Die Panne - Friedrich Dürrenmatt - E-Book

Die Panne E-Book

Friedrich Dürrenmatt

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Beschreibung

Weil sein Auto eine Panne hat, gerät Alfredo Traps in eine Villa, in der vier ältere Herren ein Gerichtsspiel abhalten, das ihnen – ehemaligen Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern – zum Zeitvertreib dient. Traps übernimmt die Rolle des Angeklagten, und man versichert ihm, eine Schuld werde sich schon finden lassen.

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Friedrich Dürrenmatt

Die Panne

Ein Hörspiel und eine Komödie

Diogenes

Die Panne

Ein Hörspiel

Die Stimmen

Alfredo Traps

Garagist

Wirt

Richter

Staatsanwalt

Verteidiger

Pilet

Simone

Tobias

Geschrieben 1955

Erstsendung am 17. Januar 1956 im Bayerischen Rundfunk

Leichte Schlagermusik. Ein fahrendes Automobil.

TRAPS

Dieser Wildholz! Der soll was erleben. Junge, Junge! Rücksichtslos gehe ich nun vor, rücksichtslos. Dem drehe ich mal den Hals um. Wird sich wundern. Unnachsichtlich! Kein Pardon, keine Gnade. Nee. Mir nicht. Meint wohl, ich sei bei der Heilsarmee. Fünf Prozent will er mir abkippen. Fünf Prozent! Ich rieche den Braten. Zum Glück, daß es mit Stürler klappte. Das ist ein Gewinnchen, den habe ich schön hereingelegt. – Nanu, was ist denn auf einmal mit dem Wagen los?

Wagengeräusche.

TRAPS

Steht. Nichts zu machen. Wenigstens eine Garage in der Nähe. He, Sie da!

GARAGIST

Was ist denn mit Ihrem Studebaker los?

TRAPS

Weiß der Teufel. Wollte eben diese kleine Steigung nehmen, da rührt er sich nicht mehr von der Stelle.

GARAGIST

Lassen Sie mich mal sehen.

Hantierungen.

GARAGIST

Aha. – Sehen Sie?

TRAPS

Tatsächlich! Scheint eine größere Reparatur zu geben.

GARAGIST

Meine ich auch.

TRAPS

Bis wann bringen Sie den Wagen in Ordnung?

GARAGIST

Morgen um sieben können Sie ihn holen.

TRAPS

Morgen erst?

GARAGIST

Es ist schließlich sechse abends.

TRAPS

Weit bis zum Bahnhof?

GARAGIST

Eine halbe Stunde.

TRAPS

Kann man im Dorf übernachten?

GARAGIST

Fragen Sie im ›Bären‹ nach.

TRAPS

Na gut. Nimmt mich nur wunder, was der Motor wohl hat. Was verstehe ich schon davon. Garagisten ist man ausgeliefert wie einst den Raubrittern. Der ›Bären‹. Der Dicke da ist wohl der Wirt?

Harmonikaklänge. Festlärm.

TRAPS

Zimmer frei?

WIRT

Tut mir leid. Alles besetzt. Der Kleinviehzüchterverband tagt.

TRAPS

Noch andere Gasthöfe im Dorf?

WIRT

Auch von den Kleinviehzüchtern besetzt. Doch gehen Sie mal zu Herrn Werge in der weißen Villa, die Dorfstraße geradeaus und dann links, der nimmt Gäste.

Die Handharmonikaklänge verwehen langsam.

TRAPS

Hätte doch den Zug nehmen sollen. Aber der fährt erst in einer Stunde, und dann müßte ich zweimal umsteigen. Zu faul dazu. Und den Wagen müßte ich morgen trotzdem holen. Das Dorf scheint angenehm zu sein. Kirche, Dorfeiche, Einfamilienhäuschen, wohl von Rentnern und pensionierten Beamten aus der Stadt, Bauernhäuser, solide, proper, sogar die Misthaufen sorgfältig geschichtet. Die Mühe, die sich die Leute geben.

Muhen. Glockengebimmel.

TRAPS

Kühe. Das auch noch. Eben auf dem Lande. Schöner Sommerabend, die Sonne noch hoch am Himmel, morgen der längste Tag. Vielleicht gibt es was zu erleben, manchmal ganz nette Mädchen anzutreffen in so einem Nest, eine Luise, eine Kathrine, wie neulich in Großbiestringen, war eine tolle Nacht, Evchen hieß sie. Die Villa, von Buchen und Tannen umgeben, ein größerer Garten davor, na schön, gegen die Straße hin Obstbäume, Gemüsebeete, überall Blumen. Komisch, daß die hier Gäste nehmen, scheint eine Art Pension zu sein. Leute, die Moneten bitter nötig haben.

Das Knarren einer Gartentüre.

TRAPS

Niemand zu sehen. Kieswege. Hallo!

RICHTER

Was wünschen Sie?

TRAPS

Herr Werge?

RICHTER

Bin ich.

TRAPS

Mein Name ist Traps, Alfredo Traps!

RICHTER

Erfreut.

TRAPS

Es wurde mir gesagt, man könne bei Ihnen übernachten. Habe eine Panne.

RICHTER

Kann man.

TRAPS

Wieviel verlangen Sie denn?

RICHTER

Nichts.

TRAPS

Nichts? Na, hören Sie mal. Sie scheinen wohl der Weihnachtsmann höchstpersönlich zu sein?

RICHTER

Treten Sie näher. Kommen Sie in die Veranda.

Stimmen.

STAATSANWALT

Da ist ja einer. Höchste Zeit!

VERTEIDIGER

So ein Dusel! Scheint ein Fabrikant zu sein.

STAATSANWALT

Unsinn, ein Geschäftsreisender.

PILET

Fein.

TRAPS

Oh, ich störe wohl.

RICHTER

Sie stören gar nicht. Ich bin allein, mein Sohn befindet sich in den Vereinigten Staaten, da bin ich froh, hin und wieder einen Gast zu beherbergen.

TRAPS

Aber Sie haben ja schon Gäste.

RICHTER

Freunde. Pensioniert, wie ich selbst. Hergezogen ins Dorf des milden Klimas wegen. Halten einen kleinen Herrenabend ab, mit Abendessen. Ich lade Sie ein, mitzumachen.

TRAPS

Mitmachen? So eine Gastfreundschaft gibt es doch überhaupt nicht mehr. Ist ja wie im Märchen.

RICHTER

Darf ich vorstellen: ein pensionierter Staatsanwalt –

STAATSANWALT

Mein Name ist Zorn.

TRAPS

Sehr erfreut.

RICHTER

Ein pensionierter Rechtsanwalt –

VERTEIDIGER

Gestatten: Kummer.

TRAPS

Habe das Vergnügen.

RICHTER

Herr Pilet.

TRAPS

Angenehm.

PILET

Fein.

RICHTER

Das ist Herr Traps, Simone. Er übernachtet hier.

SIMONE

In welchem Zimmer denn, Herr Werge?

RICHTER

Aber Simone, das müssen wir doch erst herausbringen.

SIMONE

Verstehe.

RICHTER

Unsere Gäste, Herr Traps, kommen nämlich je nach ihren Eigenschaften in das hierzu bestimmte Zimmer.

TRAPS

Originelle Idee.

RICHTER

Wünschen Sie etwas Vermouth?

TRAPS

Gerne.

RICHTER

Mit einem Schuß Gin?

TRAPS

Ich weiß gar nicht, womit ich dies alles verdient habe.

RICHTER

Sie erweisen uns nämlich durch Ihren Besuch einen Dienst.

TRAPS

Einen Dienst?

RICHTER

Sie können mitspielen.

TRAPS

Gerne. Was ist es denn für ein Spiel?

Verlegenes Lachen.

VERTEIDIGER

Ein etwas sonderbares Spiel.

TRAPS

Verstehe – die Herren spielen um Geld – da bin ich mit Vergnügen dabei.

STAATSANWALT

Nein – das ist nicht unser Spiel.

TRAPS

Nicht?

Verlegenes Lachen.

RICHTER

Es besteht darin, daß wir des Abends unsere alten Berufe spielen.

TRAPS

Ihre alten Berufe.

STAATSANWALT

Wir spielen Gericht.

TRAPS lacht

Direkt unheimlich.

RICHTER

Im allgemeinen nehmen wir die berühmten historischen Prozesse durch, den Prozeß Sokrates, den Prozeß Jesus, den Prozeß Jeanne d’Arc, den Prozeß Dreyfus, auch den Brand des Reichstagsgebäudes neulich, oder laden verschiedene geschichtliche Persönlichkeiten vor.

VERTEIDIGER

So haben wir gestern Friedrich den Großen für unzurechnungsfähig erklärt und in Gewahrsam genommen.

TRAPS

Das ist ja wirklich ein eigenartiges Spiel.

PILET

Fein, nicht?

STAATSANWALT

Am schönsten ist es natürlich, wenn wir am lebenden Material spielen.

TRAPS

Kann ich mir denken.

RICHTER

Deshalb haben denn Gäste hin und wieder die Freundlichkeit, sich uns zur Verfügung zu stellen.

TRAPS

Das versteht sich doch von selbst.

RICHTER

Sie brauchen aber nicht mitzuspielen, mein lieber Herr Traps.

TRAPS

Natürlich spiele ich mit.

RICHTER

Einen Whisky oder einen Wodka?

TRAPS

Whisky.

VERTEIDIGER

Zigarette?

TRAPS

Danke schön.

VERTEIDIGER

Feuer?

TRAPS

Habe selber. Dunhill. Geschenk von meiner Frau.

STAATSANWALT

Was nun Ihre Rolle betrifft, sehr geehrter Herr Traps, so ist sie nicht schwer zu spielen, jeder Stümper ist dazu fähig.

TRAPS

Da bin ich aber neugierig.

RICHTER

Den Richter, den Staatsanwalt und den Verteidiger haben wir schon, es sind dies ja auch Posten, bei denen eine Kenntnis der Materie und der Spielregeln notwendig ist. Nur die Rolle eines Angeklagten ist unbesetzt. Doch Sie sind in keiner Weise etwa gezwungen mitzuspielen, ich will dies noch einmal betonen.

TRAPS

Was soll ich denn für ein Verbrechen begangen haben?

STAATSANWALT

Ein unwichtiger Punkt, mein Freund. Ein Verbrechen läßt sich immer finden.

Leises Lachen.

TRAPS

Da bin ich aber gespannt.

VERTEIDIGER

Herr Traps, da Sie sich nun entschlossen haben, mitzuspielen, muß ich mit Ihnen ein ernstes Wörtchen reden.

TRAPS

Mit mir?

VERTEIDIGER

Ich bin schließlich Ihr Verteidiger.

TRAPS

Das ist lieb von Ihnen.

VERTEIDIGER

Kommen Sie, wir wollen im Speisezimmer den Porto probieren, den es hier gibt. Er ist alt, den müssen Sie kennenlernen.

Schritte.

VERTEIDIGER

Ein schönes Speisezimmer, nicht wahr? Der große runde Tisch aufs festlichste gedeckt, feierliche Stühle mit hohen Lehnen, dunkle Bilder an den Wänden, echt antik, nicht so verrücktes Zeug wie man heute malt, von der Veranda her das Plaudern der Herren, durch die offenen Fenster flimmert der Abendschein, dringt das Gezwitscher der Vögel, auf diesem Tischchen stehen Flaschen, weitere noch auf dem Kamin, die Bordeaux in Körbchen gelagert. Kommen Sie, kommen Sie, das ist noch eine gemütliche Stimmung, noch heimelige Poesie, da wollen wir zwei Gläschen mit Porto füllen und darauf anstoßen.

Sie stoßen an.

TRAPS

Vortrefflich.

VERTEIDIGER

Nicht? Es ist am besten, Sie vertrauen mir Ihr Verbrechen gleich an, so kann ich garantieren, daß wir beim Gericht auch durchkommen. Der lange hagere Staatsanwalt mit seinem Monokel ist zwar schon gegen neunzig, aber immer noch im Besitze seiner geistigen Kräfte, war eine weltberühmte Kapazität einstens, und dann ist der Gastgeber auch sehr streng und vielleicht sogar pedantisch als Richter. Sie sehen, die Situation ist nicht ungefährlich. Trotzdem aber gelang es mir, die meisten Fälle durchzubringen, nur einmal bei einem Raubmord ist wirklich nichts zu retten gewesen. Aber ein Raubmord kommt bei Ihnen wohl nicht in Frage, wie ich Sie einschätze, oder doch?

TRAPS lacht

Ich habe leider kein Verbrechen begangen, lieber Herr Dr. Kummer. Nur komisch, daß der Staatsanwalt ein Monokel trägt. Solche Dinger sind doch eigentlich aus der Mode gekommen. Prosit!

VERTEIDIGER

Prosit. Da lobe ich mir meinen Zwicker. Sie fühlen sich unschuldig, Herr Traps?

TRAPS

Na, hören Sie mal! Seh ich wie ein Verbrecher aus?

VERTEIDIGER

Hm. Nun gut. Vor allem überlegen Sie sich jedes Wort, plappern Sie nicht vor sich hin, sonst sehen Sie sich zu einer langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, ohne daß noch zu helfen wäre.

TRAPS lacht

Will ich, will ich. Ein vergnügliches Gesellschaftsspiel, muß ich schon sagen.

VERTEIDIGER

Da kommen die übrigen. Setzen wir uns an den Tisch. Simone will servieren.

STAATSANWALT

Was gibt’s denn?

SIMONE

Schildkrötensuppe.

PILET

Fein.

ALLE

Gesegnete Mahlzeit!

Man schlürft die Suppe.

STAATSANWALT

Nun? Angeklagter, was haben Sie vorzuweisen? Ich hoffe, einen schönen stattlichen Mord.

VERTEIDIGER

Ich muß protestieren, lieber Staatsanwalt. Mein Klient ist ein Angeklagter ohne Verbrechen, eine Rarität der Justiz. Er ist unschuldig, vollkommen unschuldig.

RICHTER

Nanu?

STAATSANWALT

Unschuldig?

PILET dumpf

Hä?

RICHTER

Ist noch nie vorgekommen.

STAATSANWALT

Müssen wir untersuchen. Was es nicht geben kann, gibt es nicht.

TRAPS lacht

Nur zu, Herr Staatsanwalt!

SIMONE

Forellen, meine Herren, und dazu einen leichten, spritzigen Neuchâteller.

VERTEIDIGER

Meine Lieblingsvorspeise!

PILET

Fein.

STAATSANWALT

Ihr Alter, Herr Traps?

TRAPS

Fünfundvierzig.

STAATSANWALT

Ihr Beruf?

TRAPS

Generalvertreter.

STAATSANWALT

Schön. Erlitten Sie eine Panne?

TRAPS

Zufällig, zum ersten Mal seit einem Jahr.

STAATSANWALT

Ach, und vor einem Jahr?

TRAPS

Nun, da fuhr ich noch den alten Wagen. Einen Citroën 1939, doch jetzt besitze ich einen Studebaker, rotlackiertes Extramodell.

STAATSANWALT

Studebaker? Ei, interessant! Und erst seit kurzem? Waren wohl vorher nicht Generalvertreter?

TRAPS

Ein simpler gewöhnlicher Reisender in Textilien.

STAATSANWALT

Konjunktur.

SIMONE

Wünschen der Herr ausgelassene Butter zur Forelle oder Mayonnaise?

TRAPS

Mayonnaise.

VERTEIDIGER leise

Noch einmal, Herr Traps, passen Sie auf! Jede der Fragen des Staatsanwalts hat ihre heimliche Bedeutung.

TRAPS

Meine Herren, ich muß sagen, daß ich bis jetzt die Abende in der Schlaraffia für das Komischste gehalten habe, was ich so kenne, doch dieser Herrenabend ist noch ulkiger.

STAATSANWALT

Ach, Sie sind in der Schlaraffia? Aufschlußreich. Wie ist denn Ihr Spitzname dort?

TRAPS stolz

Marquis de Casanova.

PILET

Fein.

STAATSANWALT

Darf von Ihrem Spitznamen auf Ihr Privatleben geschlossen werden?

VERTEIDIGER leise

Aufgepaßt! Laut Brüsseler Salat, bitte!

TRAPS

Lieber Herr Staatsanwalt, nur bedingt. Ich bin strengstens verheiratet, Vater von vier Kindern, und wenn mir mit Weibern was außerehelich passiert, so nur zufälligerweise und ohne Ambition.

SIMONE

Noch ein Gläschen Neuchâteller?

TRAPS

Schmeckt riesig.

RICHTER

Lieber Herr Traps, hätten Sie vielleicht die Güte, der hier versammelten Runde Ihr Leben in kurzen Zügen bekanntgeben zu wollen? Da wir ja beschlossen haben, über Sie als unsern lieben Gast und Sünder zu Gericht zu sitzen und Sie womöglich auf Jahre hinaus zu verknurren, so ist es nur angemessen, Näheres, Privates, Intimes zu erfahren, Weibergeschichten, wenn möglich gesalzen und gepfeffert.

DIE ANDERN

Erzählen, erzählen!

PILET dumpf

Einmal haben wir einen Zuhälter am Tisch gehabt, Herr Traps, der hat die spannendsten und bekanntesten Geschichten aus seinem Metier erzählt und ist zu alledem mit nur vier Jahren Zuchthaus davongekommen. War fein.

TRAPS

Was gibt es schon von mir zu erzählen. Ich bin keineswegs ein Zuhälter. Führe ein alltägliches Leben, meine Herren, ein kommunes Leben, wie ich gleich gestehen will. Pupille.

DIE ANDERN

Pupille!

Man stößt mit den Gläsern an.

SIMONE

Champignons à la Crème, meine Herren, und dazu einen Châteauneuf du Pape.

PILET

Fein.

RICHTER

Nun, Herr Traps, die besinnliche Stimmung für Ihre Lebensgeschichte ist vorbereitet.

TRAPS

Eine harte Jugend habe ich durchgemacht. Mein Vater war Fabrikarbeiter, ein Proletarier, den Irrlehren von Marx und Engels verfallen, ein verbitterter, freudloser Mann, der sich nie um mich kümmerte. Die Mutter Wäscherin, früh verblüht. Nur die Primarschule durfte ich besuchen, nur die Primarschule.

STAATSANWALT

Interessant. Nur die Primarschule. Haben sich aber mit Leibeskräften heraufgearbeitet, mein Verehrter.

TRAPS

Das will ich meinen. Noch vor zehn Jahren war ich nichts als ein Hausierer und zog mit einem Köfferchen von Haus zu Haus. Harte Arbeit, Tippeln, Übernachten in Heuschobern, zweifelhaften Herbergen. Von unten fing ich an in meiner Branche, ganz von unten. Und jetzt, meine Herren, wenn Sie mein Bankkonto sähen. Ich will mich nicht rühmen, aber hat einer von euch einen Studebaker?

VERTEIDIGER leise

Seien Sie doch vorsichtig!

STAATSANWALT

Wie ist denn das gekommen?

VERTEIDIGER leise

Passen Sie auf und reden Sie nicht so viel.

TRAPS

Ich habe die Alleinvertretung der Hephaiston auf diesem Kontinent übernommen.

RICHTER

Hephaiston? Mir schleierhaft, was dies sein soll.

TRAPS

Und doch sind Sie nahe daran, verehrter Gastgeber und Richter. Sie sagen selbst »schleierhaft«. Wenn es heute Nylon, Perlon, Myrlon gibt, Kunststoffe, von denen das hohe Gericht doch wohl hörte, so gibt es auch Hephaiston, die Königin der Kunststoffe, unzerreißbar, durchsichtig, doch dabei gerade für Rheumatiker eine Wohltat, ebenso verwendbar in der Industrie wie in der Mode, für den Krieg wie für den Frieden, der vollendete Stoff für Fallschirme und zugleich die pikanteste Materie für Nachthemden schönster Damen, wie ich aus eigener Forschung weiß.

DIE ANDERN

Oho!

RICHTER

Aus eigener Forschung!

PILET

Fein.

SIMONE

Kalbsnierenbraten, Artischocken und ein wohltemperierter St-Julien-Médoc 1927.

TRAPS

Ein Festessen.

STAATSANWALT

Will ich meinen. Unser Gastgeber kauft selber ein, der alte Gnom und Gourmet. Doch wie steht es nun mit Ihnen? Untersuchen, durchleuchten, durchforschen wir den Fall weiter. Wie kamen Sie beruflich zu einem so lukrativen Posten?

VERTEIDIGER leise

Aufpassen. Jetzt wird’s gefährlich.

TRAPS

Das ist nicht leicht gewesen. Habe zuerst Gygax besiegen müssen, und das war eine harte Arbeit.

STAATSANWALT

Ei, und Herr Gygax, wer ist denn dies wieder?

TRAPS

Mein früherer Chef. Donnerwetter, der Bordeaux scheint großartig zu sein, nach dem Bouquet zu schließen.

STAATSANWALT

Nun, Verehrtester, Herr Gygax befindet sich wohl?

TRAPS

Der ist letztes Jahr gestorben.

VERTEIDIGER leise

Sie sind wohl verrückt geworden?

STAATSANWALT

Gestorben! Da hätten wir unseren Toten aufgestöbert, und das ist schließlich die Hauptsache. Meine Herren, auf diesen Fund hin wollen wir den St-Julien-Médoc goutieren.

Gläserklirren.

STAATSANWALT

Nun also zu unserem Toten, der sich am Horizonte zeigt. Vielleicht läßt sich gar ein Mordchen aufweisen, das unser lieber Traps begangen haben könnte zu seiner und unserer Freude.

TRAPS lachend

Muß bedauern, meine Herren, muß bedauern.

Gelächter.

STAATSANWALT

Geben wir’s nicht auf. Rekapitulieren wir. Herr Gygax ist vor einem Jahr gestorben?

TRAPS

Vor acht Monaten.

STAATSANWALT

Nachdem Sie seinen Posten erhalten haben?

TRAPS

Kurz vorher.

STAATSANWALT

Ei, und woran ist er denn gestorben?

TRAPS

Eine Herzgeschichte.

STAATSANWALT

Schön, mehr brauche ich einstweilen nicht zu wissen.

VERTEIDIGER leise

Unvorsichtig, Traps, unvorsichtig. Glauben Sie mir, ich habe meine Erfahrung: gerade aus Herzgeschichten dreht einem der Staatsanwalt oft einen Strick.

STAATSANWALT

Wie alt ist der Verewigte geworden, lieber Herr Traps?

TRAPS

Zweiundfünfzig. Darf ich noch um etwas Sauce bitten?

RICHTER

Blutjung.

VERTEIDIGER leise

Und das alles gestehen Sie mit der größten Seelenruhe?

TRAPS lachend

Keine Bange, mein lieber Herr Verteidiger, wenn erst einmal das Verhör beginnt, werde ich auf der Hut sein.

Stille.

VERTEIDIGER

Unglücksmensch, was meinten Sie damit: wenn einmal erst das Verhör beginnt?

TRAPS

Nun? Hat es etwa schon begonnen?

Gelächter.

RICHTER

Er hat es nicht bemerkt, er hat es nicht bemerkt.

PILET

Fein.

TRAPS stutzend

Meine Herren, verzeihen Sie, ich dachte mir das Spiel feierlicher, würdiger, förmlicher, mehr Gerichtssaal.

RICHTER

Liebster Herr Traps, Ihr bestürztes Gesicht eben war nicht zu bezahlen. Unsere Art Gericht zu halten kommt Ihnen fremd und allzu munter vor. Sehen Sie doch, Wertgeschätzter, wir vier an diesem Tisch sind pensioniert und haben uns vom unnötigen Wust der Formeln, Protokolle, Schreibereien, Gesetze befreit und was für Kram sonst noch unsere Gerichtssäle belastet. Wir richten ohne Rücksicht auf die lumpigen Gesetzbücher und Paragraphen.

TRAPS

Ohne Paragraphen! Großartige Idee!

VERTEIDIGER

Meine Herren, ich gehe Luft schnappen, bevor es zum Hähnchen und zum übrigen kommt, ein kleines Gesundheitsspaziergänglein und eine Zigarette tun gut. Ich lade Herrn Traps ein, mich zu begleiten.

TRAPS

Aber gerne, Herr Verteidiger.

VERTEIDIGER

Treten wir durch die Veranda in die Nacht hinaus, die nun endlich hereingebrochen ist, warm und majestätisch. Meine dichterische Ader, mein Freund. Geben Sie mir den Arm.

TRAPS

Bitte sehr.

VERTEIDIGER

Eine Zigarette.

TRAPS

Mein Gott, war dies ein Jux da drin.

VERTEIDIGER

Lieber Freund, bevor wir zurückkehren und das Hähnchen in Angriff nehmen, lassen Sie mich ein ernstes Wort an Sie richten, das Sie beherzigen sollten. Sie sind mir sympathisch, junger Mann, ich fühle zärtlich für Sie, ich will wie ein Vater zu Ihnen reden: wir sind im schönsten Zuge, unsern Prozeß in Bausch und Bogen zu verlieren.

TRAPS

Pech. Aber seien Sie vorsichtig. Hier wittere ich einen Teich, eine Steinbank, setzen wir uns.

VERTEIDIGER

Sterne spiegeln sich im Wasser, Kühle steigt auf. Die hat man nötig in dieser Sommernacht. Vom Dorfe her Handharmonikaklänge und Gesang, auch ein Alphorn beginnt feierlich zu blasen.

TRAPS

Der Kleinviehzüchterverband feiert. Habe ich gelacht. Ein gar zu komisches Gesellschaftsspiel eben. In der nächsten Sitzung der Schlaraffia muß dies unbedingt auch eingeführt werden.

VERTEIDIGER

Nicht wahr? Man lebt auf. Hingesiecht bin ich, lieber Freund, als ich meinen Rücktritt genommen hatte und plötzlich ohne Beschäftigung in diesem Dörfchen das Alter genießen sollte. Was ist denn hier los? Nichts, nur der Föhn nicht zu spüren, das ist auch alles. Gesundes Klima. Lächerlich ohne geistige Beschäftigung. Der Staatsanwalt lag im Sterben, bei unserem Gastgeber vermutete man Magenkrebs, das war das Resultat. Da kamen wir auf den Einfall, das Spiel einzuführen, und hei! – es wurde unser Gesundbrunnen, die Hormone kamen wieder in Ordnung, die Langeweile verschwand, Energie, Jugendlichkeit, Elastizität, Appetit stellten sich ein. Wir spielen das Spiel jede Woche, mit den Gästen des Richters, die unsere Angeklagten abgeben, bald mit Hausierern, bald mit Ferienreisenden, und vorgestern durften wir gar einen Parlamentarier zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilen, nur durch meine Kunst kam er nicht an den Galgen.

TRAPS lachend

Galgen! Sie machen aber Witze.

VERTEIDIGER

Wieso denn?

TRAPS

Die Todesstrafe ist ja abgeschafft!

VERTEIDIGER