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Mit seinem Werk "Die Prinzen von Orleans" stellt Dumas das Haus Orléans vor, vor 1830 Haus Bourbon-Orléans, ein französisches Hochadelsgeschlecht, das während der Julimonarchie von 1830 bis 1848 den König der Franzosen stellte. Begonnen wird mit Philipp, Bruder Ludwigs XIV., erster Herzog v. Orleans (der Verrückte), der 1670 bis 1701 lebte und das Haus Orleans mit seiner Frau Frau Liselotte von der Pfalz gründete. Dumas setzt fort mit Philipp, Herzog v. Chartres, nachher Regent, den Urgroßvater Louis Philipps I. (der Giftmischer), 1674–1723, Louis III. (der Schauspieler), Sohn des Regenten, 1703–1752. Danach Louis Philipp IV., Großvater des Königs der Franzosen (der gelehrte Prahler), 1725–1779; über Philipp Egalité (IV) (das Ungeheuer), bis Louis Philipp I., König der Franzosen (der Freimaurer), 1773–1850. Für Monarchisten in Frankreich und Brasilien ist es bis heute das legitime Königshaus und stellt damit den Thronprätendenten. Eine lehrreiche Unterrichtsstunde der französischen Geschichte.
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Seitenzahl: 463
Alexandre Dumas
Texte: © Copyright by Alexandre Dumas
Umschlag: © Copyright by Walter Brendel
Übersetzer: © Copyright by Dr. Fr. Herrmann
Verlag:
Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag
Gunter Pirntke
Mühlsdorfer Weg 25
01257 Dresden
Die Geschichte ist im Allgemeinen die treue Darstellung der bemerkenswertesten Begebenheiten der Länder; insbesondere enthält dieselbe die wahre Schilderung der Beherrscher der Reiche, und bezweckt als dann, die Wirkung der Leidenschaften, des Ehrgeizes, der Schmeichelei, der Grausamkeit, der falschen Ehre zu zeigen.
In beiden Fällen verkennen wir zuweilen die unerschütterliche Bestimmung der Vorsehung; aber dies darf die Völker nicht entmutigen. Wir wollen jede gottlose Auslegung vermeiden. Das Übel kann nicht ewig sein. Für jedes Volk werden nach den Tagen der Sklaverei Jahrhunderte der Freiheit kommen. Die moralische Welt hätte eine furchtbare Zerrüttung zu erwarten, wenn dem nicht so wäre. Bewahren wir also unsern Muth und zweifeln wir niemals an der Vorsehung, der erhabenen Lenkerin unseres Geschickes. Lassen wir aber neben der Hoffnung die Energie in unsern Seelen hervorwachsen. Die Mutlosigkeit der Völker nährt die Grausamkeit der Tyrannen Ach! Warum muss das Volk, um heilsame Veränderungen zu bewirken, erst sein Blut für dieselben vergießen!
Die Familie Orleans hat einen wichtigen, oft unheilbringenden Einfluss auf das Schicksal Frankreichs ausgeübt: ihr Schritt vor Schritt in ihrer politischen Laufbahn zu folgen, ist ein der Aufmerksamkeit würdiges Studium. Die Arbeit, welche wir dem Publikum hiermit übergeben, enthält ungedruckte Dokumente, neuentdeckte Tatsachen, welche die unbekannt geblieben waren, über die Mitglieder des Hauses, welches jetzt Frankreich, beherrscht, nicht sowohl durch sein moralisches Übergewicht, als in Folge einer Revolution, einer Revolution, welche von den Freunden des Volkes nur als eine Schöpfung der Bourgeoisie betrachtet werden kann.
Ich bin streng aber gerecht gegen diese Familie gewesen, deren Geschichte zu schreiben und mit der überhaupt mich zu beschäftigen, ich mich nur entschlossen habe, um gewisse merkwürdige Tatsachen aufzudecken und zu rügen, auf welche ich die allgemeine Aufmerksamkeit gerichtet zu sehen wünsche. Es war gewiss ein sehr schwieriges Unternehmen; ich hoffe mich desselben zweckgemäß entledigt zu haben. Ich muss einigen dieser Männer den Vorwurf machen, nicht an dem allgemeinen Besten gearbeitet, nicht jedem Mitglieder der großen Familie der Menschheit, Arbeit, Brot, Rechte, Freiheit, Glück zu sichern gestrebt, sich den Eingebungen ihres wahnsinnigen Ehrgeizes hingegeben zu haben; verderbt und ohne Grundsätze gewesen zu sein, das Vaterland in den Tagen des Unglücks verraten und endlich sich tief unter jenen Männern des Herzens stehend gezeigt zu haben, die ihre lange Laufbahn der Sache der Unterdrückten widmeten, jenen hochherzigen Männern, welche von den härtesten Verfolgungen nicht besiegt wurden und die ihre muthigen Hoffnungen niemals verleugneten.
Indem ich so rede, sage ich die Wahrheit nach meinem Gewissen, denn die Geschichte ist Wahrheit Streng ohne Beleidigung, gerecht ohne Schwäche, werde ich weder meine Verachtung des Systems der Tyrannei, das die bedeutendsten Mitglieder dieser Familie befolgt haben, noch meinen Unwillen über ihre n Ränke, um zu dem Throne zu gelangen, zurückhalten. Gegen Berühmtheiten dieser Art muss man unerbittlich sein.
Männer, die von Klugheit unterstützt, mit den Freuden ihrer ersten Triumphe nicht zufrieden, durch List auf einen glänzenden Standpunkt gelangt, durch die Ehrfurcht und ihren Geiz die Demütigung und Erniedrigung ihres Vaterlandes herbeiführen, und das Volk desselben seiner Freiheit berauben, dürfen von der Geschichte nicht geschont, ihr Unglück muss nicht bedauert werden; man muss diejenigen, welche alle unsere Rechte mit Füßen getreten haben, nicht bemitleiden!
Solche Wahrheiten sagen zu müssen ist schmerzlich; man möchte in den Fürsten nicht allein Helden, sondern auch einsichtsvolle Männer sehen; sind es dagegen nur Ehrsüchtige, Wüteriche oder Schwächlinge, so kann man ihr Geschichtsschreiber nicht sein, ohne sie zu brandmarken.
Die Tatsachen kommen diesen Wahrheiten zu Hilfe; sie sind wichtig Der Leser wird nach folgender Darstellung darüber urteilen.
Man findet in dem Leben der Fürsten nur eine bedingte Größe: es ist eine weite Kluft zwischen diesem aristokratischen Trotz und den erhabenen Ansichten der Proletarier unserer Zeit.
Diese Geschichte beginnt also mit der Erinnerung an königliche Erbärmlichkeit. Ludwig XIII. war der Vater des ersten Herzogs von Orleans, des Stammvaters einer Familie, die nach vielen Ränken endlich zum Throne gelangt ist. Dieser Orleans war der Bruder Ludwig XIV. Man ist übereingekommen, diesen Letzteren einen großen König zu nennen. Welcher Irrtum! Er war ein Hochmütiger. Er benutzte das, was Richelieu für das Königtum getan hatte, welches seinen Bemühungen zu Folge unumschränkt und siegreich geworden war, umso mehr als Frankreich durch das Übergewicht seines Geistes schon die Welt beherrschte.
Unterjocht, wurden die Edlen des Landes die Höflinge des Königs, und die Mitschuldigen seiner schändlichen Ausschweifungen. Der Hof Ludwig XIV. war prachtvoll und flößte den Prinzen ein Selbstvertrauen voll Eigendünkel ein.
Die Erziehung, welche Ludwig XIV. und Orleans erhalten hatte, trug nicht wenig dazu bei, eine unglückliche Rivalität unter ihnen zu erwecken. Ludwig XIV., zum Throne bestimmt, empfing auf Befehl Mazarins allen Unterricht, den eine höhere Stellung bedingt. Seine Studien waren für den künftigen katholischen Monarchen berechnet. Man lehrte ihn bei Zeiten:
»Dass ein König aus edlerem Stoffe sei, als andere Menschen,
»dass sein Zweck der Ruhm, sein Mittel die Kraft »sein müsse, dass er allein die ganze Nation repräsentiere.
»dass das Volk nur eine auszubeutende Masse, eine Zusammensetzung »von Gemeinen sei,
dass die Nation
»gänzlich durch die Person des Monarchen vertreten »werde; dass die Untertanen gehorchen müssten, ohne die »Befehle des Königs beurteilen zu wollen,«
Diese Lästerungen und rohen Grundsätze mussten notwendigerweise aus dem Könige einen Tyrannen, aus dem Volke Sklaven machen, man hatte dieselben Ludwig XIV. in zarter Jugend eingeimpft; er hatte sie mit der Milch seiner Mutter eingesogen, die ihn betrachtend, ausrief: »Ich möchte ihn verehren, wie ich ihn liebe.«
Bei dem Studium Ludwig XIV. bemerkte man, dass dessen Verstand dem seines jüngeren Bruders untergeordnet war. Mazarin, durch eine sehr gefährliche Politik geleitet, befahl Lamothe le Bayer, dem Lehrer der Knaben, den jungen Orleans in einer gewissen Unwissenheit zu lassen, damit sein Bruder, zum Herrscher berufen, nicht vor ihm erröten müsse.
»Was denken Sie,« sagte der Kardinal Mazarin zu Lamothe le Bayer, »einen gescheidten Mann aus dem Bruder des Königs zu machen? Wenn er klüger als der König würde, könnte er demselben nicht mehr gehorchen wollen.«
Der Herzog von Orleans verließ also die Studien und ergab sich den Ausschweifungen. Er beschäftigte sich nur mit Erbärmlichkeit und brachte den größten Teil seines Lebens mit liederlichen Frauenzimmern zu. Indessen hatten die Berechnungen seiner niedrigen Politik Mazarin doch betrogen. Orleans fühlte im Heranwachsen auch den Keim jener Unverschämtheit in seinem Innern zunehmen, den die Großen auf ihre Kinder vererben, und war durchaus nicht geneigt, der höheren Stellung seines Bruders zu weichen.
Man findet in den Memoiren aus jener Zeit eine Menge Züge, welche von der Zügellosigkeit des damaligen Hofes und der unfreundlichen Stimmung beider Brüder gegen einander, Folge dieser unvernünftigen Erziehung, Zeugnis ablegen.
»Von Montereau, sagt Laporte, gingen wir nach Corbeil, wo der König verlangte, dass Monsieur (!) in seinem Zimmer schliefe, welches so klein war, dass es nur eben den Durchgang für eine Person gestattete. Eines Morgens nach dem Erwachen spuckte der König, ohne daran zu denken, auf Monsieurs Bett, welcher augenblicklich ganz absichtlich auf das Bett des Königs spuckte, worauf dieser etwas zornig seinem Bruder ins Gesicht spie. Monsieur sprang nun auf das Bett des Königs, und p . . . darauf; der König tat dasselbe auf Monsieurs Bett. Als sie nun nichts mehr zu spucken und zu p. . . hatten, zogen sie einander die Betttücher weg und an dem Fußboden umher, und am Ende kam es zu Schlägen. Ich tat was ich konnte um diesem Handgemenge Einhalt zu tun und den König zu beschwichtigen, da mein Bemühen aber umsonst war, ließ ich Herrn v. Villeroi benachrichtigen, welcher kam, und der Sache ein Ende machte. Monsieur war eher zornig geworden, als der König; aber der König war viel schwerer zu besänftigen, als der Herzog.«
Später — Ludwig XIV. war schon König, — rühmte sich der Herzog v. Orleans damit, dass er an einem Fasttage Fleisch esse; er aß zum Vesperbrot in Gegenwart des Königs von einem Fleischgericht, welches er sich hatte bereiten lassen; der König riss ihm den Teller aus den Händen und goss dabei die Brühe auf das Kleid seines Bruders; Orleans, der sehr eitel war, warf nun dem Könige den Teller ins Gesicht und man war abermals genötigt die Brüder gewaltsam zu trennen. So nahmen ihre schlimmen Neigungen in dem Maße zu, als sie größer und klüger wurden, und ihre Charaktere entwickelten sich immer mehr, ihrer fehlerhaften Erziehung entsprechend. Ludwig XIV. war groß und blond; er hatte eine stolze Haltung, liebte Jagd, Musik und Theater. Der Herzog v. Orleans war klein, untersetzter gemeiner Statur, seine Manieren waren unanständig: er liebte das Spiel, die Maskeraden, schöne Kleider und Wohlleben. Er hatte schwarzes Haar, dichte buschige Braunen und Wimpern, graue Augen, eine große Nase und ein hartes üppiges Organ. Beide waren hochmütig, anmaßend und eigenwillig.
Die Herzöge von Orleans scheinen alle dieselbe Rolle gespielt zu haben und von denselben Begierden beherrscht worden zu sein. Ihre persönliche Feigheit war Ursache, dass sie bei den großen Bewegungen Frankreichs ziemlich unbemerkt geblieben sind; aber ihre Ränke und ihr Durst nach Gewalt haben sie dem Throne nahe gebracht, so oft sie von dem Unglück ihres Vaterlandes Vorteil ziehen zu können glaubten.
Als Ludwig XIV. selbst die Zügel der Regierung ergriff, ließ er seinen Bruder in dem Zustande der Unterordnung, zu dem man ihn erzogen hatte; denn er fügte mit jenem unbeugsamen Hochmuth der Despoten: »— Der Staat bin ich!«
Mazarin war am 9. März 1661 gestorben. Dieser listige, unzüchtige Priester, diese Schlange im Dienste des Königtums, war, aber mit viel kleinlicheren Ansichten, dem Tiger Richelieu gefolgt, der sein Lehrer gewesen war. Beiden Andenken würde geehrter sein, wenn sie sich begnügt hätten, den Adel zu bändigen und zu beherrschen. Aber ihre Politik hatte den Hauptzweck, das Volk für immer zu Leibeigenen der Könige zu machen. Sie hinterließen. Ludwig XIV. ein Reich, welches groß und mutlos, dem Willen des Königs ganz untergeben und immer zur Vergrößerung geeignet war: der Adel war überwunden, das Volk vernichtet, die Geistlichkeit beruhigt, die Bürgerschaft unterworfen. Das Vaterland endlich hatte, obgleich im Innern der Sklaverei geweiht, so eben glorreich einen Krieg beendet, durch welchen das Wohl der Haupt-Staaten Europas erschüttert worden war. Mazarin hatte niemals Richelieu erreicht; er war vielleicht ebenso erfindungsreich, ebenso listig, aber nicht so geeignet, die Menschen zu durchschauen und die Ereignisse vorauszusehen. Richelieu hatte die Macht geliebt, Mazarin liebte das Geld. Er benutzte die Verderbtheit, verkaufte Ämter, sog den Staat aus, veräußerte die Besitzungen desselben. Ohne Gewissensbisse, ohne Sorge für den folgenden Tag, machte dieser Emporkömmling die unerhörtesten Ausgaben. Ihm war das Volk nur eine auszubeutende Masse. Mazarin war ein Dieb, Richelieu ein Verbrecher; aber Beide bereiteten, indem sie für das göttliche Recht und für die unumschränkte Gewalt wirkten, die erhabene und gewaltsame Revolution von 1789 vor.
Mazarin hatte sich der von dem Herzog v. Orleans beabsichtigten Verbindung mit der Schwester des Königs Carl II. von England aus allen Kräften widersetzt. Sobald der Minister tot war, dachte der Herzog von Orleans mit erneutem Ernst an diese Verbindung. Der König und die Königin Mutter rieten ab. Ludwig XIV. hatte in Erwägung der außerordentlichen Magerkeit der Prinzessin Henriette zu seinem Bruder gesagt:
»Übereile Dich nicht, Dich mit Knochen zu befassen!«
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, müssen wir noch hinzufügen, dass sie etwas verwachsen war, doch so unbedeutend, dass der Herzog es erst nach der Vermählung bemerkte. Er hatte sich nur verheiratet, um seine heimlichen Sünden, seine schändlichen Laster zu verdecken. Er überließ sich mit seinem eigenen Bruder und einigen ihm befreundeten Edelleuten, Ausschweifungen, welche die Feder nicht aufzeichnen kann.
Zahllose Ausschweifungen und Zügellosigkeiten befleckten diesen Hof. Obgleich Ludwig XIV. sich Maitressen hielt, unterhielt er auch noch niederträchtige Verbindungen mit schamlosen Männern, Kreaturen des Herzogs von Orleans. Das Privatleben dieser Satrapen, welche die Nation durch ihren Despotismus politisch vernichteten, zu beschreiben, ist unmöglich.
Dieser Ludwig XIV. vereinigte mit seinem unbezähmbaren Hochmuth die niedrigsten, gemeinten und schmutzigsten Laster. Memoiren, welche, für die Verborgenheit bestimmt, dennoch jetzt an das Licht gekommen sind, geben schaudererregende Aufklärungen über diesen entarteten Hof, wo die Frechheit, der Luxus, die Verweichlichung, die Grausamkeit herrschten. Auf dem Mittelpunkte dieses so unzüchtigen, scheinheiligen, treulosen Hofes gingen jene Anordnungen, jene Verträge, Dekrete und Haftbefehle hervor, die das Volk zu Grunde richteten und so vielen unschuldigen Bürgern das Leben raubten. Es sind genug verborgene Verbrechen von Ludwig XIV. bekannt, um denselben für einen verabscheuungswürdigen Tyrannen zu erklären; und dennoch sind diese Verbrechen nichts gegen das Unglück, welches er über Frankreich, ja über ganz Europa gebracht hat; er verwendete zu Geschenken an seine Maitressen mehr, als nötig gewesen wäre, um Künste und Gewerbe der ganzen Nation zu heben, die Arbeit zu organisieren und die allgemeine Wohlfahrt zu sichern. Der tote Buchstabe hat in solchen Fällen eine traurige Beredsamkeit. Nachdem er Bankerott gemacht, und während seiner Regierung mehr als zwanzig Milliarden vergeudet hatte, hinterließ er bei seinem Tode vier Milliarden und fünfhundert Millionen Schulden.
Ludwig XIV. und der Herzog von Orleans umgaben sich also mit gefälligen Niederträchtigen, in deren Gesellschaft sie sich mit Schändlichkeiten bedeckten. Wenn ihr unmoralisches Leben nicht schon bekannt wäre, würde ich dem Leser diese lange unmoralische Laufbahn zeigen, welche das Geschlecht der Orleans so frech durchlief, diese Laufbahn, welche inländische Undankbarkeit und politische Usurpation geschlossen hat.
Unter den Freunden des Herzogs von Orleans, jenen Genossen seiner Laster, zeichnete sich der Chevalier von Lothringen durch seine Verderbtheit, durch seinen Zynismus aus. Mit einer Frechheit ohne Gleichen gab er sich zu den Niederträchtigkeiten des Herzogs — den entsetzlichen Verbrechen her, welche Gott und der Natur Hohn sprachen. In Folge eines Zerwürfnisses in dieser unsauberen Gesellschaft, ließ der König eines Morgens den Chevalier von Lothringen verhaften. Der Herzog von Orleans verlangte ungestüm die Lossprechung seines Lieblings. Die Namen Turenne’s und des Grafen von Marsan, Bruders des Chevaliers sind stark in diese unlautere Geschichte verflochten. Der Chevalier von Lothringen ward nach Rom verbannt. Fräulein von Cootquen, die des Chevaliers, Turenne’s, Orleans und Marsans Maitresse zugleich war, weigerte, sich, dem Chevalier nach Rom zu folgen, blieb in Paris, und die Orgien hatten ihren Fortgang.
Die Herzogin von Orleans hatte dem Zureden des Königs nachgegeben, und diente demselben als Vermittlerin bei ihrem Bruder, dem Könige von England. Vielleicht aus diesem Grunde nährte der Herzog einen außerordentlichen Hass gegen seine Frau. Höchst unzart warf er ihr beständig ihre körperlichen Gebrechen vor, und suchte ihr seine Abneigung durchaus nicht zu verbergen. Unaufhörlich fegte er ihr, dass er hoffe, sie werde bald sterben, indem berühmte Wahrsager ihm prophezeit hätten, dass er noch mehre Frauen haben werde. Er trieb seine Grausamkeit noch weiter, indem er sich hinter den Chevalier von Lothringen steckt, der ihm durch einen provenzalischen Edelmann, Namens Maurel, Gift sandte. Einige behaupten, der Herzog habe, ehe das Verbrechen begangen worden, nichts davon gewusst; sie fügen hinzu, dass der Chevalier, der Zustimmung des Herzogs nur zu gewiss, ihm seinen Plan verheimlicht habe, aus Furcht, er möge einige seiner Freunde zu Vertrauten desselben machen. Ausgemacht ist es, dass Madame an Gift starb.
Das Haus Orleans ist somit Verbrechen und Schändlichkeiten überhäuft, dass man ihm dieses allenfalls erlassen kann.
Saint-Simon sagt Folgendes über dieses Ereignis:
»D’Effiat, der erste Kammerherr Monsieurs, ein dreister, unternehmender Mann, und der Graf von Beuvron, der Hauptmann von des Herzogs Leibwache, ein armer jüngerer Sohn aus der Normandie, der sanft und schmiegsam war, und sich bei Monsieur einschmeicheln wollte und seine Freigebigkeit auszubeuten strebte, um reich zu werden, waren sehr intim mit dem Chevalier von Lothringen, dessen Abwesenheit ihren Absichten sehr nachteilig war, und sie befürchten ließ, dass irgend ein anderer Günstling, der ihnen nicht so förderlich sei, seinen Platz einnehmen könne. Sie hatten wenig Hoffnung, dem Ende der Verbannung entgegen zu sehen und bemerkten, dass Madame anfing, sich mit Politik zu beschäftigen, so dass der König sie sogar eine geheimnisvolle Reise nach England machen, ließ, wo sie gute Geschäfte gemacht hatte, und triumphierender als je zurückgekehrt war. Sie genoss seit 1644 einer vorzüglichen Gesundheit, was noch dazu beitrug, der Verbündeten Hoffnung, auf die Rückkehr des Chevaliers zu schwächen. Dieser zerstreute seinen Unmut in Italien. Welcher von den drei Freunden zuerst daran dachte, weiß ich nicht; aber der Chevalier schickte seinen beiden Freunden ein sicheres und schnell wirkendes Gift, durch einen Expressen, der vielleicht selbst nicht wusste, was er überbrachte.
»Madame war in Saint-Cloud, und trank zur Erfrischung seit einiger Zeit, abends um sieben Uhr ein Glas Cichorienwasser, welches ein Page bereiten musste; er setzte dasselbe nebst einem Glase in einen Schrank in einem von Madames Vorzimmern. Neben dem Cichorienwasser, welches in einem Porzellantopfe war, stand immer noch frisches Trinkwasser für den Fall, dass Madame das Cichorienwasser zu bitter fände. Dieses Vorzimmer musste Jeder, der zu Madame wollte, passieren, doch hielt sich nie Jemand in demselben auf, weil es das erste war. Dieses Alles hatte der Marquis von Effiat ausspioniert.
»Am 29. Juni 1660 fand er den günstigen Augenblick, welchen ersehnend er das Gift beständig bei sich trug; Niemand war im Zimmer und er hatte bemerkt, dass ihm auch Niemand folgte, der etwa zu Madame gewollt hätte. Er drehte sich um, ging zum Schranke, öffnete denselben, warf sein Päckchen hinein und ergriff, als er Jemand kommen hörte, den Topf mit reinem Wasser; der Page, welcher das Geschäft hatte, das Cichorienwasser zu bereiten und in das Zimmer gekommen war, schrie auf, sprang zu ihm, und fragte ihn heftig, was er an diesem Schranke mache?
»D’Effiat sagte ihm, ohne die mindeste Verlegenheit: er sterbe vor Durst und da er wisse, dass da drinnen Wasser sei, habe er der Begierde zu trinken nicht widerstehen können. Der Page brummte zwar noch immer, durfte aber doch, da er den Marquis mit dem Wasser in der Hand getroffen hatte, weiter nichts sagen. Der Marquis entschuldigte sich, trat bei Madame ein, und schwatzte mit den andern Höflingen, ohne die mindeste Bewegung. Was eine Stunde später geschah, gehört nicht zu meiner Erzählung, und hat nur zu viel Aufsehen in ganz Europa gemacht.
Der am folgenden Morgen, den 30. Juni früh um 8 Uhr erfolgte Tod Madames versetzte den König in den tiefsten Schmerz. Wahrscheinlich erfuhr er im Laufe des Tages noch manches auf die Tat. Bezügliche, der Page mochte nicht geschwiegen haben, es mochte bekannt geworden sein, dass Pernon, der erste Haushofmeister Madames, den in seinem Erdgeschoss Herr von Effiat sehr häufig und vertraulich besuchte, um die Sache wusste. Der König stand nochmals auf, als er sich schon niedergelegt hatte, ließ Brissac rufen, der damals unter der königlichen Leibwache und dem Könige sehr dienstbar war, und befahl ihm, sechs sichere und verschwiegene Gardisten zu nehmen, den Haushofmeister zu verhaften und durch eine verborgene Tür in sein Kabinett zu bringen.
»Dieses wurde vor Tagesanbruch ausgeführt. Sobald der König des Gefangenen ansichtig wurde, ließ er Brissac und seinen Kammerdiener sich zurückziehen, nahm eine Schrecken erregende Miene an und sagte mit drohender Stimme, indem er den Verhafteten vom Kopf bis zu den Füßen maß:
»— Hört mich wohl an, mein Freund: wenn Ihr mir Alles gesteht, und Alles was ich wissen will, der Wahrheit getreu beantwortet, so verzeihe Euch alles, was Ihr auch getan haben mögt, und es soll nie wieder die Rede davon sein. Aber hütet Euch, mir das Mindeste zu verheimlichen, denn wenn Ihr das tut, verlasst Ihr diesen Ort nicht lebendig. Ist nicht Madame vergiftet?. . .
»— Ja, Sire, antwortete der Gefragte.
»— Und wer hat sie vergiftet, und wie ist es geschehen?
»Er antwortete, dass der Chevalier von Lothringen an d’Effiat und Beuvron Gift geschickt habe und berichtete, was ich so eben erzählte.
»Nun verdoppelte der König seine Zusicherung der Gnade und die Drohungen mit dem Tode und sagte:
»— Und wusste es mein Bruder?
»— Nein, Sire; — Niemand von uns Dreien würde töricht genug gewesen sein, es ihm zu sagen; er ist nicht verschwiegen, er würde uns unglücklich gemacht haben.
»Bei dieser Antwort stieß der König ein tiefes Ah aus, wie Jemand, der von einer großen Last befreit ist.
»— So, sagte er, das ist Alles, was ich wissen wollte, aber habt Ihr mir auch ganz die Wahrheit gesagt?
»Pernon versicherte es.
»Der König rief nun Brissac und befahl demselben diesen Mann an einem sichern Orte verwahrt zu halten, von wo aus er ihn später in Freiheit setzte. Eben dieser Mann war es, der dieses alles lange nachher Herrn Joly de Fleury erzählte, von dem ich diese Anekdote habe.« —
Dem sei nun wie ihm wolle, Ludwig XIV. ließ diese Vergiftung unbestraft; es scheint als ob andere geheime Eröffnungen ihm bewiesen, dass sein Bruder mit in das Verbrechen verwickelt sei. Für das Volk, dessen Beurteilung meistenteils so richtig ist, blieb das Haus Orleans in der Person Monsieurs gebrandmarkt. Selbst die Nachsichtigsten mussten eingestehen, dass der Prinz, dessen Freunde, um ihm gefällig zu sein, seine Gemahlin vergifteten, ein frecher Bösewicht sei. Also ist dieser Mann von dem Volke, der Geschichte, den Geschichtsschreibern, ja selbst von Denen, die als Hausgenossen seinem Schloss angehörten, in gleichem Grade verachtet. Die Großen waren immer an Verbrechen gewöhnt. Ich weiß, dass ein Ehrgeiziger aus der jetzigen Regierung zu einem Andern gesagt hat:
»— um die höchste Gewalt von Prätendenten zu befreien, um ihr nützlich zu sein, sollte man einen Hauptstreich wagen: man sollte Heinrich V. und den Prinzen Louis Napoleon vergiften!«
Der niederträchtige Talleyrand wagte Napoleon den Vorschlag zu machen, dass er alle Bourbons ermorden lassen möge; er verlangte eine Million für den Kopf. Das war sicherlich viel mehr als sie wert waren.
Louis Philipp von Orleans war sehr zufrieden mit der unglücklichen Todesart seiner Frau. Je weniger lebhaft die Gewissensbisse sind, je mehr wird der erheuchelte Schmerz zur Schau getragen, je mehr bestrebt man sich, denselben glaubhaft zu machen. Das Haus Orleans legte die tiefe Trauer an, aber die Welt wurde durch diesen geheuchelten Schmerz nicht getäuscht.
Übrigens erschien der Herzog kurz darauf wieder am Hofe, wo ihn die Vorwürfe Ludwig XIV. erwarteten.
Von diesem Zeitpunkte an nahmen die Ausschweifungen dieser hohen Personen, immer mehr überhand, indem sie sich gar keine Mühe mehr gaben, ihre Zügellosigkeiten zu verbergen; sie zeigten ihre Laster öffentlich und mit der größten Schamlosigkeit. Ludwig XIV. teilte diese Orgien, und unterhielt zu gleicher Zeit Verbindungen mit einer Menge von Kupplerinnen, die einander bei ihm ablösten, und ihn mit unzähligen Maitressen versorgten.
Mitunter versuchte Ludwig XIV., sogar in seinen Ausschweifungen Despot, die Lebensart seines Bruders und seiner Günstlinge zu regeln; aber die Stimme des Lasters ist wenig geeignet die Ausschweifungen. Anderer zu dämpfen. Der Chevalier von Lothringen, der allgemein als den Haupturheber der Ermordung der Herzogin von Orleans bekannt war, durfte ungestraft an den Hof zurückkehren, und von Neuem mit den Vertrauten Orleans die Berechtigung zu jenen Lastern teilen, die in das Innere aller Paläste drangen.
Endlich warb der Bruder des Königs von Frankreich öffentlich um die Hand der Prinzessin Elisabeth Charlotte von Bayern. Der Pfalzgraf willigte in diese Verbindung; er hoffte Vorteile für sich von derselben. In den höheren Regionen ist alles Berechnung, Egoismus und Gemeinheit.
Die neue Gemahlin des Herzogs von Orleans war eine ziemlich hässliche, aber mit einigem Geiste begabte Person. Die skandalöse Aufführung Monsieurs beunruhigte sie wenig; ihr zum Sarkasmus geneigter Geist hielt sie von der erniedrigenden Berührung Derer fern, mit denen ihr entarteter Gemahl sich entehrte: dieser Geist war herbe, mitleidslos, originell und frei. Sie wurde von keinem Vorurteil beherrscht; obgleich Protestantin, hatte sie lächelnd ihre Religion abgeschworen. Ludwig des XIV. fromme Heuchelei verlangte ihren Übertritt zum Katholizismus. (Jetzt ist man so bedenklich nicht mehr!) Die Prinzess Charlotte sprach sich sehr frei über diesen Umstand aus:
»Bei meiner Ankunft in Frankreich,« sagt die sehr naiv, »schickte man mir drei Bischöfe, die über Religion mit mir reden mussten; ihre Glaubensansichten waren alle verschieden; ich nahm die Quintessenz von ihren Ansichten und bildete mir daraus meine eigne Religion.«1
Wirklich gaben die Streitigkeiten unter der höheren Geistlichkeit der Welt damals einer neuen Ärgerniss, indem sie nicht nur die Ungewißheit aller menschlichen Religionsansichten, sondern auch die Irrgläubigkeit der katholischen Priester bewiesen.
Von seiner ersten Gemahlin hatte der Herzog v. Orleans zwei Töchter gehabt; von Charlotte hatte er noch zwei Kinder: Philipp v. Orleans und Elisabeth Charlotte v. Orleans.
Die Ehegatten trennten sich nach Art vornehmer Leute, indem sie einander gegenseitig volle Freiheit ließen.
Charlotte setzte ihre angefangenen Memoiren fort und ergötzte sich daran, die Niederträchtigkeiten und Laster des Hofes zu kritisieren. Der Herzog v. Orleans hingegen benutzte seine Freiheit, um seine gewohnte Lebensweise fortzusetzen und versenkte sich immer tiefer in die gemeine und verabscheuungswürdige Schwelgerei, zu der er sich unwiderstehlich hingezogen fühlte.
Unterdessen errang Ludwig XIV. durch seine mörderischen und räuberischen Kriegstaten und Erfolge, einen blutigen Ruf, einen verabscheuungswürdigen Ruhm. Was frommt eine Berühmtheit, die durch Verzweiflung und Untergang der Völker erkauft wird? . . . Ludwig XIV. hielt alles, was er versprochen hatte, als er, fünf zehn Jahr alt, es wagte, das Parlament von Paris diese einzige Versammlung, die obgleich schwach und schlaff, noch einigermaßen demokratisch war, aufzuheben. Doch diesem Tyrannen den Prozess zu machen, über den man die Nation zu täuschen versucht hat, ist Sache eines andern Werkes als dieses ist.
Ludwig XIW. saß jetzt vierzehn Jahre auf dem Throne; Frankreich war ungeachtet der unumschränkten Gewalt, unter der es seufzte, die aufgeklärteste und mächtigste Nation in Europa. Aus dem Schoße dieses unterdrückten Volkes waren kräftige Geister entsprossen. Ludwig XIV. hatte durch seine Treulosigkeit und Herrschsucht fast ganz Europa gegen Frankreich bewaffnet. Er erschien 1677 wieder an der Spitze seines Heeres; dieses Mal entriss der Herzog von Orleans sich auf einen Augenblick, dem Schlamme, in welchen er versunken war und begleitete ihn. Der Herzog belagerte Saint-Omer, und ging dann bis Cassel, dem Prinzen von Oranien entgegen. Wenn er Sieger war, so gebührt die alleinige Ehre, davon den Marschällen d’Humières u. v. Luxembourg; dem ungeachtet gewann der Herzog v. Orleans bei diesem Feldzuge einen, wenn auch nur vorübergehenden, militärischen Ruf. Ludwig XIV. war darüber eifersüchtig und der Herzog v. Orleans erschien nie wieder bei der Armee. Er betrübte sich darüber nicht und versank wieder in Untätigkeit und Schwelgerei. Er verbrachte seine Zeit nur mit verworfenen Frauen und Günstlingen, deren Rolle noch abscheulicher war.
Um diesem Orleans einen weniger beschimpfenden Beinamen in der Reihe der Glieder seiner Familie zu geben, könnte man ihn den Baulustigen nennen. Er vergrößerte das Palais-Royal, welches sein Bruder ihm gegeben hatte, und wo jene berüchtigten Orgien stattfanden, deren Vorsitzer dieser abscheuliche Orleans war. Es ist nicht Aufgabe der Geschichte, die näheren Umstände dieser Schändlichkeiten aufzuzählen, welche den Namen Orleans besudelten.
So oft Ludwig XIV. etwas Entehrendes unternehmen wollte, wendete er sich an seinen Bruder. Ihn hatte er beauftragt, seine Bastarde zu vermählen. Er tat noch mehr: er schlug ihm für seinen Sohn eine Verbindung vor, welche die Royalisten im Stillen als entehrend betrachteten. Er bot ihm nämlich Fräulein v, Blois an. Orleans willigte ein; Leute seiner Art sind nicht genau nehmend.
Die Begebenheiten von nun an bis 1693 übergehen wir mit Stillschweigen. Ludwig XIV. hatte sich ganz Europa zum Feinde gemacht. Das Unglück, Frankreichs war vollständig; es fehlte an allen Hilfsmitteln, Geld, Mannschaft, Alles hatte Ludwig XIV. erschöpft. Das allgemeine Elend war so groß, dass das Volk vor Hunger: sterbend, einem Könige der nur auf Befriedigung seines Ehrgeizes bedacht war, den Gehorsam versagte. Das Murren war so allgemein wie das Elend. Ludwig brachte indessen mit erneuten Anstrengungen nochmals eine Armee zusammen. Er setzte sich an ihre Spitze und ließ Orleans zurück, im Besitz jenes dem Vaterlande so unheilbringenden Titels eines General-Lieutenants des Königreichs. Orleans tat nichts, um das Elend seines dem Kriege und der Hungersnot geweihten Volkes zu lindern, als dass er bei einer Reise nach der Bretagne, die er damals unternahm, von seiner Karosse herab etwas kleine Münze unter die Bettler an der Straße warf.
Während der folgenden Jahre hörten das Misstrauen und die Eifersucht zwischen den beiden Brüdern niemals auf. Ludwig XIV. entfernte fortwährend angelegentlich seinen Bruder von allen Geschäften; daraus entstanden mitunter heftige Erklärungen, bei denen es nie ohne gegenseitige Beleidigungen abging. Diese Streitigkeiten nahmen besonders dann einen ernsten Charakter an, wenn der persönliche Vorteil der Orleans im Spiele war. Als zum Beispiel 1701 der König dem Herzog von Chartres eine Befehlshaberstelle verweigert hatte, ging sein Vater zu seinem Bruder und stellte ihn sehr heftig zur Rede; bei dieser Gelegenheit fand ein hitziger Streit zwischen den beiden Brüdern statt.
Einige Zeit darauf forderte der König die unglückliche Herzogin von Chartres auf , sich ihm zu entdecken und da er nun erfuhr, dass die Aufführung des Herzogs von Chartres der seines Vaters gleich war, machte er dem Herzoge v. Orleans einige Vorstellungen über diesen Punkt und sein Bruder antwortete ihm:
»Väter, die ein gewisses Leben geführt haben, finden wenig Gehör bei ihren Kindern, wenn er sie dieselben zurechtweisen wollen.«
Gewiss war der König unmoralisch; zwischen dem Liebhaber des Fräulein v. la Vallière und dem des Chevalier von Lothringen war kein großer Unterschied!.
Ludwig bemerkte, der Herzog v. Chartres möge wenigstens einige Vorsicht beobachten, um seiner Gemahlin seine Laster zu verbergen. Darauf erinnerte Orleans den König daran, dass er die Königin mit seinen Maitressen in einem Wagen habe, reisen lassen. Zuletzt behandelten sie einander gegenseitig, wie sie es verdienten. Endlich kam Monsieur, mit hochroter Stirn und zornerfülltem Herzen in seine Zimmer zurück.
Dessen ungeachtet erschien er bei Tafel und zwang sich, um die Bewegung seines Innern nicht zu verraten, mehr als gewöhnlich zu essen und zu trinken. Darauf begab er sich nach Saint-Cloud.
Denselben Abend nach dem Essen rührte ihn der Schlag. Als der König diese Nachricht erhielt, weigerte er sich, seinen Bruder zu besuchen, und kam erst zu ihm, als er erfuhr, dass er nicht mit dem Leben davonkommen werde. Nun überließ er sich einem geheuchelten Schmerze. Ludwig kam in der Nacht um drei Uhr von Mary nach Saint-Cloud; alle bei dem Kranken angewendete Sorgfalt war erfolglos gewesen. Der Herzog von Orleans lebte indessen noch, als der König ihn verließ, und die Maintenon mitnahm. Als er in den Wagen steigen wollte, nahte sich der Herzog von Chartres, dieser würdige Sohn eines solchen Vaters, jetzt am Sterbebett seines Vaters allein bedacht, seinen Vorteil wahr zu nehmen, warf sich seinem Oheim zu Füßen und rief:
»Mein Vater stirbt; was wird aus mir werden Ich weiß, Sie lieben mich nicht. . . .«
»Sind Sie nicht mein Neffe?« antwortete der Monarch.
Der König nahm sein ganzes Gefolge mit sich hinweg; der Sterbende blieb allein mit seinen Gewissensbissen und seinen Leuten. Seine Konkubinen und seine Günstlinge sogar, beeilt auf andere Weise für sich zu sorgen, hatten ihn verlassen; diese Werkzeuge seiner Gemeinheiten, durch welche er seine schändlichen Leidenschaften befriedigte, hatten es nur auf Geld abgesehen.
So starb der Herzog v. Orleans. Dieser Todesfall betrübte Niemand und erfreute die Freunde des allgemeinen Besten: es war ein Blutegel weniger für das Volk. Dieser Mann hatte die bösen Eigenschaften gewisser Männer, und dazu noch Laster, die nur ihm eigen waren. Er war ein Schwätzer und doch Heuchler, und nur zur Faulheit und Libertinage geneigt.
»Monsieur, sagt Saint-Simon, war zu nichts fähig. Niemand kann schlaffer an Geist und Körper, niemand schwächer, furchtsamer, leichtgläubiger, abhängiger von Andern sein, als er; seine Günstlinge, die ihn, und leider nur zu schlecht, fast gänzlich leiteten, verachteten ihn; ein Poltron und unfähig irgend ein Geheimnis zu bewahren, argwöhnisch, misstrauisch, fasste er Zwietracht an seinem Hofe aus, um zu entzweien, um sich zu belustigen, um in diesem Streit die wahren Gesinnungen zu erforschen, und lästerte mit Allen über Alle. Bei so vielen Fehlern jeder Tugend ermangelnd, besaß er einen abscheulichen Geschmack, den seine Geschenke an die, welche er in sein Herz geschlossen hatte, zu großem, öffentlichem Ärgernis beurkundeten, und der keine Grenzen kannte, weder was Zeit noch Umfang anbetraf. Diejenigen, welche Alles von ihm hatten, Alles durch ihn waren, behandelten ihn meistenteils sehr unverschämt und übertrugen ihm oft sehr entehrende Geschäfte, um die Zänkereien der entsetzlichsten Eifersüchteleien abzuwenden. Alle jene Leute, die wieder ihre Anhänger hatten, machten seinen kleinen Hof zu einem sehr stürmischen; der Bande unweiblicher, mehren teils sehr böser, ja zum Teil mehr als böser, Frauen nicht zu gedenken, mit welchen Monsieur sich belustigend in alle jene Erbärmlichkeit einging.«
Weiterhin fügt derselbe Schriftsteller hinzu, dass Orleans sich durch seinen ungewählten Anzug, durch seine gemeine Haltung und durch seinen Geschmack an Diamanten und sonstigen Schmucksachen, auszeichnete.
Er trug oft zwanzig Ringe zu gleicher Zeit war immer parfümiert und gepudert, und schmückte sich mit Armbändern, die er sich von den Männern oder Frauen, mit denen er in schamlosen Verbindungen stand, hatte schenken lassen.
Ich füge diesen verwerflichen Wahrheiten nichts hinzu. Die Nachkommen dieses erlauchten Stammvaters entsprechen diesen noblen Überlieferungen! In solchem Falle erscheint die Wahrheit übertrieben, so scheußlich ist sie. Dieses Familienhaupt der Orleans mit brandmarkenden Beinamen zu belegen, halte ich für unnötig; es gibt Tatsachen, welche ohne die Wirkungen eines tugendhaften Zornes schon an sich die Verachtung hervorrufen. Die Memoiren der damaligen Zeit beweisen, dass der Name Orleans allein schon eine tödliche Beschimpfung war. Übrigens werde ich in dieser Schilderung, die zu machen meine Absicht ist, nur zu viele Laster aufzuzählen haben. Wenn es peinlich ist, sich mit Verachtung waffnen zu müssen, um soviel Schändlichkeiten zu ergründen, so muss man sich mit dem Gedanken trösten, dass es die Pflicht des freisinnigen Schriftstellers ist, dem Hasse des Volkes seine unversöhnlichen Feinde zu bezeichnen.
Werfen wir jetzt einen Blick auf die ersten Lebensjahre des Herzogs von Chartres, des Neffen Ludwig XIV., der durch den Tod seines Vaters Herzog von Orleans geworden war,
Mehre Edelleute hatten sich mit seiner Erziehung beschäftigt; Einige derselben hatten mit gutem Willen ihr Amt als Lehrer und Erzieher angetreten; die Andern hatten der zynischen Verderbtheit, welche das unselige Erbteil dieser Familie zu sein scheint, gewissenlos geschmeichelt. Zuletzt fiel er dem Kardinal Dubois in die Hände, jenem arglistigen, ausschweifenden Priester, welcher den niedrigen Neigungen seines Zöglings schmeichelnd, seinen eigenen Ruf befleckte. Der Herzog von Orleans, der zu sehr durch seine eignen Ausschweifungen in Anspruch genommen war, um die seines Sohnes zu beachten, oder zu hindern, überließ ihn der verführenden Leitung dieses schamlosen Priesters. Das Leben Dubois ist bekannt. Es ist nur Eine Stimme über diesen Menschen; die Verachtung, welche sein Name einflößt, ist allgemein. Seine Freunde hatten nicht nötig, ihn zu verleumden; sie brauchten nur die Wahrheit zu sagen. Das achtzehnte Jahrhundert war gewiss nicht vorwurfsfrei; es war ein unruhiges, ränkevolles, voll Kämpfe und Anfeindungen; nun wohl! Dieses Jahrhundert klagte Dubois des Zynismus und der Verworfenheit an. Nur die großen Herren verziehen ihm die Laster, deren Wohlbehagen sie mit ihm teilten. Der Abbé Dubois war durch Ränke, Verderbtheit, Lügen und Frechheit dazu gelangt, sich eine Stellung in der Welt zu verschaffen und sich dieselbe vermöge eines durch das Laster ausgebildeten Talentes zu sichern.
Der Herzog von Chartres, den einerseits die Ratschläge dieses Mannes, anderseits das schlechte Vorbild seines Vaters zu den schmutzigsten Ausschweifungen führten, versank vor der Zeit in eine Sittenlosigkeit, die alle üblen Neigungen seiner Familie in ihm entwickelte. Selbst seine Heirat veranlasste keinen Stillstand auf der von ihm betretenen lasterhaften Bahn; er sich nach derselben, wie vorher, mit einer Menge von Höflingen, die sich bemühten, jeden Augenblick neue Ausschweifungen zu ersinnen, um die Neigungen des Prinzen aufzureizen.
An der Spitze dieser niederträchtigen Günstlinge fand Dubois; die Liederlichkeit dankte demselben einige neue Erfindungen, die der Herzog sinnreich fand, und die er nicht ermangelte, sogleich zur Ausführung zu bringen. Nach den Beispielen seines Vaters machte es dem Herzog von Chartres Vergnügen, mit seinen Sünden zu prahlen. Monsieur ließ diesem Gange der Dinge seinen Lauf, mit dem Inneren Wohlbehagen eines völlig verhärteten Mannes, der sich aus dem Laster eine Ehre macht und sich darauf freut, seinen Sohn dieser schamlosen Berühmtheit würdig zu sehen.
Was Madame anbetrifft, so übertrug sie den deutschen Geist in ihre Beurteilungen: sie hatte den Kopf voll poetischer Balladen und phantastischer Erzählungen. Sie sagte, dass sie sich über die Fehler ihres Sohnes nicht wundere, obgleich er Empfänglichkeit genug habe, das Gute zu erkennen; und fügte hinzu, nach ihren Wochen seien eine Menge Feen gekommen und hätten ihren Sohn mit vielen Eigenschaften begabt, aber unglücklicherweise sei eine alte, vergessene Fee zu spät gekommen und habe im Ärger, vernachlässigt worden zu sein, ihn mit einem unseligen Geschicke beladen, welches alle Gaben ihrer Gefährtinnen vernichte.
»So dass,« fügte die abergläubische Prinzessin hinzu, »mein Sohn die Keime aller Tugenden in sich trägt, dieselben aber nicht zur Reife bringen kann; er steht unter dem Zauber der bösen Fee.«
Die Erniedrigung dieses Prinzen ist in einer höheren Sphäre und in vernünftigeren Voraussetzungen zu suchen; man muss sagen, er hatte die Laster seines Vaters geerbt, die er selbst mit dem Blute der Orleans wieder gewissen Nachkommen hinterlassen sollte.
Ungeachtet der Verheißungen Ludwig XIV. wurde der Herzog von Chartres am Hofe übel aufgenommen. Aus Unmut blieb er in seinem Palais, welches schon seit langer Zeit ein übel berüchtigter Ort war. Da ihn die Schwelgereien und Ausschweifungen nicht hinreichend beschäftigten, ergab er sich dem Studium der Chemie und Physik. Bald war er von Scharlatanen umgeben, die nur zu geneigt waren, sich diese neue Grille zu Nutze zu machen. Aber dieser Prinz trieb, ungläubig und ausgelassen wie er war, Alles aufs Äußerte, und beleidigte die Gottheit durch sein Thun und Forschen. Er bekam Lust, mit Hilfe des Teufels zu wirken!. . . Der Unsinnige vergeudete zu diesem Zwecke ungeheure Summen. Später benutzte er seine erlangten chemischen Kenntnisse zur Begehung von Verbrechen!
Der Herzog von Orleans war bemüht, durch sein zügelloses Leben. Aufsehen zu machen; er liebte es, seine Ausschweifungen zu veröffentlichen. Er war es, der die Benennung roué erfand, mit welcher er seine Freunde beehrte, als da waren: der Marquis d’Effiat, der Graf von Simiane, de la Fare, der Vicomte von Polignac, der Abbé von Grancey, der Chevalier von Conflans, der Graf von Clermont u.s.w . . . Dieser Orleans machte sich, den entehrenden Leidenschaften ergeben, eine Ehre daraus, dass das Publikum seinen Namen brandmarkte; er hüllte seine Obszönitäten nicht in den Schleier des Geheimnisses. Seine Schmach öffentlich zu zeigen, schien ihm rühmlich. Die Umgestaltungen seiner Zeit überbietend, ungläubig und zweifelsüchtig, hatte er über Alles falsche Ansichten. Dieser, aller Rechtschaffenheit gänzlich entbehrende Mann glaubte auch nicht an die Rechtlichkeit irgendeines andern Menschen. Die Herzogin von Orleans, die sich im Anfange über die üblen Gewohnheiten und den zügellosen Lebenswandel ihres Gemahls beklagt hatte, scheute sich am Ende selbst nicht, öffentlich mit den Lastern zu prunken, die an den Höfen so gewöhnlich sind.
Im Jahre 1703 entspross dieser Verbindung ein Sohn. Ludwig XIV. setzte dem Neugeborenen eine Pension von 150.000 Livres aus, was die Einnahme der Orleans auf 1.050,000 Livres erhöhte. Die Monarchie hat immer die Genossen ihrer Zügellosigkeiten und ihrer Tyrannei mit dem Eigentum des Volkes bereichert. Da die Geburt eines Sohnes seines Neffen Bedeutung erhöhte, schickte der König denselben zur Armee, wo ihm eine Befehlshaberstelle zugesichert wurde. Kurze Zeit vorher hatte der König der Immoralität seines Neffen Vorschub getan, indem er Mademoiselle Seri, seiner Maitresse, gestattete, sich nach einem Gute, welches ihr Liebhaber ihr geschenkt hatte, Gräfin von Argenton zu nennen. Diese Buhlerin hatte eine große Herrschaft über Orleans zu erringen gewusst, der nicht darüber errötete, dass sie öffentlich den Titel seiner Maitresse annahm. Am Hofe waren einige Personen, die über die Schwäche des Königs murrten, der erst die ehebrecherische Neigung seines Neffen auf eine unmoralische Weise unterstützt und dann demselben eine Armee anvertraut habe.
Wie dem auch sein mochte, Orleans ging zur Armee nach Italien ab. Er belagerte Turin, wo er drei Befehlshaber fand, die nicht einig werden konnten. Er selbst ließ sich von la Feuillade leiten, der ein harter, eigensinniger und unwissender Mann war und seine hohe Stellung unlauteren Quellen verdankte. Er war ein Verwandter des Ministers Chamaillard, eines Vertrauten der Maintenon und Sohn jenes Marschalls, der Ludwig XIV. eine Statue errichtet hatte. Bei gefährlichen Umständen zeigte Orleans eine außerordentliche Feigheit. Er floh vor dem Feinde, ließ seine Mit-Befehlshaber im Stich, und bewies dabei noch eine Kühnheit und einen Stolz, die mehr als unverschämt waren. Er trieb seine Feigheit so weit, dass ein piemontesischer Soldat, plötzlich aus den Reihen tretend, ihn fragte, ob er sich seines Degens bedienen wolle oder nicht? Durch seine Truppen gezwungen, entschied er sich, Marchin zu Hilfe zu ziehen; aber er tat es so schwankend und unbeholfen, dass die Soldaten ihm den Gehorsam verweigerten, und die größte Verwirrung in der Armee entstand. Orleans war wütend und wollte fliehen; mit frechem Tone gab er die Befehle dazu; aber Niemand wich oder wankte. . . Er lief zu den im Felde zerstreuten Truppen; auch sie weigerten sich, das Schlachtfeld zu verlassen. Nun näherte er sich einem Offizier des Regiments Anjou und wollte ihn zwingen, die ihm untergebenen Soldaten zum Rückzuge anzuführen; als auch dieser sich weigerte, zog Orleans seinen Degen und schlug ihn damit ins Gesicht.
Hätte jener Offizier eine solche Beschimpfung nicht auf der Stelle züchtigen sollen?. . .
Endlich wichen die Soldaten von selbst; aber der Mangel gehöriger Anführung und die verschiedenen sich widersprechenden Befehle brachten Verwirrung hervor, die Anarchie tat das Übrige. Orleans weigerte sich, le Guerchois zu Hilfe zu ziehen, welcher an der Spitze seiner Marine-Brigade schon die feindlichen Reihen durchbrochen hatte und Verstärkung bedurfte, um das begonnene Werk zu vollführen. Der Herzog von Orleans berief die Anführer zusammen und erklärte ihnen, dass sie ihr Heil in der Flucht suchen müssten. So gab er das Signal zum Rückzuge. Murrend folgten ihm die französischen Soldaten.
Und dennoch ward Orleans, als er an den Hof zurückkehrte, mit Lobsprüchen wegen seiner im Gefecht bewiesenen Tapferkeit überhäuft und fein Misslingen eine ruhmvolle Niederlage genannt!
Mademoiselle Seri, jetzt Gräfin Argenton, eilte ihrem Geliebten entgegen, welcher zurückkehrte, wie er abgegangen war, der Meinung rechtlicher Leute trotzend und die guten Sitten mit Füßen tretend.
Da der Herzog sah, dass seine Feigheit mit Lorbeeren gekrönt ward, richtete er, um das Ziel der Orleans, sich, selbst während der Tränen der Ihrigen, der Throne zu bemächtigen, nicht zu verfehlen, sein Augenmerk auf Spanien, mit der geheimen ehrgeizigen Absicht, Philipp V. die Krone zu stehlen. Hier der Brief, den er an Frau von Maintenon, die damals allmächtige Favoritin des Königs, schrieb:
»Gnädige Frau!
»Ich würde glauben, gegen die Dankbarkeit, die ich über Ihre Güte empfinde, zu sündigen, so wie gegen das Vertrauen, welches ich der mir von Ihnen versprochenen Freundschaft schuldig bin, wenn ich Ihnen nicht Rechenschaft ablegte von den Schritten, die ich bei dem Könige getan habe, von denen er mit Ihnen ohne Zweifelsprechen wird, und wegen welcher ich um Ihre gütige Verwendung bitte. Ich habe ihn ersucht, in Spanien dienen zu dürfen.
Ich bitte Sie, gnädige Frau, überzeugt zu sein, dass ich bei dieser Gelegenheit weder meine Neigung, noch meine Eigenliebe berücksichtige. Ich halte mich nicht für fähig, Besseres zu leisten, als die, welche bis jetzt dort waren, geleistet haben; aber ich glaube, dass, indem ich als eine Art Geißel für den Schutz des Königs gegen die Spanier betrachtet werden kann, ich vielleicht beitrage, ihren Eifer und ihre Treue gegen ihren König anzufeuern. Ich schmeichle mir wenigstens, weder den Truppen des Königs, meines Oheims, noch denen des Königs von Spanien ein übles Beispiel gegeben zu haben.
Ich glaube, gnädige Frau, dass, da ich Ihnen meine Ansicht über diese Sache vorgestellt habe, ich nichts hinzuzufügen brauche, wie leicht ich mich in die Gesinnungen derer, die in jenem Lande das Vertrauen des Königs besitzen, fügen würde. Ich habe ihm also meinen Wunsch vorgestellt, und er hat mir etwas geantwortet, was mich umso mehr überrascht hat, als ich mich weder für talentvoll, noch für so hochstehend halte, um solche Eifersucht einflößen zu können.
Der König sagte mir mit einer Güte und einem Vertrauen, wovon ich tief gerührt bin, dass er mich völlig fähig zu dem Posten, zu dem ich mich erböte, glaube, dass aber der König von Spanien einigen Argwohn aus meiner Ernennung dazu schöpfen könne.
Sollte es möglich sein, dass einige Jahre mehr dem Könige von Spanien solche Empfindungen eingeflößt hätten, da derselbe doch überzeugt sein kann, dass, der Bande des Bluts gar nicht zu gedenken, meine Ehrfurcht und Anhänglichkeit für den König und ihn, mir einen Ruhm jederzeit teurer als den meinigen machen werden? Machen Sie, gnädige Frau, nach Ihrer vortrefflichen Einsicht Gebrauch von dem, was ich Ihnen soeben in Bezug auf das Gelingen der Sache und die Zufriedenheit des Königs vorgestellt habe. Nur nach Seinem Willen wünsche ich den meinigen zu lenken, und sollte. Er je für gut befinden, mich nach jenem Lande zu schicken, so werde ich, gewohnt, mich der Beweise Ihrer Güte zu erfreuen, überzeugt sein, dass ich auch diese neue Gunst nur Ihnen zu danken habe, und werde dieselbe als die wichtigste, die mir Zeit meines Lebens zu Teil geworden ist, betrachten, weil fiel mir vielleicht die einzige Gelegenheit gibt, mich im Dienste des Königs aufzuopfern, und demselben so die Ehrfurcht, die Dankbarkeit, und wenn ich es auszusprechen wagen darf, die Zärtlichkeit zu beweisen, die ich für seine Person hege.
Ich beschwöre Sie, gnädige Frau, Rücksicht darauf zu nehmen und überzeugt zu sein, dass nichts meine Ehrfurcht und Dankbarkeit für Sie übersteigt und ich mit diesen Gesinnungen lebenslänglich sein werde«.
Die Redensarten, Listen, Schmeicheleien, ja Erniedrigungen fehlten jenen Fürsten nicht, wenn es ihnen darauf ankam, sich einem Throne zu nähern! Sie wussten allen Denjenigen zu schmeicheln, von denen sie Förderung ihrer herrschsüchtigen Pläne erwarteten.
Frau von Maintenon erhielt vom König, was der Ehrgeizige von ihr erbeten hatte. Orleans wurde nach Spanien geschickt, wo der Herzog von Berwick, der die französische Armee kommandierte, ihn mit großer Auszeichnung empfing; er brauchte sich nur vor Bayonne, Valencia und Saragossa zu zeigen, um alle Thore sich öffnen zu sehen. Die Belagerung von Lerida allein verdient erwähnt zu werden. Die Stadt ward von französischen Truppen genommen; diese Truppen bestanden größtenteils aus fremden Abenteurern, die Ludwig XIV. anzuwerben genötigt gewesen war, indem Frankreich, gänzlich erschöpft, nur noch Kinder in den Kampf zu schicken hatte. Der Herzog von Orleans gab die Stadt der Plünderung dieser Mietlinge preis. Bei seiner Rückkehr nach Frankreich ward er wieder mit den Lobsprüchen des Hofes überhäuft, darauf ging er wieder nach Spanien zurück. Aber sein Naturell, einen Augenblick bezähmt, gewann bald die Oberhand; er empörte, den Hof von Madrid durch seine ungezähmte Neigung zu Vergnügungen und Orgien. Bei einem Souper erlaubte er sich sogar sehr schlechte, gemeine Spöttereien über Frau von Maintenon und Frau von Ursins, die Geliebte Philipp V. Diese leichtsinnigen Witzeleien wurden beiden königlichen Buhlerinnen hinterbracht, und sie nährten seitdem einen tiefen Unwillen gegen den Herzog.
In dieser Zwischenzeit kam es an den Tag, dass Orleans die Sache, zu deren Verteidiger er sich aufgeworfen hatte, verratend, den erniedrigenden Vorschlägen des Wiener Hofes ein geneigtes Ohr geliehen hatte. Niemand wunderte sich darüber. Gleichzeitig erfuhr man, dass er sich durch Lord Stanhope, einen Gefährten seines Leichtsinns, überredet, auch durch das Gold Englands hatte verführen lassen. Auch wurde es bekannt, dass er die Absicht habe, sich seiner Gemahlin zu entledigen und die verwitwete Königin von Spanien zu heiraten; das Wort Gift gehörte zu denen, die schon damals den Namen Orleans brandmarkten.
Die Gefechte, welche zwischen den beiderseitigen Truppen stattfanden, waren von geringer Bedeutung. Orleans, wie die andern Prinzen, zogen die Degen nicht; denn die Fürsten halten sich, einem groben Irrtum unterliegend, der die Republiken stand macht, und ihnen Aussichten in die Zukunft gewährt, während der Kämpfe fern von der Gefahr. Wer kann sagen, wie weit Hochmuth und Wahnsinn, wenn sie sich des beschränkten Gehirns der Könige bemächtigt haben, führen können?. . .
Als Orleans nach Madrid zurückkam, sah er sich ernsten Befragungen unterworfen; anscheinend ganz harmlos schwatzend, fühlte man ihm auf den Zahn; man verlangte Rechenschaft über seine Unterhandlungen mit den Feinden. Er war gezwungen, gehasst und verachtet abzureisen. In Madrid ließ er einen seiner Genossen, einen gewandten Spion, namens Renaut, der, indem er für Orleans wirkte, ein solches Ärgernis gab, dass Ludwig XIV., von seinen Schleichwegen in Kenntnis gesetzt, seinem Neffen befahl, Renaut zurückzuberufen. Nun schickte Orleans einen andern seiner Emissaire, Namens Flotte, hin, welcher auf Befehl des Marquis d’Aquilar in dem Augenblicke verhaftet wurde, wo man ihn mit Renaut konfrontierte. Das Gerücht von diesen Ereignissen kam an den französischen Hof und erweckte eine allgemeine Empörung gegen den Namen Orleans. Man hatte Beweise, dass er nach der Krone Spaniens getrachtet und mit England unterhandelt hatte, während er es zu bekriegen schien. Dazu flüsterte man einander noch in die Ohren, dass seine chemischen Kenntnisse ihm förderlich sein würden, sich bald seiner Gemahlin zu entledigen: es wird den Ehrgeizigen leicht, die, welche ihre Pläne durchkreuzen, zu beseitigen. Seine Gemahlin, die zu der Zeit grade schwanger war, bekam eine sehr heftige Kolik, welches den Argwohn verdoppelte.
Spanien schwieg noch immer über die den beiden Agenten des Herzogs abgenommenen geheimen Papiere. Ludwig XIV., der unter vier Augen die Usurpations-Pläne seines Neffen gebilligt hatte, befand sich in großer Verlegenheit; er wagte nicht, ihn zu strafen, was der König von Spanien verlangte, und konnte doch auch dem allgemeinen Geschrei, welches Orleans anklagte, sein Ohr nicht verschließen. Der König versuchte die Sache zu vermitteln, Er schrieb an Philipp V., die Agenten des Herzogs seien Intriganten, die ein unvernünftiger Eifer beseelt habe, die aber nie von seinem Neffen in ihren Absichten ermutigt gewesen wären. Ihre Mitschuldigen im Stiche zu lassen, ist Sitte unter den Großen der Erde. In Frankreich wünschte man allgemein, dass der Herzog wegen seiner Verrätereien zum Tode verurteilt werden möge. Am Hofe verlangten der Herzog von Maine, die Condé’s und der Dauphin selbst, dass der Herzog in Anklagestand versetzt werde. Der König sah sich genötigt, der allgemeinen Entrüstung nachzugeben: der Prozess des Herzogs wurde eingeleitet. Von da an lebte der Prinz, den alles mit Abscheu floh, allein. Um sich über diese verdienten Beschimpfungen zu trösten, überließ er sich den unerhörtesten Ausschweifungen. Sein Palais, von welchem schon seit langer Zeit alle rechtlichen Leute fern geblieben waren, wurde mehr denn je der Sammelplatz der scheußlichsten Laster. Ein einziger Freund, Saint-Simon, war bei dem Herzoge geblieben und suchte ihn den Ränken und Schwelgereien abwendig zu machen. Der Marschall von Bezons unterstützte ihn in diesen Besserungsversuchen. Sie zeigten dem Herzoge den Abgrund, in welchen er versunken war und verhehlten ihm nicht, dass seine unmoralische Verbindung mit Frau von Argenton viel Schuld an seiner Ungnade sei. Saint-Simon, der es zuerst übernommen hatte, freimütig mit ihm zu sprechen, hat es mit eben so viel Geschicklichkeit als Festigkeit. Er verbarg ihm nicht, dass er allgemein verabscheut, dass der entehrte Name seines Hauses gebrandmarkt sei. Er deckte ihm, so zu sagen, seine eignen Pläne und Absichten auf, entwarf ihm ein treues Gemälde seiner Lage; er erinnerte ihn, dass das Gewicht der schwersten Anklagen auf ihm laste, und dass er durch seine eigne Schuld von der Nation und seiner eignen Familie abgesondert dastehe. Der Herzog versuchte sich zu rechtfertigen, und behauptete verleumdet zu sein. Nun kam auch Bezons Saint-Simon zu Hilfe, und nach noch vielen Versuchen dieser Art versprach der Prinz, jenes Weib zu verabschieden, die ihm geholfen hatte, sich zu entehren. Nicht ohne schweren Kampf entschloss er sich zu der Trennung von ihr. Sie zog sich nach der Picardie auf eines seiner Güter zurück, und ließ dem Herzog den Sohn, den sie von ihm hatte. Dieser Sohn machte, getreu den Familien-Traditionen der Orleans, später sein Glück durch Mittel, welche die Rechtschaffenheit verwirft.
Den anstößigen Verhältnissen seiner ehebrecherischen Liebschaft folgte unter ebenso anstößigen Umständen eine Trennung, welche der Herzog nur durch Aufopferung von mehr als zwei Millionen, die er seiner Maitresse gab, erreichte. Dieses Geschöpf verhöhnte vermöge ihres, durch ihre Schande erworbenen Vermögens, die armen, hungernden Töchter aus dem Volke, die lieber das größte Elend erduldeten, als dass sie die Linderung desselben mit Aufopferung ihrer Ehre erkauft hätten. Übrigens hatte ja Ludwig XIV. ein Beispiel solcher glänzenden Versunkenheit gegeben.
Das Opfer, welches der Herzog brachte, beschwichtigte den einmal aufgeregten Zorn der Prinzen von Geblüt nicht. Die Großen zersplittern einen großen Teil ihres Lebens in Streitigkeiten über armselige Angelegenheiten der Etikette, welche doch den Wert eines Menschen nicht zu erhöhen vermag. Orleans hatte den Marschall Bezons seinem Sohn zum Erzieher geben wollen, die Condes darüber eifersüchtig, intrigierten so lange, bis der König es verweigerte.
Der gefährlichen Eitelkeit nachgebend, welche die Fürsten veranlasst, sogenannte diplomatische Verbindungen zu schließen, vermählte Ludwig XIV. Mademoiselle, die Tochter seines Neffen, mit dem Herzog von Berry, dem Sohne des Dauphin.
Sobald die Tochter des Herzogs von Orleans vermählt war, überließ sie sich all’ den Lastern, welche unglücklicherweise fast alle Mitglieder dieser Familie zur Schande geführt haben. Ihre Frivolität, die von keiner Rücksicht der Schamhaftigkeit zurückgehalten ward, machte sie der ganzen Welt zum Abscheu. Monsieur bemühte sich, sie zu trösten, und nun, es ist schrecklich, es aussprechen zu müssen, sah man, wie weit Zügellosigkeit und wütende Leidenschaftlichkeit einen Vater und eine Tochter führen können, die beide gleich schuldig, beide gleich verderbt sind! Entsetzen! Der Herzog von Orleans wurde einer schändlichen Liebschaft mit feiner eignen Tochter an geklagt; und wie, um dieser schrecklichen Beschuldigung mehr Gewicht zu geben, starb der Dauphin, der hauptsächlich darauf gedrungen hatte, Monsieur zu entfernen, plötzlich an einem unbekannten Übel!. . . Das Publikum schrie über Vergiftung und klagte Orleans derselben an . . . Unmittelbar nach diesem traurigen Todesfalle begann der Herzog und seine Tochter ein zügelloseres Leben als je zuvor. Täglich neue Orgien im Palais Royal, wo die schamloseste Frechheit präsidierte; der Vater umarmte seine Tochter in Gegenwart seiner schändlichen Genossen, als wäre sie ein Freudenmädchen.
Diese Ausschweifungen überstiegen. Alles, was man bis dahin gesehen hatte und bereiteten jene Zeit der Liederlichkeit vor, welche die Blätter der Geschichte besudelt und ein schändendes Brandmal auf die Stirnen der Großen drückt!
Zu derselben Zeit fing der Herzog von Orleans mit glühendem Eifer das Studium der Chemie wieder an; er legte sich besonders auf die Bereitung der aller feinsten Gifte. Mehre von den auffallendsten Umständen begleitete, traurige Todesfälle, die sich in jener Zeit ereigneten, veranlassten die schwersten Anklagen gegen ihn. Die Herzogin von Burgund, der Dauphin und der Herzog von Bretagne starben und Niemand zweifelte mehr daran, dass der Herzog von Orleans der Vergifter sei. Mehre Freunde des Königshauses sprachen davon, ihn zu töten, denn es war nicht zu bezweifeln, dass es auf die königliche Familie abgesehen war. Ludwig XIV. wagte diesen unheimlichen Gerüchten, die den Sohn seines Bruders als Verbrecher bezeichneten, keinen Glauben beizumessen. Indessen hatte der Herzog von Maine sich erboten, zu beweisen, dass Orleans dieser Verbrechen schuldig sei. Frau von Maintenon war seiner Meinung; endlich, nach den Gutachten der Ärzte und einigen geheimen Unterredungen mit gewissen Personen, teilte der König die allgemeine Ansicht. Dessen ungeachtet wusste Orleans sich der menschlichen Gerechtigkeit zu entziehen aber der Verachtung des Volkes konnte er nicht entgehen welches laut schrie, dass der Herzog von Orleans der würdige Sohn seines Vaters sei, bei welcher Gelegenheit es an den Tod von dessen erster Gemahlin erinnerte. An dem Tage der Beerdigung des Dauphins und seiner Gemahlin, wurde der Herzog von Orleans öffentlich insultiert und sein Leben bedroht. Man kennt wenige Namen, die so verabscheut wären, als dieser!