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Die Pickwickier. Band Eins E-Book

Charles Dickens.

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Beschreibung

Samuel Pickwick, Esquire, ist ein freundlicher und wohlhabender alter Herr, der den Pickwick Club gegründet hat und dessen Präsident er ist. Er schlägt vor, dass er und drei andere “Pickwickier”, Mr Nathaniel Winkle, Mr Augustus Snodgrass, und Mr Tracy Tupman, Reisen an Orte unternehmen, die weit von London entfernt sind, und den anderen Mitgliedern des Clubs über ihre Erkenntnisse berichten. Ihre Reisen mit der Kutsche durch die englische Landschaft und ihre Erlebnisse während dieser Tour sind das Hauptthema des Romans. Die Pickwickier – Ein Sportler, der keinen Sport betreibt; ein Dichter, der nicht schreibt; ein Liebhaber, der niemanden liebt; alle drei sind ihrem fröhlichen und wohlwollenden Anführer, Mr. Pickwick, treu ergeben. Begleiten Sie ihn und seine Freunde Winkle, Snodgrass und Tupman auf ihrer Reise durch das Land auf der Suche nach Abenteuern, Wissen und Geschichten. Auf ihrem Weg passieren ihnen einige Missgeschicke, und sie treffen auf viele interessante Charaktere, sowohl auf gute als auch auf weniger gute… Ihre Abenteuer werfen Schlaglichter auf die Heuchelei und den Geiz im Leben der einfachen Leute, die von den zweifelhaften Handlungen von Anwälten, Politikern und lokalen Würdenträgern bedrängt werden. Ein Leben, in dem die Ehe nicht immer mit Liebe einhergeht, in dem die Opfer und nicht die Schuldigen eingesperrt werden und in dem die Armen mit kaum verhohlener Verachtung behandelt werden. Auch die Pickwickier selbst geraten zuweilen in unangenehme Situationen. So zum Beispiel führt ein romantisches Missverständnis mit Mr Pickwicks Vermieterin, der Witwe Mrs. Bardell, zu einem der berühmtesten Rechtsfälle der englischen Literatur, Bardell gegen Pickwick… Dies ist der erste von insgesamt drei Bänden.

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CHARLES DICKENS

DIE PICKWICKIER

 

 

 

ROMAN

in drei Bänden

 

 

 

 

 

 

Band Eins

DIE PICKWICKIER wurde zuerst im englischen Original (The Pickwick Papers) in 20 Episoden veröffentlicht von Chapman & Hall, London 1836-37.

Diese Ausgabe in drei Bänden wurde aufbereitet und herausgegeben von

© apebook Verlag, Essen (Germany)

www.apebook.de

1. Auflage 2022

 

V 1.0

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

Band Eins

ISBN 978-3-96130-510-0

 

Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de

 

 

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Charles Dickens

Die Pickwickier

 

BAND EINS | BAND ZWEI | BAND DREI

 

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Inhaltsverzeichnis

Die Pickwickier. Band Eins

Impressum

Band Eins

Kapitel 1

Die Pickwickier.

Kapitel 2

Die Reise des ersten Tages und die Abenteuer des ersten Abends nebst ihren Folgen.

Kapitel 3

Eine neue Bekanntschaft. Die Erzählung des wandernden Schauspielers. Eine unangenehme Störung und ein unerfreuliches Zusammentreffen.

Kapitel 4

Die Erzählung des wandernden Schauspielers.

Kapitel 5

Ein Tag im Freien. Neue Freunde. Eine Einladung aufs Land.

Kapitel 6

Ein kurzes Kapitel, in dem unter anderem berichtet wird, wie Mr. Pickwick sich verleiten ließ, zu kutschieren, und Mr. Winkle, zu reiten, und wie sie beide damit zurechtkamen.

Kapitel 7

Eine altmodische Spielpartie. – Die Erzählung von der Rückkehr des Sträflings.

Kapitel 8

Wie Mr. Winkle, anstatt auf Mr.Tupman zu zielen und die Krähe zu töten, auf die Krähe schoß und Mr. Tupman traf; wie der Kricketklub von Dingley Dell gegen Muggleton spielte und wie Muggleton auf Kosten von Dingley Dell speiste, nebst andern anziehenden und lehrreichen Vorfällen.

Kapitel 9

Das den Satz: »Die Liebe ist keine Eisenbahn« in ein helles Licht rückt.

Kapitel 10

Entdeckung und Verfolgung.

Kapitel 11

Beseitigt auch den letzten Zweifel an Mr. Jingles Uneigennützigkeit.

Kapitel 12

Abermalige Reise und eine archäologische Entdeckung. Mr. Pickwicks Entschluß, einer Parlamentswahl beizuwohnen, und das Manuskript des alten Geistlichen.

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Zu guter Letzt

BAND EINS

 

KAPITEL 1

Die Pickwickier.

Der erste Lichtstrahl, der das Dunkel erleuchtet und blendende Helligkeit an Stelle jener Finsternis verbreitet, in welche die frühe Geschichte der öffentlichen Laufbahn des unsterblichen Pickwick bisher eingehüllt schien, ging von der sorgsamen Durchsicht folgender Eintragungen in den Sitzungsberichten des Pickwick-Klubs aus, die der Herausgeber dieser Papiere seinen Lesern mit lebhaftem Vergnügen als Beweis für die gründliche Aufmerksamkeit, den unermüdlichen Fleiß und das feine Unterscheidungsvermögen vorlegt, womit die Nachforschungen in der Fülle verschiedenartiger Dokumente, die ihm anvertraut waren, seinerseits durchgeführt worden sind.

12. Mai 1817. Präsidium: Joseph Smiggers, Hochwohlgeb. SVL.–PKM. Folgende Resolutionen wurden einstimmig angenommen:

I. »Daß die Sitzungsteilnehmer mit dem Gefühl ungetrübter Befriedigung sowie uneingeschränkter Zustimmung die Verlesung des von Samuel Pickwick, Hochwohlgeb. HV. PKM., beigebrachten Schriftstücks anhörten, welches den Titel trug: Spekulationen über die Quelle der Tümpel von Hampstead nebst einigen Bemerkungen zur Theorie der Stichlinge’, und daß die Sitzungsteilnehmer hiermit dem besagten Samuel Pickwick, Hochwohlgeb. HV. PKM., ihren wärmsten Dank dafür aussprechen.«

II. »Daß die Sitzungsteilnehmer voll und ganz die Vorteile würdigen, welche der Wissenschaft gleichermaßen aus dem eben erwähnten Opus wie überhaupt aus den unermüdlichen Forschungen Samuel Pickwicks, Hochwohlgeb. HV. PKM., in Hornsey, Highgate, Brixton und Camberwell erwachsen müssen, und daher nicht umhin können, sich den unschätzbaren Gewinn lebhaft zu vergegenwärtigen, der sich aus einer Ausdehnung der Spekulationen dieses Gelehrten auf ein breiteres Feld, aus einer Erweiterung seiner Reisen und damit einer Vergrößerung seines Beobachtungsraumes zwangsläufig für den Fortschritt der Wissenschaft und die Verbreitung von Gelehrsamkeit ergeben würde.«

III. »Daß die Sitzungsteilnehmer in der eben erwähnten Absicht einen Vorschlag ernstlich in Erwägung gezogen haben, der von besagtem Samuel Pickwick, Hochwohlgeb. HV. PKM., und drei anderen, nachstehend aufgeführten Pickwickiern ausging, nämlich, eine neue Unterabteilung der Vereinigten Pickwickier unter der Bezeichnung ,Korrespondierende Gesellschaft des Pickwick-Klubs’ zu gründen.«

IV. »Daß der genannte Vorschlag die Unterstützung und Billigung der Sitzungsteilnehmer gefunden hat.«

V. »Daß daher die Korrespondierende Gesellschaft des Pickwick-Klubs hiermit konstituiert ist und daß Samuel Pickwick, Hochwohlgeb. HV. PKM., Tracy Tupman, Hochwohlgeb. PKM., Augustus Snodgraß, Hochwohlgeb. PKM., und Nathanael«Winkle, Hochwohlgeb. PKM., hiermit nach erfolgter Nominierung zu Mitgliedern derselben ernannt sowie ferner ersucht worden sind, von Fall zu Fall authentische Berichte über ihre Reisen und Untersuchungen, über ihre Beobachtungen der Sitten und Gebräuche wie auch über alle ihre Erlebnisse unter Beifügung sämtlicher Details und Belege, zu denen jeweils die örtliche Szenerie oder irgendwelche Ideenverbindungen Anlaß geben sollten, an den in London residierenden Pickwick-Klub einzusenden.«

VI. »Daß die Sitzungsteilnehmer aufrichtig den Grundsatz der Selbstfinanzierung der Korrespondierenden Gesellschaft hinsichtlich eigener Reisekosten anerkennen und nicht das geringste dagegen einzuwenden haben, daß die Mitglieder der genannten Sektion unter dieser Bedingung ihre Forschungsreisen beliebig lange ausdehnen.«

VII. »Daß den Mitgliedern der obenerwähnten Korrespondierenden Gesellschaft hiermit eröffnet wird und ist, daß ihr Vorschlag, die Postwertzeichen für ihre Briefe sowie die Portogebühren für ihre Pakete selbst zu bezahlen, von den Sitzungsteilnehmern reiflich erwogen wordenist und daß die Sitzungsteilnehmer zu dem Ergebnis kamen, dieser Vorschlag sei der großen Geister, die ihn aufbrachten, durchaus würdig, und daß sie sich hierdurch vorbehaltlos mit ihm einverstanden erklären.«

Ein nachlässiger Beobachter – so fügt der Schriftführer, dessen Aufzeichnungen wir den folgenden Bericht verdanken, hinzu –, ein nachlässiger Beobachter also hätte vielleicht nichts Außergewöhnliches an der Glatze gefunden, auch nicht an den kreisrunden Brillengläsern, die während der Verlesung obiger Resolutionen unverwandt auf sein (des Schriftführers) Gesicht gerichtet waren. Für solche aber, die da wußten, daß Pickwicks gigantisches Hirn hinter dieser Stirn arbeitete und daß die strahlenden Augen Pickwicks hinter jenen Gläsern funkelten, war der Anblick wahrhaft fesselnd.

Da saß der Mann, der die gewaltigen Tümpel von Hampstead bis zu ihren Quellen erforscht und die wissenschaftliche Welt mit seiner Theorie der Stichlinge aufgewühlt hatte, da saß er so ruhig und unbewegt wie die tiefen Wasser der erstgenannten an einem eiskalten Tag oder wie ein einsames Exemplar der letzteren tief im Bauch eines irdenen Kruges. Und um wieviel reizvoller wurde das Schauspiel noch, als seine Anhänger einstimmig in den Ruf«Pickwick« ausbrachen, worauf Leben und Munterkeit in ihn fuhren und dieser erlauchte Mann gelassen den Lehnstuhl bestieg, auf dem er so lange gesessen hatte, und sich an den Klub wandte, der von ihm selbst gegründet worden war. Welch eine Studie für einen Künstler bot diese erregende Szene dar! Pickwick in seiner Beredsamkeit, die eine Hand mit Grazie hinter seinem Rockschoß verbergend, die andere in der Luft schwenkend, um seinen begeisternden Vortrag noch lebendiger zu gestalten! Seine exponierte Stellung enthüllte Röhrenhosen und Gamaschen, die wohl unbeachtet geblieben wären, wenn sie einen gewöhnlichen Menschen geziert hätten, die nun aber, da Pickwick seinerseits sie zierte (wenn wir uns des Ausdrucks bedienen dürfen), spontane Ehrfurcht und Hochachtung einflößten. Rings um ihn die Männer, die sich freiwillig entschlossen hatten, die Gefahren seiner Reisen zu teilen, und daher auserwählt waren, auch den Ruhm seiner Entdeckungen mit ihm zu genießen. Zu seiner Rechten saß Mr. Tracy Tupman; der allzu empfängliche Tupman, der stets die Weisheit und Erfahrung reiferer Jahre mit der Begeisterung und Glut des Jünglings verband, wenn es sich um die reizvollste und verzeihlichste aller menschlichen Schwächen handelte – um die Liebe. Die Jahre und das Wohlleben hatten seiner einst romantischen Gestalt einen größeren Umfang verliehen; die schwarzseidene Weste hatte sich immer mehr hervorgedrängt, Zoll für Zoll war die goldene Uhrkette dem Gesichtskreis Tupmans entrückt worden, nach und nach war das volle Kinn über die Grenzen der weißen Krawatte hinausgequollen, aber Tupmans Inneres hatte keine Veränderung erlitten: Bewunderung des schönen Geschlechts war immer noch seine Hauptleidenschaft.

Zur Linken seines großen Meisters saß der poetische Snodgraß und neben ihm Mr. Winkle, der Freund der Wälder und Jagden. Ersterer poetisch in einen Mantel gehüllt, dessen geheimnisvolles Blau von einem Kragen aus Kaninchenfell gekrönt wurde, während letzterer in einem neuen grünen Jagdrock, einem gewürfelten schottischen Halstuch und enganliegenden Tuchbeinkleidern prangte.

Mr. Pickwicks Rede bei diesem Anlaß sowie die darauffolgenden Debatten sind in den Protokollen des Klubs niedergelegt. Beide haben große ähnlichkeit mit den Diskussionen anderer berühmter Körperschaften, und da es immer interessant ist, der Verwandtschaft zwischen den äußerungen großer Männer nachzugehen, seien hier wenigstens die ersten Seiten erwähnt.

Mr. Pickwick bemerkte (so lautet die Darstellung des Schriftführers), daß der Ruhm jedermann besonders am Herzen läge. Seinem Freunde Snodgraß ginge es vor allem um dichterischen Ruhm; ebenso erstrebenswert wäre der Ruhm, Herzen zu erobern, für seinen Freund Tupman, und der Ehrgeiz, Ruhm zu ernten in den weidmännischen Bereichen zu Lande, zu Wasser und in der Luft wäre schier übermächtig in der Brust seines Freundes Winkle. Er (Mr. Pickwick) wollte nicht ableugnen, daß auch auf ihn menschliche Leidenschaften und Gefühle gewissen Einfluß hätten (Beifall) – vielleicht sogar menschliche Schwächen (laute Zurufe:«Keinesfalls!«); aber er möchte doch annehmen, daß die Flamme der Selbstsucht, wenn sie je in seiner Brust aufloderte, mit Nachdruck von dem Wunsche erstickt würde, in erster Linie der Menschheit zu dienen. Lob und Preis dem Menschentum – das wäre der Fittich seines Geistes; Menschenliebe wäre für ihn die höchste Instanz. (Stürmischer Beifall.) Er hätte einen gewissen Stolz empfunden – das gäbe er offen zu, und seine Feinde dürften nun darüber herfallen –, er hätte also einen gewissen Stolz empfunden, als er der Welt seine Stichlingstheorie eröffnet hätte; sie mochte nun anerkannt werden oder auch nicht. (Ein Ruf: »Das ist sie schon!« und lauter Beifall.) Er wollte der Versicherung des ehrenwerten Pickwickiers, dessen Stimme er soeben gehört hätte, Glauben schenken – also gut: sie wäre anerkannt; aber wenn auch der Ruhm jener Abhandlung bis an die äußerste Grenze der Welt dringen sollte, so würde doch der Stolz, mit dem er auf die Autorschaft dieses Erzeugnisses blickte, nichts gegen das Gefühl des Stolzes sein, mit dem er in diesem, dem stolzesten Augenblick seines Daseins um sich blickte. (Beifall.) Er wäre ja nur eine unscheinbare Person (Widerspruch); aber er könnte trotzdem nicht umhin, zu empfinden, daß man ihn zu einer sehr ehrenvollen und auch nicht ungefährlichen Sendung auserkoren hätte. Das Reisen wäre jetzt eine mißliche Sache; zumal bei der notorischen Unzuverlässigkeit der Kutscher. Man brauchte sich nur umzublicken und die Vorfälle zu betrachten, die sich ringsumher ereigneten. überall würden Wagen umgeworfen, Pferde gingen durch, Boote kippten um und Dampfkessel platzten. (Beifall – eine Stimme: »Nein!«) Nein? (Beifall.) Das verehrliche Pickwick-Klub-Mitglied, das so laut »Nein!« gerufen hätte, möchte doch vortreten und alles das leugnen, wenn es könnte! (Beifall.) Der da »Nein!« gerufen hätte, sollte sich melden! (Enthusiastischer Beifall.) Ob es womöglich ein erfolgloser und enttäuschter Mensch wäre, um den Ausdruck Kleinigkeitskrämer zu vermeiden (lauter Beifall), den die Eifersucht auf das – vielleicht unverdiente – Lob, das man seinen (Mr. Pickwicks) Untersuchungen gezollt hätte, und der Kummer über den Schimpf, den ihm seine eigenen läppischen Konkurrenzversuche eingebracht hätten, schließlich zu dieser ekelhaften und verleumderischen Art ...

Hier meldete sich Mr. Blotton (von Aldgate) unter Berufung auf die Geschäftsordnung zum Wort. Ob etwa der verehrliche Pickwickier auf ihn anspielen wollte? (Rufe:«Zur Geschäftsordnung!« – »Hinsetzen!« – »Ja!« – »Nein!« – »Weiter!« – »Laß doch sein!« und so weiter.)

Mr. Pickwick erklärte, er könnte es nicht über sich bringen, sich durch Geschrei unterkriegen zu lassen. Er hätte allerdings den ehrenwerten Herrn gemeint. (Große Aufregung.)

Mr. Blotton sagte, er hätte darauf weiter nichts zu erwidern, als daß er die unwahre und lächerliche Beschuldigung des ehrenwerten Vorredners mit tiefer Verachtung zurückweisen müßte. (Große Bewegung.) Der ehrenwerte Vorredner wäre ein Aufschneider. (Ungeheure Verwirrung und laute Rufe: »Zur Geschäftsordnung!« und »Hinsetzen!«.)

Mr. A. Snodgraß meldete sich zum Wort. Er sähe sich genötigt, an den Vorsitzenden zu appellieren. (»Hört.!«) Er wünschte zu wissen, ob es geduldet werden könnte, daß dieser schmähliche Streit zwischen zwei Mitgliedern des Klubs fortgesetzt würde. (»Hört, hört!«)

Der Vorsitzende gab hierauf seiner Überzeugung Ausdruck, daß der ehrenwerte Pickwickier den Ausdruck zurücknehmen würde, dessen er sich soeben bedient hätte.

Mr. Blotton erklärte, dies bei aller Achtung vor dem Vorsitzenden nicht tun zu wollen.

Der Vorsitzende hielt es darauf für seine Pflicht, den ehrenwerten Herrn direkt zu fragen, ob er sich des ihm entschlüpften Ausdrucks im landläufigen Sinne bedient hätte.

Mr. Blotton zögerte nicht im geringsten, die Frage zu verneinen; er hätte das Wort lediglich in seiner pickwickischen Bedeutung gebraucht. (»Hört, hört!«) Er fühlte sich verpflichtet, zu erklären, daß er persönlich die größte Hochachtung für den betroffenen ehrenwerten Herrn empfände. Als einen Aufschneider hätte er ihn lediglich in einer gewissen pickwickischen Perspektive betrachtet. (»Hört, hört!«)

Mr. Pickwick fühlte sich durch die offene, aufrichtige und umfassende Erklärung seines verehrten Freundes vollkommen zufriedengestellt und erklärte gleichzeitig, daß auch seine eigenen Bemerkungen nur als Klubausdruck aufzufassen wären. (Beifall.)

Hier enden diese Eintragungen, und mit der Debatte geschah, nachdem sie zu einem so überaus befriedigenden und einleuchtenden Ergebnis geführt hatte, zweifellos das gleiche. Wir besitzen zwar keine offiziellen Berichte über die Tatsachen, welche der Leser im nächsten Kapitel verzeichnet finden wird, aber sie wurden sorgfältig aus Briefen und anderen handschriftlichen Dokumenten zusammengestellt, deren Echtheit genügend außer Zweifel steht, um ihre zusammenhängende Darstellung in erzählerischer Form zu rechtfertigen.

 

KAPITEL 2

Die Reise des ersten Tages und die Abenteuer des ersten Abends nebst ihren Folgen.

Eben war die pünktliche Helferin bei allem Tagewerk, die Sonne, aufgegangen und begann mit ihrem Schein den Morgen des dreizehnten Mai eintausendachthundertsiebenundzwanzig zu erhellen, als sich Mr. Samuel Pickwick gleich einer zweiten Sonne von seinem Lager erhob, das Fenster seines Schlafgemachs öffnete und auf die Welt zu seinen Füßen hinabblickte.

Goswellstreet lag unter ihm. Goswellstreet zu seiner Rechten, Goswellstreet zu seiner Linken – so weit das Auge reichte. Die andere Seite der Goswellstreet lag genau gegenüber. »Beschränkt wie der Horizont jener Philosophen«, murmelte Mr. Pickwick, »die sich damit begnügen, die Dinge zu untersuchen, die vor ihnen liegen, ohne sich um die Wahrheiten zu kümmern, die dahinter liegen. Genausogut könnte ich mich damit zufriedengeben, immer nur Goswellstreet zu begaffen, ohne mir die Mühe zu machen, die Gebiete zu ergründen, von denen sie rings umgeben ist.« Nach’ dieser bewundernswerten Reflexion schlüpfte Mr. Pickwick in seine Kleider und packte zusätzliche Garderobe in seinen Mantelsack. Große Männer sind hinsichtlich ihres äußeren selten wählerisch. Die Tätigkeit des Rasierens, Ankleidens und Kaffeetrinkens war bald beendet, und eine Stunde später langte Mr. Pickwick, mit dem Mantelsack in der Hand, seinem Fernrohr in der Tasche des Überrocks und seinem Notizbuch in der »Westentasche – also bereit zur Aufnahme aller merkwürdigen Entdeckungen –, bei Saint Martin le Grand an, wo die Droschken stehen.

»Fuhrwerk!« rief Mr. Pickwick.

»Genau richtig, mein Herr!« brüllte ein Prachtstück von Kerl in einer sackleinenen Jacke, mit einer gleichartigen Schürze und einem numerierten Messingschild um den Hals ausgestattet, als wäre er einer Raritätensammlung entsprungen. Es war ein sogenannter Schlepper. »Genau richtig, mein Herr! Na los, erste Droschke ran!« Gleich wurde die »erste Droschke« aus dem Wirtshaus gezerrt, wo sie gerade ihre Morgenpfeife geraucht hatte, und Mr. Pickwick nebst Mantelsack im Wagen verstaut.

»Golden Groß«, befahl Mr. Pickwick.

»Wieder bloß ‘n Schietkram, Tommy«, rief der Kutscher verdrießlich seinem Freund, dem Schlepper, zu, der ihm diesen Kunden zugewiesen hatte, und trieb sein Pferd an.

»Wie alt ist. dieses Tier, mein Freund?« fragte Mr. Pickwick und rieb sich mit dem Schilling, den er als Fahrgeld bereit hielt, die Nase.

»Zweiundvierzig«, entgegnete der Kutscher mit einem forschenden Blick auf seinen Passagier.

»Was?« rief Mr. Pickwick und langte nach seinem Notizbuch.

Der Kutscher wiederholte seine Behauptung. Mr. Pickwick sah ihm scharf ins Gesicht, aber der Mann zuckte nicht mit der Wimper; daher notierte er unverzüglich das Faktum.

»Und wie lange halten Sie es eingespannt?« forschte Mr. Pickwick weiter, um genauere Auskünfte zu erhalten.

»Zwei bis drei Wochen«, erwiderte der Mann.

»Wochen?« sagte Mr. Pickwick erstaunt und griff wieder nach seinem Notizbuch.

»Es hat seinen Stall in Pentonwil«, bemerkte der Kutscher kaltblütig, »aber ich nehme es selten mit nach Hause, von wegen die Schwäche.«

»Wegen seiner Schwäche?« wiederholte verblüfft Mr. Pickwick.

»Es fällt immer um, wenn’s aus dem Geschirr kommt«, fuhr der Kutscher fort, »aber wenn’s drin ist, so richtig festgewürgt, und ich halt die Zügel stramm, da kann’s ja nicht umkippen. Ich habe auch ‘n paar mächtig breite Räder; sobald der Gaul sich rührt, laufen sie ihm nach, und vorwärts muß er, da hilft ihm alles nichts.«

Mr, Pickwick trug diese Äußerung wörtlich in sein Taschenbuch ein, in der Absicht, die Tatsache als ein einzigartiges Beispiel für die Zähigkeit der Pferde, selbst unter den kümmerlichsten Lebensverhältnissen, dem Klub mitzuteilen. Die Eintragung war kaum beendet, da waren sie auch schon in Golden Groß. Der Kutscher sprang vom Bock und half Mr. Pickwick heraus; Mr. Tupman, Mr. Snodgraß und Mr. Winkle, die bereits sehnsüchtig auf ihren berühmten Meister gewartet hatten, umdrängten ihn bei der Begrüßung.

»Hier ist Ihr Fahrgeld«, sagte Mr. Pickwick und reichte dem Kutscher den Schilling; aber wie erstaunt war der Gelehrte, als dieser unberechenbare Mensch die Münze auf das Straßenpflaster warf und in blumigen Redewendungen um das Vergnügen bat, mit Mr. Pickwick um diesen Betrag boxen zu dürfen.

»Sie sind wohl toll?« rief Mr. Snodgraß.

»Oder betrunken!« meinte Mr. Winkle.

»Oder beides!« sagte Mr. Tupman.

»Ran hier!« rief der Droschkenkutscher und fuchtelte mit den Fäusten wie ein Uhrwerk. »Ran hier – alle vier Mann!«

»Das gibt ‘n Fez!« schrie ein halbes Dutzend Mietkutscher. »Nimm sie in die Mache, Sam!« Und schon drängten sie sich vergnügt um die Gesellschaft.

»Was für ‘n Skandal ist hier los, Sam?« fragte ein Gentleman in schwarzen Kalikoärmeln.

»Skandal?« wiederholte der Kutscher, »zu was braucht er meine Nummer?«

»Ich habe Sie ja gar nicht nach Ihrer Nummer gefragt«, sagte Mr. Pickwick erstaunt.

»Na, zu was brauchen Sie sie denn?« fragte der Kutscher.

»Aber ich weiß sie ja gar nicht«, antwortete Mr. Pickwick unwillig.

»Sollte man das glauben?« sagte der Kutscher zu den Umstehenden. »Sollte man das glauben: steigt doch da so ‘n Spitzel in den Wagen und schreibt sich nicht bloß die Nummer auf, sondern obendrein noch jedes Wort, das man sagt – alles in seine Kladde.« (Mr. Pickwick ging ein Licht auf: das Notizbuch war gemeint.)

»Hat er tatsächlich?« fragte ein anderer Kutscher.

»Klar, hat er«, antwortete der erste, »und damit er mir noch fester am Kragen hat, besorgt er sich noch drei Zeugen, von wegen Beweise und so. Aber dem will ich’s geben, und wenn ich sechs Monate dafür kriege. Los, ran hier!« Und schon warf der Kutscher, ohne die geringste Rücksicht auf sein Privateigentum, seinen Hut auf die Erde, schlug Mr. Pickwick die Brille aus dem Gesicht und ließ diesem Angriff sofort einen Schlag gegen Mr. Pickwicks Nase und einen weiteren gegen dessen Brust folgen. Ein dritter traf Mr. Snodgraß’ Auge und ein vierter zur Abwechslung Mr. Tupmans Weste. Dann tanzte der Kutscher auf der Straße herum, kam wieder auf den Bürgersteig zurück und beraubte Mr. Winkle durch einen harten Schlag gegen den Bauch völlig des Atems. All das geschah in kaum einem halben Dutzend Sekunden.

»Wo ist die Polizei?« rief Mr. Snodgraß.

»Zerrt ihn unter die Pumpe!« riet ein Pastetenverkäufer.

»Das sollen Sie mir büßen!« keuchte Mr. Pickwick.

»Spitzel!« brüllte die Menge.

»Ran hier!« schrie der Droschkenkutscher, der während der ganzen Zeit ununterbrochen seine Boxübungen fortgesetzt hatte.

Die Menge hatte bisher untätig dagestanden und die Szene verfolgt; als sich aber die Kunde verbreitete, die Pickwickier sollten Spitzel sein, da begannen die Leute mit beachtlicher Lebhaftigkeit den Vorschlag des Pastetenverkäufers auf seine Zweckmäßigkeit zu erörtern, und man kann nicht ahnen, zu welchen Tätlichkeiten es noch gekommen wäre, wenn nicht ein neuer Ankömmling sich eingemischt und das Geplänkel überraschend beendet hätte.

»Was ist das hier für ‘n Fez?« fragte ein langer, schmächtiger junger Mann in einem grünen Rock, der ganz plötzlich aufgetaucht war.

»Spitzel!« brüllte die Menge abermals.

»Wir sind keine«, ächzte Mr. Pickwick in einem Ton, der jeden Unbefangenen sofort überzeugen mußte.

»Wirklich nicht? Tatsache? Wirklich nicht?« fragte der junge Mann Mr. Pickwick, während er sich durch wohlgezielte Stöße mit den Ellenbogen in die Gesichter der Leute Bahn brach. Der Gelehrte legte in wenigen hastigen Worten den wahren Stand der Dinge dar.

»Na, dann kommen Sie«, sagte der Grünrock, der ununterbrochen redete, und zog Mr. Pickwick mit Gewalt hinter sich her. »Da, Nummer neunhundertvierundzwanzig, nimm dein Geld und pack dich – respektabler Herr – kenne ihn gut – ist ja Blödsinn, was du sagst – hierher, mein Herr! Und wo sind Ihre Freunde? – Alles nur Mißverständnis, wie ich sehe – macht nichts – kommt schon mal vor – besten Familien – keine Lebensgefahr – Schwein muß der Mensch haben – ab dafür! – Starker Tobak – schätze die Sorte – verdammte Schurken.« Mit solchen und ähnlichen abgebrochenen Sätzen, die er mit außerordentlicher Zungenfertigkeit heraussprudelte, führte der Fremde Mr. Pickwick und seine Jünger in die Gaststube eines Wirtshauses.

»He, Kellner!« schrie der Fremde und läutete dabei heftig mit der Glocke, »Gläser her, Branntwein und Wasser, heiß, stark, süß, anständige Menge – Auge beschädigt, mein Herr? – Kellner! Rohes Rindfleisch für das Auge dieses Herrn! – nichts besser als rohes Rindfleisch für eine Quetschung, mein Herr; kalter Laternenpfahl auch sehr gut, aber unbequem – verdammt unbequem, halbe Stunde auf offener Straße mit Auge am Laternenpfahl stehen – äh – aber sehr gut – hahaha!« Und ohne auch nur Atem zu holen, schluckte der Fremde auf Anhieb einen Viertelliter der dampfenden Mischung und warf sich behaglich in einen Stuhl, als wäre nichts Unangenehmes vorgefallen.

Während sich die drei Jünger in Dankesbeteuerungen gegenüber ihrem neuen Bekannten ergingen, hatte Mr. Pickwick Muße, dessen Kleidung und äußere Erscheinung genauer in Augenschein zu nehmen.

Er war von mittlerer Statur, aber die Schmächtigkeit seines Körpers und die Länge seiner Beine ließen ihn viel größer erscheinen. Sein grüner Rock mochte zu jener Zeit, als die Schwalbenschwänze Mode waren, hübsch gewesen sein; er hatte aber augenscheinlich damals einem weit kleineren Manne gehört, da die verschmierten, fadenscheinigen ärmel dem Fremden kaum bis zum Handgelenk reichten. Er war bis ans Kinn zugeknöpft; dafür drohte jedoch sichtlich die Gefahr, daß die Rückennähte platzen könnten. Eine alte Krawatte zierte seinen Hals – aber keine Spur eines Hemdkragens war vorhanden. Die knappen schwarzen Beinkleider zeigten da und dort glänzende Stellen und verrieten so, daß sie schon lange ihren Dienst leisteten. Sie waren straff über ein Paar geflickte Schuhe gezogen, um die schmutzigen weißen Strümpfe zu verbergen; aber ohne Erfolg. Sein langes schwarzes Haar quoll in ungepflegten Locken zu beiden Seiten unter einem verdellten alten Hut hervor, und hin und wieder kam das nackte Handgelenk zwischen den Enden der Handschuhe und den Aufschlägen der Rockärmel zum Vorschein. Das Gesicht war schmal und hager, aber ein unbeschreiblicher Ausdruck von zudringlicher Unverschämtheit und grenzenloser Selbstüberhebung sprach sich in der ganzen Erscheinung des Mannes aus.

So sah die Gestalt aus, die Mr. Pickwick durch seine Brille, die er glücklicherweise wiedergefunden hatte, musterte und der er sich jetzt – nachdem seine Freunde sich erschöpft hatten – mit den wärmsten und gewähltesten Dankesbeteuerungen für den soeben gewährten Beistand näherte.

»Gern geschehen«, schnitt ihm der Fremde kurz das Wort ab. »Kein Wort mehr – verdammter ‘Kerl, der Droschkenkutscher. Nimmt’s mit fünfen auf – wäre ich Ihr Freund Grünrock gewesen – hol mich dieser und jener – hätte ihm den Kopf zerdroschen – ohne Umstände – Kellner, einen Schweinsrüssel – und den Pastetenmann dazu – nein, keinen Schinken.«

Diese zusammenhängende Rede wurde durch die Meldung des Rochester Postillions unterbrochen, daß der »Kommodore« sogleich abfahren würde.

»Kommodore?« rief der Fremde aufspringend. »Mein Wagen – eingeschrieben – Außensitz – zahlen Sie meinen Grog – kein Kleingeld – abgegriffenes Silber – die reinsten Hosenknöpfe – geht nicht – wie?« Dabei schüttelte er pfiffig den Kopf.

Nun hatten zufällig Mr. Pickwick und seine Begleiter ebenfalls Rochester als erstes Reiseziel festgesetzt und kamen deshalb mit ihrem neuen Bekannten überein, daß sie die Rücksitze des Wagens nehmen wollten, wo sie alle nebeneinander Platz hätten.

»Rauf mit Ihnen«, sagte der Fremde und half Mr. Pickwick mit einer Hast auf die Kutsche, die der Würde des Gelehrten beträchtlich Abbruch tat.

»Kein Gepäck, Sir?« fragte der Kutscher.

»Wer – ich? – Da, dieses Papierpaket – weiter nichts – das andere Gepäck ist zu Wasser fort – Kisten, zugenagelt und groß wie die Häuser – schwer, schwer, verdammt schwer«, erwiderte der Fremde und zwängte sein Paket, das verdächtig danach aussah, als enthielte es nur ein Hemd und ein Sacktuch, so gut es ging, in die Tasche.

»Achtung – Köpfe«, rief er gleich darauf, als sie unter einem niedrigen Torbogen durchführen. »Schauderhafter Durchlaß – gefährliche Sache – vorgestern – fünf Kinder – Mutter – große Dame, aß Sandwiches – denkt nicht an den Bogen – Krach – Bumm – Kinder sehen sich um – Mutter ohne Kopf – Sandwich in der Hand – keinen Mund, um ihn hineinzustecken – Haupt der Familie tot – scheußliche Geschichte. Sehen Sie dort Whitehall, Sir? Schöner Ort – kleines Fenster – auch dort jemand Kopf verloren – Karl der Erste nämlich. – Nahm sich auch nicht genug in acht – was meinten Sie, Sir?« . »Ich dachte soeben«, sagte Mr. Pickwick, »über die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge nach.«

»Ja, ja. Karl der Erste – heute zur Tür des Palastes hinein – morgen durchs Fenster hinaus, aufs Schafott. – Philosoph, Sir?«

»Hm, ja. Ein Beobachter der menschlichen Natur, Sir«, versetzte Mr. Pickwick.

»So? – Ich auch. – Die meisten Leute sind’s, wenn sie wenig zu tun und noch weniger zu leben haben. – Poet, Sir?«

»Mein Freund, Mr. Snodgraß, hat eine starke poetische Ader.«

»So? – Ich auch. – Episches Gedicht – zehntausend Verse – Julirevolution – an Ort und Stelle verfaßt – Mars bei Tag, Apollo bei Nacht – Kanonendonner – Geistesblitze.«

»Sie waren bei jenem glorreichen Schauspiel anwesend, Sir?« fragte Mr. Snodgraß.

»Anwesend?« wiederholte der Grünrock. »Will’s meinen – feuerte drauflos – Idee durch den Kopf geschossen – rasch in ein Weinhaus – schrieb sie nieder – wieder zurück – Schuß auf Schuß – eine andere Idee – abermals ins Weinhaus – Feder und Tinte – aufs neue zurück – gestochen und gehauen – großartige Zeit, Sir. – Jagdliebhaber, Sir?« wandte er sich plötzlich an Mr. Winkle.

»Ein wenig, Sir.«

»Feiner Sport, Sir, feiner Sport. Hunde, Sir?«

»Zur Zeit nicht«, entgegnete Mr. Winkle.

»Ah, Sie sollten Hunde halten – herrliche Tiere – schlaue Geschöpfe – hatte selbst einmal einen – Hühnerhund – merkwürdiger Instinkt – gehe eines Tages auf den Anstand – trete in eine Umzäunung – pfeife – Hund wie festgenagelt – pfeife wieder – ,Ponto!’ Rührt sich nicht. – Rufe noch mal: – ,Ponto! Ponto!’ – Rührt sich nicht – wie festgewurzelt – stiert auf ein Brett – sehe auf und lese die Inschrift: ,Der Wildhüter hat Befehl, alle Hunde, die er im Bereich dieser Umzäunung antrifft, totzuschießen.’ – Wundervoller Hund, unschätzbarer Hund – kolossal.«

»In der Tat, einzig in seiner Art«, sagte Mr. Pickwick »Würden Sie gestatten, daß ich mir das notiere?«

»Gewiß, Sir, gewiß. Können noch hundert Geschichten von demselben Tier haben. – Schöne Mädchen, Sir!«

»Sehr schöne«, bestätigte Mr. Tupman, der soeben einer vorübergehenden jungen Dame einige nicht eben pickwickische Blicke zugeworfen hatte.

»Englische Mädchen nicht so schön wie spanische – edle Gestalten – pechschwarzes Haar – dunkle Augen – liebliche Formen – süße Geschöpfe – bezaubernd.«

»Sie sind in Spanien gewesen, Sir?«

»Hm – lebte dort – halbes Menschenalter.«

»Viele Eroberungen gemacht, Sir?« fragte Mr. Tupman weiter.

»Eroberungen? – Tausende. – Don Bolaro Fizzgig – Grande – einzige Tochter – Donna Christina – prachtvolles Geschöpf – verliebt in mich bis zum Wahnsinn – eifersüchtiger Vater – hochherzige Tochter – schöner Engländer – Donna Christina in Verzweiflung – Blausäure – Magenpumpe im Mantelsack – Operation glücklich durchgeführt – der alte Bolaro außer sich vor Entzücken – willigte in unsere Verbindung – Händedrücke und Tränenströme – romantische Geschichte – kolossal.«

»Ist die Dame jetzt in England, Sir?« fragte Mr. Tupman, auf den die Schilderung der Reize Donna Christinas einen mächtigen Eindruck gemacht hatte.

»Tot, Sir, tot«, sagte der Fremde und drückte den spärlichen Überrest eines uralten Baumwollschnupftuches an sein rechtes Auge. »Nie ganz genesen, trotz der Magenpumpe – untergrabene Konstitution – Opfer geworden.«

»Und ihr Vater?« fragte der poetische Snodgraß.

»Elend und Gewissensbisse. – Plötzlich verschwunden – Stadtgespräch – Nachforschungen überall – erfolglos – öffentlicher Brunnen auf dem Hauptplatze hört auf zu springen – Wochen vergehen – immer noch kein Wasser – Arbeiter kommen – schöpfen aus – finden meinen Schwiegervater mit dem Kopf in der Hauptröhre stecken, mit einem ausführlichen Bekenntnis in seinem rechten Stiefel – ziehen In heraus. – Brunnen springt wieder – wie früher.«

»Würden Sie mir gestatten, Sir, diesen kleinen Roman niederzuschreiben?« fragte Mr. Snodgraß, tief ergriffen.

»Gewiß, Sir, gewiß – noch fünfzig andre, wenn Sie sie hören wollen. – Ein seltsames Leben geführt – merkwürdige Geschichte – nicht ungewöhnlich, aber höchst interessant.«

An diesem Faden spann der Fremde – nur hin und wieder ein Glas Bier einschaltend, wenn die Pferde gewechselt wurden – so lange weiter, bis sie die Rochesterbrücke erreichten; und bereits zu diesem Zeitpunkt hatten Mr. Pickwick und Mr. Snodgraß ihre Notizbücher mit ausgewählten Partien seiner Abenteuer restlos vollgeschrieben.

»Großartige Ruine!« rief Mr. Augustus Snodgraß mit der poetischen Glut, der er seinen Dichterruhm verdankte, als sie des schönen alten Schlosses ansichtig wurden.

»Welch herrliche Gelegenheit für einen Altertumsforscher!« ließ sich Mr. Pickwick vernehmen, als er sein Fernrohr ans Auge gebracht hatte.

»Hm, schöner Platz«, sagte der Fremde. – »Glorioses Gebäude – zürnende Mauern –wankende Bogen–dunkle Nischen – krachende Stiegen – ehrwürdiger Dom – dumpfer Geruch – alte Stufen – ausgehöhlt von den Tritten der Pilgrime – kleine sächsische Türen – Beichtstühle wie Theaterkassenlogen – wunderliche Käuze, diese Mönche – Päpste, Lordschatzmeister und alle Arten alter Burschen mit großen roten Gesichtern und abgebrochnen Nasen – alle Tage zu sehen – auch Koller von Büffelhaut – Luntengewehre – Sarkophage – herrlicher Ort – alte Legenden – wunderliche Historien – kolossal.« – Der Fremde fuhr in diesem Selbstgespräch fort, bis sie das »Wirtshaus zum Ochsen« in Highstreet erreichten und haltmachten.

»Bleiben Sie hier, Sir?« fragte Mr. Nathanael Winkle.

»Hier? – Ich nicht – aber Sie werden gut daran tun – gutes Haus – famose Betten – Wrights Hotel nebenan teuer – sehr teuer – ‘ne halbe Krone auf der Rechnung, wenn Sie den Kellner nur ansehen – fordern Ihnen noch mehr ab, wenn Sie zu einem Freunde essen gehen – verwünschte Kerle – toll.«

Mr. Winkle beugte sich zu Mr. Pickwick hinüber und flüsterte ihm einige Worte zu. Mr. Pickwick besprach sich leise mit Mr. Snodgraß, und Mr. Snodgraß mit Mr. Tupman. Allgemeines Einverständnis und beifälliges Kopfnicken. Dann wandte sich Mr. Pickwick zu dem Fremden.

»Sie haben uns diesen Morgen einen sehr wesentlichen Dienst geleistet, Sir. Würden Sie uns vielleicht gestatten, Ihnen einen kleinen Beweis unsrer Dankbarkeit zu liefern, indem wir Sie um die Ehre Ihrer Gesellschaft bei Tisch bitten?«

»Mit größtem Vergnügen – will natürlich nichts vorschreiben, aber Geflügel und Champignons – kapitale Sache! – Welche Zeit?«

»Sagen wir einmal ...« Mr. Pickwick zog seine Uhr zu Rate; »es ist jetzt bald drei Uhr; paßt Ihnen fünf Uhr?«

»Würde mir sehr passen«, entgegnete der Fremde. »Also präzis fünf Uhr – habe die Ehre bis dahin.«

Er lüftete seinen zerdrückten Hut einige Zoll, setzte ihn nachlässig wieder aufs Ohr und begab sich dann mit seinem Papierpaket eiligen Schrittes auf die Straße.

»Augenscheinlich ein weitgereister Mann und ein trefflicher Beobachter«, sagte Mr. Pickwick.

»Ich hätte gern sein Epos gelesen«, meinte Mr. Snodgraß.

»Und ich seinen Hund gesehen«, sagte Mr. Winkle.

Mr. Tupman sagte nichts, aber er dachte an Donna Christina, die Magenpumpe und den Springbrunnen, und seine Augen füllten sich mit Tränen.

Die Herren ließen sich ein gemeinsames Wohnzimmer geben, prüften ihre Schlafzimmer, bestellten ein Mittagessen und verließen sodann den Gasthof, um sich die Stadt und ihre Umgebung anzusehen«:

Nach sorgfältiger Durchsicht der Notizen Mr. Pickwicks finden wir, daß seine Bemerkungen über die vier Städte Stroud, Rochester, Chatham und Brompton sich von denen andrer Reisenden, die gleichfalls diese Orte besucht haben, nicht wesentlich unterscheiden. Wir können daher eine allgemeine Übersicht seiner Schilderungen geben.

»Die Haupterzeugnisse dieser Städte«, sagte Mr. Pickwick, »scheinen Soldaten, Matrosen, Juden, Kreide, Garnelen, Polizeimänner und Dockarbeiter zu sein. Die Haupthandelsartikel, die man in den Straßen ausgestellt sieht, sind Seemannsartikel, Zwieback, äpfel, Seezungen und Austern. Die Straßen bieten einen sehr belebten Anblick, besonders infolge der gehobenen Stimmung des Militärs. Es ist wahrhaft entzückend für das Herz eines Philanthropen, diese Braven begeistert umhertorkeln zu sehen, besonders wenn wir in Betracht ziehen, daß es den ihnen nachziehenden Gassenjungen eine wohlfeile, unschuldige Unterhaltung und Anlaß zu Scherz und Fröhlichkeit bietet. – Nichts«, setzt Mr. Pickwick hinzu, »kommt der Gutmütigkeit eines Soldaten gleich. So wurde am Tage vor meiner Ankunft ein solcher in dem Hause eines Gastwirts gröblich beleidigt. Das Schenkmädchen weigerte sich nämlich entschieden, ihm noch weiter Branntwein zu geben, und er zog – natürlich nur im Scherze – das Bajonett und verwundete das Mädchen damit an der Schulter. Und doch war dieser brave Bursche der erste, der am nächsten Morgen wieder im Hause erschien und dadurch bewies, daß er geneigt sei, den ihm zugefügten Schimpf zu übersehen und den Vorfall zu vergessen.