Die Party - Jonas Winner - E-Book
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Die Party E-Book

Jonas Winner

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Beschreibung

Es ist der 31. Oktober – Halloween: Zehn Jugendfreunde freuen sich auf ein Wiedersehen nach vielen Jahren. Brandon, der elfte im Bund, hat sie alle in einen Glasbungalow geladen, der sich auf einem Felsplateau hoch über dunklen Wäldern erhebt. Auf dieser Party will Brandon die Zeit der achtziger Jahre aufleben lassen – was damit beginnt, dass alle ihre Handys abgeben müssen. Doch als die Freunde begrüßt werden, überschlagen sich die Ereignisse. Aus einem vermeintlichen Schockeffekt wird tödlicher Ernst: Ein Kronleuchter löst sich von der Decke und begräbt den Gastgeber unter sich. Ein tragischer Unfall. Oder? In diesem Moment wird der Gesellschaft klar: Unter ihnen ist ein Killer. Die Party beginnt … ihre letzte Party!

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Das Buch

Es ist der 31. Oktober – Halloween: Zehn Jugendfreunde freuen sich auf das Wiedersehen. Brandon, der elfte im Bund, hat sie alle in einen Glasbungalow geladen, der sich auf einem Felsplateau hoch über dunklen Wäldern erhebt. Auf dieser Party will Brandon die Zeit der achtziger Jahre aufleben lassen – was damit beginnt, dass alle ihre Handys abgeben müssen. Doch als die Freunde begrüßt werden, überschlagen sich die Ereignisse. Aus einem vermeintlichen Schockeffekt wird tödlicher Ernst: Ein Kronleuchter löst sich von der Decke und begräbt den Gastgeber unter sich. Ein tragischer Unfall. Oder? Unter den Freunden ist ein Killer. Die Party beginnt …

Der Autor

Jonas Winner wuchs in Berlin, Rom und den USA auf, Studium in Deutschland und Frankreich. Nach seiner Promotion über Spieltheorie arbeitete er zehn Jahre lang als Fernsehjournalist, danach folgten Drehbücher fürs deutsche Fernsehen und Romane. Mit dem Self-Publishing-Erfolg »Berlin Gothic« gelang Winner der Durchbruch als Spannungsautor. Besuchen Sie Jonas Winner auf jonaswinner.com und Facebook.

JONAS WINNER

THRILLER

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Copyright © 2018 by Jonas Winner Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Lars Zwickies Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München, unter Verwendung von Shutterstock Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach ISBN: 978-3-641-21898-0V002
www.heyne.de

Teil I

1

Brandon sitzt auf der riesigen Couch, die mitten in dem weitläufigen Raum steht – direkt der Panoramascheibe gegenüber, durch die man einen unverstellten Blick über die bewaldete Landschaft hat.

Aber sein Blick ist nicht in die Ferne gerichtet, sondern auf die Seiten des Albums, das auf seinen Knien liegt.

Auf die Seiten des Fotoalbums.

Die Aufnahmen müssen Jahrzehnte alt sein. Man erkennt es vielleicht nicht sofort, aber die Frisuren der Teenager, die auf den Bildern zu sehen sind, die Schnitte der Hosen … röhrenförmig … die Schultern eher betont … die Haare …

Flockig

Muss er denken.

Wie

gesund

sie damals aussahen.

Fröhlich.

Jung.

Er blättert um. Ein Mädchen in giftgrünem Hulk-Outfit versucht, sich von einem Jungen im Dracula-Kostüm huckepack tragen zu lassen. Im Hintergrund ist ein großzügiger Raum zu erkennen. Eine Panoramascheibe mit Blick über eine bewaldete Landschaft.

Die beiden befinden sich in dem Raum, in dem auch Brandon jetzt sitzt.

Die Jugendlichen auf den Bildern tragen ausnahmslos Kostüme. Eine E.T.-Maske ist zu sehen, ein Darth-Vader-Helm, ein Weißer Hai … und im Hintergrund an einer Wand ein handgemaltes Plakat.

NEW JERICHO SENIORS HALLOWEEN … und eine Jahreszahl.

»1986.« Brandon hat es nicht bemerkt, aber er hat die Zahl leise vor sich hin geflüstert.

1986.

Vor über dreißig Jahren.

Kein Wunder, dass sie jung aussehen, gesund und übermütig.

Er blättert weiter. Der große Raum, in dem die Party stattfindet, ist voller Leute. Kürbismasken. Die Spuk-Accessoires einer vergangenen Zeit. Die Lettern des Plakats sehen aus wie die aus Creepshow.

»Oder war das die Rocky Horror Picture Show?«

Brandon lächelt.

Er hat das Album seit Jahren nicht mehr hervorgeholt. Eben erst ist es ihm eingefallen, sich die alten Bilder noch mal anzusehen, und er musste ziemlich lange zwischen den verstaubten Koffern und Kisten auf dem Dachboden herumsuchen, bis er es schließlich gefunden hat.

Sein Blick wandert über die neue Seite, die er aufgeschlagen hat.

Ein hagerer Junge ist darauf zu sehen – ein Junge, dessen Gesicht hinter einer bleichen Totenkopfmaske verborgen ist.

Das war er selbst – damals … mit dem Totenkopf. Sein Vater hatte ihm die Maske mitgebracht – Brandon hatte das Gefühl, selten so cool ausgesehen zu haben, als er sich zum ersten Mal damit im Spiegel erblickte. Der hautenge schwarze Ganzkörpersuit mit dem aufgedruckten Skelett, dazu der weiße Kapuzenumhang … Dr. Death hatte er sich genannt. Doktor, warum Doktor?

Weil es besser klang.

Auf dem Foto, das er jetzt vor Augen hat, streckt sein jüngeres Ich die mageren Arme aus und steht oben auf der Galerie, die den großen Raum überblickt.

Auch damals gab es diese Galerie schon.

Sein Kopf legt sich in den Nacken, seine Augen wenden sich zur Decke.

Da hängt er. Aus Stahl … Chrom … Glas …

»Modernistisch« ist es wohl, wie sie ein solches Design nennen, oder »midcentury«. Ein US-Design aus den Fünfziger- oder Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Solange Brandon denken kann, hängt der Kronleuchter dort oben schon und sorgt dafür, dass die ganze Halle erst recht aussieht wie ein James Bond-Filmset von früher.

Es war dieser Leuchter, nach dem er damals die Arme ausgestreckt hat, während unten alle wie gebannt zu ihm nach oben geschaut haben.

Ein Klingelton reißt ihn aus seinen Träumereien.

Das Haustelefon – der Knopf an dem Apparat blinkt orange. Brandon schiebt das Album von den Knien, steht auf, geht zum Apparat und hebt ab.

»Ja?«

»Sie sind eben angekommen, Mr. Hill. Ms. Bailey und Ms. Jackson. Curtis hat sich jetzt mit der ersten Gruppe zu Ihnen auf den Weg gemacht.«

»Sehr gut, Vera, vielen Dank.«

Er hängt auf.

Sie sind auf dem Weg hierher. Vom Eingangstor unten am Grundstück bis zum Haus … wie lange brauchen sie? Vielleicht acht Minuten.

Nachdenklich wendet Brandon den Blick zu der großen Scheibe am anderen Ende des Raums. Es ist noch nicht spät, aber dem Himmel ist bereits anzusehen, dass bald die Dämmerung einsetzen wird.

Er geht ein paar Schritte zu einem Tisch und nimmt etwas davon hoch.

Eine Totenkopfmaske. Passend zu dem hautengen schwarzen Skelett-Morphsuit und dem weißen Kapuzen-Umhang, die er trägt. Sein Blick verliert sich in den fahlen Gesichtszügen des Schädels.

Dr. Death.

Es ist der 31. Oktober 2018.

Ein schöner Herbstnachmittag.

Und Brandon hat noch gut eine Stunde zu leben.

2

zur gleichen Zeit, nur wenige Autominuten entfernt

»Nein, Kim – setz das Ding sofort wieder ab!«

Er hatte richtig laut geklungen.

Kim zog das Gummiteil von ihrem Gesicht. Die Augen ihres Mannes wandten sich wieder zur Straße. Aber sie hatte es noch gesehen – wie der Schreck darin stand. Vorsichtig legte sie ihre Hand auf seinen Nacken. Sie wusste, dass er das mochte und es ihn beruhigte.

»Was denn, Joe«, sie säuselte es richtig, »muss ich für dich immer hübsch anzusehen sein?«

Das war natürlich gemein, und sie wusste es. Die Horror-Maske, die sie sich für die Party besorgt hatte, war nicht nur nicht hübsch – sie war entsetzlich. In dem kalkweißen Clownsgesicht standen tiefe schwarze Furchen, die roten Locken sahen aus wie Drahtwolle, und der Mund war eine blutige Grube.

Joe kicherte. »Pass bloß auf, dass sich deine alten Freunde nicht erschrecken, wenn sie dich so sehen!«

»Ist das nicht der Sinn einer Halloweenparty – dass man sich gegenseitig erschreckt?«

Aber vielleicht hatte er recht. Hatte sie womöglich übertrieben? Wäre es besser gewesen, ein Kostüm zu wählen, das nur ein bisschen dekadent aussah, dafür aber umso erotischer? Sie drehte die erschlaffte Gummimaske in der Hand und sah in die herabhängende Plastikmiene. Das war nicht subtil erotisch, das war … anstößig.

Zu spät.

Sie und Joe waren bereits frühmorgens aufgebrochen, um die Strecke bis zum späten Nachmittag zu schaffen. Zeit für ein neues Kostüm blieb jetzt nicht mehr.

»Was ist eigentlich damals passiert?«

Sie sah zur Seite. Joes kräftige Hände hielten das Steuerrad fest, und er schaute unverwandt auf die Straße. Aber sie hatte sich nicht getäuscht, er hatte ihr eine Frage gestellt.

»Wieso?« Sie wollte nicht gleich antworten.

»Komm schon, Kim. Wie lange sind wir jetzt verheiratet?«

Siebzehn Jahre.

Er nickte, ohne dass sie etwas gesagt hatte. »Genau. Du hast immer mal wieder erwähnt, dass damals etwas passiert ist, aber was genau das war, hast du nie gesagt.«

Sie setzte sich in ihrem Sitz zurecht. »Meinst du nicht, ich hätte dir das schon längst erzählt, wenn ich es wüsste?«

»Keine Geheimnisse zwischen Eheleuten, was Kim?« Joe lachte, und sie liebte es, wenn er lachte. Sein ganzer großer Körper wurde davon in Schwingungen versetzt. Manchmal machte sie einen Witz, nur um ihn zum Lachen zu bringen. Und das gelang ihr fast immer, wenn sie es wollte.

»Habe ich mich von den Jungs eigentlich richtig verabschiedet?«, dachte sie laut. Ihre beiden Söhne waren zwar schon acht und zwölf Jahre alt, aber Kim hatte immer noch das Bedürfnis, sie am liebsten gar nicht aus den Augen zu lassen.

»Hast du!«, kam Joes Antwort prompt. »Und morgen Abend um sechs hol ich dich wieder ab.« Er warf ihr einen schnellen Blick zu. »Aber sag doch mal, damals … auf der Halloweenparty vor dreißig Jahren, was war denn da los? Ich meine, irgendwas musst du doch mitbekommen haben!«

Ihre Gedanken wanderten in der Zeit zurück. 1986. Es war so unendlich lange her inzwischen … aber natürlich, es stimmte, irgendetwas war damals passiert, denn mit einem Mal war die Halloweenparty, die sie damals bei Brandon gefeiert hatten, vorbei gewesen. Brandon war vollkommen verstört gewesen und hatte sie alle nach Hause geschickt. Und das war das letzte Mal gewesen, dass sie sich alle gesehen hatten.

Aber warum – was war Brandon zugestoßen?

»Du weißt es wirklich nicht?«

Kim schüttelte den Kopf. »Es war was mit Brandon. Er war total verstört. Und keiner wusste wieso.«

»Okay.« Joe nickte. »Was ich dann aber nicht verstehe: Wieso macht er jetzt wieder eine Halloweenparty? Wenn damals etwas passiert ist, das Brandon so verstört hat – wieso will er diese Party dann jetzt wiederholen? Das ergibt für mich keinen Sinn.«

Kim überlegte. »Vielleicht will er es endlich überwinden? Eine Art … keine Ahnung … Trauma-Therapie?«

»Ein Trauma? So schlimm? Bist du sicher, dass du dahin willst?«

Je länger sie darüber sprachen, desto weniger sicher war sie sich.

»Aber es könnte doch sein – dass er es ein für allemal hinter sich bringen will.« Kim zögerte. »Bin ich ihm das nicht schuldig – wir alle, meine ich, sind wir ihm das nicht schuldig, dass wir ihm dabei helfen?«

Joe sah nicht zu ihr herüber, aber sie konnte seine Skepsis auch so spüren. Und wenn sie ehrlich war, teilte sie dieses Gefühl. War es ein Fehler, dorthin zu fahren? Sollte sie Joe bitten, dass er mitkam, und zwar nicht nur bis zum Eingang, sondern als ihre Begleitung mit auf die Party? In dem Punkt war Brandon am Telefon allerdings eindeutig gewesen: Er wollte, dass sie ohne ihre Partner kamen. Hatte sie überhaupt noch eine Freundin dort unter den Gästen, die Brandon aufgezählt hatte? Nein. Oder? Sicher, sie kannte sie alle seit einer Ewigkeit, aber sie hatte sie auch seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.

Seit jener Halloweennacht 1986.

»Vielleicht hast du recht, Joe«, hörte sie sich sagen. »Vielleicht sollten wir einfach umkehren.«

Der Wagen rollte ruhig weiter über den Highway. Niemand sagte etwas. Hatte sie es ernst gemeint? Wollte sie diese Entscheidung wirklich Joe überlassen? War es Joe, der eingeladen war? Nein, sie war eingeladen.

»Freust du dich nicht, deine alten Freunde zu sehen?«, fragte er leise. »Wenn du möchtest, kein Problem, Kim, ich dreh um und wir fahren zurück. Aber … ich will jetzt nicht pathetisch klingen, nur … es ist dein Leben, ja? Deine Kindheit und Jugend in New Jericho, dein Wiedersehen nach dreißig Jahren. Ich weiß nicht, ob das wirklich etwas ist, das man lieber nicht macht. Das kannst nur du wissen.«

Natürlich hatte er recht. Es erschien ihr seltsam abwegig, den Wagen jetzt zum Stehen zu bringen und umzukehren, sie fühlte sich bei dem Gedanken vollkommen erschöpft. War es nicht unendlich viel leichter, geradeaus zu fahren – den Weg fortzusetzen?

Kim spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. Diese Reise, dieses Wochenende, sollte so etwas wie eine kleine Auszeit vom Alltag für sie sein. Ihr ganzes Leben lang war sie für andere dagewesen. Für ihren Mann, ihre beiden Jungs, sogar für die Schwiegereltern. Sie hatte es kaum bemerkt und doch gerade in den letzten Monaten zunehmend den Eindruck gehabt, dass sie dringend mal etwas nur für sich selbst tun sollte. Nicht für die Kinder, nicht für Joe und auch nicht für seine Eltern. Deshalb hatte sie Brandon auch nur zu gern zugesagt, als der sich bei ihr gemeldet hatte. Eine Halloweenparty mit den alten Freunden? Klar bin ich dabei! Und nun? Wusste sie nicht mehr, ob sie überhaupt dorthin wollte? Was sollte das heißen? War sie gar nichts mehr? Hatte sie sich in all den Jahren, in denen sie für ihre Familie dagewesen war, vollkommen selbst verloren?

Freust du dich nicht, deine alten Freunde zu sehen?, hatte Joe gefragt.

»Natürlich freue ich mich«, stieß sie hervor, »auf Ralph zum Beispiel …«

»Ausgerechnet!«, kam es halb ärgerlich, halb belustigt vom Fahrersitz. »Fang bloß nicht was mit Ralph an. Von dem hast du ja immer mal wieder erzählt. Das ist doch der Große aus Florida, oder?«

Ja … »Nein, Quatsch, nicht Ralph. Scotty wollte ich sagen, ich freu mich auf Scotty, auf Louise und auch auf Nick.«

»Nick – was, Nick Shapiro?« Joe streckte seinen mächtigen Körper in dem Sitz in die Länge. »Ist das der Typ, der diese Romane schreibt?«

»Ja. Hast du mal was von ihm gelesen?«

Joe grinste. »Bloß nicht. Soll ja ziemlich krasses Zeug sein.«

Kim nickte. Das stimmte wohl. Sie hatte mal eins von Nicks Büchern gelesen, es danach aber geradezu bestürzt in die Mülltonne gestopft. So etwas wollte sie nicht in ihrem Haus haben.

3

Vielleicht kann ich ja einen Roman daraus machen, dachte er.

Nick fuhr mit offenem Verdeck, obwohl es dafür eigentlich schon zu kalt war. Aber er liebte es, wenn ihn der Wind umwirbelte, und seine Thermojacke hielt ihn warm. Seinen Ellbogen hatte er auf die Tür des Wagens geschoben – draußen zogen die einsamen, bewaldeten Gebirgszüge Connecticuts an ihm vorbei. Ein See füllte das Tal aus, das er durchfuhr, und die Bergrücken reichten bis hoch hinauf in den Himmel, an dem sich bereits erste Anzeichen der Dämmerung zeigten.

Vielleicht kann ich … vielleicht auch nicht. Natürlich war er immer auf der Suche nach Stoffen. Ein Wiedersehen von alten Freunden – es bot sich an, oder nicht? Wie lange hatte er Brandon nicht gesehen? Seit 1986, seit über dreißig Jahren. Sie waren gemeinsam zur Schule gegangen, auf die New Jericho Highschool, und Nick hatte seine gesamte Kindheit in dem kleinen Ort verbracht. Einem Ort, in dem viele Familien wohnten, deren Männer gutes Geld in New York verdienten und die jeden Tag hin- und herpendelten.

Er wechselte auf die Überholspur und zog an einem endlosen Lastwagen vorbei.

Lange hatte er nicht mehr an New Jericho gedacht, an New Jericho und an …

Er zog das Steuer wieder nach rechts, um auf die andere Spur zu wechseln … und um seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben.

Er wollte nicht an Louise denken.

Sie war nicht der Grund, weshalb er Brandon zugesagt hatte, als der sich plötzlich nach all den Jahren bei ihm gemeldet und ihn eingeladen hatte.

Oder?

Er sah sie vor sich – wie er sie die letzten drei Jahrzehnte vor sich gesehen hatte. Ihr braunes Haar. Die Augen, in denen er sich verlieren konnte. Ihre schmalen Hände … und er hörte ihre Stimme, die Stimme, die seinen Namen sagte.

Auch Louise hatte Nick 1986 zum letzten Mal gesehen. An diesem Abend war etwas geschehen – etwas, das er nie ganz verstanden, das sein Leben aber von Grund auf verändert hatte.

Er fühlte, wie sich Schweiß an den Innenseiten seiner Hände bildete. Es rieb ihn auf, daran zu denken. Es rieb ihn auf, in diese Richtung zu fahren, praktisch zurück in ein Leben, von dem er längst geglaubt hatte, es hinter sich zu haben.

Zurück zu Louise.

»Sie ist verheiratet, Mann«, knurrte er sich selbst an. »Mit Terry – schon vergessen?!«

Nein, das hatte er nicht vergessen. Sie hatte Terry geheiratet, das hatte Nick auch mitbekommen, obwohl er seit ’86 nicht mehr in New Jericho gewesen war. Seine Eltern hatten in dem Jahr, in dem er die Highschool verlassen hatte, den Wohnsitz gewechselt, und in den Ferien war er zu ihnen statt in seine alte Heimat gefahren.

»Sie hat Terry geheiratet, verdammt!«

Den Falschen! Natürlich war Louise der Grund, weshalb Nick Brandon zugesagt hatte. Und jetzt? Würde sie Terry mitbringen, der zusammen mit ihnen zur Schule gegangen war und bei einem Klassentreffen nicht fehlen durfte.

»Sie hätte in dieser Nacht in den Keller kommen müssen.« Es war alles verabredet gewesen, auf der Halloweenparty, die Brandon damals gegeben hatte. Louise war dort gewesen, und Nick hatte mit ihr abgesprochen, dass sie sich im Keller treffen würden. Aber dort war sie nie aufgetaucht.

Warum nicht?

In all den Jahren, die sie sich gekannt hatten, hatte er sich nie in ihr getäuscht. In dieser Nacht aber hatte sie nicht das getan, womit er felsenfest gerechnet hatte. Sie war nicht zu ihm in den Keller gekommen. Und danach war alles anders gewesen. Mit einem Mal schien aus Louise ein anderer Mensch geworden zu sein. Er hatte versucht, sie anzusprechen, aber ihr Gesicht war für ihn wie eine Maske gewesen.

Er steuerte den Wagen weiter nach Norden.

Der Schweiß bedeckte jetzt seinen Rücken, und das T-Shirt, das er unter dem Halloweenkostüm trug, klebte an seiner Haut. Eiskalt fuhr ihm der Fahrtwind in den Kragen, und eine Gänsehaut überzog seinen Körper.

Wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er zugeben, dass er in einer ziemlichen Krise steckte. Nichts Lebensbedrohliches, keine tödliche Krankheit, keine Katastrophe … und trotzdem nicht weniger tückisch. Keine Familie, keine Frau, keine Kinder … er lebte, ja, das schon, jeden Tag, von morgens bis abends, aber … wozu? Er hatte es in den letzten Jahren immer von sich ferngehalten und zugleich doch insgeheim gefühlt, dass sich eine Art Schlinge um seinen Hals zuzog. Diese Bücher, die er schrieb: Thriller, Schocker, Slasher, Gore? Trash! Ja, er verkaufte sich ganz gut inzwischen, aber … was sollte das alles? Was er machte, war eigentlich gar nichts wert, oder? Schluss machen, Ende, aus, Feierabend? Erst kürzlich hatte er sich dabei ertappt, dass er darüber nachgegrübelt hatte. Nicht weil er krank war, nicht weil er pleite war – sondern weil sein Leben nie richtig begonnen hatte! Also konnte er es genauso gut auch einfach beenden, oder?

Seine Augen richteten sich stur auf die Fahrbahn vor ihm. Louise. Hatte er deshalb nie angefangen, wirklich zu leben? Weil sie damals nicht zu ihm gekommen war, obwohl sie – was?

Füreinander bestimmt gewesen waren?

»Unsinn! Lächerlich.«

Und doch – war es nicht genau das, was er fühlte und eigentlich schon immer gefühlt hatte?

Was war der Grund dafür gewesen, dass sie in jener Halloweennacht 1986 einander plötzlich wie Fremde gegenübergestanden hatten? Hatte es etwas mit dem zu tun, was Brandon zugestoßen war?

Jahrzehntelang hatte Nick diese Fragen verdrängt. Jetzt aber, während er sich auf dem Weg zurück zu den Orten seiner Kindheit und Jugend befand, kamen sie mit großer Macht an die Oberfläche.

War etwas zwischen Louise und Brandon vorgefallen? Denn auch Brandon war nach jener Nacht wie ausgetauscht gewesen.

»Aber warum macht er dann jetzt noch einmal eine Halloweenparty?«

Es kam Nick so vor, als würde er wie an Drahtseilen dorthin gezogen – zu dem Haus von Brandons Familie in den Bergen, in dem er im Alter von siebzehn Jahren zum letzten Mal gewesen war.

4

»Sie sind?«

»Nick Shapiro.« Nick sah in das Gesicht einer Frau, die er auf Ende fünfzig schätzte.

»Nick, natürlich. Herzlich willkommen, mein Name ist Vera.« Die Frau richtete sich wieder auf und deutete mit der Hand zu dem Tor, vor dem sie ihn erwartet hatte. »Warum fahren Sie nicht schon mal auf den Parkplatz, Nick? Bei dem kleinen Haus dort? Ich bin gleich bei Ihnen.«

Ihr Blick schweifte zu dem Fahrzeug, das hinter Nick stand und das er erst jetzt im Rückspiegel bemerkte. Die Strahlen der tief stehenden Sonne fielen so auf die Windschutzscheibe, dass er nicht erkennen konnte, wer darinsaß. Er gab vorsichtig Gas und rollte zwischen den Pfeilern des Portals hindurch. Der SUV hinter ihm fuhr ebenfalls an und hielt neben Vera.

Vera … Er kannte sie, oder? War sie nicht schon damals bei Brandons Eltern angestellt gewesen? Ganz sicher war Nick sich nicht.

Der geteerte Weg, den er entlangtuckerte, verlief an dem kleinen Steinhäuschen, auf das Vera gezeigt hatte, vorbei und führte zu einem Parkplatz für vielleicht sechs Fahrzeuge. Ein schweres Motorrad stand dort, sonst waren alle Plätze frei. Nick parkte neben der Maschine und öffnete die Wagentür.

Werwolf deluxe hieß das Kostüm, das er sich besorgt hatte und unter seiner Thermojacke bereits trug. Ein haariger Ganzkörperanzug, mit dem es so aussah, als würde sich ein wilder Vierbeiner aufrichten, wenn er die richtige Körperhaltung einnahm. Handschuhe mit krallenartigen Pfoten, überall brauner Pelz … und als Krönung eine Maske mit gefletschten Zähnen.

Mit dem Wolfskopf unter dem Arm lief Nick zurück zu der Einfahrt, durch die er auf das Grundstück gelangt war. Der SUV rollte gerade durch das Tor – eine Frau war ihm bereits vor der Einfahrt entstiegen. Nick lächelte Vera zu, die ihm entgegenkam und hinter dem SUV Richtung Pförtnerhäuschen ging. Und plötzlich geschah alles auf einmal.

Die Frau, die vor dem Tor ausgestiegen war, wandte sich um, und es traf Nick ins Herz, bevor in seinem Kopf ankam, was passierte. Für einen Moment hatte er das Gefühl, es würde nicht nur in ihm, sondern auch in dem Augenpaar, das sich auf ihn gerichtet hatte, etwas schmelzen. Die Pupillen der Frau weiteten sich – ihre Blicke verweilten ineinander –, dann hatte er sie erreicht. Sie legte ihren Kopf ein wenig in den Nacken, um zu ihm hochzuschauen.

Sie hatte sich verändert … und doch war das Mädchen, das er vor über dreißig Jahren zum letzten Mal gesehen hatte, noch immer genau in ihr zu erkennen.

»Hi, Nick.«

»Louise«, murmelte er.

»Lange her.« Sie lächelte. »Wie geht’s dir?«

Er schluckte.

Gut.

»Wo kommst du jetzt her?« Sie schaute ihn an, und er wusste, dass sich die Unruhe, die ihn gepackt hatte, bereits auf sie übertrug. Nicht mal eine Minute hatte es gedauert, nicht nur er stand unter Strom, sondern auch sie.

Sollte er sich vorbeugen, ganz ruhig und doch zügig, und ihr ins Ohr flüstern, was er fühlte?

»Aus … du weißt schon« – Brooklyn …

»Werwolf, ja?« Sie grinste.

Sein Blick fiel auf ihr Kostüm. Ein kurzes weißes Kleidchen mit einem aufgenähten Herz, schwarz-rot geschminkte Lippen und hochgesteckte Haare.

Voodoopuppe – das war es, sie war als Voodoopuppe verkleidet und strahlte so eine starke Anziehung auf ihn aus, dass seine Finger sich unwillkürlich um ihre Hand schlossen.

Im gleichen Augenblick platzte ein Hupen zwischen sie, und Nick schreckte hoch. Louise machte einen Schritt in seine Richtung. Einen Moment lang standen sie ganz dicht beieinander.

Ein schwarz glänzender Kasten glitt auf die Einfahrt zu, und durch die Windschutzscheibe konnte Nick das teigige, seltsam eckige Gesicht eines Monsters aus Leichenteilen erkennen.

»Louise! Nick!«

Der Wagen hielt, die mächtige Seitentür des Cadillacs sprang auf, und eine hünenhafte Gestalt mit todtraurigen Augen schob sich aus dem Fahrzeug.

»Hey!« Nick grinste.

Ralph. Es war Ralph – verkleidet als Frankenstein … Frankensteins Monster. Die Pranken des Hünen schlossen sich um das Püppchen neben Nick, während von der anderen Seite des Wagens eine Art zerlumpter Schuljunge, komplett mit zerrissener Uniform und Bisswunden im Gesicht, auf Nick zustürmte.

»Scotty?« Es war, als würde Nick aus dem Honigtopf, in den er so unvermittelt durch die Begegnung mit Louise gestürzt war, wieder auftauchen.

Dann hatte Scott ihn auch schon in die Arme geschlossen. »Sieh mal, wen wir mitgebracht haben.« Sein alter Freund trat zurück und deutete zum Wagen, dem jetzt eine Gestalt mit gigantischem Fliegenkopf entstieg. »Ashley!« Scott strahlte Nick an. »Sie und Ralph sind aus Florida mit dem Wagen gekommen und haben mich am Flughafen aufgegabelt!«

5

»Wunderbar, dann sind wir vollzählig, nicht wahr?« Vera kam ihnen vom Pförtnerhaus entgegen. »Die ersten vier sind schon oben.«

»Tatsächlich? Wer ist denn schon da?« Nick hatte sich zu ihr umgedreht.

»Donna Jackson, Kim Stewart, dann ein Herr in einem … ich glaube, es war ein Freddy-Krueger-Kostüm. Aber all die Namen … ich will jetzt nichts Falsches sagen.« Sie lächelte. »Eigentlich wollte Brandon Sie ja hier unten begrüßen, aber er hat noch ein paar letzte Vorbereitungen im Haus zu treffen.«

Vier Gäste … hatte sie gerade gesagt, vier Gäste sind schon da? »Hinten auf dem Parkplatz hab ich nur ein Motorrad gesehen …«

Aber Scott ließ Nick nicht ausreden. »Sie sind wahrscheinlich gebracht worden oder haben ein Taxi genommen, Nick. Was ist, fahren wir auch gleich hoch?« Erwartungsvoll schaute er zu Vera.

»Das wird mein Mann übernehmen, wenn er mit dem Jeep zurück ist.« Sie sah zu Scotty, während die anderen ihr zuhörten. »Es hat in den vergangenen Tagen starke Regenfälle in der Gegend gegeben, und die Zufahrtsstraße ist im Moment in keinem guten Zustand. Curtis … Sie erinnern sich vielleicht an ihn? 1986 waren er und ich auch schon hier im Haus beschäftigt.«

Verschwommen hatte Nick das Bild eines untersetzten Mannes mit widerspenstigen schwarzen Haaren vor Augen. »Brandon hat gesagt, dass Curtis Sie mit dem Jeep bis zum Bach bringen soll«, fuhr Vera fort, während sie in die Runde blickte. »Dann kann einer von Ihnen das Steuer übernehmen, und Curtis geht die paar Meter zu Fuß wieder zurück. Wir wollen heute Abend noch nach Hause, meine älteste Tochter wird zum Essen bei uns sein.«

»Wohnen Sie nicht mehr im Haus oben?« Vage konnte sich Nick daran erinnern, dass Brandon ihm einmal erzählt hatte, in einer Souterrain-Wohnung ihres Hauses würde ein Ehepaar leben, das sich um Haushalt und Grundstück kümmere.

Veras Blick richtete sich auf ihn. »Schon seit zwanzig Jahren nicht mehr! Brandons Vater war damals so großzügig und hat uns ein kleines Haus am Rand von New Jericho gekauft.«

Ralph nickte. »Okay, gut. Ist das Ihr Mann dort?« Er schaute an Vera vorbei, und als Nick Ralphs Blick folgte, sah er, dass ein klobiger Jeep gerade den Bergweg herunterkam.

»Das ist er! Kommen Sie, lassen sie uns zum Eingangsgebäude gehen, dann können Sie mit ihm hochfahren.«

Hochfahren …

Wie ein schartiger Keil, der hoch oben auf einer Felsklippe mit weitem Blick über das ganze Tal saß – so war Brandons Haus Nick immer vorgekommen. Ein Traum aus Stahl, Glas und Beton.

Er bemerkte, dass die anderen bereits mit Vera auf dem Weg zum Pförtnerhäuschen waren. Kurz darauf betrat auch er das kleine Gebäude.

»Er hat mir mein Handy abgenommen!«, kam ihm eine Stimme entgegen.

Nick sah, dass der Mann, der das gesagt hatte, sich zu ihm umwandte und ein freundliches Leuchten sein rötliches Gesicht erhellte. »Hey Nick! Du musst dein Handy auch abgeben, ist dir das klar?« Es war Terry, sein alter Schulkamerad – der Mann, den Louise geheiratet hatte. Terry musste das Pförtnerhäuschen direkt vom Parkplatz aus betreten haben.

»Was soll das denn, ich hoffe, das muss nicht sein?«, platzte Ralphs Stimme dazwischen.

Die Frankenstein-Gestalt hatte sich an Vera gewendet, die inzwischen hinter einem Empfangstresen stand. Neben ihr stützte eine schwarzhaarige Gestalt, in der Nick unschwer Veras Ehemann Curtis wiedererkannte, die Ellbogen auf den Tresen.

Unter Curtis’ buschigen Augenbrauen blitzte es. »Sie wissen, dass Brandon eine Art Revivalparty geplant hat? Eine Reise ins Jahr 1986 soll es sein …« Der Haushälter wirkte etwas bekümmert. »Ich hatte ihn, also Brandon, so verstanden, dass Sie darüber informiert sind?«

Das stimmte. Als Brandon sich bei Nick gemeldet hatte, hatte er durchblicken lassen, dass er plante, eine Art Reise in die Achtziger machen zu wollen.

Nick sah, wie Curtis einen kleinen Tresor öffnete, der sich hinter dem Empfangstresen befand. Darin lagen bereits ein paar Handys.

»Selbstverständlich gibt es einen Festnetzanschluss oben«, hörte er ihn sagen. »Wie hieß sie noch gleich?« Curtis sah zu Vera.

»Mrs. Stewart, Kimberly Stewart.«

»Richtig, Kimberly.« Curtis schaute wieder zu Ralph. »Sie wollte ihr Handy auch erst nicht abgeben, für den Fall, dass etwas mit den Kindern sei. Aber dann hörte sie, dass sie ihrem Mann einfach die Festnetznummer vom Haus oben geben kann, und alles war okay.«

»Eine kleine Reise zurück in die Vergangenheit«, griff Vera den Faden auf, bevor Ralph etwas erwidern konnte. »Brandon würde sich freuen, wenn Sie mit ihm diese Reise antreten würden – zurück ins Jahr ’86 gewissermaßen, verstehen Sie? Damals gab es ja auch keine Handys …«

In Ralphs Gesicht, das sich durch die grüne Frankensteinmaske hindurch abzeichnete, arbeitete es.

»Es ist natürlich nur eine Bitte von Brandon. Wenn Sie darauf bestehen –«

»Ach was, nein, natürlich nicht«, unterbrach Ralph sie mit seiner tiefen Bassstimme. »Hier, nehmen Sie mein Handy. Daran soll es ja nun wirklich nicht scheitern.«

Nick hatte sein Mobiltelefon bereits aus der Innentasche des Werwolfanzugs geholt. Vielleicht war die Idee gar nicht so falsch. Wenn es eine Reise in die Achtziger sein sollte, mussten sie die Dinger wirklich abgeben.

Er machte einen Schritt nach vorn und legte sein Telefon auf die Theke. »Komm schon, Scotty«, er nickte dem Zombie-Schuljungen zu, der unschlüssig neben ihm am Tresen stand. »Das machen wir heute mal so, wie Brandon sagt, und morgen bekommen wir die Telefone wieder. Richtig, Curtis?«

Der Hauswart hatte ihm den Rücken zugewandt, um Nicks Handy in den Tresor zu legen. »Aber natürlich.« Er drehte sich um, nahm Scottys Telefon entgegen und sah in die Runde. »Alle Handys abgegeben? Sie können völlig beruhigt sein, wir hatten oben schon Einbrecher, aber den Tresor hier unten hat noch nie jemand gefunden. Deshalb werden wichtige Unterlagen und Wertsachen schon immer hier aufbewahrt.«

Nick blickte ebenfalls in die Gesichter der anderen. Und bemerkte, wie sie strahlten.

Mit einem satten Knall fiel die Tresortür in Schloss. »Auf geht’s!« Curtis stieß die Tür auf der Rückseite des Pförtnerhauses auf. »Beeilen wir uns, ich bin sicher, Brandon kann es kaum erwarten, Sie endlich zu sehen.«

6

»Und, seht ihr euch manchmal, du und Ralph, unten in Florida?« Nick hatte zusammen mit Ashley und Ralph in der mittleren Reihe des Siebensitzers Platz genommen. Curtis fuhr, neben ihm saß Scotty, ganz hinten auf der dritten Bank hockten Louise und Terry.

Ralph warf der Frau neben ihm einen Blick zu. »Nicht wirklich, oder? Einmal sind wir uns am Strand über den Weg gelaufen, das weiß ich noch – aber geplant war das nicht.«

Ashley hatte den Fliegenkopf mit den riesigen Facettenaugen inzwischen abgenommen, an dem Laborkittel, den sie trug, prangte eine schwarze Fliegenbrosche, und einer ihrer Arme sah aus wie ein überdimensionales Fliegenbein.

Wie hieß der Wissenschaftler, der beim Teleportationsexperiment halb zur Fliege mutiert?, ging es Nick durch den Kopf.

Sie kniff ein Auge zu. »Ralph mit seiner Bilderbuchfamilie … das hält man ja nicht aus.«

»Hast du Kinder – Frau – Haus, ja?« Scotty hatte sich nach hinten gewandt und schaute zu Ralph.

Der nickte. »Ihr nicht?«

Der Wagen rumpelte über eine Furche, die vom Regen in den weichen Sand gegraben worden war.

»Was machst du denn in Florida genau, Ralph?« Nick hatte Ralphs Frage einfach ignoriert. Sie hatten ja noch das ganze Wochenende Zeit und würden genug Gelegenheit haben, sich über alles Mögliche zu unterhalten.

»Immobilien.« Ralph lehnte sich zurück, und seine mächtigen Schultern nahmen fast die halbe Rückbank ein. »Der Markt dort unten ist nicht schlecht. Wir haben alles, Bürohäuser, Einfamilienhäuser, Ferienapartments …«

»Und du verdienst dir dabei eine goldene Nase.«

Ralph winkte ab und grinste. Seine wachen Augen schienen sich ständig zu vergewissern, ob sein Gegenüber ihm auch wirklich folgte. Oder kam Nick das nur so vor, weil er ihn bereits so lange kannte?

»Goldene Nase nicht, aber es ist okay. Die Finanzkrise, du weißt schon … inzwischen ist das ja auch schon zehn Jahre her, und in der Branche kann man wieder Geld verdienen. Ich kann unser Haus abbezahlen, und vielleicht bleibt am Ende ein bisschen was übrig.«

Dass er drei Kinder hatte, hatte Ralph Nick vorhin schon beim Pförtnerhäuschen erzählt.

»Und du?« Nick wandte sich zu Ashley. »Was machst du im Süden?«

»Zahnarztassistentin.« Es kam wie aus der Pistole geschossen.

»Deshalb der Kittel«, mischte sich Terry von hinten ein, aber Nick hatte das Gefühl, Ashley würde ein wenig verkrampfen.

»Genau«, sagte sie. »Auf jeden Fall gibt es mit den Immobilienhaien nicht viele Überschneidungen. Wie hat er euch eigentlich kontaktiert?«, wechselte sie abrupt das Thema. »Brandon, meine ich. Auch über Facebook?«

»Mich schon«, war wieder Terry zu vernehmen. »Erst wusste ich nicht einmal, wer … welcher Brandon, aber dann …«

»Ging mir genauso«, sagte Scotty von vorne. »Und kennt jemand den Grund?«, fuhr er fort. »Klar, dreißig Jahre, beziehungsweise … inzwischen sind es ja schon zweiunddreißig, oder? Seit der letzten Halloweenparty hier?«

Zweiunddreißig Jahre.

»Hat jemand von euch mit Brandon darüber gesprochen?« Scottys helles Sommersprossengesicht leuchtete über der vorderen Sitzreihe. »Warum er uns ausgerechnet jetzt eingeladen hat? Ich fand die Idee gut, sich endlich mal wieder zu sehen, aber … wieso jetzt, wieso wir? Oder hat er alle aus dem Jahrgang eingeladen?«

»Nein, nur Sie sechs plus die vier Gäste, die bereits oben sind. Zehn insgesamt.« Curtis wandte den Blick nicht von dem Sandweg ab. Er hatte die Scheinwerfer eingeschaltet. Innerhalb kurzer Zeit war der regnerische Nachmittag dem Dämmerlicht des frühen Abends gewichen.

»Eben … zehn Leute. Aber auf der Party damals, ’86, waren doch viel mehr Gäste.« Scotty sah zu Curtis, aber der konzentrierte sich aufs Fahren. »Zehn Leute, ausgerechnet jetzt«, sprach Scotty weiter. »Er wird schon ein bisschen recherchiert haben müssen, bis er uns alle ausfindig gemacht hat. Wieso, das ist es, was ich mich frage. Weiß einer von euch das? Was genau Brandon … also … vorhat?«

Nick drehte sich zu Ashley, aber die schaute nur ausdruckslos nach vorne. Ralph hatte den Kopf zum Fenster gewendet, und er konnte ihm nicht ins Gesicht sehen. Zu Louise und Terry wollte er sich nicht umdrehen.

»Louise … Terry?«, hörte er Scott fragen. »Ihr lebt doch hier, oder? In New Jericho? Seht ihr Brandon denn öfter?«

Richtig. Das hatte Nick auch gehört. Dass Louise und Terry als Einzige von ihnen immer noch in New Jericho wohnten. Louise hatte, soweit er wusste, eine Ausbildung als Ärztin absolviert und eine eigene kleine Praxis in dem Städtchen eröffnet. Terry arbeitete in New York und pendelte.

»Du wirst es nicht glauben«, kam Louises Stimme von hinten, »wir sehen Brandon so gut wie nie. Erst war er jahrelang nicht hier und dann – wann ist das gewesen? Auch schon wieder fast zwanzig Jahre her, oder? Das stimmt, da ist er in das Haus seines Vaters gezogen. Aber er führt dort ein völlig zurückgezogenes Leben. Ein paarmal bin ich ihm in der Stadt begegnet, und wir haben ein paar Worte gewechselt. In dem Haus aber war ich ’86 zum letzten Mal, genauso wie ihr.«

7

»Bleiben Sie noch kurz sitzen.« Curtis hatte angehalten und die Wagentür aufgestoßen, sich aber noch einmal zu ihnen umgewandt. »Ich werfe nur rasch den Seilzug an.« Er kletterte aus dem Jeep, und sein Umriss verschwand in der Dunkelheit.

Erst jetzt fiel Nick auf, dass sie nicht nur gestoppt hatten, sondern dass Curtis offensichtlich auf eine Art Rampe gefahren war. Eine Rampe, an der rechts und links etwas Schwarzes glitzerte. Scotty stützte sich auf den frei gewordenen Fahrersitz und rief Curtis hinterher: »Hey, wo sind wir?«

Doch von Curtis war nur noch ein Schatten zu erkennen, der sich vor den Fenstern des Wagens auf das Geländer der Rampe zubewegte.

»›Seilzug‹ hat er gesagt, also sind wir wahrscheinlich auf der Fähre«, sagte Ralph. »Der Bergbach … wie hieß er noch … erinnert ihr euch nicht? Den gab es doch auch damals schon!«

»Führte nicht eine Brücke darüber?« Ashley schaute zu Ralph.

Der zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung … aber der Bach war immer großartig. Ganz früher, als Brandon und ich noch klein waren, habe ich ihn mal besucht, im Sommer, und wir haben drin gebadet.«

»Seht mal dort!«, unterbrach ihn Louise. »Rechts oben!«

Nick zog den Kopf zwischen die Schultern, um durch das Seitenfenster hinaufschauen zu können. Tatsächlich. Fast überall um sie herum ragten die bewaldeten Abhänge schwarz in die Höhe. Nur rechts von ihnen, wo sich ein letzter Rest Tageslicht noch gegen das Hereinbrechen der Nacht stemmte, zeichnete sich eine Kante klar und gerade gegen den blauschwarzen Himmel ab.

Das Haus.

»Das ist er! Der Bungalow von Brandons Eltern. Eine Art Betonfestung, die sie da oben bezogen haben. Man kann sie von hier aus schon sehen.« Ralph blickte an Nick vorbei aus dem Fenster.

Curtis’ Kopf tauchte wieder in der vorderen Tür auf, die er offen gelassen hatte. »Okay, ich steuere hier draußen die Fähre. Wenn wir am anderen Ufer angekommen sind, führt die Straße direkt zum Haus, das können Sie dann nicht mehr verfehlen.«

Er verschwand wieder, und kurz darauf ging ein Ruck durch das Fahrzeug. Der schwere Wagen schaukelte ein wenig hin und her. Offensichtlich hatte die Fähre ihre Überfahrt begonnen. Jetzt erinnerte sich auch Nick wieder. Das war damals schon so gewesen – man musste mit dieser Fähre, die an einem Stahlseil gezogen wurde, ein Flüsschen überqueren.

Curtis erschien wieder im Türrahmen. »Okay, wer von Ihnen übernimmt den Wagen?«

»Wie?« Scotty sah Curtis verwirrt an. »Und Sie?«

»Das hat Vera doch vorhin schon erklärt, Scott«, schnaufte Ashley.

Der runde Kopf mit dem muskulösen Nacken streckte sich noch ein Stück tiefer in das Wageninnere hinein. »Ich fahre mit der Fähre allein wieder zurück und laufe die paar Meter zum Pförtnerhäuschen. Dann können Vera und ich heute noch nach Hause. Sie werden sehen, alles, was Sie brauchen, finden Sie oben. Und morgen komme ich mit Vera um diese Zeit wieder zum Haus. Wenn Sie vorher ins Dorf müssen – kein Problem, Brandon kann den Kahn hier auch bedienen.« Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter nach draußen. »Einfach vorne am Kasten den Startknopf drücken – man kann die Fähre auch holen, wenn sie am anderen Ufer liegt.«

Er zog seinen Kopf zurück, ohne eine Antwort abzuwarten.

»Was ist, Nick?« Scotty grinste Nick an. »Fährst du uns das Ungetüm hier rasch vors Haus?«

Nick fühlte einen Ellbogen in der Seite, bevor er etwas sagen konnte. »Alles klar«, brummte Ralph neben ihm, »du fährst, Nick. Ich krieg langsam Hunger.«

»Hier, du kannst gleich zwischen den Sitzen nach vorne klettern.« Scotty lehnte sich auf seinem Beifahrersitz zurück. Na schön – warum nicht. Nick packte die Lehnen der beiden Vordersitze und stemmte sich zwischen ihnen hindurch. Kühl wehte es von der Seite durch die noch offen stehende Wagentür. Jetzt konnte er auch deutlich das Rauschen des Bergbachs hören.

»Gut, Sie fahren?«

Er schaute zur Seite. Curtis war wieder neben ihm aufgetaucht. Im gleichen Moment rumpelte es – ein knirschendes Geräusch war zu hören, es gab einen Ruck, und das Schwanken des Bodens war verschwunden. Die Fähre hatte angelegt.

Nick startete das Fahrzeug. »Immer geradeaus, haben Sie gesagt?« Er ließ das Seitenfenster herunter und zog die Wagentür zu.

Curtis’ Hände erschienen in der Öffnung, aber er beugte sich nicht wieder zu ihnen herein. »Da können Sie nichts falsch machen. Achten Sie nur darauf, nicht zu schnell zu fahren, der Boden ist zum Teil noch etwas aufgeweicht.« Seine Hand griff durch das Fenster ins Armaturenbrett. Das Licht der Scheinwerfer wurde heller, als Curtis den Schalter drehte. »Viel Spaß, wir sehen uns morgen.« Die Hand verschwand.

Nicks Fuß berührte das Gaspedal, und der Motor reagierte. Vorsichtig steuerte er den Wagen über die Rampe von der Fähre herunter. Ein erdiger Pfad glomm in der Dunkelheit vor ihnen auf – und verschwamm. Schwere Tropfen platzten auf die Windschutzscheibe. Nick betätigte den Hebel für die Scheibenwischer, und die insektenartigen Fühler verschmierten das Wasser auf der sandigen Scheibe. Für einen Moment sah er gar nichts und ging wieder vom Gas. Dann wurde die Sicht besser.

»… du jetzt so?«, hörte er Ralph hinter sich fragen. Die anderen hatten ihr Gespräch fortgesetzt.

»Es klingt immer interessanter, als es wirklich ist«, antwortete Terry. »Wall Street, Aktien, Broker, Handel. Aber es ist heute genauso wie damals«, fuhr er fort, »wenn man in den Finanzsektor geht, hat man eigentlich nur ein Ziel: So schnell wie möglich die erste Million und dann für den Rest des Lebens Feierabend zu machen. Nur dass das mit der ersten Million eben so einfach auch wieder nicht ist.«

Die Straße war ein wenig glitschig und stieg langsam an. Doch der Wagen zog gut und meisterte das Gelände problemlos.

»Und was ist das für ein Kostüm?« Scotty hatte sich neben Nick nach hinten gebeugt und nahm an dem Gespräch der anderen teil. »Bei Louise kann ich die Puppe sehen, aber bei dir, Terry …«

»Dämonenpriester?«, gab Terry zurück. »Schwarze Kutte, umgedrehte Kreuze … wie deutlich muss man es denn noch machen?«

»Habt ihr eigentlich Kinder?«, mischte sich Ralph ein.

»Nein, haben wir nicht, Ralph«, war jetzt Louises Stimme zu hören. »Neben der Praxis und meinen Stunden in dem Shelter dreimal die Woche …«

»Was denn für ein Shelter?«

»Eine Art Kindernotdienst in einem von New Havens Problemvierteln«, war Terrys Stimme zu hören, »Louise arbeitet dort als Ärztin. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was da los ist.«

»Dreimal die Woche, ja?« Scott schaute noch immer nach hinten.

»Die Kids leben zum Teil wochenlang auf der Straße«, hörte Nick Louise antworten. »Ich bin froh, wenn sie zu uns kommen. Die Versorgung haben sie dringend nötig.«

»Und du überarbeitest dich dabei«, brummte Terry.

»Ach was.« Sie atmete aus. »Was ich dort zurückbekomme, könnte ich mit keinem Geld der Welt kaufen. Ich bin wirklich froh, dass ich das mache. Die Kinder sind der Wahnsinn …«

»Kinder, Kinder, Kinder«, jaulte Scott neben Nick auf. »Hast du denn welche?«

Nick spürte, wie der Wagen ein wenig wegglitt – und bemerkte erst dann, dass Scott ihn gemeint hatte und dass die anderen schwiegen.

Er schüttelte den Kopf. Er wollte antworten, aber so einfach die Frage auch war, im ersten Moment wusste er nicht genau, wie er es sagen sollte.

»Du sitzt da in Brooklyn und schreibst deine Bücher, richtig?« Das war wieder Terry. Er konnte nur ihn meinen.

Nick gab ein leises Husten von sich. »So ist es.«

»Nick Shapiro, ja? Unter dem Namen. Ich muss gestehen, ich hab bisher nichts von dir gelesen. Aber … wie läuft es denn so?«

»Ist okay.« Und das stimmte. Sein Verlag brachte inzwischen pro Jahr eins seiner Bücher heraus. Das kleine Apartment in Brooklyn hatte er sich von den Einkünften kaufen können. Es war vielleicht kein Luxus, aber er konnte von seinen Romanen leben.

»Ich hab ein paar von Nicks frühen Sachen gelesen und mag sie«, war Scotty neben ihm zu hören. »Mach das auch mal, Terry, es wird dir gefallen.«

Nick sah zum Beifahrersitz. Scotty schaute wieder nach vorne und hatte geantwortet, ohne sich umzudrehen.

»Danke, Kumpel.« Nick grinste. Wenn es nach ihm ging, musste nicht jeder seine Bücher toll finden – aber er hatte auch nichts dagegen, wenn jemand sie mochte.

»Achtung, Nick!« Scotts Arm schnellte vor. »Da vorn geht’s steil um die Kurve.«

Nick kniff die Augen zusammen, sein Fuß hob sich vom Gaspedal. Direkt vor ihnen war statt des Berghangs, an dem sie bisher entlanggefahren waren, das Schwarz eines Abgrunds zu sehen, in dem sich die Regentropfen wie Glühwürmchen durch das Scheinwerferlicht schlängelten. Dann neigte sich das Fahrzeug schräg nach hinten – Nick hatte am Steuerrad gezogen –, und sie glitten über die Serpentine nach oben.

»Ist ja eine krasse Straße.« Scotty beugte sich neben Nick vor, um besser durch die Scheibe spähen zu können.

»Hast du einen falschen Abzweig erwischt?«, war von hinten Terry zu hören. »Wir müssten doch bald mal da sein, oder?«

Nick kurbelte erneut am Steuer – die nächste Serpentine, der Weg führte jetzt steil bergauf.

Hinter ihm war das Gespräch zum Erliegen gekommen. Das Geräusch der elektrischen Scheibenwischer. Das Brummen des Motors. Das Prasseln der Tropfen auf dem Autodach. Er hätte vielleicht doch Curtis fahren lassen sollen, ging es Nick durch den Kopf.

»Hey, da ist es,« sagte Louise. »Dort oben, seht ihr?«

Tatsächlich. Schräg über ihnen, vielleicht noch dreihundert Meter entfernt, waren Lichter durch den Nachtregen zu erkennen. Im gleichen Moment spürte Nick, dass sich das Lenkrad mit gespenstischer Leichtigkeit herumdrehen ließ. Als würden die Räder nicht mehr greifen, sondern in dem aalglatten Schlamm durchdrehen. Das Heck des schweren Wagens brach aus, sein Körper wurde gegen die Seitentür gedrückt. Scottys Stimme gellte neben ihm auf. Dann sah er es direkt vor sich: aschfahl – verschmiert. Zwei schwarze Höhlen – zwei schwarze Arme. Etwas schlug dumpf gegen die Kühlerhaube.

Im nächsten Augenblick war die Silhouette vom Dunkel verschluckt. Er hatte sie gesehen und deshalb das Steuer herumgeworfen. Der Wagen glitt noch immer, das Lenkrad lief frei in seiner Hand. Er konnte es drehen, wie er wollte, das Fahrzeug gehorchte ihm nicht mehr.

»NICK!« Ein Knall – sie standen.

Seltsam schräg.

Er stieß die Wagentür auf. Und war im nächsten Augenblick von dem herabströmenden Regen bis auf die Haut durchnässt.

Direkt vor ihm – das Nichts. Der Abgrund. Weit entfernt, auf der anderen Seite der Schlucht: der Schattenriss des bewaldeten Bergrückens.

Nicks Kopf drehte sich. Die Lichter. Hoch über ihnen an dem Abhang, an dem die Straße entlanglief, erhob sich das Haus.

Er fühlte das kalte Wasser von seinem Haar in den Kragen rinnen. Hörte die Stimmen der anderen aus dem Wagen dringen.

Holte Luft … und suchte die Dunkelheit ab. Niemand zu sehen.

»Was war denn?« Scotty blickte durch die Türöffnung zu ihm hinauf.

»Hast du das nicht gesehen?«

»Was?«

Die Gestalt … den Schatten – direkt vor uns?

Nicks Lippen bewegten sich, aber es war nichts zu hören.

»Alles okay, Nick?« Ralphs Bass. »Oder sollen wir schieben?«

Nicks Blick senkte sich auf den Boden. Der Wagen war an den Abgrund herangerutscht, aber es fehlte noch gut ein Meter. Er war das Fahren auf solchen Pisten einfach nicht mehr gewohnt. Langsam wischte er sich über das Gesicht und legte die Hände auf das Autodach. Sie zitterten ein wenig, aber es ließ bereits nach. Er sah die Schlammpiste hinunter, die sie heraufgekommen waren. Schemenhaft zeichneten sich die entlaubten Bäume ab, die den Weg säumten. Wahrscheinlich war ein Ast gegen den Wagen geknallt.

Oder die Lichter des Hauses haben sich in der Windschutzscheibe gespiegelt.

Er schwang sich zurück in das Fahrzeug, in dem Scotty inzwischen die Beleuchtung eingeschaltet hatte.

Die warm glühenden Gesichter der anderen schauten ihn abwartend an. Halb kostümiert, halb belustigt, halb aufgeregt.

»Alles klar, Nick?«

Er zog die Wagentür zu und gab Gas. »Oh Mann, hoffentlich sind wir bald da!«

8

Fahl, spitz, wuchtig taucht die erste Kante des Bergbungalows aus den umherflirrenden Tropfen auf, herausgeschnitten aus der Dunkelheit von den Scheinwerfern des Wagens. Kurz darauf schieben sich die gewaltigen Scheiben des Betonbaus in ihr Blickfeld, goldgelb durchstrahlt von den Lichtern, die innerhalb des Hauses brennen.

Nick lässt den Wagen ausrollen, während sie durch die Windschutzscheibe einen Schatten erspähen … noch einen … drei Gestalten, die über die Veranda auf sie zukommen.

»Hey!«

»Wo wart ihr denn so lange?«

Nick kann hören, wie Stimmen aus dem Wagen antworten.

Dann hat er das Fahrzeug zum Stehen gebracht. Die hinteren Türen werden aufgestoßen – der Regen peitscht hinein. Scotty neben ihm sagt etwas, aber Nick kann ihn nicht verstehen.

»Nick, Wahnsinn!«, dringt es von links an sein Ohr, jemand hat seine Wagentür aufgerissen.

Überrumpelt starrt er in das vernarbte Gesicht Freddy Kruegers. Eine Fratze, als würden Schlangen unter der Haut kriechen. Der Hut … der rot-blaue Pullover … die Klingenhand.

Johlen … Lachen. Er steigt aus dem Fahrzeug – Kruegers Arm schlingt sich um ihn, zieht ihn in eine Umarmung.

»Erkennst du mich nicht, Mann?«

Er darf seinen Werwolfkopf nicht vergessen …

»Henry, Henry Travis!«

Hinter den Augenschlitzen der Krueger-Maske glüht es. Es sind nicht Schlangen oder Würmer … es sind Wunden, vereiterte, offene Fleischwunden, die sich durch dieses Gesicht ziehen und niemals heilen.

Nick dreht sich von Henry weg, ohne es wirklich zu wollen, aber er erträgt diese Maske nicht.

Warum hat Henry sie denn schon aufgesetzt!

Sein Blick geht durch die tropfenverschleierte Nacht zu den anderen Gestalten, die auf sie zugekommen sind.

Kimberly, das muss Kimberly sein.

Wuchtig, zu dick, mit einer abstoßenden Clownsmaske. Ihr Hals scheint von schwärenden Fettwülsten umlagert zu sein.

Und das dort?

Scotty wird von einer schlanken Gestalt in einem hautengen Latexkostüm überragt, unter dem sich jede Kurve abzeichnet. Gummiglänzende Flügelchen, die Hosen straff an den Schenkeln, die Schultern entblößt. Und auf dem Kopf zierliche Hörnchen – oder Fledermausohren?

Vampira.

»Donna!« Nick ruft ihren Namen, bevor er begreift, dass er sie erkannt hat.

Sie wendet sich zu ihm um. Strahlt. Kommt auf ihn zu, bringt eine Wolke guten, herben Parfüms mit. Sie ist kaum kleiner als er, und als er sie in die Arme schließt, hat er den Eindruck, jeden Muskel ihres durchtrainierten Körpers fühlen zu können.

»Kommt rein, bevor wir hier völlig aufgeweicht werden.« Donna hat sich an alle gewendet. »Janet ist auch schon da.«

»Was ist mit Brandon?« Nick lacht.

»Er muss jeden Moment bei uns sein.«

»Ist er noch nicht da?« Er fühlt, wie seine Augenbrauen sich heben.

»Wir sind auch noch nicht so lange hier«, sagt Donna und hakt sich bei ihm unter. »Curtis hat uns hochgefahren, er meinte, Brandon müsste schon im Haus sein, aber gesehen habe ich ihn noch nicht.«

»Was ist mit dem Gepäck?«, hört Nick Ashley fragen. »Sollen wir es gleich mitnehmen?«

Bevor Curtis mit ihnen losgefahren ist, haben sie ihre Taschen hinten in den Wagen geworfen.

»Das können wir auch nachher holen, ich brauch erstmal was zu trinken.« Ralph hat die Veranda schon betreten und bewegt sich auf die gläserne Eingangstür zu.

»Ich auch.« Scotty erklimmt die kleine Treppe hinter ihm.

Die ganzen Koffer und Taschen alleine zu tragen, kommt für Nick nicht infrage. Er sieht zu Donna, und für einen Moment schauen sie einander in die Augen.

»Nickiboy«, hört er sie murmeln, »du hast dich überhaupt nicht verändert.«

»Du auch nicht.« Und das stimmt. Natürlich hat sie sich verändert, aber nicht wirklich. Donna war immer stolz, und genau das ist es, woran er jetzt denken muss, als er sie ansieht.

Blau – grau – dunkelgrün.

Hinter Donna hat Nick die mächtige Halle betreten, die sich jenseits der Glastür öffnet. Die Kanten und Stahlträger stehen in spitzen Winkeln zueinander, in einer Ecke ragt ihm etwas entgegen, das aussieht wie eine gewaltige Bleiskulptur. Eine raffinierte indirekte Beleuchtung entfaltet ein Spiel aus Helligkeit und Schatten. Links unterhalb der Galerie, die die gesamte Längsseite des großen Raums einnimmt, sieht er Louise auf eine Mumiezugehen.

»Es ist Janet – du erinnerst dich an Janet?«

Nick blickt zur Seite. Der Zombie-Schoolboy neben ihm hat das gesagt.

»Janet«, die Brillenschlange, muss Nick unwillkürlich denken. »Weißt du, wo sie jetzt lebt?«

»In Boston?«

In Boston, ja, das kann sein – und es passt.

»Sie arbeitet dort irgendwo im Wissenschaftsbetrieb, soweit ich weiß«, hört er Scotty munter plaudern, »an der Uni, am MIT oder vielleicht auch bei einer dieser Hightech-Firmen. Ich hatte mal über Mail Kontakt mit ihr.«

Nicks Blick schwebt durch den Raum und bleibt an einem großen handgemalten Plakat hängen, das an der Wand neben den Fenstern angebracht ist.

»NEW JERICHO SENIORS HALLOWEEN« steht darauf, und eine Jahreszahl.

1986.

Es ist das alte Plakat.

Oder Brandon hat ein neues angefertigt, das aussieht wie das alte.

Fast wie in einem zerschrammelten Amateurfilm sieht Nick es vor sich. Sie alle, in ihren Achtziger-Jahre-Halloween-Kostümen, die frisch gewaschenen Haare, die jungen Gesichter. Er hatte ziemlich viel getrunken an dem Abend und damals nicht viel vertragen, aber das war schon in Ordnung. Die Schule lag hinter ihnen – das Leben vor ihnen. Was für ein Tag! Scotty war dabei gewesen, Donna, Janet …

»Wo ist er?« Er sieht zu Scotty, der noch immer neben ihm steht.

»Brandon?«

»Ja.«

Scottys Zombiegesicht verrät Ratlosigkeit. »Ich weiß es nicht, aber er wird bestimmt gleich kommen.« Er beugt sich ein wenig näher zu Nick. »Ich hab das ja schon im Auto gesagt: Mir ist nicht ganz klar, wieso … wieso eigentlich genau, ja? Wieso hat er uns eingeladen?! Ich hab schon gedacht …« Scottys Blick richtet sich auf Nicks Augen, und er lässt den Rest des Satzes in der Luft hängen.

»Was hast du gedacht?« Nick schaut hinunter auf seine Hände. Er hat die Werwolfhandschuhe übergezogen und sieht auf zwei haarige Pfoten.

»Dass es womöglich heute Abend noch eine Überraschung gibt?«

Nick überlegt. Sagt nichts.

»Weißt du, was ich meine?«

»Vielleicht hat er jemanden kennengelernt und will uns seine … was weiß ich … Braut vorstellen? Als Alien könnte sie kostümiert sein, einen Alien sehe ich noch nicht unter uns.«

Scotty befühlt die künstliche Bisswunde in seinem Gesicht. »Ja, klar, sowas, oder … ich meine, wie alt sind wir jetzt? Fünfzig, mehr oder weniger. Mit fünfzig ist man eigentlich nicht mehr so recht im Alter fürs Heiraten – eher fürs … also Sterben, nicht wahr?«

Seine Worte treffen Nick unerwartet. Er lässt sich nichts anmerken, aber natürlich stimmt es.

»Brandon!«

Nick reißt den Kopf hoch. Brandon? Es ist Henry gewesen, der das gerufen hat – Freddy-Krueger-Henry, der nur wenige Schritte neben Nick in der düsteren Halle steht. Henrys ausgestreckter Arm zeigt auf die Galerie, die sich an der Längswand des Raums entlangzieht. Darunter ist durch ein Panoramafenster gerade noch die langsam im Dunkeln versinkende Bergwelt zu erkennen.

Und dann sieht auch Nick ihn. Direkt oben auf der Galerie, am Geländer, schmal wie Slenderman, mit schwingenden schlaksigen Armen und nicht enden wollenden Beinen. Er ist in einen Kapuzenumhang gehüllt, in dessen düsterer Kopfhöhle etwas leuchtet. Weiß. Kalkig. Die Zähne gebleckt.

Weil keine Lippen sie mehr bedecken.

Ein Totenschädel. Die Nase ein gähnendes Loch, die Augen zwei blanke Höhlen, in deren Tiefe jedoch etwas lauert.

Die Gestalt, die vorhin auf dem Weg im Licht der Scheinwerfer aufgetaucht ist – der Totenmann? Es war Brandon!

»Es ist Brandon«, hört Nick jetzt auch Janet rufen. »Hey, Mann«, gellt ihre Stimme durch den Saal, »was ist, kommst du runter?«

Bewegungslos steht die Figur hoch über ihnen auf der Galerie.

Richtig – der Leuchter! Das hat er doch damals genauso gemacht!

Plötzlich ergießt sich fast schmerzhaft laute Musik aus zahllosen Boxen in die Halle. Auch damals hatte Brandon diese Musik gespielt, oben auf der Galerie gestanden und …

Nick sieht, wie Brandon an einem Strick zieht, der mit dem mächtigen Stahl-und-Chrom-Kronleuchter im Zentrum der Halle verbunden ist. Der Leuchter schwingt zur Galerie. Im nächsten Augenblick steht die Gestalt bereits auf dem Geländer. Streckt die Knochenhand aus …

Es sind Handschuhe – er trägt schwarze Handschuhe, auf denen Knochen aufgemalt sind!

… und greift nach dem Leuchter. Umfasst den schweren Stahlträger. Stößt sich ab.

UND FLIEGT

über ihre Köpfe hinweg.

Während sich die Musik zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen und Schmettern aufschwingt. Und mit einem Knistern vermischt, das Nick erst nicht zuordnen kann.

Doch dann verlischt das Licht in der Halle, und die orangefarbenen Zungen von lebendigen Flammen sind zu sehen, die oben an der Gestalt lecken.

Es sind Showflammen, MÜSSEN ES SEIN, eine Art Tischfeuerwerk, ein Effekt!

Ein lebendiges Züngeln, das die Gestalt auf dem Leuchter umrahmt, während sie über ihre Köpfe hinwegsaust und eine Bahn zieht, die bestimmt zwölf, wenn nicht fünfzehn Meter weit reicht.

Es ist wie eine Sichel, eine Sense, die über sie hinwegzischt. Nick kann nicht anders, als sich dem Rausch der Flammen, der Musik und der Pendelbewegung hinzugeben. Wie es faucht, wenn die Flamme über ihn hinwegstreicht. Er spürt die Hitze auf seinem Gesicht, wenn der Feuerball ihm ganz nah kommt … und wie die Wärme abnimmt, wenn sich das Pendel zum anderen Ende der Halle bewegt.

Aber …

Sein Blick springt zu der Kapuze. In die Schwärze der Öffnung, in die Schächte der Augenhöhlen.

Es hat geknackt – geKRACKT. Weißes Pulver rieselt herab.

Putz?

Ist das ein Quadrat, das sich inmitten der Decke abzeichnet – rings um die Kette, an der der tonnenschwere Kronleuchter aufgehängt ist?

Es ist, als stünde Brandons ganzer Körper plötzlich unter Hochspannung.

»Was?«, kommt es aus Nicks Kehle, ohne dass er sich dessen bewusst ist.

»Zur Seite«, dröhnt jetzt Ralphs Stimme durch den Saal und übertönt die sich immer weiter auftürmende Musik. »Er kommt runter, der Leuchter!«

Im gleichen Moment sieht Nick, dass die Stahlträger, Klingen und Scheiben, aus denen der Leuchter – halb Mobile, halb Stahlkunstwerk – zusammengeschweißt ist, sich in einem fauchenden Rauschen nach unten bewegen. Eine Bewegung, so zügig und rasant, dass Nick sie nur anstarren kann, ohne sich zu rühren – eine Abwärtsbewegung direkt auf die Vertiefung in der Mitte der Halle zu, in der die Sofas um einen breiten Glastisch herumstehen. Eine Bewegung, die in dem schrillen Zersplittern der Glasplatte gipfelt, als der tonnenschwere Leuchter daraufprallt und sie zerschlägt. Meterweit fliegen die Scherben umher.

Ein Krach, als würde ein Zug entgleisen.

Stille.

Und Dunkelheit. Die Flammen sind verloschen – die Musik ist verstummt.

Wie damals – er hat auch damals den Leuchter geritten, aber er ist damit nicht in die Tiefe gestürzt, schießt es Nick durch den Kopf.

Dann sieht er, wie sich die schwarze Gestalt aus den Scherben des Glastischs erhebt.

Natürlich! Das war nur ein Teil des Effekts – wie die Flammen!

Unter der Kapuze verbirgt keine Totenmaske mehr die Gesichtszüge. Es ist tatsächlich Brandon.

Wie alt er geworden ist.

»Was sagt ihr zu meinem Lampenfahrstuhl?«, hört Nick ihn rufen. »Willkommen!«

Er hat sich nicht verletzt?!

Nick stürzt auf die Gestalt zu, die zwischen den Scherben steht, hört im gleichen Moment aber einen Schrei: »ACHTUNG!«

Sieht, wie Brandon den Kopf nach oben reißt. Und fühlt es mehr in der Bauchhöhle, als dass er es sieht: Der Kasten muss das Gewicht eines Tresors haben. Er bricht durch die Decke und stürzt herab. Nicht mehr so verlangsamt, wie der Leuchter es gerade eben getan hat – sondern so schnell und abrupt, dass Nick nur einen Schatten wahrnimmt.

Ein Schatten, der Brandon im nächsten Augenblick am Kopf trifft, ihn unter sich begräbt und mit unerbittlicher Gewalt auf die Träger und Klingen des zerschmetterten Leuchters presst.

Einen Wimpernschlag lang hat Nick die Hände vor die Augen geschlagen. Als er sie wieder herunterreißt, ist die Kette, die gerade noch bis zur Decke gereicht hat, heruntergerasselt.

In der Halle ist es jetzt fast vollkommen dunkel. Wie betäubt schaut Nick auf die Umrisse der anderen, die sich wie in Zeitlupe bewegen. Sie sind vor der Panoramascheibe gerade noch zu erkennen, während dahinter die Bergwelt in der Schwärze des verlöschenden Tages versinkt.

9

War das da vorn Henry, die Gestalt, die als erste bei Brandon ankam? Nick sah, wie sich jemand zu den Scherben des Glastischs herunterbeugte, auf dem erst Brandon und dann der Kasten gelandet waren.

»Vorsicht! Nicht – nicht anfassen!« Louises Stimme – gefasst, entschieden, klar.

Der Henry-Schatten richtete sich wieder auf – dann gingen die Scheinwerfer an, die unterhalb der Galerie angebracht waren. Jemand musste den Lichtschalter gefunden haben. Nicks Hand fuhr vor seine Augen, um nicht geblendet zu werden, aber die Lampen wurden bereits wieder heruntergedimmt.

Er sah Louise unten bei Henry zwischen den Sofas stehen. Sich herunterbeugen. Ihre Voodoopuppenzöpfe standen in die Höhe. Freddy-Krueger-Henry drehte sich zu den anderen um.

Es – kann – nicht sein.

Nick konnte nicht klar denken. Aber er spürte es, irgendwo tief in sich, dass etwas entsetzlich schiefgegangen war. Dass etwas zwischen ihnen eingeschlagen hatte, und mit diesem fürchterlichen Hieb alles verändert war.

Die Spitzen von Brandons schwerem Schuhwerk standen nach oben. Überall lagen die Scherben des Glastischs. Der Teppich unter dem Tisch war in den gleichen gedeckten Farben gehalten wie der ganze Raum, aber Nick hatte den Eindruck, Flecken darauf zu erkennen, die noch dunkler waren. Brandons Kopf war von Louises Rücken verdeckt, die jetzt bei ihm hockte. Der Kasten war nach dem Aufprall zur Seite gesprungen und lag gleich neben ihnen. Henry kauerte dicht bei Louise. Sollten sie versuchen, den Kasten anzuheben?

Dieser Kasten … was hatte Brandon gerufen? »Lampenfahrstuhl«? War es eine Art Leuchtenlift? So etwas gab es doch. Ein Lift, mit dem man einen Kronleuchter in der Höhe verstellen konnte. Deshalb war Brandon so langsam hinuntergefahren. Er wollte es! Danach hatte er sich erhoben und sie begrüßt. Aber DANN war etwas schiefgegangen. Als der Kasten durch die Decke gebrochen war und ihn erschlagen hatte. Oder?