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Samuel Pickwick, Esquire, ist ein freundlicher und wohlhabender alter Herr, der den Pickwick Club gegründet hat und dessen Präsident er ist. Er schlägt vor, dass er und drei andere “Pickwickier”, Mr Nathaniel Winkle, Mr Augustus Snodgrass, und Mr Tracy Tupman, Reisen an Orte unternehmen, die weit von London entfernt sind, und den anderen Mitgliedern des Clubs über ihre Erkenntnisse berichten. Ihre Reisen mit der Kutsche durch die englische Landschaft und ihre Erlebnisse während dieser Tour sind das Hauptthema des Romans. Die Pickwickier – Ein Sportler, der keinen Sport betreibt; ein Dichter, der nicht schreibt; ein Liebhaber, der niemanden liebt; alle drei sind ihrem fröhlichen und wohlwollenden Anführer, Mr. Pickwick, treu ergeben. Begleiten Sie ihn und seine Freunde Winkle, Snodgrass und Tupman auf ihrer Reise durch das Land auf der Suche nach Abenteuern, Wissen und Geschichten. Auf ihrem Weg passieren ihnen einige Missgeschicke, und sie treffen auf viele interessante Charaktere, sowohl auf gute als auch auf weniger gute… Ihre Abenteuer werfen Schlaglichter auf die Heuchelei und den Geiz im Leben der einfachen Leute, die von den zweifelhaften Handlungen von Anwälten, Politikern und lokalen Würdenträgern bedrängt werden. Ein Leben, in dem die Ehe nicht immer mit Liebe einhergeht, in dem die Opfer und nicht die Schuldigen eingesperrt werden und in dem die Armen mit kaum verhohlener Verachtung behandelt werden. Auch die Pickwickier selbst geraten zuweilen in unangenehme Situationen. So zum Beispiel führt ein romantisches Missverständnis mit Mr Pickwicks Vermieterin, der Witwe Mrs. Bardell, zu einem der berühmtesten Rechtsfälle der englischen Literatur, Bardell gegen Pickwick… Dies ist der zweite von insgesamt drei Bänden.
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Seitenzahl: 472
CHARLES DICKENS
ROMAN
in drei Bänden
Band Zwei
DIE PICKWICKIER wurde zuerst im englischen Original (The Pickwick Papers) in 20 Episoden veröffentlicht von Chapman & Hall, London 1836-37.
Diese Ausgabe in drei Bänden wurde aufbereitet und herausgegeben von
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
1. Auflage 2022
V 1.0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
Band Zwei
ISBN 978-3-96130-511-7
Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
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Charles Dickens
Die Pickwickier
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Inhaltsverzeichnis
Die Pickwickier. Band Zwei
Impressum
Band Zwei
Kapitel 1
Ein Vorfall von einschneidender Wirkung auf Mr. Pickwicks Leben und Geschichte.
Kapitel 2
Einiges über die Wahlen in Eatanswill.
Kapitel 3
Eine kurze Beschreibung der Gesellschaft im »Pfau« und die Erzählung des Reisenden.
Kapitel 4
In dem ein getreues Konterfei von zwei distinguierten Personen vorkommt sowie die genaue Beschreibung eines fashionablen Frühstücks, das zur Erneuerung einer alten Bekanntschaft führt.
Kapitel 5
Enthält zu viele Abenteuer, um sie kurz angeben zu können.
Kapitel 6
Worin mit wenigen Worten zwei Punkte dargetan werden: erstens die Macht der Krämpfe, und zweitens die Gewalt der Umstände.
Kapitel 7
Ein angenehmer Tag mit einem unerfreulichen Schluß.
Kapitel 8
Zeigt, was für tüchtige Geschäftsleute Dodson und Fogg sind und wie gut sich ihre Schreiber unterhalten. Ein rührendes Wiedersehen zwischen Mr. Weller und seinem Vater und eine Schilderung, welch auserlesene Geister in der »Elster« zusammenkommen.
Kapitel 9
In dem der alte Mann sich über sein Lieblingsthema verbreitet und eine Geschichte von einem merkwürdigen Klienten erzählt.
Kapitel 10
Mr. Pickwick reist nach Ipswich und erlebt ein romantisches Abenteuer mit einer Dame in mittleren Jahren und gelben Haarwickeln.
Kapitel 11
Mr. Samuel Weller bietet alles auf, Mr. Trotter seine Schuld abzuzahlen.
Kapitel 12
Mr. Peter Magnus wird eifersüchtig und die Dame in den mittleren Jahren so besorgt, daß die Pickwickier Gefahr laufen, dem Arme der Gerechtigkeit überliefert zu werden.
Kapitel 13
Zeigt nebst andern ergötzlichen Dingen, welche Würde und Unparteilichkeit Mr. Nupkins an den Tag legte, und wie Mr. Weller seine Schuld Mr. Hiob Trotter mit Zinseszinsen heimzahlte.
Kapitel 14
Enthält einen kurzen Bericht über den weiteren Verlauf der Klagsache Bardell kontra Pickwick.
Kapitel 15
Samuel Weller macht eine Wallfahrt nach Dorking und bekommt seine Stiefmutter zu Gesicht.
Kapitel 16
Ein heiteres Weihnachtskapitel nebst Erzählung einer Hochzeit und einiger anderer Lustbarkeiten.
Kapitel 17
Wie die Pickwickier die Bekanntschaft zweier feiner junger Herren machten, und wie sie sich auf dem Eise belustigten.
Kapitel 18
Handelt lediglich von Gerichtspraxis und verschiedenen bedeutenden Rechtsgelehrten.
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Zu guter Letzt
Mr. Pickwicks Wohnung in Goß Wallstreet war zwar nicht groß, aber einem Mann von seinem Genie und seiner Beobachtungsgabe vorzüglich angepaßt. Sein Arbeitszimmer befand sich im ersten Stock, sein Schlafzimmer im zweiten, und beide lagen vornheraus, so daß Mr. Pickwick sowohl von seinem Schreibtisch im Wohnzimmer wie von seinem Ankleidespiegel im Schlafgemach aus stets Gelegenheit hatte, die menschliche Natur in allen ihren unzähligen Phasen an einem Platze zu beobachten, der ihm fortwährend ein buntes Volksleben vor Augen führte. Seine Hauswirtin, Mrs. Bardell, die trostlose Hinterbliebene eines Zollbeamten, war eine stattliche Frau von lebhaftem Temperament, angenehmem Äußern und wohlausgebildetem Kochgenie. In ihrem Hause gab es weder Kinder noch Dienstboten, noch Federvieh. Seine einzigen Insassen waren, außer Mr. Pickwick, ein großer Mann und ein kleiner Knabe, der erstere ein Mietsmann, der zweite ein Sprößling Mrs. Bardells. Der große Mann kam immer abends Punkt zehn Uhr nach Hause, um sich in eine zwerghafte französische Bettstelle in dem hintern Zimmer zu zwängen, wogegen die kindlichen Spiele und gymnastischen Übungen des jungen Mr. Bardell sich ausschließlich auf die Plätze vor den Türen der Nachbarn und die Gossen vor dem Hause beschränkten. Reinlichkeit und Ruhe herrschten in dem Hause, in dem Mr. Pickwicks Wille als oberstes Gesetz galt. Jedermann, der den geschilderten häuslichen Zustand und die bewunderungswürdige Selbstbeherrschung Mr. Pickwicks kannte, würde das Benehmen des Gelehrten an dem Morgen des Vortages der Reise nach Eatanswill höchst mysteriös und unergründlich vorgekommen sein. Er ging mit raschen Schritten in seinem Zimmer auf und ab, schaute alle drei Minuten einmal unruhig zum Fenster hinaus, sah fortwährend auf die Uhr und ließ noch viele andere bei ihm selten vorkommende Zeichen von Ungeduld wahrnehmen. Offenbar lag ihm etwas sehr Wichtiges im Sinn; doch was das sein konnte, vermochte selbst Mrs. Bardell nicht zu ergründen.
»Mrs. Bardell!« hob Mr. Pickwick endlich an, als das langwierige Staubabwischen der Haushälterin sich seinem Ende zuneigte.
»Sir?«
»Ihr kleiner Knabe bleibt aber lange aus, Mrs. Bardell!«
»Nun, es ist auch ein ziemlich weiter Weg nach dem Borough, Sir«, entgegnete Mrs. Bardell.
»Da haben Sie freilich recht«, versetzte Mr. Pickwick und versank abermals in Stillschweigen, während Mrs. Bardell mit dem Staubabwischen fortfuhr.
»Mrs. Bardell!« begann Mr. Pickwick nach einigen Minuten von neuem.
»Sir?« sagte Mrs. Bardell wie zuvor.
»Glauben Sie, daß es bedeutend teurer käme, zwei Personen zu erhalten als eine einzige?«
»Ach Gott, Mr. Pickwick«, rief Mrs. Bardell aus, bis an den Rand ihrer Haube errötend, da sie in den Augen ihres Mieters ein heiratslustiges Blinzeln zu bemerken glaubte. »Ach Gott, Mr. Pickwick, was ist das für eine Frage?«
»Glauben Sie es wirklich?« forschte Mr. Pickwick weiter.
»Ach Mr. Pickwick«, erwiderte Mrs. Bardell und kam mit ihrem Staubtuch bis dicht an die Ellenbogen des Gelehrten. »Das kommt ganz darauf an, ob es eine haushälterische und verständige Person ist, Sir.«
»Sehr wahr«, versetzte Mr. Pickwick, »aber ich denke, daß die Person, die ich im Auge habe«, bei diesen Worten fixierte er Mrs. Bardell sehr scharf, »diese Eigenschaften und noch überdies eine beträchtliche Weltkenntnis und Klugheit besitzt, was mir alles wesentlich von Nutzen sein dürfte.«
»Ach Gott, Mr. Pickwick!« rief Mrs. Bardell aus und errötete abermals bis an den Rand ihrer Haube.
»Ich bin wirklich davon überzeugt«, sagte Mr. Pickwick, lebhaft werdend, wie es gewöhnlich bei ihm der Fall war, wenn er von einem ihn interessierenden Gegenstande sprach. »Ich bin wirklich fest davon überzeugt, und, um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Mrs. Bardell, ich habe bereits meinen Entschluß gefaßt.«
»Ach du meine Güte, Sir!« rief Mrs. Bardell.
»Sie werden es allerdings auffallend finden«, fuhr Mr. Pickwick liebenswürdig fort und blickte dabei seine Hausgenossin mit freundlichem Lächeln an, »daß ich Sie über diese Angelegenheit gar nicht zu Rat gezogen und nicht eher etwas erwähnt habe als in dieser Stunde, wo ich Ihren kleinen Jungen ausgeschickt ... He, he, was sagen Sie?«
Mrs. Bardell konnte nur mit einem Blick antworten. Sie hatte Mr. Pickwick längst im stillen verehrt, und jetzt sah sie sich mit einem Male auf den Gipfel eines Glücks gehoben, von dem sie sich nicht im entferntesten hatte träumen lassen. Mr. Pickwick stand im Begriff, ihr einen Antrag zu machen! – Ein wohlüberlegter Plan! – Ja, nur deshalb hatte er ihren Knaben ausgeschickt. Wie herrlich war das ausgedacht und wie klug ausgeführt.
»Nun«, fragte Mr. Pickwick, »was meinen Sie?«
»Ach, Mr. Pickwick«, erwiderte Mrs. Bardell, vor innerer Bewegung zitternd. »Sie sind zu gütig, Sir.«
»Meinen Sie nicht, daß ich Ihnen ein gutes Teil Mühe dadurch ersparen würde?« fragte Mr. Pickwick weiter.
»Ach, aus der Mühe mache ich mir gar nichts, Sir«, erwiderte Mrs. Bardell, »und ich will mich, wenn ich Sie nur zufrieden weiß, gern noch einer größeren unterziehen. Ach, es ist unaussprechlich gütig von Ihnen, Mr. Pickwick, auf meine verlassene Lage soviel Rücksicht zu nehmen!«
»Ich muß gestehen«, versetzte Mr. Pickwick, »daran habe ich gar nicht einmal gedacht. Sie werden auf diese Art, wenn ich in der Stadt bin, immer jemand haben, der bei Ihnen bleibt. Vorausgesetzt, daß es Ihnen recht ist.«
»Oh, wie glücklich werde ich sein«, seufzte Mr. Bardell.
»Und Ihr kleiner Knabe wird einen Gefährten haben, und zwar einen recht aufgeweckten, der ihn, ich will wetten, in einer Woche mehr Schelmenstreiche lehren wird, als er sonst wohl in einem Jahre lernen würde.« Mr. Pickwick begleitete diese Worte mit einem gutmütigen Lächeln.
»Oh, Sie teurer ...«
Mr. Pickwick stutzte.
»Oh, du lieber, guter, herrlicher Mann!« rief Mrs. Bardell aus, sprang von ihrem Stuhle auf und schlang ohne weitere Umstände unter einem Katarakt von Tränen ihre Arme um Mr. Pickwicks Nacken.
»Gerechter Gott!« schrie Mr. Pickwick, ganz außer sich. »Mrs. Bardell, gute Frau, du lieber Himmel! – Welche Situation! – Ich bitte, bedenken Sie doch, Mrs. Bardell, ich beschwöre Sie um alles in der Welt, wenn jemand käme ...«
»Oh, mag kommen, wer will!« rief Mrs. Bardell im Liebestaumel. »Ich lasse dich nicht! Oh, du lieber, du guter Mann!« Dabei klammerte sie sich noch fester an ihn.
»Barmherziger Gott!« ächzte Mr. Pickwick und rang aus Leibeskräften, um sich loszumachen. »Ich höre jemand die Treppe heraufkommen. Ich bitte Sie um des Himmels willen, liebe Frau, seien Sie doch nur vernünftig!«
Aber alle Bitten und Vorstellungen blieben fruchtlos, Mrs. Bardell war in Pickwicks Armen in Ohnmacht gefallen, und ehe er noch Zeit finden konnte, sie auf einen Stuhl niederzusetzen, trat Master Bardell ins Zimmer, gefolgt von Mr. Tupman, Mr. Winkle und Mr. Snodgraß.
Mr. Pickwick war wie vom Donner gerührt. Seine liebliche Bürde in den Armen haltend, stand er bestürzt und regungslos da und starrte seine Freunde an, ohne sie zu begrüßen, ja auch nur den geringsten Versuch zu machen, ihnen eine Erklärung zu geben. Die Herren machten große Augen, und Master Bardell glotzte von einem zum andern.
Die Verwirrung Mr. Pickwicks und das Erstaunen seiner Jünger waren so grenzenlos, daß sie wahrscheinlich sämtlich bis zum Wiedererwachen der Lebensgeister der guten Mrs. Bardell regungslos in ihren Stellungen verharrt haben würden, wenn sich nicht die kindliche Zärtlichkeit des Sprößlings der Ohnmächtigen auf eine höchst rührende Weise Luft gemacht hätte. Er war anfangs in seinem Manchesteranzug mit den großen Metallknöpfen erstaunt und ungewiß an der Tür stehengeblieben, aber allmählich erwachte in ihm der Verdacht, Mr. Pickwick könne seiner Mutter ein Leid angetan haben.
Er erhob ein jämmerliches Geschrei, stürzte auf den Unsterblichen los und begann seinen Kücken und seine Beine so empfindlich zu bearbeiten, wie es die Kraft seines kleinen Armes und das Ungestüm seiner Aufregung nur irgend gestatteten.
»So halten Sie doch den Schlingel fest!« rief Mr. Pickwick in seiner Angst. »Er ist ja rein des Teufels!«
»Was gibt es denn eigentlich?« fragten die drei Jünger wie aus einem Munde.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Mr. Pickwick verdrießlich. »Schaffen Sie mir nur den Knaben vom Halse und helfen Sie mir, die Frau die Treppe hinunterzubringen.«
»Ach, ich fühle mich schon wieder besser«, seufzte Mrs. Bardell mit schwacher Stimme.
»Erlauben Sie mir, Sie hinunterzubegleiten«, sagte der stets galante Mr. Tupman.
»Vielen Dank, Sir, vielen Dank«, rief Mrs. Bardell hysterisch und ließ sich mit ihrem zärtlichen Sprößling von Mr. Tupman die Treppe hinabführen.
»Ich kann gar nicht begreifen«, sagte Mr. Pickwick, als sein Freund zurückkehrte, »was mit der Frau eigentlich los ist. Ich hatte ihr kaum meine Absicht angekündigt, mir einen Diener zu halten, als sie geradezu in Paroxismus verfiel und schließlich ohnmächtig wurde. Ein höchst merkwürdiger Fall!«
»Höchst merkwürdig!« riefen die drei Freunde.
»Sie versetzte mich tatsächlich in eine höchst unangenehme Lage«, fuhr Mr. Pickwick fort.
»Höchst unangenehm!« wiederholten die Jünger, hüstelten und warfen sich bedeutsame Blicke zu, die Mr. Pickwick nicht entgingen. Sie mißtrauten ihm offenbar.
»Es wartet ein Mann auf dem Gange«, unterbrach Mr. Tupman endlich das Schweigen.
»Ohne Zweifel der Bediente, von dem ich sprach«, sagte Mr. Pickwick. »Ich habe heute morgen nach ihm geschickt. Würden Sie vielleicht die Güte haben, ihn hereinzurufen, lieber Snodgraß.«
Mr. Snodgraß tat, wie ihm geheißen, und gleich darauf präsentierte sich Mr. Samuel Weller.
»Sie erinnern sich meiner wohl noch?« redete ihn Mr. Pickwick an.
»Sollt’s meinen«, erwiderte Sam mit einem pfiffigen Blinzeln. »Tolle Sache das – damals –, aber er hat Sie umzingelt; weg war er, ehe einer ‘ne Prise nehmen konnte, wie?«
»Lassen wir das jetzt«, fiel Mr. Pickwick hastig ein. »Ich wollte von etwas anderm mit Ihnen reden. Setzen Sie sich.«
»Danke, Sir«, sagte Sam und setzte sich, ohne sich weiter nötigen zu lassen, nachdem er vorher seinen alten weißen Hut auf einen Tisch vor der Tür gelegt hatte. »Er sieht nicht zum besten aus«, bemerkte er dabei mit einem freundlichen Lächeln, »sitzt aber erstaunlich gut und war ‘n hübscher Deckel, ehe er sich von seiner Krempe trennte; jetzt ist er aber um so leichter, was der eine Vorteil is, und dann läßt jedes Loch frische Luft rein, und das ist der zweite.«
»Gut, gut«, sagte Mr. Pickwick, »aber jetzt zu der Sache, wegen der ich Sie habe rufen lassen.«
»Sehr wohl, Sir«, unterbrach ihn Sam, »nur raus damit, wie der Vater zu dem Kinde sagte, als es den Pfennig verschluckt hatte.«
»Vor allen Dingen möchte ich wissen«, fuhr Mr. Pickwick fort, »ob Sie in irgendeiner Hinsicht mit Ihrem gegenwärtigen Posten unzufrieden sind.«
»Bevor ich auf diese Frage antworte«, versetzte Sam, »möcht ich gern wissen, ob Sie mir vielleicht, zu ‘nem bessern verhelfen wollen?«
Ein Strahl gütigen Wohlwollens glänzte auf Mr. Pickwicks Angesicht.
»Ich bin halb und halb entschlossen, Sie selbst in Dienst zu nehmen.«
»So, sind Sie das?« sagte Sam.
Mr. Pickwick nickte bejahend.
»Lohn?« fragte Sam.
»Zwölf Pfund jährlich«, erwiderte Mr. Pickwick.
»Kleidung?«
»Zwei Anzüge.«
»Arbeit?«
»Sie hätten mich zu bedienen und diese Herren hier und mich auf unsern Reisen zu begleiten.«
»Schon daß der Anschlagzettel unten runterkommt«, sagte Sam mit Nachdruck. »Ich bin an ‘nen einzelnen Herrn vermietet und mit die Bedingungen einverstanden.«
»Sie nehmen also die Stelle an?« fragte Mr. Pickwick.
»‘türlich«, erwiderte Sam. »Wenn mir die Livree nur halb so gut paßt wie die Stelle, kann’s gleich losgehen.«
»Sie haben doch ein Zeugnis?«
»Da müssen Sie sich an die Wirtin vom ,Weißen Hirsch’ wenden«, versetzte Sam.
»Könnten Sie noch heute abend den Dienst antreten?«
»Augenblicks stecke ich mich in die Livree, wenn die zur Hand is«, entgegnete Sam äußerst heiter.
»Sprechen Sie heute abend um acht Uhr vor«, sagte Mr. Pickwick, »und wenn meine Erkundigungen nach Wunsch ausfallen, werde ich für eine Livree sogleich Sorge tragen.«
Abgesehen von einem einzigen liebenswürdigen Fehltritt, an dem ein Hausmädchen zu gleichen Teilen die Schuld trug, lautete die Auskunft über Mr. Wellers Aufführung so günstig, daß Mr. Pickwick sich vollkommen beruhigt fühlte und noch am selben Abend den Vertrag abschloß. Mit der Raschheit und Energie, die nicht nur das öffentliche, sondern auch das Privatleben des außerordentlichen Mannes charakterisierte, führte er Sam Weller in eine der Niederlagen, wo alte und neue Männerkleider vorrätig sind und man der lästigen und unbequemen Formalität des Maßnehmens enthoben ist, und noch vor Einbruch der Nacht war Mr. Weller mit einem grauen Rock mit P.-K.-Knöpfen, einem schwarzen Hut mit einer Kokarde, einer fleischfarbigen, gestreiften Weste, lichten Beinkleidern und Gamaschen und sonstigem Zubehör ausstaffiert.
»Bin doch neugierig«, sagte der so plötzlich umgewandelte Mr. Weller, als er am nächsten Morgen den Außensitz der Eatanswiller Postkutsche eingenommen hatte, »ob ich ‘nen Bedienten, ’nen Stallknecht, ‘nen Wildhüter oder einen Portier vorstellen soll. Scheine mir so ’ne Art Ragout von all dem zu sein. Na, macht nichts. Komme auf diese Weise zu ‘ner Luftveränderung, kriege viel zu sehen und habe wenig zu tun, was mir alles prächtig zusagt. Vivat hoch! Die Pickwickier sollen leben!«
Es scheint, als ob die Bewohner von Eatanswill, wie die so mancher andern Kleinstädte, eine außerordentlich hohe Meinung von ihrer Wichtigkeit hatten. Jedermann daselbst schien sich für verpflichtet zu halten, mit Leib und Seele zu einer der beiden großen Parteien des Städtchens, den Blauen und den Gelben, zu gehören. Die Blauen ließen keine Gelegenheit vorübergehen, wo sie den Gelben entgegentreten konnten, wie auch die Gelben jede Gelegenheit ergriffen, mit den Blauen Händel anzufangen. Die Folge davon war, daß es jedesmal zu skandalösen Auftritten kam, wenn die Gelben und Blauen auf dem Rathaus, dem Markte oder bei Versammlungen auf öffentlichen Plätzen zusammentrafen. Bei diesem Mangel an Harmonie wurde jede Angelegenheit in Eatanswill zur Parteifrage. Wenn die Gelben den Vorschlag machten, den Marktplatz mit neuen Laternen zu versehen, so riefen die Blauen zu öffentlichen Versammlungen auf und brachen den Stab über den wahnsinnigen Plan. Wenn die Blauen noch einen Brunnen in der Hauptstraße anlegen wollten, so schrien die Gelben, einer für alle und alle für einen, über Verrücktheit. Es gab blaue Läden und gelbe Läden, blaue Wirtshäuser und gelbe Wirtshäuser; es gab sogar einen blauen Flügel und einen gelben Flügel in den Kirchen.
Natürlich war es ein wesentliches und notwendiges Erfordernis, daß jede dieser gewaltigen Parteien ihr besonderes Organ hatte. Demzufolge gab es in der Stadt zwei Blätter – die »Eatanswill-Gazette« und den »Eatanswill-Independent«. Erstere vertrat die Grundsätze der Blauen, der letztere war ausgesprochen gelb. Beides waren vorzüglich geleitete Blätter. – »Unsere unwürdige Nebenbuhlerin, die ,Gazette’« – »das gemeine und niederträchtige Schmierblatt, der ,Independent’« – »das erbärmliche Machwerk, die ,Gazette’« – solche und andre geistsprühende Ausfälle waren in jeder Nummer zu Dutzenden anzutreffen und riefen bei der einen Hälfte der Bevölkerung die unbändigste Freude, bei der andern die höchste Erbitterung hervor.
Mr. Pickwick hatte vermöge seines gewohnten Scharfsinns und Seherblickes einen besonders günstigen Moment zu seiner Reise nach Eatanswill gewählt. Einen solchen Parteikampf hatte es seit Menschengedenken nicht gegeben. Samuel Slumkey Hochwohlgeboren von Slumkey-Hall war der blaue Kandidat, und Horatio Fizkin Esq. von Fizkin-Lodge bei Eatanswill war von seinen Freunden dazu ausersehen, das Interesse der Gelben zu vertreten. Die »Gazette« stellte den Wählern von Eatanswill vor, daß nicht nur die Augen Englands, sondern der ganzen zivilisierten Welt auf sie gerichtet seien, und der »Independent« verlangte gebieterisch zu wissen, ob die Bürger von Eatanswill wirklich die großen Männer wären, für die sie von jeher gegolten, oder elende sklavische Werkzeuge, die weder den Namen Engländer noch die Segnungen der Freiheit verdienten. Noch nie zuvor fieberte die Stadt in einer solchen Erregung.
Es war spätabends, als Mr. Pickwick und seine Freunde mit Sams Beistand vom Dach der Eatanswiller Postkutsche herabstiegen. Große blaue Seidenfahnen flatterten an den Wänden des Gasthauses »Zum Stadtwappen«, und an jedem Fenster waren ungeheure Papierbogen angeklebt, auf denen mit riesigen Buchstaben geschrieben stand, daß hier das Komitee Samuel Slumkeys Hochwohlgeboren täglich seine Sitzungen abhielt. Eine Menge Gaffer war auf der Straße versammelt und betrachtete einen Mann auf dem Balkon, der sich zugunsten Slumkeys kirschrot und heiser schrie, obgleich die Gewalt seiner Beweisgründe von dem beständigen Gerassel einer großen Trommel, die das Komitee Mr. Fizkins an der Straßenecke aufgestellt hatte, einigermaßen geschwächt wurde. An seiner Seite stand ein geschäftiges kleines Männchen, das von Zeit zu Zeit den Hut abnahm und die Menge zu einem Beifallsgeschrei aufforderte, das dann auch jedesmal mit der größten Begeisterung ertönte, und als der kirschrote Herr sich violett geschrien, schien er seinen Zweck ebensogut erreicht zu haben, als hätte ihn jedermann verstanden.
Die Pickwickier waren kaum abgestiegen, als sie von einem Haufen der »Unabhängigen« umringt und mit dreimaligem donnerndem Hurra empfangen wurden, in das sofort die ganze Volksmenge mit einem furchtbaren Triumphgebrüll einstimmte.
»Noch ein Hurra!« kreischte das Männchen auf dem Balkon, und wieder brüllte die Menge, als wären ihre Lungen aus Gußeisen.
»Slumkey, hoch!« schrien die Unabhängigen.
»Slumkey, hoch!« wiederholte Mr. Pickwick und schwang seinen Hut.
»Nieder mit Fizkin«, schrie der Haufen.
»Nieder mit Fizkin«, rief auch Mr. Pickwick.
Und abermals erhob sich ein Gebrüll wie von einer ganzen Menagerie, wenn der Elefant die Glocke zur kalten Küche gezogen hat.
»Wer ist Slumkey?« flüsterte Mr. Tupman.
»Weiß nicht«, versetzte Mr. Pickwick ebenso leise. »Pst! Fragen Sie nicht. Es ist immer das beste, bei solchen Gelegenheiten zu tun, was der große Haufen tut.«
»Aber angenommen, es sind zwei Haufen«, warf Mr. Snodgraß ein.
»Dann hält man mit dem größeren«, entgegnete Mr. Pickwick.
Ganze Bände hätten nicht mehr sagen können.
Die Herren traten ins Haus. Die Menge bildete Spalier und brüllte. Die erste Frage galt einem Nachtlager.
»Können wir hier Betten haben?« fragte Mr. Pickwick den Kellner.
»Weiß nicht, Sir«, war die Antwort, »fürchte, es ist alles besetzt, Sir; will nachfragen, Sir.«
Der Kellner entfernte sich, kehrte aber augenblicklich wieder zurück und fragte, ob die Herren »Blaue« wären.
Da weder Mr. Pickwick noch seine Gefährten ein besonderes Interesse an dem einen oder dem andern Kandidaten hatten, war die Frage etwas schwer zu beantworten. In diesem Dilemma erinnerte sich Mr. Pickwick an seinen neuen Freund Mr. Perker.
»Kennen Sie einen Herrn namens Perker?« forschte er.
»Allerdings, Sir; Agent für Samuel Slumkey, Hochwohlgeboren.«
»Blau, nicht wahr?«
»Jawohl, Sir.«
»Dann sind wir auch Blaue«, sagte Mr. Pickwick; aber da er bemerkte, daß der Kellner ein mißtrauisches Gesicht machte, gab er ihm seine Karte mit dem Auftrag, sie Mr. Perker sogleich zu überbringen.
Der Kellner entfernte sich und kehrte im Augenblick zurück, bat Mr. Pickwick, ihm zu folgen, und führte ihn in ein großes Zimmer im ersten Stock, wo Mr. Perker an einem langen, mit Büchern und Papieren bedeckten Tische saß.
»Ah, ah, mein werter Herr«, rief der kleine Mann und stand auf. »Sehr erfreut, mein werter Herr, sehr erfreut. Bitte, nehmen Sie Platz. So haben Sie also Ihren Plan ausgeführt? Sie sind hergefahren, um einer Wahl beizuwohnen, nicht wahr?«
Mr. Pickwick bejahte.
»Ein heißer Kampf, mein werter Herr!«
»Ich bin entzückt, das zu hören«, versetzte Mr. Pickwick und rieb sich die Hände. »Ich sehe nichts lieber als Betätigung des Patriotismus, gleichviel, bei welcher Partei! – Ein heißer Kampf also?«
»Freilich, freilich«, antwortete der kleine Anwalt. »Sehr heiß. Wir haben alle Gasthäuser für unsere Partei mit Beschlag belegt und unsern Gegnern nichts als die Bierschenken gelassen, ein vorzüglicher Staatsstreich, mein werter Herr, nicht wahr?« Der Kleine lächelte selbstgefällig und nahm eine tüchtige Prise.
»Und was wird wohl das Ergebnis des Kampfes sein?« fragte Mr. Pickwick.
»Noch zweifelhaft, mein werter Herr; ziemlich zweifelhaft bis jetzt. Fizkins Leute halten dreiunddreißig Wähler im ,Weißen Hirsch’ im Wagenschuppen eingeschlossen.«
»Im Wagenschuppen?« fragte Mr. Pickwick erstaunt.
»Sie haben sie dort eingesperrt, bis sie sie nötig haben. Der Zweck ist, wie Sie sehen, daß wir ihnen nicht beikommen sollen, und selbst wenn wir es könnten, würde es nichts helfen, denn sie haben sie absichtlich betrunken gemacht. Ein tüchtiger Mensch, Fizkins Agent, sehr tüchtig!« Mr. Pickwick schwieg betroffen.
»Und doch haben wir ziemliche Hoffnung«, fuhr Mr. Perker fort und dämpfte seine Stimme bis zum Geflüster. »Wir haben eine kleine Teegesellschaft hier gehabt, gestern abend. – Fünfundvierzig Frauen, mein werter Herr, und wir haben jeder einen grünen Sonnenschirm zum Andenken geschenkt, als sie nach Hause gingen.«
»Einen Sonnenschirm?« fragte Mr. Pickwick.
»Tatsache, mein werter Herr, Tatsache. Fünfundvierzig grüne Sonnenschirme zu sieben Schillingen und sechs Pence das Stück. Alle Frauen lieben den Putz außerordentlich. Sicherte uns ihre Männer, alle, und die Hälfte ihrer Brüder; Strümpfe, Flanell und all das Zeug haben gar keine Wirkung. Meine Idee, mein teurer Herr, ganz allein meine Idee. Ob’s hagelt, regnet oder vor Hitze glüht. Sie können keine zwanzig Schritte auf der Straße gehen, ohne nicht wenigstens einem halben Dutzend grüner Sonnenschirme zu begegnen.«
Der kleine Mann wollte sich ausschütten vor Lachen, als ein schmächtiger Herr mit rotem Haar, das hin und wieder lichte Stellen zeigte, und einer Miene voll feierlicher Wichtigkeit und unergründlicher Gelehrsamkeit eintrat. Er trug einen langen braunen Oberrock, eine schwarze Tuchweste und modefarbige Beinkleider. Ein Augenglas baumelte an seiner Brust, und auf seinem Kopfe balancierte er einen niedrigen Hut mit breiter Krempe. Der neue Ankömmling wurde Mr. Pickwick als Mr. Pott, Herausgeber der »Eatanswill-Gazette«, vorgestellt.
Nach einigen wenigen einleitenden Bemerkungen wandte sich Mr. Pott an Mr. Pickwick und fragte mit feierlichem Tone:
»Der Wahlkampf erregt wohl großes Interesse in der Hauptstadt, Sir?«
»Ich glaube, ja«, antwortete Mr. Pickwick.
»Ich habe Grund zu vermuten«, sagte Mr. Pott und sah Mr. Perker mit Bejahung heischendem Blick an, »ich habe Grund zu vermuten, daß mein Artikel im letzten Samstagblatt einigermaßen dazu beigetragen hat.«
»Ohne Zweifel«, bestätigte der kleine Anwalt.
»Die Presse ist ein gar mächtiger Hebel!« sagte Pott.
Mr. Pickwick war vollständig derselben Ansicht.
»Ich schmeichle mir, Sir«, fuhr Pott fort, »daß ich die ungeheure Gewalt, die mir anvertraut ist, nie mißbraucht habe. Nie habe ich die Waffe, die in meine Hände gelegt ist, gegen den heiligen Busen des Privatlebens oder die persönliche Ehre gekehrt; ich schmeichle mir, mein Herr, daß ich meine Kräfte, so schwach sie auch sein mögen, stets den Prinzipien des – des ...«
Der Herausgeber der »Eatanswill-Gazette« schien sich ein wenig verrannt zu haben, und Mr. Pickwick kam ihm zu Hilfe und sagte: »Ohne Zweifel.«
»Und wie, mein Herr«, sagte Pott, »wie, mein Herr, erlauben Sie mir, die Frage an Sie als einen Unparteiischen zu richten, wie ist die öffentliche Meinung in London über meinen Kampf mit dem ,Independent’?«
»Man ist ohne Zweifel sehr aufgeregt«, fiel Mr. Perker mit einem schlauen Blick ein.
»Der Kampf«, fuhr Pott fort, »soll so lange dauern, als ich Kraft und Leben habe und das bißchen Talent, das mir beschieden, mir innewohnt. Ich will nicht ablassen von dem Kampfe, und mag er die Gemüter so aufregen, daß sie die gewöhnlichen Geschäfte des alltäglichen Lebens darüber vergessen; von diesem Kampfe, sage ich, will ich nicht ablassen, bis ich meine Ferse auf den ,Independent’ von Eatanswill gesetzt habe. Die Bewohnerschaft von London und das ganze englische Volk sollen wissen, daß es auf mich rechnen kann, daß ich sie nicht verlassen werde, daß ich entschlossen bin, ihre Sache zu verfechten bis ans Ende.«
»Das nenne ich Mut, in der Tat, mein Herr«, rief Mr. Pickwick und schüttelte Mr. Pott warm die Hand.
»Sie, mein Herr, sind ein Mann von Scharfsinn und Begabung, das spür ich wohl«, sagte Mr. Pott; er war noch fast atemlos von der Wucht seiner patriotischen Erklärung.
»Und ich«, sagte Mr. Pickwick, »fühle mich durch Ihre Meinungsäußerung hoch geehrt. Erlauben Sie, daß ich Ihnen meine Reisegefährten vorstelle, einige Mitglieder des Klubs, den ich – mit Stolz sage ich es – gegründet habe?«
»Es wird mich unendlich freuen«, antwortete Mr. Pott.
Mr. Pickwick verließ das Zimmer, holte seine drei Freunde und stellte sie in aller Form dem Herausgeber der »Eatanswill-Gazette« vor.
»Nun, mein lieber Pott«, fragte der kleine Mr. Perker, »was machen wir mit unsern Freunden?«
»Wir könnten, dächte ich, hier im Hause bleiben«, meinte Mr. Pickwick.
»Nicht ein Bett mehr, mein werter Herr, nicht ein Bett mehr frei.«
»Sehr ärgerlich«, brummte Mr. Pickwick.
»Außerordentlich«, meinten auch seine Reisegefährten.
»Warten Sie mal« sagte Mr. Pott, »im ,Pfau’ wären noch zwei Betten, und was Mrs. Pott betrifft, so wird es sie gewiß außerordentlich freuen, Mr. Pickwick und einen seiner Freunde bei sich zu beherbergen, wenn die beiden andern Herren und ihr Diener sich, so gut es geht, im ,Pfau’ behelfen wollen.«
Die Einladung wurde dankend angenommen,’ und nach einem gemeinschaftlichen Mahl im »Stadtwappen« schieden die Freunde. Mr. Tupman und Mr. Snodgraß verfügten sich in den »Pfau«, und Mr. Pickwick und Mr. Winkle begaben sich in die Wohnung Mr. Potts, nachdem sie zuvor ausgemacht hatten, sich am nächsten Morgen wieder im »Stadtwappen« zu treffen und den Zug Samuel Slumkeys Hochwohlgeboren auf den Wahlplatz zu begleiten.
Mr. Potts Familie bestand nur aus dem Herausgeber und seiner Ehehälfte.
»Meine Liebe!« stellte Mr. Pott vor. »Meine Frau – Mr. Pickwick aus London.«
Mrs. Pott erwiderte den väterlichen Händedruck des Gelehrten mit bezaubernder Anmut, und Mr. Winkle, der vergessen worden war, machte unbeachtet in einem dunkeln Winkel Kratzfüße auf Kratzfüße.
»P., mein Schatz!« sagte Mrs. Pott.
»Mein Leben?«
»Bitte, stelle mir doch auch den andern Herrn vor.«
»Bitte tausendmal um Verzeihung«, rief Mr. Pott. »Mrs. Pott – Mr. – Mr. –«
»Winkle«, ergänzte Mr. Pickwick.
»Winkle«, wiederholte Mr. Pott, und die Zeremonie war vorüber.
»Wir müssen vielmals um Entschuldigung bitten, Ma’am«, nahm Mr. Pickwick das Wort, »daß wir schon nach einer so kurzen Bekanntschaft eine solche Störung in Ihrem Hauswesen verursachen.«
»Aber ich bitte Sie, meine Herren, ich bitte Sie«, erwiderte der weibliche Pott mit Lebhaftigkeit. »Es ist ein unendlicher Genuß für mich, ich versichere Ihnen, wenn ich wieder neue Gesichter sehe. Ich lebe so von einem Tag zum andern, von einer Woche zur andern in diesem Nest und bekomme niemand zu Gesicht.«
»Niemand, meine Liebe?« fiel Mr. Pott schalkhaft ein.
»Niemand als dich«, entgegnete Mrs. Pott mit Bitterkeit.
»Sie müssen wissen, Mr. Pickwick«, erläuterte der Wirt, »wir sind von einer Menge Vergnügungen ausgeschlossen, an denen wir unter andern Verhältnissen teilnehmen könnten. Meine öffentliche Stellung als Herausgeber der ,Eatanswill-Gazette’, der Ruf, in dem dieses Blatt in der ganzen Gegend steht, mein bewegtes Leben im Strudel der Politik...«
»P., mein Schatz!« unterbrach ihn Mrs. Pott.
»Mein Leben?«
»Du solltest lieber ein Thema zur Sprache bringen, an dem diese Herren auch ein Interesse haben können.«
»Aber, meine Liebe«, entschuldigte sich der Publizist demütig, »Mr. Pickwick nimmt Interesse daran.«
»Desto besser für ihn, wenn er kann«, versetzte Mrs. Pott mit Nachdruck. »Ich meinerseits habe deine ewige Politik herzlich satt, und die Zänkereien mit dem ,Independenten’, und was dergleichen Unsinn mehr ist, widern mich förmlich an. Ich begreife nicht, P., wie du nur deine Albernheiten so auskramen magst.«
»Aber, meine Liebe«, sagte Mr. Pott.
»Ach! Unsinn! Laß mich!« unterbrach ihn Mrs. Pott. »Spielen Sie Ecarte, mein Herr?«
»Ich wäre unendlich glücklich, es unter Ihrer Anweisung zu lernen«, erwiderte Mr. Winkle.
»Pott, stelle das Tischchen hier ans Fenster, damit ich von deiner langweiligen Politik nichts mehr höre!«
»Jane«, rief Mr. Pott dem Mädchen zu, das eben die Lichter brachte, »geh hinunter in mein Studierzimmer und hole mir den Jahrgang von achtzehnhundertachtundzwanzig der ,Gazette’. Ich will Ihnen vorlesen«, wandte er sich an Mr. Pickwick, »was ich damals über den unglaublichen Einfall der Gelben, einen neuen Schlagbaumwärter anzustellen, schrieb. Ich denke, es wird Ihnen gefallen.«
»Ich bin wirklich sehr gespannt«, sagte Mr. Pickwick.
Der Jahrgang wurde gebracht, der Publizist setzte sich, und Mr. Pickwick nahm an seiner Seite Platz.
Wir haben das Tagebuch Mr. Pickwicks vergebens durchblättert, in der Hoffnung, einen Auszug aus jenem Aufsatz zu finden. Wir haben allen Grund zu glauben, daß Mr. Pickwick von dem Feuer und der Frische der Darstellung ganz bezaubert war, und Mr. Winkle erinnerte sich auch, daß des Meisters Augen während der ganzen Dauer der Vorlesung, wahrscheinlich im Übermaße des Genusses, geschlossen waren.
Die Ankündigung, daß das Essen aufgetragen sei, machte sowohl dem Ecarte wie der Rekapitulation der stilistischen Feinheiten der »Eatanswill-Gazette« ein Ende. Mrs. Pott war eitel Entzücken und rosenfarbener Laune. Mr. Winkle hatte reißende Fortschritte in ihrer Gunst gemacht, und sie trug kein Bedenken, ihm im Vertrauen zuzuflüstern, daß Mr. Pickwick ein »charmanter alter Herr« sei, ein Ausdruck, der einen Grad von Familiarität verriet, den sich nur wenige erlaubt haben würden, die mit dem Riesengeiste des Mannes näher bekannt waren. Nichtsdestoweniger haben wir es aufgezeichnet, um dadurch zugleich einen rührenden und überzeugenden Beweis zu geben, wie leicht Mr. Pickwick jedermanns Herz und Neigung zu gewinnen imstande war.
Es war spät in der Nacht, lange, nachdem sich Mr. Tupman und Mr. Snodgraß im hintersten Trakt des »Pfauen« dem Schlafe überlassen hatten, als sich die beiden Freunde zur Ruhe begaben. Mr. Winkle verfiel bald in tiefen Schlaf, aber seine Gefühle und seine Bewunderung waren mächtig erregt, und manche Stunde noch, nachdem ihm der Schlaf die Außenwelt unzugänglich gemacht hatte, umgaukelten ihn das Angesicht und die Gestalt der reizenden Mrs. Pott.
Das Getöse und der Lärm am folgenden Morgen waren hinreichend, um jeden Gedanken, der nicht unmittelbar mit der bevorstehenden Wahl in Verbindung stand, auch dem verzücktesten Träumer aus dem Kopfe zu treiben. Das Rasseln der Trommeln, das Blasen der Hörner und Trompeten, das Schreien der Menschen und das Getrappel der Pferde dröhnten vom ersten Anbruch des Tages durch die Straßen, und Scharmützel zwischen den Plänklern beider Parteien belebten gelegentlich die Szene.
»Nun, Sam«, sagte Mr. Pickwick, als sein Bedienter in das Schlafzimmer trat, »heute ist alles lebendig, denke ich?«
»Reguläres Wettrennen, Sir«, antwortete Mr. Weller. »Unsre Leute halten heute Versammlung drunten im ,Stadtwappen’ und haben sich bereits heiser gejohlt.«
»So?« sagte Mr. Pickwick. »Sie sind wohl ihrer Partei sehr ergeben?«
»Tag meines Lebens, noch keine solche Ergebenheit gesehen, Sir.«
»Jeder stellt seinen Mann. Nicht wahr?«
»Ungemein«, erwiderte Sam. »Hab mein Leben Menschen noch nich so viel essen und trinken sehen. Nimmt mich wunder, daß sie nich platzen.«
»Vermutlich eine übelangebrachte Freigebigkeit der hiesigen Honoratiorenschaft«, meinte Mr. Pickwick.
»Sehr möglich«, erwiderte Sam kurz.
»Frische Gesellen scheinen es zu sein«, bemerkte Mr. Pickwick, einen Blick aus dem Fenster werfend.
»Ungemein frisch«, erwiderte Sam. »Ich und die zwei Kellner im ,Pfau’ hatten die Independenten, wo gestern dort zu Nacht speisten, unter der Pumpe.«
»Die Independentenwähler unter der Pumpe?«
»Tja. Jeder schlief, wo er grade hingefallen war. Wir haben se heute morgen aus dem Dreck gezogen, einen nach dem andern, und sie unter den Brunnen gestellt, alle in schönster Ordnung. Das Komitee hat ‘n Schilling pro Stück gezahlt.«
»Ist es denn möglich!« rief Mr. Pickwick ganz erstaunt.
»Mein Gott, Sir«, sagte Sam, »wo sind Sie denn auf die Welt gekommen, daß Sie so was nich wissen? Das is doch noch gar nischt.«
»Nichts?« fragte Mr. Pickwick.
»Noch gar nichts! Den Abend vor der letzten Wahl haben se das Schenkmädchen im ,Stadtwappen’ bestochen, und die hat ‘n Hokuspokus mit dem Brandy gemacht, wo sie den vierzehn Wählern einschenkte, wo im Hause über Nacht waren und noch nich abgestimmt hatten.«
»Was soll das heißen, einen Hokuspokus mit dem Brandy?« fragte Mr. Pickwick.
»Hat ‘n Schlaftränkchen reingegossen. Hol mich dieser und jener, wenn se nich alle wie die Ratzen schliefen, bis die Wahl schon zwölf Stunden vorüber war. Einen davon haben se auf ’n Schubkarren geladen und ins Stimmhaus gebracht, aber se konnten ‘n nich hoch kriegen und mußten ’n wieder ins Bett bringen.«
»Seltsame Kniffe das«, sagte Mr. Pickwick, halb zu sich selbst, halb zu Sam.
»Noch nich halb so seltsam, Sir, wie die kuriose Geschichte, wo mal bei ‘nem Wahlkampf hier meinem Alten passierte«, versetzte Sam.
»Wieso das?«
»Na, er führte mal jemand her; die Wahlzeit war vor der Tür, und er wurde von der einen Partei bestellt, Wahlmänner von London abzuholen. Den Abend vorher läßt ‘n das Komitee der andern Partei heimlich rufen, und er kommt in ’ne große Stube, vollgepfropft mit Herren, Haufen von Papier, Tinte, Federn und so weiter. ,Ah, Mr. Weller’, sagte der Präsident, ,freue mir, Ihnen zu sehen, Sir; wie befinden Sie sich, Sir?’ – ,Sehr gut, danke Ihnen, Sir’, sagt mein Alter, ,hoffe, Sie sind auch wohlauf.’ – .Recht wohl, danke Ihnen’, sagt der Herr, ,setzen Sie sich, Mr. Weller, bitte setzen Sie sich.’ – Mein Vater setzt sich, und die beiden – er und der alte Herr – glotzen sich an. Rennen Sie mir nicht mehr?’ fragt der Herr – .Wüßte nicht’, meint mein Alter. – .Aber ich kenne Ihnen’, sagt der Herr, ,ich kannte Ihnen schon, wie Sie noch ganz klein waren.’ – .Möglich, aber ich erinnere mir nicht mehr’, sagt mein Vater. – ,Merkwürdig’, sagt der Herr, .Sie müssen ein kurzes Gedächtnis haben, Mr. .’ – ,So besonders ist es freilich nicht’, sagt mein Vater. – ,Glaube ich Ihnen’, sagt der Herr. – Na und dann schenkten sie ihm ‘n Glas Wein ein, redeten mit ihm über sein Fuhrwerk, brachten ihn in gute Laune und zuletzt drückten sie ihn ’ne Zwanzigfundnote in die Hand. – ,Is kein schöner Weg von hier nach London’, sagt der Herr. – ,Lausig!’ sagt mein Alter. – .Besonders am Kanal, glaube ich’, sagt der Herr. – ,Die Strecke ist freilich mehr als mulmig’, sagt mein Vater. – ,Nun, Mr. Weller’, sagt der Herr, ,Sie führen ja doch ‘ne gute Peitsche und können mit ihren Pferden machen, was Sie wollen. Wir halten große Stücke auf Ihnen, Mr. Weller, und wenn Ihnen auf Ihrer Fahrt mit den Wahlmännern ’n kleiner Unfall zustoßen möchte, wenn Sie sie zum Beispiel in den Kanal schmeißen würden, ohne daß einer dabei zu Schaden käme, da würde das Geld Ihnen gehören’, sagt er doch. – ,Meine Herren, Sie sind sehr gütig’, sagt mein Vater ,und ich will mit noch ein Glas Wein Ihre Gesundheit betrinken’, sagt er und tut es auch; dann schaufelt er das Geld ein und macht seinen Kratzfuß. – Sie werden es kaum glauben«, fuhr Sam mit einem unverschämten Blick fort, »daß der Wagen, wie er am andern Tag mit den Wählern da längs kam, an derselben Stelle umschmiß und die Passagiere samt und sonders in den Kanal flogen.«
»Sie kamen aber doch wieder heraus?« fragte Mr. Pickwick hastig.
»N – na«, versetzte Sam gedehnt, »ich glaube, ein alter Herr ist vermißt worden; ich weiß nur, sein Hut kam wieder zum Vorschein, aber ob sein Kopf drin war oder nich, kann ich nich genau sagen. Aber was mir bei dem sonderbaren Zufall am meisten wundert, ist, daß der Herr voraussagte, daß mein Vater am selben Platz und am selben Tag umwerfen würde.«
»Es ist ohne Zweifel ein ganz außerordentlicher Zufall. Aber bürsten Sie meinen Hut aus, Sam, ich höre Mr. Winkle zum Frühstück rufen.« Mr. Pickwick eilte ins Wohnzimmer hinab, wo er das Frühstück aufgetragen und die Familie bereits vollzählig versammelt fand. Das Mahl wurde hastig eingenommen und die Hüte der Herren von den schönen Händen Mrs. Potts mit einem Ungeheuern blauen Bande geziert. Da Mr. Winkle es übernommen hatte, die Dame Pott zu einem Hausgiebel unweit der Rednertribüne zu geleiten, begaben sich Mr. Pickwick und Mr. Pott allein nach dem »Stadtwappen«, zu dessen Hinterfenster hinaus jemand vom Slumkey-Komitee eine Ansprache an sechs kleine Jungen und ein Mädchen hielt, die er bei jedem zweiten Satz mit der imposanten Anrede: »Männer von Eatanswill« beehrte, worauf die erwähnten sechs kleinen Knaben in Beifallsstürme ausbrachen.
Der Hofraum wies unverwechselbare Merkmale des Glanzes und der Macht der Blauen von Eatanswill auf. Eine Armee von Fahnen war da zu sehen, manche nur an einer Stange, manche sogar an zweien; alle trugen passende Losungen in vier Fuß hohen goldenen Buchstaben von entsprechender Breite. Auch für ein großes Orchester war gesorgt; Trompeter, Fagottisten und Trommler, vier Mann hoch, verdienten ihr Geld im Schweiße ihres Angesichts. Besonders die Trommler, die wahre Muskelpakete darstellten. Ein Korps von Schutzleuten mit blauen Knüppeln, zwanzig Komiteemitglieder mit blauen Schärpen sowie ein wüster Haufen von Stimmberechtigten mit blauen Kokarden nebst Wahlmännern zu Fuß und hoch zu Roß waren aufmarschiert; ein offner Wagen mit vier Pferden für Samuel Slumkey Hochwohlgeboren und vier Zweispänner für seine Freunde und Gönner standen bereit. Die Fahnen flatterten, Und das Musikkorps spielte, die Schutzleute fluchten, die zwanzig Komiteemitglieder zankten sich, und die Menge brüllte, die Pferde bäumten sich, und die Postillions schwitzten; kurz, alles war zu Nutz, Frommen, Ehren und Ruhm Samuel Slumkeys Hochwohlgeboren von Slumkey-Hall, des einen Bewerbers um die Vertretung des Fleckens Eatanswill im Unterhaus, auf den Beinen. Laut und lang ertönte das Jubelgeschrei, und gewaltig war das Rauschen einer der blauen Fahnen mit der Inschrift: »Freiheit der Presse«, als die Menge das rothaarige Haupt Mr. Potts am Fenster erblickte, und über alle Beschreibung steigerte sich der Enthusiasmus, als Samuel Slumkey Hochwohlgeboren selbst in Stulpenstiefeln und mit einer blauen Halsbinde sich zeigte, besagten Pott am Henkel faßte und durch melodramatische Pantomimen seine überschwenglichen Dankesgefühle gegenüber der »Eatanswill-Gazette« vor der Menge an den Tag legte. »Ist alles bereit?« fragte Samuel Slumkey Hochwohlgeboren Mr. Perker.
»Alles, mein werter Herr«, war die Antwort des kleinen Mannes.
»Es ist hoffentlich nichts vergessen worden?«
»Nichts, nichts, mein werter Herr, durchaus nichts. Am Hoftor stehen zwanzig Kerle mit frischgewaschnen Fäusten zum Händeschütteln, und sechs Kinder sind bereits auf den Armen ihrer Mütter, um sich auf die Wangen tätscheln und um ihr Alter fragen zu lassen. Geben Sie sich besonders mit den Kindern ab, mein werter Herr; so etwas hat immer eine große Wirkung!«
»Ja, ja, werde ich machen«, erwiderte der hochachtbare Samuel Slumkey.
»Und wenn Sie vielleicht, mein wertgeschätzter Herr«, fuhr der umsichtige kleine Mann fort, »wenn Sie es vielleicht so einrichten können – ich will nicht sagen, daß es unerläßlich ist –, aber wenn Sie es so einrichten könnten, daß Sie eins von den Kindern küssen würden – das würde sicher einen sehr vorteilhaften Eindruck auf die Menge machen.«
»Würde es nicht genausogut wirken, wenn jemand vom Komitee das tun würde?« fragte der hochehrenwerte Samuel Slumkey.
»Ich fürchte, nein«, sagte der Agent. »Wenn Sie selbst es tun würden, mein wertgeschätzter Herr, dann würde Sie das ausgesprochen populär machen, denke ich.«
»Na schön«, sagte der hochehrenwerte Samuel Slumkey mit niedergeschlagener Miene, »dann muß es eben überstanden werden. Nichts zu machen.« Unter dem Jubelgeschrei der versammelten Menge stellten sich das Musikkorps, die Wachleute, das Komitee und die Wahlmänner und die Berittenen und die Wagen in Reih und Glied, und jeder von den Zweispännern wurde mit so viel Herren vollgepfropft, als aufrecht darin Platz hatten; der für Mr. Perker bestimmte war mit Mr. Pickwick, Mr. Tupman, Mr. Snodgraß und ungefähr einem halben Dutzend Komiteemitgliedern bepackt. Es war ein Augenblick ungeheurer Spannung, als der Zug auf Samuel Slumkey Hochwohlgeboren wartete. Plötzlich erscholl ein gewaltiges Jubelgeschrei.
»Er kommt«, rief der kleine Mr. Perker mit einer Aufregung, die um so stärker wirken mußte, als der Zug nicht sehen konnte, was vorging.
Ein zweites, noch stärkeres Jubelgeschrei.
»Er hat den Männern die Hände geschüttelt!«
Ein drittes brausendes Hurra.
»Er hat die Kleinen getätschelt«, rief Mr. Perker, bebend vor Erregung.
Abermaliger Sturm.
»Er hat eins von ihnen geküßt«, schrie das Männchen entzückt.
Wieder ein Gebrüll.
»Er hat noch eins geküßt!«
Ein drittes Gebrüll.
»Er küßt sie alle der Reihe nach!« schrie Mr. Perker begeistert, und unter dem betäubenden Jubelgeschrei der Menge setzte sich der Zug in Bewegung.
Wieso oder auf welche Weise er sich mit dem Zuge der Gegenpartei verwickelte und wie er sich aus der darauf folgenden Verwirrung wieder herausarbeitete, läßt sich nicht . feststellen, da Mr. Pickwick gleich anfangs von einer gelben Fahnenstange der Hut bis ans Kinn über das Gesicht geschlagen wurde. Als der Gelehrte wieder einen Ausblick auf seine Umgebung gewinnen konnte, sah er sich, wie er erzählt, mitten in einer ungeheuren Staubwolke, von grimmigen Gesichtern und wild geballten Fäusten, umringt. Er wurde wie von einer unsichtbaren Gewalt aus dem Wagen gerissen und persönlich in den Kampf verwickelt; aber mit wem oder wie oder wo, ist er nicht imstande zu bestimmen. Schließlich fühlte er sich von der andrängenden Menge auf eine hölzerne Treppe hinaufgeschoben, und als er seinen Hut vom Haupte löste, sah er sich von seinen Freunden umgeben und stand ganz vorn auf der linken Seite der Wahltribüne; die rechte war von den Gelben besetzt und das Zentrum für den Bürgermeister und seine Funktionäre reserviert. Einer der letzteren, der wohlbeleibte Ausrufer von Eatanswill, gebot mit einer ungeheuren Glocke Stillschweigen, während sich Horatio Fizkin Esq. und Samuel Slumkey Hochwohlgeboren, beide die Hand auf dem Herzen, mit äußerster Leutseligkeit gegen die brausende See von Köpfen verbeugten, die vor dem Gerüste wogte und mit Schreien, Jauchzen, Jubeln und Brüllen ein Getöse hervorbrachte, das einem Erdbeben Ehre gemacht haben würde.
»Dort ist Winkle«, sagte Mr. Tupman und zupfte seinen Freund am Ärmel.
»Wo?« fragte Mr. Pickwick, seine Brille hervorziehend, die er glücklicherweise bis dahin in der Tasche behalten hatte.
»Dort«, antwortete Mr. Tupman, »auf dem Dachgiebel drüben.«
Und wirklich saß Mr. Winkle neben Mrs. Pott in der wuchtigen Hohlkehle eines Ziegeldaches ganz behaglich auf einem Stuhl. Sie winkten zum Zeichen des Erkennens mit ihren Taschentüchern, und Mr. Pickwick warf der Dame eine Kußhand zu.
Die Feierlichkeit hatte noch nicht begonnen, und da eine untätige Menge immer zu Spaßen aufgelegt ist, so war diese höchst unschuldige Handlung hinreichend, Anlaß zu rohen Scherzen zu geben.
»Ist das ein alter Sünder!« rief eine Stimme. »Schielt noch nach den Weibern.«
»Ehrwürden Ziegenbock!« meckerte ein anderer.
»Setzt sich noch extra die Brille auf, um nach einer Ehefrau zu schielen.«
»Gib auf deine Frau acht, Pott«, kreischte jemand in hohen Tönen, und ein schallendes Gelächter brach los.
Da diese Spottrufe außerdem von hämischen Vergleichen mit einem alten Bock und andern Witzeleien ähnlicher Art begleitet waren, die ganz dazu angetan schienen, die Ehre einer unschuldigen Dame anzutasten, kannte die Entrüstung des großen Mannes keine Grenzen; da aber im selben Augenblick Stillschweigen geboten wurde, begnügte er sich damit, auf die Menge einen sengenden Blick des Mitleids wegen ihrer mißleiteten Sinnesart zu werfen, was jedoch leider abermals ein furchtbares Gelächter zur Folge hatte.
»Ruhe!« brüllten die Funktionäre.
»Whiffin, gebieten Sie Ruhe«, sagte der Bürgermeister mit der Würde, die seine hohe Stellung erforderte.
Der Ausrufer gab ein zweites Konzert mit seiner Glocke, und ein Mann in der Menge rief: »Frische Semmeln!«, was wiederum ein großes Gelächter erregte.
»Gentlemen«, schrie der Bürgermeister so laut, als es nur immer die Kraft seiner Stimme gestattete. »Gentlemen, Brüder, Wahlmänner der Stadt Eatanswill, wir sind heute hier versammelt, um einen Abgeordneten an Stelle unseres letzten ...«
Abermals gellte eine vorlaute Stimme und rief:
»Hoch der Nagelschmied!«
Diese Anspielung auf das bürgerliche Gewerbe des Sprechers wurde mit einem ungeheuren Beifallsgeschrei aufgenommen, das unter Begleitung der Glockenmusik des öffentlichen Ausrufers den übrigen Teil der Rede, mit Ausnahme des Schlußsatzes, unverständlich machte. In diesem dankte der Bürgermeister der Versammlung für die gespannte Aufmerksamkeit, mit der sie ihn von Anfang bis zu Ende angehört hätte, eine Dankbezeugung, die ein zweites Jubelgeschrei erzeugte, das ungefähr eine Viertelstunde dauerte.
Hierauf bat ein großer hagerer Mann mit einer sehr steifen weißen Halsbinde, nachdem er wiederholt von der Menge aufgefordert worden war, einen Jungen nach Hause zu schicken und fragen zu lassen, ob er seinen Stimmzettel nicht unter dem Kopfkissen habe liegenlassen, die Versammlung um die Erlaubnis, eine taugliche und geeignete Person vorschlagen zu dürfen, die die Volksinteressen im Parlamente zu vertreten hätte, und als er sodann Horatio Fizkin Esq. von Fizkin Lodge bei Eatanswill, genannt hatte, erhoben die Fizkinisten ein beifälliges und die Slumkeyisten ein mißbilligendes Geschrei, das so lange anhielt und so laut war, daß er und sein Adjunkt, statt zu sprechen, ebensogut lustige Lieder hätten singen können, ohne daß es aufgefallen wäre.
Nachdem die Freunde Horatio Fizkins Esq. in ihrem Triumph genügend geschwelgt hatten, trat ein gallsüchtiges Männchen mit einem rötlichgelben Gesicht vor, um eine andre taugliche und geeignete Person vorzuschlagen, die die Wahlbürger von Eatanswill im Unterhaus vertreten könnte. Leider besaß er kein Organ für die heitere Summung der Menge. So kam es, daß er nach ein paar sehr kurzen Proben seiner bilderreichen Beredsamkeit zunächst diejenigen Störenfriede beschimpfte, die in der Menge standen, und dann dazu überging, mit den Herren auf der Tribüne Flegeleien auszutauschen. Dabei entstand ein solcher Lärm, daß er genötigt wurde, seine Gefühle nur noch in bitterernsten Gebärden auszudrücken. Das tat er denn auch und überließ anschließend seinem Assistenten die Szene. Dieser ließ sich nicht weiter beirren, sondern las eine Rede von halbstündiger Dauer bis zum letzten Wort herunter.
Als dann Horatio Fizkin Esq. von Fizkin Lodge bei Eatanswill in höchsteigener Person auftrat, um die Wahlversammlung anzureden und kaum zu sprechen angefangen hatte, fiel die Musikbande, die von Samuel Slumkey Hochwohlgeboren aufgestellt war, mit einer Heftigkeit ein, gegen die ihre Leistungen am Morgen das reinste Kinderspiel waren.
Zur Vergeltung bearbeitete die Partei der Gelben die Köpfe und Rücken der Blauen in einer Weise, die die Blauen zu dem Versuch nötigte, sich von dieser lästigen Nachbarschaft zu befreien. Eine Prügelszene entwickelte sich, die der Bürgermeister nicht billigen zu können glaubte, weshalb er zwölf Schutzleute mit dem strikten Befehl entsandte, die Rädelsführer zu umzingeln, deren Anzahl sich ungefähr auf zweihunderundfünfzig Mann belief. Diese Auftritte versetzten Horatio Fizkin Esq. von Fizkin Lodge und seine Anhänger so in Zorn und Wut, daß schließlich Horatio Fizkin Esq. von Fizkin Lodge in eigner Person um die Erlaubnis bat, seinen Gegner, Samuel Slumkey Hochwohlgeboren von Slumkey-Hall, zu fragen, ob die Musikbande mit seiner Bewilligung spiele – eine Frage, deren Beantwortung Samuel Slumkey Hochwohlgeboren mit einer Entschiedenheit ablehnte, die Horatio Fizkin Esq. von Fizkin Lodge veranlaßte, seinem Gegner mit der Faust zu drohen, was diesen derart reizte, daß er Horatio Fizkin Esq. zum Kampf auf Leben und Tod herausforderte. Auf diese Verletzung aller bekannten Gesetze und jedes Herkommens ordnete der Bürgermeister ein neuerliches Glockenkonzert an und erklärte, er werde sowohl Horatio Fizkin Esq. von Fizkin Lodge als auch Samuel Slumkey Hochwohlgeboren von Slumkey-Hall vor sich bescheiden und den Frieden beschwören lassen. Auf diese furchtbare Androhung legten sich die Rechtsbeistände der beiden Kandidaten ins Mittel, und nachdem sich die Anhänger der zwei Parteien drei Viertelstunden lang herumgezankt hatten, lüftete Horatio Fizkin Esq. seinen Hut gegen Samuel Slumkey Hochwohlgeboren und Samuel Slumkey Hochwohlgeboren den seinigen gegen Horatio Fizkin Esq. Das klingende Spiel hörte auf, die Menge war verhältnismäßig still, und Horatio Fizkin Esq. konnte fortfahren.
Die Reden der beiden Kandidaten, so verschieden sie in jeder Rücksicht waren, ließen den großen Vorzügen und Verdiensten der Wahlbürger von Eatanswill volle Gerechtigkeit widerfahren. Jeder sprach sich dahin aus, daß die Welt noch nie freiere, aufgeklärtere, patriotischere, hochherzigere, uneigennützigere Männer gesehen habe als die Wähler der eignen Partei. Jeder spielte fein darauf an, daß die gegnerischen Wahlmänner an Gehirnerweichung und ähnlichen Schwächen litten, die sie unfähig machten, den wichtigen Pflichten nachzukommen, die ihnen oblägen. Beide sagten, der Handel, die Industrie und der Wohlstand von Eatanswill lägen ihnen mehr am Herzen als irgend etwas auf der Welt, und jeder meinte, mit Zuversicht behaupten zu dürfen, daß er der Erwählte des Tages werden würde.
Hierauf wurde durch Handaufheben auf der Tribüne abgestimmt. Der Bürgermeister entschied zugunsten Samuel Slumkeys Hochwohlgeboren von Slumkey-Hall. Horatio Fizkin Esq. von Fizkin Lodge bestand auf Gegenprobe, die jedoch das Resultat bestätigte. Sodann wurde dem Bürgermeister eine Dankadresse dotiert für sein würdevoll« Benehmen als Vorsitzender.
Die Züge reihten sich wieder aneinander, die Wagen arbeiteten sich langsam durch das Gedränge, und die Menge fluchte und jauchzte ihnen nach, je nachdem es Sinnesart oder Laune eingaben.
Während der ganzen Zeit der Stimmenzählung war die Stadt in fieberischer Aufregung. Alles wurde auf die entgegenkommendste und nobelste Art betrieben. Konsumartikel waren in allen Wirtshäusern merkwürdig wohlfeil, und Sänften standen in allen Straßen für Wähler bereit, die von einem vorübergehenden Schwindel befallen wurden, eine Epidemie, die während des Wahlkampfes unter der sämtlichen stimmfähigen Bürgerschaft in einem höchst beunruhigenden Maße grassierte und unter deren Einwirkung ganze Massen von Menschen besinnungslos auf dem Pflaster umherlagen. Eine kleine Anzahl von Wahlmännern hielt ihre Stimme bis auf den letzten Tag zurück. Es waren das spekulative Köpfe, die sich noch von keiner Partei durch Argumente irgendwelcher Art hatten überzeugen lassen, so häufig sie auch den Zusammenkünften beigewohnt hatten.
Eine Stunde vor Schluß der Zählung bat Mr. Perker um die Ehre einer geheimen Unterredung mit diesen einsichtsvollen, edelgesinnten und patriotischen Männern. Es wurde ihm willfahrt. Seine Argumente waren kurz, aber überzeugend. Die Herren begaben sich in hellen Haufen in den Stimmsaal, und, als sie ihre Namen eingetragen hatten, wurde auch Samuel Slumkey Hochwohlgeboren von Slumkey-Hall als Abgeordneter für Eatanswill eingetragen.
Wie köstlich ist es doch, von den Wirren der Politik wieder zur friedlichen Ruhe des Privatlebens zurückzukehren. Wenn auch nicht erklärter Anhänger der einen oder andern Partei, war Mr. Pickwick doch von der Begeisterung Mr. Potts so weit angesteckt, daß er seine ganze Zeit und Aufmerksamkeit den Wahlvorgängen widmete. Auch Mr. Winkle ging inzwischen nicht müßig und verwandte seine ganze Zeit, auf angenehme Spaziergänge und Ausflüge in die Umgegend mit Mrs. Pott, die sich solche Gelegenheiten, sich von der langweiligen Eintönigkeit zu erholen, nie entgehen ließ. Während so die beiden Herren im Hause Mr. Potts sich vollkommen eingewöhnt hatten, waren die Herren Tupman und Snodgraß fast ganz hinsichtlich der Unterhaltung auf ihre eignen Hilfsquellen angewiesen. Ohne besonderes Interesse für öffentliche Angelegenheiten vertrieben sie sich ihre Zeit mit Ergötzlichkeiten, wie sie der »Pfau« darbot und die auf eine Art italienisches Billard im ersten Stockwerk und eine Kegelbahn im Hinterhause beschränkt waren.
Abends hingegen war das Gastzimmer der Versammlungsort eines geselligen Kreises, dessen Leben und Treiben die beiden Freunde ungemein anzog. Wohl jedermann weiß, was man sich gewöhnlich unter einem Gastzimmer vorzustellen hat. Das im »Pfauen« zeichnete sich nicht wesentlich vor andern aus; es war nämlich ein großes, nackt aussehendes Zimmer, dessen Ameublement ohne Zweifel besser gewesen, als es noch neu war, mit einem großen Tisch in der Mitte und einer Menge Taburetts in den Ecken, einer bedeutenden Menge verschieden geformter Stühle und einem alten türkischen Teppich, dessen Dimensionen zu der Größe des Zimmers ungefähr im selben Verhältnis standen wie etwa ein Damentaschentuch zum Fußboden eines Schilderhäuschens. Die Wände waren mit ein paar großen Landkarten verziert, und in einer Ecke hingen an einer langen Reihe großer hölzerner Nägel verschiedne regengewohnte grobe Überröcke mit doppelten Kragen. Auf dem Kamingesimse stand ein hölzernes Tintenzeug mit einem Federstümpfchen und einer halben Oblate, ein Reisehandbuch und ein Wegweiser, eine Geschichte der Grafschaft ohne Einband und eine präparierte Forelle in einem gläsernen Sarge. Die Atmosphäre war mit Tabakrauch geschwängert, der dem ganzen Zimmer und besonders den staubigen roten Fenstervorhängen seine bräunliche Färbung mitgeteilt hatte. Auf dem Schenktische lagen in malerischer Unordnung eine Menge verschiedenartiger Gerätschaften, von denen einige sehr schmutzige Fischsaucefläschchen, ein paar Reitgerten, zwei bis drei Fuhrmannspeitschen und ebenso viele Reisemäntel, ein Besteckbehälter und ein Senftopf am meisten in die Augen fielen.
Hier saßen am Abend nach Schluß der Wahl Mr. Tupman und Mr. Snodgraß, rauchend und trinkend, nebst einigen andern Gästen.
»Prosit, Gentlemen«, sagte ein stattlicher, gesund aussehender Mann in den Vierzigern mit nur einem, aber sehr glänzendem schwarzen Auge, das nur so von Schelmerei und guter Laune blitzte. »Auf unser eignes Wohl, Gentlemen. Dies ist immer mein Toast, den ich der Gesellschaft vorschlage; auf Marys Wohl trinke ich für mich allein. He, Mary!«
»Aber lassen Sie mich, Sie Schlimmer«, sagte das Schenkmädchen, offenbar durch das Kompliment nicht besonders aufgebracht.
»Lauf nur nicht gleich davon, Mary«, sagte der Schwarzäugige.
»Lassen Sie mich in Frieden, Sie impertinenter Mensch, Sie«, entgegnete die junge Dame.
»Denke nicht daran«, rief der Einäugige dem Mädchen nach, das eben das Zimmer verließ. »Gleich bin ich bei dir, Mary, nur nicht grämen, Kind!« Er zwinkerte dabei mit seinem einen Auge, was einen ältlichen Mann mit einem schmutzigen Gesicht und einer Tonpfeife ungemein ergötzte.
»Kuriose Geschöpfe die Weibsen«, sagte der Mensch mit dem Schmutzgesicht nach einer Pause.
»Oh! Ohne Zweifel«, bestätigte ein Mann mit einer kupferroten Nase hinter seiner Zigarre hervor.
Eine zweite Pause entstand nach diesem philosophischen Aphorismus.
»‘s gibt noch Seltsameres in der Welt als die Weiber, hm«, bemerkte der Mann mit dem schwarzen Auge und stopfte sich langsam seine lange holländische Pfeife.
»Sind wohl nicht verheiratet?« fragte das Schmutzgesicht.
»Kann ich nicht behaupten.«
»Hab mir’s gleich gedacht.« Das Schmutzgesicht lachte laut vor Freude über seinen Scharfsinn, und ein Mann mit einer sanften Stimme und einem friedlichen Gesicht, der offenbar gern jedermanns Ansicht beipflichtete, stimmte in das Lachen ein.
»Die Frauen, meine Herren«, mischte sich enthusiastisch Mr. Snodgraß ins Gespräch, »sind eben doch die Stütze und die Zierde unsres Lebens.«
»Ja, das sind sie«, sagte der friedliche Gentleman.
»Wenn sie gut aufgelegt sind«, bemerkte das Schmutzgesicht.
»Auch wahr«, gab der Friedliche zu.
»Ich muß diese Einschränkung zurückweisen«, sagte Mr. Snodgraß, dessen Gedanken ohne Zweifel bei Emilie Wardle weilten. »Ich weise sie mit Unwillen, mit Entrüstung zurück. Zeigen Sie mir den Mann, der etwas gegen die Frauen als solche hat, und ich behaupte kühn, er ist kein Mann.« Mr. Snodgraß nahm seine Zigarre aus dem Mund und schlug mit geballter Faust auf den Tisch.
»Ein sehr begründetes Argument«, sagte der Friedliche.
»Leugne ich entschieden«, unterbrach ihn das Schmutzgesicht.
»Auch darin liegt sehr viel Wahres«, pflichtete ihm der Friedliche bei.
»Prosit, Sir«, sagte der Reisende mit dem einen Auge und nickte Mr. Snodgraß beifällig zu.
Mr. Snodgraß erhob sein Glas.