Die Räuber von Friedrich Schiller (Textausgabe) - Friedrich Schiller - E-Book

Die Räuber von Friedrich Schiller (Textausgabe) E-Book

Friedrich Schiller

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Beschreibung

Die bewährten Hamburger Lesehefte + Königs Materialien in einem Band. Das zeichnet die neue Reihe aus: - Die preisgünstigste Reihe im deutschsprachigen Raum! - Großes Format (DIN A5) in moderner Aufmachung - Lesefreundlicher, sorgfältig edierter Originaltext - Seiten- und zeilengleich mit der entsprechenden Ausgabe der Hamburger Lesehefte - Breite Randspalte mit kurzen Worterklärungen - Platz für eigene Notizen - Navigationsleiste zur besseren Orientierung - Biografie des Autors (kompakt zusammengefasst) - Ausführlicher Wort- und Sacherklärungsteil - Umfangreiche Materialien, nach Themenbereichen gebündelt In Friedrich Schillers "Die Räuber" entfacht der Machtkampf zwischen den Brüdern Karl und Franz Moor, der von Intrigen und Verrat geprägt ist. Während Karl als Anführer einer Räuberbande gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit rebelliert, zerstört Franz durch seine Skrupellosigkeit die Familie, was schließlich in Tragik und Tod endet.

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Text und Materialien

FRIEDRICH VON SCHILLER

Die Räuber

Ein Schauspiel

Quae medicamenta non sanant, ferrum sanat, quae ferrum non sanat, ignis sanat.

Hippokrates

HAMBURGER LESEHEFTE PLUSKÖNIGS MATERIALIEN48. HEFT

Zur Textgestaltung Dieser Textausgabe liegt die Räuber-Fassung der Erstausgabe von 1781 zugrunde. Zeichensetzung und Rechtschreibung wurden den amtlichen Regeln behutsam angepasst.

 

Analysiert und interpretiert mit Textverweisen auf dieses Heft wird Die Räuber in Königs Erläuterungen, Band 28, C. Bange Verlag.

 

2. Auflage 2023

 

Alle Drucke dieser Ausgabe und die der Hamburger Lesehefte sind untereinander unverändert und können im Unterricht nebeneinander genutzt werden.

 

Heftbearbeitung Text: F. Bruckner und Kurt Sternelle Heftbearbeitung Materialien: Dr. Oliver Pfohlmann Umschlaggestaltung und Layout: Petra Michel Umschlagzeichnung: Ingeborg Strange-Friis

 

ISBN: 978-3-8044-2593-4PDF: 978-3-8044-6593-0EPUB: 978-3-8044-7493-9 © 2019 by C. Bange Verlag GmbH, Marienplatz 12, 96142 [email protected] – www.bange-verlag.de

 

ISBN: 978-3-87291-502-3PDF: 978-3-87291-718-8EPUB: 978-3-87291-668-6 © 2019 by Hamburger Lesehefte Verlag, Nordbahnhofstraße 2, 25813 [email protected] – www.hamburger-lesehefte.de

Hinweise zur Bedienung

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Das E-Book enthält in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, diese verweisen auf die Printausgabe des Werkes.

Versdramen weisen zusätzlich zur Seitenzählung eine Versnummerierung in entsprechender Höhe auf dem Rand aus.

Inhaltsverzeichnis

Text

VORREDE ZUR ERSTEN AUFLAGE

PERSONEN

ERSTER AKT

ZWEITER AKT

DRITTER AKT

VIERTER AKT

FÜNFTER AKT

Biografie

Wort- und Sacherklärungen

Materialien

Sturm und Drang

Die literarische Revolution

Die Räuber als Sturm und Drang-Drama?

Voraussetzungen und Entstehung

Die Räuber als Produkt heimlicher Nachtarbeit

Schubart und andere Quellen des Stücks

Die Räuberwelt zwischen Romantisierung und sozialer Wirklichkeit

Die Bedeutung von Schillers medizinischer Ausbildung für das Stück

Vortrag vor Kameraden der Karlsschule

Form und Sprache

Gesprengte Einheit von Ort, Zeit und Handlung

Die Sprache von Schillers Stück

Ethik und Ästhetik in Schillers Stück

War Schiller ein Kriminalschriftsteller?

„Man wird meinen Mordbrenner bewundern“ – aus der unterdrückten Vorrede

Selbstrezension

Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?

Anfang von Der Verbrecher aus verlorener Ehre

Deutungen

Der gebrochene Vater – die gestörte Ordnung

Der junge Schiller zwischen Kant und de Sade

Karl Moor oder der Wille zum Glück

Medizinische, philosophische, literarische und wirkungsästhetische Aspekte

Karl und Franz als Sprachrohre und Selbstprojektionen des jungen Schiller

Uraufführung und Wirkungsgeschichte

„So weit geht meine Nachgiebigkeit gegen die Bühne nicht“

„Das Theater glich einem Irrenhause“: die Mannheimer Uraufführung

Stände- und generationenübergreifende Begeisterung

Selbstrezension – Anhang über die Uraufführung der Räuber

Erwin Piscators Skandal-Aktualisierung des Klassikers 1926

Kinderspiele im Laub. Die Claus-Peymann-Inszenierung am Württembergischen Staatstheater 1975

Die Räuber im 20. Jahrhundert

Text

[2]VORREDE ZUR ERSTEN AUFLAGE

Man nehme dieses Schauspiel für nichts anders als eine dramatische Geschichte, die die Vorteile der dramatischen Methode, die Seele gleichsam bei ihren geheimsten Operationen zu ertappen, benutzt, ohne sich übrigens in die Schranken eines Theaterstücks einzuzäunen oder nach dem so zweifelhaften Gewinn bei theatralischer Verkörperung zu geizen. Man wird mir einräumen, dass es eine widersinnige Zumutung ist, binnen drei Stunden drei außerordentliche Menschen zu erschöpfen, deren Tätigkeit von vielleicht tausend Räderchen abhänget, so wie es in der Natur der Dinge unmöglich kann gegründet sein, dass sich drei außerordentliche Menschen auch dem durchdringendsten Geisterkenner innerhalb vierundzwanzig Stunden entblößen. Hier war Fülle ineinander gedrungener Realitäten vorhanden, die ich unmöglich in die allzu engen Palisaden des Aristoteles und Batteux einkeilen konnte.

Nun ist es aber nicht sowohl die Masse meines Schauspiels als vielmehr sein Inhalt, der es von der Bühne verbannet. Die Ökonomie desselben machte es notwendig, dass mancher Charakter auftreten musste, der das feinere Gefühl der Tugend beleidigt und die Zärtlichkeit unserer Sitten empört. Jeder Menschenmaler ist in diese Notwendigkeit gesetzt, wenn er anders eine Kopie der wirklichen Welt und keine idealische Affektationen, keine Kompendienmenschen will geliefert haben. Es ist einmal so die Mode in der Welt, dass die Guten durch die Bösen schattiert werden und die Tugend im Kontrast mit dem Laster das lebendigste Kolorit erhält. Wer sich den Zweck vorgezeichnet hat, das Laster zu stürzen und Religion, Moral und bürgerliche Gesetze an ihren Feinden zu rächen, ein solcher muss das Laster in seiner nackten Abscheulichkeit enthüllen und in seiner kolossalischen Größe vor das Auge der Menschheit stellen – er selbst muss augenblicklich seine nächtlichen Labyrinthe durchwandern – er muss sich in Empfindungen hineinzuzwingen wissen, unter deren Widernatürlichkeit sich seine Seele sträubt.

Das Laster wird hier mitsamt seinem ganzen innern Räderwerk entfaltet. Es löst in Franzen all die verworrenen Schauer des Gewissens in ohnmächtige Abstraktionen auf, skelettisiert die richtende Empfindung und scherzt die ernsthafte Stimme der Religion hinweg. Wer es einmal so weit gebracht hat (ein Ruhm, den wir ihm nicht beneiden), seinen Verstand auf Unkosten seines Herzens zu verfeinern, dem ist das Heiligste nicht heilig mehr – dem ist die Menschheit, die Gottheit nichts – beide Welten sind nichts [3]in seinen Augen. Ich habe versucht, von einem Missmenschen dieser Art ein treffendes lebendiges Konterfei hinzuwerfen, die vollständige Mechanik seines Lastersystems auseinander zu gliedern – und ihre Kraft an der Wahrheit zu prüfen. Man unterrichte sich demnach im Verfolg dieser Geschichte, wie weit ihr’s gelungen hat. – Ich denke, ich habe die Natur getroffen.

Nächst an diesem stehet ein anderer, der vielleicht nicht wenige meiner Leser in Verlegenheit setzen möchte. Ein Geist, den das äußerste Laster nur reizet um der Größe willen, die ihm anhänget, um der Kraft willen, die es erheischet, um der Gefahren willen, die es begleiten. Ein merkwürdiger, wichtiger Mensch, ausgestattet mit aller Kraft, nach der Richtung, die diese bekömmt, notwendig entweder ein Brutus oder ein Catilina zu werden. Unglückliche Konjunkturen entscheiden für das Zweite, und erst am Ende einer ungeheuren Verirrung gelangt er zu dem Ersten. Falsche Begriffe von Tätigkeit und Einfluss, Fülle von Kraft, die alle Gesetze übersprudelt, mussten sich natürlicherweise an bürgerlichen Verhältnissen zerschlagen, und zu diesen enthusiastischen Träumen von Größe und Wirksamkeit durfte sich nur eine Bitterkeit gegen die unidealische Welt gesellen, so war der seltsame Don Quixote fertig, den wir im Räuber Moor verabscheuen und lieben, bewundern und bedauern. Ich werde es hoffentlich nicht erst anmerken dörfen, dass ich dieses Gemälde so wenig nur allein Räubern vorhalte, als die Satire des Spaniers nur allein Ritter geißelt.

Auch ist itzo der große Geschmack, seinen Witz auf Kosten der Religion spielen zu lassen, dass man beinahe für kein Genie mehr passiert, wenn man nicht seinen gottlosen Satyr auf ihren heiligsten Wahrheiten sich herumtummeln lässt. Die edle Einfalt der Schrift muss sich in alltäglichen Assembleen von den so genannten witzigen Köpfen misshandeln und ins Lächerliche verzerren lassen; denn was ist so heilig und ernsthaft, das, wenn man es falsch verdreht, nicht belacht werden kann? – Ich kann hoffen, dass ich der Religion und der wahren Moral keine gemeine Rache verschafft habe, wenn ich diese mutwillige Schriftverächter in der Person meiner schändlichsten Räuber dem Abscheu der Welt überliefere.

Aber noch mehr. Diese unmoralische Charaktere, von denen vorhin gesprochen wurde, mussten von gewissen Seiten glänzen, ja oft von Seiten des Geistes gewinnen, was sie von Seiten des Herzens verlieren. Hierin habe ich nur die Natur gleichsam wörtlich abgeschrieben. Jedem, auch dem Lasterhaftesten, ist gewissermaßen der Stempel des göttlichen Ebenbilds aufgedrückt, und [4]vielleicht hat der große Bösewicht keinen so weiten Weg zum großen Rechtschaffenen als der kleine; denn die Moralität hält gleichen Gang mit den Kräften, und je weiter die Fähigkeit, desto weiter und ungeheurer ihre Verirrung, desto imputabler ihre Verfälschung.

Klopstocks Adramelech weckt in uns eine Empfindung, worin Bewunderung in Abscheu schmilzt. Miltons Satan folgen wir mit schauderndem Erstaunen durch das unwegsame Chaos. Die Medea der alten Dramatiker bleibt bei all ihren Gräueln noch ein großes, staunenswürdiges Weib, und Shakespeares Richard hat so gewiss am Leser einen Bewunderer, als er auch ihn hassen würde, wenn er ihm vor der Sonne stünde. Wenn es mir darum zu tun ist, ganze Menschen hinzustellen, so muss ich auch ihre Vollkommenheiten mitnehmen, die auch dem Bösesten nie ganz fehlen. Wenn ich vor dem Tiger gewarnt haben will, so darf ich seine schöne, blendende Fleckenhaut nicht übergehen, damit man nicht den Tiger beim Tiger vermisse. Auch ist ein Mensch, der ganz Bosheit ist, schlechterdings kein Gegenstand der Kunst und äußert eine zurückstoßende Kraft, statt dass er die Aufmerksamkeit der Leser fesseln sollte. Man würde umblättern, wenn er redet. Eine edle Seele erträgt so wenig anhaltende moralische Dissonanzen als das Ohr das Gekritzel eines Messers auf Glas.

Aber eben darum will ich selbst missraten haben, dieses mein Schauspiel auf der Bühne zu wagen. Es gehört beiderseits, beim Dichter und seinem Leser, schon ein gewisser Gehalt von Geisteskraft dazu; bei jenem, dass er das Laster nicht ziere, bei diesem, dass er sich nicht von einer schönen Seite bestechen lasse, auch den hässlichen Grund zu schätzen. Meinerseits entscheide ein Dritter – aber von meinen Lesern bin ich es nicht ganz versichert. Der Pöbel, worunter ich keineswegs die Gassenkehrer allein will verstanden wissen, der Pöbel wurzelt (unter uns gesagt) weit um und gibt zum Unglück – den Ton an. Zu kurzsichtig, mein Ganzesauszureichen, zu kleingeistisch, mein Großes zu begreifen, zu boshaft, mein Gutes wissen zu wollen, wird er, fürcht ich, fast meine Absicht vereiteln, wird vielleicht eine Apologie des Lasters, das ich stürze, darin zu finden meinen und seine eigene Einfalt den armen Dichter entgelten lassen, dem man gemeiniglich alles, nur nicht Gerechtigkeit widerfahren lässt.

Es ist das ewige Dacapo mit Abdera und Demokrit, und unsre gute Hippokrate müssten ganze Plantagen Nieswurz erschöpfen, wenn sie dem Unwesen durch ein heilsames Dekokt abhelfen wollten. Noch so viele Freunde der Wahrheit mögen zusammenstehen, ihren Mitbürgern auf Kanzel und Schaubühne Schule zu [5]halten, der Pöbel hört nie auf, Pöbel zu sein, und wenn Sonne und Mond sich wandeln und Himmel und Erde veralten wie ein Kleid. Vielleicht hätt ich, den Schwachherzigen zu frommen, der Natur minder getreu sein sollen; aber wenn jener Käfer, den wir alle kennen, auch den Mist aus den Perlen stört, wenn man Exempel hat, dass Feuer verbrannt und Wasser ersäuft habe, soll darum Perle – Feuer – und Wasser konfisziert werden?

Ich darf meiner Schrift zufolge ihrer merkwürdigen Katastrophe mit Recht einen Platz unter den moralischen Büchern versprechen; das Laster nimmt den Ausgang, der seiner würdig ist. Der Verirrte tritt wieder in das Geleise der Gesetze. Die Tugend geht siegend davon. Wer nur so billig gegen mich handelt, mich ganz zu lesen, mich verstehen zu wollen, von dem kann ich erwarten, dass er – nicht den Dichter bewundere, aber den rechtschaffenen Mann in mir hoch schätze.

 

Geschrieben in der Ostermesse 1781.

Der Herausgeber.

[6]PERSONEN

MAXIMILIAN, regierender Graf von Moor

KARL

FRANZ

seine Söhne

AMALIA VON EDELREICH

SPIEGELBERG

SCHWEIZER

GRIMM

RAZMANN

SCHUFTERLE

ROLLER

KOSINSKY

SCHWARZ

Libertiner, nachher Banditen

HERMANN, Bastard von einem Edelmann

DANIEL, Hausknecht des Grafen von Moor

Pastor MOSER

Ein Pater

Räuberbande

Nebenpersonen

 

Der Ort der Geschichte ist Teutschland, die Zeit ohngefähr zwei Jahre

[7]ERSTER AKT

ERSTE SZENE

Franken.Saal im Moorischen Schloss.

Franz. Der alte Moor.

FRANZ.

Aber ist Euch auch wohl, Vater? Ihr seht so blass.

DER ALTE MOOR.

Ganz wohl, mein Sohn – was hattest du mir zu sagen?

FRANZ.

Die Post ist angekommen – ein Brief von unserm Korrespondenten in Leipzig –

DER ALTE MOOR

(begierig). Nachrichten von meinem Sohne Karl?

FRANZ.

Hm! Hm! – So ist es. Aber ich fürchte – ich weiß nicht – ob ich – Eurer Gesundheit? – Ist Euch wirklich ganz wohl, mein Vater?

DER ALTE MOOR.

Wie dem Fisch im Wasser! Von meinem Sohne schreibt er? – Wie kommst du zu dieser Besorgnis? Du hast mich zweimal gefragt.

FRANZ.

Wenn Ihr krank seid – nur die leiseste Ahndung habt, es zu werden, so lasst mich – ich will zu gelegnerer Zeit zu Euch reden. (Halb vor sich.) Diese Zeitung ist nicht für einen zerbrechlichen Körper.

DER ALTE MOOR.

Gott! Gott! was werd ich hören?

FRANZ.

Lasst mich vorerst auf die Seite gehn und eine Träne des Mitleids vergießen um meinen verlornen Bruder – ich sollte schweigen auf ewig–denn er ist Euer Sohn; ich sollte seine Schande verhüllen auf ewig – denn er ist mein Bruder. – Aber Euch gehorchen ist meine erste, traurige Pflicht – darum vergebt mir.

DER ALTE MOOR.

O Karl! Karl! Wüsstest du, wie deine Aufführung das Vaterherz foltert! Wie eine einzige frohe Nachricht von dir meinem Leben zehen Jahre zusetzen würde – mich zum Jüngling machen würde – da mich nun jede, ach! – einen Schritt näher ans Grab rückt!

FRANZ.

Ist es das, alter Mann, so lebt wohl – wir alle würden noch heute die Haare ausraufen über Eurem Sarge.

DER ALTE MOOR.

Bleib! – Es ist noch um den kleinen kurzen Schritt zu tun – lass ihm seinen Willen. (Indem er sich niedersetzt.) Die Sünden seiner Väter werden heimgesucht im dritten und vierten Glied – lass ihn’s vollenden.

[8]FRANZ

(nimmt den Brief aus der Tasche). Ihr kennt unsern Korrespondenten! Seht! Den Finger meiner rechten Hand wollt ich drum geben, dürft ich sagen, er ist ein Lügner, ein schwarzer, giftiger Lügner. – – Fasst Euch! Ihr vergebt mir, wenn ich Euch den Brief nicht selbst lesen lasse – noch dörft Ihr nicht alles hören.

DER ALTE MOOR.

Alles, alles – mein Sohn, du ersparst mir die Krücke.

FRANZ

(liest). „Leipzig, vom 1. Mai. – Verbände mich nicht eine unverbrüchliche Zusage, dir auch nicht das Geringste zu verhehlen, was ich von den Schicksalen deines Bruders auffangen kann, liebster Freund, nimmermehr würde meine unschuldige Feder an dir zur Tyrannin geworden sein. Ich kann aus hundert Briefen von dir abnehmen, wie Nachrichten dieser Art dein brüderliches Herz durchbohren müssen, mir ist’s, als säh ich dich schon um den Nichtswürdigen, den Abscheulichen“ – – (Der alte Moor verbirgt sein Gesicht.) Seht Vater! ich lese Euch nur das Glimpflichste – „den Abscheulichen in tausend Tränen ergossen“, – ach sie flossen – stürzten stromweis von dieser mitleidigen Wange – „mir ist’s, als säh ich schon deinen alten, frommen Vater totenbleich“ – Jesus Maria! Ihr seid’s, eh Ihr noch das Mindeste wisset?

DER ALTE MOOR.

Weiter! Weiter!

FRANZ.

„Totenbleich in seinen Stuhl zurücktaumeln und dem Tage fluchen, an dem ihm zum ersten Mal Vater entgegengestammelt ward. Man hat mir nicht alles entdecken mögen, und von dem Wenigen, das ich weiß, erfährst du nur weniges. Dein Bruder scheint nun das Maß seiner Schande gefüllt zu haben; ich wenigstens kenne nichts über dem, was er wirklich erreicht hat, wenn nicht sein Genie das meinige hierin übersteigt. Gestern um Mitternacht hatte er den großen Entschluss, nach vierzigtausend Dukaten Schulden“ – ein hübsches Taschengeld, Vater! – „nachdem er zuvor die Tochter eines reichen Bankiers allhier entjungfert und ihren Galan, einen braven Jungen von Stand, im Duell auf den Tod verwundet, mit sieben andern, die er mit in sein Luderleben gezogen, dem Arm der Justiz zu entlaufen“ – Vater! Um Gotteswillen, Vater! Wie wird Euch?

DER ALTE MOOR.

Es ist genug. – Lass ab, mein Sohn!

FRANZ.

Ich schone Eurer – „Man hat ihm Steckbriefe nachgeschickt, die Beleidigte schreien laut um Genugtuung, ein Preis ist auf seinen Kopf gesetzt – der Name Moor“ – Nein! Meine arme Lippen sollen nimmermehr einen Vater ermorden! (Zerreißt den Brief.) Glaubt es nicht, Vater! Glaubt ihm keine Silbe!

[9]DER ALTE MOOR

(weint bitterlich). Mein Name! Mein ehrlicher Name!

FRANZ

(fällt ihm um den Hals). Schändlicher, dreimal schändlicher Karl! Ahndete mir’s nicht, da er, noch ein Knabe, den Mädels so nachschlenderte, mit Gassenjungen und elendem Gesindel auf Wiesen und Bergen sich herumhetzte, den Anblick der Kirche wie ein Missetäter das Gefängnis floh und die Pfennige, die er Euch abquälte, dem ersten dem besten Bettler in den Hut warf, während dass wir daheim mit frommen Gebeten und heiligen Predigtbüchern uns erbauten? – Ahndete mir’s nicht, da er die Abenteuer des Julius Cäsar und Alexander Magnus und anderer stockfinsterer Heiden lieber las als die Geschichte des bußfertigen Tobias? – Hundert Mal hab ich’s Euch geweissagt, denn meine Liebe zu ihm war immer in den Schranken der kindlichen Pflicht – der Junge wird uns alle noch in Elend und Schande stürzen! – Oh dass er Moors Namen nicht trüge! dass mein Herz nicht so warm für ihn schlüge! Die gottlose Liebe, die ich nicht vertilgen kann, wird mich noch einmal vor Gottes Richterstuhl anklagen.

DER ALTE MOOR.

Oh – meine Aussichten! Meine goldenen Träume!

FRANZ.

Das weiß ich wohl. Das ist es ja, was ich eben sagte. Der feurige Geist, der in dem Buben lodert, sagtet Ihr immer, der ihn für jeden Reiz von Größe und Schönheit so empfindlich macht, diese Offenheit, die seine Seele auf dem Auge spiegelt, diese Weichheit des Gefühls, die ihn bei jedem Leiden in weinende Sympathie dahinschmelzt, dieser männliche Mut, der ihn auf den Wipfel hundertjähriger Eichen treibet und über Gräben und Palisaden und reißende Flüsse jagt, dieser kindische Ehrgeiz, dieser unüberwindliche Starrsinn und alle diese schöne, glänzende Tugenden, die im Vatersöhnchen keimten, werden ihn dereinst zu einem warmen Freund eines Freundes, zu einem trefflichen Bürger, zu einem Helden, zu einem großen,großen Manne machen. – Seht Ihr’s nun, Vater! – Der feurige Geist hat sich entwickelt, ausgebreitet, herrliche Früchte hat er getragen. Seht diese Offenheit, wie hübsch sie sich zur Frechheit herumgedreht hat; seht diese Weichheit, wie zärtlich sie für Koketten girret, wie so empfindsam für die Reize einer Phryne! Seht dieses feurige Genie, wie es das Öl seines Lebens in sechs Jährchen so rein weggebrannt hat, dass er bei lebendigem Leibe umgeht, und da kommen die Leute und sind so unverschämt und sagen: c’est l’amour qui a fait ça! Ah! seht doch diesen kühnen, unternehmenden Kopf, wie er Plane schmiedet und ausführt, [10]vor denen die Heldentaten eines Cartouches und Howards verschwinden! – Und wenn erst diese prächtigen Keime zur vollen Reife erwachsen, – was lässt sich auch von einem so zarten Alter Vollkommenes erwarten? – Vielleicht, Vater, erlebet Ihr noch die Freude, ihn an der Fronte eines Heeres zu erblicken, das in der heiligen Stille der Wälder residieret und dem müden Wanderer seine Reise um die Hälfte der Bürde erleichtert – vielleicht könnt Ihr noch, eh Ihr zu Grabe geht, eine Wallfahrt nach seinem Monumente tun, das er sich zwischen Himmel und Erden errichtet – vielleicht, o Vater, Vater, Vater – seht Euch nach einem andern Namen um, sonst deuten Krämer und Gassenjungen mit Fingern auf Euch, die Euren Herrn Sohn auf dem Leipziger Marktplatz im Porträt gesehen haben.

DER ALTE MOOR.

Und auch du, mein Franz, auch du? O meine Kinder! Wie sie nach meinem Herzen zielen!

FRANZ.

Ihr seht, ich kann auch witzig sein; aber mein Witz ist Skorpionstich. – Und dann der trockne Alltagsmensch, der kalte, hölzerne Franz und wie die Titelchen alle heißen mögen, die Euch der Kontrast zwischen ihm und mir mocht’ eingegeben haben, wenn er Euch auf dem Schoße saß oder in die Backen zwickte – der wird einmal zwischen seinen Grenzsteinen sterben und modern und vergessen werden, wenn der Ruhm dieses Universalkopfes von einem Pole zum andern fliegt – Ha! mit gefaltnen Händen dankt dir, o Himmel, der kalte, trockne, hölzerne Franz – dass er nicht ist wie dieser!

DER ALTE MOOR.

Vergib mir, mein Kind; zürne nicht auf einen Vater, der sich in seinen Planen betrogen findet. Der Gott, der mir durch Karln Tränen zusendet, wird sie durch dich, mein Franz, aus meinen Augen wischen.

FRANZ.

Ja, Vater, aus Euren Augen soll er sie wischen. Euer Franz wird sein Leben dran setzen, das Eurige zu verlängern. Euer Leben ist das Orakel, das ich vor allem zu Rate ziehe über dem, was ich tun will, der Spiegel, durch den ich alles betrachte – keine Pflicht ist mir so heilig, die ich nicht zu brechen bereit bin, wenn’s um Euer kostbares Leben zu tun ist. – Ihr glaubt mir das?

DER ALTE MOOR.

Du hast noch große Pflichten auf dir, mein Sohn – Gott segne dich für das, was du mir warst und sein wirst!

FRANZ.

Nun sagt mir einmal – wenn Ihr diesen Sohn nicht den Euren nennen müsstet, Ihr wärt ein glücklicher Mann?

DER ALTE MOOR.

Stille! o stille! Da ihn die Wehmutter mir brachte, hub ich ihn gen Himmel und rief: Bin ich nicht ein glücklicher Mann?

[11]FRANZ.

Das sagtet Ihr. Nun, habt Ihr’s gefunden? Ihr beneidet den schlechtesten Eurer Bauren, dass er nicht Vater ist zu diesem. – Ihr habt Kummer, solang Ihr diesen Sohn habt. Dieser Kummer wird wachsen mit Karln. Dieser Kummer wird Euer Leben untergraben.

DER ALTE MOOR.

Oh! er hat mich zu einem achtzigjährigen Manne gemacht.

FRANZ.

Nun also – wenn Ihr dieses Sohnes Euch entäußertet?

DER ALTE MOOR

(auffahrend). Franz! Franz! was sagst du?

FRANZ.

Ist es nicht diese Liebe zu ihm, die Euch all den Gram macht? Ohne diese Liebe ist er für Euch nicht da. Ohne diese strafbare, diese verdammliche Liebe ist er Euch gestorben – ist er Euch nie geboren. Nicht Fleisch und Blut, das Herz macht uns zu Vätern und Söhnen. Liebt Ihr ihn nicht mehr, so ist diese Abart auch Euer Sohn nicht mehr, und wär er aus Eurem Fleische geschnitten. Er ist Euer Augapfel gewesen bisher, nun aber, ärgert dich dein Auge, sagt die Schrift, so reiß es aus. Es ist besser, einäugig gen Himmel als mit zwei Augen in die Hölle. Es ist besser, kinderlos gen Himmel, als wenn beide, Vater und Sohn, in die Hölle fahren. So spricht die Gottheit!

DER ALTE MOOR.

Du willst, ich soll meinen Sohn verfluchen?

FRANZ.

Nicht doch! nicht doch! – Euren Sohn sollt Ihr nicht verfluchen. Was heißt Ihr Euren Sohn? – Dem Ihr das Leben gegeben habt, wenn er sich auch alle ersinnliche Mühe gibt, das Eurige zu verkürzen?

DER ALTE MOOR.

Oh, das ist allzu wahr! das ist ein Gericht über mich. Der Herr hat’s ihm geheißen.

FRANZ.

Seht Ihr’s, wie kindlich Euer Busenkind an Euch handelt? Durch Eure väterliche Teilnehmung erwürgt er Euch, mordet Euch durch Eure Liebe, hat Euer Vaterherz selbst bestochen, Euch den Garaus zu machen. Seid Ihr einmal nicht mehr, so ist er Herr Eurer Güter, König seiner Triebe. Der Damm ist weg, und der Strom seiner Lüste kann itzt freier dahinbrausen. Denkt Euch einmal an seine Stelle! Wie oft muss er den Vater unter die Erde wünschen – wie oft den Bruder – die ihm im Lauf seiner Exzesse so unbarmherzig im Weg stehen. Ist das aber Liebe gegen Liebe? Ist das kindliche Dankbarkeit gegen väterliche Milde? Wenn er dem geilen Kitzel eines Augenblicks zehn Jahre Eures Lebens aufopfert? Wenn er den Ruhm seiner Väter, der sich schon sieben Jahrhunderte unbefleckt erhalten hat, in einer wollüstigen Minute aufs Spiel setzt? Heißt Ihr das Euren Sohn? Antwortet! Heißt Ihr das einen Sohn?

[12]DER ALTE MOOR.

Ein unzärtliches Kind! ach! aber mein Kind doch! mein Kind doch!

FRANZ.

Ein allerliebstes, köstliches Kind, dessen ewiges Studium ist, keinen Vater zu haben. – O dass Ihr’s begreifen lerntet! dass Euch die Schuppen fielen vom Auge! Aber Eure Nachsicht muss ihn in seinen Liederlichkeiten befestigen, Euer Vorschub ihnen Rechtmäßigkeit geben. Ihr werdet freilich den Fluch von seinem Haupte laden, auf Euch, Vater, auf Euch wird der Fluch der Verdammnis fallen.

DER ALTE MOOR.

Gerecht! sehr gerecht! – Mein, mein ist alle Schuld!

FRANZ.

Wie viele Tausende, die voll sich gesoffen haben vom Becher der Wollust, sind durch Leiden gebessert worden! Und ist nicht der körperliche Schmerz, der jedes Übermaß begleitet, ein Fingerzeig des göttlichen Willens? Sollte ihn der Mensch durch seine grausame Zärtlichkeit verkehren? Soll der Vater das ihm anvertraute Pfand auf ewig zu Grund richten? – Bedenkt, Vater, wenn Ihr ihn seinem Elend auf einige Zeit preisgeben werdet, wird er nicht entweder umkehren müssen und sich bessern? Oder er wird auch in der großen Schule des Elends ein Schurke bleiben, und dann – wehe dem Vater, der die Ratschlüsse einer höheren Weisheit durch Verzärtlung zernichtet! – Nun, Vater?

DER ALTE MOOR.

Ich will ihm schreiben, dass ich meine Hand von ihm wende.

FRANZ.

Da tut Ihr recht und klug daran.

DER ALTE MOOR.

Dass er nimmer vor meine Augen komme.

FRANZ.

Das wird eine heilsame Wirkung tun.

DER ALTE MOOR

(zärtlich). Bis er anders worden!

FRANZ.

Schon recht, schon recht! – Aber, wenn er nun kommt mit der Larve des Heuchlers, Euer Mitleid erweint, Eure Vergebung sich erschmeichelt und morgen hingeht und Eurer Schwachheit spottet im Arm seiner Huren? – Nein, Vater! Er wird freiwillig wiederkehren, wenn ihn sein Gewissen rein gesprochen hat.

DER ALTE MOOR.

So will ich ihm das auf der Stelle schreiben.

FRANZ.

Halt! noch ein Wort, Vater! Eure Entrüstung, fürchte ich, möchte Euch zu harte Worte in die Feder werfen, die ihm das Herz zerspalten würden – und dann – glaubt Ihr nicht, dass er das schon für Verzeihung nehmen werde, wenn Ihr ihn noch eines eigenhändigen Schreibens wert haltet? Darum wird’s besser sein, Ihr überlasst das Schreiben mir.

[13]DER ALTE MOOR.

Tu das, mein Sohn. – Ach, es hätte mir doch das Herz gebrochen! Schreib ihm – –

FRANZ

(schnell). Dabei bleibt’s also?

DER ALTE MOOR.

Schreib ihm, dass ich tausend blutige Tränen, tausend schlaflose Nächte – aber bring meinen Sohn nicht zur Verzweiflung!

FRANZ.

Wollt Ihr Euch nicht zu Bette legen, Vater? Es griff Euch hart an.

DER ALTE MOOR.

Schreib ihm, dass die väterliche Brust – ich sage dir, bring meinen Sohn nicht zur Verzweiflung! (Gehttraurig ab.)

FRANZ

(mit Lachen ihm nachsehend). Tröste dich, Alter, du wirst ihn nimmer an diese Brust drücken, der Weg dazu ist ihm verrammelt wie der Himmel der Hölle. – Er war aus deinen Armen gerissen, ehe du wusstest, dass du es wollen könntest – da müsst ich ein erbärmlicher Stümper sein, wenn ich’s nicht einmal so weit gebracht hätte, einen Sohn vom Herzen des Vaters loszulösen, und wenn er mit ehernen Banden daran geklammert wäre. – Ich hab einen magischen Kreis von Flüchen um dich gezogen, den er nicht überspringen soll. – Glück zu, Franz! Weg ist das Schoßkind – der Wald ist heller. Ich muss diese Papiere vollends aufheben, wie leicht könnte jemand meine Handschrift kennen! (Er liest die zerrissenen Briefstücke zusammen.) – Und Gram wird auch den Alten bald fortschaffen, – und ihr muss ich diesen Karl aus dem Herzen reißen, wenn auch ihr halbes Leben dran hängen bleiben sollte.

Ich habe große Rechte, über die Natur ungehalten zu sein, und bei meiner Ehre! ich will sie geltend machen. – Warum bin ich nicht der Erste aus Mutterleib gekrochen? Warum nicht der Einzige? Warum musste sie mir diese Bürde von Hässlichkeit aufladen? Gerade mir? Nicht anders, als ob sie bei meiner Geburt einen Rest gesetzt hätte. Warum gerade mir die Lappländersnase? Gerade mir dieses Mohrenmaul? diese Hottentottenaugen? Wirklich, ich glaube, sie hat von allen Menschensorten das Scheußliche auf einen Haufen geworfen und mich daraus gebacken. Mord und Tod! Wer hat ihr die Vollmacht gegeben, jenem dieses zu verleihen und mir vorzuenthalten? Könnte ihr jemand darum hofieren, eh er entstund? Oder sie beleidigen, eh er selbst wurde? Warum ging sie so parteilich zu Werke?

Nein! nein! Ich tu ihr Unrecht. Gab sie uns doch Erfindungsgeist mit, setzte uns nackt und armselig ans Ufer dieses großen Ozeans Welt. – Schwimme, wer schwimmen kann, und wer [14]zu plump ist, geh unter! Sie gab mir nichts mit; wozu ich mich machen will, das ist nun meine Sache. Jeder hat gleiches Recht zum Größten und Kleinsten; Anspruch wird an Anspruch, Trieb an Trieb und Kraft an Kraft zernichtet. Das Recht wohnet beim Überwältiger, und die Schranken unserer Kraft sind unsere Gesetze.

Wohl gibt es gewisse gemeinschaftliche Pakta, die man geschlossen hat, die Pulse des Weltzirkels zu treiben. Ehrlicher Name! – Wahrhaftig, eine reichhaltige Münze, mit der sich meisterlich schachern lässt, wer’s versteht, sie gut auszugeben. Gewissen – o ja freilich! ein tüchtiger Lumpenmann, Sperlinge von Kirschbäumen wegzuschröcken! – auch das ein gut geschriebener Wechselbrief, mit dem auch der Bankerottierer zur Not noch hinauslangt.

In der Tat sehr lobenswürdige Anstalten, die Narren im Respekt und den Pöbel unter dem Pantoffel zu halten, damit die Gescheiten es desto bequemer haben. Ohne Anstand, recht schnackische Anstalten! Kommen mir für wie die Hecken, die meine Bauren gar schlau um ihre Felder herumführen, dass ja kein Hase drüber setzt, ja beileibe kein Hase! – Aber der gnädige Herr gibt seinem Rappen den Sporn und galoppiert weich über der weiland Ernte.

Armer Hase! Es ist doch eine jämmerliche Rolle, der Hase sein müssen auf dieser Welt – aber der gnädige Herr braucht Hasen! Also frisch drüber hinweg! Wer nichts fürchtet, ist nicht weniger mächtig als der, den alles fürchtet. Es ist itzo die Mode, Schnallen an den Beinkleidern zu tragen, womit man sie nach Belieben weiter und enger schnürt. Wir wollen uns ein Gewissen nach der neuesten Façon anmessen lassen, um es hübsch weiter aufzuschnallen, wie wir zulegen. Was können wir dafür? Geht zum Schneider! Ich habe Langes und Breites von einer so genannten Blutliebe schwatzen gehört, das einem ordentlichen Hausmann den Kopf heiß machen könnte. – Das ist dein Bruder! – das ist verdolmetscht: Er ist aus eben dem Ofen geschossen worden, aus dem du geschossen bist – also sei er dir heilig! – Merkt doch einmal diese verzwickte Konsequenz, diesen possierlichen Schluss von der Nachbarschaft der Leiber auf die Harmonie der Geister, von eben derselben Heimat zu eben derselben Empfindung, von einerlei Kost zu einerlei Neigung. Aber weiter – es ist dein Vater! Er hat dir das Leben gegeben, du bist sein Fleisch, sein Blut – also sei er dir heilig. Wiederum eine schlaue Konsequenz! Ich möchte doch fragen, warum hat er mich gemacht? Doch wohl nicht gar aus Liebe zu mir, der erst [15]ein Ich werden sollte? Hat er mich gekannt, ehe er mich machte? Oder hat er mich gedacht, wie er mich machte? Oder hat er mich gewünscht, da er mich machte? Wusste er, was ich werden würde? Das wollt ich ihm nicht raten, sonst möcht ich ihn dafür strafen, dass er mich doch gemacht hat! Kann ich’s ihm Dank wissen, dass ich ein Mann wurde? So wenig, als ich ihn verklagen könnte, wenn er ein Weib aus mir gemacht hätte. Kann ich eine Liebe erkennen, die sich nicht auf Achtung gegen mein Selbst gründet? Konnte Achtung gegen mein Selbst vorhanden sein, das erst dardurch entstehen sollte, davon es die Voraussetzung sein muss? Wo stickt dann nun das Heilige? Etwa im Aktus selber, durch den ich entstund? – Als wenn dieser etwas mehr wäre als viehischer Prozess zur Stillung viehischer Begierden! Oder stickt es vielleicht im Resultat dieses Aktus, der doch nichts ist als eiserne Notwendigkeit, die man so gern wegwünschte, wenn’s nicht auf Unkosten von Fleisch und Blut geschehn müsste? Soll ich ihm etwa darum gute Worte geben, dass er mich liebt? Das ist eine Eitelkeit von ihm, die Schoßsünde aller Künstler, die sich in ihrem Wert kokettieren, wär es auch noch so hässlich. – Sehet also, das ist die ganze Hexerei, die ihr in einen heiligen Nebel verschleiert, unsre Furchtsamkeit zu missbrauchen. Soll auch ich mich dadurch gängeln lassen wie einen Knaben?

Frisch also! mutig ans Werk! – Ich will alles um mich her ausrotten, was mich einschränkt, dass ich nicht Herr bin. Herr muss ich sein, dass ich das mit Gewalt ertrotze, wozu mir die Liebenswürdigkeit gebricht. (Ab.)

ZWEITE SZENE

Schenke an den Grenzen von Sachsen.

Karl von Moor, in ein Buch vertieft. Spiegelberg, trinkend am Tisch.

KARL VON MOOR

(legt das Buch weg). Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum, wenn ich in meinem Plutarch lese von großen Menschen.

SPIEGELBERG

(stellt ihm ein Glas hin und trinkt). Den Josephus musst du lesen.

MOOR.

Der lohe Lichtfunke Prometheus’ ist ausgebrannt, dafür nimmt man itzt die Flamme von Bärlappenmehl – Theaterfeuer, [16]das keine Pfeife Tabak anzündet. Da krabbeln sie nun wie die Ratten auf der Keule des Herkules und studieren sich das Mark aus dem Schädel, was das für ein Ding sei, das er in seinen Hoden geführt hat? Ein französischer Abbé doziert, Alexander sei ein Hasenfuß gewesen, ein schwindsüchtiger Professor hält sich bei jedem Wort ein Fläschchen Salmiakgeist vor die Nase und liest ein Kollegium über die Kraft. Kerls, die in Ohnmacht fallen, wenn sie einen Buben gemacht haben, kritteln über die Taktik des Hannibals – feuchtohrige Buben fischen Phrases aus der Schlacht bei Cannä und greinen über die Siege des Scipio, weil sie sie exponieren müssen.

SPIEGELBERG.

Das ist ja recht alexandrinisch geflennt.

MOOR.

Schöner Preis für euren Schweiß in der Feldschlacht, dass ihr jetzt in Gymnasien lebet und eure Unsterblichkeit in einem Bücherriemen mühsam fortgeschleppt wird. Kostbarer Ersatz eures verprassten Blutes, von einem Nürnberger Krämer um Lebkuchen gewickelt – oder, wenn’s glücklich geht, von einem französischen Tragödienschreiber auf Stelzen geschraubt und mit Drahtfäden gezogen zu werden. Hahaha!

Titelbild

Titelseite

Impressum

Hinweis zur Bedienung

Inhaltsverzeichnis

Text

VORREDE ZUR ERSTEN AUFLAGE

PERSONEN

ERSTER AKT

ZWEITER AKT

DRITTER AKT

VIERTER AKT

FÜNFTER AKT

Biografie

Wort- und Sacherklärungen

Materialien

Sturm und Drang

Die literarische Revolution

Die Räuber

als Sturm und Drang-Drama?

Voraussetzungen und Entstehung

Die Räuber

als Produkt heimlicher Nachtarbeit

Schubart und andere Quellen des Stücks

Die Räuberwelt zwischen Romantisierung und sozialer Wirklichkeit

Die Bedeutung von Schillers medizinischer Ausbildung für das Stück

Vortrag vor Kameraden der Karlsschule

Form und Sprache

Gesprengte Einheit von Ort, Zeit und Handlung

Die Sprache von Schillers Stück

Ethik und Ästhetik in Schillers Stück

War Schiller ein Kriminalschriftsteller?

„Man wird meinen Mordbrenner bewundern“ – aus der unterdrückten Vorrede

Selbstrezension

Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?

Anfang von

Der Verbrecher aus verlorener Ehre

Deutungen

Der gebrochene Vater – die gestörte Ordnung

Der junge Schiller zwischen Kant und de Sade

Karl Moor oder der Wille zum Glück

Medizinische, philosophische, literarische und wirkungsästhetische Aspekte

Karl und Franz als Sprachrohre und Selbstprojektionen des jungen Schiller

Uraufführung und Wirkungsgeschichte

„So weit geht meine Nachgiebigkeit gegen die Bühne nicht“

„Das Theater glich einem Irrenhause“: die Mannheimer Uraufführung

Stände- und generationenübergreifende Begeisterung

Selbstrezension – Anhang über die Uraufführung der

Räuber

Erwin Piscators Skandal-Aktualisierung des Klassikers 1926

Kinderspiele im Laub. Die Claus-Peymann-Inszenierung am Württembergischen Staatstheater 1975

Die Räuber

im 20. Jahrhundert

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