Die Rolle der Bürgerhauptleute in der sog. „Brabandtschen Revolution“ (1601/02) der Stadt Braunschweig - Kevin Kappel - E-Book

Die Rolle der Bürgerhauptleute in der sog. „Brabandtschen Revolution“ (1601/02) der Stadt Braunschweig E-Book

Kevin Kappel

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Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Geschichte Europa - and. Länder - Mittelalter, Frühe Neuzeit, Note: 1,7, Universität Osnabrück, Sprache: Deutsch, Abstract: Im Rahmen des Proseminars „Stadt und Konfessionalisierung“ wurde u.a. näher auf die Stadt Braunschweig eingegangen, die als Fallbeispiel der lutherischen Konfessionalisierung diente. In der vorliegenden Hausarbeit wird der Frage nachgegangen, welche Rolle die Bürgerhauptleute in der sog. „Brabandtschen Revolution“ (1601/02) der Stadt Braunschweig spielten bzw. ob und inwieweit diese politische Institution für den Ausbruch und den Verlauf der Revolution verantwortlich gemacht werden kann. Um zu diesem Erkenntnisziel zu gelangen, wird zunächst als Einstieg in die Thematik ein Überblick über die politischen und sozialen Verhältnisse der Stadt vor der Revolution gegeben und insbesondere die verfassungsrechtliche Position der Bürgerhauptleute beleuchtet. In einem zweiten Schritt wird dann im Rahmen der Analyse der Brabandtschen Revolution und vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Stellung der Bürgerhauptleute ihre Bedeutung innerhalb dieses Konflikts untersucht. Als grundlegend für die allgemeine Beschäftigung mit der Stadt Braunschweig im 16. und 17. Jahrhundert haben immer noch die Arbeiten des früheren braunschweigischen Stadtarchivars Werner Spieß zu gelten, während für die spezielle Frage nach der machtpolitischen Stellung der Bürgerhauptleute in dieser Zeit insbesondere auf das Buch Jörg Walters, „Rat und Bürgehauptleute in Braunschweig 1576-1604“, zu verweisen ist.

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Inhaltsverzeichnis

 

1Einleitung

2Die politischen und sozialen Verhältnisse der Stadt Braunschweig vor der Brabandtschen Revolution

2.1Ein Überblick

2.2Die verfassungsrechtliche Position der Bürgerhauptleute

3Die Brabandtsche Revolution von 1601/02

3.1Die wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe der Revolution

3.2Der Ausbruch der Revolution

3.3Der sog. „Neue Rezess“

3.3.1Inhalt des Neuen Rezesses

3.3.2Die Auswirkungen des Vertrages

4Schluss

5Quellenverzeichnis

6Literaturverzeichnis

1 Einleitung

 

Im Rahmen des Proseminars „Stadt und Konfessionalisierung“ wurde u.a. näher auf die Stadt Braunschweig eingegangen, die als Fallbeispiel der lutherischen Konfessionalisierung diente.

 

In der vorliegenden Hausarbeit wird der Frage nachgegangen, welche Rolle die Bürgerhauptleute in der sog. „Brabandtschen Revolution“ (1601/02) der Stadt Braunschweig spielten bzw. ob und inwieweit diese politische Institution für den Ausbruch und den Verlauf der Revolution verantwortlich gemacht werden kann.

 

Um zu diesem Erkenntnisziel zu gelangen, wird zunächst als Einstieg in die Thematik ein Überblick über die politischen und sozialen Verhältnisse der Stadt vor der Revolution gegeben und  insbesondere die verfassungsrechtliche Position der Bürgerhauptleute beleuchtet. In einem zweiten Schritt wird dann im Rahmen der Analyse der Brabandtschen Revolution und vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Stellung der Bürgerhauptleute ihre Bedeutung innerhalb dieses Konflikts untersucht.

 

Als grundlegend für die allgemeine Beschäftigung mit der Stadt Braunschweig im 16. und 17. Jahrhundert haben immer noch die Arbeiten des früheren braunschweigischen Stadtarchivars Werner Spieß zu gelten,[1] während für die spezielle Frage nach der machtpolitischen Stellung der Bürgerhauptleute in dieser Zeit insbesondere auf das Buch Jörg Walters, „Rat und Bürgehauptleute in Braunschweig 1576-1604“, zu verweisen ist.[2]  

2 Die politischen und sozialen Verhältnisse der Stadt Braunschweig vor der Brabandtschen Revolution

 

2.1 Ein Überblick

 

Das Braunschweig des 16. und 17. Jahrhunderts lässt sich in fünf Weichbilde bzw. Stadtteile gliedern: der Altstadt, dem Hagen, der Neustadt, der Alten Wiek und dem Sack.[3] Die politische Führungsschicht der Stadt rekrutierte sich aus den sog. „Geschlechtern“ (ab dem 16. Jahrhundert auch „Patrizier“ genannt), die wohl auf die frühsten Siedler der Stadt zurückgingen und aufgrund ihres Ansehens und Vermögens das Recht erwarben, Ratsherren zu stellen oder wichtige politische Ämter zu übernehmen. Zu diesen Ratsfamilien zählten seit dem 13. und 14. Jahrhundert ebenfalls Zuwanderer von nah und fern, die in der Stadt Fernhandel, z.B. Tuchhandel, betrieben.[4] So basierte der Reichtum der Stadt ebenfalls auf diesen exportorientierten Gewerben, so dass sich wirtschaftliche und politische Macht in Braunschweig im Stand der Patrizier vereinigten.[5]

 

Jedes Weichbild verfügte über einen eigenen Rat und einen eigenen Bürgermeister. Der Rat der Gesamtstadt bestand aus den Mitgliedern der jeweiligen Weichbildräte, die im 16. Jahrhundert ihre Bedeutung als selbständige politische Institutionen jedoch längst verloren hatten.[6] Der Gesamtrat bestand aus 103 Mitgliedern und als Wahlkörperschaften fungierten die vierzehn Gilden und fünf Gemeinden der Stadt.[7] Hierbei stellten die Fernhändlergilden 29, die Handwerkergilden 49 und die Gemeinden[8] 25 Ratsherren.[9] Dabei richtete sich die Zahl der von den einzelnen Gilden gestellten Ratsherren nach der Verfassungsreform von 1386 nicht etwa nach ihrer Größe, sondern nach ihrer damaligen wirtschaftlichen Bedeutung.[10] In dieser Art der Ratsverteilung bestand jedoch eine Gefahr, da mit der Zeit die wirtschaftliche Bedeutung einzelner Gilden oder Gemeinden ab- oder zunehmen konnte, ihre politische Repräsentation im Rat davon jedoch unberührt blieb.[11]

 

Die eigentliche Regierung der Stadt bildete der sog. „Küchenrat“ (ab 1614 auch „Enger(er) Rat“ genannt),[12] der an sitzende und ruhende Jahre nicht gebunden war.[13] Er setzte sich aus Bürgermeistern aller Weichbilde zusammen (je sechs aus Altstadt und Hagen, je drei aus Neustadt, der Alten Wiek und Sack) und vier Küchenkämmerern (drei aus der Altstadt und einem aus der Neustadt).[14]

 

Außenpolitisch hatte sich Braunschweig bis zum Ende des 15. Jahrhunderts eine vom Stadtherrn weitgehend unabhängige Position erkämpft.[15] Stadtherr war der jeweilige Herzog des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel und die Beziehungen zur seiner eigentlichen Landesstadt waren im 16. und 17. Jahrhundert durch zahlreiche Konflikte gekennzeichnet.[16]

 

Abschließend kann festgehalten werden, dass sich das politische Regiment Braunschweigs im 16. Jahrhundert zwar aus verschiedenen sozialen Gruppen zusammensetzte, die politische Führungsrolle aber eindeutig den handeltreibenden Gewerben bzw. den Geschlechtern zuzurechnen ist. Zudem besaß Braunschweig eine Stadtverfassung, die auf wirtschaftliche und soziale Veränderungen wenig flexibel reagieren konnte.

 

2.2 Die verfassungsrechtliche Position der Bürgerhauptleute

 

Die politische Institution der Bürgerhauptleute wurde mit dem sog. „Großen Brief“ von 1445 eingeführt.[17]Dies war ein Vertrag zwischen dem Rat und der Bürgerschaft, der aufgrund von Unruhen in der Stadt geschlossen worden war.[18]

 

Den Gemeinden stand demnach das Recht zu, 28 Bürgerhauptleute als Vertreter ihrer Gemeinden zu bestimmen.[19] Diesen Gemeindevertretern kamen zwei wichtige Aufgaben zu. Zum einen wählten sie die Ratsherren der Gemeinden, zum anderen durften sie zusammen mit den Gildemeistern an bestimmten Sitzungen des Rates teilnehmen.[20]

 

Alle drei Jahre, nämlich am Andreasabend (29. November) der Jahre, die einem Körjahr[21] vorausgingen, hatten die Gemeinden der fünf Weichbilde das Recht, sich zu versammeln, ihre Bürgerhauptleute zu wählen und dem Rat durch diese dann ihre Beschwerden oder Anregungen zukommen zu lassen.[22] In diesem Fall waren die Bürgerhauptleute reine Mittelspersonen zwischen dem Rat und der Bürgerschaft.[23]

 

Wie bereits erwähnt, nahmen die Bürgerhauptleute auch bei einigen wichtigen Entscheidungen (z.B. bei außerordentlichen Steuererhöhungen oder der Frage nach Krieg und Frieden) mit dem Ruhenden Rat und den Gildemeistern an einer gemeinsamen Sitzung teil, da der Küchenrat und der Gesamtrat solche Entscheidungen nicht alleine treffen durften.[24] In diesen Fällen baten die Bürgerhauptleute oft darum, mit ihren jeweiligen Gemeinden Rücksprache halten zu dürfen. Dieses Verhalten zeigt, dass die Bürgerhauptleute keineswegs frei in ihren Entscheidungen waren, sondern sich der Meinung der Bürger vergewissern wollten.[25]

 

Auch das Recht, die Ratsherren der Gemeinden wählen zu dürfen, war nur scheinbar ein bedeutendes Zugeständnis des Rates an die untere Bürgerschicht. Der Rat behielt sich nämlich vor, eine ihnen unangenehme Wahl für nichtig zu erklären.[26]

 

Überdies hatten die Bürgerhauptleute kein Recht, eigenmächtig ihre Bauerschaften[27] zu versammeln sowie sich untereinander abzusprechen und der Rat konnte bereits gewählte Bürgerhauptleute zurückweisen.[28]

 

Mit der Einführung des Gremiums der Bürgerhauptleute ist letztlich eine politische Institution entstanden, die ursprünglich eine vermittelnde Rolle zwischen Rat und Bürgerschaft einnahm.[29] Die Bürgerhauptleute waren zwar in erster Linie Repräsentanten ihrer Gemeinden, aber keineswegs ihre politischen Führer. Generell waren sie aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Position in ihren Möglichkeiten der politischen Einflussnahme sehr beschränkt. Walter sieht sogar in der Einführung der Bürgerhauptleute gar kein Zugeständnis des Rates an die Bürgerschaft, sondern vielmehr eine Maßnahme des Rates, „in Zukunft spontane Meinungsäußerungen der Bürgerschaft in geordnete Bahnen [zu] lenken.“[30]

3 Die Brabandtsche Revolution von 1601/02

 

3.1 Die wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe der Revolution

 

In der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert lassen sich einerseits verschiedene Gilden mit großem politischen Einfluss finden, die jedoch längst ihre frühere wirtschaftliche Bedeutung eingebüßt hatten und andererseits aufsteigende Gilden, die gemäß ihres wirtschaftlichen Wachstums eine größere Beteiligung am Stadtregiment einforderten.[31] In den Gemeinden gewannen verschiedene Gewerbe  zum Teil erheblich an Gewicht. Aus aufstrebenden Familien  entstand eine neue Kaufmannsschicht, die die wirtschaftliche Vorrangstellung von den patrizischen Fernhändlern übernahm. Schließlich stiegen allerlei Handwerke auf, die 1386 noch bedeutungslos gewesen waren. Ihnen stand laut Verfassung kein Ratssitz zu, obwohl sie den Vergleich mit einer Gilde nicht mehr zu scheuen brauchten. Ergebnis dieser Entwicklung war, dass sich der Abstand zwischen der Wirtschaftskraft der Gilden und der der Gemeinden erheblich verringert hatte. Weiterhin jedoch stellten die Gilden etwas mehr als drei Viertel, die Gemeinden etwas weniger als ein Viertel aller Ratsherren.[32]

 

Die wirtschaftlichen Veränderungen schlugen sich noch weniger in der Zusammensetzung des Küchenrates als dem eigentlichen Regierungsorgan der Stadt nieder, da nicht jeder Ratsherr, mochte er auch über die geistigen Voraussetzungen verfügen, in den Küchenrat gewählt werden konnte. In den drei vorderen Weichbilden z.B. musste man einer der Körperschaften angehören, die die Küchenherren aufgrund von Gewohnheitsrecht bestimmten.[33] Somit blieb der Enge Rat fest in den Händen der Geschlechter, die nicht daran dachten, ihre politische Vorrangstellung zugunsten der aufsteigenden Kräfte aufzugeben.[34]

 

In dieser Zeit formatierte sich die Institution der Bürgerhauptleute zu einer Partei mit eigenen politischen Vorstellungen und Interessen. Sie forderte u.a. einen gleichberechtigten Anteil an der Stadtregierung und politisch für die gesamte Stadt sprechen zu dürfen. Ihre Kritik richtete sich insbesondere gegen die Vetternwirtschaft im Rate, gegen die überholten Strukturen bei der Ratswahl und gegen die städtische Verfassung überhaupt,[35] die sie den wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen anpassen wollte. Der politische Einfluss einzelner Gilden und v.a. der Gemeinden sollte gestärkt, der der patrizischen Gilden und anderer wirtschaftlich bedeutungslos gewordener Gilden verringert werden.[36]

 

Am Ausgang des 16. Jahrhunderts war  das politische Regiment also immer noch fest in den Händen der Patrizier, deren Führungsanspruch jedoch aufgrund ihres wirtschaftlichen Machtverfalls zunehmend fragwürdig erschien. Es bahnte sich ein Konflikt zwischen dem Rat und den sich immer mehr als die politischen Führer ihrer Gemeinden fühlenden Bürgerhauptleuten an. Diese entwickelten ungeachtet ihrer verfassungsrechtlichen Stellung[37] den Anspruch, die politische Landschaft der Stadt den veränderten sozialökonomischen Verhältnissen anzupassen.[38]

 

3.2 Der Ausbruch der Revolution

 

In Braunschweig zeichneten sich ab 1583/84 immer deutlicher innerstädtische Spannungen ab. Im Jahre 1597 entflammte erneut ein Konflikt zwischen Rat und den Bürgerhauptleuten bzw. den Gemeinden bzgl. einer Kirchenangelegenheit, nachdem schon die Amtsenthebung des streng lutherischen Stadtsuperintendenten Dr. Polykarb Leysers 1593 zu einem Aufstand geführt hatte.[39] Die Bürgerhauptleute waren mit der Entlassung des Pastors Müller nicht einverstanden und setzten sich deswegen mit dem Geistlichen Ministerium[40] in Verbindung.[41] Der Rat wies die Bürgerhauptleute daraufhin, dass es ihnen nicht zustände, einen Ratsbeschluss zu bekämpfen. Er bezeichnete die Bürgerhauptleute als gewöhnliche, am Stadtregiment in keiner Weise beteiligte Bürger und machte deutlich, dass er in Zukunft ihr verfassungswidriges Verhalten nicht mehr dulden wolle. Diese fühlten sich durch die Aussagen des Rates brüskiert und wollten zeigen, dass sie sehr wohl mehr als bloße Untertanen waren. Sie reagierten wie schon bei der Entlassung Leysers mit der geschlossenen Abdankung und erhöhten den Druck auf den Rat noch dadurch, dass sie beschlossen, ihren Verpflichtungen  nicht mehr nachzukommen.[42] Als der konkrete Fall eintrat, befahl der Rat Maßnahmen gegen den Bürgerhauptmann Hoffmeister, der sich geweigert hatte, die Schließung der Stadttore zu überwachen und dafür schließlich ins Gefängnis geworfen wurde.[43]

 

Die Bürgerhauptleute schalteten nun Herzog Julius ein, indem sie mit dieser Angelegenheit beim Hofgericht des Herzogs in Wolfenbüttel vorstellig wurden.[44] Derweil befreiten sie gewaltsam mit zahlreichen anderen Bürgern den eingesperrten Hoffman.[45] Nun war der Rat gefordert und er schickte seinerseits eine Delegation an den kaiserlichen Hof nach Prag, um das Verhalten der Bürgerhauptleute als ungesetzlich erklären zu lassen und womöglich sogar das Gremium der Bürgerhauptleute abzuschaffen. Diese hatte mit ihrer Reise Erfolg und kehrte im November 1597 mit einem kaiserlichen Mandat nach Braunschweig zurück, das den Bürgerhauptleuten unter Androhung von Strafe befahl, ihre friedensbrechenden Tätigkeiten einzustellen.[46]

 

War der Rat auch am kaiserlichen Hof erfolgreich, so musste er nun feststellen, dass  in der Stadt selbst die Bürgerhauptleute die gemeine Bevölkerung mehr und mehr für sich gewinnen konnten. Die Bürger schlugen sich nun auf ihre Seite, da das Gerücht im Umlauf war, der Rat hätte den Kaiser gebeten, die Versammlung am Andreasabend abschaffen zu dürfen.[47] Am Wahltag des Jahres 1598 drohten die Gemeinden schließlich, keine Bürgerhauptleute zu wählen. Die aufgeheizte Stimmung der Menge gegen den Rat nahm bedrohliche Züge an, so dass diesem, um eine gewaltsame Entladung der angespannten Situation zu verhindern, nichts anderes übrigblieb als nachzugeben. Er erklärte, man werde den Forderungen der Bürgerhauptleute nachkommen und die Streitpunkte vertraglich beilegen.[48] 

 

Als die Bereitschaft des Rates, ihr Versprechen in die Tat umzusetzen, nach der doch noch geglückten Wahl der Bürgerhauptleute deutlich abnahm, beschlossen die Bürgerhauptleute am 30.12.1598 keine Ratsherren zu wählen. Sie blockierten somit die Bildung einer neuen Regierung bis der Rat schließlich erneut einlenkte und ein Revers am 4.1.1599 ausstellte, die Angelegenheit nach der Wahl in Angriff zu nehmen.[49]

 

Die geschilderten Ereignisse in Braunschweig im ausgehenden 16. Jahrhundert machen deutlich, dass der Ausbruch der Revolution auf einen immer größerwerdenden Machtkampf zwischen Rat und Bürgerhauptleuten zurückzuführen ist. Die Bürgerhauptleute hatten ein neues Selbstverständnis bzgl. ihrer Aufgaben und Pflichten entwickelt und behinderten zunehmend die Arbeit des Rates. Dieser wiederum war nun fest entschlossen, die Kompetenzüberschreitungen der Bürgerhauptleute nicht weiter hinzunehmen und sie offensiv zu bekämpfen. Welche große politische Bedeutung die Institution der Bürgerhauptleute jedoch schon innehatte, zeigt das Verhalten des Rates. Dieser sah sich außerstande, den Konflikt innerhalb der Stadtmauern zu lösen und musste um kaiserliche Unterstützung bitten. Letztlich konnten die Bürgerhauptleute ihre Forderungen aber nur aufgrund der Rückendeckung durch die Gemeinden durchsetzen.  

 

3.3 Der sog. „Neue Rezess“[50]

 

Unter dem Eindruck zunehmender außenpolitischer Belastungen sollten noch über 2 Jahre vergehen, bis der Vertrag, der sog. „Neue Rezess“, endlich am 8.4.1601 ratifiziert wurde.[51] Erarbeitet von den Mitgliedern des Engen Rates und den Bürgerhauptleuten,[52] geht er maßgeblich auf die Initiative Henning Brabandts[53], dem Führer der Bürgerhauptleute, zurück.[54] Die letzten strittigen Punkte wurden in einer Rücksprache mit der Bürgerschaft zugunsten der Bürgerhauptleute entschieden.[55]

 

3.3.1 Inhalt des Neuen Rezesses

 

Der wichtigste Punkt des 41 Artikel umfassenden Vertragswerkes war die ausdrückliche Anerkennung der Gildemeister und Bürgerhauptleute als Mitregenten der Stadt. Sie waren fortan keine Hilfsorgane mehr, sondern wurden nunmehr als „separata Corpora“ im „Großen Regiment“[56] angesehen und durften sich permanent an der Stadtpolitik beteiligen.[57] Andererseits wurde der Rat jedoch eindeutig als Obrigkeit anerkannt und kein Stand sollte ihn in seiner Politik behindern, sofern er sich im gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen bewegte.[58]

 

Der Rat wurde verpflichtet, berechtigten Anträgen der Gildemeister und Bürgerhauptleute auf Einberufung der Stände stattzugeben.[59] Bzgl. der von den Bürgerhauptleuten gesehenen Gefahr der Filzokratie kam es zur Übereinkunft, dass das Verfahren zur Wahl von Inhabern städtischer Ämter und der Weichbildkämmerer modifiziert werden sollte. Die Besetzung öffentlicher Ämter war somit zukünftig nicht mehr alleine eine Angelegenheit des Küchenrates, sondern aller Ratsherren und Ratsgeschworenen.[60] Mitglieder des Engen Rates, Verwandte von Ratsherren gemäß des Großen Briefes und Junggesellen ohne eigenen Haushalt durften zudem kein städtisches Amt mehr übernehmen. Zusätzlich sollten die Inhaber öffentlicher Ämter strenger überwacht werden und alle Vergünstigungen für diese entfallen.[61]

 

Die Forderung der Bürgerhauptleute, dass die Küchenherren, die zugleich auch im Küchenrat saßen, nicht im Gildemeisterkollegium votieren sollten, um eine Beeinflussung zugunsten des Engen Rates zu verhindern, blieb unberücksichtigt. Auch der Empfehlung, in Zukunft bei der Wahl und Entlassung von Geistlichen neben dem Engen Rat auch die Stände zu beteiligen, wurde nicht Folge geleistet.[62] Ferner blieb das Einspruchsrecht des Rates gegen bereits gewählte, aber nicht qualifizierte Kandidaten für ein Amt als Ratsherr bestehen.[63]

 

Der Neue Rezess war letzten Endes ein Kompromiss zwischen Rat und Bürgerhauptleuten, bei denen sich letztere als die eigentlichen Gewinner fühlen konnten. Zwar wurden nicht all ihre Forderungen erfüllt, aber sie stiegen von bloßen Mittelspersonen zwischen Rat und Bürgerschaft zu Mitregenten der Stadt auf. Der Anspruch der Bürgerhauptleute, am politischen Regiment der Stadt mehr beteiligt zu werden, wurde mit der Ratifizierung des Neuen Rezesses zu geltendem Recht.

 

3.3.2 Die Auswirkungen des Vertrages

 

Eigentlich wäre jetzt das Ende des Konflikts zu erwarten gewesen. Aber die Spannungen hielten an, da sowohl der Rat als auch die Bürgerhauptleute mit dem Vertrag unzufrieden waren. Die Bürgerhauptleute agierten weiterhin mit Gesetzesüberschreitungen und der Küchenrat, der durch den „Neuen Rezess“ ja keine personellen Veränderungen erfuhr, musste mit dem aufgezwungenen Vertrag arbeiten.[64]

 

Im Jahre 1602 kam es dann zu einer umfassenden Ratsveränderung. Die Bürgerhauptleute drängten den Rat mit Hilfe des Neuen Rezesses und v.a. die sog. „Begüterten“[65] so sehr in die Enge,[66] dass die patrizischen Ratsherren geschlossen abdanken wollten.[67] Die 28 Gildemeister der Stadt, in der Hauptsache Vertreter der bedeutenden Gewerbe, hielten sich ganz aus der Sache heraus.[68] Die von den Handwerkergilden gewählten Ratsherren zeigten sich sogar mit ihren patrizischen Kollegen solidarisch und wollten ebenfalls von ihren Ämtern zurücktreten. Diese jedoch wurden von einer Masse an Bürgern gezwungen, in ihren Ämtern zu verweilen. Letztlich wurde es nur 20 Ratsherren gestattet, ihr Amt niederzulegen. Diese Männer jedoch waren von großer politischer Bedeutung. Die Hälfte dieser Personen gehörte dem führenden Weichbild an, nämlich der Altstadt, indem die Patrizier ihren Sitz hatten. Bedeutender ist aber die Tatsache zu bewerten, dass die Hälfte des Personals des Küchenrates, also des eigentlichen Regierungsorgans der Stadt, ersetzt werden musste.[69] Die Patrizier waren somit bis auf wenige Ausnahmen völlig aus dem Rat hinausgedrängt worden.[70] Am 7.1.1602 wurden schließlich neue Ratsherren gewählt, die als Repräsentanten einer neuen Zeit angesehen werden können.[71]

 

Durch die Ratsveränderung von 1602 war die Brabandtsche Revolution endgültig abgeschlossen. Wie schon zuvor der Neue Rezess, so geht auch diese Ratsveränderung größtenteils zu Lasten der Bürgerhauptleute, die mit dem Vertrauen ihrer Gemeinden im Rücken handelten. Hatten sie einen Großteil ihrer Forderungen schon im Neuen Rezess realisieren können, so ist es ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken, dass sie nun sogar das patrizische Element, das seit jeher die Geschicke der Stadt bestimmt hatte, nahezu vollständig aus der städtischen Politik verbannen konnten.

4 Schluss

 

Als Ergebnis der Fragestellung kann festgehalten werden, dass Braunschweig im ausgehenden 16. Jahrhundert zunehmend wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen unterworfen war. Die daraus resultierenden Spannungen führten zu einer politischen Emanzipation der Bürgerhauptleute, die nun ihre eigenen politischen Vorstellungen und Forderungen in die Stadtpolitik einbrachten.

 

Vor dem Hintergrund der hier untersuchten Fragestellung ist die Brabandtsche Revolution somit nichts weiter als eine unvermeidliche Machtprobe zwischen dem Rat und den Bürgerhauptleuten gewesen: Letztere stellten aufgrund ihres neu entwickelten Selbstverständnisses die alleinige Regentschaft des Rates und des patrizisch geführten Küchenrates in Frage, die diese zu verteidigen ersuchten. Aus diesem Grund können die Bürgerhauptleute als Urheber der Revolution von 1601/02 gelten und sie waren dementsprechend auch maßgeblich für ihren Verlauf verantwortlich.

 

In der Folgezeit jedoch konnten die alten politischen Kräfte ihre frühere machtpolitische Stellung wiedererlangen. Die auf die Initiative der Bürgerhauptleute zurückgehenden sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen zogen keine wesentlichen Verbesserungen nach sich, so dass die Stimmung der breiten Bevölkerung völlig umschlug. Dies ermöglichte die Ausschaltung der Bürgerhauptleute auf gerichtlichem Wege, wobei 9 Bürgerhauptleute, darunter Henning Brabandt, hingerichtet wurden.[72]    

5 Quellenverzeichnis

 

Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Statute und Rechtebriefe 1227-1671, Bd.1, hrsg. von Ludwig Hänselmann, Braunschweig 1873.

 

Bugenhagens Kirchenordnung für die Stadt Braunschweig nach dem niederdeutschen Drucke von 1528 mit historischer Einleitung, den Lesearten der hochdeutschen Bearbeitungen und einem Glossar, hrsg. von Ludwig Hänselmann, Wolfenbüttel 1885.