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Endlich Ordnung am nordischen Götterhimmel Über die nordischen Göttermythen weiß man hierzulande meist deutlich weniger als über die griechischen und römischen. Dabei tummeln sich dort gewaltige Riesen, Zwerge, Schlangen, Walküren, achtbeinige Pferde. Gar nicht zu reden von Odin, dem Göttervater, vom hammerschwingenden Thor oder dem gütigen Balder. Und was ist eigentlich mit Loki, der charmanten Kanaille, dem Zerstörer und seinen drei furchtbaren Kindern: dem Fenriswolf, der Midgardschlange und Hel? Wie hängen Niflheim und Asgard zusammen, und was ist mit Midgard? Fragen über Fragen! Katharina Neuschaefer erzählt die Geschichte all dieser Wesen und Götter, damit Klein und Groß es jetzt endlich mal ganz genau wissen.
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Seitenzahl: 58
Die Nordischen Sagen
Thor und der Aufstand der Riesen
Neu erzählt von Katharina Neuschaefer
Mit Bildern von Dieter Wiesmüller
Ragnarök, das Schicksal, ist unabwendbar. Wenn die Zeit sich dem Ende neigt, bricht der Fimbulwinter an. Drei Jahre lang wird sich die Kälte durch alle Tage ziehen. Es sind die Jahre des Wolfs. Ein Wolf so groß, dass sein Kiefer Himmel und Erde berührt, an seiner Seite eine Schlange, deren Leib ganz Midgard umschlingt, und Hel, die Totengöttin selbst.
Yaggdrasil, der Weltenbaum, wird welken , und das Licht wird erlöschen.
Die Weltenfeinde werden kommen und den Göttern das Ende bereiten auf dem Wigridfeld, denn sie sind vom selben Blut.
Gellend heult Garm vor Gnipahellir,
es reißt die Fessel, es rennt der Wolf.
Dann beginnt eine neue Zeit.
Seit Odin seine Feinde kannte, war es unmöglich, Ragnarök, den Beschluss des Schicksals, zu ignorieren. Jeden Tag untersuchte Odin nun Yggdrasils Blätter, um zu sehen, ob der Zustand des Baums sich verschlechtert hatte. Und selbst, wenn der Baum noch keine weiteren Krankheitszeichen aufwies, so war es Odin, der krankte. Die Sorge nahm Raum in seinem Inneren, die Sorge, seine Macht zu verlieren, die Sorge, dass tatsächlich eintreten könnte, was schon vor so langer Zeit vorhergesagt worden war. Und diese Sorge war es auch, die harte Linien in sein Gesicht meißelte und den ewig jungen Göttervater unter der Maske seiner Jugend altern ließ.
Unentwegt sandte er seine Raben aus, verbrachte viele Stunden auf dem Wolkenthron oder beriet sich mit Mimirs Kopf. Dann, eines Morgens, rief Odin die Götter unter die Zweige der Weltesche.
»Wir müssen uns wappnen«, sagte er und blickte ernst in die Gesichter der Asen.
»Wir wissen alle, welche Feinde uns belauern, und wir wissen, dass sie nur darauf warten, die alte Ordnung umzustoßen. Es ist also an der Zeit, dass auch wir uns rüsten.«
Viele der Götter nickten, einige ballten die Fäuste, andere blickten sorgenvoll.
Nur Balder, der Lichtgott, lächelte. »Noch hat uns niemand angegriffen. Noch ist Zeit, mit den anderen Welten zu verhandeln. Vielleicht haben auch wir Fehler gemacht?«
»Schau doch her, was mir dieses Ungeheuer angetan hat«, schrie Tyr und deutete auf seinen Armstumpf. »Es hat ihm Spaß gemacht, sage ich dir. Ich will den Krieg!«
Viele Stimmen riefen und brüllten nun durcheinander, und auch Loki stimmte dem Kriegsgott zu.
»Nehmt doch nur den Baumeister, er wollte Odin töten. Wir müssen die Riesen und ihre Ausgeburten vernichten, bevor sie uns vernichten.«
»Gut gesprochen, für einen Riesen.« Heimdall, der Wächter Asgards ging geradewegs auf Loki zu und tippte ihm mit dem Finger auf die Brust. »Bist du nicht auch ein Riese?«
Aufgeregtes Geflüster erhob sich unter den Göttern.
»Ja, unser Freund hier stammt nicht von einem Gott ab. Ich kenne dein Geheimnis, Loki.«
Loki aber drückte Heimdalls ausgestreckten Finger sanft beiseite.
»Ich bin ein Halbriese, und ich habe niemals etwas anderes behauptet.«
Ein gleißender Blitz schlug neben Heimdall in den Boden.
Odins Gesicht war weiß vor Zorn, und seine Stimme grollte wie ferner Donner.
»Loki hat seine Göttlichkeit oft genug bewiesen. Schweig oder kehr auf deinen Wachtposten zurück. Sollen wir uns jetzt auch noch gegenseitig angreifen?«
Niemand wagte noch etwas zu sagen, und Odin fuhr fort: »Ich stelle ein Heer zusammen.«
»Ein Götterheer!«, rief Tyr, der Kriegsgott, grimmig und zog sein Schwert. »Wir werden kämpfen, wie es sich für Götter gehört.«
»Ja.« Odin blickte ärgerlich auf die Waffe, die Tyr nun mit seiner verbliebenen linken Hand halten musste. »Aber da ich nicht vorhabe zu unterliegen, brauchen wir eine große Armee. Außer uns Göttern werden auch Menschen darin kämpfen.«
»Menschen?« Thor kniff ungläubig die Augen zusammen, doch Odin ging gar nicht darauf ein.
»Tote Menschen. Einherjer. Sie sind unempfindlicher und leichter zu steuern. Ich bin der oberste Gott. Zu mir beten die Menschen um Kriegsglück. Wann immer es eine Schlacht gibt, werden die Besten sterben, und wenn der Kampf vorbei ist, werde ich sie zu mir nach Walhall holen.«
»Du willst über Schlachtfelder streifen, gefallene Krieger aufsammeln und nach Walhall bringen?«, fragte Frigg entsetzt. »Du, als Göttervater!«
Odin lächelte seiner Gemahlin beruhigend zu. »Nein, nicht ich selbst werde gehen, sondern meine Walküren«, sagte er.
Kaum hatte er das gesagt, erhob sich ein Rauschen in der Luft, als ob ein gewaltiger Sturm aufziehen würde, die Wolken teilten sich und gepanzerte Reiter brachen daraus hervor. Als sie neben der Ratsstätte landeten, sahen die Götter, dass die Reiter in Wahrheit Reiterinnen waren. Frauen, deren Körper so kräftig und gestählt waren, wie die eines Mannes. Frauen, in Waffenröcken und mit Brustpanzern. Unter ihren gefiederten Helmen wallte langes goldenes Haar hervor.
»Das sind meine gepanzerten Jungfrauen, sie kämpfen wie die Besten von euch«, sagte Odin stolz und deutete auf die kriegerischen Frauen. »Lobt Odins Weisheit, Götter!«
»Deine Walküren holen also Helden nach Walhall?«, fragte Frigg und blickte sich nach den Walküren um, die sich in einer Reihe unweit des Versammlungsplatzes aufgestellt hatten und auf weitere Befehle warteten. »Und was, mein Gemahl, werden all die gefallenen Helden hier in Walhall tun?«
»Sie werden kämpfen, wie sie es auch im Leben getan haben. Sie werden sich auf den letzten Kampf vorbereiten. Tyr, du kannst ein Auge auf sie haben. Sie werden tapfer sein, schmerzfrei und genügsam, denn sie sind ja tot. So, und nun reicht mir mein Trinkhorn, ich bin durstig.«
Gierig stürzte sich Odin auf den himmlischen Wein, die Fleischspeisen aber kippte der Einäugige wie gewöhnlich unter den Tisch und fütterte damit seine beiden Wölfe.
Odin war überzeugt, das Richtige zu tun. Die Kampfkraft menschlicher Helden würde ihm in der letzten Schlacht den entscheidenden Vorteil verschaffen. Und so erhörte er in diesen Tagen ganz besonders oft die Gebete der Menschen. Selbstverständlich nur die der Krieger und auch nur dann, wenn die Krieger adliger Herkunft waren.
»Für alle anderen und die Weiber gibt es ja Thor«, pflegte Odin zu sagen, und manchmal fragte sich Thor insgeheim, ob Odin nicht doch etwas von dem Zwischenfall mit dem Riesenkönig Thrym und dem Verlust des Hammers Mjöllnir erfahren hatte.
Unter den Menschen lebte zu dieser Zeit ein König, der besonders tapfer und kriegserfahren war. Sein Name war Harald Kampfzahn. Immer wieder flehte er Odin um seinen Beistand in der Schlacht an, und Odin gewährte ihm diese Unterstützung gerne, denn in Gedanken sah er König Kampfzahn und seine mutigen Krieger längst über den Pferden seiner Walküren hängen.
Odin ging sogar so weit, Kampfzahn selbst zu erscheinen. »Höre, König, ich verrate dir, in welcher Formation deine Truppen unschlagbar sein werden. Als Gegenleistung, nein, sagen wir, als Opfer, versprichst du mir die Seelen all derer, die dein Heer im Kampf erschlägt.«