Die Narzissten unter uns - Thomas Erikson - E-Book

Die Narzissten unter uns E-Book

Thomas Erikson

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Beschreibung

Sie denken nur an sich, lieben nur sich und sind unfehlbar – hat man einen Narzissten in seinem Umfeld, braucht man keine Feinde mehr. Umso wichtiger ist es, für sich einen Weg zu finden, mit ihnen umzugehen, ohne selbst unterzugehen: Der erfahrene Verhaltensforscher Thomas Erikson weiß, wie Narzissten ticken und wie man im Alltag mit ihnen zurechtkommen kann. Mit seinem Verhaltensmodell liefert er effektive Werkzeuge, um das manipulative Spiel der Narzissten nicht mitzuspielen und klare Grenzen zu setzen, damit man ein glücklicheres und unbeschwertes Leben führen kann.

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Seitenzahl: 390

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THOMAS ERIKSON

DIENARZISSTENUNTER UNS

THOMAS ERIKSON

DIENARZISSTENUNTER UNS

Toxische Menschen erkennen und ihnen klare Grenzen setzen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

1. Auflage 2022

© 2022 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die schwedische Originalausgabe erschien 2021 bei FORUM unter dem Titel OMGIVEN AV NARCISSISTER. © 2021 Thomas Erikson by Arrangement with Enberg Agency. All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Katja Theiß

Redaktion: Ariane Novel

Umschlaggestaltung: Pamela Machleidt

Abbildungen Innenteil: shutterstock/Lucky Photographer; nitinut380; James Hime; Chere; Pan Xunbin; Teddy Leung; Showtime.photo; Haggardous50000; Whitevector

Layout und Satz: Christiane Schuster | www.kapazunder.de

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7474-0442-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-850-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-851-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Einleitung

TEIL 1. Narzissmus – eine kurze Einführung

1. Was ist Narzissmus?

2. Immer einen Tick besser als der Durchschnitt

3. Die anderen zwei der dunklen Triade

4. Ist es normal, die ganze Zeit an sich selbst zu denken?

5. Eine erste Begegnung mit Linda

TEIL 2. Narzissmus – ein Genauerer Blick

6. Über die Tiefen komplexer Seelen

7. Liebe ich mich selbst? It’s complicated!

8. Emotionen und Narzisst:innen – wie Öl und Wasser?

9. Die Geheimsprache der Narzisst:innen

10. Hat ein wenig Narzissmus jemals geschadet?

11. Manipulation

12. Wer ist gefährdet, Opfer von Narzisst:innen zu werden?

13. Was macht jemanden zum/zur Narzisst:in?

14. Die Herausforderungen des Narzissmus

TEIL 3. Über den Umgang mit Narzisst:innen

15. Die Nähe zu Narzisst:innen als Herausforderung

16. Sich von Narzisst:innen befreien

17. Sich systematisch und strukturiert für immer befreien

18. Kann man Täter:innen vermissen?

19. Ein Treffen mit Linda – eine Analyse ihres Verhaltens

TEIL 4. Eine narzisstische Kultur

20. Wenn das Problem mehr als nur ein paar Menschen betrifft

21. Ausdrucksformen einer narzisstischen Kultur

22. Der buchstäbliche Blick in den Rückspiegel

23. Aggression und kollektiver Narzissmus

24. Wie konnte es so weit kommen?

25. Selbstwertgefühl – der Mühe wert?

26. Wie haben die 1970er-Jahre unsere Eltern beeinflusst?

27. Teste dich selbst: Bist du ein/e Narzisst:in?

28. Sei die Veränderung

Zum Abschluss. Linda, dritter Teil: Wie können wir ihr helfen?

Bibliografie und Quellen

Einleitung

I

Liebe kann das Schönste sein, was ein Mensch in seinem Leben erfährt. Wahre, echte Liebe, die erwidert wird und stark genug ist, um den Kern deines Wesens zu erschüttern. Sie lässt dein Herz rasen und deine Beine werden weich wie nie zuvor. Ich spreche von der Art von Liebe, bei der du träumerisch zum Horizont blickst und dich unendlich nach dem Objekt deiner Begierde sehnst. Eine Liebe, die dich dazu bringt, deine/n Partner:in vor jeder aufkommenden Bedrohung beschützen zu wollen. Normalerweise braucht es zwei Menschen, um diese Art von unendlicher, überlebensgroßer Bewunderung zu erschaffen. Aber manchmal ist es auch anders.

Vor einigen Jahren habe ich Hilfe, Psychopathen! geschrieben. Seit der Veröffentlichung haben mir unglaublich viele Leute vorgeschlagen, doch auch ein Buch über Narzisst:innen zu schreiben. Zunächst hat mich das nicht besonders neugierig gemacht. Das lag vor allem daran, dass Narzissmus und Psychopathie eng miteinander verbunden sind. Ich fand es schwierig, dem Thema wesentlich neue oder andere Aspekte hinzuzufügen.

Doch während ich an anderen Projekten arbeitete, fielen mir mit der Zeit eine Reihe seltsamer Phänomene auf, die in unserer heutigen Gesellschaft vorkommen. Aus meiner Sicht ergaben diese Entwicklungen, ehrlich gesagt, wenig Sinn. Ich ertappte mich immer öfter dabei, wie ich mit einer ganzen Reihe von Leuten, die selbst ähnliche Beobachtungen gemacht hatten, über eher ungewöhnliche Fragen diskutierte. Immer häufiger traten Phänomene, die wir zuvor noch nie beobachtet hatten, direkt vor unseren Augen auf.

In der Zwischenzeit kamen immer wieder Anfragen von verschiedenen Seiten: »Wann schreiben Sie ein Buch über Narzissmus?« Schließlich wurde mir die Frage von jemandem gestellt, den ich nicht abwimmeln konnte, und ich fing an, zugegebenermaßen anfangs etwas widerwillig, zu recherchieren. Nach einigen gründlichen Nachforschungen rund ums Thema Narzissmus dämmerte mir, dass ich auf die Erklärung für eine ganze Reihe von Merkwürdigkeiten gestoßen war, die überall zu beobachten sind.

Die psychiatrische Definition der narzisstischen Persönlichkeitsstörung leitet ihren Namen von der Figur des Narziss aus der griechischen Mythologie ab. Dieser für seine Schönheit berühmte Jüngling war der Sohn des Flussgottes Kephissos. Narziss war so unglaublich schön, dass sich jeder, der ihn sah, sofort in ihn verliebte. Das Problem war nur, dass er alle zurückwies, auch das junge Mädchen Echo – und dass er deshalb dazu verdammt wurde, sich in sein eigenes Spiegelbild zu verlieben.

In einer Version des Mythos – es gibt erstaunlich viele konkurrierende Versionen – verhungert Narziss einfach, während er am Teich sitzt und sein Spiegelbild betrachtet. Schließlich verwandelt er sich in eine weiß-gelbe Blume, die seither nach ihm benannt ist; zur Gattung der Narzissen gehören zum Beispiel auch die Osterglocken.

Welcher Version des Mythos wir auch immer Glauben schenken wollen, der arme Narziss war, soweit wir wissen, der erste Mensch, der dieser mächtigen Form der Selbstliebe zum Opfer fiel. Aber da es sich bei Narziss um eine mythische Figur handelt, ist es wahrscheinlich, dass das Problem schon bekannt war, bevor die Geschichte zum ersten Mal erzählt wurde. Mythen beschreiben und erklären in der Regel Dinge, die die Menschen bereits vorher kennengelernt haben. Und wir kennen das Phänomen auch nur zu gut.

Jene Menschen, die unaufhörlich über sich selbst reden und der Welt ihr unglaubliches Wissen, ihre Fähigkeiten, ihre Erfahrung und ihre Referenzen aufdrängen; die sich berechtigt fühlen, von allem, was das Leben zu bieten hat, das Beste zu bekommen; die sich besser, attraktiver und erfolgreicher fühlen; die Hunderte von Selfies machen, sie akribisch prüfen, um das beste herauszufiltern, und dann vor lauter Wut explodieren, wenn der Post nicht so viele Likes erhält, wie sie meinen, verdient zu haben. Sie folgen den Trends, legen großen Wert darauf, gesehen zu werden, und sind anscheinend bereit, fast alles zu tun, um aufzufallen. Sie regen sich auf, wenn der erwartete Erfolg ausbleibt, und jammern, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie es sich vorstellen.

Vielleicht denkst du jetzt, dass es solche Leute ja schon immer gab. Früher hätten wir nur gedacht: »Was für ein/e Idiot:in!« Doch heute zieht bei einem solchen Verhalten kaum jemand die Augenbraue hoch. Denn so sieht die neue Normalität aus.

Familien, die auf einem Schuldenberg sitzen, nur damit sie mit anderen mithalten können. Eltern, die ihre Kinder davon überzeugen, dass sie alles sein können, was sie wollen, weil sie von Natur aus so fantastisch sind. Influencer:innen, deren einzige wirkliche Leistung darin besteht, in den sozialen Medien in trendigen Outfits aufzutreten. Wie lange geht das schon so?

Schüler:innen meinen, sie bräuchten nicht zu lernen, weil sie glauben, alles schon zu wissen. Der Notendurchschnitt an unseren Schulen fällt immer schlechter aus, obwohl die Benotungskriterien immer stärker verwässert werden. In Familien geben diejenigen den Ton an, die keine oder nur unzureichende Erfahrungen im wirklichen Leben haben. Teenager wählen das Urlaubsziel der Familie aus. Mütter kaufen ihren Kindern Autos, die mehr kosten als die, die sie selbst fahren. Studierende bilden einen Mob, statt sich mit ihren ideologischen Gegner:innen in einer Debatte auseinanderzusetzen – sie schimpfen und setzen auf Aufruhr, um jene Redner:innen, die sie ablehnen, mundtot zu machen. Menschen geben offen zu, dass sie alles tun würden – wirklich alles –, um erfolgreich zu sein. Doch erfolgreich wobei?, fragt man sich dann. Vielleicht bei der Teilnahme an Realityshows im Fernsehen, in denen Körper und Verhalten in einer Weise gezeigt werden, die noch vor wenigen Jahrzehnten unglaublich schockiert hätte.

Was wir heute für normal halten, sieht anders aus. Und man kann zwischen den obigen Beschreibungen und Narzissmus offensichtliche und beunruhigende Verbindungen herstellen. Denn all diese Beschreibungen enthalten deutliche Anzeichen für narzisstisches Verhalten. Manchmal muss man allerdings ein paar Schritte zurücktreten, um aus der Distanz das Muster zu erkennen. Sobald man das tut, erkennt man es ganz deutlich.

II

Die Psycholog:innen sind sich mehr oder weniger einig: Eine klinische Diagnose tritt bei etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung zu. Absoluten Konsens in diesem Bereich gibt es allerdings nicht, und verschiedene Forscher:innen führen unterschiedlichen Zahlen an. Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen gehören hier zur Tagesordnung. Wir gehen von ein oder zwei Prozent aus, diese Angabe ist für unsere Zwecke genau genug. Ein Prozent ist kein großer Anteil, jedenfalls klingt es nicht nach sonderlich viel. Eher nach einer winzigen Panne im System. Andererseits bedeutet das, dass in meinem Heimatland Schweden zwischen 100 000 und 200 000 Narzisst:innen leben.

Wendet man den gleichen Prozentsatz auf die gesamte Weltbevölkerung an, so ergibt sich eine Zahl zwischen 70 und 140 Millionen Narzisst:innen. Zwischen dem klinischen Begriff der narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) und dem, was wir als narzisstisches Verhalten bezeichnen, besteht jedoch ein erheblicher Unterschied. Narzisstisches Verhalten wird von Menschen an den Tag gelegt, die offensichtliche narzisstische Tendenzen haben, ohne eine klinische Diagnose erhalten zu haben. Im weiteren Verlauf dieses Buches gebe ich eine Reihe von Beispielen für das, was ich als narzisstische Kultur bezeichne. Dabei handelt es sich um narzisstische Verhaltensweisen, die auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft immer häufiger anzutreffen sind. Ein Beispiel dafür ist die zunehmende Betonung des eigenen Ichs. Internationale Forschungen legen nahe, dass dies in der westlichen Kultur bei etwa zehn Prozent der Menschen der Fall ist, vielleicht sogar bei weit mehr. Manche sprechen sogar von 15 bis 20 Prozent.

Allein bei der Vorstellung, diesen Prozentsatz auf die Weltbevölkerung zu übertagen, überkommt mich das dringende Bedürfnis, mich im Bett zu verkriechen.

Wenn wir uns ansehen, was klinischer Narzissmus eigentlich ist, stellt man schnell fest, dass Betroffene neben anderen Merkmalen dazu neigen, unrealistische Selbstbilder zu haben, der Selbstbesessenheit zu frönen, sich für einzigartig zu halten, nur über sich selbst zu sprechen, jegliche Kritik und negatives Feedback abzuwehren, das Gefühl zu haben, dass die Regeln für sie nicht gelten, und im Grunde nach nichts anderem als äußeren Belohnungen und sozialer Anerkennung zu streben. Alle anderen – und zwar alle – sollten gefälligst den Weg frei machen, denn hier komme ich!

Narzisst:innen streben wirklich nach Vollkommenheit, vor allem in den Augen der anderen. Sie wollen, dass jeder sie als den schönsten, intelligentesten, informiertesten, fittesten, bestgekleideten, wohlhabendsten, erfolgreichsten und glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt sieht und anerkennt. Und hier liegt auch das offensichtliche Problem: Dieses Ziel ist sowohl irrational als auch völlig unerreichbar.

Im Grunde kann es nichts Gutes bedeuten, wenn sich Narzissmus in der Gesellschaft immer weiter verbreitet. Wollen wir das Thema jedoch ernsthaft angehen, müssen wir erst einmal herausfinden, was da eigentlich los ist. Außerdem müssen wir uns Gedanken über die praktischen Folgen machen, die wir alle zu tragen haben, wenn wir dem Narzissmus freien Lauf lassen. Worauf ich hinauswill: Wir müssen uns der Bedeutung der Herausforderung bewusst sein. Wenn man nicht weiß, welches Problem man lösen soll, wird man auch nicht die Notwendigkeit einer Lösung erkennen.

Einst, vor langer, langer Zeit, gab es keine SUVs. Dann, eines Tages, wurden SUVs zu einer angesagten Sache. Einige Leute kauften sie und genossen die Vorteile eines hohen, sicheren Sitzplatzes mit guter Sicht auf den Verkehr (auf Kosten aller anderen), und sie genossen auch das Gefühl der Sicherheit, denn bei einem Zusammenstoß mit einem normalen Auto wären sie geschützt. Wer jedoch keinen Geländewagen fuhr, befand sich plötzlich in größerer Gefahr, weil er nun mit einem solchen kollidieren konnte. Die wichtigsten Kosten im Zusammenhang mit SUVs wurden im Grunde von allen anderen Fahrer:innen getragen.

Immer mehr Menschen kauften SUVs. Sie wollten sich auch sicher fühlen und einen guten Überblick über den Verkehr haben. Was aber waren die Folgen? Der Kraftstoffverbrauch stieg, die Ressourcen des Planeten wurden rücksichtsloser denn je ausgebeutet, die Emissionen stiegen … Wenn alle einen SUV fahren, würden viele der ursprünglichen Vorteile wegfallen. In gewisser Weise ist das wie eine Falle.

Narzissmus funktioniert ähnlich. Das Verhalten eines Narzissten geht auf Kosten anderer, so wie die Invasion der SUVs hauptsächlich auf Kosten anderer Autofahrer:innen ging. Narzisst:innen können ihren Stolz aufrechterhalten, indem sie auf jemanden losgehen, der sie beleidigt hat. Ebenso können sie ihr Gefühl ihrer eigenen persönlichen Großartigkeit aufrechterhalten, indem sie die Lorbeeren für die Leistungen ihrer Mitmenschen einheimsen. Sie können sich ein cooles Image als Player geben, indem sie sich mit zahllosen potenziellen Partner:innen verabreden, die nicht einmal von der Existenz der anderen erfahren. Narzisst:innen können sich tatsächlich weiterhin wunderbar und großartig fühlen, während sie bewirken, dass alle um sie herum leiden.

Manche gehen davon aus, dass es eine Grenze gibt, wie viele selbstverliebte Narzisst:innen wir kollektiv verkraften können. Das ist ein interessanter Gedanke: Wie viel Narzissmus kann die Gesellschaft tatsächlich ertragen? Vorausgesetzt, das Phänomen tritt wirklich gehäuft auf.

III

Natürlich ist die Frage, wie es so weit kommen konnte, unglaublich interessant. Einfach zu beantworten ist sie aber auf keinen Fall. Einige geben dem Internet und den sozialen Medien die Schuld, andere verweisen auf die allgegenwärtige Botschaft, dass wir alle unser Selbstwertgefühl kultivieren und die beste Version sein müssen, die wir sein können. Die sozialen Medien wurden ursprünglich von Menschen geschaffen, die wirklich Gutes in der Welt tun und Menschen miteinander verbinden wollten, um ihr Leben online zu teilen. Andere sind der Meinung, dass es diese narzisstischen Züge schon immer gab und sich nur dadurch geändert hat, dass wir nun die Mittel haben, sie auszudrücken.

Dass Eltern, die ihre kleinen Lieblinge vom Moment ihrer Geburt an in dem Glauben bestärken, sie seien Prinzessinnen oder Weltmeister, zugegebenermaßen mit den besten Absichten, unbeabsichtigt eine träge Armada von egomanischen Underachievern produzieren, wird dabei kaum erwähnt. Später werde ich in diesem Buch noch auf Beispiele eingehen, in denen die Leistungen von Schüler:innen mit unterschiedlichem Selbstwertgefühl verglichen wurden. Die Ergebnisse können nur als »interessant« bezeichnet werden. Sich einzubilden, dass man toll und erfolgreich ist, bevor man die Arbeit überhaupt begonnen hat, ist natürlich ein Ansatz. Allerdings wissen wir auch nicht mit Sicherheit, ob Menschen eher danach streben, sich erfolgreich zu fühlen als tatsächlich erfolgreich zu sein.

Ich möchte daher den Gedanken verfolgen, ob wir vielleicht tatsächlich den Punkt erreicht haben, an dem der Nutzen von Selbstbezogenheit langsam nachlässt und ihre Vorteile ausradiert. An welchem Punkt verwandelt sich ein gutes, gesundes Selbstwertgefühl in Eitelkeit und Selbstbesessenheit, wann gehen sie in einen pathologischen Egoismus über?

Selbst die, die nur dem Risiko ausgesetzt sind, narzisstische Züge zu entwickeln, und die nicht zu echten Narzisst:innen werden, sollten hier gewarnt sein. Obwohl Narzisst:innen immer in der Lage sind, einen Raum, ein Gespräch oder sogar ein ganzes Unternehmen zu beherrschen, verraten sie sich am Ende unweigerlich selbst. Die Menschen um sie herum entwickeln irgendwann eine echte Abneigung gegen sie. Wenn Narzisst:innen ihre offensichtliche Selbstbezogenheit nicht aufgeben, lösen sie bei anderen schließlich Gefühle der Abscheu aus. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Narzisst:innen eigentlich erreichen wollen, nämlich unerschütterliche Bewunderung.

IV

Bevor ich mich mit der narzisstischen Kultur befasse, die sich gerade entwickelt, werde ich Beispiele für die narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) beschreiben, die eine wirklich tiefgreifende Störung ist.

Ich möchte dich und alle anderen auffordern, sehr sorgfältig darüber nachzudenken, was wir als Gesellschaft anstreben sollten. Was für ein Mensch wollen wir sein? Wer willst du sein? Wovon willst du dein Leben und dein persönliches Wachstum bestimmen lassen? Wie möchtest du von anderen gesehen werden, und zwar ab jetzt?

Wir könnten uns für den typisch narzisstischen Weg entscheiden, der mit Eitelkeit, Selbstbezogenheit, oberflächlichen Beziehungen, Gier, sozialer Isolation, Schuldgefühlen und Chaos gepflastert ist. Wir können auch einen anderen Weg wählen, einen, der uns von all diesen Dingen wegführt. Wir können nach einer weitaus größeren Wahrheit und Freiheit streben, aber auch weitreichende Verantwortung übernehmen – für uns selbst, unsere Familien, unsere Kinder und all die Menschen, die uns am Herzen liegen. Diese Verantwortung umfasst auch die Gesellschaft, in der wir leben.

Dieser Weg ist zweifellos anspruchsvoller, aber im Gegensatz zum Ansatz der Narzisst:innen, der weitgehend auf einer Illusion beruht, ist er echt. Anstatt einer utopischen Vorstellung von persönlicher Perfektion nachzujagen, können wir dafür sorgen, dass sich dieser Zustand ständig verbessert. Auch wenn dies in gewisser Weise eine Reise ohne wirkliches Ziel ist, so ist es doch eine echte Reise, bei der man sich selbst treu bleiben kann.

Eine Voraussetzung dafür gibt es allerdings: Wir müssen uns erlauben, innezuhalten und über diese Dinge nachzudenken. Wir müssen auf die Bremse treten und über Themen nachdenken, die uns für den Rest unseres Lebens beeinflussen könnten. Ein bisschen weniger an uns selbst und ein bisschen mehr an andere zu denken, ist der Weg zu wahrem Erfolg und Glück. Genau darum geht es in meinem Buch.

TEIL 1

Narzissmus – eine kurze Einführung

1 Was ist Narzissmus?

Narzisst:innen hat es, ebenso wie Psychopath:innen, schon immer gegeben. Sie gehören zur Spezies Homo sapiens dazu. Genauso wie es leise und laute Menschen, Frühaufsteher:innen und Nachteulen, Katzen- und Hundemenschen und so weiter gibt. Die Evolution hat das Phänomen des Narzissmus hervorgebracht, und es ergibt wahrscheinlich wenig Sinn, nach dem Warum zu fragen. Vielleicht ist das alles ein grausamer Scherz, den sich unser Schöpfer zu Anbeginn der Zeit ausgedacht hat. »Schaut her, wie wär’s mit dieser interessanten Herausforderung – warum schicke ich ihnen nicht ein trojanisches Pferd in Menschengestalt?«

Warum eigentlich nicht? Als Spezies hat sich die Menschheit mit einer langen Reihe von Problemen und Hindernissen herumgeschlagen, die sich in einer verwirrenden Vielfalt zeigen. Narzissmus ist nur ein Beispiel unter vielen.

Beim Narzissmus muss man bedenken, dass es sich nicht um eine Krankheit handelt – es ist kein Aspekt der psychischen Gesundheit im eigentlichen Sinne. Man kann ihn nicht mit Medikamenten behandeln oder lernen, mit ihm zu leben. Narzissmus ist eine Persönlichkeitsstörung. Es ist wichtig, sich das klarzumachen, um die Vorstellung von einer Heilung oder Behandlung der Krankheit sofort ad acta legen zu können. Ich gehe später auf die gängigen Behandlungsmethoden ein, aber Narzissmus scheint genauso wenig heilbar zu sein wie Farbenblindheit oder jenes unglückliche Leiden, das manche Menschen dazu bringt, die Rolling Stones gerne zu hören. Es ist, wie man so schön sagt, was es ist.

Wikipedia sagt: »Die narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) zeichnet sich durch einen Mangel an Empathie, Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und gesteigertes Verlangen nach Anerkennung aus. Typisch ist, dass die betroffenen Personen übermäßig stark damit beschäftigt sind, anderen zu imponieren und um Bewunderung für sich zu werben, aber selbst nur wenig zwischenmenschliches Einfühlungsvermögen besitzen und nur wenig emotionale Wärme an andere Menschen zurückgeben.«

Die Mayo Clinic, eine amerikanische Non-Profit-Organisation mit Niederlassungen auf der ganzen Welt, beschreibt Narzissmus folgendermaßen: »… eine psychische Störung, bei der Menschen ein übersteigertes Gefühl für ihre eigene Wichtigkeit, ein tiefes Bedürfnis nach übermäßiger Aufmerksamkeit und Bewunderung, gestörte Beziehungen und einen Mangel an Empathie für andere haben.«

Wie bei vielen anderen Diagnosen wird auch diese im alltäglichen Sprachgebrauch häufig etwas ungenau eingesetzt. Manchmal wird jemand schon zum/zur Büro-Narzisst:in abgestempelt, der/die dazu neigt, leicht zu übertreiben, sobald er/sie von sich selbst spricht. Egozentrische Menschen können sicherlich nervig sein, und natürlich ist es ein Anzeichen für Narzissmus, aber eben nicht das einzige.

Typische Merkmale des Narzissmus:

unrealistisches, grandioses Selbstbild,

unglaublich selbstbezogen,

spricht nur über sich selbst,

fühlt sich besonders und einzigartig,

ist arrogant und überheblich,

kritisiert und beurteilt schnell andere,

denkt, dass die Regeln für ihn/sie nicht gelten,

betreibt ständig Eigenwerbung,

erhebt Anspruch auf das Beste von allem,

reagiert sehr empfindlich auf Kritik,

legt Wert auf Macht und Ruhm,

fordert ständige Anerkennung ein,

wird aggressiv, wenn er/sie infrage gestellt wird,

betrügerisch und manipulativ.

All diese Punkte lassen sich in kleinere Komponenten unterteilen, und es lohnt sich, die verschiedenen Punkte eingehend zu analysieren, da man dabei oft eine Erklärung für etwas finden kann, das sonst nur ein vages Gefühl hinterlässt. Ich bin mir sicher, dass du schon Menschen getroffen hast, die man als Narzisst:innen diagnostizieren würde, auch wenn dir das vielleicht nicht bewusst war. Wahrscheinlich sind dir dann Gedanken wie »Das fühlt sich seltsam an« oder »Warum fühle ich mich bei diesem Gespräch unwohl?«, »Stimmt etwas mit mir nicht?« durch den Kopf gegangen. Und vielleicht helfen dir die folgenden Beschreibungen, diese Gedanken zu klären.

Falls man zu Unrecht jemanden als eine/n Narzisst:in dargestellt hat, erhältst du in diesem Kapitel das nötige Handwerkszeug, um das selbst herauszufinden. Du wirst lernen, die Muster zu erkennen, auch wenn du kein qualifizierter Psychologe oder keine qualifizierte Psychologin bist.

Werfen wir einen detaillierten Blick auf jedes Merkmal

Wenn wir uns die einzelnen Merkmale kurz ansehen, stellen wir schnell fest, dass sie eigentlich alle recht gut zusammenpassen. Einige von ihnen überschneiden sich sogar, ohne identisch zu sein.

Unrealistisches Selbstbild

Manchmal wird das auch als »grandioses« Selbstbild bezeichnet. Ein unrealistisches Selbstbild ist genau das, was man erwarten würde: Es handelt sich um ein Selbstbild, das nicht mit der Realität übereinstimmt. Der Begriff »unrealistisch« lässt jedoch zwei verschiedene Interpretationen zu: Schließlich hat auch eine sehr erfolgreiche Person, die sich als völlige/r Versager:in fühlt, ein unrealistisches Selbstbild. Realistisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Bild gut mit der Realität übereinstimmt. In unserem Fall geht es um den entgegengesetzten Zusammenhang: Menschen, die ihre Leistungen überschätzen, sodass sich auch mittelmäßige Versager:innen als wahre Gewinner:innen sehen können.

Eine bestimmte Gruppe von Narzisst:innen (die im Gegensatz zu anderen Narzisst:innen tatsächlich oft Hilfe suchen, teils wegen auftretender Depressionen, teils wegen der ihnen dadurch entgegengebrachten Aufmerksamkeit) neigen dazu, sich als Versager:innen zu betrachten. Sie betonen jedoch, dass ihr Versagen die direkte Folge ihrer ungerechten Behandlung durch die Welt ist und dass ihre Talente sie deutlich von der Masse abheben. Sie sind in der Regel neidisch auf andere Menschen und vermuten oft, dass deren Erfolge durch unlautere Mittel erreicht wurden und nicht durch echtes Talent oder Verdienst, wie bei anderen Narzisst:innen.

Ihre unrealistische Selbsteinschätzung beruht oft darauf, dass sie ihre eigenen Grenzen nicht anerkennen. Sie nehmen Jobs an, für die sie nicht qualifiziert sind, und sind dann wirklich überrascht, wie herausfordernd diese sind. Sie lassen sich auf Diskussionen über Themen ein, von denen sie so gut wie nichts wissen, und können es dann nur schwer akzeptieren, wenn ihre Unwissenheit aufgedeckt wird und sie die Diskussion verlieren.

Unglaublich selbstbezogen

Das Online-Wörterbuch von Merriam-Webster definiert Selbstbezogenheit einerseits als Selbstgenügsamkeit und andererseits als ausschließliche Beschäftigung mit den eigenen Wünschen, Bedürfnissen oder Interessen. Ersteres hat nichts mit Narzissmus zu tun – im Gegenteil, Narzisst:innen neigen dazu, zur Befriedigung ihrer psychischen Bedürfnisse völlig von anderen abhängig zu sein. Narzisst:innen denken im Wesentlichen nur an sich selbst, an ihre eigenen Erfahrungen, ihre Vorlieben und Bedürfnisse. Andere Menschen? Nun, die gibt es natürlich auch, aber hauptsächlich, um sie zum eigenen Vorteil auszunutzen.

Im Grunde genommen dreht sich alles andere um Narzisst:innen. Ihre Sicht der Welt ist die einzige, die zählt, und alle anderen sollten sich besser anpassen. Alles, was in ihrer Umgebung geschieht, wird nach ihrer eigenen Meinung beurteilt. Erkennen sie eine Möglichkeit, von einer Situation zu profitieren, ist das positiv – auch wenn es negative Folgen für zehn andere Menschen hat. Ist es dagegen für Narzisst:innen schlecht, aber für hundert andere gut, ist es insgesamt schlecht.

Spricht nur über sich selbst

Jedes Gespräch wird unweigerlich auf den Narzissten oder die Narzisstin hinauslaufen. Das Thema selbst ist nicht wichtig. Nichts ist für Narzisst:innen natürlicher, als sich in alles einzumischen. Das ist es, was sie schließlich am meisten interessiert: Narzisst:innen wollen in jede Geschichte verwickelt werden und ihre Erfahrungen hervorkehren. Da andere Menschen nicht sonderlich interessant sind, ist es für sie nur logisch, das Thema auf etwas Spannenderes zu bringen. Und sollte es Narzisst:innen nicht gelingen, das jeweilige Gesprächsthema auf sich zu lenken, wechseln sie einfach das Thema, sodass es um sie geht. Sicherlich kennst du den alten Kalauer »Das war jetzt genug über mich. Lass uns über dich reden. Was denkst du über mich?«.

Fühlt sich besonders und einzigartig

Narzisst:innen sind der Meinung, dass sie in hohem Maße einzigartig und wirklich etwas Besonderes sind. Natürlich ist jeder Mensch auf seine Weise einzigartig, aber für Narzisst:innen bedeutet dies, dass sie Fähigkeiten besitzen, die fast niemand sonst hat. Sie haben andere Eigenschaften als andere Menschen.

Sie sehen besser aus, sind klüger oder erfolgreicher. Das sind Menschen, die sich selbst als Gottes Geschenk an die Menschheit betrachten. Sie halten sich selbst für absolut fabelhaft, und wenn jemand etwas anderes behauptet, gibt es Ärger. Hinzu kommt, dass Menschen, die zum Narzissmus neigen, sich oft einbilden, von anderen in hohem Maße geschätzt, ja sogar geliebt zu werden. Sie glauben ernsthaft, dass sie in weiten Kreisen sehr beliebt sind – vielleicht beliebter als alle anderen –, aber in Wahrheit sind sie eher nur in einer ganz bestimmten Gruppe beliebt und in anderen weit weniger.

Narzisst:innen glauben, dass sie die Welt beherrschen, selbst wenn alle anderen sehen können, dass sie nicht einmal annähernd an diese Vorstellung heranreichen.

Kritisiert und verurteilt schnell andere

Da Narzisst:innen bereits in allem die Besten sind und diese Tatsache freimütig mit allen teilen, die ihnen über den Weg laufen, wissen sie auch, dass alle anderen in allem viel schlechter sind. Es macht ihnen auch nichts aus, diese Tatsache offen kundzutun, oft auf verurteilende Art und Weise. Da Narzisst:innen sich berechtigt fühlen, zu denken und zu sagen, was sie wollen, tun sie oft genau das. Und aufgrund der offensichtlichen Verachtung, die sie allen anderen entgegenbringen, können sie nicht anders, als andere herabzusetzen. Im Grunde genommen fühlen sich Narzisst:innen besser, wenn sie andere herabsetzen, da sie sich dadurch wichtiger fühlen. Wie Gewinner:innen sozusagen.

Da Narzisst:innen in ihrem Verhalten und ihrer Einstellung zu Arroganz und Hochmut neigen, widmen sie nur wenigen Menschen ihre Zeit und Aufmerksamkeit bereitwillig. Schließlich sind die kleinen Leute ihrer Aufmerksamkeit nicht wirklich würdig.

Narzisst:innen, die über ausgeprägte soziale Fähigkeiten verfügen, können ahnungslosen Opfern großen Schaden zufügen. Die enorme Zunahme an Hatespeech im Internet in den letzten Jahren ist nur ein Beispiel dafür. Menschen anzugreifen, die man aus irgendeinem Grund nicht mag, ist eine besondere Spezialität von Narzisst:innen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Opfer schuldig oder unschuldig ist. Da Narzisst:innen nicht an moralische Gesetze gebunden sind und sich berechtigt fühlen, zu tun, was sie wollen, und sie sich irgendwie erhaben fühlen, wenn sie andere niedermachen, sind sie bereit, sehr viel Zeit damit zu verbringen, Menschen auseinanderzunehmen. Manchmal sind sie im Grunde nur Mobber:innen.

Reagiert sehr empfindlich auf Kritik

Manche Menschen kritisieren schnell, weil sie eine offene und freizügige Gesprächsatmosphäre bevorzugen, aber bei Narzisst:innen ist das immer eine Einbahnstraße. Sie selbst nehmen sich das Recht heraus, andere zu kritisieren und niederzumachen, aber sie sind viel zu sensibel, als dass sie sich anhören würden, was andere über sie denken. Da sie jede Kritik, die ihnen entgegengebracht wird, als Zeichen dafür werten, dass die Welt um sie herum ihre Größe nicht anerkennt, reagieren sie rasch und oft mit heftiger, plötzlicher Wut. Und damit einhergehend mit Rachedurst.

Kritik kann dabei auf unterschiedliche Weise interpretiert werden. Einerseits kann es sich um echte Kritik handeln, also zum Beispiel um eine negative Bewertung der Leistung von Narzisst:innen. Es kann aber auch ein unzureichendes Lob sein, oder dass man nicht laut genug darüber jubelt, wie wunderbar ihre Leistung war. Immer dann, wenn das, was du Narzisst:innen gibst, nicht ihren Erwartungen entspricht, können sie in jedem Moment explodieren.

Denkt, dass die Regeln für ihn/sie nicht gelten

Der vorherige Punkt führt häufig zu einem weiteren Ergebnis. Da Narzisst:innen sich selbst für etwas ganz Besonderes und Einzigartiges halten, tritt ein interessanter Effekt ein: Die Regeln und Vorschriften, auf die sich die übrige Gesellschaft geeinigt hat, gelten für sie nicht. Das kann von der Einhaltung des Tempolimits bis zur Verantwortung am Arbeitsplatz alles sein. Wenn man wirklich glaubt, dass die normalen Regeln der Gesellschaft für einen selbst nicht gelten, wird man mit Sicherheit auch daraus ausbrechen. Natürlich gehört es zum Repertoire von Narzisst:innen, sich zu bemühen, nett zu sein oder sich höflich und zuvorkommend zu verhalten, aber da sie keinen wirklichen Zwang verspüren, sich an diese Normen zu halten, sind sie in der Lage, den Schein mit überraschender Geschwindigkeit fallen zu lassen, wenn sie provoziert werden.

Dies ist auch einer der Gründe, warum andere Menschen Narzisst:innen nur selten wirklich schätzen. Sie mögen zwar eine Schar von Bewunderern anziehen, die sie umkreisen, aber niemand mag sie wirklich. Ihr mangelnder Respekt vor den Regeln macht sie unberechenbar. Die meisten Menschen finden das auf Dauer anstrengend. Ihre Beziehungen sind in Wirklichkeit viel oberflächlicher, als ihnen vielleicht bewusst ist.

Betreibt ständig Eigenwerbung

Das erste Wort eines jeden Satzes ist »Ich«. Ich denke, ich fühle, ich glaube, ich wünsche, ich will, ich verlange … Da Narzisst:innen sich für die Besten in allem halten, betonen sie auch immer ihre eigenen Qualitäten. Sie sind auch darauf angewiesen, jeden über ihre Beliebtheit, ihre wichtigen Bekanntschaften und ihr unübertroffenes Netzwerk in Kenntnis zu setzen. Betonen Narzisst:innen ständig ihren Beitrag für die Welt im Allgemeinen und im Besonderen, dann kann diese Ausprägung des grandiosen Selbstbildes rasch seltsam wirken. Dabei geht es nicht nur darum, über sich selbst zu sprechen.

Narzisst:innen könnten durchaus Geld für wohltätige Zwecke spenden – sie werden es nur nicht tun, wenn sie den Rest der Welt nicht darüber informieren können. Der Grund dafür ist ganz einfach: Sie wollen Anerkennung für ihr großes Herz erhalten. 100 Euro an Save the Children zu spenden, reicht ihnen nicht. Um sicherzustellen, dass sie von ihren vermeintlichen Fans die verdienten Ovationen erhalten, müssen sie auf Instagram und Facebook darüber berichten.

Erschreckenderweise sind Narzisst:innen in den Hierarchien globaler Wohltätigkeitsorganisationen wie Save the Children oder UNICEF überrepräsentiert. Sie leisten das Minimum an Arbeit, das von ihnen verlangt wird, versuchen aber, auf Kosten von Kolleg:innen, die ihr Leben der Wohltätigkeitsarbeit gewidmet haben, die Sprossen der Organisationsleiter zu erklimmen. Ja, auch dazu gibt es Studien.

Erhebt Anspruch auf das Beste von allem

Narzisst:innen fühlen sich berechtigt, auf alles, was die Welt zu bieten hat, das Beste davon zu beanspruchen. Das ist unter anderem ein Drang, ein Streben nach Perfektion und nach dem Allerbesten. So wie sich ein kleines Kind einbildet, alles tun zu können, worauf es Lust hat, tun Narzisst:innen das Gleiche, weil sie sich dazu berechtigt fühlen. Sie beanspruchen Raum für sich, beleidigen andere oder trampeln auf ihnen herum, erhalten maximale Entschädigung für minimalen Aufwand – Narzisst:innen haben ein natürliches Recht auf all diese Dinge.

Außerdem ist es ihr Geburtsrecht, im elegantesten Haus in der besten Gegend zu wohnen, das teuerste Auto zu fahren und nur die feinsten Kleider zu tragen. Die Liste lässt sich unendlich fortsetzen. Wann immer Narzisst:innen etwas wollen, beruht das auf dem Gefühl, dass sie ein Recht darauf haben. Weitere Argumente sind nicht nötig. So unlogisch das auch klingen mag, für sie ist es völlig rational. Und da Narzisst:innen es vorziehen, sofort belohnt zu werden, zögern sie auch nicht, dafür eine Abkürzung zu wählen.

Legt Wert auf Macht und Ruhm

Macht und Ruhm sind in den Augen von Narzisst:innen hochgeschätzte Eigenschaften. Sie sind ein Beweis für ihren tatsächlichen Wert, den jeder anerkennen sollte. Aufmerksamkeit ist wichtig. Witzigerweise bestehen sie nicht darauf, dass die Aufmerksamkeit, die sie erhalten, positiv ist. Selbst negative Aufmerksamkeit ist besser als gar keine Aufmerksamkeit. In dieser Hinsicht sind Narzisst:innen genau wie kleine Kinder.

Dies hat zur Folge, dass sich Narzisst:innen wie Psychopath:innen zu jenem Ort hingezogen fühlen, wo sich Macht und Aufmerksamkeit konzentrieren. Und es führt schnell zu Problemen, wenn andere ihre Bedeutung nicht anerkennen. Wenn sie nicht die Aufmerksamkeit erhalten, nach der sie sich so sehnen, können sie sogar eine leichte Depression entwickeln.

Fordert ständige Anerkennung ein

Viele Menschen arbeiten hart und freuen sich über die Anerkennung, die sie für ihre Erfolge erhalten. Und das war’s für sie auch schon. Die Anerkennung, die sie erhalten haben, befriedigt sie. Nicht so bei Narzisst:innen.

Diese Menschen leben für ständige Anerkennung. Und da sie glauben, dass sie ein Anrecht darauf haben, sind sie auch immer auf der Suche nach mehr. Das könnte ein/e Angestellte:r sein, der/die immer Botengänge für den/die Chef:in macht, um dafür Lob zu erhalten. Es könnte aber auch ein/e Chef:in sein, der/die seinem/ihrem Team ständig Kuchen kauft, um zu hören, wie beliebt er/sie ist.

Ihr Bedürfnis nach Anerkennung muss ständig gestillt werden, und das kann bei den Menschen in ihrer Umgebung auf Unverständnis stoßen. Denn wie kann es sein, dass man jemandem jeden Tag sagen muss, wie gut diese/r aussieht, wie gut er/sie gekleidet, wie geschickt, wie erfolgreich und wie beliebt er/sie ist?

Betrügerisch und manipulativ

Narzisst:innen sind oft sehr effizient, wenn es darum geht, die Schwächen von anderen zu erkennen. Sie sind auch bereit, diese Schwächen auszunutzen, um ihre Opfer zu täuschen und zu betrügen. Andere auszunutzen, ist für sie selbstverständlich. Sie sind oft gleichgültig gegenüber den Gefühlen anderer, was sie zu geschickten Manipulator:innen macht. Da ihnen die Gefahr, enttarnt zu werden, gleichgültig ist, gehen sie Risiken ein und verhalten sich so dreist, dass es oft schwer zu glauben ist, dass sie hinterlistig sind.

Welche Schlussfolgerungen können wir bisher ziehen?

Dies sind die grundlegenden Merkmale des Narzissmus. Es gibt psychologische Instrumente, anhand derer wir diese Merkmale recht genau messen können, und ich werde später auf eines dieser Instrumente eingehen. Solltest du in jedem Bereich eine hohe Punktzahl erreichen, könntest du tatsächlich ein Narzisst oder eine Narzisstin im klinischen Sinne sein. Die Diagnose kann jedoch nur von qualifizierten Fachleuten gestellt werden, die sich in der Regel auf diesen Bereich spezialisiert haben. Nicht jede/r Psycholog:in ist dafür qualifiziert, denn viele auf diesem Gebiet sind der Meinung, dass Narzissmus und sogar Psychopathie behandelbare Krankheiten sind. Sie gehen das ganze Problem im Grunde genommen von der falschen Seite an.

Viele »normale« Menschen weisen ausgeprägte narzisstische Züge auf, ohne dass jemals eine Diagnose gestellt wird. Es besteht auch kein Zweifel daran, dass unsere Gesellschaft diese Art von Verhalten fördert und belohnt. Deshalb werden wir uns einige dieser Verhaltensweisen genauer ansehen und die damit verbundenen Risiken aufzeigen. Und wir werden der Frage nachgehen, ob es Vorteile haben könnte, ein Narzisst oder eine Narzisstin zu sein.

2 Immer einen Tick besser als der Durchschnitt

Bist du einzigartig? Klar bist du das, schließlich hat jeder Mensch ganz offensichtlich von Natur aus einen einzigartigen Bauplan. Jeder Mensch hat seine eigene, einzigartige DNA-Sequenz. Bei jedem lebenden Individuum sind die DNA-Stränge unterschiedlich. Große Teile davon sind tatsächlich identisch, aber wir wollen uns hier nicht zu sehr in die wissenschaftlichen Details vertiefen. In jedem Fall ist das alles nur ein kleiner Teil dessen, was dich zu einem einzigartigen Wesen macht. Wenn du weitere Faktoren berücksichtigst, gibt es noch viel mehr Einzigartiges zu entdecken. Wahrscheinlich ist deine Persönlichkeit fast einzigartig – wenn nicht sogar völlig einzigartig. Allerdings ist weniger offensichtlich, was eigentlich zur einzigartigen Persönlichkeit eines Menschen gezählt werden sollte.

Wie einzigartig kann eigentlich jemand sein?

Allein durch dein Geschlecht unterscheidest du dich von fast der Hälfte der Bevölkerung. Wie sieht’s mit deinem Alter aus? Nur eine winzige Minderheit der Menschen ist exakt so alt wie du. Wie viele Menschen auf der Welt haben genau die gleiche Ausbildung wie du, und zwar komplett? Wie sieht’s mit Herkunft und Einkommen aus? Bekennst du dich zu einem bestimmten Glauben? Was sind deine Ansichten zum Klimawandel? Welchem politischen Lager gehörst du an? Bist du verheiratet? Ledig? Lebst du in einer Wohngemeinschaft? Hast du Kinder? Warum? Keine Kinder? Und wieso?

Wie sieht es mit Hobbys und Interessen aus? Was isst du gerne und welche Gerichte hasst du? Wie groß bist du? Bist du gut in deinem Job? Wie viel Zeit deines Arbeitstages verbringst du tatsächlich mit produktiver Arbeit? Würdest du sagen, dass du ein zuverlässiger Mensch bist, der seine Versprechen eigentlich immer einhält? Bist du gut organisiert oder unordentlich? Was ist mit deinem Temperament? Auf einer Skala von 1 bis 23 Millionen, wobei 23 Millionen der fortschrittlichste Computer der Welt ist und 1 so gut wie abgestürzt: Wie schnell triffst du Entscheidungen? Bist du eine Lerche oder eine Eule? Und wenn du mit vorgehaltener Waffe zu einer Entscheidung gedrängt wirst: Wählst du Hund oder Katze?

Würden wir eine Liste aller Faktoren erstellen, die sich auf die Persönlichkeit eines bestimmten Menschen auswirken könnten, wird schnell klar, dass es viel mehr als die eigene DNA gibt, was dich von den anderen sieben Milliarden Menschen unterscheidet. Oft wird vorgeschlagen, dass wir uns auf unsere Gemeinsamkeiten konzentrieren sollten statt auf unsere Unterschiede. Natürlich kann ich die Intention dahinter nachvollziehen, aber ich glaube auch, dass sie auf einem Missverständnis darin beruht, warum Einzigartigkeit überhaupt so betont wird. So zu tun, als wären wir alle gleich, ist mehr als naiv, wenn man bedenkt, wie unterschiedlich wir alle sind.

Einzigartig und unglaublich besonders sein

Die Schlussfolgerung, zu der wir dann kommen, ist wirklich interessant. Der Anspruch, einzigartig zu sein, scheint in einer Welt, in der alle anderen auch einzigartig sind, Zeitverschwendung zu sein. Wenn wir alle einzigartig wären, würde das Wort selbst jede Bedeutung verlieren. Einzigartig bedeutet einmalig. Daran ist nichts Besonderes.

Aber gut, einigen wir uns darauf, zu betonen, wie einzigartig wir sind, und vermeiden wir es, die Unterschiede, die wir beobachten, zu bewerten. Denn die Herausforderung besteht darin, unsere Unterschiede zu akzeptieren, ohne sie zu bewerten. Die Annahme, dass der eine besser oder schlechter als der andere sei, erscheint mir problematisch. Vielleicht fragst du dich gerade, worauf ich hinauswill?

Sich selbst als einzigartig zu bezeichnen, bedeutet lediglich, dass man behauptet, niemand sonst sei genau wie man selbst. Sich selbst als etwas Besonderes zu bezeichnen, ist jedoch eine ganz andere Sache. Die Behauptung, etwas Besonderes zu sein, bedeutet, dass man etwas Bestimmtes besitzt, was die meisten anderen Menschen nicht haben. Es bedeutet, dass man sich von den anderen abhebt. Man ist dann nicht einfach nur einzigartig; man besitzt eine besondere Fähigkeit, eine Gabe oder einen besonderen Geist, den wir gleich beleuchten werden.

Man ist besonders, erstaunlich, wunderbar, und man kann alles tun, was man will, nur weil man diese eine Person ist … Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber statistisch gesehen ist dieser Mensch wahrscheinlich nichts Besonderes. Nur eine sehr kleine Minderheit der Menschheit ist tatsächlich etwas Besonderes. Genau hier haben Narzisst:innen ihren Hebelpunkt gefunden.

Wie gefährlich ist es, etwas Besonderes zu sein?

Vielleicht ist das nicht die richtige Überschrift. Manchmal birgt es keine Gefahren, besonders zu sein. Und damit meine ich nicht nur, dass man einzigartig ist, sondern dass man etwas in sich trägt, das für Millionen von Menschen auf diesem Planeten einen Wert darstellt. Diese Menschen gibt es: Isaac Newton, Mutter Teresa, Albert Einstein, Nelson Mandela, Marie Curie, Michelle Obama, Bill Gates, William Shakespeare, Beyoncé.

Etwas Besonderes zu sein, ist natürlich eine gute Sache. Allerdings nur unter einer Bedingung: Man muss wahrhaftig etwas Besonderes sein. Seien wir ehrlich: Die meisten von uns haben keine offensichtlichen, unübertroffenen, heldenhaften Talente. Ich weiß mit Sicherheit, dass ich in keiner einzigen Disziplin, die mir gerade einfällt, ein Naturtalent bin. In manchen Dingen bin ich nicht allzu schlecht. Ich würde sogar sagen, dass ich in einigen Dingen ziemlich gut bin. Aber nichts davon ist mir in die Wiege gelegt worden. Jede meiner Fähigkeiten musste ich mir aneignen.

Genau an diesem Punkt taucht ein beunruhigendes Problem auf: Obwohl ich in meinem Leben nicht unbedingt viele bemerkenswerte Menschen kennengelernt habe, bin ich doch einigen wirklich außergewöhnlichen Individuen begegnet. Ich rede von der Art von Menschen, von denen du dir wünschst, dass du wie sie wärst, die dir aber auch schmerzlich bewusst machen, dass du ihnen niemals das Wasser reichen kannst. Ich habe aber auch öfter Menschen getroffen, die so taten, als seien sie etwas Besonderes.

Die größte Gefahr dabei, etwas Besonderes zu sein, besteht meiner Meinung nach darin, dass es etwas ist, was andere sein wollen. Man ist besonders, weil man Eigenschaften besitzt, die einen von anderen unterscheiden. Diese Menschen sind besser als der Rest von uns, irgendwie. Besonders bedeutet also im Grunde besser.

Wie wird man also zu etwas Besonderem?

Die Antwort darauf liegt wahrscheinlich tief im Konzept der Vererbung verborgen, unter zahllosen Schichten unglaublich komplexer Annahmen darüber, wie bestimmte Personen offensichtlich mit Merkmalen geboren werden, die fast niemand sonst mit ihnen teilt. Wir wissen, dass wir durch ein Zusammenspiel von Vererbung und Erziehung zu den Menschen werden, die wir sind. Die genauen Mechanismen werden von weltweit führenden Expert:innen in Biologie, Psychologie und einigen angrenzenden Bereichen noch immer diskutiert. Deshalb behaupte ich auch in keiner Weise, dass ich über die Grundlagen hinaus etwas davon verstehe.

Aber ich weiß etwas anderes: Sich selbst zu sagen, dass man etwas Besonderes sei, macht einen noch lange nicht zu etwas Besonderem. Auch nicht dadurch, wenn jemand anderes das behauptet. Wenn deine Mutter dir gesagt hat, dass du wirklich etwas Besonderes bist, wäre es vielleicht eine gute Idee, sie zu fragen, was genau sie damit gemeint hat.

Wahrscheinlich 99,9 Prozent von uns müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass wir zwar einzigartig sind, aber keineswegs etwas Besonderes. Eigentlich ist das kein Problem. Wenn du kein Narzisst oder keine Narzisstin bist, ist es das auch nicht. Aber wenn du eine/r bist, wird dir diese Vorstellung undenkbar vorkommen.

3 Die anderen zwei der dunklen Triade

Narzissmus ist nicht die einzige Persönlichkeitsstörung, die problematisch ist. Es gibt noch andere, noch schwerwiegendere Varianten dieser nicht gerade charmanten Veranlagung. Die dunkle Triade ist eine beunruhigende Gruppe von drei großen Persönlichkeitsstörungen, die jeweils dazu führen können, dass eine Person eine Bedrohung für andere Menschen darstellt. Die Grenzen zwischen diesen drei Störungen sind fließend, und sie haben einige gemeinsame Merkmale.

Die gemeinsamen Merkmale sind Selbstbezogenheit und ein grandioses Selbstbild, kombiniert mit manipulativem Verhalten gegenüber anderen. Diese drei Persönlichkeitsstörungen bilden die »dunkle Triade«: Psychopathie, Machiavellismus und Narzissmus. Bei der Erörterung dieser Störungen lassen wir den Bereich des lästigen, aber im Grunde harmlosen Verhaltens weit hinter uns. Hier geht es nicht mehr um kleine Egobooster, sondern um gefährliches, pathologisches Verhalten, das für jeden, der ihm begegnet, eine Gefahr darstellen kann. Diese Menschen sind für jeden ein schlechter Umgang, manchmal sogar ein gefährlicher.

Leider sind viele falsche Vorstellungen im Umlauf, und in den sozialen Medien und im restlichen Internet kursieren alle möglichen Meinungen zur Bedeutung dieser Begriffe. Manchmal scheint sich alles zu einem einzigen Begriffswirrwarr zu vermischen, und deshalb möchte ich einige der Unterschiede zwischen Psychopathie und Narzissmus erklären. Denn obwohl sie miteinander verbunden sind, sind sie nicht dasselbe.

Psychopathie

Da ich den Psychopath:innen vor einigen Jahren ein ganzes Buch gewidmet habe, beschränke ich mich hier auf eine kurze Darstellung. Ein/e Psychopath:in ist eine Person, die aussieht wie du, die oft so spricht und sich im Allgemeinen so verhält wie du. Aber tief im Inneren hat er/sie überhaupt keine Ähnlichkeit mit dir. Unter der Oberfläche spielen sich Dinge ab, die du dir nicht einmal vorstellen kannst.

Psychopath:innen sind einer der bedenklichsten Einflüsse auf unsere Gesellschaft. Sie haben keine Hemmungen, wenn es darum geht, ihre Ziele zu erreichen. Wenn sich ihnen jemand in den Weg stellt, schrecken sie vor nichts zurück. Sie können sich unauffällig unter uns verstecken, aber am Ende verraten sie sich immer. Wenn sie das tun, ist es meist zu spät. Sie können extrem manipulativ sein und fast alle von fast allem überzeugen. Und ja, das schließt dich und mich ein. Sie haben ein Händchen dafür, die Schwächen anderer Menschen zu erkennen und sie zu ihrem persönlichen Vorteil auszunutzen.

Es gibt mehrere konkurrierende Checklisten, die zur Einordnung von Psychopathie verwendet werden, aber die folgende ist die am weitesten verbreitete. Sie wurde von Robert D. Hare entwickelt, einem Psychologen, der jahrzehntelang auf dem Gebiet der Psychopathie geforscht hat.

Checkliste für Psychopathie nach Robert D. Hare, Revised PCL-R 2016:

flüchtiger und oberflächlicher Charme,

grandiose (übertrieben hohe) Selbsteinschätzung,

fehlende Reue oder Schuldgefühle,

Gefühllosigkeit und Mangel an Empathie,

Gerissenheit und Manipulation,

oberflächlicher Affekt (oberflächliche emotionale Empfänglichkeit),

Impulsivität,

unzureichende Verhaltenskontrollen,

Bedürfnis nach Stimulation,

Verantwortungslosigkeit,

frühe Verhaltensprobleme,

unsoziales Verhalten als Erwachsene:r,

pathologisches Lügen,

parasitäre Lebensweise,

sexuelle Promiskuität,

fehlende realistische langfristige Ziele,

Verantwortung für das eigene Handeln wird nicht übernommen,

jugendliche Straftaten,

gegen Bewährungsauflagen verstoßen,

kriminelle Vielseitigkeit.

Diese Checkliste ergibt theoretisch eine Punktzahl, die von null (keiner bekommt hier null Punkte, da wir zum Beispiel alle schon mal gelogen haben) bis zu maximal 40 Punkten reicht. Jede der genannten Verhaltensweisen wird untersucht, danach wird die Häufigkeit ihres Auftretens bewertet. Kommt das Verhalten fast nie vor, wird es mit null Punkten bewertet. Wenn es gelegentlich auftritt, gibt es einen Punkt, und wenn es regelmäßig auftritt, zwei Punkte. Tritt eine ausreichende Anzahl dieser Verhaltensweisen mit ausreichender Häufigkeit auf, kann einer Person die Diagnose Narzissmus gestellt werden.

Dies erfordert jedoch eine klinische Bewertung durch qualifiziertes Personal, und diese Einstufung kann nicht in einer einzigen, schnellen Sitzung vorgenommen werden. Die Beobachtung von Mustern nimmt einige Zeit in Anspruch, zumal viele der intelligenteren Psychopath:innen lernen, nicht aufzufallen.

Wie hoch ist nun die erforderliche Punktzahl für eine Psychopathie-Diagnose? Das hängt ein wenig davon ab, wo man lebt. In Großbritannien hat man zum Beispiel eine Grenze von 25 Punkten festgelegt. In den USA wird die Grenze bei 30 Punkten gezogen. Warum das so ist? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Für mich ist nicht erkennbar, welche unterschiedlichen Ansätze zu dieser Regelung geführt haben könnten. Im Grunde wurden in diesen Ländern unterschiedliche Einschätzungen vorgenommen. Obwohl die Voraussetzungen zur Einstufung von Psychopathie in den USA strenger sind, ist der Anteil der Psychopath:innen höher als in Europa. Ich habe aber bislang keine validen Daten gefunden, die die Gründe erklären könnten. Allerdings sollte man auch bei Personen, deren Punktestand bei 15 Punkten liegt, vorsichtig sein. Ein solch hoher Wert kann Ärger bedeuten.

Allgemein könnte man es so formulieren: Ein/e Psychopath:in ist ein/e Narzisst:in, aber es gibt noch mehr. Ein/e Psychopath:in ist bereit, alles zu tun, um seine/ihre Ziele zu erreichen. Er/sie hat keine Probleme damit, das Gesetz zu brechen, das bedeutet für ihn/sie nichts. Er/sie denkt selten an die Konsequenzen. Natürlich möchte er/sie lieber in Freiheit leben, aber ungeachtet der Risiken wird er/sie alles tun, wonach ihm/ihr der Sinn steht. Psychopath:innen neigen dazu, Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle zu haben, was häufig zu Problemen führt. Die Systeme, die ihre Emotionen regulieren, bleiben stumm, was bedeutet, dass sie nie Furcht, Stress, Angst, Empathie, Liebe oder andere Emotionen empfinden, mit denen wir anderen uns täglich herumschlagen. Andere Menschen auszunutzen, ist für sie nicht unangenehmer, als im Restaurant um die Ecke ein Essen zu bestellen. Lügen ist für sie kein Problem. Sie könnten von der Polizei mit einer Leiche im Kofferraum ihres Autos angehalten werden, ohne dass sich ihr Herzschlag auch nur im Geringsten erhöht.

Weniger intelligente Psychopath:innen werden häufig inhaftiert. Das schwedische Strafjustizsystem schätzt, dass 25 Prozent aller Gefangenen im Land klinische Psychopath:innen sind. Allein das ist ein guter Grund, sich von Gefängnissen fernzuhalten.