Die Räuber - Friedrich Schiller - E-Book

Die Räuber E-Book

Friedrich Schiller

0,0

Beschreibung

Schillers bekanntestes Drama über die Rivalität eines Brüderpaares, das unterschiedlicher nicht sein könnte: Der ältere Sohn wird von seinem Vater geliebt, ist intelligent und studiert. Sein eifersüchtiger Bruder hingegen fühlte sich schon immer benachteiligt und versucht, an das Erbe des Vaters heranzukommen, indem er Lügen über seinen Bruder erzählt. Als der Vater daraufhin seinen eigentlichen Lieblingssohn enterbt, schließt sich dieser einer Räuberbande an und sein Leben nimmt eine dramatische Wende.-

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 213

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Friedrich Schiller

Die Räuber

Ein Schauspiel. 1781.

Saga

Die RäuberCopyright © 1781, 2019 Friedrich Schiller und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726373110

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

Quae medicamenta non sanant, ferrum sanat, quae ferrum non sanat, ignis sanat.

Hippokrates.

Vorrede.

Man nehme dieses Schauspiel für nichts anders als eine dramatische Geschichte, die die Vorteile der dramatischen Methode, die Seele gleichsam bei ihren geheimsten Operationen zu ertappen, benutzt, ohne sich übrigens in die Schranken eines Theaterstücks einzuzäunen, oder nach dem so zweifelhaften Gewinn bei theatralischer Verkörperung zu geizen. Man wird mir einräumen, dass es eine widersinnige Zumutung ist, binnen drei Stunden drei ausserordentliche Menschen zu erschöpfen, deren Tätigkeit von vielleicht tausend Räderchen abhänget, so wie es in der Natur der Dinge unmöglich kann gegründet sein, dass sich drei ausserordentliche Menschen auch dem durchdringendsten Geisterkenner innerhalb vierundzwanzig Stunden entblössen. Hier war Fülle ineinander gedrungener Realitäten vorhanden, die ich unmöglich in die allzu engen Palissaden des Aristoteles und Batteux einkeilen konnte.

Nun ist es aber nicht sowohl die Masse meines Schauspiels, als vielmehr sein Inhalt, der es von der Bühne verbannet. Die Ökonomie desselben machte es notwendig, dass mancher Charakter auftreten musste, der das feinere Gefühl der Tugend beleidigt und die Zärtlichkeit unserer Sitten empört. Jeder Menschenmaler ist in diese Notwendigkeit gesetzt, wenn er anders eine Kopie der wirklichen Welt, und keine idealischen Affektationen, keine Kompendienmenschen will geliefert haben. Es ist einmal so die Mode in der Welt, dass die Guten durch die Bösen schattiert werden und die Tugend im Kontrast mit dem Laster das lebendigste Kolorit erhält. Wer sich den Zweck vorgezeichnet hat, das Laster zu stürzen und Religion, Moral und bürgerliche Gesetze an ihren Feinden zu rächen, ein solcher muss das Laster in seiner nackten Abscheulichkeit enthüllen und in seiner kolossalischen Grösse vor das Auge der Menschheit stellen, — er selbst muss augenblicklich seine nächtlichen Labyrinthe durchwandern, — er muss sich in Empfindungen hineinzuzwingen wissen, unter deren Widernatürlichkeit sich seine Seele sträubt.

Das Laster wird hier mitsamt seinem ganzen innern Räderwerk entfaltet. Es löst in Franz all die verworrenen Schauer des Gewissens in ohnmächtige Abstraktionen auf, skelettisiert die richtende Empfindung und scherzt die ernsthafte Stimme der Religion hinweg. Wer es einmal so weit gebracht hat (ein Ruhm, den wir ihm nicht beneiden), seinen Verstand auf Unkosten seines Herzens zu verfeinern, dem ist das Heiligste nicht heilig mehr — dem ist die Menschheit, die Gottheit nichts — beide Welten sind nichts in seinen Augen. Ich habe versucht, von einem Missmenschen dieser Art ein treffendes, lebendiges Konterfei hinzuwerfen, die vollständige Mechanik seines Lastersystems auseinanderzugliedern — und ihre Kraft an der Wahrheit zu prüfen. Man unterrichte sich demnach im Verfolg dieser Geschichte, wie weit ihr’s gelungen hat. — Ich denke, ich habe die Natur getroffen.

Nächst an diesem stehet ein anderer, der vielleicht nicht wenige meiner Leser in Verlegenheit setzen möchte. Ein Geist, den das äusserste Laster nur reizet um der Grösse willen, die ihm anhänget; um der Kraft willen, die es erheischet; um der Gefahren willen, die es begleiten. Ein merkwürdiger, wichtiger Mensch, ausgestattet mit aller Kraft, nach der Richtung, die diese bekömmt, notwendig entweder ein Brutus oder ein Catilina zu werden. Unglückliche Konjunkturen entscheiden für das Zweite, und erst am Ende einer ungeheuren Verirrung gelangt er zu dem Ersten. Falsche Begriffe von Tätigkeit und Einfluss, Fülle von Kraft, die alle Gesetze übersprudelt, mussten sich natürlicherweise an bürgerlichen Verhältnissen zerschlagen, und zu diesen enthusiastischen Träumen von Grösse und Wirksamkeit durfte sich nur eine Bitterkeit gegen die unidealische Welt gesellen, so war der seltsame Don Quichotte fertig, den wir im Räuber Moor verabscheuen und lieben, bewundern und bedauern. Ich werde es hoffentlich nicht erst anmerken dürfen, dass ich dieses Gemälde so wenig nur allein Räubern vorhalte, als die Satire des Spaniers nur allein Ritter geisselt.

Auch ist jetzt der grosse Geschmack, seinen Witz auf Kosten der Religion spielen zu lassen, dass man beinahe für kein Genie mehr passiert, wenn man nicht seinen gottlosen Satyr auf ihren heiligsten Wahrheiten sich herumtummeln lässt. Die edle Einfalt der Schrift muss sich in alltäglichen Affembleen von den sogenannten witzigen Köpfen misshandeln und ins Lächerliche verzerren Taffen; denn was ist so heilig und ernsthaft, das, wenn man es falsch verdreht, nicht belacht werden kann? — Ich kann hoffen, dass ich der Religion und der wahren Moral keine gemeine Rache verschafft habe, wenn ich diese mutwilligen Schriftverächter in der Person meiner schändlichsten Räuber dem Abscheu der Welt überliefere.

Aber noch mehr. Diese unmoralischen Charaktere, von denen vorhin gesprochen wurde, mussten von gewissen Seiten glänzen, ja oft von seiten des Geistes gewinnen, was sie von seiten des Herzens verlieren. Hierin habe ich nur die Natur gleichsam wörtlich abgeschrieben. Jedem, auch dem Lasterhaftesten, ist gewissermassen der Stempel des göttlichen Ebenbildes aufgedrückt, und vielleicht hat der grosse Bösewicht keinen so weiten Weg zum grossen Rechtschaffenen, als der kleine; denn die Moralität hält gleichen Gang mit den Kräften, und je weiter die Fähigkeit, desto weiter und ungeheurer ihre Verirrung, desto imputabler ihre Verfälschung.

Klopstocks Adramelech weckt in uns eine Empfindung, worin Bewunderung in Abscheu schmilzt. Miltons Satan folgen wir mit schauderndem Erstaunen durch das unwegsame Chaos. Die Medea der alten Dramatiker bleibt bei all ihren Greueln noch ein grosses, staunenswürdiges Weib, und Shakespeares Richard hat so gewiss am Leser einen Bewunderer, als er auch ihn hassen würde, wenn er ihm vor der Sonne stünde. Wenn es mir darum zu tun ist, ganze Menschen hinzustellen, so muss ich auch ihre Vollkommenheiten mitnehmen, die auch dem Böseften nie ganz fehlen. Wenn ich vor dem Tiger gewarnt haben will, jo darf ich seine schöne blendende Fleckenhaut nicht übergehen, damit man nicht den Tiger beim Tiger vermisse. Auch ist ein Mensch, der ganz Bosheit ist, schlechterdings kein Gegenstand der Kunst und äussert eine zurückstossende Kraft, statt dass er die Aufmerksamkeit der Leser fesseln sollte. Man würde umblättern, wenn er redet. Eine edle Seele erträgt so wenig anhaltende moralische Dissonanzen, als das Ohr das Gekritzel eines Messers auf Glas.

Aber eben darum will ich selbst missraten haben, dieses mein Schauspiel auf der Bühne zu wagen. Es gehört beiderseits, beim Dichter und seinem Leser, schon ein gewisser Gehalt von Geisteskraft dazu: bei jenem, dass er das Laster nicht ziere, bei diesem, dass er sich nicht von einer schönen Seite bestechen lasse, auch den hässlichen Grund zu schätzen. Meinerseits entscheide ein Dritter — aber von meinen Lesern bin ich es nicht ganz versichert. Der Pöbel, worunter ich keineswegs die Gassenkehrer allein will verstanden wissen, der Pöbel wurzelt (unter uns gesagt) weitum und gibt zum Unglück — den Ton an. Zu kurzsichtig, mein Ganzes auszureichen, zu kleingeistisch, mein. Grosses zu begreifen, zu boshaft, mein Gutes wissen zu wollen, wird er, fürcht’ ich, fast meine Absicht vereiteln, wird vielleicht eine Apologie des Lasters, das ich stürze, darin zu finden meinen und seine eigene Einfalt den armen Dichter entgelten lassen, dem man gemeiniglich alles, nur nicht Gerechtigkeit widerfahren lässt.

Es ist das ewige Da capo mit Abdera und Demokrit, und unsere guten Hippokrate müssten ganze Plantagen Nieswurz erschöpfen, wenn sie dem Unwesen durch ein heilsames Dekokt abhelfen wollten. Noch so viele Freunde der Wahrheit mögen zusammenstehen, ihren Mitbürgern auf Kanzel und Schaubühne Schule zu halten, der Pöbel hört nie auf, Pöbel zu sein, und wenn Sonne und Mond sich wandeln und Himmel und Erde veralten wie ein Kleid. Vielleicht hätt’ ich, den Schwachherzigen zu Frommen, der Natur minder getreu sein sollen; aber wenn jener Käfer, den wir alle kennen, auch den Mist aus den Perlen stört, wenn man Exempel hat, dass Feuer verbrannt und Wasser ersäuft habe, soll darum Perle — Feuer — und Wasser konfisziert werden?

Ich darf meiner Schrift, zufolge ihrer merkwürdigen Katastrophe, mit Recht einen Platz unter den moralischen Büchern versprechen; das Laster nimmt den Ausgang, der seiner würdig ist. Der Verirrte tritt wieder in das Geleise der Gefesse. Die Tugend geht siegend davon. Wer nur so billig gegen mich handelt, mich ganz zu lesen, mich verstehen zu wollen, von dem kann ich erwarten, dass er — nicht den Dichter bewundere, aber den rechtschaffenen Mann in mir hochschässe.

Geschrieben in der Ostermesse 1781.

Der Herausgeber.

Personen.

Maximilian,

regierender Graf von Moor.

Karl,

seine Göhne.

Franz,

seine Göhne.

Amalia von Edelreich.

Spielgelberg,

Libertiner, nachher Vanditen.

Schweizer,

Libertiner, nachher Vanditen.

Grimm,

Libertiner, nachher Vanditen.

Razmann,

Libertiner, nachher Vanditen.

Schufterle,

Libertiner, nachher Vanditen.

Roller,

Libertiner, nachher Vanditen.

Rosinsky,

Libertiner, nachher Vanditen.

Schwarz,

Libertiner, nachher Vanditen.

Hermann,

Bastard von einem Edelmann.

Daniel, Hausknecht des Grafen von Moor.

Pastor Moser.

Ein Pater.

Räuberbande.

Nebenpersonen.

Der Ort der Geschichte ist Deutschland. Die Zeit ungefähr zwei Jahre.

–––––––

Erster Akt.

Erste Szene.

Franten.

Saal im Moorschen Schloss.

Franz. Der alte Moor.

Franz. Aber ist Euch auch wohl, Vater? Ihr seht to blass.

D. a. Moor. Ganz wohl, mein Sohn, — was hattest du mir zu sagen?

Franz. Die Post ist angekommen — ein Brief von unserm Korrespondenten in Leipzig —

D. a. Moor (begierig). Nachrichten von meinem Sohne Karl?

Franz. Hm! Hm! — So ist es. Aber ich fürchte — ich weiss nicht — ob ich — Eurer Gesundheit? — Ist Euch wirklich ganz wohl, mein Vater?

D. a. Moor. Wie dem Fisch im Wasser! Von meinem Sohne schreibt er? — Wie kommst du zu dieser Besorgnis? Du hast mich zweimal gefragt.

Franz. Wenn Ihr krank seid — nur die leiseste Ahnung habt, es zu werden, so lasst mich — ich will zu gelegnerer Zeit zu Euch reden. (Halb vor sich.) Diese Zeitung ist nicht für einen zerbrechlichen Körper.

D. a. Moor. Gott! Gott! was werd’ ich hören?

Franz. Lasst mich vorerst auf die Seite gehn und eine Träne des Mitleids vergiessen um meinen verlornen Bruder — ich sollte schweigen auf ewig — denn er ist Euer Sohn; ich sollte seine Schande verhüllen auf ewig — denn er ist mein Bruder. — Aber Euch gehorchen, ist meine erste, traurige Pflicht — darum vergebt mir.

D. a. Moor. O Karl! Karl! wüsstest du, wie deine Aufführung das Vaterherz foltert! wie eine einzige frohe Nachricht von dir meinem Leben zehn Jahre zusessen würde — mich zum Jüngling machen würde — da mich nun jede, ach! — einen Schritt näher ans Grab rückt!

Franz. Ist es das, alter Mann, so lebt wohl — wir alle würden noch heute die Haare ausraufen über Eurem Sarge.

D. a. Moor. Bleib’! — Es ist noch um den kleinen kurzen Schritt zu tun — lass ihm seinen Willen! (Indem er sich niedersetzt.) Die Sünden seiner Väter werden heimgesucht im dritten und vierten Glied — lass ihn’s vollenden.

Franz (nimmt den Brief aus der Tasche). Ihr kennt unsern Korrespondenten! Seht! den Finger meiner rechten Hand wollt’ ich drum geben, dürft’ ich sagen, er ist ein Lügner, ein schwarzer, giftiger Lügner — — Fasst Euch! Ihr vergebt mir, wenn ich Euch den Brief nicht selbst lesen lasse. — Noch dürft Ihr nicht alles hören.

D. a. Moor. Alles, alles — mein Sohn, du ersparst mir die Krücke.

Franz (liest). ,,Leipzig, vom 1sten Mai. — Ver-„bände mich nicht eine unverbrüchliche Zusage, Dir „auch nicht das geringste zu verhehlen, was ich von ,,den Schicksalen Deines Bruders auffangen kann, „liebster Freund, nimmermehr würde meine un-„schuldige Feder an Dir zur Tyrannin geworden sein. „Ich kann aus hundert Briefen von Dir abnehmen, „wie Nachrichten dieser Art Dein brüderliches Herz ,,durchbohren müssen; mir ist’s, als säh’ ich Dich schon „um den Nichtswürdigen, den Abscheulichen“ — — (Der alte Moor verbirgt sein Gesicht.) Seht, Vater! ich lese Euch nur das glimpflichste — „den Abscheulichen in „tausend Tränen ergossen“; — Ach, sie flossen — stürzten stromweis von dieser mitleidigen Wange — ,,mir ist’s, als säh’ ich schon Deinen alten, frommen ,,Vater totenbleich“ — Jesus Maria! Ihr seid’s, eh’ Ihr noch das mindeste wisset?

D. a. Moor. Weiter! Weiter!

Franz. — „totenbleich in seinen Stuhl zurück „taumeln und dem Tage fluchen, an dem ihm zum „erstenmal Vater entgegengestammelt ward. Man „hat mir nicht alles entdecken mögen, und von dem „wenigen, das ich weiss, erfährst Du nur weniges. „Dein Bruder scheint nun das Mass seiner Schande „gefüllt zu haben; ich wenigstens kenne nichts über ,,dem, was er wirklich erreicht hat, wenn nicht sein „Genie das meinige hierin übersteigt. Gestern um „Mitternacht hatte er den grossen Entschluss, nach „vierzigtausend Dukaten Schulden“ — ein hübsches Taschengeld, Vater — „nachdem er zuvor die Tochter „eines reichen Bankiers alhier entjungfert und ihren „Galan, einen braven Jungen von Stand, im Duell „auf den Tod verwundet, mit sieben andern, die er mit „in sein Luderleben gezogen, dem Arm der Justiz zu „entlaufen.“ — Vater! Um Gotteswillen! Vater, wie wird Euch?

D. a. Moor. Es ist genug. Lass ab, mein Sohn!

Franz. Ich schone Eurer — „Man hat ihm Steckbriefe nachgeschickt, die Beleidigten schreien laut um „Genugtuung, ein Preis ist auf seinen Kopf gesetzt — „der Name Moor“ — Nein! meine armen Lippen sollen nimmermehr einen Vater ermorden! (Berreisst den Brief.) Glaubt es nicht, Vater! glaubt ihm keine Silbe!

D. a. Moor(weint bitterlich). Mein Name! Mein ehrlicher Name!

Franz (fällt ihm um den Hals). Schändlicher, dreimal schändlicher Karl! Ahnete mir’s nicht, da er, noch ein Knabe, den Mädels so nachschlenderte, mit Gassenjungen und elendem Gesindel auf Wiesen und Bergen sich herumhetzte, den Anblick der Kirche, wie ein Missetäter das Gefängnis, floh und die Pfennige, die er Euch abquälte, dem ersten, dem besten Bettler in den Hut warf, während dass wir daheim mit frommen Gebeten und heiligen Predigtbüchern uns erbauten? — Ahnete mir’s nicht, da er die Abenteuer des Julius Cäsar und Alexander Magnus und anderer stockfinsterer Heiden lieber las, als die Geschichte des bussfertigen Tobias? — Hundertmal hab’ ich’s Euch geweisjagt, denn meine Liebe zu ihm war immer in den Schranken der kindlichen Pflicht — der Junge wird uns alle noch in Elend und Schande stürzen! — O, dass er Moors Namen nicht trüge! dass mein Herz nicht so warm für ihn schlüge! Die gottlose Liebe, die ich nicht vertilgen kann, wird mich noch einmal vor Gottes Richterstuhl anklagen.

D. a. Moor. Oh — meine Aussichten! Meine goldenen Träume!

Franz. Das weiss ich wohl. Das ist es ja, was ich eben sagte. Der feurige Geist, der in dem Buben lodert, sagtet ihr immer, der ihn für jeden Reiz von Grösse und Schönheit so empfindlich macht, — diese Offenheit, die seine Seele auf dem Auge spiegelt, — diese Weichheit des Gefühls, die ihn bei jedem Leiden in weinende Sympathie dahinschmelzt, — dieser männliche Mut, der ihn auf den Wipfel hundertjähriger Eichen treibet und über Gräben und Palisaden und reissende Flüsse jagt, — dieser kindische Ehrgeiz, dieser unüberwindliche Starrsinn und alle diese schönen glänzenden Tugenden, die im Vatersöhnchen keimten, werden ihn dereinst zu einem warmen Freund eines Freundes, zu einem trefflichen Bürger, zu einem Helden, zu einem grossen, grossen Manne machen. — Seht Ihr’s nun, Vater! der feurige Geist hat sich entwickelt, ausgebreitet, herrliche Früchte hat er getragen. Seht diese Offenheit, wie hübsch sie sich zur Frechheit herumgedreht hat! Seht diese Weichheit, wie zärtlich sie für Koketten girret, wie so empfindsam für die Reize einer Phryne! Seht dieses feurige Genie, wie es das Öl seines Lebens in sechs Jährchen so rein weggebrannt hat, dass er bei lebendigem Leibe umgeht, und da kommen die Leute und sind so unverschämt und sagen: c’est l’amour qui a fait ça! Ah! seht doch diesen kühnen, unternehmenden Kopf, wie er Plane schmiedet und ausführt, vor denen die Heldentaten eines Sartouches und Howards verschwinden! — Und wenn erst diese prächtigen Keime zur vollen Reife erwachsen — was lässt sich auch von einem so zarten Alter Voltommenes erwarten? — Vielleicht, Vater, erlebet Ihr noch die Freude, ihn an der Fronte eines Heeres zu erblicken, das in der heiligen Stille der Wälder residieret und dem müden Wanderer seine Reise um die Hälfte seiner Bürde erleichtert — vielleicht könnt Ihr noch, eh’ Ihr zu Grabe geht, eine Wallfahrt nach seinem Monumente tun, das er sich zwischen Himmel und Erden errichtet — vielleicht, o Vater, Vater, Vater — seht Euch nach einem andern Namen um, sonst deuten Krämer und Gassenjungen mit Fingern auf Euch, die Euren Herrn Sohn auf dem Leipziger Marktplatz im Porträt gesehen haben.

D. a. Moor. Und auch du, mein Franz, auch du? O meine Kinder! wie sie nach meinem Herzen zielen!

Franz. Ihr seht, ich kann auch witzig sein, aber mein Witz ist Skorpionstich. — Und dann der trockne Alltagsmensch, der kalte, hölzerne Franz, und wie die Titelchen alle heissen mögen, die Euch der Kontrast zwischen ihm und mir mocht’ eingegeben haben, wenn er Euch auf dem Schosse sass oder in die Backen zwickte — der wird einmal zwischen seinen Grenzsteinen sterben und modern und vergessen werden, wenn der Ruhm dieses Universalkopfs von einem Pole zum andern fliegt. — Ha! mit gefaltnen Händen dankt dir, O Himmel! der kalte, trockne, hölzerne Franz — dass er nicht ist wie dieser!

D. a. Moor. Vergib mir, mein Kind; zürne nicht auf einen Vater, der sich in seinen Planen betrogen findet. Der Gott, der mir durch Karl Tränen zusendet, wird sie durch dich, mein Franz, aus meinen Augen wischen.

Franz. Ja, Vater, aus Euren Augen soll er sie wischen. Euer Franz wird sein Leben dran setzen, das Eurige zu verlängern. Euer Leben ist das Orakel, das ich vor allem zu Rate ziehe über dem, was ich tun will; der Spiegel, durch den ich alles betrachte — keine Pflicht ist mir so heilig, die ich nicht zu brechen bereit bin, wenn’s um Euer kostbares Leben zu tun ist. — Ihr glaubt mir das?

D. a. Moor. Du hast noch grosse Pflichten auf dir, mein Sohn — Gott segne dich für das, was du mir warst und sein wirst!

Franz. Nun sagt mir einmal — wenn Ihr diesen Sohn nicht den Euren nennen müsstet, Ihr wär’t ein glücklicher Mann?

D. a. Moor. Stille! o stille! Da ihn die Wehmutter mir brachte, hub ich ihn gen Himmel und rief: Bin ich nicht ein glücklicher Mann?

Franz. Das sagtet Ihr. Nun, habt Ihr’s gefunden? Ihr beneidet den schlechtesten Eurer Bauern, dass er nicht Vater ist zu diesem — Ihr habt Kummer, so lang’ Ihr diesen Sohn habt. Dieser Kummer wird wachsen mit Karl. Dieser Kummer wird Euer Leben untergraben.

D. a. Moor. Oh! er hat mich zu einem achtzigjährigen Manne gemacht.

Franz. Nun also — wenn Ihr dieses Sohnes Euch entäussertet?

D. a. Moor.(auffahrend). Franz! Franz! was sagst du?

Franz. Ist es nicht diese Liebe zu ihm, die Euch all den Gram macht? Ohne diese Liebe ist er für Euch nicht da. Ohne diese strafbare, diese verdammliche Liebe ist er Euch gestorben — ist er Euch nie geboren. Nicht Fleisch und Blut, das Herz macht uns zu Vätern und Söhnen. Liebt Ihr ihn nicht mehr, so ist diese Abart auch Euer Sohn nicht mehr, und wär’ er aus Eurem Fleische geschnitten. Er ist Euer Augapfel gewesen bisher; nun aber, ärgert dich dein Auge, sagt die Schrift, so reiss’ es aus. Es ist besser, einäugig gen Himmel, als mit zwei Augen in die Hölle. Es ist besser, kinderlos gen Himmel, als wenn beide, Vater und Sohn, in die Hölle fahren. So spricht die Gottheit.

D. a. Moor. Du willst, ich soll meinen Sohn verfluchen?

Franz. Nicht doch! nicht doch! — Euren Sohn sollt Ihr nicht verfluchen. Was heisst Ihr Euren Sohn? — dem Ihr das Leben gegeben habt, wenn er sich auch alle ersinnliche Mühe gibt, das Eurige zu verkürzen?

D. a. Moor. Oh, das ist allzu wahr! das ist ein Gericht über mich. Der Herr hat’s ihm geheissen.

Franz. Seht Ihr’s, wie kindlich Euer Busenkind an Euch handelt? Durch Eure väterliche Teilnehmung erwürgt er Euch, mordet Euch durch Eure Liebe, hat Euer Vaterherz selbst bestochen, Euch den Garaus zu machen. Seid Ihr einmal nicht mehr, so ist er Herr Eurer Güter, König seiner Triebe. Der Damm ist weg, und der Strom seiner Lüste kann jesst freier dahinbrausen. Denkt Euch einmal an seine Stelle! Wie oft muss er den Vater unter die Erde wünschen — wie oft den Bruder — die ihm im Lauf seiner Exzesse so unbarmherzig im Weg stehen? Ist das aber Liebe gegen Liebe? Ist das kindliche Dankbarkeit gegen väterliche Milde, wenn er dem geilen Kitzel eines Augenblicks zehn Jahre Eures Lebens aufopfert? Wenn er den Ruhm seiner Väter, der sich schon sieben Jahrhunderte unbefleckt erhalten hat, in einer wollüstigen Minute aufs Spiel setzt? Heisst Ihr das Euren Sohn? Antwortet! Heisst Ihr das einen Sohn?

D. a. Moor. Ein unzärtliches Kind! ach! aber mein Kind doch! mein Kind doch!

Franz. Ein allerliebstes, köstliches Kind, dessen ewiges Studium ist, keinen Vater zu haben. — O, dass Ihr’s begreifen lerntet! dass Euch die Schuppen fielen vom Auge! Aber Eure Nachsicht muss ihn in seinen Liederlichkeiten befestigen, Euer Vorschub ihnen Rechtmässigkeit geben. Ihr werdet freilich den Fluch von seinem Haupte laden; auf Euch, Vater, auf Euch wird der Fluch der Verdammnis fallen.

D. a. Moor. Gerecht! sehr gerecht! — Mein, mein ist alle Schuld!

Franz. Wie viele Tausende, die voll sich gesoffen haben vom Becher der Wollust, sind durch Leiden gebessert worden! Und ist nicht der körperliche Schmerz, der jedes übermass begleitet, ein Fingerzeig des göttlichen Willens? Sollte ihn der Mensch durch seine grausame Zärtlichkeit verkehren? — Soll der Vater das ihm anvertraute Pfand auf ewig zugrund richten? — Bedenkt, Vater, wenn Ihr ihn seinem Elend auf einige Zeit preisgeben werdet, wird er nicht entweder umkehren müssen und sich bessern? Oder er wird auch in der grossen Schule des Elends ein Schurke bleiben, und dann — wehe dem Vater, der die Ratschlüsse einer höheren Weisheit durch Verzärtlung zernichtet! — Nun, Vater?

D. a. Moor. Ich will ihm schreiben, dass ich meine Hand von ihm wende.

Franz. Da tut Ihr recht und klug daran.

D. a. Moor. Dass er nimmer vor meine Augen komme.

Franz. Das wird eine heilsame Wirkung tun.

D. a. Moor(zärtlich). Bis er anders worden!

Franz. Schon recht! schon recht! — Aber, wenn er nun kommt mit der Larve des Heuchlers, Euer Mitleid erweint, Eure Vergebung sich erschmeichelt, und morgen hingeht und Eurer Schwachheit spottet im Arm seiner Huren? — Nein, Vater! er wird freiwillig wiederkehren, wenn ihn sein Gewissen rein gesprochen hat.

D. a. Moor. So will ich ihm das auf der Stelle schreiben.

Franz. Halt! noch ein Wort, Vater! Eure Entrüstung, fürchte ich, möchte Euch zu harte Worte in die Feder werfen, die ihm das Herz zerspalten würden — und dann — glaubt Ihr nicht, dass er das schon für Verzeihung nehmen werde, wenn Ihr ihn noch eines eigenhändigen Schreibens wert haltet? Darum wird’s besser sein, Ihr überlasst das Schreiben mir.

D. a. Moor. Tu das, mein Sohn. — Ach, es hätte mir doch das Herz gebrochen! Schreib’ ihm — —

Franz (schnell). Dabei bleibt’s, also?

D. a. Moor. Schreib’ ihm, dass ich tausend blutige Tränen, tausend schlaflose Nächte — aber bring’ meinen Sohn nicht zur Verzweiflung!

Franz. Wollt Ihr Euch nicht zu Bette legen, Vater? Es griff Euch hart an.

D. a. Moor. Schreib’ ihm, dass die väterliche Brust — Ich sage dir, bring’ meinen Sohn nicht zur Verzweiflung! (Geht traurig ab.)

Franz(mit Lachen ihm nachsehend). Tröste dich, Alter! du wirst ihn nimmer an diese Brust drücken; der Weg dazu ist ihm verrammelt, wie der Himmel der Hölle. — Er war aus deinen Armen gerissen, ehe du wusstest, dass du es wollen könntest. — Da müsst’ ich ein erbärmlicher Stümper sein, wenn ich’s nicht einmal so weit gebracht hätte, einen Sohn vom Herzen des Vaters loszulösen, und wenn er mit ehernen Banden daran geklammert wäre. — Ich hab’ einen magischen Kreis von Flüchen um dich gezogen, den er nicht überspringen soll. — Glück zu, Franz! weg ist das Schosskind — der Wald ist heller. Ich muss diese Papiere vollends aufheben, wie leicht könnte jemand meine Handschrift kennen? (Er liest die zerrissenen Briefstücke zusammen.) Und Gram wird auch den Alten bald fortschaffen, — und ihr muss ich diesen Karl aus dem Herzen reissen, wenn auch ihr halbes Leben dran hängen bleiben sollte.

Ich habe grosse Rechte, über die Natur ungehalten zu sein, und bei meiner Ehre, ich will sie geltend machen. — Warum bin ich nicht der Erste aus Mutterleib gekrochen? warum nicht der einzige? Warum musste sie mir diese Bürde von Hässlichkeit aufladen? gerade mir? Nicht anders, als ob sie bei meiner Geburt einen Rest gesetzt hätte. Warum gerade mir die Lappländersnase? gerade mir dieses Mohrenmaul? diese Hottentottenaugen? Wirklich, ich glaube, sie hat von allen Menschensorten das Scheussliche auf einen Haufen geworfen und mich daraus gebacken. Mord und Tod! Wer hat ihr die Vollmacht gegeben, jenem dieses zu verleihen und mir vorzuenthalten? Könnte ihr jemand darum hofieren, eh’ er entstund? oder sie beleidigen, eh’ er selbst wurde? Warum ging sie so parteilich zu Werke?

Nein! Nein! ich tu ihr unrecht. Gab sie uns doch Erfindungsgeist mit, setzte uns nackt und armselig ans Ufer dieses grossen Ozeans Welt. — Schwimme, wer schwimmen kann, und wer zu plump ist, geh’ unter! Sie gab mir nichts mit: Wozu ich mich machen will, das ist nun meine Sache. Jeder hat gleiches Recht zum Grössten und Kleinsten; Anspruch wird an Anspruch, Trieb an Trieb und Kraft an Kraft zernichtet. Das Recht wohnet beim Überwältiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze.

Wohl gibt es gewisse gemeinschaftliche Pakta, die man geschlossen hat, die Pulse des Weltzirkels zu treiben. Ehrlicher Name! — wahrhaftig, eine reichhaltige Münze, mit der sich meisterlich schachern lässt, wer’s versteht, sie gut auszugeben. Gewissen — o ja, freilich! ein tüchtiger Lumpenmann. Sperlinge von Kirschbäumen wegzuschrecken! — auch das ein gut geschriebener Wechselbrief, mit dem auch der Bankrottierer zur Not noch hinauslangt.

In der Tat sehr lobenswürdige Anstalten, die Narren im Respekt und den Pöbel unter dem Pantoffel zu halten, damit die Gescheiten es desto bequemer haben. Ohne Anstand, recht schnakische Anstalten! Kommen mir vor wie die Hecken, die meine Bauern gar schlau um ihre Felder herumführen, dass ja kein Hase drüber setzt, ja beileibe kein Hase! — Aber der gnädige Herr gibt seinem Rappen den Sporn und galoppiert weich über der weiland Ernte.

Armer Hase! Es ist doch eine jämmerliche Rolle, der Hase sein müssen auf dieser Welt. — Aber der gnädige Herr braucht Hasen!