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Schafft es Phileas Fogg, seine Wette zu gewinnen? Der wohlhabende englische Gentleman glaubt, in achtzig Tagen um die Welt reisen zu können. Er bricht noch am selben Tag zusammen mit seinem neuen Diener aus Frankreich auf. Die abenteuerliche Reise, die sie über Paris, Bridisi, durch den Suez-Kanal gen Asien und Amerika führen wird, beginnt. Doch dann verdächtigt der Detektiv Mister Fix Phileas Fogg eines Raubüberfalls auf die Bank of England und folgt ihm unauffällig, um ihn zu verhaften...-
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Seitenzahl: 342
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Jules Verne
Saga
Die Reise um die Erde in achtzig TagenOriginalLe tour du monde en quatre-vingts jours Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1873, 2020 Jules Verne und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726642872
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
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in welchem Phileas Fogg und Passepartout zueinander finden, der eine als Herr, der andere als Diener
Im Jahre 1872 wurde das Haus Nr. 7 in der Saville-Row in den Burlington-Gärten — in welchem im Jahre 1816 Sheridan starb — von Phileas Fogg Esquire bewohnt, einem der sonderbarsten und bekanntesten Mitglieder des Londoner Reform-Klubs, obgleich er es als seine besondere Aufgabe zu betrachten schien, nichts zu unternehmen, was die Aufmerksamkeit wachrufen könnte.
Auf einen der größten Redner, die England zum Ruhme gereichen, folgte mithin dieser Phileas Fogg, eine rätselhafte Persönlichkeit, von der niemand mehr wußte als höchstens, daß er ein sehr ritterlicher Mann sei und zu den schönsten Kavalieren der vornehmeren Gesellschaft von England gehöre.
Es hieß, er habe Ähnlichkeit mit Lord Byron, aber er war ein Byron mit Schnurr- und Backenbart, ein unwandelbarer Byron, der seine tausend Jahre hätte leben können, ohne zu altern.
Wenn Phileas Fogg Engländer war vom Scheitel bis zur Sohle, so war er doch vielleicht kein Londoner. Weder an der Börse, noch an der Bank, noch in einem der hauptstädtischen Kontore war er je gesehen worden. Weder die Londoner Häfen noch die Londoner Docks hatten je ein Schiff beherbergt, das von einem Reeder namens Phileas Fogg ausgerüstet worden war. In keinem Verwaltungsrate war dieser Kavalier vertreten. Sein Name war nie gehört worden in einem Rechtsanwalts-Kollegium, weder im Londoner Temple, noch in Lincolns Inn noch in Grays Inn. Niemals führte er einen Prozeß weder am höchsten Gerichtshof noch am Billigkeitsgerichtshof noch am Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten. Auch an der Königlichen Bank hatte er nie Geschäfte gehabt. Er war weder ein Industrieller, noch ein Geschäfts- oder Kaufmann, noch weniger Landwirt. Er gehörte weder dem Königlichen Institut von Großbritannien noch dem Institut von London, weder dem Künstlerverbande noch dem Russel-Verband, weder der Literarischen Vereinigung des Westens noch dem Juristischen Reichsverbande noch jener weitreichenden Körperschaft an, welche alle Künste und schönen Wissenschaften unter ihren Schutz genommen hat und sich des Patronats Ihrer huldreichen Majestät der Königin zu erfreuen hat. Er gehörte endlich keiner einzigen der zahllosen Gesellschaften an, von denen es in der Hauptstadt Englands wimmelt, von der Ärometrischen bis zur Zoologischen Gesellschaft hinunter, welch letztere bekanntlich die Entomologische einbegreift, deren Gründung hauptsächlich zu dem Zweck erfolgt ist, alle schädlichen Insekten in der Haupt- und Residenzstadt des großbritannischen Reiches zu vertilgen.
Phileas Fogg war Mitglied des Reform-Klubs, und damit genug für ihn sowohl wie für den Leser.
Sollte sich jemand darüber verwundern, daß eine so geheimnisvolle Persönlichkeit, wie Herr Phileas Fogg es war, als Mitglied in dieser ehrsamen Körperschaft Aufnahme gefunden habe, so ließe sich ohne weiteres die aufklärende Antwort geben, daß Herr Phileas Fogg eingeführt wurde durch die Herren Gebrüder Baring, bei denen er ein offenes Konto hatte. Denn ein Herr, für den bei Gebrüder Baring jeder Scheck nach Sicht gezahlt wurde, mußte wohl oder übel, „etwas wert sein“.
War Herr Phileas Fogg ein reicher Mann? Ganz unbestreitbar. Aber auf welche Weise er zu seinem Reichtum gelangt war, das zu sagen waren die bestunterrichteten Leute nicht imstande, und Herr Fogg war der letzte, dem es genehm gewesen wäre, darüber Auskunft zu geben. Soviel stand fest, daß er kein Verschwender, aber auch kein Geizhals war. Denn allemal, wenn es galt, eine edle, nützliche oder anständige Sache zu unterstützen, gehörte er zu denen, die sich nicht lange nötigen oder überhaupt nur suchen ließen, und trug stillschweigend oder sogar, ohne sich zu nennen, sein reichliches Scherflein bei.
Alles in allem genommen, ließ sich kaum ein zweiter Kavalier finden, der so wenig von sich reden machte und über sich redete wie Herr Phileas Fogg. Trotz alledem lag über seinem Tun keinerlei Schleier, sondern sein ganzes Tun und Lassen war so genau abgezirkelt und blieb sich von A bis Z so mathematisch gleich, daß die schlimmste Phantasie sich umsonst damit befaßte.
Hatte er Reisen gemacht? Höchst wahrscheinlich, denn niemand besaß eine bessere Kenntnis der Erdkarte als er. Es gab keinen noch so abgelegenen oder entfernten Winkel, von dem er nicht eine genaue Kenntnis zu besitzen schien. Hin und wieder, aber nur mit wenigen kurzen klaren Worten, stellte er die tausenderlei Meinungen fest, die im Klub über zu Grunde gegangene oder verirrte Reisende kreisten. Er sprach sich über die vorhandenen Wahrscheinlichkeiten aus, und seine Worte hatten sich häufig als Inspiration erwiesen, denn die folgenden Ereignisse hatten sie gerechtfertigt und bestätigt. Phileas Fogg war ein Mann, der die Welt bereist haben mußte — zum wenigsten doch im Geiste.
Was nichtsdestoweniger für gewiß gelten mußte, war die Tatsache, daß Phileas Fogg seit langen Jahren aus London keinen Fuß gesetzt hatte. Wer die Ehre hatte, ihn ein bißchen genauer zu kennen als die anderen, der konnte bezeugen, daß ihn niemand anderwärts gesehen haben konnte, ausgenommen auf jenem Wege, den er alle Tage ging, um sich von seiner Wohnung nach dem Klubhause zu begeben. Sein einziger Zeitvertreib war Zeitungslesen und eine Partie Whist. Bei diesem schweigsamen Spiele, das für seine Natur so vorzüglich paßte, gewann er häufig, aber was er gewann, das floß niemals in seine Tasche, sondern spielte in seinem Wohltätigkeits-Budget eine bedeutende Rolle, es war offenbar, daß Herr Fogg bloß spielte um zu spielen, und nicht des Gewinnes halber. Für ihn war das Spiel ein Kampf, ein Ringen gegen eine Schwierigkeit, aber ein Ringen ohne Bewegung, ohne Ortsveränderung, ohne Anstrengung, und das entsprach seinem Charakter.
Von einer Frau oder von Kindern wußte bei Phileas Fogg niemand etwas, aber auch von Verwandten oder Freunden wußte niemand etwas bei Phileas Fogg, und das sind Verhältnisse, die man seltener antrifft. Phileas Fogg lebte mutterseelenallein in seinem Hause in der Saville-Row — und niemand hatte dort Zutritt. Ein einziger Lakai reichte für den Dienst bei ihm aus. Im Klub nahm er sein Frühstück und sein Mittagessen ein zu Stunden, die nach der Uhr genau festgesetzt waren, immer im selben Saale und immer am selben Tische. Er belästigte keines der zahlreichen Mitglieder, lud keinen Fremden ein und verfügte sich Tag für Tag genau auf die Minute nach seiner Villa, ohne nur ein einziges Mal eins der mit allen Annehmlichkeiten ausgestatteten Zimmer für sich in Anspruch zu nehmen, die der Reform-Klub für seine Mitglieder zur Verfügung hält. Von den vierundzwanzig Tagesstunden brachte er zehn in seiner Wohnung zu, und zwar verschlief er sie zum Teil, zum Teil gingen sie mit den Verrichtungen drauf, die sein Anzug notwendig machte. Spazieren ging er in einem gleichmäßigen Tempo in dem parkettierten Entree oder auf der außen um das Haus herumführenden Galerie, über der sich ein von zwanzig ionischen Säulen aus rotem Porphyr getragener Kuppelbau mit blauen Rundbogenfenstern erhob.
Zu seinem Frühstück und Mittagessen versorgten die Küchen, der Gemüsegarten, der Fischbehälter, die Molkerei des Klubs seinen Tisch mit ihren trefflichen Vorräten. Zu seiner Bedienung standen die Lakaien des Klubs, ernste Figuren im schwarzen Frack, die in Tuchschuhen mit Filzsohlen lautlos über das Parkett glitten, zur Verfügung; in einem besonderen Geschirr aus feinstem Porzellan und auf wunderbarem Gedeck aus Herrnhutter Leinwand wurde ihm serviert; aus den hohlgeschliffenen Kristallgläsern des Klubs trank er seinen Sherry, Portwein oder Claret, mit Zimt und anderem Gewürz gemischt; Eis hielt alles, was er trank, in einem Zustand von genügender Frische.
Unter solchen Bedingungen sein Leben zu führen, macht zum exzentrischen Sonderling; man muß dabei aber gelten lassen, daß auch exzentrische Art ihr Gutes hat.
Das Haus in der Saville-Row zeichnete sich, ohne verschwenderisch ausgestattet zu sein, durch Komfort in vorteilhafter Weise aus. Durch den Umstand, daß sein Herr in seinen Lebensgewohnheiten nicht die geringste Änderung litt, vereinfachte sich das Dienstwesen mit der Zeit mehr und mehr. Phileas Fogg verlangte von seinem einzigen Lakai eine ganz außergewöhnliche Pünktlichkeit und Regelhaftigkeit. Gerade an dem Tage, an welchem unsere Erzählung einsetzt, am zweiten Oktober, hatte Phileas Fogg James Forster den Abschied gegeben, weil sich sein Lakai dieses Namens dadurch vergangen hatte, daß er das Rasierwasser für seinen Herrn statt auf sechsundachtzig Grad Fahrenheit nur auf vierundachtzig Grad Fahrenheit gewärmt hatte; und nun wartete Phileas Fogg auf James Forsters Nachfolger, der sich zwischen elf und halb zwölf vorstellen sollte.
Phileas Fogg saß steif in seinem Lehnstuhl; die Beine hielt er aneinander gezogen wie ein Soldat bei der Parade; die Hände ruhten auf den Knien; den Körper hielt er aufgerichtet, den Kopf steil in die Höhe; die Augen hingen an dem Zeiger der äußerst komplizierten Stehuhr, die die Stunden, die Minuten, die Sekunden, die Tage, die Vierteljahre und das Jahr anzeigte. Wenn es halb zwölf schlug, mußte Herr Fogg seiner täglichen Gewohnheit gemäß den Fuß aus dem Hause und sich selbst in Bewegung nach dem Reform-Klub setzen.
In diesem Augenblick wurde an die Tür des kleinen Salons geklopft, James Forster, der verabschiedete Lakai, zeigte sich auf der Schwelle. „Der neue Lakai“, sagte er.
Ein Mann in den Dreißigern wurde sichtbar und machte einen Bückling.
„Sie sind Franzose und heißen John?“ fragte ihn Phileas Fogg.
„Jean, wenn gnädiger Herr nichts dagegen haben“, antwortete der eben eingetretene, „Jean Passepartout — ein Name, der an mir hängen geblieben ist und den meine natürliche Befähigung, mich aus jeder Verlegenheit zu ziehen, gerechtfertigt haben mochte. Ich glaube, ein rechtschaffener Lakai zu sein, gnädiger Herr; ein mir inne wohnender Drang zur Freiheit und Selbständigkeit hat mich aber mancherlei Handwerk in die Arme getrieben. Ich bin fahrender Sänger gewesen, bin Stallknecht im Zirkus gewesen, habe Voltige geritten und auf dem Seil getanzt wie Blondin.
Dann bin ich, um meine Talente besser zu verwerten, Turnlehrer geworden und zu guterletzt Pariser Feuerwehrmann. In meinem Zeugnis stehen sogar sehr große Brände verzeichnet. Aber ich habe Frankreich seit fünf Jahren schon den Rücken gekehrt und da mich die Lust nach häuslichem, nach Familienleben ankam, bin ich in England Lakai geworden. Da ich nun ohne Stellung bin und in Erfahrung gebracht habe, daß Herr Phileas Fogg der pünktlichste, seßhafteste Mann der Vereinigten Königreiche sei, habe ich mir erlaubt, mich dem gnädigen Herrn vorzustellen, von der Hoffnung geleitet, ein Leben in Ruhe und Frieden hier führen und meine Vergangenheit vergessen zu können bis auf diesen Namen Passepartout . . .“
„Passepartout ist mir genehm“, erwiderte der Kavalier; „Sie sind mir empfohlen worden. Ich habe gute Auskunft über Sie bekommen. Sie kennnen die Bedingungen?“
„Jawohl, gnädiger Herr!“
„Gut. Welche Zeit haben wir jetzt?“
„Halb zwölf“, versetzte Passepartout, indem er aus den Tiefen seines Brustlatzes eine silberne Uhr von mächtigem Umfange heraufzog.
„Ihre Uhr geht nach“, sagte Herr Fogg.
„Gnädiger Herr wollen verzeihen, aber das ist ein Ding der Unmöglichkeit!“
„Ihre Uhr geht um vier Minuten nach. Indessen lassen wir das jetzt! Es genügt die Abweichung festzustellen. Demnach stehen Sie von diesem Augenblick an, elf Uhr neunundzwanzig Minuten früh, von heute Mittwoch, den zweiten Oktober des Jahres 1872 an, in meinen Diensten.“
Phileas Fogg erhob sich, als er den Satz zu Ende gesprochen hatte, griff mit der linken Hand nach seinem Hute, setzte ihn mit automatenhafter Gebärde auf den Kopf und verschwand ohne jedes weitere Wort.
Passepartout hörte, wie sich die Haustür zum erstenmale schloß: sein neuer Herr war aus dem Hause gegangen. Passepartout hörte, wie sich die Haustüre zum anderen male schloß: sein Vorgänger James Forster hatte das Haus verlassen. Passepartout blieb allein zurück in dem Haus in der Saville-Row.
in welchem Passepartout die Überzeugung gewinnt, daß er endlich sein Ideal gefunden
„Meiner Treu“, sagte Passepartout bei sich, zu Anfang ein wenig verdutzt, „bei Madame Tussaud habe ich Lebemänner gekannnt, die genau so lebendig waren wie mein neuer Herr!“
Hier muß nun bemerkt werden, daß die „Lebemänner“ bei Madame Tussaud Wachsfiguren sind, die sich in London eines sehr starken Zuspruchs erfreuen und denen wahrhaftig weiter nichts als die Fähigkeit der Sprache fehlt.
Passepartout hatte in den wenigen Augenblicken, die er eben mit Herrn Phileas Fogg gesprochen hatte, seinen zukünftigen Herrn und Gebieter rasch aber sorgfältig gemustert. Es war ein Herr, der vierzig Jahre alt sein mochte, von edler, schöner Figur, groß, mit blondem Haar und Backenbart. Seine Stirne war glatt; die Schläfen zeigten Runzeln; sein Gesicht war eher blaß als gerötet; sein Gebiß war vorzüglich. Er schien im höchsten Maße, was die Physiognomiker „die Ruhe in der Beweglichkeit“ nennen, zu besitzen, — eine Fähigkeit, die durchwegs solchen Menschen eigentümlich ist, die lieber arbeiten als viel Wesens von sich zu machen. Er war ruhig, phlegmatisch, helläugig und zuckte mit keiner Wimper — war also der vollendete Typus jener fischblütigen Söhne Albions, die sich im Vereinigten Königreiche häufig genug die Hände reichen. In den verschiedenen Akten seines Daseins betrachtet, weckte besagter Herr die Vorstellung von einem in all seinen Teilen gleichmäßig abgewogenen, rechtschaffen abgezirkelten Dasein, das die gleiche Vollkommenheit aufwies wie ein Chronometer. Den Grund für diesen Eindruck hatte man in dem Umstande zu suchen, daß Phileas Fogg die personifizierte Pünktlichkeit war. —
Phileas Fogg gehörte zu jenen Leuten von mathematischer Genauigkeit, die mit jedem Schritt und jeder Bewegung rechnen, immer bereit und bei der Hand sind, ohne je eilig zu erscheinen. Tatsächlich setzte er keinen Fuß umsonst, da er immer nur auf das kürzeste ausschritt. Niemals vergeudete er einen Blick hinauf zur Decke. Nie erlaubte er sich eine überflüssige Gebärde. Nie hatte man ihn erregt oder verwirrt gesehen. Er war ein Mensch, dem man absolut keine Eile ansah, der aber immer zur richtigen Zeit zur Stelle war. Man wird begreifen, daß er für sich allein lebte und außerhalb aller gesellschaftlichen Beziehungen stand. Er wußte, daß man im Leben mit Reibungen rechnen muß, und da jede Reibung hemmend wirkt, rieb er sich an niemand.
Jean mit dem Beinamen Passepartout war ein Pariser aus Paris von echtem Schrot und Korn, der seit fünf Jahren in London als Kammerdiener lebte, aber noch immer umsonst nach einem Herrn gesucht hatte, dem er mit wirklicher Anhänglichkeit dienen könne.
Passepartout war keiner von jenen Lakaien, die die Schulter hoch und die Nase noch höher tragen, die aller Welt keck und kalt in die Augen sehen und im Grunde kaum etwas anderes als unverschämte Patrone sind. Nein! Passepartout war ein braver Bursche von angenehmem Äußern, mit einem freundlichen Gesicht, einem leicht hervorspringenden Lippenpaar, das immer zum Schnabulieren oder zum Küssen bereit zu sein schien. Er hatte ein leutseliges Wesen und einen jener netten runden Köpfe, die man gern auf den Schultern eines lieben Freundes sieht. Sein freundliches Gesicht mit den blauen Augen und dem frischen Teint neigte ein wenig zur Fülle. Er hatte eine breite Brust, war von großer Figur, hatte einen sehr kräftigen Körperbau und besaß eine herkulische Kraft, die durch Turnübungen in seinen Jugendjahren zu einer geradezu wunderbaren Entwicklung gebracht worden waren. Sein braunes Haar war à la Vivatstolle gebürstet. Kannten die Bildhauer des Altertums achtzehn Manieren, das Haupthaar Minervas zu ordnen, so kannte Passepartout bloß eine einzige, um sein Haupthaar zu ordnen: drei Striche aufwärts mit dem Kamm, und seine Haarfrisur war fertig.
Darüber, ob der ungezwungene Charakter dieses Junggesellen sich mit dem des Herrn Phileas Fogg in Einklang setzen werde, ein Urteil zu fällen, dürfte der außergewöhnlichsten Klugheit nicht möglich gewesen sein. Ob Passepartout sich als jener absolut pünktliche Lakai ausweisen würde, den sein Herr verlangte? Nur die Praxis konnte es lehren. Nach einer ziemlich landstreicherhaften Jugend sehnte er sich nach Ruhe. Da er vom englischen Methodismus und von der sprichwörtlichen Kalthaarigkeit der englischen Kavaliere viel Rühmens gehört hatte, war er darauf gekommen, in England sein Glück zu suchen. Aber bis auf den heutigen Tag war ihm das Glück abhold gewesen. Er hatte nirgends Wurzel fassen können. In zehn Häusern hatte er Stellung gehabt. In allen war man launenhaft, unkonsequent, auf der Jagd nach Abenteuern gewesen, oder hatte auf der Eisenbahn gelegen — alles Dinge, die Passepartout nicht passen konnten. Sein letzter Herr war der junge Lord Longsferry, Mitglied des Parlaments, gewesen, der allzu oft von Polizisten auf den Schultern heimgeschleppt wurde, nachdem er in den Austernstuben von Haymarket dei Nacht durchgezecht hatte. Passepartout hielt vor allen Dingen auf Respekt vor seinem Herrn; deshalb nahm er sich ein paar respektvolle Bemerkungen heraus, die aber sehr übel aufgenommen wurden, und das führte zum Abbruch der Beziehungen. Unter der Hand erfuhr er, daß Phileas Fogg Esquire einen Lakaien suche. Er zog Erkundigungen über diesen Kavalier ein. Eine Herrschaft, deren Dasein sich mit solcher Regelmäßigkeit abwickelte, die keine Nacht außer dem Hause zubrachte, die nicht auf Reisen ging, die niemals auf Abwege geriet und sich im ganzen Jahr keinen einzigen Tag aus London entfernte, mußte Passepartout wohl oder übel recht sein. Er meldete sich zu der Stelle und wurde unter den dem Leser bekannten Bedingungen angestellt.
Passepartout befand sich also, als es halb zwölf geschlagen hatte, allein in dem Hause in der Saville-Row und unternahm alsbald eine Musterung desselben. Er durchwanderte es vom Keller bis zum Boden hinauf. Dieses saubere, ordentliche Haus, in welchem eine puritanische Strenge herrschte und alles vortrefflich eingerichtet war, gefiel ihm außerordentlich. Es machte ihm den Eindruck eines schönen Schneckengehäuses, aber eines solchen, das brillant erleuch tet und mit Gas geheizt war, denn damals genügte Kohlenwasserstoff für alle Bedürfnisse an Licht und Wärme. Passepartout fand ohne Mühe im zweiten Stock das für ihn bestimmte Zimmer. Es gefiel ihm. Elektrische Klingeln und akustische Leitungen setzten ihn mit den Gemächern des ersten Stocks und den Zimmern des Zwischenstocks in Verbindung. Auf dem Kamin stand eine elektrische Standuhr, die mit der Standuhr im Schlafgemach des Herrn Fogg übereinstimmte und auf die Sekunde genau die Stunden verkündete.
„So gefällts mir! So gefällts mir!“ sagte Passepartout.
Über der Standuhr in seinem Zimmer bemerkte er auch einen angehängten Zettel. Derselbe enthielt das Verzeichnis des täglichen Dienstes, und zwar von acht Uhr morgens, der Zeit, zu welcher Phileas Fogg regelmäßig aufstand, bis halb zwölf Uhr mittags, der Zeit, zu welcher er den Fuß aus dem Hause setzte, um sein Frühstück im Reform-Klub einzunehmen, alles bis auf die geringfügigste Einzelheit, was zu seinen Obliegenheiten gehörte, vom Tee und vom Röstbrot um 8 Uhr 23 Minuten bis zum Rasierwasser um 9 Uhr 37 Minuten, beziehungsweise zur Haarfrisur zwanzig Minuten vor zehn Uhr, und so weiter. Von halb zwölf Uhr vormittags bis Mitternacht — der Zeit, zu welcher sich der pünktliche Kavalier schlafen legte, war alles auf dem Zettel verzeichnet. Alles war vorgesehen. Alles war genau angegeben. Passepartout machte sich eine Freude daraus, dieses Programm zu studieren und sich die verschiedenen Paragraphen in seinen Geist einzuprägen.
Was die Garderobe des gnädigen Herrn betrifft, so war sie ganz vorzüglich ausstaffiert und mit Verständnis zusammengestellt. Jedes Beinkleid, jede Weste, jeder Frack trug eine Eingangs- und Ausgangsnummer in einem Konto, das genau darüber Aufschluß gab, an welchem Tage je nach der Jahreszeit die einzelnen Anzüge reihum getragen werden mußten. Für die Fußbekleidung bestand das gleiche Reglement.
Dies Haus in der Saville-Row — das zur Zeit des berühmten, aber unsoliden Sheridan als Tempel der Zuchtlosigkeit gegolten haben dürfte — wies ein Mobilar von äußerster Vornehmheit auf. Es bekundete auf den ersten Blick eine glückliche Situation und ein vernünftiges Temperament seines Besitzers. Kein Bücherschrank, keine Bücher, die für Herrn Fogg insofern ohne Nutzen gewesen wären, weil der Reform-Klub zwei Bibliotheken zu seiner Verfügung hielt, von denen eine sich aus den schönen Wissenschaften, die andere aus Rechts- und Staatswissenschaften zusammensetzte. In dem Schlafgemach stand ein eiserner Kasten von mittlerer Größe, dessen Bauart ihn vor Feuer und Einbruch sicherte. Keine einzige Hieb-, Stich- oder Feuerwaffe im ganzen Hause, keinerlei Jagd- oder Kriegsgeräte. Alles bekundete hier die friedfertigsten Gesinnungen und ruhigsten Gewohnheiten.
worin sich eine Unterhaltung entspinnt, die Herrn Phileas Fogg leicht teuer zu stehen kommen kann
Phileas Fogg hatte sein Haus um halb zwölf Uhr verlassen. Nachdem er den rechten Fuß fünfhundertfünfundsechzigmal vor den linken und den linken fünfhundertsechsundsechzigmal vor den rechten Fuß gesetzt hatte, langte er im Reform-Klub an, einem Bauwerk von geräumigen Verhältnissen, das in der Pall-Mall mit einem Aufwande von nicht weniger als drei Millionen aufgeführt worden war.
Phileas Fogg verfügte sich alsbald nach dem Speisesaal, dessen neun Fenster auf einen schönen Garten hinaus sahen; die Bäume zeigten schon die goldige Färbung des Herbstlaubes. Dort nahm er an seinem Stammtische Platz, wo sein Gedeck schon seiner wartete. Sein Frühstücksmahl setzte sich aus einer Vorspeise zusammen, gesottenem Fisch in „Reading Sauce“, worauf es Roastbeef mit Steinpilzen, dann Backwerk mit Stachelbeer- und Rhabarberfüllung, zuletzt Chesterkäse gab. Dazu Tee von ausgezeichneter Qualität, der für die Küche des Reform-Klubs besonders geerntet und direkt aus dem Ursprungslande verfrachtet wurde.
Um 12 Uhr 47 Minuten stand der Kavalier auf und lenkte seine Schritte nach dem großen Salon, einem verschwenderisch eingerichteten, mit Gemälden in wertvollen Rahmen reich geschmückten Raume. Dort reichte ihm ein Diener die noch nicht aufgeschnittene „Times“. Phileas Fogg bewirkte die mühsame Verrichtung des Aufschneidens der großen Blätter mit einer so sicheren Hand, daß man ohne weiteres die Überzeugung gewann, daß er diese Verrichtung schon lange Zeit gewohnt war. Mit der Lektüre dieses Journals befaßte sich Phileas Fogg bis um 3 Uhr 45 Minuten, und die darauf folgende des „Standard“ dauerte bis zum Diner. Diese Mahlzeit vollzog sich unter den nämlichen Bedingungen wie das Frühstück; an der Stelle der „Reading-Sauce“ trat hier die „Royal British Sauce“.
10 Minuten vor 6 Uhr erschien der Kavalier wieder im Salon und vertiefte sich in die Lektüre des „Morning-Chronicle“.
Eine halbe Stunde später kamen verschiedene Mitglieder des Reform-Klubs in den Salon und stellten sich an den Kamin, in welchem ein Steinkohlenfeuer brannte. Es waren die Whistkollegen des Herrn Fogg, die gleich ihm zu den passionierten Freunden dieses stillen Spieles zählten. Zu ihnen gehörte der Ingenieur Andrew Stuart, die Bankiers John Sullivan und Samuel Fallentin, der Bierbrauer Thomas Flanagan, der zum Vorstande der Bank von England gehörige Walter Ralph — durchweg reiche und angesehene Personen, sogar in diesem Klub dafür gehalten, der zu seinen Mitgliedern die Spitzen der Industrie- und Finanzwelt zählte.
„Nun, Ralph“, eröffnete Thomas Flanagan die Unterhaltung, „wie stehts denn mit der betreffenden Diebstahlsgeschichte?“
„Hm“, versetzte Andrew Stuart, „die Bank wird um ihr Geld kommen.“
„Ich hoffe im Gegenteil“, nahm Walter Ralph das Wort, „daß wir den Urheber des Diebstahls fassen werden. Es sind Polizeikommissare nach Amerika und nach Europa geschickt worden, sehr gewandte Leute, nach allen wichtigen Einschiffungs- und Landeplätzen; es dürfte dem fraglichen Musjö also schwer werden, zu entschlüpfen.“
„Aber besitzt man denn das Signalement des Spitzbuben?“ fragte Andrew Stuart.
„Erstlich einmal ist’s gar kein Spitzbube“, versetzte mit großem Ernst Walter Ralph.
„Wieso? Ein Mensch, der fünfundfünfzigtausend Pfund in Banknoten entwendet hat, ist kein Spitzbube?“
„Nein“, versetzte Walter Ralph.
„Also ein Industrieritter?“ bemerkte John Sullivan.
„Im Morning Chronicle wird versichert, er sei ein Kavalier!“
Diese Äußerung wurde von keinem geringeren gegeben als von Phileas Fogg, dessen Haupt nun aus der ihn umflutenden Papiermasse herauftauchte. Phileas Fogg begrüßte seine Mitspieler, die seinen Gruß erwiderten.
Der Fall, von dem hier die Rede war, und den die verschiedenen Zeitungen des Vereinigten Königreiches mit Eifer erörterten, war vor drei Tagen, am 29. September, geschehen. Ein Bündel Banknoten, das die ungeheure Summe von 55.000 Pfund ausmachte, war vom Tische des Hauptkassiers der Bank von England gestohlen worden.
Allen gegenüber, die ihre Verwunderung darüber aussprachen, wie sich ein solcher Diebstahl so leicht habe ausführen lassen, beschränkte sich der zweite Direktor der Bank, Herr Walter Ralph, auf den Bescheid, daß sich der Kassier im selben Augenblick damit befaßt hätte, eine Quittung über drei und einen halben Schilling auszustellen, und daß man die Augen doch nicht überall haben könne.
Aber es muß hier erwähnt werden, daß dieses bewunderungswürdige Institut, das die Welt als „Bank von England“ kennt, auf Ansehen und Würde des Publikums außerordentliche Rücksicht zu nehmen scheint. Hier sieht man weder Aufseher, noch Drahtgitter! Gold, Silber und Banknoten liegen frei und offen da, gleichsam der Gnade und Barmherzigkeit des ersten besten überlassen, der den Fuß in das Bankgebäude setzt. Wer könnte Argwohn in die Rechtschaffenheit jemandes setzen, den sein Weg hierher führt? Einer der besten Kenner englischer Sitten und Bräuche erzählt sogar das folgende Stückchen: Er weilte eines Tages in einem der Säle der Bank und wollte sich aus Neugierde einen Goldbarren näher besehen, der sieben bis acht Pfund wiegen mochte und auf dem Tisch des Kassiers lag. Er nahm den Barren in die Hand, besichtigte ihn, gab ihn seinem Nachbarn, der gab ihn einem andern, und der andere wieder einem andern, bis der Barren von Hand zu Hand bis in einen finsteren Korridor hinaus gelangt war und erst eine halbe Stunde später wieder an seinen eigentlichen Platz zurückgelangte, ohne daß der Kassier auch nur aufgesehen hätte.
Am 27. September hatten sich die Dinge nicht so abgespielt. Das Bündel Banknoten hatte seinen Weg nicht wieder zurückgefunden, und als die über dem Kassenzimmer befindliche prachtvolle Uhr um 5 Uhr den Schluß der Büros verkündete, war der Bank von England die Kontenführung um bare fünfundfünfzigtausend Pfund Sterling erleichtert worden.
Sobald der Diebstahl bekannt geworden war, wurden die gewandtesten Polizisten ausgewählt und nach den wichtigsten Hafenplätzen beordert, nach Liverpool, Glasgow, Havre, Suez, Brindisi, New York und so weiter, und eine Belohnung von zweitausend Pfund nebst einer Provision von fünf Prozent von dem geretteten Betrag ausgesetzt. Den Kommissaren wurde Weisung erteilt, alle ankommenden und abreisenden Passagiere aufs schärfste zu kontrollieren.
Man hatte nun, wie es im „Morning-Chronicle“ zu lesen stand, begründete Ursache zu der Annahme, daß der Urheber des Diebstahls mit keiner der Diebsbanden Englands in irgendwelcher Verbindung stand. Am 29. September hatte man tagsüber einen elegant gekleideten Herrn von feinen Manieren und sehr vornehmem Auftreten in dem Saale bemerkt, wo die Auszahlungen erfolgten, und wo sich der Diebstahl abgespielt hatte. Die Nachforschungen hatten ein ziemlich genaues Signalement des Herrn ergeben. Dasselbe wurde allen Geheimpolizisten der Vereinigten Königreiche sowohl wie des Festlandes bekannt gemacht. Einige optimistisch angehauchte Geister, zu denen auch Walter Ralph gehörte, glaubten deshalb begründete Hoffnung haben zu dürfen, daß der Dieb nicht würde entwischen können.
Wie man sich denken kann, bildete das Ereignis das Stadtgespräch in London und in ganz England. Es wurde für und wider die wahrscheinlichen Erfolge gestritten, welche die Polizei der Metropole hierbei haben würde. Man wird sich infolgedessen nicht darüber wundern, daß auch von den Mitgliedern des Reform-Klubs über das gleiche Thema gesprochen wurde — und zwar um so weniger, als sich unter ihnen eines der Vorstandsmitglieder der Bank befand.
Der ehrenwerte Walter Ralph mochte in das Ergebnis der Nachforschungen schon um deswillen keinen Zweifel setzen, weil ja die ausgeschriebene Belohnung den Eifer und die Klugheit der Polizeibeamten besonders anspornen müßte. Aber sein Kamerad Andrew Stuart wollte durchaus nichts davon wissen, dieses Vertrauen zu teilen. Die Diskussion nahm also unter den Herren ihren Fortgang, die sich an einen Whisttisch gesetzt hatten, Stuart neben Fallentin und Fallentin neben Fogg. Während des Spieles sprachen die Spieler kein Wort, aber zwischen den einzelnen Robbern setzte die Unterhaltung immer sehr flott ein.
„Ich behaupte“, meinte Andrew Stuart, „daß die Chancen günstig für den Spitzbuben stehen, der unbedingt ein äußerst geschickter Mensch sein muß.“
„Ach, reden sie doch nicht!“ erwiderte Ralph, „es gibt kein einziges Land, wohin er flüchten könnte!“
„Das wäre!“
„Wohin soll er denn Ihrer Meinung nach flüchten?“
„Das ist nicht meine Sache“, versetzte Andrew Stuart, „aber schließlich ist die Erde doch groß genug!“
„Das war sie ehemals!“ bemerkte halblaut Phileas Fogg. „Aber bitte, Sie heben ab“, setzte er hinzu, indem er Thomas Flanagan die Karten reichte.
Die Diskussion wurde ausgesetzt, solange der Robber dauerte. Bald aber nahm sie Andrew Stuart wieder auf.
„Wieso ehemals? Ist denn die Erde etwa kleiner geworden?“
„Ohne Zweifel“, antwortete Walter Ralph. „Ich bin derselben Meinung wie Herr Fogg. Die Erde ist kleiner geworden, seitdem man sie zehnmal schneller durchreist als vor hundert Jahren. Ein Umstand, welcher in dem Falle, der uns beschäftigt, die Nachforschungen wesentlich beschleunigen wird.“
„Aber dem Spitzbuben auch die Flucht ganz wesentlich erleichtern wird!“
„Sie sind am Spiel, Herr Stuart!“ sagte Phileas Fogg.
Der ungläubige Stuart ließ sich aber nicht überzeugen, und als die Partie zu Ende war, hub er wieder an:
„Das muß ich Ihnen lassen, Herr Ralph, eine sehr bequeme Erklärung haben Sie ausfindig gemacht für Ihre Behauptung, die Erde sei kleiner geworden! Also, weil man die Reise um die Welt jetzt in drei Monaten macht . . .“
„In achtzig Tagen bloß“, bemerkte Phileas Fogg.
„Allerdings in achtzig Tagen, meine Herren“, bekräftigte John Sullivan, „seitdem die Linie Rothal—Allahabad auf der Hauptbahn der Halbinsel Ostindien eröffnet worden ist.“
Hier haben wir übrigens die Aufstellung im Morning-Chronicle:
London-Suez durch den Mont-Cenis und
über Brindisi, Eisenbahn und Dampfschiff.
7 Tage
Suez-Bombay, Dampfschiff
13 Tage
Bombay-Kalkutta, Eisenbahn
3 Tage
Kalkutta-Hongkong (China), Dampfschiff
13 Tage
Hongkong-Yokohama (Japan), Dampfschiff
6 Tage
Yokohama-San Franzisko, Dampfschiff
22 Tage
San Franzisko-New York, Eisenbahn
7 Tage
New York-London, Dampfschiff und Eisenbahn
9 Tage
Macht zusammen
80 Tage
„Was? In achtzig Tagen?“ rief Andrew Stuart, der aus Versehen eine Fehlkarte gestochen hatte — „Aber ungerechnet schlechte Witterung, widrige Winde, Schiffbrüche, Entgleisungen und so weiter —“
„Alles mitgerechnet“, versetzte Phileas Fogg und spielte weiter, denn jetzt nahm die Diskussion auf das Spiel keine Rücksicht mehr.
„Auch wenn die Hindus oder die Indianer die Schienen aufreißen!“ rief Andrew Stuart — „wenn sie die Züge aufhalten, die Wagen plündern, die Reisenden skalpieren!“
„Alles mitgerechnet“, versetzte Phileas Fogg, legte seine Karten hin und meldete: „Zwei Trumpf-Aß —“
Andrew Stuart, an den das Spiel gelangte, nahm die Karten mit den Worten auf:
„In der Praxis auch, Herr Stuart!“
„Das möchte ich doch erst sehen!“
„Kommt ganz auf Sie an! Machen wir uns zusammen auf die Tour!“
„Soll mich der Himmel bewahren!“ rief Stuart, „aber viertausend Pfund halte ich dagegen, daß eine Reise unter solchen Bedingungen die reine Unmöglichkeit ist!“
„Eine sehr leichte Möglichkeit im Gegenteil“, versetzte Herr Fogg.
„Nun, beweisen Sie es doch!“
„Daß man in achtzig Tagen um die Welt reisen kann?“
„Ja.“
„Will ich gern!“
„Wann?“
„Auf der Stelle. Bloß eines sage ich Ihnen, die Reise kostet Ihr Geld!“
„Das ist ja Wahnsinn!“ rief Andrew Stuart, den die Hartnäckigkeit seines Mitspielers zu erbosen anfing — „spielen wir lieber!“
„Dann geben Sie, bitte, noch einmal — denn Sie haben vergeben“, antwortete Phileas Fogg.
Andrew Stuart, in fieberhafter Erregung, nahm die Karten wieder zur Hand, warf sie aber plötzlich wieder auf den Tisch und rief:
„Nun also, Herr Fogg, ich wette viertausend Pfund!“
„Mein lieber Stuart“, sagte Fallentin. „Beruhigen Sie sich! Die Sache ist ja kein Ernst.“
„Wenn ich sage, ich wette“, rief Andrew Stuart wieder, „dann ist es allemal Ernst.“
„Gut also!“ sagte Herr Fogg, zu seinen Mitspielern gewendet — „ich habe 20.000 Pfund bei Gebrüder Baring. Ich will sie gern riskieren . . .“
„20.000 Pfund!“ rief John Sullivan — „20.000 Pfund, die durch eine unvorhergesehene Behinderung oder Verzögerung in Verlust geraten können!“
„Unvorhergesehenes gibt es nicht“, erwiderte einfach Phileas Fogg.
„Aber, Herr Fogg! Diese Zeitspanne von achtzig Tagen ist doch nur als Minimalzeit gerechnet!“
„Ein Minimum, gut angewandt, reicht aus für alles!“
„Aber um es nicht zu überschreiten, muß man doch mit mathematischer Genauigkeit aus den Eisenbahnen in die Dampfschiffe, und aus den Dampfschiffen in die Eisenbahnen springen!“
„Ich werde eben mathematsich genau springen.“
„Das ist ein schlechter Witz!“
„Ein echter Engländer macht niemals schlechte Witze“, antwortete Phileas Fogg, „wenn es sich um eine so ernste Sache handelt wie eine Wette. Ich wette 20.000 Pfund gegen jedermann, daß ich die Reise um die Erde in achtzig Tagen oder weniger, meinetwegen 1920 Stunden oder 115.200 Minuten, zurücklege. Halten Sie die Wette?“
„Wir halten die Wette“, antworteten die Herren Stuart, Fallentin, Sullivan und Ralph, nachdem sie sich verständigt hatten.
„Gut“, versetzte Herr Fogg. „Der Zug nach Dover fährt 8 Uhr 45. Ich fahre mit ihm.“
„Noch heute abend?“ fragte Stuart.
„Noch heute abend“, antwortete Phileas Fogg. „Mithin werde ich“, setzte er hinzu, einen Taschenkalender zu Rate ziehend, „da wir heute Mittwoch, den 2. Oktober haben, am Sonnabend, den 21. Dezember, in diesem nämlichen Saale des Reform-Klubs zurück sein müssen, und zwar um 8.45 Uhr abends — bleibe ich länger aus, dann fallen die zur Zeit bei Gebrüder Baring von mir hinterlegten 20.000 Pfund an Sie, meine Herren. Hier ist ein Scheck über den Betrag.“
Ein Protokoll wurde über die Wette abgefaßt und von den sechs bei der Wette beteiligten Herren unterzeichnet. Phileas Fogg war eiskalt geblieben. Ganz gewiß hatte er nicht gewettet, um zu gewinnen, und hatte diese 20.000 Pfund — nur die Hälfte seines Vermögens, — aufs Spiel gesetzt, weil er voraussah, daß ihn die Durchführung dieses schwierigen, um nicht zu sagen unausführbaren Planes die andere Hälfte kosten könne. Was seine Gegner anbetrifft, so schienen sie aufs höchste alteriert zu sein, nicht über den Wert des Einsatzes, sondern weil sie sich in gewissem Maße Gewissensbisse über einen Zweikampf unter dergleichen Bedingungen machten.
Sieben Uhr schlug es nun. Man machte Herrn Fogg den Vorschlag, die Whistpartie auszusetzen, damit er seine Vorbereitungen zur Abreise treffen könne.
„Ich bin immer bereit!“ antwortete dieser unnahbare Herr und gab Karten.
„Ich tourniere Karreau“, sagte er. „Sie spielen aus, Herr Stuart!“
worin Phileas Fogg seinen Lakai in Verblüffung setzt
Um 7 Uhr 25 Minuten verabschiedete sich Herr Phileas Fogg, nachdem er beim Whist einen Gewinn von zwanzig Guineen eingeheimst hatte, von seinen sehr ehrenwerten Kameraden und verließ den Reform-Klub. Um 7 Uhr 50 Minuten öffnete er seine Haustür und trat bei sich ein.
Passepartout, der das ihm vorgeschriebene Programm gewissenhaft studiert hatte, war nicht wenig verwundert, als er Herrn Fogg in solchem Verstoß gegen alles was Pünktlichkeit heißt zu solcher ungewohnten Stunde auftauchen sah. Den auf dem Zettel verbuchten Anordnungen gemäß durfte der Hausherr von Saville-Row erst genau um Mitternacht nach Hause kommen.
Phileas Fogg hatte sich zuerst nach seinem Schlafzimmer begeben. Dann rief er:
„Passepartout!“
Passepartout ließ nichts von sich hören. An ihn konnte dieser Ruf sich nicht richten. Zeit und Stunde stimmten nicht.
„Passepartout“, rief Herr Fogg zum andernmal, ohne die Stimme irgendwie zu steigern.
Passepartout zeigte sich.
„Ich rufe bereits zum zweitenmal“, äußerte Herr Fogg.
„Aber es ist doch nicht Mitternacht“, gab Passepartout mit der Uhr in der Hand zur Antwort.
„Das weiß ich“, versetzte Phileas Fogg, „und ich mache dir auch keinen Vorwurf. In zehn Minuten reisen wir nach Dover und Calais.“
So etwas wie ein spöttisches Lachen glitt über das runde Angesicht des Franzosen. Es sprang ja in sie Augen, daß er falsch gehört hätte.
„Der gnädige Herr verändert das Domizil?“ fragte er.
„Jawohl“, erwiderte Phileas Fogg. „Wir machen eine Reise um die Welt.“
Passepartout riß die Augen entsetzlich weit auf. Mit hochgezogenen Lidern, ausgespreizten Armen, vorgebeugtem Oberkörper stand er da, alle Kennzeichen des zum Entsetzen gesteigerten Erstaunens verratend.
„Reise um die Welt?“ murmelte er.
„In achtzig Tagen“, versetzte Herr Fogg. „Also vorwärts! Wir haben keinen Augenblick zu verlieren.“
„Aber die Koffer?“ fragte Passepartout, indem er den Kopf, ohne es zu wissen, von rechts nach links und umgekehrt wiegte.
„Von Koffer keine Rede. Bloß einen Nachtsack brauchen wir. Tu zwei wollene Hemden hinein und drei Paar Strümpfe. Soviel für dich! Was wir sonst brauchen, kaufen wir unterwegs. Bring meinen Makintosh und meine Reisedecke herunter. Versorge dich mit gutem Schuhzeug! Übrigens werden wir nur wenig oder gar nicht laufen. Marsch!“
Passepartout hätte gern etwas darauf gesagt. Er konnte nicht. Er verließ Herrn Foggs Zimmer, ging in das seinige hinauf, sank auf einen Stuhl und rief, eine bei ihm zu Hause jedenfalls gern gebrauchte Redensart verwendend:
„Na, ich sage es ja! Eine schöne Pastete! Und das muß mir passieren, der sich so sehr nach Ruhe sehnte!“
Mechanisch traf er seine Vorbereitungen zur Reise. Zur Reise um die Welt in achtzig Tagen! War er denn an einen Narren geraten? Nein. Wars ein schlechter Witz? Aber die Reise ging doch nach Dover! Vielleicht auch nach Calais! Alles in Betracht gezogen, konnte dies dem braven Burschen eigentlich gar nicht so zuwider sein, denn er hatte doch seit wenigstens fünf Jahren den Fuß nicht mehr in sein Vaterland gesetzt. Vielleicht ging die Reise gar bis Paris, und die große Residenz hätte er, meiner Treu! gewiß recht gern einmal wieder gesehen! Aber ganz sicher würde sich ein Herr, der so mit jedem Schritt rechnete, dort auch aufhalten . . . Jawohl, zweifellos! Aber nicht weniger wahr blieb es trotzdem, daß er auf Reisen ging, daß er sein Domizil verlegte! Dieser bisher an seine vier Pfähle so festgekittete Kavalier!
Um acht Uhr hatte Passepartout den kargen Reisesack gepackt, der sein und seines Herrn Kleidungsstücke enthielt. Dann begab er sich, noch immer nicht recht klar im Kopfe, aus dem Zimmer, schloß die Tür fürsorglich hinter sich ab und trat zu Hern Fogg.
Herr Fogg stand bereit. Unter dem Arm hielt er „Bradshaws Eisenbahn- und Schiffahrts-Kursbuch und Universalführer durch den Kontinent“, aus welchem er alle für die Reise notwendigen Unterweisungen zu schöpfen gedachte. Er nahm Passepartout den Reisesack aus den Händen, machte ihn auf und ließ ein starkes Bündel jener schönen Banknoten in seine Tiefen gleiten, die in aller Herren Ländern gut im Kurs stehen.
„Vergessen hast du nichts?“ fragte er.
„Nichts, gnädiger Herr.“
„Mein Makintosh und meine Decke?“
„Hier bitte.“
„Da, nimm den Sack!“
Herr Fogg gab Passepartout den Reisesack wieder in die Hand.
„Gib gut acht auf ihn“, bemerkte er noch — „es liegen 20.000 Pfund drin.“
Es schien, als entglitte der Sack, weil die 20.000 Pfund in Gold verwandelt und schwer wiegen möchten, Passepartouts Händen.
Herr und Diener gingen nun die Treppe hinunter. Das Haustor wurde zweifach verschlossen. Am äußersten Ende der Saville-Row standen Droschken. Phileas Fogg stieg mit seinem Lakaien in einen Einspänner, der geschwind nach dem Bahnhof Charing Croß fuhr. Dort mündete eines der Gleise, die zum Südostbahnhof führten.
Um 8 Uhr 20 Minuten hielt der Einspänner vor dem Gitter des Bahnhofs. Passepartout sprang zur Erde. Sein Herr sprang hinterher und bezahlte den Kutscher.
In diesem Augenblick trat ein armes Bettelweib mit einem Kind an der Hand, das barfuß im Straßenschmutz stand, einen zerrissenen Hut auf dem Kopfe, an dem eine ärmliche Feder hing, und ein fadenscheiniges Tuch um die Hüften, auf Fogg zu und bat um eine Gabe.
Herr Fogg nahm die zwanzig Guineen aus der Tasche, die er eben im Whist gewonnen, und drückte sie der Bettlerin in die Hand mit den Worten:
„Da nehmen Sie, gute Frau! Ich bin froh, daß Sie mir in den Weg getreten sind!“
Dann eilte er weiter.
Passepartout hatte das Gefühl, als wenn es ihm um die Pupille herum feucht würde. Sein Herr hatte einen Platz in seinem Herzen gewonnen.
Herr Fogg betrat nun zusammen mit Passepartout ohne weiteren Aufenthalt den großen Wartesaal des Bahngebäudes. Dort gab Herr Fogg Passepartout die Weisung, zwei Billetts erster Klasse nach Paris zu lösen. Dann drehte er sich um, und seine Blicke fielen auf seine fünf Kollegen aus dem Reform-Klub.
„Meine Herren“, redete er sie an, „ich reise ab. Die verschiedenen Visa, die ich meinem Passe beisetzen lassen werde, sollen Ihnen bei meiner Rückkehr als Kontrolle für die eingehaltene Route dienen.“
„Aber ich bitte, Herr Fogg“, antwortete Walter Ralph höflich, „das ist doch ganz unnötig. Wir verlassen uns doch auf Ihre Eigenschaft als Kavalier!“
„So wirds aber besser sein“, versetzte Herr Fogg.
„Die Heimkehr werden Sie doch nicht vergessen?“ erlaubte sich Andrew Stuart zu bemerken.
„Innerhalb achtzig Tagen“, versetzte Herr Fogg, „am Sonnabend, den 21. Dezember 1872, um 8 Uhr 45 Minuten abends bin ich wieder da. Auf Wiedersehen, meine Herren!“
Um 8 Uhr 40 Minuten nahm Phileas Fogg mit seinem Diener im gleichen Abteil Platz. Um 8 Uhr 45 Minuten erscholl ein Pfiff und der Zug setzte sich in Bewegung.
Es war eine finstere Nacht. Ein feiner Regen fiel. Phileas Fogg drückte sich in seine Ecke und sprach kein Wort. Passepartout, noch immer wie versteinert, drückte mechanisch den Sack mit den Banknoten an sich.
Aber noch war der Zug nicht bis Sydenham gekommen, als Passepartout einen echten Verzweiflungsschrei ausstieß!
„Was ist dir denn?“ fragte Herr Fogg.
„Ach — ich habe bloß — in meiner Eile vergessen —“
„Was denn?“
„Den Gashahn in meiner Stube auszudrehen!“
„Na, mein Junge!“ antwortete kühl und gelassen Herr Fogg — „die Flamme brennt für deine Rechnung!“
worin ein neuer Effekt in London eintritt
Als Phileas Fogg London verließ, hatte er ganz gewiß nicht die geringste Ahnung von dem großen Lärm, den seine Abreise hervorrufen sollte. Die Nachricht von der Wette verbreitete sich zuerst im Reform-Klub und rief unter den Mitgliedern der sehr ehrenwerten Vereinigung eine wichtige Erregung wach. Aus dem Klub nahm die Erregung ihren Weg in die Zeitungen, und zwar auf den Fittichen der zahllosen Reporter, und aus den Zeitungen zum großen Publikum von London und des ganzen Vereinigten Königreiches.
Diese Weltreisenfrage wurde mit viel Leidenschaft und Wärme erörtert und zergliedert. Die einen ergriffen Partei für Phileas Fogg; die andern — und zwar befanden sie sich rasch in überwiegender Majorität — sprachen sich gegen ihn aus. Diese Reise um die Erde in diesem Minimum von Zeit anders als in der Theorie und auf dem Papier mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln zurückzulegen, war nicht allein unmöglich, sondern war unvernünftig!