Die Schneekönigin - Hans Christian Andersen - E-Book + Hörbuch

Die Schneekönigin E-Book

Hans Christian Andersen

4,8

Beschreibung

"Die Schneekönigin" (der dänische Titel lautet: Snedronningen) ist ein Kunstmärchen des dänischen Dichters Hans Christian Andersen, eines seiner längsten und ausgefeiltesten sowie kompliziertesten und vielschichtigsten. Es handelt von einem kleinen Mädchen, das seinen von der Schneekönigin entführten Spielgefährten sucht. Wie viele andere Märchen Andersens thematisiert auch dieses das kleine Glück der einfachen, guten Leute und ist humorvoll und ironisch. Die Suche des Mädchens spielt sich in traumartigen Szenerien ab.

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Die Schneekönigin

Die Schneekönigin.

Die Schneekönigin.

(In sieben Geschichten.)

Erste Geschichte, welche von dem Spiegel und den Scherben handelt.

Seht, nun fangen wir an. Wenn wir am Ende der Geschichte sind, wissen wir mehr als jetzt, denn es war ein böser Zauberer, einer der allerärgsten, es war der Teufel! Eines Tages war er recht bei Laune, denn er hatte einen Spiegel gemacht, welcher die Eigenschaft besaß, daß alles Gute und Schöne, was sich darin spiegelte, fast zu Nichts zusammenschwand, aber das, was nichts taugte und sich schlecht ausnahm, das trat hervor und wurde noch ärger. Die herrlichsten Landschaften sahen wie gekochter Spinat darin aus und die besten Menschen wurden darin widerlich oder standen auf dem Kopfe ohne Rumpf, ihre Gesichter wurden so verdreht, daß sie nicht zu erkennen waren, und hatte man einen Sonnenfleck, so konnte man versichert sein, daß er sich über Mund und Nase ausbreitete. Das sei äußerst belustigend, sagte der Teufel. Fuhr nun ein guter, frommer Gedanke durch einen Menschen, dann zeigte sich ein Grinsen im Spiegel, so daß der Zauberteufel über seine künstliche Erfindung lachen mußte. Alle, die seine Zauberschule besuchten, denn er hielt Zauberschule, erzählten rings umher, daß ein Wunder geschehen sei; nun könne man erst sehen, meinten sie, wie die Welt und die Menschen wirklich aussehen. Sie liefen mit dem Spiegel umher, und zuletzt gab es kein Land oder keinen Menschen, welcher nicht verdreht darin gewesen wäre. Nun wollten sie auch zum Himmel selbst auffliegen, um sich über die Engel und den lieben Gott lustig zu machen. Je höher sie mit dem Spiegel flogen, um so mehr grinste er, sie konnten ihn kaum festhalten; sie flogen höher und höher, Gott und den Engeln näher; da erzitterte der Spiegel so fürchterlich in seinem Grinsen, daß er ihren Händen entflog und zur Erde stürzte, wo er in hundert Millionen Stücke zersprang. Da gerade verursachte er weit größeres Unglück als zuvor, denn einige Stücke waren so groß als ein Sandkorn, und diese flogen rings herum in der weiten Welt, und wo sie Leute in das Auge bekamen, da blieben sie sitzen, und da sahen die Menschen Alles verkehrt, oder hatten nur Augen für das Verkehrte bei einer Sache, denn jede kleine Spiegelscherbe hatte dieselben Kräfte behalten, welche der ganze Spiegel besaß. Einige Menschen bekamen sogar eine kleine Spiegelscheibe in das Herz, und dann war es ganz gräulich; das Herz wurde einem Klumpen Eise gleich. Einige Spiegelscherben waren so groß, daß sie zu Fensterscheiben gebraucht wurden, aber durch diese Scheiben taugte es nichts, seine Freunde zu betrachten. Andere Stücke kamen in Brillen, und dann ging es schlecht, wenn die Leute diese Brillen aufsetzten, um recht zu sehen und gerecht zu sein. Der Böse lachte, daß ihm beinahe der Bauch platzte, und das kitzelte ihn angenehm. Aber draußen flogen noch kleine Glasscherben in der Luft umher. Nun werden wir's hören.

Zweite Geschichte. Ein kleiner Knabe und ein kleines Mädchen.

Drinnen in der großen Stadt, wo so viele Menschen und Häuser sind, so daß dort nicht Platz genug ist, daß alle Leute einen kleinen Garten besitzen können, und wo sich deßhalb die Meisten mit Blumen in Blumentöpfen begnügen müssen, da waren doch zwei arme Kinder, die einen etwas größeren Garten als einen Blumentopf besaßen. Sie waren nicht Bruder und Schwester, aber sie waren sich so gut, als wenn sie es gewesen wären. Die Aeltern wohnten einander gerade gegenüber; sie wohnten in zwei Dachkammern, da, wo das Dach des einen Nachbarhauses gegen das andere stieß nnd die Wasserrinne zwischen den Dächern entlang lief. Hier war in jedem Hause ein kleines Fenster; man brauchte nur über die Rinne zu schreiten, so konnte man von dem einen Fenster zum andern gelangen.

Die Aeltern hatten draußen jedes einen großen Holzkasten, darin wuchsen Küchenkräuter, die sie brauchten, und ein kleiner Rosenstock, es stand einer in jedem Kasten, und sie wuchsen herrlich. Nun fiel es den Aeltern ein, die Kasten quer über die Rinne zu stellen, so daß sie fast von dem einen bis zum andern Fenster reichen und zwei Blumenwällen ganz ähnlich sahen. Erbsenranken hingen über die Kasten hinunter und die Rosenstöcke schossen lange Zweige, die sich um die Fenster rankten und sich einander entgegenbogen, es war fast einer Ehrenpforte von Blättern und Blumen gleich. Da die Kasten sehr hoch waren und die Kinder wußten, daß sie nicht hinaufkriechen durften, so erhielten sie oft die Erlaubniß, zu einander hinauszusteigen, auf ihren kleinen Schemeln unter den Rosen zu sitzen, und da spielten sie dann prächtig.

Im Winter hatte dies Vergnügen ein Ende. Die Fenster waren oft ganz zugefroren. Aber dann wärmten die Kinder Kupferdreier auf dem Ofen, legten den warmen Dreier gegen die gefrorne Scheibe und dann entstand da ein rundes, schönes Guckloch; dahinter blitzte ein lieblich mildes Auge, eins von jedem Fenster; das war der kleine Knabe und das kleine Mädchen. Er hieß Karl und sie hieß Gretchen. Im Sommer konnten sie mit einem Sprunge zu einander gelangen, im Winter mußten sie erst die vielen Treppen hinunter- und die andern Treppen hinaufsteigen; draußen trieb der Schnee.

»Das sind die weißen Bienen, die schwärmen!« sagte die alte Großmutter.

»Haben sie auch eine Bienenkönigin?« fragte der kleine Knabe, denn er wußte, daß unter den wirklichen Bienen eine solche ist.

»Die haben sie!« sagte die Großmutter. »Sie fliegt dort, wo sie am dichtesten schwärmen, sie ist die größte von allen, und nie ist sie stille auf Erden, sie fliegt wieder in die schwarze Wolke hinauf. Manche Winternacht fliegt sie durch die Straßen der Stadt und blickt zu den Fenstern hinein, und dann gefrieren diese sonderbar, gleich wie mit Blumen.

»Ja, das habe ich gesehen!« sagten beide Kinder und nun wußten sie, daß es wahr sei.

»Kann die Schneekönigin hier hereinkommen?« fragte das kleine Mädchen.

»Laß sie nur kommen«, sagte der Knabe, »dann setze ich sie auf den warmen Ofen, und dann schmilzt sie.«

Aber die Großmutter glättete sein Haar und erzählte andere Geschichten.

Am Abend, als der kleine Karl zu Hause und halb entkleidet war, kletterte er auf den Stuhl am Fenster und guckte aus dem kleinen Loche. Ein paar Schneeflocken fielen draußen und eine derselben, die allergrößte, blieb auf dem Rande des einen Blumenkasten liegen; sie wuchs mehr und mehr und wurde zuletzt ein ganzes Frauenzimmer, in den feinsten, weißen Flor gekleidet, der wie von Millionen sternartiger Flocken zusammengesetzt war. Sie war schön und fein, aber von Eis, dem blendenden, blinkenden Eise, und doch war sie lebend; die Augen blitzten wie zwei klare Sterne, aber es war keine Ruhe noch Rast in ihnen. Sie nickte dem Fenster zu und winkte mit der Hand. Der kleine Knabe erschrak und sprang vom Stuhle hernieder, da war es, als ob draußen vor dem Fenster ein großer Vogel vorbei flöge.