Gruft hineingehört hätte, was die Leute sagten; nicht anders nämlich, als die »Narrenburg« nannten sie den von ihm gerade in dieser Hinsicht so wohl verklausulirten Rothenstein.

In Bezug des zweiten Punktes, der Tugend nämlich, war es nicht recht klar, in wie weit der Gründer seinen Zweck erreicht habe; man sagte wohl den Scharnasts verschiedenes Böse nach, allein es kroch immer nur so im Dunkel herum: andrerseits stand aber auch die Thatsache fest, daß man sich nie einer Zeit erinnern konnte, wo einer von ihnen als ausnahmsweises Muster der Tugend wäre aufgestellt worden.

Heutzutage liegt die Burg beinahe in Trümmern, und seit der letzte Scharnast in Afrika erschossen worden ist, konnte man auch gar keinen Anwärter mehr auf den Rothenstein auftreiben, und ein Schalk warf bereits die lächerliche Rechtsfrage auf, ob nun auch der Fiscus seine Lebensbeschreibung werde schreiben müssen.

So standen actengemäß die Sachen, als sich das zutrug, was wir in den folgenden Blättern erzählen wollen.

Eines schönen Sommertages gegen Abend im Jahre 1836 schritt ein junger, leidlich schmucker Bursche das romantische Waldthal der Fichtau an dem Flusse Pernitz entlang. Dieser Mann war trotz des jungen freundlichen Gesichtes lächerlich anzusehen; denn er war verworren angezogen und mit den seltsamsten Dingen bepackt. An einem um die Schulter gehenden Lederriemen hing eine große, flache Seitentasche, wie ein Ofenschirm, der ihn am Gehen hinderte; längs der Kante dieser Tasche war ein Holzfuß geschnallt, der, auseinandergelegt, das Gerüste zu einem Feldsessel abgab. Auf dem Rücken trug der Mann ein Ränzlein, das ebenfalls wieder so breit war, daß es rechts und links an seiner Person hervorstand; davon hing ein langstieliger Hammer, und eine abenteuerliche Hacke herab; oben war ein großer grauer Regen- und Sonnenschirm, und eine lange Blechbüchse daran geschnallt, welche beide wagrecht so sehr über seine Schultern hinausragten, daß er von fern anzusehen war, wie ein wandelndes Kreuz. Die Hand hielt einen Alpenstock mit mächtiger Eisenspitze - des Uebrigen hatte er einen breiten Strohhut auf, eisenbeschlagene Stiefel an, und sein Rock schlug bei jedem Schritte so pendelmäßig gegen seine Füße, als trüge er beide Säcke voll Eisen oder Gestein. So hatte man ihn schon mehrere Wochen in den Bergen der Fichtau herumgehen und herumsitzen gesehen.

Die Fichtau aber ist ein schönes Bergrevier, voll sanftblickendem, rothbrüchigem Marmor, frischem Waldesgrün und eiskalten, abschießenden Quellen. Die Pernitz lauft unten voll Lärmen und Gepränge durch, bis sie draußen ein zahmer Fluß wird, Wiesen wässert, und Walkmühlen treibt. Die Fichtau ist ein paar Tagreisen östlich von dem freundlichen Pfarrdorfe Grünberg, und dem schönen Markte Pirling, welche beide an demselben Flusse Pernitz liegen. In der ganzen Fichtau ist kein einziger Ort, aber dafür ist sie gleichsam besäet mit einzeln liegenden Häusern und Gehöften, und mancher Landmann, wenn er seiner Arbeit nachging, sah obbesagten Wanderer, wie er sammt seiner Bepackung entweder an einer Felsenwand kletterte, und Steine herabschlug, mit denen er sich dann belastete, und sie seines Weges mit fortschleppte - oder man sah ihn auf seinem Feldsessel sitzen; den eisenspitzigen Stock hatte er in die Erde gebohrt, den Stiel seines Sonnenschirmes darauf geschraubt, und im Schatten desselben zeichnete er Wälder oder Blöcke ab, auf die sonst Keiner geachtet hatte, ob sie auch schon sein Lebtage in dem Thale gelegen waren - oder man sah ihn gehen, wie er einen schweren Strauß von Blumen und Kräutern in der einen Hand vor sich her trug, während er in der andern nebst dem Alpenstocke noch einige Ruthen und anders Zeugs hinter sich herschleifte.

Des Abends nun an jenem schönen Tage, dessen wir oben erwähnten, ging er schleuniger, als gewöhnlich neben der Pernitz hin, und machte mit Händen und Armen allerlei Bewegungen, wie einer, der ungeduldig und hastig ist, oder mit sich selbst redet. - Freilich war der Mann schon in seiner Jugend mit diesem Uebel der lauten Selbstgespräche behaftet, und was noch ärger ist, er deutete auch immer mit den Händen dazu, besonders, wenn er von Eifer oder Ungeduld gestachelt war, in welche beide er übrigens sehr leicht gerieth.

Er hatte eine Gruppe Häuser vor sich, auf die er zusteuerte. An einer Stelle nämlich, wo sich das Thal am meisten erweiterte, und der Fahrweg ordentlich in eine breite Straße auseinanderging, stand das Wirthshaus der Fichtau, zur grünen Fichtau geheißen, zwar nur aus Holz gezimmert, aber mit einer glänzenden Fensterreihe auf den Straßenplatz heraussehend, der so groß und eben war, daß hundert Wagen hätten darauf stehen können. - Mit Scheunen und Schoppen, und einem großen Garten ging das Haus in den geräumigen Winkel eines Seitenthales zurück, aus dem ein starker Bach hervorsprudelte. Jenseits des Baches steht eine Sägemühle, dann ist noch eine Schmiede, und weiter zurück hinter dem Wirthsgarten sind vier oder fünf Häuser mit blanken Fenstern und dem schönen flachen Gebirgsdache.

Dieser Häusergruppe eilte unser Wanderer zu, als hätte er noch so Wichtiges auf dem Herzen, und immer schleuniger ging er, je näher er kam, so daß das Gehen fast in ein halbes Laufen ausartete, da er vor dem Wirthshause anlangte.

»Gott grüß euch, Vater Erasmus,« sagte er eilig zu dem Wirthe, der mit seinem großen Hunde auf der Gasse stand, und mit dem Schmiede und einem Fuhrmanne plauderte, welcher Fuhrmann eine Art Wochenbote war, und alle Sonnabend bei dem Wirthe zur grünen Fichtau anzukommen pflegte, wo er Alles abgab, was immer für die Fichtauer aus dem Flachlande eingelaufen sein mochte. Sein Schecke stand im Stalle, sein Wagen im Schoppen, und er saß in der Abendsonne auf der langen Gassenbank des Wirthshauses, seine Gebirgspfeife rauchend, und Neuigkeiten aus dem Lande draußen auskramend. - »Gott grüß' euch, Vater Erasmus,« sagte also der angekommene Wanderer; »ich werde nur schleunig diese Sachen auf mein Zimmer hinauftragen, und sogleich wieder herabkommen, und euch eine Menge ausfragen. Ich habe heute die wundervollsten Ruinen entdeckt, und sie sogar gezeichnet.« Und somit ging er die Treppe hinan.

»Nun das geht dem noch ab, daß er das verrückte Schloß gefunden hat,« sagte der Wirth zu den zwei Andern, aber der hinauflaufende Mann hatte diese Worte mit seinem scharfen Gehöre vernommen, und wurde dadurch nur noch mehr gespannt. Nachdem er das Gepäcke abgelegt, und einen gehörigen Hausrock angethan hatte, kam er in dem Augenblicke wieder herunter, ein Papier in der Hand tragend, auf dem ein weitläufiges auf Felsen herumgruppirtes Mauerwerk mit Bleistift sauber skizzirt war.

»Das ist doch ein höchst merkwürdiges Gebäude,« sagte er, »ich bin vollständige vier Stunden selbst mit Anlegung meiner Steigeisen rings um dasselbe herumgeklettert, und habe durchaus keinen Eingang entdecken können.«

»Ei so,« sagte der Wirth, und sah die Andern Zwei pfiffig an.

»Was denn, ei so? die Sache ist haarscharf, wie ich sage, und ich begreife nicht, was da ein solches »ei so« sagen will.«

»Ich meine nur,« antwortete der Wirth, »daß das jeder Mensch in der Fichtau weiß, und daß es wunderbar ist, daß ihr allein es nicht wisset.«

»Ich sehe nicht ein, woher ich es wissen sollte; ich sage euch ja, ich habe heute das Schloß gerade erst so frisch gefunden, als hätte ich vor dritthalbhundert Jahren Amerika entdeckt. In eurem Lande unterstützt man Forschungen so wenig, daß sie den schönsten Marmor unbeachtet liegen lassen, oder höchstens Schweintröge daraus machen. Ihr selbst habt eure Mistjauche hinten mit Stücken des feinsten Kornes eingedämmt.«

»Hab' ich das? ei, ei, Oheim, wenn ihr weiter forschen werdet, so werdet ihr auch Thürstöcke und Wasserkufen davon finden, und wenn ihr dort überhaupt forschen dürftet, so fändet ihr in Annens Schlafkammer die feinsten Fenstersimse davon gemeißelt, und einen Waschtisch und Weihbrunnenkessel und ich weiß nicht, was noch, und in der Pernitz liegen noch unzählige Stücke und Blöcke, auf die Niemand achtet, als die Forellen, die darunter aus- und einschlüpfen.«

»Hab' Alles außer dem Waschtisch und Weihbrunnkessel schon gesehen und beobachtet,« entgegnete der Wanderer; »aber da habt ihr wohl Thürpfosten, das ist gut; allein eines eurer Herdecken ist auch von rothem Marmor, während das andere von Ziegeln ist; - aber das ist Nebensache. - Ihr sagt da von Forellen - haben wir morgen einige? ihr habt sie uns auf Sonntag versprochen.«

»Eine Million ist unten im Fischtroge, - eine Million.«

»Ich möchte wohl auch ein Dutzend,« sagte der Schmied. »Es kommt morgen mein Schwiegersohn, der Stadtschreiber.«

»Sollst haben, schwarzer Ohm,« sagte der Wirth, »sende nur herüber - also der Stadtschreiber kommt, und also auch die schneeweiße Thrine mit - schau, schau. - «

Und mit diesen Worten wiegte er den Kopf hin und her, gleichsam, als dächte er nach, und sein unmäßig großer, graugetigerter Hund saß mit dem Rücken gegen die untergehende Sonne, daß seine Rückenhaare wie feurige Spieße glänzten, und schaute seinem Herrn altklug in's Gesicht. Aber auch der junge Wandersmann stand noch immer trotzig mit seiner Schloßzeichnung da, und schaute ihm auch in's Gesicht und sagte: »Das mit den Forellen ist nun gut, Vater Erasmus, - den Stadtschreiber und die schneeweiße Thrine werden wir morgen begrüßen. Ich will selber einen schönen Rock anthun und mit in die Kirche hinausfahren; aber nun gebt mir auch ein klein Gehör. - Der Abend ist so schön als einer. Wir haben uns Alle bei Tage geplagt; morgen ist Sonntag, und da dürfen wir heute schon noch ein wenig in der Dämmerung plaudern. Lasset mir den Wein auf den Gassentisch stellen, ich setze mich zu Boten-Simon auf die Bank, und wenn er euch alle Getreidepreise von draußen gesagt, und die Pferde-, und Wein-, und Criminal- und Unglücksgeschichten erzählt hat: dann schaut aber auch auf mein Papier her, und sagt, was es mit diesem Schlosse ist, das da so, ohne daß Jemand etwas davon weiß, mitten in der Fichtau steht, mit Abenteuerlichkeit geziert, und so gut, als in gar keinem Style gebaut ist.«

»Das ist recht schön, Oheim, daß die Thrine herauskommt,« sagte der Wirth, »aber wenn sie nur nicht wieder eine Fracht Bücher bringt, und bei Annen abladet - und da müssen wir ja doch noch vor Sonnenaufgang sehen, daß wir einige Salblinge fangen, und Nachmittags ein Scheibenschießen machen - oder so etwas - damit sich Alles recht gut unterhalte, - es freut mich - - und was euer Schloß anlangt, junger Ohm, so würdet ihr Style genug sehen, wenn euch Ruprecht einmal hineinließe, ja ihr würdet Schlösser genug drinnen sehen, eine Sammlung von Schlössern, eine halbe Stadt von Schlössern, wie sie da herum auf allerlei rothe Steine angeklebt sind.«

»Wer ist denn dieser Ruprecht, und wie macht man es denn, daß er einen hineinläßt?«

»Das wäre sehr leicht,« antwortete Vater Erasmus, »wenn er nur selber einmal herauskäme.«

»War gleichwohl gestern in Priglitz,« sagte der Schmied, »und redete mit meinem Schwiegersohne, dem Stadtschreiber; ich stand selber dabei, als ihm der sagte, daß noch immer Niemand aufgetrieben sei.«

»Ich habe ihn auch gesehen,« redete jetzt der Boten-Simon darein, »es ist wirklich so, und ein erstaunlicher Fall ist es, daß ein so herrisches, verbreitetes Geschlecht ganz und gar ausgestorben sein soll - keine Maus hat sich gemeldet. Das Schloß, lieber junger Herr, das euch so anliegt, daß ihr es gar auf Papier abgerissen habt, das Schloß ist jetzt zu haben, und Einkünfte genug dazu; es kommt nur darauf an, daß ihr von einer recht närrischen Familie abstammet.«

»Ich gehöre selber unter den Rothenstein,« sagte der Wirth, »und das ganze rechte Pernitzer Viertel sammt Zehent und Gebühren, dann das linke Viertel bis in die Hatzleser Gräben, und ich glaube auch noch die Waldhäuser bis zum Ottostift hinauf, und bis an den Asang.«

»Der Asang gehört auch noch dazu,« sagte der Schmied; »er ist nur seit dem alten Julian an die Priglitzer verpfändet; mir hat es mein Schwiegersohn, der Stadtschreiber, erzählt.«

»Das ist nicht wahr,« rief der Boten-Simon; »ich bin von Asang, und ich und mein Vater und Großvater und wieder dessen Vater haben immer an die Priglitzer gesteuert, und keinen Hut vor dem Rothensteine gerückt.«

»Das ist,« entgegnete der Schmied, »weil der alte Julian älter ist, als ihr Alle, dein Scheck dazu gerechnet, und weil ihr eher an Priglitz verpfändet waret, als ihr geboren wurdet. Mein Schwiegersohn, der Stadtschreiber, hat mir einmal die Urkunde auf dem Stadthause gezeigt, und gestern hat er gesagt, daß jetzt alles kaiserlich wird, und dann wird der Pfandschilling hindangezahlt, und der Asang wieder an das alte Eisen angeschweißt. Der Julian war sonst ein entsetzlicher Herr; er hat seinen leibeigenen Bruder erschlagen.«

»Nicht erschlagen,« sagte der Wirth, »sondern nur um das Erbe der Mutter hat er ihn gebracht, weil er nie genug hatte, obwohl ihm auch der Rothenstein zugefallen war. In unsrem eigenen Hause war es, wo sie die Zusammenkunft hatten - mein Großvater war damals noch ein Bube, und er hat es uns wohl hundertmal erzählt - es war das letzte Mal, daß sich die Brüder gesehen hatten. Sie hießen Julius und Julianus. Julianus war der ältere, und da ihr Vater starb, war Julius in weiten Ländern, und kam auch gar nicht auf den Rothenstein, sondern auf unsrer Gasse sahen sie sich zum erstenmale seit Jahren wieder, und da hatten sie sich zum Willkomm umarmt, daß die Schwerter an ihnen rasselten, und dann sind sie in die grüne Oberstube hinaufgegangen, und die Pferde blieben auf der Gasse stehen. Die Kinder, nämlich mein Großvater und seine Schwester, dann auch ihre Mutter saßen beängstigt herunten in der Schenkstube, weil ihnen gleich nichts Gutes ahnte. Anfangs hörten sie nichts über sich, als den ruhigen Schritt der beiden Männer, wie sie oben taktgemäß auf und nieder gingen; dann war es stille, als ständen sie und als ob Einer spräche. - Mein Urgroßvater, der damalige Schenke, kam kreideweis zu den Kindern in die Stube, und sagte, als er oben nur zur Thür hineingeblickt, ob sie nichts brauchten, so hätten sie ihn gleich angefahren, und der Julius stehe an dem Tische, und schütte entsetzlich viel Wein hinunter. Der Urgroßvater blieb nun auch bei den Kindern herunten, und man horchte lange, lange hinauf, aber es blieb oben alles stille - immer stille - doch einmal geschah ein Fußtritt, daß man meinte, alle Tragbalken müßten knacken, und im Augenblicke, aber nur einige Secunden, rasselten wieder die Schwerter - dann ward's todtstille. - Sogleich aber rannte Julius die Treppe herunter, schwang sich mit glühenden Augen auf seinen schwarzen Hengst, warf ihn herum, und jagte so schnell dort an der Steinwand hinab, daß mein Großvater meinte, er sehe ordentlich ohne Unterbrechung die Hintereisen blitzen, als wolle sie der Rappe rücklings in die Luft schleudern, und Stücke rother Straßensteine flogen in die Pernitz. Alle aber liefen ungesäumt in die Oberstube, um dem gemordeten Julianus beizuspringen - dieser aber stand lebendig am Tische, und strich sich furchtbar mit der Hand den großen, rothen Schnurbart, den er immer trug - dann aber goß er einen ganzen Krug Wein in sich hinein, warf ein Stück Geld auf den Tisch, ging hinab, und ritt gelassen auf den Rothenstein zu. Er war von nun an Herr des Schlosses, wie es dem Erstgebornen auch gebührt; allein er war und blieb auch der Herr der Schätze und Einkünfte Seitens der früher verstorbenen Mutter, was von Rechtswegen dem jüngeren Julius gehört hätte. Von diesem aber ist seit jener Zeit kein Faden seines Gewandes mehr in der Fichtau sichtbar geworden.«

»Weil ihn doch der Julianus irgendwo erschlagen hat,« versetzte der Schmied.

»Dann müßte er ihn tiefer begraben haben, als Regen und Thau dringen können,« versetzte der Wirth, »daß ihn nicht die Pernitz oder unsre Bergwässer zu Tage gewaschen hätten - geht, geht, Ohm, das steht nur so in den Ritterbüchern eurer Thrine. «

»Mein Schwiegersohn, der Stadtschreiber,« sagte der Schmied, »meint selber - seit der letzte Abkömmling des Julian todt ist, und nun bereits das Schloß mit Lieg- und Fahrnissen in die Jahre lang allwärts ausgeschrieben ist, sei es seltsam, daß sich keine Klaue, und kein Hufnagel gefunden, der Anspruch machen könne - also ist der Julius damals erschlagen worden.«

»Das ist nur so, Kinder,« sagte der Boten-Simon, indem er die Pfeife ausklopfte, und wieder anstopfte, und alles umständlich that, und seine Rede beim Wiederanzünden durch kräftige »Paff, Paff,« häufig unterbrach - »das ist nur so: im Lande draußen erzählte mir vor langen Jahren ein Krämer, daß der Julius in Kriegsdienste des französischen Königs gegangen sei - aber da widerredete es ein alter Stelzfuß, und sagte: der Julius habe nicht gar so weit von der Fichtau gelebt, eine Bauerndirne geheirathet, und seine Tochter wieder an einen niedrigen Mann gegeben, und so sei nach und nach das Geschlecht im Volke verronnen, wie es ja auch einst daraus entstanden war.«

»So mag es sein,« sagte der Wirth, »oder es mag auch anders sein, aber daß er ihn erschlagen, glaube ich nicht; so schlecht waren sie nicht, sondern bloß alle närrisch.«

Der Wandersmann hatte bisher mit steigendem Interesse zugehört; nun stellte er seinen Krug zurück, und sagte: »Ja, wie weiß man denn, daß sie närrisch waren?«

»Nun Gott sei Dank,« antwortete der Wirth, »närrisch genug, junger Oheim; habt ihr denn das nicht schon an dem Schlosse erkennen mögen, da es weder Thor noch Eingang hat, und in keinem Style gebaut ist, wie ihr selber sagt. Oder ist es etwa vernünftig, wie der letzte Zweig aus dem Stamme des Julian that, oder wie sein Vater der Vorletzte that? Mit unsrem letzten Herrn war es so: Da haben die Franzosen, um die Unbill gut zu machen, die sie vordem an unsern Ländern verübt, Kriegsvölker in das Mohrenland geschickt, um Alles in Bausch und Bogen christlich zu machen, und da ließ Graf Christoph eines schönen Tages das Schloß zumauern, und ritt dann den Berg hinab gerade in das Mohrenland, um die Heiden gegen Christum zu unterstützen, und da haben sie ihn denn auch glücklich niedergeschossen; man weiß nicht, die Christen oder die Heiden. Sein Vater, Graf Jodok, war noch ärger. Ich habe ihn noch recht gut gekannt; er hat sich im Alter den Bart wachsen lassen, wie einer der heiligen drei Könige - und da sah ich ihn oft, nachdem er das Schloß angezündet hatte, vor seinem kleinen Häuschen unten am Berge sitzen.«

»Das Schloß hat er angezündet?«