Die schwarze Fledermaus 29: Rache aus dem Jenseits - M.S. Jones - E-Book

Die schwarze Fledermaus 29: Rache aus dem Jenseits E-Book

M. S. Jones

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Beschreibung

Bei der Chicagoer Dockarbeitergewerkschaft läuft so einiges aus dem Ruder. Als Thomas McFarlane dahinterkommt, wer hier die Fäden zieht, wird er in seinem Auto in die Luft gesprengt. Die Schwarze Fledermaus ermittelt in einem Sumpf aus Korruption und Gewalt.

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DIE SCHWARZE FLEDERMAUSBand 29

In dieser Reihe bisher erschienen:

6001 – Der Anschlag von G. W. Jones

6002 – Der Sarg von G. W. Jones

6003 – Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004 – Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005 – Tote schweigen nicht von Margret Schwekendiek

6006 – Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007 – Die Spione von G. W. Jones

6008 – Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009 – Der Flammenpfad von G. W. Jones

6010 – Der Sieg der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6011 – Das Trojanische Pferd von G. W. Jones

6012 – Die Spur des Drachen von G. W. Jones

6013 – Das Gesetz der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6014 – Das nasse Grab von G. W. Jones

6015 – Stadt in Angst von G. W. Jones

6016 – Der unsichtbare Tod von G. W. Jones

6017 – Die Stimme der Gerechtigkeit von G. W. Jones

6018 – Die Augen des Blinden von G. W. Jones

6019 – Die Todesmaschine von G. W. Jones

6020 – Schatten des Bösen von G. W. Jones

6021 – Teufel ohne Gesicht von G. W. Jones

6022 – Prophet des Todes von G. W. Jones

6023 – Die Morde der Nazi-Spione von G. W. Jones

6024 – Die siebte Kolonne von G. W. Jones

6025 – Millionen für einen Mörder von G. W. Jones

6026 – Die Killer aus dem U-Boot von G. W. Jones

6027 – Die Vampire von Moosehead von G. W. Jones

6028 – Wächter in Schwarz von G. W. Jones

6029 – Rache aus dem Jenseits von M. S. Jones

6030 – Fabrik des Todes von G. W. Jones

M. S. Jones

Rache aus dem Jenseits

McGrath

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Harald GehlenLektorat: Gottfried MarblerTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogogestaltung: Mark FreierIllustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-029-1Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Neun Monate zuvor

In der Dockarbeitergewerkschaft herrschte einige Unruhe. Das war an sich nichts Ungewöhnliches, doch es gab jemanden, der die streng verschwiegene ­Gemeinschaft aufbrechen wollte. Man hütete seine Geheimnisse, und nicht alle Tätigkeiten, die hier stattfanden, waren legal.

Einer der Drahtzieher in der Gewerkschaft war ­Desmond Ogilvy. Er war mächtig genug, um Druck auf jedermann auszuüben, und er hatte einige ­Polizisten unter seinen inoffiziellen Mitarbeitern. Die schauten weg, wenn sie nichts sehen sollten, und sie griffen aktiv ein, falls der mächtige Mann es für notwendig hielt. Ein Verräter aus den eigenen Reihen war eine ernste Gefahr. Korruption, Bestechung, krumme Geschäfte – eine ganze lange Liste würde zustande kommen, falls auch nur ein Wort aus dem geschlossenen Netzwerk nach draußen drang.

Thomas McFarlane, ein noch recht junger, bislang eher idealistischer Funktionär, arbeitete seit zwei Jahren eng mit Ogilvy zusammen und hatte Einblick in einen großen Teil der illegalen Geschäfte. Lange Zeit hatte er einfach nur zugesehen, doch mittlerweile hatten die Geschäfte ein Ausmaß angenommen, mit dem er sich nicht länger abgeben konnte und wollte. Er hatte nicht vor, länger tatenlos zuzusehen, wie ein Großteil der Stadt von Verbrechern beherrscht wurde. Er hatte lange beobachtet und gezögert, bis er einen Polizisten fand, dem er vertrauen konnte. Der wiederum setzte sich mit einem ehrlichen Staatsanwalt in Verbindung, und die Sache nahm ihren Lauf.

McFarlane stellte sich als Kronzeuge zur Verfügung; seine Frau Dorothy unterstützte ihn voll und ganz. Dabei war sie sich der Gefahr wohlbewusst, die für sie selbst, ihren Mann und die gemeinsame Tochter Helen bestand. Jemand musste jedoch diese Strukturen aufbrechen, um die Schuldigen ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Auch Thomas hatte sich schuldig gemacht, er war jedoch nicht so tief in die Machenschaften verstrickt, dass er nicht auch wieder hinausfinden würde. Er machte von der Kronzeugenregelung Gebrauch, so jedenfalls war es abgesprochen, doch bisher war noch nicht einmal bekannt, dass der Staatsanwalt überhaupt Ermittlungen aufgenommen hatte. Aus diesem Grund bestand auch noch kein Personenschutz, noch war strengstes Stillschweigen angesagt.

McFarlane benahm sich genau wie immer, kassierte seinen Anteil und machte seine Arbeit. Wie hätte er auch wissen sollen, dass durch einen Fehler bei der Staatsanwaltschaft sein Verrat bekannt geworden war?

Die Sekretärin des mit den Ermittlungen beauftragten Mannes war misstrauisch geworden, als ihr Boss in aller Heimlichkeit die gesamte Arbeit selbst auf sich nahm, obwohl er sonst gern alles beiseiteschob und seinen Mitarbeitern übertrug. Das war mehr als seltsam. Sie forschte neugierig nach und fand die Informationen über den Verräter und die Machenschaften von Desmond Ogilvy. Die Frau hatte im Verlauf der letzten Jahre immer wieder mal Nachrichten an den Gewerkschaftsführer weitergegeben, doch nichts davon war so brisant wie dieser Vorfall.

Ogilvy nahm die Warnung äußerlich ruhig auf, doch er wusste, dass er nicht lange zögern durfte, um sich selbst zu schützen.

An diesem Nachmittag war Ogilvy besonders freundlich zu Thomas. „Hat nicht heute deine Tochter Geburtstag?“, fragte er jovial.

McFarlane schüttelte den Kopf. „Du irrst, heute ist mein Hochzeitstag. Helen hat erst in drei Monaten Geburtstag.“

„Das ist auf jeden Fall ein guter Grund, früher nach Hause zu fahren. Du grüßt bitte deine Frau von mir, und vergiss nicht, ihr noch ein Geschenk zu besorgen.“

Thomas schöpfte keinen Verdacht, auch wenn Ogilvy sich etwas seltsam verhielt. Er dankte und ging in bester Laune davon. Er wollte für Dorothy Blumen besorgen und ein paar besonders schöne Ohrringe.

Sein Chevy stand auf dem Parkplatz, er hing an diesem Auto und pflegte es regelmäßig. Automatisch schweiften seine Augen über den Wagen. Gab es irgendwo Lackschäden oder Schlimmeres?

Nein, der dunkelblaue Lack schien unversehrt. Thomas sperrte den Wagen auf und setzte sich hinter das Steuer, er startete den Motor und wollte anfahren – das war das Letzte, was er in seinem Leben tat. Ein riesiger glänzender Feuerball entstand, zahllose Trümmerstücke flogen in hohem Bogen durch die Luft, und stinkender schwarzer Qualm breitete sich aus. Das Feuer griff erst jetzt auf den gut gefüllten Tank über, die erhitzten Benzindämpfe führten zu einer weiteren Explosion. McFarlane war bereits bei der ersten Explosion tot gewesen, damit bestand für Desmond Ogilvy keine unmittelbare Gefahr mehr.

Als zwei Polizeibeamte vor dem Haus der McFarlanes erschienen, um der Frau die Nachricht zu überbringen, hielt sich Dorothy nur mit Mühe aufrecht. Sie hatte gewusst, dass etwas passieren könnte, doch mit dieser kompromisslosen Brutalität hatte sie nicht gerechnet. Die Geschwindigkeit, mit der aus dem Vorfall ein Unfall aufgrund eines technischen Defekts gemacht wurde, erschreckte die Frau noch mehr. Alle ihre Vorhaltungen bei der Polizei wurden mit großer Höflichkeit zur Kenntnis genommen – und unter den Tisch gekehrt.

Zur Beerdigung erschienen neben zahlreichen Kollegen auch Desmond Ogilvy und zwei seiner engsten Mitarbeiter. Mit einer tieftraurigen Miene überreichte er der Witwe einen Umschlag.

„Wir lassen unsere verdienstvollen Mitarbeiter und ihre Familien nicht im Stich. Es tut mir so leid, Dorothy! Thomas war ein feiner Kerl.“

In ihrem Magen bildete sich ein dicker schwerer Knoten angesichts dieser zur Schau getragenen Heuchelei. Für einen Augenblick überlegte sie, den Umschlag öffentlich zu zerreißen und die Fetzen dem Mann vor ihr ins Gesicht zu werfen, dann entschied sie sich jedoch anders. Für das, was sie vorhatte, würde sie das Geld brauchen, das sich darin befand. Mit spröder Stimme dankte sie, nahm auch das gesammelte Geld der Arbeitskollegen in Empfang und zog dann ihre Tochter mit sich, weg vom Friedhof. Länger konnte sie all diese Leute nicht mehr ertragen.

Dorothy warf noch einen Blick auf das Grab zurück. Das war nicht ihr geliebter Thomas, der dort begraben wurde, es handelte sich um einen völlig zerfetzten Körper, den man nicht einmal wirklich hatte identifizieren können. Ihr Thomas lebte weiter in ihrem Herzen, dort gab es keinen Tod und auch kein Vergessen.

Dorothy packte zu Hause zwei Koffer mit den notwendigsten Utensilien, dann verschwand sie mit Helen spurlos aus Chicago.

Kapitel 1 – Begegnungen

„Der Urlaub wird dir wirklich guttun, Tony“, erklärte Carol und strich ihrem Partner sanft über die Wange. District Attorney Tony Quinn, der Staatsanwalt für besondere Aufgaben, seufzte, dann küsste er die Innenfläche der Hand.

„Wahrscheinlich hast du recht, aber es gibt so viel zu tun. Wir müssen zwei große Prozesse vorbereiten und Verhöre führen ...“ Er hielt inne, als die schöne Frau an seiner Seite leise lachte.

„Du hast immer Prozesse vorzubereiten und Verhöre zu führen und Anklageschriften vorzulegen, aber in den nächsten drei Tagen gibt es nichts von alledem. Wir ­werden uns erholen, Angeln, lange Spaziergänge machen, oder ganz einfach gar nichts tun.“

„Sie hat vollkommen recht, Sir“, meldete sich jetzt auch Silk zu Wort, der am Steuer saß und den Wagen sicher durch den Verkehr lenkte. Norton Kirby, so lautete sein korrekter Name, war der persönliche Assistent des blinden Staatsanwalts, der durch ein Attentat mit Säure sein Augenlicht verloren hatte. Die übrigen Sinne des Mannes hatten sich geschärft, und er bewegte sich oftmals mit traumwandlerischer Sicherheit. Doch das Studium der Akten beispielsweise war ohne die Hilfe seiner rechten Hand namens Norton Silk Kirby für die Öffentlichkeit unmöglich. Er ersetzte die Augen von Quinn, und diese Partnerschaft funktionierte hervorragend.

Daran hatte sich auch nichts geändert, als eine geheime Operation dem Staatsanwalt das Augenlicht zurückbrachte. Er erhielt ausgerechnet die Augen des Vaters von Carol, dessen letzter Wunsch es gewesen war, dem jungen District Attorney, den er aufrichtig in seinem Kampf gegen das Verbrechertum bewundert hatte, seine gesunden Augen zu schenken, denn dort, wohin er gehen würde, brauchte er sie nicht mehr. Es blieb jedoch ein Geheimnis, dass Quinn wieder sehen konnte, denn er hatte außer seiner offiziellen Funktion eine weitere Aufgabe – eine selbst gestellte. Er bekämpfte in der Verkleidung einer schwarzen Fledermaus das Verbrechen in der Stadt, und das funktionierte besonders gut, weil der Mann in der Nacht sehen konnte. Dabei handelte es sich um eine unerwartete Nebenwirkung der Operation. Tony wollte seine Tarnung um jeden Preis aufrechterhalten. Als Blinder wurde er häufig unterschätzt, und natürlich war auch niemandem bekannt, wer sich unter der Maske einer schwarzen Fledermaus verbarg. Die Informationen, die er auf diese Weise erhielt, halfen dabei, die Verbrecher ihrer gerechten Strafe zuzuführen.

Obwohl der Maskierte der Polizei zuarbeitete, wurde er auch von den Beamten gejagt. Dabei tat sich besonders Lieutenant McGrath hervor. Der Beamte hegte den Verdacht, dass der Staatsanwalt die Fledermaus sein könnte, konnte das jedoch nicht beweisen. Er versuchte immer wieder mit mehr oder weniger intelligenten Tricks herauszufinden, ob Quinn sehen konnte. Von der Überrumpelungs­taktik bis zum geheimen Beobachten hatte der Detective Lieutenant schon alles erfolglos durchprobiert, doch er war hartnäckig und gab nicht auf. Davon abgesehen konnte man recht gut mit ihm zusammenarbeiten, und gelegentlich überraschte er den Staatsanwalt sogar mit einer gut durchdachten Idee.

Quinn hatte seine Doppelrolle mittlerweile perfektioniert. Im Büro war es für jedermann ein vertrauter Anblick, dass der District Attorney mit dem weißen Blindenstock durch die Gänge lief und Kirby ständig an seiner Seite blieb. Die Akten las der Assistent vor, und selbstverständlich übernahm er auch einige Schreibarbeiten, die nicht von einer Sekretärin übernommen werden konnten oder sollten. Auch in solche, oft vertraulichen Arbeiten, platzte der Beamte gelegentlich unangemeldet herein, immer in der Hoffnung, Quinn endlich zu erwischen, wie er als Sehender seinen Aufgaben nachkam. Zwischen ihm und Tony war es mittlerweile längst zu einer endlosen Diskussion ausgeartet, die kein Ende finden konnte. McGrath verdächtigte den Staatsanwalt, in die Rolle der Schwarzen Fledermaus zu schlüpfen und sich polizeiliche Rechte anzumaßen. Quinn ließ ihn immer wieder ins Leere laufen und gab sich keine Blöße, registrierte meist mit einem Schmunzeln die unzähligen Vorstöße, sein Geheimnis aufzudecken.

Die nächsten drei Tage wollte er jedoch jeden Gedanken an den Lieutenant, die unzähligen Akten auf seinem Schreibtisch und neue Aktivitäten der Schwarzen Fledermaus aus seinem Gedächtnis verbannen. Hier draußen in der Fischerhütte und im Wald war es nicht notwendig, die Rolle des Blinden aufrechtzuerhalten. Er konnte laufen, angeln oder noch andere Dinge tun, ohne besonders darauf achten zu müssen, dass niemand etwas bemerkte.

„Mein Gott, diese Luft hier ist unglaublich“, rief Tony, als sie ihr Ziel erreicht hatten. Auf einer Lichtung in einem ausgedehnten Waldgebiet befand sich am Ende einer unebenen Zufahrtsstraße eine Hütte, die für vier Personen auch noch genug Platz geboten hätte. Nur knapp fünfzig Meter entfernt war das Ufer eines Sees, der sich über eine recht große Fläche erstreckte und für seinen Fischreichtum bekannt war.

„Nun, wie gefällt es dir?“, fragte Carol und drehte sich mit ausgestreckten Armen im Kreis. Die Hütte gehörte Richter Norman Sinclair, den die junge Frau schon lange kannte. Der Richter hatte auch Tony schon die Hütte angeboten, doch bisher hatte der Staatsanwalt immer abgelehnt. Nun fragte er sich, warum er nicht schon früher auf dieses Angebot eingegangen war.

„Es ist perfekt, so wie du“, murmelte Quinn und zog sie an sich. Silk war schon damit beschäftigt, das Gepäck aus dem Wagen zu holen. Für die geplanten drei Tage war das nicht viel, in erster Linie brauchten sie hier Freizeitkleidung und natürlich die Angelausrüstung. Die Hütte war komplett ausgestattet, sogar Lebensmittel waren vorhanden. Der Richter hatte an alles gedacht.

„Du solltest einen kleinen Spaziergang machen, Tony. Du wirst merken, wie der Stress von dir abfällt“, schlug Carol vor.

„Willst du mich loswerden?“, fragte er neckend.

„Natürlich will ich das. Du bist hier, um dich zu erholen. Silk und ich übernehmen den Rest. Es ist zu schade, dass Butch nicht auch mitkommen konnte, aber er wollte gern bei der Hochzeit seiner Schwester dabei sein. Wir mussten ihm versprechen, ganz besonders gut auf dich aufzupassen. Also solltest du ganz einfach die wunderbare Landschaft genießen und dich etwas verwöhnen lassen.“

„Ich wusste nicht einmal, dass Butch eine Schwester hat“, bemerkte Silk.

„Butch spricht nicht gern von seiner Familie, und ich habe es bisher vermieden, ihn über Einzelheiten zu befragen. Er könnte es als Neugier auslegen. Im Übrigen geht es uns auch gar nichts an“, stellte Carol fest, und Quinn nickte. Er wusste einiges mehr über den gutmütigen ­Riesen, sprach jedoch auch nicht darüber, da er die Privatsphäre anderer Menschen respektierte.

„Ich hoffe, er hat ein bisschen Spaß auf der Hochzeit und lässt sich nicht wieder auf eine Rauferei ein“, fügte Silk hinzu.

„Mach dir keine Sorgen, ich vertraue Butch völlig. Er wird nichts tun, was ihn oder uns alle in Schwierigkeiten bringen könnte“, erklärte der District Attorney.

„Schluss jetzt mit diesem Gerede. Sieh zu, dass du ein bisschen was von der frischen Luft abbekommst“, befahl Carol mit gespielter Strenge.

Quinn lachte kurz auf und schüttelte den Kopf. Er wurde so liebevoll umsorgt, dass es ihn gelegentlich drängte, auch etwas Arbeit zu übernehmen, zu kochen zum Beispiel. Aber jetzt folgte er Carols Worten und ging ein Stück in den Wald hinein. Seine geschärften Sinne konnten ihm durchaus zeitweilig die Augen ersetzen, auch wenn das hier unnötig war. Er roch die unterschiedlichen Düfte des Waldes, seine Ohren verrieten ihm die Standorte der Vögel und einiger kleinerer Tiere.

Quinn erstarrte plötzlich zur Salzsäule. Er hatte eindeutig das Geräusch brechender Zweige und Schritte im ersten frühen Laub gehört. Er überlegte. Gab es in der Nähe vielleicht noch eine weitere Hütte, in der jemand wohnte? Auszuschließen war das nicht. Aber warum gab sich dieser Jemand dann nicht zu erkennen, sondern schlich durch den Wald, um möglichst nicht bemerkt zu werden?

Tony war augenblicklich wieder in das Verhalten eines Blinden zurückgefallen. Jetzt verharrte er unbeweglich an seinem Standort und lauschte weiter.

„Ist hier jemand?“, fragte er. „Sie können sich ruhig zu erkennen geben, wir sind nur hier, um ein paar Tage Urlaub zu machen. Kommen Sie ruhig her, auf gute Nachbarschaft.“

Nichts, keine Antwort, und auch kein weiteres Geräusch. Hatte er sich vielleicht doch getäuscht?

„Mit wem reden Sie, Sir?“, fragte Silk, der gerade näher kam. „Ist hier sonst noch jemand?“

„Ich habe etwas gehört. Eindeutig Schritte und das Knacken von Holz.“

Automatisch machte Silk eine Handbewegung, als wollte er seine Waffe ziehen. Quinn war häufig in Gefahr, weil er als unbestechlich galt und Kriminelle mit unnachgiebiger Härte verfolgte. Kirby war also nicht nur Privatsekretär, sondern auch Leibwächter und nahm diese Aufgabe ziemlich ernst.

„Ich glaube nicht, dass mich jemand bedrohen wollte“, meinte Tony. „Mir kam es eher so vor, als wollte der oder die Unbekannte selbst verborgen bleiben, um sich zu schützen. Da ich aber nichts sehen kann, konnte ich natürlich auch nichts erkennen.“

„Sie sollten sich auch nicht so weit von der Hütte entfernen, Sir, es ist zu gefährlich für einen Blinden mitten im Wald“, erwiderte Silk, der diesen Wink sehr wohl verstanden hatte.

„Hier ist ein Ort, an dem ich endlich mal nicht auf alles achten muss, und an dem ich nicht ständig fremde Hilfe brauche. Danke, Silk, aber ich hatte vor, diesen Ausflug zu genießen.“ Quinn war fast sicher, dass der oder die Unbekannte noch immer in der Nähe war und zuhörte.

„In Ordnung, Sir, das habe ich jetzt verstanden“, meinte der andere Mann grinsend und fasste Quinn beim Arm, um ihm fürsorglich zu helfen.

Carol schüttelte ungläubig den Kopf, als sie von dem Vorfall hörte. „Warum sollte sich jemand hier draußen verbergen?“

„Keine Ahnung. Vielleicht wird dieser Jemand doch noch mit mir sprechen, aber falls nicht, sollten wir das einfach respektieren.“

„Aber vielleicht ist es ein Krimineller, der sich hier verbergen will“, gab die junge Frau zu bedenken.

„Wer war das noch, der mir geraten hatte, all das beiseitezuschieben?“, neckte er ironisch. „Ein Gefühl sagt mir, dass ich nicht in Gefahr schwebe. Allerdings sollten wir meine Tarnung aufrechterhalten, es kann durchaus sein, dass man mein Bild aus den Zeitungen kennt.“

„Wie du willst“, stimmte Carol zu.

An diesem Abend gab es keinen frischen Fisch. Die drei bedienten sich aus den vorhandenen Vorräten, dann setzten sie sich in die gemütliche Sofagarnitur am Kamin, in dem ein Feuer brannte, weil der Abend kühl geworden war.

Früh am nächsten Morgen stand Silk bereits auf und schnappte sich die Angelausrüstung, um mit dem Ruderboot auf den See hinauszufahren.

Carol war kurz wach geworden, als sie den Mann im anderen Zimmer hantieren hörte, dann kuschelte sie sich jedoch wieder in die Arme von Tony Quinn. Einige Zeit später stand der lautlos auf, um Carol nicht zu wecken, die wieder eingeschlafen war. Er zog sich an und ging erneut in den Wald, wobei er sich wieder wie ein Blinder bewegte. Trotzdem hatte er seinen Stock nicht dabei, er benutzte sein Gehör und die Hände. Er streckte den Arm aus und tastete nach der borkigen Rinde eines dicken Baumstamms, dann lehnte er sich dagegen und wartete, alle Sinne hoch konzentriert. Es dauerte einige Zeit, bis Quinn bemerkte, dass sich jemand näherte.

„Ich beiße nicht“, erklärte er mit einem unterdrückten Lachen. „Mein Name ist Tony Quinn, und meine Begleiter heißen Carol und Norton. Ich gehe davon aus, dass wir heute frischen Fisch zum Essen haben. Sie können gerne mit uns essen.“ Keine Antwort, doch ein kaum wahrnehmbares Rascheln zeigte an, dass die Person ein Stück näher kam. „Sie mögen keinen Fisch? Oder möchten Sie lieber unerkannt bleiben? Dann können Sie mir gegenüber Ihr Inkognito wahren. Ich bin blind. Das ist auch der Grund, warum ich nicht allein hier bin.“

„Ist das wahr?“ Eine Frauenstimme, etwa Mitte dreißig, schätzte Quinn. Zu sehen war noch nichts, aber die Frau war nur noch kaum zehn Meter entfernt.

„Was ist wahr?“, wiederholte er. „Dass ich blind bin, ist eine traurige Tatsache.“

„Sie sind gar nicht überrascht, hier auf mich zu treffen.“

„Ach, das stimmt nicht so ganz. Ich hatte keine Ahnung, dass hier noch weitere Hütten in der Nähe sind. Doch als Sie sich gestern verborgen hielten, statt mit uns ein paar höfliche Worte zu wechseln, bin ich davon ausgegangen, dass Sie gute Gründe haben, sich verborgen zu halten. Trotzdem hatte ich gehofft, dass Sie noch einmal zurückkehren, und sei es nur aus Neugier.“

„Du meine Güte, Sie reden wie ein Polizist oder Anwalt. Feststellungen treffen, logische Schlussfolgerungen suchen und das Ganze in geschraubten Sätzen von sich geben.“

„Eine gute Beobachtungsgabe, ich bin tatsächlich Anwalt.“

„Aber Sie sind doch blind“, entfuhr es ihr.

„Sicher, aber muss mich das an etwas hindern? Verraten Sie mir Ihren Namen oder möchten Sie weiterhin die große Unbekannte bleiben?“

Ein kaum wahrnehmbares Zögern. „Ich bin Dorothy, Dorothy McFarlane.“

Sie sagte die Wahrheit, wie Tony genau heraushörte. Er stutzte, dann wusste er mit dem Namen auch etwas anzufangen. Sie war die Witwe des Gewerkschafters, der durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen war. Die Frau war unmittelbar nach der Beerdigung mit ihrer Tochter verschwunden. Intern war bekannt geworden, dass der Tote als Kronzeuge aussagen wollte, durch den Unfall war es dazu jedoch nicht mehr gekommen. Falls es sich tatsächlich um einen Unfall gehandelt hatte, war der zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt passiert.

Was wusste diese Frau, dass sie so schnell von der Bildfläche verschwunden war? Oder wusste sie gar nichts und hatte nur Angst um ihr Leben und das ihrer Tochter?

„Missis McFarlane, machen Sie Urlaub hier?“

„So etwas Ähnliches“, erklärte sie ausweichend. „Ich habe vor einiger Zeit meinen Mann verloren und versuche, darüber hinwegzukommen.“

Er hörte die Trauer in ihrer Stimme, aber auch Verzweiflung und Angst.

„Das tut mir leid, so ein Verlust kann sehr lange schmerzen. – Sind Sie in Ihrer Hütte mit allem versorgt, oder können wir Ihnen mit irgendetwas aushelfen?“

„Warum sollten Sie das tun?“, fragte sie plötzlich misstrauisch.

„Weil ich davon ausgehe, dass Sie nur selten ein Geschäft aufsuchen und gewisse Vorräte nach einiger Zeit knapp werden. Sie machen hier keinen Urlaub, Sie verstecken sich, aus welchen Gründen auch immer. Aber es kann doch auf Dauer keine Lösung sein, mit einem Kind hier zu leben und ständig Angst davor zu haben, dass man aufgespürt wird.“

Er hörte ihr entsetztes Luftholen. „Wer sind Sie?“, fragte sie scharf. „Sie sind einer von denen, ja? Wollen Sie mir ein Angebot machen, damit ich schweige, oder wollen Sie mir ein Ultimatum stellen? Wie können Sie es wagen, mich hier förmlich zu überfallen ...“ Ein Schluchzen stieg in ihr auf, aber sie verdrängte die Tränen. „Ich lasse mich nicht von Ihnen unter Druck setzen, und ich rate Ihnen dringend, mich in Ruhe zu lassen.“

„Missis McFarlane, mir ist nicht ganz klar, weshalb Sie mich derart angreifen. Ich bin tatsächlich Anwalt, Staatsanwalt, um genau zu sein. Als Sie mir gerade Ihren Namen nannten, war mir sofort klar, wer Sie sind. Ich habe jedoch weder vor, Sie in irgendeiner Form einzuschüchtern oder zu bestechen, ganz im Gegenteil. Ich würde Ihnen gern helfen. Sie können nicht auf Dauer mit dem Kind hierbleiben. Also bitte, lassen Sie mich Ihnen helfen, oder wollen Sie noch länger in Angst leben? Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie Ihrem Kind antun?“

„Ich glaube Ihnen kein Wort“, stieß Dorothy hervor. „Mein Mann wurde ermordet, aber Polizei und Gericht beschlossen, es handelte sich um einen Unfall. Noch auf der Beerdigung hat man mir geraten, Stillschweigen zu bewahren, dann würde für mein finanzielles Auskommen gesorgt. Aber das werde ich nicht mitmachen. Es wäre Verrat an meinem Mann.“