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Endlich Ordnung am nordischen Götterhimmel Über die nordischen Göttermythen weiß man hierzulande meist deutlich weniger als über die griechischen und römischen. Dabei tummeln sich dort gewaltige Riesen, Zwerge, Schlangen, Walküren, achtbeinige Pferde. Gar nicht zu reden von Odin, dem Göttervater, vom hammerschwingenden Thor oder dem gütigen Balder. Und was ist eigentlich mit Loki, der charmanten Kanaille, dem Zerstörer und seinen drei furchtbaren Kindern: dem Fenriswolf, der Midgardschlange und Hel? Wie hängen Niflheim und Asgard zusammen, und was ist mit Midgard? Fragen über Fragen! Katharina Neuschaefer erzählt die Geschichte all dieser Wesen und Götter, damit Klein und Groß es jetzt endlich mal ganz genau wissen.
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Seitenzahl: 69
Die Nordischen Sagen
Götterkriege – Kampf um Asgard
Neu erzählt von Katharina Neuschaefer
Mit Bildern von Dieter Wiesmüller
Ragnarök, das Schicksal, ist unabwendbar. Wenn die Zeit sich dem Ende neigt, bricht der Fimbulwinter an. Drei Jahre lang wird sich die Kälte durch alle Tage ziehen. Es sind die Jahre des Wolfs. Ein Wolf so groß, dass sein Kiefer Himmel und Erde berührt, an seiner Seite eine Schlange, deren Leib ganz Midgard umschlingt, und Hel, die Totengöttin selbst.
Yaggdrasil, der Weltenbaum, wird welken , und das Licht wird erlöschen.
Die Weltenfeinde werden kommen und den Göttern das Ende bereiten auf dem Wigridfeld, denn sie sind vom selben Blut.
Gellend heult Garm vor Gnipahellir,
es reißt die Fessel, es rennt der Wolf.
Dann beginnt eine neue Zeit.
Loki lebte nun schon lange bei den Göttern, doch noch immer gab es Asen, die dem Halbriesen misstrauten. Besonders Heimdall beobachtete jeden seiner Schritte voller Misstrauen und versuchte immer wieder, Thor gegen seinen Wahlbruder aufzubringen. Viele andere Götter aber hatten Loki ins Herz geschlossen und fragten ihn in allen möglichen Lebenslagen um Rat.
»Loki, wie kann ich die schöne Waldelfe für mich gewinnen?«
»Loki, woher bekomme ich eine bessere Waffe?«
»Loki, wie kann ich mich auf Reisen gegen Trolle schützen?«
Und Loki half. Jedes Mal.
Bald war der Feuergott aus Asgard nicht mehr wegzudenken, baute sich einen Palast und heiratete die schöne Asen-Göttin Sigyn, die ihm zwei Söhne schenkte. Die meiste Zeit aber verbrachte er mit Thor. Gemeinsam durchstreiften sie oft wochenlang die Welten, um gegen Trolle und Riesen zu kämpfen. Bald verstanden sie sich ohne Worte und vertrauten einander mehr, als es jemals zwei Götter getan hatten.
Es war bei einem dieser Jagdausflüge, als sie ihre Freundschaft für immer besiegelten. Das Himmelspferd Hrimfaxi hatte schon die Nacht im Wagen heraufgezogen, als Thor und Loki ihr Lager in einem dichten Wald aufschlugen, im Grenzgebiet zwischen Midgard und der Wildnis Utgard. Loki entzündete ein Feuer und garte ein Stück Fleisch darin.
»Ich weiß, dass es mir nicht zusteht«, begann Loki, nachdem er eine Weile wortlos ins Feuer gestarrt hatte. »Du bist Odins ältester Sohn und stehst damit über allen anderen Asen. Dennoch: Ich möchte dein Bruder sein.« Er stand auf, grub eine kleine Vertiefung in die Erde und stellte sich mit beiden Füßen hinein. Dann zog er einen silbernen Dolch aus seinem Gewand und fügte sich damit einen tiefen Schnitt an der Innenseite seines linken Unterarms zu. Die ersten Blutstropfen, die aus der Wunde austraten, schüttelte Loki in die aufgegrabene Erde.
»Für Odin!«, sagte er und hielt Thor den Dolch hin.
Der Donnergott sah seinem Freund in die Augen. Er dachte daran, wie glücklich seine Frau gewesen war, als Loki ihr das goldene Haar gebracht hatte. Wie Loki da gewesen war, als niemand ihr Leid lindern konnte. Wie glücklich er selbst war, als sie wieder lächelte. Und an die vielen gemeinsamen Erlebnisse, wo sie einander geholfen hatten. Er nahm den Dolch aus Lokis Hand und schnitt sich selbst in den Arm. »Für Odin!«, flüsterte auch er, als das helle Blut hervorquoll und auf den Boden tropfte.
Dann kniete er nieder, vermengte Erde und Blut miteinander, wie es der Brauch verlangt, und streckte Loki seinen Arm entgegen. Loki kniete ebenfalls nieder. Sie pressten ihre Wunden aufeinander, und Thor sprach den heiligen Eid: »Bei Odin, meinem Vater, und allen Göttern schwöre ich, dich wie einen Bruder zu lieben. Dein Freund soll mein Freund sein, und deine Feinde sind die meinen. Ich gelobe dir Beistand in allen Dingen des täglichen Lebens, und sollte dir ein Unrecht widerfahren, werde ich es rächen.«
Gerade als auch Loki den Schwur sprechen wollte, knackte es etwas entfernt von ihnen im Unterholz. Sofort sprang Thor auf, um das Feuer zu löschen, aber Loki hielt ihn zurück. »Natürlich sind es Riesen. Der Fleischgeruch lockt sie an, aber warum sollen wir uns verstecken?«
Thor schüttelte den Kopf. »Es ist dunkel. Lass uns den Frieden dieser Nacht wahren. Wenn wir das Feuer löschen und der Geruch des Fleisches nachlässt, dann werden sie nicht herkommen. Loki, ich will nicht mehr so oft töten.«
Aber Loki achtete nicht auf die Bitte seines Freundes. »Wir waren zuerst hier, und ein Gott versteckt sich nicht.« Und er fachte das Lagerfeuer weiter an, bis es loderte wie ein Scheiterhaufen.
Bald darauf brach ein Riese aus dem Dickicht hervor. Er war bucklig, und seine Arme waren so lang, dass sie beinahe über den Boden schleiften. Mit halb geschlossenen Augen folgte er dem Bratenduft und ging nun direkt auf die Feuerstelle zu. Gerade wollte er nach dem Fleischspieß greifen, da trat Loki aus dem Schatten. »Ich glaube, Riese, du versuchst, die Götter zu bestehlen.«
Der Riese fuhr herum, aber noch bevor er Loki überhaupt ansehen konnte, hatte der Feuergott ihn schon mit einem Flammenstrahl getroffen, und der Riese fiel tot zu Boden.
Thor kniete neben dem qualmenden Leichnam nieder und sah dann zu Loki auf. »Warum? Er hatte nur Hunger.«
»Nein, er hat versucht zu stehlen, Thor. Wir müssen sie in ihre Schranken weisen.«
Noch während Loki sprach, näherten sich weitere Riesen der Feuerstelle. Sie hatten gesehen, was vorgefallen war, und brüllten nun vor Zorn und Rachsucht.
»Gott totmachen«, grölte der größte von ihnen. »Ja, tothauen«, wiederholte er mit merkwürdig veränderter Stimme, während er mit seinem gewaltigen Körper eine Schneise durch den Wald schlug und wie ein gigantischer Schattenberg auf Loki zuwalzte.
»Sie greifen uns an«, sagte Loki ruhig und wandte sich zu Thor um, »ich denke, du solltest sie bestrafen.«
Aber Thor zögerte. »Von sich aus hätten sie nicht angegriffen. Es wäre nicht richtig, sie zu töten.«
»Nun, Blutsbruder«, sagte Loki und zog die Augenbrauen hoch, »sie kommen, um mich zu ermorden.«
Noch niemals war es Thor so schwergefallen, seinen Hammer aus dem Gürtel zu lösen. Es schien ihm, als läge das Gewicht ganz Midgards in seinen Händen. Unendlich mühsam streifte er die Eisenhandschuhe über und holte mit Mjöllnir aus. Wie gewöhnlich empfand er die Macht des Hammers in seinem Körper. Sein Wille, der mit Mjöllnirs Willen verschmolz. Und doch, dieses Mal stellte sich ein anderes Gefühl gegen diesen fremden Willen, ein Gefühl, das nur Thor allein gehörte. Das Gefühl, dass es falsch war, was er tat.
Inzwischen aber war der erste Riese ganz aus dem Dunkeln getreten, und der Feuerschein beleuchtete seine abstoßende Erscheinung. Er war gigantisch. Auf dem plumpen Körper saßen zwei Köpfe, die sich offenbar nicht einigen konnten, wer die Führung übernehmen sollte. Was zur Folge hatte, dass der Riese sich noch ungeschickter bewegte, als es Riesen ohnehin schon tun. Die beiden Köpfe stritten unentwegt miteinander. Beide dachten aber so langsam, dass viel Zeit verstrich, bis der eine Kopf auf das antworten konnte, was der andere gesagt hatte. Dieses Geschöpf nun schwankte auf Loki zu. Und Loki lachte. Er lachte über den Anblick seines unbeholfenen Gegners so sehr, dass er sich auf den Boden fallen ließ und sein Gesicht mit den Händen bedeckte.
Der Riese war sichtlich verwirrt.
»Der lacht«, sagte der eine Kopf des Riesen.
»Der weint«, antwortete der andere.
»Lacht.«
»Weint.«
»Lacht.«
So ging es immer weiter. Der Wortwechsel der beiden Köpfe verlangte dem Riesen so viel geistige Energie ab, dass alle anderen Körperreaktionen entgleisten. Seine vier Augen schielten in alle Himmelsrichtungen, er stolperte über seine eigenen Füße und ruderte wild mit den Armen durch die Luft, um nicht der Länge nach hinzufallen.
Dennoch erreichte er Loki schließlich und hob seinen gigantischen Fuß, um ihn zu zertreten. Und da Loki den Riesen seltsamerweise nicht wahrzunehmen schien, musste Thor handeln. Fast war es, als würde sich der Hammer seiner Hand entwinden. Er kam frei, er flog und er tötete. Die Waffe zertrümmerte beiden Köpfen nacheinander die Schädeldecke, und der Koloss fiel ohne einen weiteren Laut zu Boden. Was weiter geschah, nahm Thor nur noch wie durch einen Schleier wahr. Andere Riesen kamen, wendigere, gefährlichere. Sie kamen und griffen an, doch Mjöllnir streckte auch sie nieder. Als es vorbei war, legte Loki Thor einen Arm um die Schultern und blickte schweigend über die Leichen. Thor wollte etwas sagen, aber er konnte es nicht. Kein Laut kam aus seiner Kehle.
Loki ließ ihn los und klopfte ihm nochmals aufmunternd auf die Schulter. »Ich kann mir denken, wie du dich fühlst, Thor. Dumme Kerle, wollten nur essen. Und jetzt sind sie alle tot. Durch deine Hand umgekommen.«