Die Schwarze Fledermaus 31: Auf höchsten Befehl - A.S. Jones - E-Book

Die Schwarze Fledermaus 31: Auf höchsten Befehl E-Book

A. S. Jones

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Beschreibung

Der ortsansässige Polizeichef wird von einem Polizeischüler erschossen. Die Hintergründe erscheinen brisant, daher bittet der Gouverneur, der kurz vor seiner Wiederwahl steht, Tony Quinn um Hilfe. Quinn ermittelt tagsüber als Staatsanwalt, doch nachts lauern auf ihn Mörder in Uniformen.

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DIE SCHWARZE FLEDERMAUSBand 31

In dieser Reihe bisher erschienen:

6001 – Der Anschlag von G. W. Jones

6002 – Der Sarg von G. W. Jones

6003 – Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004 – Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005 – Tote schweigen nicht von Margret Schwekendiek

6006 – Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007 – Die Spione von G. W. Jones

6008 – Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009 – Der Flammenpfad von G. W. Jones

6010 – Der Sieg der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6011 – Das Trojanische Pferd von G. W. Jones

6012 – Die Spur des Drachen von G. W. Jones

6013 – Das Gesetz der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6014 – Das nasse Grab von G. W. Jones

6015 – Stadt in Angst von G. W. Jones

6016 – Der unsichtbare Tod von G. W. Jones

6017 – Die Stimme der Gerechtigkeit von G. W. Jones

6018 – Die Augen des Blinden von G. W. Jones

6019 – Die Todesmaschine von G. W. Jones

6020 – Schatten des Bösen von G. W. Jones

6021 – Teufel ohne Gesicht von G. W. Jones

6022 – Prophet des Todes von G. W. Jones

6023 – Die Morde der Nazi-Spione von G. W. Jones

6024 – Die siebte Kolonne von G. W. Jones

6025 – Millionen für einen Mörder von G. W. Jones

6026 – Die Killer aus dem U-Boot von G. W. Jones

6027 – Die Vampire von Moosehead von G. W. Jones

6028 – Wächter in Schwarz von G. W. Jones

6029 – Rache aus dem Jenseits von M. S. Jones

6030 – Fabrik des Todes von G. W. Jones

6031 – Auf höchsten Befehl von A. S. Jones

6032 – Die weiße Hexe von G. W. Jones

6033 – Samariter des Todes von G. W. Jones

6034 – Mordgeschäfte von G. W. Jones

A. S. Jones

Auf höchsten Befehl

Tony Quinn

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Harald GehlenTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogogestaltung: Mark FreierIllustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-031-4Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1

Der blinde Staatsanwalt Anthony Quinn saß am Frühstückstisch. Wie jeden Morgen las sein Sekretär ihm aus der Zeitung vor. Heute durften sie sich Zeit lassen. Im Büro lag nichts Dringendes an und beide genossen den friedlichen Moment. Von draußen drangen Morgensonne und Vogelgezwitscher in die gemütlich eingerichtete Biblio­thek. Während Quinn seinen Toast mit den langsamen und vorsichtigen Bewegungen eines Blinden bestrich, lauschte er der leisen Stimme Norton Kirbys. Dieser ließ die bereits gelesene Seite achtlos zu Boden gleiten, faltete die folgende Seite einmal in der Mitte, damit er sie bequemer halten konnte – und erstarrte.

„Was ist los, Silk? Warum liest du nicht weiter?“, fragte der Staatsanwalt leicht ungeduldig. Norton Kirby hatte den Spitznamen Silk oder Seide schon vor langer Zeit erhalten, weil er sich seidenweich durch jede Schwierigkeit hindurchzuschlängeln verstand.

Nun starrte er sprachlos auf die Schlagzeile des Regional­teils, wobei sein schmales Gesicht mit den klugen Augen sich zu einer düsteren Grimasse verzog. Leise pfeifend stieß er den angehaltenen Atem aus.

„Teufel noch mal, das ist ein Ding!“, schimpfte er. „Das werden Sie nicht für möglich halten, Chef.“

„Was erregt dich so? Was ist los?“

„In Springfield hat ein Polizeischüler seinen Chef, genauer gesagt, den Polizeichef der Stadt, erschossen“, erklärte Silk. „Sekunde, ich lese Ihnen den ganzen Artikel vor.“

Quinn lauschte konzentriert. Das Brot blieb unbeachtet auf dem Teller liegen.

„Nun, was sagen Sie dazu, Sir?“, fragte Silk, als er geendet hatte.

„Hm, das klingt nach einer bösen Sache. Anscheinend besteht kein Zweifel an dem Täter. Aber den Grund für das Verbrechen kennt offensichtlich niemand. Der Reporter ergeht sich in Vermutungen. Nichts Konkretes, nichts Eindeutiges. Wirklich seltsam. Warum sollte ein junger Polizist, der frisch von der Polizeischule kommt, urplötzlich und grundlos seinen obersten Chef umbringen?“

„Wird die Schwarze Fledermaus der Sache nach­gehen?“, fragte Silk mit hoffnungsvollem Unterton in der Stimme. „Wir hatten schon seit einiger Zeit keinen wirklich interessanten Fall mehr.“

Quinn überlegte einen Moment. Es reizte ihn, der Ursache für den scheinbar sinnlosen Mord nachzu­spüren, doch dann schüttelte er bedauernd den Kopf. „Zu weit entfernt. Es gibt keinen Grund für den Chicagoer Staatsanwalt für Sonderaufgaben, ausgerechnet jetzt in der Nähe von Springfield Urlaub zu machen. Nein, wir würden uns schön in die Nesseln setzen, wenn wir aus reiner Neugier dort recherchieren würden. Aber keine Sorge, Silk“, rief er, als er die Enttäuschung seines Sekretärs bemerkte. „Die Zeitungen werden uns auf dem Laufenden halten und wir werden sicher bald wieder etwas Interessantes zu tun bekommen.“

„Oh, mir scheint, Sie wissen wieder einmal mehr.“

„Nein, nein, nur so ein Gefühl. Die Verbrecher halten nie lange still. Und nun räum bitte den Tisch ab. Auch wenn der Fall uns nicht betrifft, ist mir der Tod eines redlichen Mannes, der wie wir gegen das Verbrechen kämpfte, doch auf den Magen geschlagen.“

Quinn erhob sich, tastete sich zu seinem Lieblingssessel am Kamin und ließ seine Hand über das kleine Rauchtischchen gleiten, bis er die gestopfte Pfeife fand, die stets dort bereitlag.

Kapitel 2

Vor einigen Jahren, als er ein junger, erfolgreicher Staatsanwalt war, hatte er bei dem Versuch, Beweise zu retten, sein Augenlicht verloren, und seiner Karriere war ein abruptes Ende beschieden. Ein angeklagter Gangster hatte mithilfe ätzender Säure die Papiere vernichten wollen, doch stattdessen traf die gefährliche Flüssigkeit Quinns Augen. Auch wenn die Wunden allmählich heilten, das verlorene Augenlicht konnten ihm selbst die besten Ärzte nicht wiedergeben. Lange Zeit hatte Quinn mit seinem Schicksal gehadert. Irgendwann blieb ihm keine Wahl, als sich damit abzufinden. Er erlernte die Blindenschrift und erlebte, wie seine anderen Sinne sich in ungeahnter Weise schärften. Kurz zuvor hatte er Silk in seinen Dienst genommen, der nicht nur ein unentbehrlicher Diener, sondern auch sein bester Freund wurde.

An einem Abend tiefster Verzweiflung trat Carol Baldwin in sein Leben und schenkte ihm neue Hoffnung. Carols Vater, ein Polizeisergeant im Mittleren Westen, war von einem Verbrecher niedergeschossen worden und lag im Sterben. Sein letzter Wunsch war, Quinn, dessen Kampf gegen das Verbrechertum er stets bewundert hatte, seine Augen zu schenken. Gemeinsam mit Carol reiste Quinn in ihren Heimatort, wo ein unbekannter, aber genialer Arzt eine Netzhauttransplantation vornahm. Nach wenigen Wochen, als die Verbände abgenommen wurden, wusste Quinn, dass ihm die Sehkraft neu geschenkt worden war, und mehr noch, er vermochte jetzt sogar bei Nacht in tiefster Dunkelheit zu sehen.

So beschloss er, den Kampf gegen die Verbrecher wieder aufzunehmen, jedoch nicht wie früher als Staats­anwalt, der nicht nur den Einschränkungen des Gesetzes unterworfen war, sondern auch jederzeit damit rechnen musste, eine Kugel oder ein Messer in den Rücken zu bekommen. Nein, für die Öffentlichkeit wollte er blind und hilflos bleiben, aber im Geheimen, im Schutze der Dunkelheit, würde er die Verbrecher jagen. Da die Narben rund um seine Augen seine Identität sofort verraten würden, entschloss er sich zu einem Kostüm mit Maske. So entstand die Schwarze Fledermaus, ein maskierter, geheimnisvoller Gangsterjäger, vor dem die Unterwelt sich mehr fürchtete als vor der Polizei. Die Schwarze Fledermaus durfte sich über die oft hinderlichen Regeln der Bürokratie hinwegsetzen, an die der Staatsanwalt sich zu halten hatte.

Zwischen Carol Baldwin und Tony Quinn entwickelte sich eine tiefe Liebe. Außer ihr und Silk Kirby gab es noch einen Menschen, der zum Freundeskreis gehörte und Tonys Geheimnis kannte. Jack Butch O’Leary war ein Riese von Gestalt und breit wie ein Kleiderschrank. Dass er manchmal etwas schwerfällig im Denken war, störte Tony nicht, denn seine Treue und Anhänglichkeit waren unbeschreiblich. Mit seinen ungeheuren Körperkräften leistete er den Freunden wertvolle Dienste.

Kapitel 3

Quinn rauchte seine Pfeife und überlegte, welche Verbindung es geben mochte zwischen einem Neuling, der frisch von der Polizeischule kam, und einem altgedienten Polizeichef. Denn dass der Junge grundlos geschossen hatte, glaubte er nicht. Doch welcher Gangster nahm die harte Ausbildung an der Polizeischule auf sich, nur um anschließend einen Mord zu begehen, den er mit geduldiger Vorbereitung auch anders hätte erledigen können? Irgendetwas an der Sache schien faul zu sein. Silk störte ihn in seinen Gedanken. „So, Chef, alles erledigt. Wenn Sie wollen, können wir jetzt ins Büro fahren.“

Quinn nickte, griff nach seinem weißen Stock und folgte seinem Sekretär hinaus.

Silk stoppte am Straßenrand vor dem Hochhaus, in dem sich die Staatsanwaltschaft befand. Gerade wollte er seinem Chef aus dem Auto helfen, da kam Inspector McGrath vom Dezernat für Schwerverbrechen aus der Tür gestürzt. „Morgen, Mister Quinn“, rief er schon von Weitem. „Haben Sie schon von der Schweinerei in ­Springfield gehört? Der Mistkerl hat sogar die Dienstwaffe seines Chefs benutzt. So viel Dummheit verstehe ich nicht! Es waren eine Menge Kollegen im Haus, einige haben den Täter sogar gesehen, wie er aus dem Büro gestürzt kam. Was meinen Sie, ob sich die Schwarze ­Fledermaus einschalten wird?“

Aus unerfindlichen Gründen glaubte der Polizeiinspektor, dass hinter der schwarzen Maske der Fledermaus Tony Quinn steckte, und er ließ keine Gelegenheit aus, den Staatsanwalt mit seinem Verdacht zu konfrontieren. Immer wieder versuchte McGrath zu beweisen, dass Quinn nicht blind war, doch war es ihm nie gelungen und Quinn ihm immer wieder entwischt.

Der Staatsanwalt hob nur die Schultern. „Woher soll ich das wissen? Ich habe Ihnen oft genug gesagt, dass ich mit der Schwarzen Fledermaus nicht das Geringste zu tun habe. Bisher ist der Maskierte nur selten außerhalb Chicagos aufgetaucht. Außerdem ist der Fall doch geklärt, oder? Zu ermitteln gibt es nichts mehr, wenn man den Zeitungen Glauben schenken darf.“

Der Inspector schnaubte, dass sein grauer Bart sich sträubte. Dann stiefelte er zu einem wartenden ­Streifenwagen.

Im Büro widmete Quinn sich seiner Arbeit als Staatsanwalt für Sonderaufgaben. Er ließ sich Berichte vorlesen, leistete diverse Unterschriften, hielt Besprechungen mit Polizisten und Zeugen ab, verfasste mehrere Schriftsätze, sodass er an den Mord in Springfield gar nicht mehr dachte, bis am späten Nachmittag seine Sekretärin aus dem Vorzimmer auftauchte.

„Mister Quinn, es ist ein Fernschreiben aus dem Büro des Gouverneurs gekommen. Er bittet Sie, ihn morgen früh aufzusuchen.“ Ihre Stimme enthielt eine Mischung von Ehrfurcht und Neugier. Sie reichte das Blatt Silk, der wie gewohnt an der Schmalseite von Quinns Schreibtisch stand, bereit, seinem Chef jederzeit hilfreich zur Seite zu stehen. Als der nicht antwortete, ging sie mit einem nur für Quinns feine Ohren hörbaren enttäuschten Seufzer hinaus.

„Was will der Gouverneur denn von Ihnen?“

Quinn zuckte die Schultern. „Wir werden es Morgen erfahren. Für heute ist Schluss.“ Er stand auf, Silk reichte ihm Mantel und Stock. Gemeinsam gingen sie den langen Flur entlang zum Fahrstuhl.

Kapitel 4

Am nächsten Morgen fuhren sie früh los, um rechtzeitig in Springfield, dem Sitz des Gouverneurs, anzukommen. Silk bemühte sich vergeblich, seine Neugier zu zähmen. Kaum hatten sie die Grenzen Chicagos hinter sich gelassen, der Verkehr floss nun etwas ruhiger, da vermochte er es nicht länger auszuhalten. „Sir, könnte es vielleicht um den toten Polizeichef gehen? Was meinen Sie?“

Quinn genoss die Fahrt über Land. Viel zu selten fand er Muße, spazieren zu fahren. So nahm er Silk seine Neugier nicht übel, sondern antwortete leicht amüsiert: „Ich weiß so viel oder so wenig wie du. Wir müssen abwarten.“

Das stellte Silk offensichtlich nicht zufrieden, denn nach kurzem Überlegen fuhr er fort: „Nach den Artikeln in der Zeitung zu urteilen, ist der Fall geklärt. Der Täter wurde von seinen Kollegen eindeutig erkannt und verhaftet. Da gibt es für einen Ermittler nichts mehr zu tun. Und Staatsanwälte gibt es in Springfield sicher mehr als genug.“ Er schwieg eine Weile nachdenklich. Quinn, der ihn von der Seite musterte, sah, wie es in ihm arbeitete. Und richtig, schon nach kurzer Zeit fuhr er langsam, wie in Gedanken versunken, fort: „Seltsame Sache, das Ganze. Kennen Sie sich eigentlich persönlich? Ich meine, Sie und der Gouverneur?“

„Wir sind uns während des Studiums an der Chicagoer Universität begegnet, er ist älter als ich und stand kurz vor dem Abschluss, als ich anfing, weshalb wir nie im eigentlichen Sinne befreundet waren. Deshalb sehe ich eigentlich keinen Grund, sich an mich zu wenden.“

„Nun, Chef, Sie sind ein berühmter Mann. Früher, als District Attorney, haben Sie der Unterwelt das Fürchten gelehrt, manche sahen Sie bereits auf dem Posten des Gouverneurs. Und jetzt als Staatsanwalt für besondere Aufgaben sind Sie mindestens genauso berühmt.“

Quinn lachte. „Nun übertreibe mal nicht. Vergiss nicht, dass ich ein hilfloser, blinder Mensch bin.“

Auch Silk grinste. Zwischen den einzelnen kleinen Ortschaften breiteten sich riesige Ackerflächen aus, teilweise wurde die Straße noch von alten Bäumen gesäumt. Quinn genoss es, die Landschaft an sich vorüberziehen zu sehen.

Als sie die Stadtgrenze von Springfield passierten, warf er einen unauffälligen Blick auf die Uhr und meinte dann: „Wir haben noch eine knappe Stunde Zeit, zu wenig für ein frühes Mittagessen, aber was hältst du von einer Tasse Kaffee? Die Snack-Bar dort vorn sieht doch ganz gut aus.“ Silk gab ein zustimmendes Grunzen von sich, dann bog er auf den Parkplatz ein.

Pünktlich zur angegebenen Zeit fanden sie sich im Büro des Gouverneurs ein. „Sie möchten bitte gleich hereinkommen, Mister Quinn, ihr Begleiter auch“, sagte die Sekretärin, kaum dass sie das Vorzimmer betreten hatten. Quinn nickte grüßend, lächelte freundlich in unbestimmte Richtung und ließ sich von Silk zur Tür führen, welche die Sekretärin für sie offen hielt. Der Gouverneur, der hinter seinem Schreibtisch gesessen hatte, kam ihnen mit ausgestreckter Hand entgegen. Er ergriff Tonys Rechte, die ihm etwas unsicher entgegen gestreckt wurde, dann führte er Quinn zu einem Sessel. „Es ist schön, Sie wieder einmal zu sehen, alter Freund. Wie viele Jahre ist das nun schon her?“

Quinn lächelte. „Lange, sehr lange. Aber Sie haben mich doch nicht hergebeten, damit wir uns über alte Zeiten unterhalten?“

Auch der Gouverneur lachte jetzt, wobei er zwei Reihen glänzend weißer Zähne freigab. Er sah gut aus, braun gebrannt, unter dichtem hellen Haar ein schmales Gesicht mit einem energischen Zug um den Mund. Ein Mann, der genau wusste, was er wollte. Sonst wäre er wohl auch nicht Gouverneur dieses Staates geworden, überlegte Silk, während er sein Gegenüber unauffällig musterte. „Ich könnte Ihre Hilfe gebrauchen“, sagte der gerade zu Tony.

„Nanu, das klingt, als ob jemand ein Skelett im Schrank verbirgt.“

„Nein, so schlimm ist es nicht“, der Gouverneur grinste verzerrt. „Trotzdem könnte sich die ganze Sache etwas unangenehm entwickeln.“ Er schlug ein Bein über das andere, verschränkte die Arme und holte tief Luft, bevor er fortfuhr: „Als ich von dem Fall hörte, musste ich sofort an Sie denken. Sie sind der Einzige, bei dem jeder sicher sein kann, dass Sie ganz neutral für Klarheit sorgen. Ich muss Ihnen eine Geschichte erzählen von einem jungen Mann, der an einem Tag geistig noch völlig gesund ist und am nächsten grundlos seinen Chef niederschießt.“

„Tim Miller“, sagte Tony Quinn prompt.

Der Gouverneur lächelte. „Ich sehe, dass Sie die Zeitungen lesen.“

„Um genau zu sein, ich lasse sie mir vorlesen.“ Quinns Lächeln war etwas schmerzlich. „Silk besorgt das für mich.“

Der Gouverneur warf Silk einen kurzen Blick zu. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihrem Sekretär so leicht etwas entgeht. Gut, dann kennen Sie den Fall ja. Es geht um folgendes Problem: Seine Tat ist eindeutig bewiesen, aber über die Gründe schweigt Miller sich aus. Der Polizeichef war bei seinen Leuten und auch in der Stadt beliebt, jeder hier möchte den Täter möglichst schnell auf dem Stuhl sehen. Dazu kommt, dass Chief Baur ein guter Freund von mir war, was jeder hier weiß. Ich habe ihn als Polizeichef vorgeschlagen. Deshalb möchte ich Sie als Sonderermittler, der für einen fairen Prozess gegen Miller sorgt. Keine schmutzige Wäsche oder irgendwelche Gerüchte über Vetternwirtschaft in den Zeitungen oder über eine Vorverurteilung seitens meiner Regierung oder des Polizeiapparats. Sie wissen, wie schnell Reporter sich etwas aus den Fingern saugen. Verstehen Sie?“

Quinn nickte. „Sie möchten wiedergewählt werden“, sagte er trocken.

„Natürlich. Bisher habe ich mir nichts zuschulden kommen lassen, meine Weste als Politiker ist blütenrein und ich möchte, dass das so bleibt.“

„Natürlich. Warum gerade ich?“

„Nun, ich denke, die Gründe liegen auf der Hand. Wir brauchen jemand, der nicht darauf aus ist, aus einem Todesurteil gegen Miller persönliches Kapital zu schlagen. Tony, so leid es mir tut, was Ihnen damals zugestoßen ist, aber Sie sind der Einzige, dem jeder abnimmt, dass Sie keine weitere Karriere anstreben. Dieser Fall wird im ganzen Land Aufsehen erregen. Ein Polizist, der seinen Chef erschießt! Ich will nicht, dass jemand politisch davon profitiert. Sie sind über die Grenzen Chicagos hinweg als fairer Ankläger bekannt. Tun Sie mir den Gefallen, bitte.“

„Hm.“ Quinn brummte, schien zu überlegen.

„Oder verlange ich zu viel? Ich könnte mir vorstellen, dass Ihre Blindheit Sie beträchtlich behindert.“

„Natürlich tut sie das, doch Silk ist ein zuverlässiger Helfer. Also gut, ich nehme den Fall an.“

„Das freut mich. Heute Nachmittag werden Sie sicherlich erst einmal etwas essen, ein Hotel suchen und sich ausruhen wollen. Die lange Fahrt war bestimmt anstrengend für Sie. Ich werde gleich im Polizeipräsidium anrufen und den stellvertretenden Chief, Commissioner McMurry, von Ihrer Zustimmung informieren. Darf ich Sie heute Abend zum Essen einladen? Sie natürlich auch, Mister Kirby. Wir könnten ein bisschen über alte Zeiten plaudern. Und falls es noch Fragen zum Fall gibt oder zu Baur – Sie wissen, ich war mit ihm befreundet –, können wir das zwanglos beim Essen klären. Dann können Sie morgen mit Ihren Ermittlungen sowie der Befragung der Kollegen des Täters beginnen.“

„Gut, einverstanden.“

Die Verabschiedung erfolgte kurz aber herzlich.

Kaum saßen sie in Quinns schwarzem Buick, als Silk auch schon loslegte: „Aber Sir, ich verstehe Sie nicht, wollen Sie wirklich ...“

Quinn unterbrach ihn: „Halte an der nächsten Telefonzelle. Ruf Butch und Carol an. Sie sollen alles Notwendige einpacken, in den nächsten Flieger steigen und herkommen. Oder, falls es keinen Flug gibt, ein schnelles Auto mieten. Carols VW ist für unsere Vorhaben nicht geeignet. Es ist jetzt ein Uhr dreißig. Sie könnten die Strecke gerade noch rechtzeitig schaffen. Es ist wichtig, dass sie heute Abend hier sind. Halt an, da drüben ist eine Telefonzelle.“

Bass erstaunt, aber gewohnt, seinem Chef in jeder Beziehung sofort zu gehorchen, stoppte Silk den schweren Wagen und tat, worum Tony ihn gebeten hatte.

Als er zurückkam, rauchte Quinn gemächlich eine Pfeife. Er schien tief in Gedanken versunken. Silk startete den Motor, wartete einen Moment und fädelte sich dann in den Verkehr ein. Während er Richtung Innenstadt fuhr, warf er Quinn ab und zu einen schiefen Blick von der Seite zu. Der schien die Neugier seines Sekretärs nicht zu bemerken, denn er schwieg, die Stirn in nachdenkliche Falten verzogen.

„Also, ich finde das Ganze äußerst seltsam“, sagte Silk ziemlich gereizt, als sein Chef keine Anstalten machte, sich zu äußern.

Quinn lächelte verhalten, nahm seine Pfeife aus dem Mund und fragte: „Was findest du seltsam?“

„Alles“, kam es prompt zurück. „Obwohl Sie gerade einen Fall übernommen haben, wollen Sie Zeit vertrödeln, indem Sie mit dem Gouverneur essen gehen. Und nicht nur das! Ich weiß doch, wie unangenehm es für Sie ist, in der Öffentlichkeit als Blinder zu speisen. Warum also? Und warum wurde Ihnen die Sache überhaupt übertragen? Der Fall ist geklärt. Sicher gibt es auch hier faire Staatsanwälte, die glücklich gewesen wären, in diesem Fall die Anklage zu übernehmen.“ Er holte tief Luft. „Und warum sollen Butch und Carol so schnell herkommen?“, platzte er dann heraus.

Quinn lachte. „Das Restaurant dort drüben sieht nett aus. Ich habe Hunger. Beim Essen können wir reden.“ Gehorsam bog Silk auf den Parkplatz ein und führte Quinn am Arm in den China Garden. Da es schon spät war, hielten sich nur noch wenige Gäste hier auf. Sie fanden eine ruhige Ecke, wo sie unbeobachtet speisen und reden konnten. Kaum war der Kellner mit ihrer Bestellung verschwunden, fragte Silk auch schon: „Also?“

„Nun ja.“ Quinn lehnte sich zurück, tastete nach dem Glas mit Reiswein und fuhr nach einem genussvollen Schluck fort: „Es gibt ein paar Dinge, die mich stutzig machen. Da ist zum einen der Polizist, der seinen obersten Chef mit dessen Dienstwaffe tötet und sich anschließend noch im Büro widerstandslos festnehmen lässt. Da muss mehr dahinter stecken. So dumm kann niemand sein. Erst recht keiner, der ein paar Jahre Polizeischule hinter sich hat. Zweitens: Warum will der Gouverneur unbedingt mich in die Sache hineinziehen? Wie ich dir heute Morgen schon erklärte, wir sind nie enge Freunde gewesen.“

„Sie sind ein bekannter und vor allem neutraler Mann.“

Quinn winkte ab. „Falls der Fall so eindeutig ist, wie es scheint, kann selbst ein blutiger Anfänger ein Todesurteil erwirken. Daraus lässt sich kaum persönliches oder politisches Kapital schlagen. Nein, es muss noch andere Gründe geben. Ich will wissen, was hier los ist.“

„Hm.“ Silk brummte nachdenklich. So, wie sein Chef den Fall schilderte, schien er tatsächlich interessanter, als es der erste Anschein vermuten ließ.

„Was ist mit Carol und Butch? Warum sollen sie unbedingt heute Abend schon hier sein?“

Wieder lachte Quinn. „Für diesen Fall werde ich die Hilfe der Schwarzen Fledermaus benötigen. Besser, sie taucht auf, bevor ich offiziell mit der Sache befasst bin. Butch kann heute Nacht schwarz maskiert ein paar Polizisten aufsuchen und sie zum Tathergang befragen. Niemandem wird später die unterschiedliche Größe ­auffallen.“

„Während Sie ein unantastbares Alibi besitzen. Gute Idee“, grinste Silk. „Wollen Sie heute wirklich nichts mehr in der Sache unternehmen?“

„Natürlich nicht. Wir fahren zuerst am Gericht vorbei, um die Akten mitzunehmen. Dann kann ich sie heute Nachmittag schon mal studieren, während du dich um einen unauffälligen Leihwagen kümmerst. Die Schwarze Fledermaus kann schließlich nicht in Quinns Buick herumfahren.“

Quinns Ansage hob Silks Laune beträchtlich. „Gerne, Sir!“ Sein Tonfall imitierte perfekt einen englischen Butler. Als die Ente süßsauer serviert wurde, bat er um Messer und Gabel für seinen Chef, da ein Blinder damit offensichtlich leichter umgehen konnte als mit Stäbchen.

Kapitel 5

Am Gericht ließ Quinn sich von Silk ins Büro des zuständigen Beamten führen, wo er die Herausgabe der Akten verlangte.

„Natürlich, Mister Quinn. Der Gouverneur hat uns bereits informiert, dass Sie den Fall übernehmen. Für einen Anwalt ihres Rufes eine Kleinigkeit.“ Der Mann, ein typischer Bürohengst, schlurfte mit gebeugtem Rücken zu einem Aktenschrank, in dem er eine Weile suchte, bevor er mit einem Ordner zurückkehrte, den er Silk überreichte.

Es herrschte eine eigentümliche Atmosphäre von Unruhe und Spannung auf den langen Fluren, was die Besucher auf diesen speziellen Fall schoben. Dass ein Polizist einen anderen umbrachte, geschah außerordentlich selten, weshalb auch eine Menge Reporter vor dem Gebäude herumlungerten, wild auf Neuigkeiten. Als sie den blinden Staatsanwalt erkannten, stürmten sie auf ihn zu.

Ein Blitzlichtgewitter ging über Quinn und Kirby nieder, während ihnen Mikrofone entgegengereckt wurden.

„Werden Sie die Anklage vertreten?“

„Hat der Gouverneur sich an Sie gewandt? Und warum?“

„Weshalb lässt er jemanden von außerhalb kommen?“

Quinn schüttelte stumm den Kopf. Weder wollte er die Reporter verärgern noch einen Kommentar abgeben, der zu diesem Zeitpunkt ohnehin keine neuen Erkenntnisse enthalten hätte.

Silk hatte sich die ziemlich dünne Akte unter einen Arm geklemmt, während er mit der anderen Hand Quinn vorsichtig durch die Meute zum Wagen geleitete. Als die Reporter merkten, dass der Staatsanwalt keinerlei Auskunft geben würde, ließen sie nach ein paar enttäuschten Ausrufen von ihm ab.

Bei dem chinesischen Kellner hatte Silk sich angelegentlich nach einem kleinen, ruhigen Motel erkundigt. Der hatte ihnen die Anlage seines Vetters empfohlen, etwas abseits an einer Seitenstraße gelegen. Entsprechend der Beschreibung fuhr er quer durch die Stadt. „Hier muss es sein“, bemerkte er plötzlich. „Richtig, dort ist ein Hinweisschild.“

Da der freundliche Kellner sie bereits bei seinem Vetter angemeldet hatte, erhielten sie schnell und problemlos einen schönen Bungalow genau ihren Wünschen entsprechend. Er lag abseits von den anderen Häuschen nahe der dichten Hecke, welche das große Grundstück umgab. Quinn vermochte auf diese Weise, ungesehen das Gelände zu verlassen.