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Der eine verbittet sich das Anfassen seines Toastbrots, ein anderer wählt vor dem Kühlregal den Käse mit Hilfe eines Pendels aus. Der Nächste möchte Waren umtauschen, die sich schon seit Jahren nicht mehr im Sortiment befinden. Und zu all diesen Kunden muss die Kassiererin immer schön freundlich sein, obwohl sie sie in den Wahnsinn treiben. Zeit für Alice Diestel, sich Luft zu machen: eine ebenso böse wie witzige Abrechnung mit dem merkwürdigen Verhalten von Otto Normalverbraucher beim Einkauf.
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Seitenzahl: 206
Alice Diestel
Die Pfanne brät nicht!
Eine Kassiererin rechnet ab
Rowohlt E-Book
Für all die Kunden, die mir ans Herz legten:
«Schreib doch mal ein Buch!»
Hier ist es – jetzt kauft es auch!
Und für meinen Mann und meine Kinder,
die nach der Arbeit all die Geschichten
als Erste zu hören bekommen.
Und oft ein nervliches Wrack
statt einer ausgeglichenen Ehefrau und Mutter
an ihrer Seite haben.
Danke für eure Geduld!
Montagmorgen. Kurz vor 8:00 Uhr. An unzähligen Orten im ganzen Land:
Die Spannung ist kaum noch zu ertragen. Gleich ist es so weit. Noch ein kurzer, heimlicher Blick auf den Einkaufszettel in der vor Aufregung feucht-klebrigen Hand. Das Hirn arbeitet auf Hochtouren, um die strategisch günstigste Route festzulegen. Gleich einer bis zum letzten Schritt ausgefeilten Choreographie von Detlef D! Soost tanzt man in Gedanken zum Erfolg.
Ein abschätzender Blick wandert zu den anderen Wartenden. Ob es sich wohl um ernst zu nehmende Konkurrenten handelt? Muss man sich Sorgen machen? Ist der Nachbar körperlich überlegen oder eher mit einem flüchtigen Seitenkick fußlahm zu machen oder gar aus dem Feld zu knocken?
Zwischen einigen entwickeln sich sogar etwas wie zwischenmenschliche Beziehungen – soll heißen: heuchlerische Gespräche, in denen man mit Nachdruck betont, nur «rein zufällig» hier zu sein!
Natürlich!
Niemand würde freiwillig zugeben, sich mit voller Absicht diesem Wahnsinn auszuliefern, der zweimal die Woche hier stattfindet. Vielleicht, weil er sich dann eingestehen müsste, dass er selbst ein klein wenig vom Irrsinn befallen ist?
Aber nein! Der böse Gedanke wird sofort beiseitegeschoben, denn plötzlich kommt Unruhe auf. Die Türen der Traumfabrik öffnen sich wie von Geisterhand, und das Drama nimmt erbarmungslos seinen Lauf.
Es gibt kein Zurück mehr, denn man ist umzingelt von rollenden Einkaufswagen und drängenden, schwitzenden Leibern. Für kurze Zeit ist man nicht mehr Herr der Lage – bis man sich auf die Macht seiner kantigen Gliedmaßen besinnt und diese dann auch rücksichtslos zum Einsatz bringt. Ellbogen stoßen nach rechts und links. Füße treten gezielt aus. Schmerzensschreie werden ignoriert. Und dann – dann endlich ist der Weg frei! Der Weg ins Paradies. Der Himmel auf Erden für Schnäppchenjäger.
Und genau hier beginnt meine Geschichte. Ich bin eines dieser bemitleidenswerten Geschöpfe, dem die Geisterhand gehört, die allmorgendlich den magischen Knopf drückt. Der Knopf, der die Türen zum Paradies öffnet – dem der Kunden wohlgemerkt – und damit all den kleinen und großen Absurditäten Einlass gewährt, mit der eine Kassiererin im Supermarkt konfrontiert wird. Ob bei Lidl oder Penny, Aldi oder Netto – in jedem Discounter werden die Verkäuferinnen wohl von ähnlichen Erfahrungen und Begegnungen berichten können, wie ich im … nun ja, das Kind muss einen Namen haben. Fritz oder Franz? Jupp oder besser Karl? Nun, nennen wir es doch einfach und treffend: THEO!
(Dass Theo sich aus dem Griechischen für «Gott» ableitet, ist reiner Zufall!)
Obwohl es so ganz ohne den einen oder anderen Seitenhieb auf die Philosophie der Discounter natürlich nicht geht, handelt dieses Buch nicht von den in den Medien immer wieder kritisierten Arbeitsbedingungen. Es ist vielmehr eine Art Gesellschaftsstudie – mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ganz im Sinne von: «Weiß die Menschheit, wie bescheuert sie ist?»
Es enthüllt die nackte Wahrheit über das merkwürdige Verhalten des deutschen Otto Normalverbrauchers beim Einkauf. Dunkle Abgründe werden sich auftun, und manch ein Leser wird sich fragen: «Gibt es solche Leute wirklich, oder bin ich am Ende gar selber so einer?» Der eine oder andere wird sich den Schneewittchen-Spiegel vorhalten und erkennen müssen – das bin ja ich!
Dazu möchte ich anmerken, dass die Personen und Handlungen keineswegs frei erfunden sind und jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen voll beabsichtigt ist.
Sollten Sie, lieber Leser, zu den Menschen gehören, die sich selbst als absoluter Monarch in der Beziehung zwischen Dienstleister und Kunden sehen, für die Kassiererinnen nur Menschen zweiter Klasse sind – lesen Sie dieses Buch besser nicht! Kloppen Sie es in die Tonne oder verbrennen Sie es! Die ungeschminkten Tatsachen könnten Sie zu einem weiteren wutschnaubenden, cholerischen Kunden mutieren lassen. – Wenn Sie das nicht sowieso schon sind.
Mein Bericht kann auch als verzweifelter Hilfeschrei all derer verstanden werden, die Tag für Tag das seltsame Verhalten der Kunden am eigenen Leib zu spüren bekommen. Als Angestellte in Supermärkten oder anderen Konsumgüter-Umschlagplätzen. Vielleicht bewirken meine Zeilen sogar etwas. Das wäre zu wünschen – alle Kassiererinnen der Welt würden es danken!
Um es jedoch vorwegzunehmen: Etwa 80 Prozent der Kunden sind höchst zufrieden und kommen gerne zu uns. Nur die restlichen 20 Prozent verhalten sich – nun ja, sagen wir mal – etwas disharmonisch. Aber jeder Jeck ist anders! Und das ist auch gut so, denn wären die Menschen nicht so verschieden, so verrückt oder so schwierig, wie sie sind, hätte nicht jeder von uns seinen eigenen kleinen, verschrobenen Tick, dann wäre die große Welt ganz schön öde und traurig. Und unsere kleine THEO-Welt ebenfalls. Wir hätten nichts zu erzählen, und dieses Buch wäre niemals zustande gekommen.
Denn die Menschen sind es, die die Würze in unseren Arbeitsalltag bringen, auch wenn diese manchmal bitter ist.
Ding, dong … «Liebe Kunden, wir öffnen Kasse 2 für Sie!»
Ja, der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Selbst in unserem ehemals nur auf das Lebensnotwendigste beschränkten und eher spartanisch eingerichteten THEO.
Automaten-Schantall blökt erbarmungslos unzählige Male am Tag ihren Spruch durch den Laden. Die Zeiten, in denen die Kassiererin den persönlichen Kontakt pflegen konnte und dem Kunden zum wiederholten Mal genervt mit derber Stimme «Ich schließe – ich hab zuhuuuu!» entgegengeworfen hat, gehören endgültig der Vergangenheit an. Ist es denn so viel kundenfreundlicher, wenn diese betörende 0190-Stimme säuselt: «Liebe Kunden, Kasse 1 schließt. Bitte nicht mehr auflegen!»?
Ja. Irgendwie schon. Denn der Wartende nimmt es nicht ganz so übel, dass er seine Warteschlange verlassen muss, wo er sich doch gerade so schön eingelebt hatte. Er hatte auch schon wieder nette Kontakte geknüpft, im Sinne von: «Mensch, können Sie nicht aufpassen? Sie sind mir in die Hacken gefahren!» Er ist nicht böse, dass er sich nun in einer anderen Schlange einreihen muss, weil er allen Ernstes denkt, die an der Kasse kann ja nix dafür. Die war das ja nicht. Neiiiin! – Das war die schöne Schantall, wo auch immer sie sich versteckt hält! Sie ist der Chef, der Big Brother, und bestimmt, wann welche Kassiererin an den Regalen gebraucht wird, wann sie auf die Toilette muss oder einen Schub Nikotin braucht. Ja, so ist das!
Das ist nur ein Beispiel dafür, wie heutzutage dieses arme, bemitleidenswerte Geschöpf – ich meine den Kunden –, das ja so unter Stress steht beim Einkaufen, immer wieder mit Samthandschuhen angefasst wird, um ihm bloß nicht weh zu tun.
Nun, die Zeiten haben sich eben geändert. Nicht nur bei uns, sondern allgemein in der Gesellschaft. Der Mensch ist nicht mehr das, was er mal war. Er ist nur noch ein rohes Ei, entbunden von allen Verantwortlichkeiten seines Tuns – und wird auch so behandelt. Dieses Verhalten scheint typisch deutsch zu sein, denn auch Kurt Tucholsky (1890–1935) sagte: «Wenn der Deutsche hinfällt, dann steht er nicht auf, sondern schaut, wer schadenersatzpflichtig ist.»
Immer ist er auf der Suche nach jemandem, dem er die eigenen Patzer in die Schuhe schieben kann. Nach einem, den man anklagen und zum Sündenbock machen kann. Dem man die Verantwortung übertragen kann. Damit er sich bloß nicht an die eigene Nase fassen muss. Und vom Rest der Welt, insbesondere im Dienstleistungssektor, wird er darin auch noch kräftig unterstützt. Das fängt schon bei kleinen alltäglichen Situationen an, bis hin zu Ereignissen, die sogar Schlagzeilen gemacht haben. Man fragt sich nur, wo diese Entwicklung noch hinführen soll.
Ein paar Beispiele: Explodiert der regennasse Pinscher in der Mikrowelle, ist natürlich der Hersteller schuld und wird verklagt. Das hätte ja auch schließlich in der Gebrauchsanleitung stehen müssen! Inzwischen gibt es in jeder Bedienungsanleitung den Warnhinweis, keine Lebewesen im Gerät zu grillen.
Erkrankt man an Lungenkrebs, weil man sich eine nach der anderen anzündet, wird einfach die Zigarettenindustrie zur Verantwortung gezogen. Mittlerweile springen einen die Gefahren des Rauchens auf jeder Packung erbarmungslos an.
Fährt man ohne gültigen Fahrschein mit der Bahn, wird man des Gefährts verwiesen. Logisch eigentlich! Aber was tun, wenn man dann nachts irgendwo im Nirgendwo steht? – Die Bahn wird verklagt!
Oft wird der gesunde Menschenverstand angezweifelt, sodass «Mensch» sich im Grunde höchst verarscht fühlen müsste, wie beim Hinweis auf der Toilettenpapier-Verpackung: «Plastikbeutel von Babys und Kindern fernhalten! Erstickungsgefahr!»
Geht es noch ein bisschen dümmer? Sind wirklich die Hersteller verantwortlich für das schreckliche Unglück oder vielleicht doch eher diejenigen, die ihre Aufsichtspflicht verletzt haben?
Der Hersteller muss sich in seiner Verzweiflung nach allen Seiten absichern, weil der Verbraucher in seinen Forderungen immer penetranter wird. Der stolziert durch den Laden, als würde er ihm gehören. Fehlt nur noch das T-Shirt mit dem Aufdruck: «Ich Chef, du nix». Er hat alle Rechte, die anderen nur die Pflichten. Wenn mal ein Artikel ausverkauft ist, würde ich dummes Huhn mir sagen: Pech gehabt, wärst du halt früher aufgestanden! Nicht so unsere Moralapostel oder oft auch frischgebackenen Jurastudenten, die an uns den soeben gelernten Stoff austesten, uns die Paragraphen um die Ohren klatschen und uns großspurig über unsere Pflichten aufklären.
Früher hatte der Mensch noch die Chance, sich über seine eigene Dummheit zu ärgern – ein tolles Gefühl! Doch heute ist die «Selber-Schuld-Hirnzelle» in den Windungen der Gehirnlappen wohl verlorengegangen. Nichts zieht mehr Konsequenzen nach sich. Höchstens die, dass man selbstbewusst in den Laden spaziert und auf Biegen und Brechen sein Recht einfordert.
Also wenn Ihnen draußen auf dem Parkplatz die Eier runterfallen – nur keine Scheu! Kommen Sie ruhig rein! Dann gibt es neue!
Ja, leider, leider – die alten Zeiten sind endgültig vorbei.
Als nicht der Kunde, sondern die Dame an der Kasse der König war. Früher gab es Szenen wie diese:
Eine Kollegin, die in die Mittagspause geht, will nur eben ihre Brötchen bezahlen. Der Kunde, an dem sie sich vorbeidrängelt, beklagt sich: «Ich dachte, der Kunde ist König!», woraufhin meine Kollegin ganz trocken antwortet: «Aber nicht bei uns!»
Natürlich sollten ihre Worte auch damals nicht ungestraft bleiben!
Eine andere Kollegin schiebt eine große Pappkiste auf Rollen durch den Laden und behindert damit einen Kunden, der ebenfalls meint:
«Also bitte, der Kunde ist schließlich König!»
Sie daraufhin: «Das mag sein, aber ich bin die Kaiserin!»
Vorbei die Zeiten, in denen man das ganze Zeug in den Wagen geworfen hat, mit einem Arm und viel Schwung, und doch meist alles unversehrt geblieben ist. Nix «Wir lieben Lebensmittel»! Heute verbitten sich die Kunden das Anfassen ihres Toastbrotes oder das Platzieren der Tüte tiefgekühlter Pommes auf den Spaghetti. Die Lebensmittel werden teilweise so akkurat und zentimetergenau in den Einkaufswagen sortiert, dass man das fertige Werk am liebsten für die Nachwelt in einem Foto festhalten möchte. Da stellt man sich die Frage, ob wohl der gesamte Wagen ins traute Heim mitgenommen und dekorativ im Wohnzimmer platziert wird, weil er so wunderschön aussieht und ausgezeichnet zur neuen Tapete passt?
Beim Einräumen der gescannten Waren in den Einkaufswagen:
Sie: «Nein, Heinz-Egon! Rechts die Sachen für in den Keller, links die für den Kühlschrank und in die Mitte für den Küchenschrank links. Unten die fürs Bad und in die Kiste die für den Küchenschrank rechts!»
Vorbei die Zeiten, in denen man den Stinkern unter unseren Gästen noch vorwurfsvoll ein Stück Seife in die Hand drückte oder mit angehaltenem Atem den Kassenraum mit Deo einsprühte.
Vorbei die Zeiten, in denen man einen Blick in prall gefüllte Rucksäcke und Einkaufstaschen werfen durfte, um sicherzustellen, dass sich kein Diebesgut darin befindet – heutzutage könnte sich der arme Kunde ja gekränkt fühlen oder gar ein lebenslanges schweres Trauma davontragen.
Vorbei die Zeiten, in denen wir an der Kasse noch das Sagen und den Grips hatten. Wo jeder Kunde schon in banger Erwartung zitternd zum Ende des Bandes hechtete, um nicht von der dort ungeduldig wartenden, ruppigen Kassiererin zur Eile angetrieben zu werden. Diese unheimliche Gestalt, die gemäß ihrem Ruf multitaskingmäßig vier Kunden gleichzeitig abwickelte: die unzufriedene Mutter mit der Reklamation, den jungen Mann, der keinen Chip für den Wagen hat, den Suchenden, der das Salz nicht findet, und den geistig Behinderten, der pausenlos auf sie einredet. Und die während des ganzen Durcheinanders noch so zackig und souverän in ihre Tasten hämmerte, dass man nur noch hektisch die Eier vor dem Zusammenstoß mit der Konservendose zu schützen versuchte. Mit diesem Alien konnte doch irgendetwas so ganz und gar nicht stimmen, hatte sie schließlich noch dazu die etwa 700 Preise des gesamten Sortiments auf den Pfennig genau im Kopf.
Ein Kunde steht mit offenem Mund staunend vor mir und glotzt mich an:
«Wie machen Sie das?»
Ich sehe ihn verständnislos an: «Was?»
«Na, wo haben Sie das? Im Kopf?»
Jahaaaaa, damals waren wir noch schlau! Da mussten wir unsere grauen Zellen noch anstrengen. Aber dann wurde die Piep-Show eröffnet. Der Scanner hielt Einzug, und – … piep … piep … piep … – abrupt war die Bewunderung für uns dahin. Die Genies wurden kurzerhand vom Podest geschubst und von heute auf morgen zu Dummchen erklärt. Heute müssen wir während unserer Pause Kreuzworträtsel lösen oder Gehirnjogging mit Dr. Kawashima betreiben, um im Köpfchen helle zu bleiben.
Natürlich ist auch das Niveau der Kassiererinnen im THEO durch die Scannerkassen gesunken. Heute werden so manche Mädels eingestellt, die früher den Sprung in die sagenumwobene Elitetruppe nie geschafft hätten.
Ich bin damit beschäftigt, leere Kartons einzusammeln. Ein kleiner Junge hilft mir ganz stolz dabei. Sein Vater, der schnell weiterwill, bemerkt dann, ohne sich dabei etwas zu denken:
«Ja, wenn du mal schlecht in der Schule bist, kannst du ja bei THEO arbeiten. Aber jetzt komm!»
Oder:
«Sie sind doch geistig nicht auf der Höhe!»
Diese überaus nette und noch dazu völlig ernst gemeinte Aussage gilt mir. Und kommt von einem Herrn, der es nicht auf die Reihe kriegt, seinen Einkauf zu bezahlen, sondern umständlich mit seinen zahlreichen Münzen herumjongliert. Und mir Beträge anbietet, die mit dem, was er zu zahlen hat, nicht das Geringste zu tun haben.
Und überhaupt! Da gab es doch vor einiger Zeit den «Großen deutschen IQ-Test» im Fernsehen. Nach PISA sind solche Sendungen ja der große Renner, um uns selber beweisen zu können, dass wir Deutschen gar nicht so dämlich sind, wie alle glauben.
Nun, die Aussagekraft dieser Tests und die Verlässlichkeit ihrer Ergebnisse seien einmal dahingestellt. ABER – ich will ja nicht prahlen, NEIN: Laut Auswertung hatte ich den zweithöchsten IQ im Saal und zählte damit zu den «deutlich überdurchschnittlich Intelligenten». Ein Punkt vor «hochbegabt»! Wow – da schwillt mir doch glatt die Brust vor Stolz. Ich wusste gar nicht, dass aus diesem grauen THEO-Blüschen solch ein schlauer Kopf hinausschaut. Und trotzdem arbeite ich gerne hier in diesem Saftladen! Bloß – die Kunden haben leider Gottes nicht die leiseste Ahnung, dass sie vor einem weiblichen Einstein stehen. Ist das nicht glatt Perlen vor die Säue werfen? Soll ich das dem Blödmann jetzt auf die Nase binden? «Geistig nicht auf der Höhe!» PAAH!
Aber mal ernsthaft. In solchen Momenten zweifle ich wirklich an dem, was ich hier tue. Ob ich das nötig habe, mir solche abwertenden Sprüche anzuhören und überhaupt diesen allgemein nicht besonders anerkannten Job auszuüben? An den THEO-Kassen sitzen zwar nicht ausschließlich Genies, aber wir sind doch gut durchmischt. Bevor wir – meist nach der Kinderpause – an THEOs Kasse gelandet oder, besser gesagt, gestrandet sind, waren wir Krankenschwestern und Chefsekretärinnen, Friseurinnen und Sachbearbeiterinnen, Fleischereifachverkäuferinnen, Hotelfachfrauen und Fremdsprachenkorrespondentinnen. Wozu haben einige von uns ihr Abitur gemacht? Wozu kann die eine oder andere gar ein abgeschlossenes Studium vorweisen? Wozu haben manche von uns große Teile der Welt gesehen, Länder bereist, von denen andere nicht mal wissen, wo sie liegen? Um uns so etwas gefallen zu lassen?
Aber … wir sind schließlich freiwillig hier. Niemand zwingt uns. Es steht uns völlig frei, zu gehen oder zu bleiben.
«Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut!», kommt der bewundernde Kommentar einer Kundin, die meinen Auftritt bei einer Theateraufführung gesehen hatte.
Ich entgegne: «Ja, stellen Sie sich vor, bevor ich zu THEO kam, habe ich sogar eine Schule besucht.»
Inzwischen haben wir uns also mit unserem selbstgewählten Schicksal versöhnt und mit dem unterirdischen Stellenwert unseres Jobs in der Gesellschaft abgefunden. Zynischer ausgedrückt: Wir sind käuflich geworden. Denn die Entlohnung für die körperlichen Strapazen ist im Großen und Ganzen angemessen, und somit ist auch unsere Einstellung zur Arbeit gefestigt.
Aber das war nicht immer so.
Bei Klassentreffen zitterte man schon den ganzen Abend, denn die Frage kam früher oder später so sicher wie das Amen in der Kirche. Noch dazu von einer Karrierefrau, die ihr Studium auf der linken Arschbacke absolviert hat und schnell zum Prof. Dr. Dr. mutierte:
«Und? Was machst DU so?»
«Ich bin bei THEO.»
«… Ach …!» – Betretenes Schweigen.
Damit drückte Frau Professor aus, dass sie hin- und hergerissen zwischen Mitleid und Verachtung, zumindest aber aufs Peinlichste berührt war.
Um die Lage zu entspannen, hakte sie nach:
«Ach so, ja. – Und was machst du da so? Bist du im Büro oder in der Geschäftsleitung?»
HMPFH!
Doch ich schweife ab. Zurück zu den melancholischen Erinnerungen an vergangene Zeiten. Als wir Verkäuferinnen noch Menschen und keine Maschinen waren. Menschen mit Ecken und Kanten, aber einem eigenen Willen und einem gesunden Selbstwertgefühl. Wo noch nicht die Freundlichkeit oberstes Gebot war, koste es, was es wolle. Der Kunde darf sich heute einfach alles erlauben – er ist heilig. Und beim kleinsten Widerstand gibt es einen bösen Brief.
Unbekannter alter Sack zur Kassiererin: «Du bist aber fett geworden.»
Früher hätte sie zu Recht geantwortet: «Besser fett als hässlich. Ich kann abnehmen, aber was machst du?»
Obwohl der Typ es ja nicht anders verdient hätte – da werden Sie mir zustimmen –, hätte sie das heutzutage sicher ihren Job gekostet. Also lächelt sie jetzt nur freundlich und wünscht dem Deppen auch noch einen schönen Tag.
In einem Internetforum las ich einmal eine Beschwerde eines Kunden, der sich offensichtlich von Kassiererinnen im Allgemeinen stark belästigt fühlte, allein durch den Umstand, dass sie anwesend sind. Vehement forderte er die Ersetzung all dieser Drachen durch Kassenautomaten. Prima Idee! Die Arbeitslosenquote würde ein Rekordhoch erreichen! Er nahm unter anderem Anstoß am «Grüß Gott» der Dame an der Kasse, das ihm stets zu rüde erschien, und sprach sich für ein Redeverbot für Kassiererinnen aus. Noch dazu verlangte er tatsächlich, dass sie während der ganzen Zeit – insbesondere auch beim Einscannen der Lebensmittel – lächeln sollten. Als genügte es nicht, solche Ätz-Kunden anzugrienen, sollen wir auch noch deren Käse anlächeln.
Um unser korrektes Verhalten gegenüber dem Kunden zu kontrollieren, gibt es bei THEO sogenannte Testkäufer, die inkognito – also als normale Kunden getarnt – unterwegs sind. Sie überprüfen, ob wir auch lammfromm und lächelnd alle Boshaftigkeiten über uns ergehen lassen. Ursprünglich ging es nur darum, zu checken, ob wir alle Artikel richtig eintippen. Das ist ja nun, seit wir Scannerkassen haben, nicht mehr so schwierig. Also musste man sich weitere Aufgabenfelder für diese Leute einfallen lassen. Nun wird auf Teufel komm raus getestet. Die Testkäufer führen einen Vordruck mit sich. Auf dieser Liste müssen sie unter anderem abhaken, ob die Verkäuferin auch brav die von der Firma vorgeschriebenen Worte zum Alltag spricht, die da wären: «Guten Tag!», «Betrag», «Bitte!», «Danke!», «Zahlen Sie bar oder mit Karte?» (und wehe, das fehlt!), «Wie war Ihr Einkauf?», «Auf Wiedersehen!», «Schönen Tag noch!», «Blablabla».
Rechnen wir das Spielchen doch mal bis zum Ende durch: Das arme Schaf an der Hauptkasse kassiert täglich etwa 700 Kunden. Acht «Pflichtworte» für jeden einzelnen ergeben 5600 bedeutungsschwangere Worte. Dazu kommen selbstverständlich noch weitere, die notwendigerweise gesprochen werden müssen. Zum einen, weil es den Arbeitsablauf wesentlich erleichtert: «Kommen Sie bitte nach vorne?», «Würden Sie bitte die Taschen anheben?», «Die Flaschen können Sie im Wagen lassen!», «Die Ölflaschen bitte aufs Band legen!» und so weiter. Und zum anderen, damit der Kunde nicht denkt, wir wären dämlich und unser Vokabular belaufe sich auf bloße acht Wörtchen. Hinzu kommen natürlich noch Gespräche oder auch Nettigkeiten vom Kunden, auf die wir natürlich eingehen, weil es der Anstand verlangt, oder weil es einfach nur angenehm ist und das Arbeiten auflockert.
Geht der zehnstündige Arbeitstag dem Ende zu, sitzt die Kassiererin oft nur noch apathisch lallend in der Kasse, und ihre Lippen hängen in Fetzen. Wenn jetzt ein Testkäufer kommt – na, dann gute Nacht. Gesamteindruck: verpennt; Freundlichkeit: nicht vorhanden; 6! Setzen! Anschiss!
Es gab Zeiten, da konnte ich selber entscheiden, wem ich einen schönen Tag wünsche, und das war dann auch ernst gemeint. Und wieder denke ich wehmütig zurück. An unseren Baumarkt am Ort beispielsweise. Ich erinnere mich noch genau: Man konnte kommen, wann man wollte – immer qualmte an der Kasse im Aschenbecher eine Kippe vor sich hin. Stets hatte man das Gefühl, man würde die Kassiererin stören, denn begrüßt wurde man – wenn überhaupt – nur mit einem mürrischen Knurren. Eine Verabschiedung gab es schon gar nicht. Da hatte die Dame an der Kasse längst wieder ihre Fluppe im Mundwinkel. Und wenn man ihr einen schönen Tag gewünscht hätte, wäre wahrscheinlich der Vorwurf gekommen: «Wollen Sie mich verarschen?» In mir reift ein unbestimmtes Gefühl, ein nostalgisches Sehnen zurück nach dieser herrlichen Zeit. Immer wusste man, wie die gute Frau an der Kasse drauf war, auch wenn es keinen wirklich interessierte. Es war ihr aber auch herzlich egal, ob es jemanden interessierte. Diese Ehrlichkeit damals hat niemandem weh getan. Alle sind trotzdem ihrer Wege gegangen, ohne psychische Macken davonzutragen. Heute sitzen dort nur noch hirnlose Marionetten, Roboter, programmiert mit den Standardfloskeln. Freundlich, aber verlogen.
Aber unser Kunde! Der ist hocherfreut, dass die Kassiererin so nett ist, ihm gar einen schönen Tag wünscht, bis er sie anschaut und bemerkt, dass sie ihn wohl gar nicht meinen kann, denn sie schaut ins Leere, während sie monoton ihr Programm abspult.
Macht das die Leute also wirklich glücklich? Sollte man nicht besser gleich für die gesamte Kommunikation die schöne Schantall aus ihrer Kiste holen?
Bevor jetzt zu viel Mitleid aufkommt und ich Sie zu Tränen rühre, möchte ich sagen: Richtig so! Ja, wir wurden quasi entmündigt, sollen uns alles gefallen lassen, dürfen nicht sagen, was wir manches Mal gerne sagen möchten, und schlucken es runter. Nur damit der Kunde glücklich ist, mit welch fiesen Charakterzügen er auch immer geprägt sein mag! Dafür tun wir einfach alles, geben uns als leere Hülle ohne Hirn und ohne Arsch in der Hose aus. – Oder etwa doch nicht?
Nun, vereinzelt gibt es sie noch, die Rebellen unter uns, die keine Lust auf Magengeschwüre oder ein falsches Lächeln haben. Damit meine ich nicht die unfreundlichen und ewig schlecht gelaunten Kassiererinnen, die ihre Unzufriedenheit an den Kunden auslassen – die gibt es ja leider auch zur Genüge –, sondern die Aufmüpfigen unter uns, die sich nicht so ohne weiteres in das neue System drängen lassen. Das System der perfekten «Kundenorientierung und Serviceoptimierung». Fast täglich werden wir aus der Chefetage mit immer neuen hanebüchenen Verordnungen und willkürlichen, oft infantilen Regeln bombardiert, die wir nur matt belächeln können, die es uns aber wahrlich nicht einfach machen, unsere Arbeit weiter zu lieben. Zumal die Einhaltung dieser zweifelhaften Vorgaben scharf kontrolliert und geahndet wird.
Ich spreche also von den Kollegen, die dafür kämpfen, dass unsere Lust und Freude an der Arbeit nicht in Schutt und Asche gelegt wird. Die Unerschrockenen, die gezielt dann, wenn es angebracht ist, kleine Seitenhiebe austeilen, oder die für ihre Kolleginnen in die Bresche springen und einstehen, ohne die Folgen zu fürchten. Die sich darum immer wieder Beschwerden einhandeln, sich aber dafür treu geblieben sind und wissen, was sie wert sind.
An THEOs Kassen ist es hektisch.
An THEOs Kassen geht alles zu Bruch.
An THEOs Kassen wird man gehetzt.
An THEOs Kassen ist es ungemütlich.
An THEOs Kasse.
Ein Kundenpaar, sichtlich erbost.
Sie zu ihrem Mann – aber im Grunde meint sie natürlich mich: «Wir sind hier nicht auf der Flucht, Karl-Heinz! Wir wollen nur einkaufen!»
Genau! Nicht ihr seid auf der Flucht. Sondern wir!