Rudolf Steiner
Die Philosophie der Freiheit
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Inhaltsverzeichnis
Die Ziele alles Wissens.
Das bewußte menschliche Handeln.
Der Grundtrieb zur Wissenschaft.
Das Denken im Dienste der Weltauffassung.
Die Welt als Wahrnehmung.
Das Erkennen der Welt.
Die menschliche Individualität.
Giebt es Grenzen des Erkennens?
Die Wirklichkeit der Freiheit.
Die Faktoren des Lebens.
Die Idee der Freiheit.
Freiheitsphilosophie und Monismus.
Weltzweck und Lebenszweck.
Die moralische Phantasie.
Der Wert des Lebens.
Individualität und Gattung.
Die letzten Fragen.
Die Konsequenzen des Monismus.
Die Ziele alles Wissens.
Ich
glaube einen Grundzug unseres Zeitalters richtig zu treffen, wenn ich
sage: der Kultus des menschlichen Individuums strebt gegenwärtig
dahin, Mittelpunkt aller Lebensinteressen zu werden. Mit Energie wird
die Überwindung jeder wie immer gearteten Autorität erstrebt. Was
gelten soll, muß seinen Ursprung in den Wurzeln der Individualität
haben. Abgewiesen wird alles, was die volle Entfaltung der Kräfte
des Einzelnen hemmt. „Ein jeglicher muß seinen Helden wählen, dem
er die Wege zum Olymp hinauf sich nacharbeitet,“ gilt nicht mehr
für uns. Wir lassen uns keine Ideale aufdrängen; wir sind
überzeugt, daß in jedem von uns etwas lebt, das edel ist und wert,
zur Entwicklung zu kommen, wenn wir nur tief genug, bis in den Grund
unseres Wesens, hinabzusteigen vermögen. Wir glauben nicht mehr
daran, daß es einen Normalmenschen giebt, zu dem
alle
hinstreben sollen. Unsere Anschauung von der Vollkommenheit des
Ganzen ist die, daß es auf der besonderen Vollkommenheit jedes
einzelnen Individuums beruht. Nicht das, was jeder andere
auch
kann, wollen wir hervorbringen, sondern, was nach der
Eigentümlichkeit unseres Wesens nur uns möglich ist, soll als unser
Scherflein der Weltentwicklung einverleibt werden. Niemals wollten
die Künstler weniger wissen von Normen und Regeln der Kunst als
heute. Jeder behauptet ein Recht zu haben,
das
künstlerisch zu gestalten, was
ihm
eigen ist. Es giebt Dramatiker, die lieber im Dialekt schreiben, als
in einer von der Grammatik geforderten Normalsprache.Keinen
besseren Ausdruck kann ich finden für diese Erscheinungen als den:
sie gehen hervor aus dem bis aufs Höchste gesteigerten
Freiheitsdrang des Individuums. Wir wollen nach keiner Richtung
abhängig sein; und wo Abhängigkeit sein
muß,
da ertragen wir sie nur, wenn sie mit einem Lebensinteresse unseres
Individuums zusammenfällt.Ein
solches Zeitalter kann auch die
Wahrheit
nur aus der Tiefe des menschlichen Wesens schöpfen wollen. Von
Schillers bekannten zwei Wegen:
„Wahrheit
suchen wir beide, du außen im Leben, ich innenIn
dem Herzen, und so findet sie jeder gewiß.Ist
das Auge gesund, so begegnet es außen dem Schöpfer;Ist
es das Herz, dann gewiß spiegelt es innen die Welt“wird
der Gegenwart vorzüglich der zweite frommen. Eine Wahrheit, die uns
von außen kommt, trägt immer den Stempel der Unsicherheit an sich.
Nur was einem jeden von uns in seinem eigenen Innern als Wahrheit
erscheint, daran mögen wir glauben.Nur
die Wahrheit kann uns Sicherheit bringen im Entwickeln unserer
individuellen Kräfte. Wer von Zweifeln gequält ist, dessen Kräfte
sind gelähmt. In einer Welt, die ihm rätselhaft ist, kann er kein
Ziel seines Schaffens finden.Wir
wollen nicht mehr
glauben;
wir wollen
wissen.
Der Glaube fordert Anerkennung von Wahrheiten, die wir nicht ganz
durchschauen. Was wir aber nicht durchschauen, widerstrebt dem
Individuellen, das alles mit seinem tiefsten Innern durchleben will.
Nur das
Wissen
befriedigt uns, das keiner äußeren Norm sich unterwirft, sondern
aus dem Innenleben der Persönlichkeit entspringt.Wir
wollen auch kein solches Wissen, das in eingefrornen Schulregeln sich
ein- für allemal ausgestaltet hat, und in, für alle Zeiten gültigen
Kompendien aufbewahrt ist. Wir halten uns jeder berechtigt, von
seinen nächsten Erfahrungen, seinen unmittelbaren Erlebnissen
auszugehen, und von da aus zur Erkenntnis des ganzen Universums
aufzusteigen. Wir erstreben ein sicheres Wissen, aber jeder auf seine
eigene Art.Unsere
wissenschaftlichen Lehren sollen auch nicht mehr eine solche Gestalt
annehmen, als wenn ihre Anerkennung Sache eines unbedingten Zwanges
wäre. Keiner von uns möchte einer wissenschaftlichen Schrift einen
Titel geben, wie einst
Fichte:
„Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum über das
eigentliche Wesen der neuesten Philosophie.
Ein Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen.“
Heute soll niemand zum Verstehen
gezwungen
werden. Wen nicht ein besonderes, individuelles Bedürfnis zu einer
Anschauung treibt, von dem fordern wir keine Anerkennung. Auch dem
noch unreifen Menschen, dem Kinde, wollen wir gegenwärtig keine
Erkenntnisse eintrichtern, sondern wir suchen seine Fähigkeiten zu
entwickeln, damit es nicht mehr zum Verstehen
gezwungen
zu werden braucht, sondern verstehen
will.Ich
gebe mich keiner Illusion hin in Bezug auf diese Charakteristik
meines Zeitalters. Ich weiß, wie viel individualitätloses
Schablonentum lebt und sich breit macht. Aber ich weiß ebenso gut,
daß viele meiner Zeitgenossen im Sinne der angedeuteten Richtung ihr
Leben einzurichten suchen. Ihnen möchte ich diese Schrift widmen.
Sie soll nicht „den einzig möglichen“ Weg zur Wahrheit führen,
aber sie soll von demjenigen
erzählen,
den einer eingeschlagen hat, dem es um Wahrheit zu thun ist.Die
Schrift führt zuerst in abstraktere Gebiete, wo der Gedanke scharfe
Contouren ziehen muß, um zu sichern Punkten zu kommen. Aber der
Leser wird aus den dürren Begriffen heraus auch in das konkrete
Leben geführt. Ich bin eben durchaus der Ansicht, daß man auch in
das Ätherreich der Abstraktion sich erheben muß, wenn man das
Dasein nach allen Richtungen durchleben will. Wer nur mit den Sinnen
zu genießen versteht, der kennt die Leckerbissen des Lebens nicht.
Die orientalischen Gelehrten lassen die Lernenden erst Jahre eines
entsagenden und asketischen Lebens verbringen, bevor sie ihnen
mitteilen, was sie selbst wissen. Das Abendland fordert zur
Wissenschaft keine frommen Übungen und keine Askese mehr, aber es
verlangt dafür den guten Willen, kurze Zeit sich den unmittelbaren
Eindrücken des Lebens zu entziehen, und in das Gebiet der reinen
Gedankenwelt sich zu begeben.Der
Gebiete des Lebens sind viele. Für jedes einzelne entwickeln sich
besondere Wissenschaften. Das Leben selbst aber ist eine Einheit, und
je mehr die Wissenschaften bestrebt sind, sich in die einzelnen
Gebiete zu vertiefen, desto mehr entfernen sie sich von der
Anschauung des lebendigen Weltganzen. Es muß ein Wissen geben, das
in den einzelnen Wissenschaften die Elemente sucht, um den Menschen
zum vollen Leben wieder zurückzuführen. Der wissenschaftliche
Spezialforscher will sich durch seine Erkenntnisse ein Bewußtsein
von der Welt und ihren Wirkungen erwerben; in dieser Schrift ist das
Ziel ein philosophisches: die Wissenschaft soll selbst
organisch-lebendig werden. Die Einzelwissenschaften sind Vorstufen
der hier angestrebten Wissenschaft. Ein ähnliches Verhältnis
herrscht in den Künsten. Der Komponist arbeitet auf Grund der
Kompositionslehre. Die letztere ist eine Summe von Kenntnissen, deren
Besitz eine notwendige Vorbedingung des Komponierens ist. Im
Komponieren dienen die Gesetze der Kompositionslehre dem Leben, der
realen Wirklichkeit. Genau in demselben Sinne ist die Philosophie
eine
Kunst.
Alle wirklichen Philosophen waren
Begriffskünstler.
Für sie wurden die menschlichen Ideen zum Kunstmateriale und die
wissenschaftliche Methode zur künstlerischen Technik. Das abstrakte
Denken gewinnt dadurch konkretes, individuelles Leben. Die Ideen
werden Lebensmächte. Wir haben dann nicht bloß ein Wissen von den
Dingen, sondern wir haben das Wissen zum realen, sich selbst
beherrschenden Organismus gemacht; unser wirkliches, thätiges
Bewußtsein hat sich über ein bloß passives Aufnehmen von
Wahrheiten gestellt.Wie
sich die Philosophie als Kunst zur
Freiheit
des Menschen verhält, was die letztere ist, und ob wir ihrer
teilhaftig sind oder es werden können: das ist die Hauptfrage meiner
Schrift. Alle anderen wissenschaftlichen Ausführungen stehen hier
nur, weil sie zuletzt Aufklärung geben über jene, meiner Meinung
nach, den Menschen am nächsten liegenden Fragen. Eine „Philosophie
der Freiheit“
soll in diesen Blättern gegeben werden.Alle
Wissenschaft wäre nur Befriedigung müßiger Neugierde, wenn sie
nicht auf die Erhöhung des
Daseinswertes der menschlichen Persönlichkeit
hinstrebte. Den wahren Wert erhalten die Wissenschaften erst durch
eine Darstellung der menschlichen Bedeutung ihrer Resultate. Nicht
die Veredlung eines einzelnen Seelenvermögens kann Endzweck des
Individuums sein, sondern die Entwicklung aller in uns schlummernden
Fähigkeiten. Das Wissen hat nur dadurch Wert, daß es einen Beitrag
liefert zur
allseitigen
Entfaltung der
ganzen
Menschennatur.Diese
Schrift faßt deshalb die Beziehung zwischen Wissenschaft und Leben
nicht so auf, daß der Mensch sich der Idee zu beugen hat und seine
Kräfte ihrem Dienst weihen soll, sondern in dem Sinne, daß er sich
der Ideenwelt bemächtigt, um sie zu seinen
menschlichen
Zielen, die über die bloß wissenschaftlichen hinausgehen, zu
gebrauchen.Man
muß sich der Idee als Herr gegenüberstellen,
sonst
gerät man unter ihre Knechtschaft.
Das bewußte menschliche Handeln.
Ist
der Mensch in seinem Denken und Handeln
frei,
oder steht er unter dem Zwange einer ehernen Notwendigkeit? Auf
wenige Fragen ist soviel Scharfsinn gewendet worden, als auf diese.
Die Idee der Freiheit hat warme Anhänger wie hartnäckige Gegner in
reicher Zahl gefunden. Es giebt Menschen, die in ihrem sittlichen
Pathos jeden für einen beschränkten Geist erklären, der eine so
offenkundige
Thatsache
wie die Freiheit zu leugnen vermag. Ihnen stehen andere gegenüber,
die darin den Gipfel der Unwissenschaftlichkeit erblicken, wenn
jemand die Gesetzmäßigkeit der Natur auf dem Gebiete des
menschlichen Handelns und Denkens unterbrochen glaubt. Ein und
dasselbe Ding wird hier gleich oft für das kostbarste Gut der
Menschheit wie für die ärgste Illusion erklärt. Unendliche
Spitzfindigkeit wurde aufgewendet, um zu erklären, wie sich die
menschliche Freiheit mit dem Wirken in der Natur, der doch auch der
Mensch angehört, verträgt. Nicht geringer ist die Mühe, mit der
von anderer Seite begreiflich zu machen gesucht wurde, wie eine
solche Wahnidee hat entstehen können. Daß man es hier mit einer der
wichtigsten Fragen des Lebens, der Religion, der Praxis und der
Wissenschaft zu thun hat, das fühlt jeder, bei dem nicht das
Gegenteil von Gründlichkeit der hervorstechendste Zug seines
Charakters ist. Und es gehört zu den traurigen Zeichen der
Oberflächlichkeit gegenwärtigen Denkens, daß ein Buch, das aus den
Ergebnissen neuerer Naturforschung einen „neuen Glauben“ prägen
will (Dav. Fried. Strauss: „Der alte und neue Glaube“), über
diese Frage nichts enthält als die Worte: „Auf die Frage nach der
Freiheit des menschlichen Willens haben wir uns hierbei nicht
einzulassen. Die vermeintlich indifferente Wahlfreiheit ist von jeder
Philosophie, die des Namens wert war, immer als ein leeres Phantom
erkannt worden; die sittliche Wertbestimmung der menschlichen
Handlungen und Gesinnungen aber bleibt von jener Frage unberührt.“
Nicht weil ich glaube, daß das Buch, in dem sie steht, eine
besondere Bedeutung hat, führe ich diese Stelle hier an, sondern
weil sie mir die Meinung auszusprechen scheint, bis zu der sich in
der fraglichen Angelegenheit die Mehrzahl unserer denkenden
Zeitgenossen aufzuschwingen vermag. Daß die Freiheit darin nicht
bestehen könne, von zwei möglichen Handlungen ganz nach Belieben
die eine oder die andere zu wählen, scheint heute jeder zu wissen,
der darauf Anspruch macht, den wissenschaftlichen Kinderschuhen
entwachsen zu sein. Es ist immer, so behauptet man, ein ganz
bestimmter
„
„
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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