Die schöne Rivalin - Miranda Lee - E-Book

Die schöne Rivalin E-Book

Miranda Lee

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Beschreibung

Brooke will es einfach nicht glauben: Angeblich betrügt Leo sie! Jedenfalls sagen das seine Eltern. Und auch Brooke ist aufgefallen, wie rührend sich ihr Mann um Francesca, die schöne Witwe seines verstorbenen Bruders, kümmert, seit sie in Italien sind. Brooke kann es kaum erwarten, dass sie wieder nach Hause fliegen und dort so glücklich miteinander sind wie früher. Und wirklich überrascht Leo sie, kaum in Australien angekommen, pünktlich zum fünften Hochzeitstag mit einer zärtlichen Nacht in einem luxuriösen Hotel. Das Leben ist wieder wunderschön! Bis ein dramatischer Anruf Leo erreicht: Er muss zurück nach Italien, zurück zu Francesca ...

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Seitenzahl: 202

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IMPRESSUM

Die schöne Rivalin erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 1991 by Miranda Lee Originaltitel: "Marriage in Peril" erschienen bei: Mills & BoonLtd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 1596 - 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Svenja Willkomm

Umschlagsmotive: GettyImages_Bogdan Kurylo

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733716929

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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PROLOG

Brooke wappnete sich innerlich gegen die Reaktion ihrer Mutter auf die große Neuigkeit. Sie würde sich bestimmt nicht freuen. Schließlich hatte sie ihre Entscheidungen noch nie gebilligt.

Dabei hatte sie sich in zweiundzwanzig Jahren nur selten dem Willen ihrer Mutter widersetzt. Und wenn, dann meistens heimlich. Zum Beispiel hatte sie beim Schein einer Taschenlampe bis spät in die Nacht unter der Bettdecke gelesen. Solange sie zur Schule gegangen war, hatte sie sich die Lippen immer erst nachgezogen, wenn sie sich außer Sichtweite ihres Elternhauses befand.

Erst bei der Berufswahl hatte sie offen gegen den Willen ihrer Mutter gehandelt. Statt Jura zu studieren, hatte sie in einem großen Hotel in Sydney eine Ausbildung zur Hotelfachfrau begonnen. Außerdem war sie vor einem Jahr zu Hause ausgezogen.

Doch was waren solche Entscheidungen im Vergleich dazu, dass sie am nächsten Tag heiraten würde! Bis zu diesem Augenblick hatte sie es nicht gewagt, ihrer Mutter davon zu erzählen. Diese wusste nicht einmal von der Existenz des zukünftigen Schwiegersohns.

Brooke ertrug die Spannung kaum noch, während sie auf die Reaktion ihrer Mutter wartete. Aber Phyllis Freeman saß an dem grünen Gartentisch und rauchte schweigend. Sie war eine intelligente und selbstbewusste Frau mit scharfem Verstand und spitzer Zunge. Mit genauen Vorstellungen von allem und jedem, besonders aber von der Rolle und den Rechten der modernen Frau.

Als Rechtsanwältin, die sich auf Fälle spezialisiert hatte, in denen es um die Diskriminierung von Frauen ging, hatte Phyllis viel Erfahrung mit feministischen Anliegen. Mit zweiundvierzig hatte sie zwei Scheidungen hinter sich, hasste die Männer und war eine sehr schwierige Mutter.

Sie hatte zwei gute Ehemänner aus dem Haus gescheucht und Brooke beinah in den Wahnsinn getrieben, seit sie ihren ersten Freund gehabt hatte. Natürlich hatte keiner ihrer Freunde je Gnade vor den Augen ihrer Mutter gefunden. Deshalb hatte sie Leo ihrer Mutter nie vorgestellt. Sie hatte ihre große Liebe nicht aufs Spiel setzen wollen.

Brooke merkte, wie sehr sie sich verspannte, als ihre Mutter jetzt energisch die Zigarette ausdrückte und sie kritisch musterte. “Wollte er dich heiraten, Brooke?” fragte sie schließlich. “Oder war es deine Idee?”

“Es war seine Idee.” Sie, Brooke, hatte sich so gefreut, als Leo ihr sofort einen Heiratsantrag gemacht hatte, nachdem er von dem Baby erfahren hatte. Da erst war sie sicher gewesen, dass er sie wirklich liebte und sich nicht nur mit ihr amüsieren wollte.

Ihre Mutter hatte immer betont, dass Taten mehr zählten als Worte. Deshalb setzte sie, Brooke, die Ehe mit Liebe und der Bereitschaft, Verpflichtungen einzugehen, gleich. Also lag Leo nicht nur an ihrer Schönheit und ihrer guten Figur. Das nämlich hatte ihre Mutter all ihren früheren Freunden unterstellt.

Vielleicht hatte sie selbst früher die Erfahrung gemacht, dass die Männer sich nur ihres Aussehens wegen für sie interessierten und keiner je die wirkliche Phyllis geliebt hatte. Als junge Frau hatte Phyllis fantastisch ausgesehen. Sie hatte langes, blondes Haar, einen zarten, honigfarbenen Teint, blaue Augen und einen süßen Schmollmund gehabt und dazu einen Körper, der für die Liebe wie geschaffen war. Brooke hörte oft, dass sie genauso aussah wie ihre Mutter in ihrem Alter.

Die Zeit war nicht spurlos an Phyllis Freeman vorübergegangen. Ihre welke Haut und der schmale, verkniffene Mund zeugten vom Kettenrauchen und von Verbitterung. Ihr einst so schönes blondes Haar wurde allmählich grau, und sie trug es sehr kurz. Als überzeugte Feministin kam sie ohne Friseur und Make-up aus. Da sie hauptsächlich von Kaffee und Zigaretten lebte, war sie Brookes Ansicht nach außerdem viel zu dünn. Brooke machte sich Sorgen um die Gesundheit ihrer Mutter.

“Ich nehme an, du hast dich geweigert, eine Abtreibung in Betracht zu ziehen”, schimpfte Phyllis. “Du bist ja so romantisch!”

In diesem Moment hasste Brooke sie beinah. “Ich habe nicht einen Moment daran gedacht”, antwortete sie empört. “Ich liebe Leo, Mum. Von ganzem Herzen.”

“Das bezweifle ich nicht, Liebling. Warum sollte eine intelligente Frau ohne Verhütung mit einem Mann schlafen, außer sie liebt ihn? Aber was war wohl sein Beweggrund?” überlegte sie.

Brooke war fest entschlossen, zu diesem Thema nichts zu sagen. Niemals würde sie zugeben, wie rückhaltlos sie sich Leo hingegeben hatte. Sie war so verliebt gewesen, dass sie leichtsinnig geworden war. Was die Verhütung betraf, hatte sie ihn in jener ersten Nacht sogar belogen, damit er nur ja nicht aufhörte oder ihr Liebesspiel unterbrach. Aber sie war davon überzeugt, dass nichts passieren konnte, genau wie an jedem Tag der folgenden Woche.

Als ihre Regel nicht wie erwartet am Ende jener ersten herrlichen Woche einsetzte, hatte sie sich noch keine Sorgen gemacht. Nach weiteren vierzehn Tagen und einem positiven Schwangerschaftstest hatte sie Angst, die Wahrheit zu gestehen. Deshalb behauptete sie, sie hätte in jenen ersten stürmischen Nächten vergessen, die Pille zu nehmen. Sie hatte wirklich nicht vorgehabt, Leo eine Falle zu stellen, damit er sie heiratete. Nein, sie war nur unglaublich dumm gewesen!

Aber er hatte wunderbar reagiert, als sie ihm gestand, dass sie schwanger war. Statt wütend zu werden, trocknete er ihre Tränen und tröstete sie. Erwies sich als zuverlässig und stark, als sie zugab, dass sie nicht wusste, wie es nun weitergehen sollte.

“Mach dir keine Sorgen, mi micetta”, sagte er leise und nahm sie in die Arme. Er nannte sie immer mi micetta, mein Kätzchen, weil er fand, dass sie aussah wie ein Kätzchen, wenn er sie nach dem Liebesakt liebkoste. Fast als würde sie zufrieden vor sich hin schnurren.

“Wir heiraten so schnell wie möglich”, hatte er hinzugefügt. “Aber nur im kleinen Rahmen, Brooke. Und leider ohne Flitterwochen, denn im Moment habe ich wenig Zeit.”

Ab und zu bekam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie Leo nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Aber nie, wenn sie in seinen Armen lag oder wenn er sie mi micetta nannte.

“Womit verdient denn dein zukünftiger Ehemann seinen Lebensunterhalt?” fragte Phyllis unvermittelt.

“Er ist Unternehmer. Seine Familie handelt in der ganzen Welt mit italienischen Möbeln und Kunstwerken. Leo richtet gerade eine Niederlassung hier in Sydney ein.”

“Wie tüchtig!” Phyllis wirkte unbeeindruckt. “Wo hast du diesen … diesen Leo kennengelernt? Er scheint anders zu sein als deine bisherigen Freunde.”

“Leo wohnt in einer Suite im Hotel Majestic, bis er ein passendes Haus gefunden hat.” Brooke beobachtete gespannt, wie ihre Mutter diese Information aufnahm.

Das Majestic, ein großes Luxushotel, gehörte zu den ersten Adressen in Sydney. Der Hotelkomplex lag in der Nähe der Oper mit Blick auf den Hafen und zählte Popstars und Präsidenten zu seinen Gästen. Brooke hatte dort gerade ein halbes Jahr an der Rezeption gearbeitet, als sie an einem warmen Sommerabend vor zwei Monaten vom Bildschirm aufgesehen und direkt in Leos unglaublich schwarze Augen geblickt hatte.

“Wie heißt er denn mit Nachnamen?” fragte Phyllis ungehalten. “Dieser tüchtige, erfolgreiche Geschäftsmann, der zwar meine Tochter geschwängert hat, aber sich nicht traut, mir unter die Augen zu treten!”

“Er wollte dich kennenlernen”, verteidigte Brooke ihn. “Ich habe darauf bestanden, es dir erst unter vier Augen zu erzählen.”

“Wirklich?”

“Ja, ganz bestimmt. Mit vollem Namen heißt er Leonardo Guiseppe Parini.” Brooke fand den Namen wundervoll, und er hatte Tradition. Leo hatte ihr erzählt, dass er seine Vorfahren um mehrere Generationen zurückverfolgen konnte. Im achtzehnten Jahrhundert war sogar ein berühmter Dichter unter ihnen gewesen.

“Ist er Italiener?” rief Phyllis entsetzt aus.

Die Reaktion ihrer Mutter überraschte Brooke. “Nun … ja. Er ist in Mailand geboren. Aber er spricht perfekt Englisch”, fügte sie schnell hinzu. Sie war so stolz auf ihren gut aussehenden, klugen Ehemann in spe. “Als Kind ist er viel mit seinen Eltern gereist. Später hat er in Harvard Betriebswirtschaft studiert und dann in New York, London und Paris gearbeitet. Er spricht nur mit ganz leichtem Akzent.” Gerade genug, um sehr sexy zu klingen.

“Akzent hin oder her, entscheidend ist, dass er als Italiener geboren und aufgewachsen ist.”

“Wo liegt denn da das Problem?”

“Zumindest verstehe ich nun, warum er dich heiratet”, erklärte Phyllis. “Ein Australier wäre wahrscheinlich sofort davongelaufen. Aber italienische Männer sind eigen, was ihre Kinder betrifft. Vor allem Söhne. Ich hoffe, dir ist klar, wie Italiener ihre Frauen behandeln, sobald sie sie geheiratet haben und sie hinter Schloss und Riegel zu Hause sitzen. Wie Bürger zweiter Klasse. Privateigentum. Italienische Ehefrauen sind niemals Partnerinnen.”

“Leo ist ganz anders!” verteidigte Brooke ihn hitzig. Typisch, dass ihre Mutter ihn kritisierte, ehe sie ihn überhaupt gesehen hatte! “Und was du da von italienischen Männern behauptest, ist nicht wahr. Es ist nur ein Vorurteil!”

Aus Erfahrung wusste Brooke es besser. Ihre beste Schulfreundin war Italienerin gewesen und deren Vater ein wundervoller Mann. Sie hatte Antonia oft besucht, denn dort hatte eine ganz andere Atmosphäre geherrscht als bei ihr zu Hause. Es hatte weder Spannungen noch Konflikte gegeben. Nur Wärme, Nähe und Liebe.

“Mach dich nicht lächerlich!” widersprach Phyllis. “Wenn du ihnen die Gelegenheit gibst, sind alle Männer so. Aber italienische Männer werden zu Chauvinisten erzogen. Im Familienkreis halten sie sich für Götter und erwarten, dass man sie widerspruchslos dementsprechend behandelt. Die Italienerinnen scheinen damit leben zu können. Sie wachsen mit anderen Werten und Erwartungen auf. Aber du bist Australierin, Brooke. Und meine Tochter. Du bist mir ähnlicher, als du wahrhaben möchtest. Er wird dich unglücklich machen, glaub mir.”

“Das stimmt nicht”, wehrte sich Brooke. “Er wird mich nicht unglücklich machen, weil ich ihn nicht unglücklich machen werde! In meinen Augen ist Leo göttlich. Für ihn ist nichts gut genug. Ich werde ihn niemals aus dem Haus treiben, wie du es mit deiner ewigen Nörgelei und Kritik mit Dad gemacht hast. Kein Wunder, dass er dich verlassen hat! Ich bin nicht so wie du. Ich werde meinem Mann geben, was er möchte. Wann immer er mich braucht, werde ich für ihn da sein.”

“Mit anderen Worten, du willst sein Fußabtreter werden!”

“Nein. Seine Frau!”

“In den Augen mancher Männer ist das dasselbe.”

Frustriert schüttelte Brooke den Kopf. “Du weißt ja gar nicht, wie man einen Mann glücklich macht. Du hast es nie versucht.”

“Nicht wenn es bedeutet, dass ich jeden eigenen Gedanken, jeden Wunsch und meine Meinung unterdrücken muss! Du bist intelligent, Brooke, und auf deine Art ziemlich eigensinnig. Wenn du meinst, dass du auf Dauer glücklich wirst, indem du dich verleugnest, wirst du eine böse Überraschung erleben.”

Brooke presste die Lippen zusammen und zählte im Stillen bis zehn. “Kommst du zu meiner Hochzeit oder nicht?”

“Macht es denn einen Unterschied?”

Brooke seufzte. “Natürlich tut es das. Ich möchte dich dabeihaben. Du bist schließlich meine Mutter.”

“Dann werde ich wohl kommen. Genauso wie ich da sein werde, um die Scherben aufzulesen, wenn die Flitterwochen vorüber sind. Und der Zeitpunkt wird kommen, Brooke. Ich hoffe, das ist dir klar!”

“Leo und ich werden uns niemals scheiden lassen! Egal, was passiert!”

“Das meinst du jetzt.” Phyllis zündete sich die nächste Zigarette an. “Warte ab, was du in fünf Jahren dazu sagst.”

“Dasselbe wie heute!”

“Das hoffe ich, Darling.” Phyllis nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch langsam wieder aus. “Stellst du mir deinen gut aussehenden Italiener nun vor oder nicht?” Sie lächelte wissend. “Er sieht bestimmt gut aus. Du hast dir noch nie einen hässlichen Mann gesucht, Brooke. Du nicht.”

Brooke straffte sich. “Er sieht sogar sehr gut aus!”

“Dann hol ihn herein! Ich werde allmählich neugierig auf Leonardo Guiseppe Parini.”

Als Brooke bei Leo untergehakt wieder vor ihre Mutter trat, lächelte sie. Sie wusste, dass ihr Liebhaber und zukünftiger Ehemann nicht bloß gut aussah. Er war einfach großartig. In jeder Hinsicht.

Mit zweiunddreißig Jahren war er ein reifer und welterfahrener Mann und mit einsfünfundachtzig ziemlich groß für einen Italiener. Seine Gesichtszüge vereinten das Beste seines römischen Erbes: faszinierende schwarze Augen, eine klassische Nase und einen überaus sinnlichen Mund. Sein dichtes, glänzendes Haar war sogar noch schwärzer als die dunklen Augen und modisch kurz. Sie war noch nie einem Mann begegnet, der besser aussah als ihr Leo.

Sein Auftreten überzeugte noch viel mehr. Leo strahlte kühle Eleganz aus und bewegte sich ungezwungen. Er trug ausschließlich perfekt sitzende, maßgeschneiderte Anzüge und wirkte sehr gepflegt.

Ihr Lächeln vertiefte sich, als Brooke sah, wie verblüfft ihre Mutter war.

“Darf ich dir Leo vorstellen, Mum?” Besitzergreifend strich sie Leo über den Arm.

Phyllis Freeman war zum ersten Mal in ihrem Leben sprachlos.

1. KAPITEL

Italien. Fünf Jahre später

Brooke legte sich aufs Bett und versuchte wie alle anderen, an diesem schwülwarmen Nachmittag ein Nickerchen zu halten. Es gelang ihr nicht. Sie hatte noch nie tagsüber schlafen können. Außerdem war sie angespannt.

Gereizt ließ sie den Blick durch das riesige, verschwenderisch ausgestattete Schlafzimmer schweifen. Die Zimmerdecke war mit üppigen Fresken verziert. In der Mitte hing ein goldener Kristalllüster.

Es war das beste Gästezimmer des Hauses. Leo und sie schliefen immer hier, wenn sie zu ihrem alljährlichen Besuch in die Villa der Familie Parini am Comer See kamen.

“Für meinen Sohn und seine reizende Frau ist nur das Beste gut genug”, hatte seine Mutter gesagt, als Leo sie, Brooke, und seinen Sohn Alessandro vor vier Jahren zum ersten Mal hergebracht hatte.

Seufzend erinnerte sie sich an jenen ersten Besuch und die weiteren, die Jahr für Jahr gefolgt waren. Sie fühlte sich jedes Mal wie im Paradies. Die Parinis hatten ein italienisches Mädchen, das Englisch sprach und sich mit um die Kinder kümmerte, sodass Brooke sich entspannen konnte und sich beinah fühlte wie auf der Hochzeitsreise, die sie nie gemacht hatten.

Im Bett hatten Leo und sie sich immer gut verstanden. Anfangs sogar fantastisch! Immer noch gab es kaum etwas an ihrem Liebesleben auszusetzen. Leo fand vermutlich, es wäre alles in Ordnung. Er war eben keine Mutter, die den ganzen Tag mit zwei Kleinkindern zu Hause verbrachte. Wenn es dann Abend wurde, war Brooke oft gar nicht in der richtigen Stimmung für Sex.

Aber sie wies Leo nie ab, es sei denn, sie fühlte sich wirklich krank. Natürlich hieß das, dass sie ab und zu einen Höhepunkt vortäuschen musste. Aber das tat sie eben. Für ihn.

Wenn Leo und sie in Italien waren, bestand allerdings nie die Notwendigkeit, ihm irgendetwas vorzumachen. Da sie sich nicht den ganzen Tag um die Kinder zu kümmern brauchte, kam sie viel leichter in Stimmung. Und Leo wurde praktisch unersättlich. Er wollte sie nicht nur in der Nacht, sondern auch tagsüber.

Als er vor vier Jahren zum ersten Mal vorgeschlagen hatte, dass sie sich ebenfalls ins Bett zurückziehen sollten, nachdem Alessandro mittags eingeschlafen war, hatte sie ihn für verrückt gehalten. Leo wollte ein Mittagsschläfchen? Lächerlich! Denn er sprudelte nur so vor Energie und schlief selbst nachts nur wenig.

Doch er bestand trotz ihres skeptischen Blicks darauf. Erst nach einer Weile begriff sie – unter anderem wegen der vielsagenden Miene ihres Schwiegervaters. Sie errötete tief und ließ sich von Leo die Treppe hinauf und ins Bett ziehen, wo sie sich zwei Stunden lang leidenschaftlich liebten.

Zuerst war Brooke sehr überrascht. So stürmisch hatte Leo sie seit der Zeit vor ihrer Ehe nicht geliebt. Während ihrer Schwangerschaft und in der Zeit nach der Geburt war er sanft und rücksichtsvoll gewesen. Und er schien es in den ersten sechs Monaten von Alessandros Leben zu akzeptieren, dass sie häufig müde war. Viel zu erschöpft für ausgedehnte Liebesakte.

An jenem Nachmittag vor vier Jahren war er nicht gerade rücksichtslos gewesen, aber er hatte sie sehr gefordert. Trotz ihrer anfänglichen Überraschung und des Gefühls, dass die Liebe am helllichten Tag und dazu im Haus seiner Eltern sich nicht gehörte, hatte sie es sehr aufregend gefunden. Am nächsten und den folgenden Tagen hatte Leo sie nicht mehr drängen müssen!

Claudia war achteinhalb Monate nach ihrer Rückkehr nach Sydney zur Welt gekommen.

Diesmal unterschied sich ihr Aufenthalt in Italien allerdings in jeder Hinsicht von den vorigen Besuchen. Sie waren nicht wie gewöhnlich in Urlaub gefahren, sondern anlässlich einer Beerdigung angereist. Leos einziger Bruder Lorenzo war bei einem Autounfall umgekommen. Er hatte in einer der Haarnadelkurven am See die Kontrolle über seinen Sportwagen verloren und war in den See gestürzt.

Glücklicherweise hatte seine Frau Francesca nicht mit im Auto gesessen, obwohl sie selbst im Moment vielleicht gar nicht glücklich darüber war. Die Ärmste war bei der Beerdigungsfeier so verzweifelt gewesen, dass sie zu nichts mehr imstande war. Da Francescas Eltern schon seit langem tot waren, hatten ihre Schwiegereltern sie in der Villa aufgenommen, um sie zu trösten und ihr so gut wie möglich zu helfen.

Allerdings fiel es schwer, ihr etwas Tröstliches zu sagen. Brooke fand es schade, dass Lorenzo und Francesca kinderlos geblieben waren. Kinder hätten Francesca wenigstens einen Lebensinhalt gegeben.

Das einzige Mal, als Brooke versucht hatte, mit Francesca zu sprechen, war diese in Tränen ausgebrochen und hatte sich für den Rest des Tages in ihrem Zimmer eingeschlossen. Brooke hatte sich schrecklich gefühlt und Leos Mutter Sophia davon erzählt. Sophia hatte traurig gelächelt und ihr geraten, sich keine Sorgen zu machen, es wäre nicht ihre Schuld. Francesca wäre eben so.

Brooke wusste genau, was Sophia damit gemeint hatte. Sie empfand ihre Schwägerin Francesca als eine ziemlich schwache Frau. Eine dunkelhaarige Schönheit mit einer üppigen Figur, die selten das Wort ergriff und wenig Persönlichkeit hatte. Allerdings hatten sie sich nur bei Familientreffen in der Villa ihrer Schwiegereltern oder gelegentlich in Lorenzos schickem Apartment in Mailand gesehen.

Bei solchen Anlässen hatte Francesca gewöhnlich schweigend neben ihrem Mann gesessen und ihn ständig ängstlich angesehen, als würde sie erwarten, dass er ihr mitteilte, was sie tun oder sagen sollte. Brooke hatte nie herausgefunden, ob sie ihren Mann anbetete oder fürchtete.

Lorenzo war zwei Jahre älter als Leo gewesen. Er war gut aussehend und charmant gewesen, aber Brooke hatte ihn nie ausstehen können. Er hatte sie angewidert. Auch Leo war offenbar nicht gut mit ihm ausgekommen. Die Brüder hatten die Höflichkeit gewahrt, das war alles. Leo schien die Frau seines Bruders ebenfalls nicht zu mögen. Das hatte Brooke seiner kalten, gleichgültigen Reaktion entnommen, als Francesca vor einer Woche plötzlich nach Mailand zurückgekehrt war. Sie wollte allein sein, hatte sie gesagt. Alle hatten widersprochen. Alle außer Leo.

Wenn sie ehrlich war, tat es Brooke nicht leid, dass Francesca abgefahren war. Während ihrer Anwesenheit im Haus hatte eine unterschwellige Spannung geherrscht, die Brooke nicht verstand.

Sie fand, dass Leo es noch am besten getroffen hatte, denn er war meistens außer Haus. Er fuhr täglich ins Büro nach Mailand, um die Papiere seines Bruders durchzusehen und dessen geschäftliche Angelegenheiten zu regeln. Allmählich nahm sie es ihm übel, dass er sie so häufig und so lange mit den Kindern allein ließ. Jeden Abend kam er etwas später nach Hause. Nach einem Abendessen in aller Eile duschte er und fiel dann erschöpft ins Bett, wo er sofort einschlief. Zu müde, um mit ihr zu schlafen. Das war wirklich höchst ungewöhnlich bei Leo!

Bisher hatte sie sich immer darauf verlassen können, dass er sie regelmäßig begehrte. Doch seit der Beerdigung seines Bruders vor drei Wochen hatte er sie nicht ein einziges Mal angerührt.

Sie begann die Nähe und das Gefühl, geliebt zu werden, zu vermissen, das sie immer empfand, wenn Leo mit ihr geschlafen hatte. Das galt auch für die Nächte, in denen sie ihm etwas vorgespielt hatte. Schließlich mochte sie es, wenn sie begehrt wurde. Jede Frau liebte es, begehrt zu werden.

Seufzend schwang Brooke die Beine über den Bettrand und stand auf. Sie warf das lange blonde Haar über die Schulter, nahm ihr Buch und ging barfuß über den großen Perserteppich zur Schiebetür, die auf den Balkon hinausführte. Draußen war es etwas kühler. Sie setzte sich auf eine der bequemen Liegen und öffnete das Buch dort, wo sie in der vergangenen Nacht aufgehört hatte zu lesen.

Da der Text sie nach einigen Minuten immer noch nicht fesselte, schlug sie das Buch wieder zu und saß einfach still da und genoss den herrlichen Blick, der den Comer See weltberühmt gemacht hatte.

Als sie den See zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie alles bestaunt: die hohen Berge, die sich steil aus dem kristallklaren Wasser erhoben, die herrlichen Villen, die überall am Ufer an den Bergen zu kleben schienen, die Luxusjachten, die an den Stegen lagen, und die Schönheit ringsherum, die andere nur von Postkarten kannten.

Das Sommerhaus von Leos Familie hatte sie allerdings noch mehr beeindruckt. Die Villa der Parinis, eins der größten Anwesen am See, zeugte vom langjährigen Reichtum der Familie. Das Haus stammte aus dem achtzehnten Jahrhundert und war seitdem mehrmals umgebaut, erweitert und renoviert worden. Es hatte mehrere Stockwerke, diverse Schlafzimmer, großzügig geschnittene, offene Wohnbereiche und mehrere Salons für Festlichkeiten. Die Fußböden waren aus Marmor, riesige Gemälde schmückten die Wände, und überall standen die unglaublichsten Antiquitäten. Umgeben war das Haus von zahlreichen gefliesten Terrassen, an die gepflegte Rasenflächen angrenzten. Das Grün zog sich hinunter bis an den See, wo drei Boote an einem privaten Pier vor Anker lagen: ein Schnellboot, eine Motorjacht und eine stattliche Segeljacht. Außerdem gab es einen mit Solarenergie beheizten Pool.

Brooke hatte sich zuerst gesorgt, dass ihr temperamentvoller, stets zu Streichen aufgelegter Sohn die kostbaren Antiquitäten beschädigen könnte, aber merkwürdigerweise passierte nie etwas. Ob er ahnte, dass er die Schätze erhalten musste, weil er sie eines Tages erben würde?

Trotz seines australischen Erbes war Alessandro ein sehr italienisches Kind: liebevoll, laut und fordernd. Und er sah viel zu gut aus, denn er hatte die dunklen Augen und das dunkle Haar seines Vaters geerbt.

Claudia hatte ebenfalls dunkles Haar und dunkle Augen und war sehr hübsch. Doch sie war viel ruhiger und umgänglicher. Sie folgte ihrer Mutter auf Schritt und Tritt oder spielte mit ihren Puppen. Ihr Bruder dagegen war ständig unterwegs und musste etwas zu tun haben. Seit seinem zweiten Lebensjahr setzte er seinen Willen immer durch.

Genau wie sein Vater, dachte Brooke.

Dieser Gedanke brachte sie wieder auf Leo. Ihren Leo, den sie anbetete, mit dem zu leben allerdings nicht ganz leicht war. Er erwartete tatsächlich, dass alles immer nach seinen Vorstellungen lief. Sie war häufig versucht gewesen, ihm zu widersprechen, um auch einmal recht zu bekommen. Aber sie hatte es nie getan.

Mit einer Ausnahme – bei Claudias Geburt.

Eigentlich hatte sie ihre Tochter Chloe nennen wollen und Alessandro Alexander. Bei Alessandro hatte sie nachgegeben, weil Leo ihr erklärt hatte, dass der Erbe des Vermögens der Familie Parini einen italienischen Namen tragen sollte.

Da sich “Alexander” und “Alessandro” nicht wesentlich unterschieden, störte es sie nicht so sehr. Nur erwartete sie, dass sie den Namen ihrer Tochter selbst aussuchen würde. Irrtum! Leo bestand auf dem Namen Claudia. Als sie darüber diskutieren wollte, wurde er wütend. Wütender, als sie ihn je zuvor erlebt hatte.

“Ich bin das Oberhaupt dieser Familie”, erklärte er stur. “Hier bestimme ich!”

Eine Sekunde lang sah Brooke rot. Am liebsten hätte sie ihn angeschrien: Du benimmst dich genauso, wie meine Mutter es vorausgesagt hat!

Die Erinnerung an ihre Mutter hatte sie wieder zur Besinnung gebracht. Auf keinen Fall wollte sie so enden wie sie: hart, einsam und verbittert. Was war schon ein Name? Jedenfalls kein Scheidungsgrund!

Und so hatte sie wieder einmal nachgegeben.

Aber es tat immer noch weh, dass Leo ihren Standpunkt in einer Angelegenheit, die ihr wichtig war, nicht verstand. Er hätte ihr doch auf halbem Wege entgegenkommen können.