Die Schatzinsel - Robert Louis Stevenson - E-Book

Die Schatzinsel E-Book

Robert Louis Stevenson

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Beschreibung

Die Schatzinsel (Treasure Island) ist ein Roman des schottischen Autors Robert Louis Stevenson. Die Schatzinsel gehört zur Kategorie der klassischen Abenteuerromane. Der Stoff, die Suche nach einem vergrabenen Piratenschatz auf einer Schatzinsel, ist ein beliebtes Thema von Legenden. Der Roman wurde mehrfach verfilmt. (aus wikipedia.de) Beinhaltet Original-Illustrationen von George Roux.

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Die Schatzinsel

Robert Louis Stevenson

Inhalt:

Robert Louis Stevenson – Biografie und Bibliografie

Die Schatzinsel

Erster Teil - Der alte Freibeuter

1. Kapitel … Der alte Seebär im Admiral Benbow

2. Kapitel … Der Schwarze Hund erscheint und verschwindet

3. Kapitel … Der Schwarze Fleck

4. Kapitel … Die Seekiste

5. Kapitel … Das Ende des blinden Mannes

6. Kapitel … Das Papier des Kapitäns

Zweiter Teil - Der Schiffskoch

7. Kapitel … Ich fahre nach Bristol

8. Kapitel … In der Schenke Zum Fernrohr

9. Kapitel … Pulver und Waffen

10. Kapitel … Die Fahrt

11. Kapitel … Was ich im Apfelfass hörte

12. Kapitel … Kriegsrat

Dritter Teil - Mein Landabenteuer

13. Kapitel … Wie mein Landabenteuer begann

14. Kapitel … Der erste Schlag

15. Kapitel … Der Mann von der Insel

Vierter Teil - Das Blockhaus

16. Kapitel … Der Doktor setzt die Erzählung fort: Wie das Schiff verlassen wurde

17. Kapitel … Der Doktor setzt den Bericht fort: Die letzte Fahrt der Jolle

18. Kapitel … Der Doktor setzt den Bericht fort: Ende des ersten Kampftages

19. Kapitel … Jim Hawkins setzt den Bericht fort: Die Besatzung hinter der Palisade

20. Kapitel … Silvers Botschaft

21. Kapitel … Der Angriff

Fünfter Teil - Mein SeeAbenteuer

22. Kapitel … Wie mein Seeabenteuer begann

23. Kapitel … Die Ebbe dauert an

24. Kapitel … Die Kreuzfahrt des Korakels

25. Kapitel … Ich streiche den Jolly Roger

26. Kapitel … Israel Hands

27. Kapitel … »Piaster, Piaster«

Sechster Teil - Kapitän Silver

28. Kapitel … Im feindlichen Lager

29. Kapitel … Abermals der Schwarze Fleck

30. Kapitel … Auf Ehrenwort

31. Kapitel … Die Suche nach dem Schatz: Flints Wegweiser

32. Kapitel … Die Suche nach dem Schatz: Die Stimme unter den Bäumen

33. Kapitel … Der Sturz eines Piratenhäuptlings

34. Kapitel – Schluß

Die Schatzinsel, R. L. Stevenson

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849624750

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Robert Louis Stevenson – Biografie und Bibliografie

Engl. Schriftsteller, geb. 13. Nov. 1850 in Edinburg, gest. 8. Dez. 1894 in Apia (Samoa), ward Advokat, widmete sich aber schließlich erfolgreich der Schriftstellerei. Aus Gesundheitsrücksichten unternahm er wiederholte Reisen in Europa und Amerika, bis er sich endlich auf Samoa ansiedelte. Er schrieb: »An inland voyage« (1878), »Edinburgh picturesque notes« (1879), »Travels with a donkey through the Cevennes« (1879), »Virginibus puerisque« (1881), »Studies of men and books« (1882), »New Arabian nights« (1882, 2 Bde.) und »The Treasure Island« (1883), sein an Defoe erinnerndes Meisterwerk, dem noch eine Reihe ähnlicher Abenteuergeschichten folgte, wie »Dr. Jekyll and Mr. Hyde« (1886), »Master of Ballantrae«; pseudohistorisch wird er mit »Prince Otto«, historischen Hintergrund gewinnt er sich mit »David Balfour« und »St. Ives«. Auch veröffentlichte S. einige Bände Gedichte (»A child's garden«, 1885; »Underwoods«, 1887; »Ballads«, 1891) und »Memories and portraits« (2. Aufl. 1888, darunter von besonderm Interesse »A Gossip on Romance«) sowie das zeitgeschichtliche Werk: »Footnotes to history, eight years of trouble in Samoa« (1892). S. ist wohl der bedeutendste der Jung-Romantiker mit seiner naiven Freude am Fabulieren. Seine Erzählungstechnik sucht sich als einfache Vorbilder Smollet und Defoe.Als Stilist wirkt er in seiner Einfachheit großartig. Gesammelt gab seine Werke E. Gosse heraus (1906, 20 Bde.). Vgl. A. Brown, Rob. L. S., a study (Lond. 1895); »Robert Louis S.; letters to his family and friends« (hrsg. von Colvin, das. 1899, 2 Bde.); Baildon, Robert Louis S., a life study in criticism (das. 1901); Balfour, Life of R. L. S. (das. 1891, 2 Bde.); Japp, R. L. S., record, estimate, and memorial (das. 1905); Prideaux, Bibliography of the works of R. L. S. (das. 1903).

Die Schatzinsel

Erster Teil - Der alte Freibeuter

1. Kapitel … Der alte Seebär im Admiral Benbow

Squire Trelawney, Doktor Livesey und die anderen Herren hatten mich aufgefordert, die ganze Geschichte von der Schatzinsel vom Anfang bis zum Ende niederzuschreiben und nichts zu verschweigen als die Lage der Insel, und auch das nur, weil noch immer ungehobene Schätze dort liegen; und so greife ich jetzt, im Jahre des Heils 17.., zur Feder und beginne mit der Zeit, da mein Vater Wirt im Admiral Benbow war und sich der sonnenverbrannte alte Seemann mit der Säbelnarbe unter unserm Dach einquartierte.

Ich entsinne mich seiner, als ob es gestern gewesen wäre, wie er vor unsere Tür gestapft kam, seine Seekiste in einem Schubkarren hinter sich her, ein hochgewachsener, kräftiger, schwerer, nussbrauner Mann. Der geteerte Zopf fiel ihm auf die Schultern des fleckigen blauen Rocks, die Hände verschmiert und verschrammt mit schwarzen, abgebrochenen Nägeln und die Narbe eines Säbelhiebs wie ein schmutzig fahler Strich auf der Wange. Ich erinnere mich daran, wie er sich in der Bucht umsah, vor sich hin pfiff und dann das alte Matrosenlied anstimmte, das er nachher so oft singen sollte:

»Fünfzehn Mann auf des toten Mannes Kiste, Jo-ho-ho und die Pulle voll Rum!«

Er sang mit hoher, zittriger Stimme, die an der Ankerwinde jeden Klang verloren zu haben schien. Dann klopfte er mit einem Knüttel, der wie eine Hebestange aussah, an die Türe, und als mein Vater heraustrat, verlangte er rauh und grob ein Glas Rum. Als es ihm gebracht wurde, liess er jeden Tropfen mit Kennermiene über die Zunge rollen, und gleichzeitig wanderte sein Blick über die Klippen und musterte unser Wirtshausschild.

»Eine nette Bucht«, sagte er schliesslich. »Und eine gut gelegene Schenke! Viele Gäste, Maat?«

»Nein«, sagte mein Vater, »leider sehr wenige.«

»Aha«, sagte der Seemann, »genau die richtige Koje für mich. He, du da«, rief er dem Mann zu, der den Karren schob, »leg hier an und hilf mir mit der Kiste! Ich will eine Weile hierbleiben«, fuhr er fort. »Ich bin ein einfacher Mann; Rum, Speck und Eier, mehr brauch' ich nicht, und dort die Landspitze, um die Schiffe abfahren zu sehen. Wie Ihr mich nennen sollt? Sagt Käpt'n zu mir. Aha, ich seh schon, worauf Ihr aus seid. Da!«

Und er warf drei oder vier Goldstücke auf die Schwelle. »Wenn's aufgebraucht ist, dürft Ihr mir's sagen!«

Und dabei schaute er hochmütig um sich wie ein Kommodore.

Und tatsächlich, so schlecht seine Kleider waren, so grob seine Sprache, sah er doch nicht wie ein gewöhnlicher Matrose aus, sondern mehr wie ein Steuermann oder ein Schiffer, gewöhnt, dass man ihm gehorchte, oder dreinzuschlagen. Der Mann, der den Schubkarren gebracht hatte, erzählte uns, die Postkutsche habe den Seemann gestern früh vor dem »König Georg« abgesetzt, und er habe sich erkundigt, was es für Wirtshäuser hier längs der Küste gebe. Als man ihm unser Haus gerühmt und vermutlich auch gesagt hatte, dass es einsam gelegen sei, hatte er es als Aufenthaltsort gewählt; und das war alles, was wir über unseren Gast erfahren konnten.

Für gewöhnlich war er ein schweigsamer Mann. Den ganzen Tag trieb er sich mit einem Messingfernrohr in der Bucht und auf den Klippen herum; den ganzen Abend sass er in einem Winkel der Gaststube, dicht am Feuer, und trank seinen steifen Grog. Wenn man zu ihm sprach, gab er meist keine Antwort; er schaute nur jäh und wild auf und schnäuzte sich, dass es wie ein Nebelhorn dröhnte. Und wir und die anderen Gäste gewöhnten uns mit der Zeit daran, ihn in Frieden zu lassen. Tag um Tag, wenn er von seinen Wanderungen heimkehrte, erkundigte er sich, ob nicht etwa ein Seemann des Wegs gekommen sei. Zuerst glaubten wir, er stelle diese Frage, weil es ihm an gleichgesinnter Gesellschaft fehlte; aber mit der Zeit merkten wir, dass er im Gegenteil gar keinen Wert darauf legte. Sobald ein Seemann im »Admiral Benbow« einkehrte, wie das hin und wieder geschah, wenn einer längs der Küste nach Bristol wollte, musterte er ihn durch den Vorhang an der Türe, bevor er sich sehen liess. Und solange ein Seemann im Gastzimmer war, verhielt sich unser Käpt'n mäuschenstill. Für mich gab es in dieser Frage am Ende kein Geheimnis mehr, denn in gewissem Sinn hatte ich einen Anteil an seinen Befürchtungen.

Eines Tages hatte er mich beiseite genommen und mir für jeden Monatsersten ein silbernes Vierpennystück versprochen, wenn ich die Augen nach einem »seebefahrenen Mann mit einem Bein« offenhalten und ihm auf der Stelle melden wollte, sobald sich solch ein Mann sehen liess. Wenn der Erste da war, und ich um mein Geld zu ihm kam, schnaubte er oft nur wütend und sah mich an, als müsste ich in den Boden versinken; aber bevor die Woche um war, hatte er es sich überlegt, gab mir mein Vierpennystück und wiederholte seinen Befehl, nach einem »seebefahrenen Mann mit einem Bein« auszulugen. Ich brauche euch wohl kaum zu sagen, wie diese rätselhafte Persönlichkeit durch meine Träume spukte. Wenn in stürmischen Nächten der Wind das Haus erzittern liess und die Brandung in der Bucht und an den Klippen brüllte, dann sah ich ihn in tausend Gestalten und mit tausend teuflischen Mienen. Bald war das Bein am Knie abgeschnitten, bald an der Hüfte, bald war er ein gräuliches Ungeheuer, das immer nur ein einziges Bein gehabt hatte, und das in der Mitte des Körpers. Ihn hinter mir springen und laufen, mich über Hecken und Gräben verfolgen zu sehen, war der schlimmste von meinen Alpträumen. Und alles in allem habe ich mit diesen gräulichen Phantasien sein monatliches Silberstück teuer genug bezahlt.

Doch obgleich die Vorstellung des »seebefahrenen Mannes mit dem Holzbein« mich marterte, hatte ich andererseits vor dem Käpt'n selber weniger Angst als alle anderen, die ihn kannten. An manchem Abend trank er erheblich mehr Grog, als sein Kopf vertrug, und dann sass er da und sang seine alten, wilden, gottlosen Matrosenlieder, ohne auf irgendwen Rücksicht zu nehmen; manchmal liess er Grog für die ganze Runde bringen und zwang die zitternden Gäste, seine Geschichten anzuhören oder zu seinen Liedern den Chor zu singen. Wie oft hörte ich das Haus erbeben, wenn er sein »Jo-ho-ho und die Pulle voll Rum« grölte; und alle Nachbarn stimmten ein, als ob es ums Leben ginge, solche Angst hatten sie vor ihm, und jeder wollte lauter singen als der andere, um ihn nicht wütend zu machen. Denn in solchen Stimmungen war er der unverträglichste Gesellschafter, den man sich nur vorstellen konnte. Er schlug mit der Hand auf den Tisch, gebot Schweigen, konnte über eine Frage in höllische Wut geraten, manchmal aber auch, weil kein Mensch eine Frage stellte und er sich darüber aufregte, dass man ihm nicht aufmerksam genug zuhörte. Aber keiner durfte das Wirtshaus verlassen, bevor er selber sich nicht schläfrig getrunken hatte und ins Bett torkelte.

Seine Geschichten waren es, die die ängstlichen Gäste am meisten in Schrecken versetzte. Schreckliche Erzählungen vom Erhängen und Ertränken und von Stürmen, von den Pirateninseln Tortugas und von wilden Geschehnissen und Gegenden an der südamerikanischen Küste zwischen dem Orinoco und Panama. Nach seinen eigenen Worten musste er der verruchtesten Bande angehört haben, die der liebe Gott je auf dem Meer geduldet hatte; und die Sprache, in der er diese Geschichte vorbrachte, erschreckte unser einfaches Landvolk fast ebensosehr wie die Verbrechen, die er schilderte. Mein Vater sagte immer, unser Wirtshaus werde zugrunde gerichtet, denn die Leute würden bald nicht mehr kommen, um sich von ihm tyrannisieren zu lassen und nachher mit einer Gänsehaut zu Bett zu gehen, aber ich glaubte, dass seine Anwesenheit für uns recht nützlich war. Wenn er seine Geschichten erzählte, hatten die andern Gäste wohl Angst, aber im Rückblick fanden sie Gefallen daran; in dem ruhigen Landleben war so eine Aufregung nicht zu verachten, und einige unter den jüngeren Leuten taten sogar, als bewunderten sie ihn, nannten ihn einen »echten Seebären« und eine »richtige Teerjacke« und so ähnlich und erklärten, solchen Leuten sei zu verdanken, dass England so eine gefürchtete Seemacht geworden wäre.

In einer Beziehung allerdings konnte er uns leicht zugrunde richten, denn er blieb Woche um Woche und schliesslich Monat um Monat, so dass alles Geld längst aufgebraucht war, und doch brachte es mein Vater nicht übers Herz, auf weiteren Zahlungen zu bestehen. Wenn er diesen Punkt auch nur erwähnte, so schnaubte der Käpt'n so heftig durch die Nase, dass man meinen konnte, er stosse ein Gebrüll aus, und blitzte meinen armen Vater derart an, dass der Gute schleunigst das Zimmer verliess. Ich habe gesehen, wie er nach solch einer Abfuhr die Hände rang, und ich bin überzeugt, dass der Ärger und die Angst, darin er leben musste, zu seinem frühen, kläglichen Tod wesentlich beigetragen haben.

In der ganzen Zeit, die er bei uns verbrachte, habe ich nie gesehen, dass der Käpt'n auch nur ein einziges Mal seine Kleidung gewechselt hätte, nur dass er hin und wieder bei einem Hausierer Strümpfe kaufte. Als eine Krempe seines Dreispitzes hinunterschlappte, liess er es dabei bewenden, obgleich ihn das bei Wind sehr stören musste. Ich sehe noch seinen Rock vor mir, auf den er oben in seinem Zimmer selber Flicken setzte, bis das ganze Kleidungsstück nur noch aus Flicken bestand. Nie schrieb er, noch empfing er einen Brief , nie sprach er mit einem andern Menschen als mit Nachbarn, und auch mit ihnen zumeist nur, wenn er betrunken war. Seine grosse Seekiste hatte keiner vor uns je offen gesehen.

Nur einer wagte es, einmal gegen ihn aufzutreten, und das war gegen das Ende, als mein armer Vater zusehends dem Leiden verfiel, das ihn dann auch hinraffen sollte. Doktor Livesey kam eines Nachmittags spät, um nach seinem Patienten zu sehen. Meine Mutter setzte ihm etwas zu essen vor, und dann ging er in die Wirtsstube, um eine Pfeife zu rauchen, bis man sein Pferd aus dem Dorf geholt hatte, denn wir hatten bei dem alten Benbow keinen Stall. Ich folgte ihm in den Raum und erinnere mich noch, wie mir der Gegensatz zwischen dem gutgekleideten, freundlichen Doktor mit dem schneeweiss gepuderten Zopf, den hellen schwarzen Augen, dem umgänglichen Benehmen und den schwerfälligen Landleuten, vor allem aber der schmutzigen, massigen, triefäugigen Vogelscheuche von Seeräuber in die Augen stach, der schon vom Grog umnebelt die Arme über den Tisch streckte. Plötzlich begann er – der Käpt'n nämlich – sein ewiges Lied anzustimmen:

»Fünfzehn Mann auf des toten Mannes Kiste, Jo-ho-ho und die Pulle voll Rum, Teufel und Trunk strich den Rest von der Liste, Jo-ho-ho und die Pulle voll Rum!«

Zuerst hatte ich gemeint, »des toten Mannes Kiste« sei mit jener mächtigen Kiste oben im Vorderzimmer identisch, und dieser Gedanke hatte sich in meinen Alpträumen mit den Vorstellungen von dem einbeinigen Seefahrer vermengt. Doch seither hatten wir längst aufgehört, seinem Lied besondere Beachtung zu schenken; es war an jenem Abend niemand neu, bis auf Doktor Livesey, und auf ihn übte es, wie ich feststellen konnte, keine angenehme Wirkung aus, denn er schaute sekundenlang ärgerlich auf, bevor er seine Unterhaltung mit dem alten Taylor, dem Gärtner, über eine neue Kur gegen Rheumatismus fortsetzte. Unterdessen hatte den Käpt'n sein eigenes Singen immer mehr in Stimmung gebracht, und schliesslich schlug er in seiner uns wohlbekannten Weise auf den Tisch, um Schweigen zu gebieten. Sogleich verstummten alle - bis auf Doktor Livesey; er redete mit ruhiger, klarer Stimme weiter und zog hin und wieder an seiner Pfeife. Der Käpt'n starrte ihn sekundenlang an, schlug wieder mit der Hand auf den Tisch, glotzte noch wütender, stiess schliesslich einen gräulichen Fluch aus und brüllte: »Ruhe dort im Zwischendeck!«

»Gilt das mir, Sir?« sagte der Doktor, und als das der alte Raufbold mit einem zweiten abscheulichen Fluch bejahte, erwiderte der Doktor: »Ich habe Euch nur eines zu sagen, Sir. Wenn Ihr nicht mit Eurem Rumtrinken aufhört, so wird die Welt sehr bald einen niederträchtigen Lumpen weniger haben.«

Die Wut des alten Burschen war fürchterlich. Er sprang auf, zog ein Matrosenmesser, klappte es auf, wiegte es auf der flachen Hand und drohte, den Doktor an die Wand zu nageln.

Der Doktor rührte sich nicht. Wie zuvor sprach er nur über die Schulter zu ihm und erhob auch nicht die Stimme; vollkommen ruhig und ungerührt, aber so, dass ihn jeder im Raum hören musste, sagte er:

»Wenn Ihr dieses Messer nicht augenblicklich in die Tasche steckt, so werdet Ihr beim nächsten Gerichtstag am Stricke hängen. Darauf gebe ich Euch mein Ehrenwort.«

Nun folgte ein Kampf der Blicke zwischen den beiden; aber bald fügte sich der Käpt'n, steckte die Waffe ein und knurrte wie ein verprügelter Hund.

»Und jetzt, Sir«, fuhr der Doktor fort, »da ich weiss, dass solch ein Kerl sich in meinem Distrikt aufhält, mögt Ihr gewiss sein, dass ich Tag und Nacht die Augen offenhalten werde. Ich bin nicht nur Arzt, sondern auch Friedensrichter; und wenn ich den Hauch einer Klage gegen Euch vernehme, ob Ihr Euch auch nur so lümmelhaft benehmt wie heute Abend, dann werde ich die nötigen Mittel ergreifen, damit Ihr festgenommen und von hier weggeschafft werdet. Das mag Euch wohl genügen.«

Bald darauf wurde das Pferd des Arztes vorgeführt, und er ritt weiter; aber an jenem Abend und an vielen kommenden Abenden liess uns der Käpt'n in Frieden.

2. Kapitel … Der Schwarze Hund erscheint und verschwindet

Nicht viel später ereignete sich der erste jener geheimnisvollen Vorfälle, die uns schliesslich von dem Käpt'n befreien sollten, wenn auch, wie ihr sehen werdet, nicht von seinen Angelegenheiten. Es war ein bitterkalter Winter mit langem, harten Frost und schweren Stürmen; und von Anfang an war es offenbar, dass mein armer Vater den Frühling kaum mehr erleben konnte. Täglich ging es mit ihm bergab, und meine Mutter und ich mussten das Wirtshaus allein versorgen; das machte so viel Arbeit, dass wir unseren unangenehmen Gast kaum noch beachteten.

Eines Januarmorgens war es, sehr früh – ein schneidend kalter Morgen –, die Bucht war grau vor Rauhreif, die Wellen plätscherten leise an die Steine, die Sonne stand noch tief, berührte erst die Hügelspitzen und schien weit aufs Meer hinaus.

Der Käpt'n war früher aufgestanden als gewöhnlich und an den Strand hinuntergegangen; sein Entersäbel tanzte unter den breiten Schössen des alten blauen Rocks, das Messingfernrohr hatte er unter dem Arm, den Hut ins Genick geschoben. Ich erinnere mich noch, dass sein Atemhauch wie eine kleine Rauchwolke hinter ihm in der Luft hing, als er seine Wanderung antrat, und das letzte Geräusch, das ich hörte, als er um den grossen Felsen bog, war ein lautes verächtliches Schnauben, als ob er noch immer an Doktor Livesey denken müsste.

Meine Mutter war noch oben bei Vater; und ich deckte den Frühstückstisch für den Käpt'n, als sich die Türe öffnete und ein Mann eintrat, den ich noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Es war ein aufgedunsener Kerl mit fahlem Gesicht, und an der linken Hand fehlten ihm zwei Finger; obgleich auch er einen Entersäbel trug, sah er nicht gerade aus wie ein grosser Kämpfer. Ich hatte immer die Augen nach Seefahrern mit einem oder mit zwei Beinen offengehalten, und ich erinnerte mich, dass dieser hier mir auffiel. Sehr seemännisch wirkte er nicht, und doch hatte er den Salzgeruch an sich.

Ich fragte ihn nach seinen Wünschen, und er sagte, er hätte gern ein Glas Rum, aber als ich hinaus gehen wollte, um den Rum zu holen, setzte er sich auf den Tisch und winkte mich an sich heran. Ich blieb stehen, wo ich war, die Serviette in der Hand.

»Komm her, Söhnchen«, sagte er. »Nur immer näher!«

Ich trat einen Schritt auf ihn zu.

»Ist das da der Tisch für meinen Maat Bill?« fragte er lauernd.

Ich sagte, ich wüsste nichts von seinem Maat Bill; und dies sei der Tisch eines Mannes, der bei uns im Hause wohnte und den wir Käpt'n nannten.

»Gut, gut«, sagte er, »mein Maat Bill mag sich gern Käpt'n nennen lassen. Er hat eine Schmarre auf einer Wange, und ein mächtig umgänglicher Kerl ist er, besonders wenn er was zu trinken hat, mein Maat Bill. Wir wollen, der Sicherheit halber, feststellen, dass der Käpt'n eine Narbe auf der Wange hat – und wenn's dir recht ist, wollen wir hinzufügen, dass es die rechte Wange ist. Was? Ich hab's doch gleich gesagt! Na, und ist mein Maat Bill hier im Hause?«

Ich sagte, er sei ausgegangen.

»In welche Richtung, Söhnchen? Welchen Weg hat er eingeschlagen?«

Und als ich ihm den Felsen gezeigt und ihm erklärt hatte, auf welchem Weg der Käpt'n wahrscheinlich zurückkommen würde und wann, und nachdem ich noch einige andere Fragen beantwortet hatte, sagte er:

»Haha, das wird meinem Maat Bill ebenso gut schmecken wie ein Glas Rum!«

Sein Gesichtsausdruck war bei diesen Worten nichts weniger als erfreulich, und ich hatte meine guten Gründe zu glauben, dass der Fremde im Irrtum war, auch wenn er, was er sagte, ernst meinen sollte. Aber das ginge mich nichts an, dachte ich; und zudem war es schwer zu sagen, was ich hätte tun sollen.

Der Fremde lungerte an der Tür herum und spähte um die Ecke wie eine Katze, die einer Maus auflauerte. Einmal trat ich selber auf die Strasse hinaus, doch da rief er mich sogleich zurück, und als ich nicht schnell genug gehorchte, veränderte sich sein bleiches Gesicht furchtbar, und er stiess einen so entsetzlichen Fluch aus, dass ich im Nu ins Haus sprang.

Sobald ich wieder in der Stube war, nahm er seine früheren Manieren an, halb schmeichelnd, halb höhnisch, klopfte mir auf die Schulter, sagte, ich sei ein guter Junge, und er habe mich richtig liebgewonnen.

» Ich habe selber einen Sohn«, sagte er, »gleicht dir aufs Haar, der Stolz meines Herzens. Aber das Wichtigste für Jungen, Söhnchen, ist Disziplin – Disziplin vor allem! Ja, wenn du mit Bill zusammen gesegelt wärst, dann hätte er dir nichts zweimal sagen müssen, das kannst du mir glauben. Das war nicht Bills Art und auch nicht die Art der Kerls, die mit Bill gesegelt sind. Na, und da kommt er ja, mein Maat Bill, mit dem Guckglas unter dem Arm. Du meine Güte, das ist er wirklich. Du und ich, wir wollen in die Wirtsstube gehen, Söhnchen, und uns hinter die Türe stellen, und da soll Bill eine kleine Überraschung erleben, verflixt noch mal.«

Mit diesen Worten ging der Fremde mit mir in die Wirtsstube, zog mich hinter sich in die Ecke, so dass wir beide von der offenen Tür verdeckt waren. Mir war sehr unbehaglich zumute, ich war recht unruhig, das könnt ihr euch wohl vorstellen, und meine Angst wuchs, weil ich merkte, dass sich der Fremde auch fürchtete. Er griff nach dem Säbel, lockerte ihn in der Scheide, und die ganze Zeit, während wir warteten, schluckte er, als ob ihm ein Kloss im Halse steckte.

Endlich stapfte der Käpt'n herein, schlug die Türe hinter sich zu, sah nicht nach rechts noch nach links und ging quer durch den Raum an den Tisch, wo ihn sein Frühstück erwartete.

»Bill«, sagte der Fremde mit einer Stimme, die er, wie mir schien, besonders kräftig und kühn klingen lassen wollte.

Der Käpt'n drehte sich auf dem Absatz um und stand uns gegenüber; alles Braun war aus seinem Gesicht gewichen, und selbst die Nase war blau, er wirkte wie ein Mann, der ein Gespenst erblickt hatte oder den Leibhaftigen oder etwas noch Schlimmeres, wenn es das geben könnte. Und, weiss Gott, er tat mir leid, als er so im Handumdrehen ganz alt und elend aussah.

»Na, Bill, du kennst mich doch; du wirst doch einen alten Schiffskameraden wiedererkennen, Bill, nicht?« sagte der Fremde.

Der Käpt'n rang nach Luft. »Schwarzer Hund! « sagte er.

»Wer denn sonst?« fragte der andere, der seine Sicherheit wiedergewann. »Der Schwarze Hund, wenn's ihn je gegeben hat, ist gekommen, um seinen alten Schiffskameraden Bill im Admiral Benbow zu besuchen. Ach, Bill, Bill, was haben wir beide nicht miteinander erlebt, seit ich die zwei Klauen da verloren habe.«

Und er hielt die verstümmelte Hand in die Höhe.

»Also gut«, sagte der Käpt'n. »Ihr habt mich hier aufgespürt, da bin ich; nun sag schon - was willst du?«

»Das bist du, wie du leibst und lebst, Bill«, erwiderte der Schwarze Hund. »Und du hast ganz recht. Zuerst will ich mal ein Glas Rum von diesem lieben Knäblein da, an dem ich einen Narren gefressen habe. Und dann wollen wir uns hinsetzen, wenn's dir recht ist, und ein offenes Wort mitsammen reden.«

Als ich mit dem Rum kam, sassen sie bereits zu beiden Seiten von des Käpt'ns Frühstückstisch – der Schwarze Hund in der Nähe der Tür seitwärts gedreht, als müsste er beständig ein Auge auf den alten Schiffskameraden haben und das andere, wie mir schien, um sich den Rückzug zu sichern.

Er befahl mir zu verschwinden, aber die Türe weit offenzulassen.

»Bei mir wird nicht am Schlüsselloch gehorcht, Söhnchen«, sagte er.

Und so liess ich die zwei beieinander und zog mich in den Schankraum zurück.

Lange Zeit, obwohl ich mir wahrhaftig Mühe gab, konnte ich nichts hören als ein leises Gemurmel; dann aber erhoben sich die Stimmen, und ich konnte ein oder das andere Wort des Käpt'ns aufschnappen, zumeist Flüche.

»Nein, nein, nein, nein, und damit basta!« schrie er einmal. Und dann: »Wenn's ans Hängen kommt, dann sollten alle hängen, sage ich!«

Dann, ganz plötzlich, erhob sich ein fürchterlicher Spektakel von Flüchen und anderen Geräuschen, Stuhl und Tisch stürzten polternd um, Säbel klirrten, ein lauter Schmerzensschrei erklang, und im nächsten Augenblick sah ich den Schwarzen Hund in voller Flucht und den Käpt'n hitzig hinter ihm her, beide mit gezogenen Säbeln, und aus der Schulter des Schwarzen Hundes strömte das Blut. Just vor der Tür holte der Käpt'n noch zu einem furchtbaren Hieb aus, der den Flüchtenden zweifellos bis auf das Rückgrat gespalten hätte, wäre die Klinge nicht vom Schild des »Admiral Benbow« aufgehalten worden. Bis zum heutigen Tag könnt ihr die Scharte an der Unterseite des Rahmens noch erblicken.

Und mit diesem Hieb war der Kampf beendet. Einmal auf der Strasse draussen, zeigte der Schwarze Hund, dass er trotz seiner Wunde ein hervorragender Läufer war, und binnen einer halben Minute war er über dem Hügel verschwunden. Der Käpt'n seinerseits stand da und starrte verwirrt auf das Schild. Dann strich er sich mehrmals mit der Hand über die Augen und kehrte ins Haus zurück.

»Jim«, sagte er. »Rum!«

Er schwankte ein wenig und stützte sich mit einer Hand gegen die Wand.

»Seid Ihr verwundet?» rief ich.

»Rum!« wiederholte er. »Ich muss schauen, dass ich von hier fortkomme. Rum! Rum!«

Ich wollte schnell Rum holen, aber all diese Vorgänge hatten mich derart verwirrt, dass ich ein Glas zerbrach und den Rum ausgoss, und während ich noch dabei war mich zu fassen, hörte ich einen schweren Fall im Gastzimmer, und als ich hinüberlief, lag der Käpt'n längelang auf dem Boden. Gleichzeitig kam meine Mutter, durch das Kampfgeschrei aufgeschreckt, die Treppe heruntergelaufen, um mir zu helfen. Wir stützten ihm miteinander den Kopf. Der Atem ging laut und mühsam; aber seine Augen waren geschlossen, und die Farbe seines Gesichts war grauenerregend.

»Mein Gott, mein Gott!« rief meine Mutter. »Was für eine Schande für dieses Haus! Und dein armer Vater, der so krank ist!«

Wir hatten keine Ahnung, wie wir dem Käpt'n helfen sollten, und konnten uns nur vorstellen, dass er bei seinem Kampf mit dem Fremden tödlich verletzt worden sein musste. Ich holte auf jeden Fall den Rum, und versuchte , ihm etwas einzuflössen, aber seine Zähne waren fest geschlossen und seine Kiefer stark wie Eisen. Es war keine kleine Erleichterung für uns, als sich die Türe öffnete und Doktor Livesey eintrat, der nach meinem Vater sehen wollte.

»O Doktor!« riefen wir. »Was sollen wir tun: Wo ist er verwundet worden?«

»Verwundet? Keine Rede!« sagte der Doktor. »Er ist nicht mehr verwundet als ihr und ich. Der Mann hat einen Schlaganfall. Ich hatte ihn ja gewarnt. Und jetzt, Mistress Hawkins, laufen Sie hinauf zu Ihrem Mann und sagen Sie ihm möglichst nichts davon. Ich meinerseits muss mein Bestes tun, um dieses Kerls dreifach unnützes Leben zu retten; und Jim wird mir ein Becken bringen.«

Als ich mit dem Becken wiederkam, hatte der Doktor den Ärmel des Käpt'ns bereits aufgeschlitzt und den starken, sehnigen Arm blossgelegt. An mehreren Stellen waren Tätowierungen zu sehen. »Viel Glück«, »Guten Wind« und »Billy Bones sein Schätzchen« war auf dem Vorderarm klar und deutlich zu lesen; und dicht an der Schulter sah man einen Galgen, daran ein Mann hing - meiner Ansicht nach übrigens mit grosser Kunst gezeichnet.

»Prophetisch«, sagte der Doktor und berührte das Bild mit dem Finger. »Und jetzt, Mister Billy Bones, wenn das Euer Name ist, wollen wir einmal die Farbe Eures Blutes betrachten. Jim«, er wandte sich zu mir, Hast du Angst vor Blut?«

»Nein, Sir«, sagte ich.

»Gut, dann wirst du das Becken halten.« Und damit griff er nach seiner Lanzette und öffnete eine Ader.

Eine Menge Blut wurde abgelassen, bevor der Käpt'n die Augen aufmachte und sich benommen umsah. Zuerst erkannte er mit deutlichem Widerwillen den Doktor, dann fiel sein Blick auf mich, und er sah erleichtert drein. Doch plötzlich wechselte er die Farbe, versuchte sich zu erheben und schrie:

»Wo ist der Schwarze Hund?«

»Hier gibt es keinen Schwarzen Hund«, sagte der Doktor, »bis auf den, den Ihr selber auf dem Rücken sitzen habt. Ihr habt Rum getrunken, der Schlag hat Euch getroffen, genau wie ich es Euch vorausgesagt hatte. Und ich habe Euch eben, sehr gegen meinen Willen, mit dem Kopf voraus aus dem Grab gezogen. Und jetzt, Mister Bones . . .«

»So heisse ich nicht«, unterbrach ihn der Käpt'n.

»Das ist mir gleichgültig«, erwiderte der Doktor. »So heisst ein Seeräuber, den ich einmal kennengelernt habe, und der Einfachheit halber nenne ich Euch auch so. Und ich habe Euch nur noch eines zu sagen: Ein einziges Glas Rum wird Euch nicht umbringen, aber wenn Ihr eines trinkt, dann werdet Ihr noch eines und noch eins trinken, und wenn Ihr nicht aufhören könnt, so ist es um Euch geschehen; darauf verwette ich meine Perücke – begreift Ihr das? Dann seid Ihr fertig und fahrt in die Grube Wie der Mann in der Bibel. So, und jetzt nehmt Euch zusammen. Ausnahmsweise werde ich Euch zu Bett bringen.«

Mit vieler Mühe und vereinten Kräften gelang es uns, ihn hinaufzuschleppen und auf sein Bett zu legen, wo sein Kopf auf das Kissen fiel, als ob ihn abermals eine Ohnmacht überkommen wollte.

»Ich wasche meine Hände in Unschuld - das blosse Wort Rum ist der Tod für Euch!«

Und damit nahm er mich beim Arm und ging zu meinem Vater hinüber.

Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sagte er zu mir:

»Das ist weiter nicht schlimm; ich habe ihm genug Blut abgezapft, damit er eine Welle Ruhe geben wird; eine Woche lang sollte er liegen, wo er ist – das ist das beste für ihn und für euch; aber noch ein Schlaganfall, und er ist erledigt.«

3. Kapitel … Der Schwarze Fleck

Gegen Mittag ging ich mit kühlenden Getränken und Medikamenten zum Käpt'n hinauf. Er lag ungefähr so da, wie wir ihn verlassen hatten, nur ein wenig höher, und er wirkte gleichzeitig schwach und erregt.

»Jim«, sagte er, »du bist hier der einzige, der was taugt, und du weisst, dass ich immer gut zu dir gewesen bin. Kein Monat ist vergangen, dass ich dir nicht dein Silberstück gegeben hätte. Aber du siehst ja, Maat, jetzt bin ich ganz herunter, und alle verlassen mich; du wirst mir noch ein Gläschen Rum bringen, nicht wahr, Junge?«

»Der Doktor . . .«, begann ich.

Aber er verwünschte und verfluchte den Doktor mit schwacher Stimme, doch aus tiefstem Herzen. »Ärzte sind nichts als Schwätzer«, sagte er. »Und dieser Doktor da? Was versteht der denn von Seefahrern? Ich bin in Gegenden gewesen, heiss wie siedendes Pech, und rund um mich sind meine Kameraden am Gelben Fieber draufgegangen, und der gesegnete feste Boden hat vor lauter Erdbeben geschwankt wie das Meer im Sturm. Was weiss der Doktor von solchen Ländern? Und ich habe dort von Rum gelebt, das kann ich dir sagen; der Rum war für mich Speis und Trank, Mann und Weib; und wenn ich meinen Rum nicht kriegen kann, bin ich wie ein armseliges, altes Wrack am Strand und ohne Wind. Mein Blut wird über dich kommen, Jim, über dich und über diesen Quacksalber!«

Und abermals fluchte er eine Weile; dann aber begann er zu flehen.

»Sieh doch her, Jim, wie meine Finger zittern. Ich kann sie nicht mal mehr still halten. Den ganzen langen Tag hab' ich noch keinen Tropfen gehabt. Der Doktor ist ein Narr, sage ich dir. Wenn ich nicht einen Schluck Rum bekomme, Jim, dann seh ich Gespenster; einmal hab' ich sie schon gesehen. Dort in der Ecke, hinter dir, hab' ich den alten Flint gesehen; ganz deutlich hab' ich ihn gesehen. Und wenn ich Gespenster sehe, da hab' ich schon schreckliche Dinge erlebt, und dann gibt's Mord und Totschlag. Dein Doktor hat doch selber gesagt, dass ein einziges Gläschen mir nicht weh tun wird. Ein Goldstück gebe ich dir für ein Gläschen Rum, Jim.«

Seine Erregung wuchs immer mehr, und das verärgerte mich meines Vaters wegen, der just an diesem Tage in sehr schlechtem Zustand war und Ruhe brauchte; überdies beruhigten mich die Worte des Doktors, die der Käpt'n zitierte, während die angebotene Bestechung mich eher kränkte.

»Ich brauche Euer Geld nicht«, sagte ich, »ich will nur, was Ihr meinem Vater schuldet. Und ein Glas bringe ich Euch, mehr aber nicht.«

Als ich ihm das Glas brachte, griff er gierig danach und leerte es.

»Ja, ja, jetzt geht's schon besser, das ist mal sicher«, sagte er. »Na und jetzt, Maat, was hat der Doktor gesagt? Wie lange muss ich in dieser verdammten Koje liegen?«

»Mindestens eine Woche«, sagte ich.

»Zum Donner!« schrie er. »Eine Woche! Das kann ich nicht machen. Bis dahin hätten sie mir schon den Schwarzen Fleck verpasst. Die Lumpen sind just in dieser Stunde schon daran, mir den Wind aus den Segeln zu nehmen; Lumpen, die nicht beisammenhalten können, was sie gekriegt haben, und stehlen wollen, was den andern gehört! Ist das jetzt Sitte unter Seeleuten? Das möcht' ich doch wissen! Aber ich bin ein sparsamer Mensch, ich habe mein gutes Geld nie vergeudet noch vertan; und ich werde sie abermals zum Narren halten. Ich hab' keine Angst vor ihnen. Ich kann noch mal die Segel setzen und ihnen einen Streich spielen.«

Während er so redete, hatte er sich mit grosser Mühe im Bett erhoben, packte mich mit einem Griff an der Schulter, dass ich fast laut aufgeschrien hätte, und schob die Beine vorwärts, als ob sie totes Gewicht wären. So beherzt seine Worte auch klangen, standen sie doch in traurigem Gegensatz zu der Schwäche der Stimme, mit der er sie ausstiess. Als er endlich am Rand sass, schwieg er eine Weile.

»Dieser Doktor hat mir den Rest gegeben«, murmelte er. »Mir dröhnt's in den Ohren. Lass mich nur wieder liegen!«

Bevor ich ihm helfen konnte, war er bereits in die Kissen zurückgefallen und blieb eine Weile stumm.

»Jim«, sagte er schliesslich, »du hast heute den Seemann gesehen, was?«

»Den Schwarzen Hund?« fragte ich.

»Ja, ja, den Schwarzen Hund«, sagte er. »Es ist wohl ein Lump; aber es gibt noch schlimmere, und die haben ihn angestiftet. Und wenn ich jetzt nicht von hier fort kann und sie schicken mir den Schwarzen Fleck, verstehst du, dann haben sie's auf meine alte Seekiste abgesehen; und dann nimmst du ein Pferd – du kannst doch reiten, was? – und reitest – ja, so will ich's haben – reitest zu diesem verdammten Quacksalber und sagst ihm, er solle alle Mann – Magistratspersonen und so weiter - zusammenpfeifen, und dann erwischt er sie alle an Bord des Admiral Benbow, die ganze Mannschaft des alten Flint vom Steuermann bis zum Schiffsjungen – alle, die noch da sind. Ich war sein Erster Maat, ja, das war ich, der Erste Maat des alten Flint. Und ich bin der einzige, der die Stelle kennt. Er hat mir den Plan in Savannah gegeben, als er dort im Sterben lag, so wie ich jetzt hier liege. Aber du darfst nicht schwatzen, wenn sie mir nicht den Schwarzen Fleck schicken oder wenn du den Schwarzen Hund wiedersiehst oder einen Seemann mit einem Bein, Jim – ihn vor allem!«

»Ja, aber was ist denn dieser Schwarze Fleck, Käpt'n?« fragte ich.

»Das ist eine Aufforderung, Maat. Ich werde dir schon sagen, wenn's soweit ist. Halt nur die Augen offen, Jim, und ich will mit dir teilen – auf mein Wort.«

Er phantasierte noch eine Welle, dann wurde seine Stimme schwächer, und bald nachdem ich ihm seine Medizin gegeben hatte, die er wie ein Kind einnahm –»Wenn je ein Seemann solches Zeug gebraucht hat, so bin ich's«, sagte er –, fiel er in einen schweren Schlaf, der einer Ohnmacht glich, und ich liess ihn allein. Was ich getan hätte, wenn alles glatt abgelaufen wäre, das weiss ich nicht. Wahrscheinlich hätte ich dem Doktor die ganze Geschichte erzählt; denn ich hatte eine furchtbare Angst, der Käpt'n könnte seine Offenherzigkeit bereuen und mir den Garaus machen. Aber es kam anders. Mein armer Vater starb an jenem Abend ganz plötzlich, und damit war alles unwichtig geworden. Unsere Trauer, die Besuche der Nachbarn, die Vorbereitungen zur Beerdigung und die Arbeit im Wirtshaus, die unterdessen weitergehen musste, beschäftigten mich derart, dass ich kaum Zeit hatte, an den Käpt'n zu denken, geschweige denn Angst vor ihm zu haben. Tatsächlich kam er schon am nächsten Morgen wieder herunter, nahm seine Mahlzeiten zur gewohnten Stunde ein, obgleich er nur wenig ass, dagegen, wie ich fürchte, mehr als die übliche Ration Rum zu sich nahm, denn er goss sich in der Schankstube selber sein Glas voll und schnaubte und fluchte, und kein Mensch wagte, ihm zu widersprechen. Am Abend vor dem Begräbnis war er betrunken wie eh und je, und es war empörend, ihn in unserem Trauerhaus sein abscheuliches Matrosenlied singen zu hören; aber, so schwach er auch war, lebten wir doch alle in einer Todesangst vor ihm, und der Doktor war plötzlich zu einem viele Meilen entfernt wohnenden Kranken gerufen worden, und nach dem Tod meines Vaters kam er nie mehr zu uns. Ich habe gesagt, dass der Käpt'n schwach war, und tatsächlich schien es, als ob er immer schwächer würde, statt an Kräften zuzunehmen. Er schleppte sich die Treppe hinauf und hinunter, ging vom Gastzimmer in die Schankstube und zurück, steckte manchmal die Nase durch die Türe hinaus, um das Meer zu riechen, hielt sich beim Gehen an den Wänden und atmete mühsam und rasch wie ein Mann, der einen steilen Berg erklimmt. Er wandte sich nie unmittelbar an mich, und ich glaube, dass er sein Geständnis so ziemlich vergessen haben mochte. Aber er war unsteter als je und, soweit sein Zustand es ihm erlaubte, noch heftiger als je. Er hatte die bedrohliche Gewohnheit angenommen, in seiner Trunkenheit den Säbel zu ziehen und die nackte Klinge vor sich auf den Tisch zu legen. Bei alledem aber kümmerte er sich immer weniger um die anderen Menschen und schien in seine eigenen, schweifenden Gedanken versunken zu sein. Einmal zum Beispiel stimmte er, zu unserem grössten Erstaunen, eine Art ländliches Liebeslied an, das er in seiner Jugend gelernt haben musste, bevor er zur See gegangen war. So verging die Zeit bis zu dem Tag nach dem Begräbnis, und es war ungefähr drei Uhr an einem bitterkalten, nebligen Nachmittag, als ich, von traurigen Gedanken an meinen Vater erfüllt, vor der Türe stand und einen Mann langsam die Strasse heranschreiten sah. Er war offenbar blind, denn er tastete sich mit einem Stock seinen Weg und trug einen grossen grünen Schirm über Augen und Nase; er war wie von Alter und Schwäche gebeugt, ein weiter, alter, zerfranster Matrosenmantel mit Kapuze umschlotterte ihn, so dass er völlig verwachsen aussah. Nie in meinem Leben hatte ich eine so unheimliche Erscheinung erblickt. In einiger Entfernung vom Gasthaus blieb er stehen, erhob seine Stimme zu einem seltsamen Singsang und sprach ins Leere:

»Würde ein gütiger Mensch einen armen blinden Mann, der sein kostbares Augenlicht bei der mutigen Verteidigung seines Heimatlandes England – Gott segne König Georg! – eingebüsst hat, darüber aufklären, wo oder in welchem Teil des Landes er sich jetzt wohl befinden mag?«

»Ihr seid vor dem Admiral Benbow in der Bucht vom Schwarzen Hügel, mein guter Mann«, sagte ich.

»Ich höre eine Stimme«, erwiderte er, »eine junge Stimme. Wollt Ihr mir die Hand geben, mein gütiger junger Freund, und mich hineinführen?«

Ich streckte meine Hand aus, und das gräuliche augenlose Geschöpf mit der sanften Stimme packte sie im Nu wie ein Schraubstock. Ich war so erschrocken, dass ich versuchte, mich loszumachen, aber der Blinde riss mich mit einem einzigen Ruck seines Arms ganz dicht zu sich heran.

»So, mein Junge«, sagte er. »Und jetzt führ mich zum Käpt'n.«

»Sir«, sagte ich, »auf mein Wort, das trau ich mich nicht.«

»Oho!« höhnte er. »Steht es so? Sofort führst du mich zu ihm, oder ich breche dir den Arm!«

Und mit diesen Worten drückte er so fest zu, dass ich aufschrie. »Sir«, sagte ich, »um Euer selber willen darf ich es nicht. Der Käpt'n ist nicht, wie er früher, war. Er sitzt mit dem blanken Säbel da. Ein anderer Herr . . .«

»Los, los, marsch!« unterbrach er mich; und ich hatte nie eine so grausame, so kalte und so hässliche Stimme gehört wie die des blinden Bettlers. Sie schüchterte mich mehr ein als der Schmerz; und ich gehorchte ihm sogleich und führte ihn geradewegs in die Gaststube, wo unser kranker alter Freibeuter sass, vom Rum benebelt. Der blinde Mann hielt sich neben mir, seine eiserne Faust lockerte sich nicht, und er stützte sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich. Beinahe brach ich darunter zusammen.

»Führ mich vor ihn hin, und wenn er mich sehen kann, dann rufst du: ›Da ist ein Freund von Euch, Bill!‹ Und wenn du das nicht tust, so werde ich es dir schon zeigen.«

Und damit kniff er mich derart, dass mir Hören und Sehen verging. Mit alldem hatte mich der blinde Schuft so vollkommen seinem Willen unterworfen, dass ich meine Angst vor dem Käpt'n vergass, die Türe öffnete und mit zitternder Stimme die Worte ausrief, wie er es mir befohlen hatte.