Die neue Redlichkeit - Rupert Lay - E-Book

Die neue Redlichkeit E-Book

Rupert Lay

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Beschreibung

Unserer Gesellschaft, unserer Wirtschaft mangelt es an verbindlichen Werten. Das schadet uns allen. Dieses Buch liefert eine schonungslose Analyse der Situation und macht Vorschläge für ein neues ethisches Fundament.

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LESEPROBE

Lay, Rupert; Posé, Ulf D.

Die neue Redlichkeit

Werte für unsere Zukunft

LESEPROBE

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Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2006. Campus Verlag GmbH

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E-Book ISBN: 978-3-593-40196-6

|7|Vorwort

Dies ist ein Buch über eine neue Form der Unredlichkeit, über ihre fatalen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft – und unsere Chance, ihr mit einer neuen Redlichkeit zu entkommen.

Wir leben in einer Zeit verloren gegangener Werte. Eine vage Sehnsucht nach Werten drückte sich in der öffentlichen Anteilnahme am Tod des alten und der Wahl des neuen Papstes aus. Dass das Leben in einer Welt ohne Werte nicht das beste Leben ist, spüren wohl viele. Aber worin genau bestehen die Nachteile? Und was könnte eine Alternative sein? Welche neuen Werte wären konsensfähig, wären zukunftsfähig? Mit diesen Fragen beschäftigt sich unser Buch, und es möchte zugleich einige Antworten liefern.

Was kennzeichnet die neue Unredlichkeit? In früheren Zeiten wusste der Einzelne noch, wann er sich danebenbenahm; er hatte zumindest ein schlechtes Gewissen. Heute ist es so, dass der Einzelne sich unredlich verhält, jedoch überhaupt nicht mehr merkt, dass er unredlich ist.

Wenn es sowieso keiner mehr merkt, warum sollte über die neue Redlichkeit und gegen die neue Unredlichkeit ein Buch geschrieben werden? Weil die Folgen der neuen Unredlichkeit so tragisch und schrecklich sind und es doch möglich ist, der neuen Unredlichkeit durch eine neue Redlichkeit erfolgreich zu begegnen und so eine noch lebenswertere Welt für viele und eben nicht nur für ganz wenige zu schaffen.

Eines vorweg: Absolute Redlichkeit ist sicher ähnlich unmenschlich wie absolute Gerechtigkeit oder absolute Wahrhaftigkeit. Es |8|geht in diesem Buch überwiegend um kollektive Formen von Unredlichkeit, nicht um individuelle Formen. Wohl wissend, dass ein Stück Unredlichkeit sicher in jedem Menschen steckt. Für uns ist das oberste sittliche Kriterium die Biophilie: Handle und entscheide stets so, dass durch dein Handeln und Entscheiden das personale Leben in dir und in der Person eines jeden anderen eher gemehrt, denn gemindert wird. Nach diesem Kriterium kann Redlichkeit, aber auch Unredlichkeit ihren Platz haben. Es kommt nur darauf an, dass ich meine Unredlichkeit erkenne und beherrsche und dass ich sie durch eine neue Redlichkeit biophil ersetze. Es gibt Momente im Leben, in denen es angemessen oder notwendig ist, zum Beispiel die Unwahrheit zu sagen. Wenn es nicht anders möglich ist, eigenes oder fremdes Geheimnis zu schützen, kann die Lüge notwendig sein. So gibt es sicher auch eine Unredlichkeit, die sittlich vertretbar ist. Eine biophile Unredlichkeit sollte genauso erlaubt sein wie eine biophile Ungerechtigkeit oder eine biophile Unwahrheit.

In unserem westlichen Denkraum inklusive Amerika ist Redlichkeit eine Kategorie der Moral. Nietzsche hat diesen Begriff verwendet, um die damals vorherrschende Moral zu kritisieren. Da jedoch die moralischen Werte keine entscheidende Rolle mehr spielen, ist die Redlichkeit heute nur noch dazu da, sich sozialverträglich zu verhalten, um nicht sozial bestraft zu werden. Das war zwar auch schon bei der alten Redlichkeit so, jedoch war hier die Redlichkeit theologisch dominiert. Der Mensch hatte sich redlich zu verhalten, weil »der liebe Gott das so will«. Die Theologen sind leider bis heute nicht auf die Idee gekommen, dass jedes soziale System seine eigene Moral und damit seine eigene Redlichkeit hervorbringt.

Menschen benehmen sich heute daneben und finden es auch noch gut. Menschen beuten andere Menschen aus, sozial, emotional, ökonomisch – und darauf sind einzelne Mitmenschen auch noch stolz. Sie brüsten sich damit, dass es ihnen so gut gelungen ist, andere Menschen über den Tisch zu ziehen, sie zu übervorteilen. Die Folge ist, dass wir immer misstrauischer werden. Unsere Fähigkeit, anderen Menschen Vertrauen zu schenken, nimmt rapide ab. Eine |9|weitere Folge ist die Vereinsamung von Menschen. Je mehr wir uns nur noch um uns selbst kümmern, desto weniger kümmern wir uns um andere Menschen und diese sich um uns. Wie heißt das Sprichwort? »Jeder denkt an sich, nur ich denke an mich.« Das tue ich am besten in einer »Ich-AG«. So oder ähnlich könnte das Lebensmotto der heutigen Zeit heißen. Sich durchsetzen, Recht behalten, klarkommen auf Kosten anderer. Sich bereichern, andere abzocken, den eigenen Vorteil so intensiv wie möglich wahren. Das sind wohl Kennzeichen der heutigen Zeit. »Geiz ist geil« kann übersetzt werden mit: »Andere über den Tisch zu ziehen, ist geil«. Erfolg auf Teufel komm raus, ohne auf die Kosten zu achten, die andere dadurch haben.

Die neue Unredlichkeit ist ziemlich kostenintensiv, ohne dass wir es bemerken. Am besten erklärt hat das wohl das berühmte Gefangenendilemma aus der Spieltheorie: Zwei Jungs überfallen einen Bauern. Kurz danach werden sie mit einer Pistole in der Hand erwischt. Der Bauer ist so betrunken, dass er bei einer späteren Gegenüberstellung nicht sagen kann, wer von den beiden ihm eine Pistole unter die Nase gehalten hat. Die beiden wandern ins Gefängnis und stehen vor folgendem Problem: Verweigern beide die Aussage, dann kann man ihnen nur unerlaubten Waffenbesitz nachweisen. Die Strafe dafür beträgt je drei Monate Knast. Gesteht einer der beiden und der andere schweigt, dann ist dieser ein Kronzeuge. Er wird freigesprochen, während sein Komplize fünf Jahre Knast bekommt. Gestehen jedoch beide, dann bekommen sie jeweils drei Jahre Gefängnis wegen gemeinschaftlichen Raubüberfalls. Nun stellt sich die Frage nach der Moral und Redlichkeit. Der Überfall als solcher ist ohne Frage unredlich, ein Verbrechen. Um diese Unredlichkeit oder das Verbrechen geht es hier jedoch nicht. Das wäre eine zweite, leicht zu beantwortende Frage. Es geht in diesem Fallbeispiel nur um das Verhältnis der beiden Räuber zueinander. Werden sie gestehen oder schweigen? Wahrscheinlich werden beide versuchen, die Kronzeugenregelung für sich zu beanspruchen. Nur landen sie über diesen Egoismus beide im Knast. Die Redlichkeit bleibt dabei auf |10|der Strecke. Es wäre für beide in der Gesamtbilanz viel »billiger«, wenn sie schweigen würden.

Was soll’s, könnte man sagen, Moral in einer Gesellschaft verändert sich, unterliegt einer Drift. Die heutigen Moralvorstellungen sind eben nicht mehr deckungsgleich mit den Moralvorstellungen unserer Großeltern. Das Problem ist nur: Wir handeln fast schon amoralisch, und nicht nur widermoralisch. Widermoralisches Handeln setzt voraus, dass der Handelnde eine Moral kennt; amoralisches Handeln dagegen ist dadurch gekennzeichnet, dass der Handelnde über keinen moralischen Maßstab mehr verfügt.

Warum das so wichtig ist? Aus der fehlenden Moral entsteht fehlendes Bewusstsein für Unredlichkeit und fehlendes Bewusstsein für Redlichkeit. Und die Kosten für unredliches Verhalten sind gigantisch. Die Vereinsamung, die dadurch entsteht, ist so enorm, der Vertrauensverlust, der dadurch entsteht, ist so enorm, die Gefühlskälte, die dadurch entsteht, ist so enorm, der Verlust an Geborgenheit, der dadurch entsteht, ist so enorm, die Orientierungslosigkeit, die dadurch in einer Gesellschaft, einer Kultur entsteht, ist so enorm, die Entmenschlichung, die dadurch entsteht, ist so enorm, die Zerstörung des sozialverträglichen Miteinanders ist so enorm. Es kann sein, dass nicht wenige all das um des eigenen Vorteils willen billigend in Kauf nehmen. Wir wollen das nicht.

Dieses Buch will sich gegen all das stemmen. Zum einen, indem einmal die Entwicklung der Redlichkeit beginnend mit dem Altertum bis hin zur Neuzeit skizziert wird, um dem Leser das Verstehen zu erleichtern. Dann werden in diesem Buch die Entstehung der neuen Unredlichkeit, ihre Ursachen und Auswüchse untersucht. Zum Beleg stellen wir Beispiele aus allen Bereichen des Lebens dar. Damit wollen wir zeigen, wie sehr die neue Unredlichkeit in den verschiedensten Lebensbereichen schon um sich gegriffen hat. Und zum Dritten wollen wir Möglichkeiten zeigen, wie wir der neuen Unredlichkeit begegnen können, wie eine zukünftige neue Redlichkeit sich darstellen kann. Darin liegen für uns die Hoffnung und das Vertrauen in eine lebenswerte Zukunft.

|11|Wir wissen nicht, was die Zukunft uns bringen wird, insofern können wir die neue Redlichkeit nicht exakt beschreiben. Aber wir können sagen, was wir uns wünschen, was wir für sinnvoll halten und welche Chancen in einer neuen Redlichkeit liegen.

Wir sind davon überzeugt, dass eine neue Redlichkeit gute Chancen hat, unsere Zukunft weitaus lebenswerter zu gestalten, als dies ohne eine neue Redlichkeit möglich wäre.

Prof. Dr. Rupert Lay

Ulf D. Posé

|13|Teil I

Redlichkeit und Unredlichkeit

|15|Kapitel 1

Die Redlichkeit der Antike

In Ovids Metamorphosen findet man im Abschnitt über das Goldene Zeitalter das Wort »Redlichkeit«: »Als erstes entstand das goldene Geschlecht, das keinen Rächer kannte und freiwillig, ohne Gesetz, Treue und Redlichkeit übte.«1 Ansonsten ist es nicht ganz einfach, den Begriff in der Antike nachzuweisen. Wahrscheinlich haben die alten Griechen das Wort arete dafür verwendet. Nietzsche stellt am Altertum etwas heraus, das seine Kollegen überhaupt nicht hören wollten, nämlich, dass dort die Werte durchaus auch aus ihrem Gegenteil entstehen konnten: das Schöne aus dem Hässlichen, das Apollinische aus dem Dionysischen, das Moralische aus der Natur. Der Mensch im griechischen Altertum konnte sehr viel grausamer sein als der moderne. Dadurch gewinnt die Idee der Moral eine ganz andere Notwendigkeit. Sie wird also nicht aus der Freude am Guten gewonnen, sondern aus nackter Not. Sie wird bei Aristoteles (384 v.Chr.– 322 v.Chr.) als ein Bedürfnis des Menschen entdeckt, nachdem Platon (427 v.Chr.– 348/47 v.Chr.) sie für ein Geschenk des Himmels gehalten hatte.

Der redliche Mensch im Altertum war tapfer. Tapferkeit wurde seit Platon zu den vier Kardinaltugenden gezählt: Einsicht, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Besonnenheit. Diese vier Kardinaltugenden wurden wieder unterteilt. Die Tapferkeit zum Beispiel in: Ausharren, Unverzagtheit, Seelengröße, Mut und Arbeitsliebe. Für Epikuros (341 v.Chr.– 271 v.Chr.) war die richtige Einsicht bei der Abwägung von Lust und Unlust die Haupttugend. Der redliche Mensch der Antike sah in dieser Tugend den einzig möglichen und damit sicheren |16|Weg zur Glückseligkeit. Warum jedoch spielte die Tapferkeit eine so große Rolle? Um dies zu verstehen, muss man sich die Hochkulturen jener Zeit anschauen, die sich unabhängig voneinander entwickelten und diese Unabhängigkeit auch bewahrten. Für das Verständnis der Redlichkeit der Antike sind hier im Besonderen die griechisch und römisch geprägten Hochkulturen interessant. Damit ist zwar nicht das gesamte antike Altertum erfasst – es gibt auch noch das Altertum außerhalb des mediterranen Raums –, für das Verständnis von Redlichkeit soll jedoch in diesem Buch nur vom griechischen und römischen Verständnis die Rede sein.

Die Redlichkeit der Antike wurde weitgehend geprägt durch gegenseitige Einflüsse damaliger Völkergemeinschaften. Zwischen zirka 700 und 300 vor Christus wurde die Redlichkeit durch eine Art Bevölkerungsexplosion beeinflusst. Diese erzeugte das Bedürfnis nach Landnahme. Damit stand Redlichkeit zunächst im Zusammenhang mit dem Expansionstrieb, mit Hegemoniebestrebungen, mit der stets wiederkehrenden Anforderung, Lebensraum an sich zu reißen. Das Bedürfnis nach Landnahme wurde nicht durch Gespräche und Verhandlungen befriedigt, sondern durch Militäreinsatz. Korinth und Chalkis machten sich in Sizilien, Süditalien, Thrakien und anderswo breit. Sparta griff seine nächsten griechischen Nachbarn an und unterwarf diese. Das hatte zur Folge, dass Sparta ständig Krieg führen musste. So wurde das Leben in Sparta von Grund auf militarisiert. Athen wiederum entwickelte eine Art soziale, wirtschaftliche und politische Revolution, indem es exportierte und den erfolgreichen Unternehmern einen Teil der politischen Macht abtrat.

Die Redlichkeit, die sich in der Tapferkeit ausdrückte, war schon 800 vor Christus eine soldatische Tugend. Der Soldat war dann redlich, wenn er seine militärischen Leistungen auf die eigene Selbstvervollkommnung, auf seinen persönlichen Ruhm und seine Ehre ausgerichtet hatte. Die Tapferkeit war nicht nur eine Frage des Überlebens, sie verhalf dem Krieger zu sozialem Ansehen; als »Held« angesehen zu werden, war damals aber nur Adligen vorbehalten. Diese |17|Tapferkeit spielte im spartanischen Denken durch die besondere Bedeutung des Militärs und im Denken der Korinther ebenso eine Rolle wie im athenischen Denken. Der Zwang zu expandieren, lässt die Tapferkeit als höchste Tugend nahezu notwendig erscheinen. Wer tapfer war, war redlich. Damals spielte Moral im Sinne von sozialer Disziplin kaum eine Rolle über das hinaus, was Moral heute in Kleinsystemen, wie etwa einer Familie, bedeutet. Das unterstreicht sicher den Gedanken Nietzsches, dass eine Tugend aus reiner Naturnotwendigkeit, nämlich tapfer sein zu müssen, entspringt.

Wenn wir an die Redlichkeit der Antike denken, dann denken wir zumeist an die attischen Philosophen Sokrates (470 v. Chr.– 399 v.Chr.), Platon (427 v.Chr.– 348/47 v.Chr.), Aristoteles (384 v.Chr.– 322 v.Chr.). Das hieße jedoch, das Verständnis von der Redlichkeit der Antike zu verkürzen auf drei Personen. Neben Platon und seinem Schüler Aristoteles waren später die Stoiker Seneca (4 v.Chr.– 65 n.Chr.) und Epiktet (50–140), die sich um Redlichkeit und deren Bestimmung bemühten, sehr einflussreich.

Auch andere Aspekte der Redlichkeit des Altertums sind in der damals bedeutendsten Wissenschaft, der Philosophie, zu entdecken. Philosophie meinte die Wissenschaft von der Freundschaft mit der Weisheit. Diese Wissenschaft beschäftigte sich damit, dass Menschen nun einmal nicht über wahre Erkenntnisse und absolute Aussagen verfügen, wie Sokrates feststellte, sie wollte Menschen daher durch das Gespräch zum Erkenntnisfortschritt verhelfen. Diesen Erkenntnisfortschritt galt es ein Leben lang voranzutreiben, und dies konnte nur redlich geschehen. So tauchte die Redlichkeit als intellektuelle Redlichkeit auf.

Man kann zunächst nicht sagen, dass es eine als verbindlich angesehene Redlichkeit des gesamten hellenistischen Kulturraumes gab. Selbst Platon und Aristoteles waren hier sehr unterschiedlicher Meinung. Aber auch durch sich ähnelnde Expansionsbewegungen und die immer größer werdende Bedeutung des Militärs ist sicher zu verstehen, weshalb die Tapferkeit als Ausdruck der Redlichkeit zunächst besonders aus dem militärischen Bereich geprägt wurde.

|18|Dass die Athener ihre Expansionsgelüste nicht nur militärisch, sondern auch durch Exportgeschäfte befriedigten, führte dazu, dass im alten Athen die Tapferkeit als militärisch höchste Tugend eine neue Drift, eine neue Tendenz bekam. Sokrates, der nicht nur Steinmetz, sondern auch anerkannter Soldat war, dynamisierte als Erster die Redlichkeit der Tapferkeit. Er weitete sie über die militärische Bedeutung hinaus auf die Bürger aus. Für ihn diente die Tapferkeit immer dem Gemeinwohl und ging weit über den Eigennutz hinaus. Damit begründete Sokrates die Idee, dass Tapferkeit nicht mehr nur an Ehre und Ruhm des Einzelnen gebunden sein dürfe, sondern auf die Verwirklichung des Guten im Gemeinwesen gerichtet sein sollte. So verließ die redliche Tapferkeit den militärischen Raum und wurde zur Bürgertugend. Diese Idee wurde von seinen Schülern Platon und Aristoteles weiterentwickelt. Platon stellte in seiner Politeia die Idee einer Staatslehre dar, nach der die Philosophen, als herrschende Klasse, die Soldaten über »das Gute« zu unterrichten hätten. Allerdings hatte Platon ein Staatsverständnis, in dem der Einzelne nichts galt und der Staat alles war. Aristoteles meinte, durch genügend Übung und Gewöhnung an die richtigen Erziehungsmethoden Menschen zu tugendhaftem Handeln anregen zu können. Für Aristoteles war die Tapferkeit die höchste aller Tugenden. Aber er stand nicht allein, wie die vorherigen Ausführungen es schon andeuten.

Sokrates kannte aber nicht nur die Tapferkeit als redliche Tugend. Für ihn war ein Mensch auch dann redlich, wenn er erstens sich selbst erkannt hatte und zweitens niemandem freiwillig Unrecht antat. Für seinen Schüler Platon handelte der Mensch neben der Tapferkeit redlich, wenn er von Vermutungen zur Einsicht gelangte. Danach war es dann Aristoteles, der den wohl ersten Versuch startete, Moral als soziale Disziplin zu überwinden und sie durch eine philosophische Disziplin, die Ethik, zu ersetzen. Ein Problem, das wir gegenwärtig gerade wieder erleben.

Der Vorläufer dieser Denkungsart des Aristoteles war Platons Begriff der eudaimonia als zentrales Moment der Redlichkeit. Gemeint |19|war damit das Glücklichsein, Gesegnetsein, Erfolgreichsein. Der Bürger Athens war glücklich, gesegnet, erfolgreich, wenn er das Wohl der Gemeinschaft zu mehren wusste. All dies galt jedoch nicht für alle Menschen der griechischen Antike. Selbst Aristoteles, dem wir als sein Hauptwerk die Nikomachische Ethik verdanken, gestand noch nicht allen Menschen Redlichkeit zu. Er meinte: »... ganz generell fehlt den Barbaren das, was von Natur aus die Voraussetzung zum Regieren ist. Zu Recht sagen daher unsere Dichter: ›Ja, mit Recht sind den Griechen die anderen untertan.‹ Damit drücken sie aus, dass Barbar und Sklave von Natur aus dasselbe sind.«2 Die Ethik des Aristoteles meinte im Wesentlichen, dass menschliches Handeln sich orientiert und ausrichtet auf das »praktische Gute« oder die »Glückseligkeit«. Dieses Ziel kann auf recht unterschiedliche Weise angestrebt werden. Hier spielen der Charakter und die Intelligenz eines Menschen eine entscheidende Rolle. Es geht um deren Verhältnis zum Glück. Aristoteles unterschied zwei Tugendarten und damit zwei Arten der Redlichkeit: die moralische Tugend und die Tugend des Denkens. Die Moral siedelte er dabei im Charakter an. Der Charakter wiederum entstand durch Gewohnheiten. Wichtig in seiner Ethik war die Fähigkeit, zwischen zwei Extremen den richtigen, den goldenen Weg zu finden. Tapferkeit als höchste redliche Tugend war der Mittelweg zwischen Feigheit und Tollkühnheit; die Freigebigkeit war der goldene Weg zwischen Verschwendung und Geiz. Mit der Tugend des Denkens hielt es Aristoteles ganz anders. Dazu war für ihn nur ein erwachsener Mensch fähig. Der musste allerdings männlich sein. Die höchste aller Tugenden konnte also von Frauen, Kindern und Barbaren nicht erlangt werden. In dieser Sichtweise unterschied sich Aristoteles von Platon, der zumindest Frauen dieselbe oder gleich viel Vernunft wie Männern zubilligte.

Die Redlichkeit der Römer war ebenfalls durch die Tapferkeit als höchste Tugend geprägt. Vergil (70 v.Chr.–19 v.Chr.) beschrieb in der Aeneis3 römisches Heldentum und die moralische Mission der Römer:

|20|»Tu regere imperio populos, Romane, memento:

Hae tibi erunt artes, pacisque imponere morem,

Parcere subiectis, et debellare superbos.«

(Du aber, Römer, gedenke die Völker der Welt zu beherrschen,

Darin liegt deine Kunst, und schaffe Gesittung und Frieden,

Schone die Unterworfnen und ringe die Trotzigen nieder.)

Die Römer haben die Tapferkeit idealisiert. Römertapferkeit war: Römertugend! Römersinn! Römerstolz! Wer darüber verfügte, durfte geflissentlich über die Wollust, Weichlichkeit und andere Laster hinwegsehen und sich für das Römische Reich einsetzen.

Noch der römische Geschichtsschreiber Tacitus (55–116) hatte ein Bild von den Barbaren, das sich mit heutiger Auffassung von Redlichkeit sehr wahrscheinlich nicht vertragen würde. Er schrieb über Germanien: »Das nördliche Weltmeer wird nur selten von Schiffen aus unserer Zone besucht. Wer wollte auch wohl – ganz abgesehen von den Gefahren des schrecklichen unbekannten Meeres – Asia, Africa oder Italia verlassen, um ausgerechnet nach Germanien zu streben, einem Land, das landschaftlich hässlich, im Klima rau, und, was die Möglichkeiten seiner Kultivierung betrifft, ebenso hoffnungslos ist wie sein gesamter Anblick.«4 Offensichtlich hielt Tacitus nicht viel von unseren Urahnen.

Diese Vorstellung der Antike von Redlichkeit endete etwa mit der Völkerwanderung. Danach entstand eine Redlichkeit, die sich über theologische Sanktionen begründet und gehalten hat.

Die erste wertlose Zeit im Sinne einer Unredlichkeit dauerte von den Völkerwanderungen bis etwa zu den Karolingern – von 500 bis etwa 900 nach Christus.

|21|Kapitel 2

Die Redlichkeit des Mittelalters

Das Mittelalter kannte überwiegend eine moralisch gerechtfertigte Ethik. Die Redlichkeit des Mittelalters war theologisch dominiert. Redlich war derjenige, der sich gottgefällig verhielt, was immer das auch sein konnte. Die Klöster hatten sich von der Völkerwanderung recht unbeeindruckt gezeigt und ihre Auffassung von Redlichkeit in das Mittelalter hineingetragen. Den Klöstern gelang es, das, was unter Konstantin Anfang des 4.Jahrhunderts in das Christentum eingebracht worden war, die Lehren der Manichäer, in das Mittelalter hinüberzuretten. Beim Manichäismus handelt es sich um eine Religion, die auf den Perser Mani (212–276) zurückgeht und nach ihm benannt wurde. Er verband in seiner Religion die christliche Gnosis, den Buddhismus und den Parsismus miteinander. Gnostizismus – von griechisch gnosis, »(Gottes-)Erkenntnis« – war eine religiös-philosophische Bewegung im 2. und 3.Jahrhundert. Nach deren Lehre fielen Funken oder Samen des göttlichen Wesens in die materielle böse Welt. Ziel des Gläubigen war die Erlösung hin zu einem Dasein im Licht. Die manichäistische Welt war geteilt in absolut Gutes und absolut Böses. Die Manichäer selbst teilten sich in zwei Klassen auf, die nach dem Grad ihrer spirituellen Entwicklung bestimmt wurden. Die Klasse der Auserwählten lebte streng zölibatär und vegetarisch. Sie tranken keinen Alkohol, arbeiteten nicht und widmeten sich ausschließlich dem Gebet. Alles Fleischliche war für die Manichäer ein Werk des Bösen. Die Ablehnung des Verzehrs von Fleisch und sogar von Eiern, weil diese der Vereinigung von männlichen und weiblichen Tieren entstammten, zeichneten den |22|Puritanismus aus. Die zweite Klasse, die der Laien, erreichte diese Stufe der Vollkommenheit nicht.

So ist verständlich, dass die Redlichkeit des Mittelalters aus dem zölibatären Verständnis der ersten Klasse der Manichäer beispielsweise ein bestimmtes Sexualverhalten predigte. Nach manichäistischer Überzeugung war die Ehelosigkeit der Ehe vorzuziehen. Die Ehe war für sie nichts anderes als eine erlaubte Form der Sünde. Schon bei Paulus findet sich der Gedanke, dass Gott den Menschen nur ihrer Schwäche wegen das Heiraten nicht verbot. Auf den Manichäismus geht zum Beispiel auch das Weihnachtsfest zurück. Der berühmte lateinische Kirchenlehrer Augustinus (354–430) war übrigens rund neun Jahre lang Manichäer, bevor er Christ wurde.

Des Weiteren war die Redlichkeit des Mittelalters durch die Vorstellungen von Sünde und der Hölle bestimmt. Auch das ist vor dem Hintergrund des Manichäismus zu erklären, der die Askese und die Teilung der Welt in absolut böse und absolut gut vornahm. Die Redlichkeit richtete sich nach einem strafenden Gott aus, von dem man glaubte, dass er jedes gute Werk und jede Sünde notiere. Die Lehre von den beiden Gerichten, dem persönlichen und dem allgemeinen Gericht, spielte eine Rolle. Es entstand eine durchaus negative Sicht des Lebens, zu der eine positive Sicht des Leidens hinzukam. So entstand die Verehrung des Kreuzes und die Moral wurde zunehmend dogmatischer. Und damit wurde die Redlichkeit moralisch-dogmatisch.

Eine weitere geschichtliche Quelle, um die Redlichkeit des Mittelalters beschreiben zu können, war sicher das Rittertum. Da Ritter unter dem Einfluss der Ethik des Christentums kämpften, ist in ihrem Verhalten die »weltliche« Ausprägung der Redlichkeit dieser Zeit recht gut zu ermitteln. Das Rittertum erreichte seine Blütezeit während der Kreuzzüge. Hier hilft der »Ehrenkodex« der Ritter weiter, in den jeder Ritter eingebunden war und dessen Redlichkeit durch Zucht und Maßhalten gekennzeichnet war. Ein Ritter war dann redlich und anerkannt, wenn er seinen Gegner respektierte, Loyalität zeigte, großzügig war, eine adlige Verhaltenweise an den |23|Tag legte, sich als tapfer erwies, christliche Tugenden pflegte und über einen Ehren- und Verhaltenskodex verfügte, an den er sich auch hielt. Besonders gut ist die Redlichkeit des Mittelalters im Turnierverhalten der Ritter zu erkennen. Ein Ritter handelte im Turnier nur dann redlich, wenn er die Erniedrigung des Gegners vermied.

Das Besondere der Redlichkeit des Mittelalters lag vornehmlich darin, dass die Redlichkeit ideologisch begründet war. Der Kampf mit den Türken (Kreuzzüge) war sicher kein Kampf zwischen Staaten, sondern ein Kampf zwischen Muslimen und Christen, ein Kampf zwischen Ideologien.

In der Ökonomie des Mittelalters galten die theologisch begründeten Formen der Ökonomie und Politik. Diese waren begründet im religiösen, sozialen oder auch politischen Verhalten. Die Redlichkeit war auch bestimmt durch frühe Formen des religiösen Feudalismus und frühe Formen des Merkantilismus. Das damalige ständische Denken wurde ebenfalls religiös motiviert: »Ich bin Bauer, Müller, Adliger von Gottes Gnaden.« Die Menschen verhielten sich redlich, um nicht religiös, politisch oder sozial bestraft zu werden. Maßstab für die Redlichkeit waren also Gottgefälligkeit und Sozialverträglichkeit.

Nach dem religiösen Feudalismus wurde die Redlichkeit des Mittelalters später durch Genese gerechtfertigt. Mit Genese wird im Griechischen die Zeugung, Entstehung, Entwicklung eines Zustandes, aber auch die Ursache einer Krankheit bezeichnet. Im Begriff »Gene« oder »Gentechnologie« verwenden wir die ursprüngliche Bedeutung heute.

|24|Kapitel 3

Die Redlichkeit der Neuzeit

Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit etwa ab 1500 ist auch für die Moral eine besondere Schnittstelle. Der religiöse Feudalismus wurde unter dem Einfluss der Aufklärung durch profane Kategorien aufgelöst. Die ökonomische Ursache für die Abkehr vom religiösen Feudalismus war sicher der Merkantilismus, eine Wirtschaftstheorie und -politik des Absolutismus zwischen dem 16. und 18.Jahrhundert.

Die Auswirkungen des Merkantilismus

Damit war der Merkantilismus auch eine Schnittstelle zwischen der Redlichkeit des Mittelalters und der Redlichkeit der Neuzeit. Der Merkantilismus wurde in Frankreich entwickelt und in Österreich sehr eng mit der Staatsbildung verbunden. Das Wesen des Merkantilismus bestand darin, analog zum Einzelunternehmen auch für eine ganze Volkswirtschaft höhere Einnahmen als Ausgaben zu fordern. Die Redlichkeit des Merkantilismus zeichnete sich durch eine Erziehung hin zu einer disziplinierten und arbeitsamen Gesellschaft aus. Die Arbeitskräfte kamen vom Land, aus Waisen- und Zuchthäusern. Waisenkindern und Zuchthäuslern zahlt man keinen hohen Lohn. Entsprechend vertrat der Merkantilismus eine Niedriglohntheorie. Der Begriff industria aus dem Lateinischen für »Fleiß« oder »Gewerbefleiß« bezeichnet die höchste Form der Redlichkeit jener Zeit. Hier finden sich die Vorläufer unserer heutigen Industrie|25|. Der Merkantilismus war so etwas wie ein Netzwerk. Großbetriebe, Fabriken, Arbeitshäuser, so genannte Verlagsarbeit auf dem Lande wurden miteinander verknüpft. Das angestrebte Ziel – die Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft – macht verständlich, dass der Gewerbefleiß nun zur höchsten anerkannten Tugend der Redlichkeit wurde. Das von Mozart vertonte Gedicht von Ludwig Hölty (1748–1776) zeigt das beispielhaft:

1. Üb’ immer Treu und Redlichkeit

Bis an dein kühles Grab,

Und weiche keinen Finger breit

Von Gottes Wegen ab.

Redlich ist also, wer gottesfürchtig ist. In der dritten Strophe heißt es:

3. Dann wird die Sichel und der Pflug

In deiner Hand so leicht,

Dann singest du beim Wasserkrug,

Als wär’ dir Wein gereicht.

Redlich ist somit, wer fleißig ist und wer sich als Lohn mit einem Wasserkrug begnügt. Auch zum strafenden Gott hat Hölty in der vierten Strophe das Zeitverständnis dokumentiert:

4. Dem Bösewicht wird alles schwer,

Er tue was er tu,

Ihm gönnt der Tag nicht Freude mehr,

Die Nacht ihm keine Ruh.

Und in der fünften Strophe macht Hölty noch einmal klar, dass die Niedriglohntheorie des Merkantilismus redlich ist. Wer nach Geld verlangt, kann nur ein Bösewicht sein:

5. Der schöne Frühling lacht ihm nicht,

Ihm lacht kein Ährenfeld,

Er ist auf Lug und Trug erpicht,

Und wünscht sich nichts als Geld.

|26|In den letzten beiden Strophen wird dem redlichen Zeitgenossen dann schließlich doch noch ein Lohn für seine Redlichkeit versprochen:

7. Drum übe Treu und Redlichkeit

Bis an dein kühles Grab,

Und weiche keinen Finger breit

Von Gottes Wegen ab!

8. Dann suchen Enkel deine Gruft

Und weinen Tränen drauf,

Und Sonnenblumen, voll von Duft,

Blüh’n aus den Tränen auf.

Die mittelalterliche Redlichkeit endete in der Wertlosigkeit und Überhöhung der Ideologie des Humanismus.

Die Auswirkungen der Aufklärung

Die neuzeitliche Redlichkeit entwickelte sich in zwei Phasen: einer Redlichkeit vor der Aufklärung, die noch theologisch begründet wurde, und einer Redlichkeit nach der Aufklärung. Sie beendete die theologische Vormacht in der Redlichkeit. Max Weber (1864 – 1920) kennzeichnet diese Entwicklung als »Prozess der Entzauberung der Welt«. Die Aufklärung wollte mit vielen Geheimnissen Schluss machen. In der ersten Phase der Aufklärung ging es überwiegend um die arcana naturae: Francis Bacon (1561–1626) wollte die »prinzipielle Unmöglichkeit des Naturgeheimnisses« enthüllen helfen: »Der Ruhm des Herrn ist es, seine Werke zu verhüllen, der Ruhm des Königs [im Sinne von: des Menschen als des Königs der Schöpfung], sie zu erforschen.«5

Die Aufklärer wollten überdies die arcana imperii, die »Geheimnisse des Herrschens« beseitigen. Sie drängten auf die Herstellung einer Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates, in der |27|man über alles, was eine bürgerliche Gesellschaft betrifft, auch öffentlich verhandeln kann. Geheimnisse sollten nur noch einer feudal-absolutistischen Vergangenheit angehören. Damit stand auch die Redlichkeit des Mittelalters auf dem Prüfstand. Wirtschaft und Politik befreiten zunächst von einer religiösen Begründung. Das dadurch entstehende Vakuum wurde mit einer Redlichkeit gefüllt, die sich schon bei Thomas von Aquin (1225 – 1274) angedeutet hatte: »Was vernünftig ist, ist gut.« Darin steckte bereits der Grundgedanke einer profanen Aufklärung. Thomas von Aquin unterschied noch zwischen ratio und intellectus. Ratio war für ihn die Fähigkeit, einen Sachverhalt in Sprache abzubilden. Intellectus war für ihn die Bewertung einer Sache.

Die Vernunft löste sich erst dann in der Redlichkeit auf, als wir feststellten, dass sie keine absolute Norm ist, sondern ein Epiphänomen des Interesses. Wir halten heute das für vernünftig, was zu unserem Interesse passt. Damit beginnt, philosophisch gesehen, die Neuzeit des Denkens. Mit der Vernunft konnten wir in der Neuzeit Ethik nicht mehr begründen, und damit auch nicht mehr die bis dahin geltende Redlichkeit. Somit begann jetzt die Suche nach einer neuen Grundlage der Redlichkeit. Die Entscheidung der Neuzeit lautete: Der redliche Mensch handelt sittlich. Hier knüpfte die Neuzeit an Aristoteles an, der keine Moral als höchstes Prinzip vorschlug, sondern seine Nikomachische Ethik. Damit wurde die Moral in der Neuzeit abgelöst.

Die Sittlichkeit, die Redlichkeit der Neuzeit

Das neue Fundament der Redlichkeit in der Neuzeit wurde also in der Ethik und damit Sittlichkeit begründet.

Da die Aufklärung der religiösen Ethik des Mittelalters (Petrus Abaelard: Du sollst den Willen Gottes erfüllen!) eine Ethik der Vernunft entgegensetzte (Thomas von Aquin: Du sollst dem Anspruche deiner Vernunft folgen!), war es nur logisch, dass die Neuzeit |28|auch die Sittlichkeit mit der Vernunft verknüpfte. Immanuel Kant (1724–1804) war der wohl bedeutendste Philosoph, der das Sittengesetz neu bestimmte: »Reine Vernunft ist für sich allein praktisch und gibt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nennen.«6 Der Vernunft fügte er noch den Willen hinzu: »Das Wesentliche alles sittlichen Werts der Handlungen kommt darauf an, dass das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme .«7 Sittlich konnte für Kant also nur das sein, was aus Achtung vor dem Gesetz der Vernunft geschieht. Schließlich bestimmte Kant das oberste Gesetz der Sittlichkeit in seinem Hauptwerk Kritik der praktischen Vernunft mit seinem kategorischen Imperativ wie folgt: »Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.«8

Alle Versuche, Sittlichkeit zu bestimmen, die vor Kant lagen oder danach kamen, sind entweder mit Kant identisch oder ähnlich oder ungenau. Sicher ist es auch möglich, Kant so zu verstehen, dass er die »goldene Regel« der Bergpredigt in neue Worte fasste. Jesus soll damals gesagt haben: »So wie ihr von den Menschen behandelt werden möchtet, so behandelt sie auch. Das ist – kurz zusammengefasst – der Inhalt der ganzen Heiligen Schrift« (Matthäus 7, 12). Für Francis Bacon gab es ein natürliches Sittengesetz, in dem die sozialen Neigungen, die auf das Gesamtwohl abzielen, existieren. Thomas Hobbes (1588–1679) meinte, dass die Selbstliebe eines Menschen durch Nützlichkeitserwägungen zur Übereinkunft und damit zur Sittlichkeit führe. Samuel Clarke (1675–1729) vermutete, dass alle Dinge eine bestimmte Natur besitzen und es sittlich sei, alle Wesen den natürlichen Verhältnissen gemäß zu behandeln. John Locke (1632–1704) sprach den Menschen angeborene moralische Grundsätze ab und war der Überzeugung, dass die Sittlichkeit auf vier Grundlagen fußt: auf entweder einem göttlichen oder einem bürgerlichen Gesetz, auf öffentlicher Meinung oder auf Nützlichkeitserfahrungen. William Paley (1743–1805) bestimmte das Wohl der Menschheit als Gegenstand der Sittlichkeit, den göttlichen Willen |29|als dessen Richtschnur und die Glückseligkeit als das Motiv und damit Ziel der Sittlichkeit. Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) war die Sittlichkeit nicht zufällig, sondern das Vernünftige selbst. Paul Hensel (1867 – 1944) bestimmte die Sittlichkeit als »in der mit einem Pflichtgebot übereinstimmenden Willenssichtung«9 . Theodor Lipps (1851 – 1914) meinte: »Nicht was wir tun, sondern aus welcher Gesinnung heraus wir es tun, bestimmt den sittlichen Wert unseres Tuns.« Seine oberste Sittenregel lautete: »Verhalte dich jederzeit innerlich so, dass du hinsichtlich dieses deines innern Verhaltens dir selbst treu bleiben kannst.«10 Johannes Wilhelm Cornelius (1863–1947) bestimmte Sittlichkeit als eine Handlung, »deren Ziel nach dem Stande der jeweiligen Erfahrungen des wollenden Individuums als das relativ Wertvollste erscheint.«11 Und Simon-Theodore Jouffroy (1796–1842) schließlich definierte das sittlich Gute als das bewusste Streben eines Menschen, sich mit der allgemeinen Ordnung in Einklang zu setzen. Wenn man genau hinschaut, wird von allen Philosophen zwar der Versuch unternommen, zu definieren, wie sich Sittlichkeit ausdrückt, außer Kant hat jedoch kaum jemand so präzise gesagt, was genau sittlich ist.

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|32|Kapitel 5

Der Beginn der neuen Unredlichkeit

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|39|Teil II

Unser Problem – die neue Unredlichkeit

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|52|Kapitel 2

Die Unredlichkeit der Globalisierung

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|76|Kapitel 3

Die neue Unredlichkeit von Ideologien und Dogmen

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|103|Kapitel 4

Die Unredlichkeit der Cargo-Kulte

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|124|Kapitel 5

Die neue Unredlichkeit der Politik

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|141|Kapitel 6

Die neue Unredlichkeit des Mobbings

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|150|Kapitel 7

Die neue Unredlichkeit der Ausbeutung

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|166|Kapitel 8

Die neue Unredlichkeit des Egoismus

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|173|Teil III

Unsere Chance – die neue Redlichkeit

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|180|Kapitel 2

Neue Redlichkeit im verantwortlichen Handeln

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|194|Kapitel 3

Individuelle Tugenden als Basis für eine neue Redlichkeit

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|207|Kapitel 4

Die Grundzüge einer neuen Redlichkeit

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|218|Kapitel 5

Die neue Redlichkeit in Unternehmen

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|226|Kapitel 6

Beispiele redlicher Unternehmensführung

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|233|Kapitel 7

Aufgaben zur Etablierung einer neuen Redlichkeit

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|241|Schlusswort

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|244|Quellennachweise

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|249|Literaturempfehlungen

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|251|Ethische Handlungsregeln des Ethikverbandes der Deutschen Wirtschaft e.V.

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