Die schwarze Tulpe - Dumas Alexandre - E-Book

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Dumas Alexandre

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Beschreibung

Niederlande, 1672: In einer Zeit politischer Wirren hat die Tulpengesellschaft von Haarlem einen Preis von 100.000 Gulden für denjenigen ausgesetzt, der eine schwarze Tulpe zu züchten vermag. Hierauf beginnt ein Wettstreit unter den besten Gärtnern des Landes um das Geld und den Ruhm.Der junge Cornelius van Baerle steht kurz vor dem Erfolg dieser als unlösbar erachteten Aufgabe, als er überraschend der politischen Aufrührerei bezichtigt und ins Gefängnis geworfen wird. Hier trifft er die schöne Tochter des Kerkermeisters, Rosa, in die er sich auf den ersten Blick verliebt. Sie hilft ihm, wo sie kann, und wird zum Schluss gar seine Retterin.Die schwarze Tulpe ist nicht nur ein aufregender Roman aus einer dramatischen Periode der niederländischen Geschichte, sondern auch eine Liebesgeschichte mit einem glücklichen Ende

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Die schwarze Tulpe

Alexandre Dumas 

Inhaltsverzeichnis
Erster Band.
I. Ein dankbares Volk.
II. Die zwei Brüder.
III. Der Zögling des Ex-Großpensionärs.
IV. Die Flucht.
V. Der Tulpenliebhaber und dessen Nachbar.
VI. Die Wuth eines Tulpenliebhabers.
VII. Der zufriedene Mensch wird mit dem Unglücke bekannt.
Zweiter Band
I. Der zufriedene Mensch wird mit dem Unglücke bekannt.
II. Der vereitelte Diebstahl.
III. Das Zimmer der Familie Witt.
IV. Des Gefangenenwärters Tochter.
V. Verhör und Urtheil.
VI.Cornelius van Baerles Testament.
VII. Die Execution.
VIII. Wie es während dieser Zeit einem Zuschauer erging.
IX. Die Tauben von Dortrecht.
Dritter Band.
I. Das Thürgitter.
II. Lehrer und Schülerin.
III. Die erste Zwiebelknospe.
IV. Rosas Liebhaber.
V. Die Frau und die Blume.
VI. Begebenheiten die während dieser acht Tage vorfielen.
VII. Die zweite Zwiebelknospe.
VIII. Das Aufblühen der Tulpe.
Vierter Band.
I. Der gefährliche Feind.
II. Die schwarze Tulpe wechselt ihren Herrn.
III. Van Systens, der Präsident.
IV. Ein Zweites Mitglied der Gartenbaugesellschaft.
V. Die dritte Zwiebel.
VI. Das Lied von den Blumen.
VII. Baerle verläßt Löwenstein, rechnet aber vorher mit Gryphus ab.
VIII. Man fängt zu vermuthen an, welcher Todesstrafe Cornelius unterzogen wird.
IX. H a r l e m.
X. Die letzte Bitte.
Schluß.

Erster Band.

I. Ein dankbares Volk.

Die Stadt Haag, um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts noch die Hauptstadt der sieben vereinigten gleichnamigen Provinzen, mit ihrem großen, schattigen Parke, dessen majestätische Bäume, weit über die gothischen Häuser hervorragten, und den fast orientalischen Kuppeln ihrer Thürme, die sich in den breiten Flächen ihrer Kanäle abspiegelten, hatte am 20. August 1672 ein so festliches und geräuschvolles Aussehen, daß man mit voller Bestimmtheit irgend eine große Feierlichkeit, ja beinahe ein Ereigniß erwarten konnte. Durch alle Gassen und Straßen drängte sich eine rothe oder schwarze Fluth murrender und keuchender Bürger nach Buytenhoff, jenem schrecklichen Gefängnisse hin, von dem man noch heute die vergitterten Fenster zeigt. Die drohenden Mienen der aufgeregten Masse, der Umstand, daß jeder Einzelne entweder mit dem Degen, dem Gewehre oder einem Stocke bewaffnet war, verriethen eben so einen mehr ernsten als friedlichen Gegenstand, besonders, wenn man in Erfahrung beachte, daß diese ganze drohende und bewaffnete Menge sich nur aus der Ursache versammelt hatte, um der Escortirung, des in jenen Gefängnissen seit längerer Zeit schmachtenden, durch den Chirurgen Tyckelaer des Meuchelmordes angeklagten, und zur Verbannung verurtheilten Cornelius von Witt, Bruder des Ex-Großpensionärs von Holland, beizuwohnen.

Die Geschichte jener Zeit, und besonders die, jenes Jahres, um dessen Mitte beiläufig unsere Erzählung beginnt, hängt so genau mit den eben erwähnten zwei Namen zusammen, daß wir nothgedrungen diese vielleicht überflüssig scheinende Einleitung vorangehen lassen, und unsern Leser, dem wir gleich auf der ersten Seite die möglichst angenehmste Unterhaltung versprechen, aufmerksam machen müssen; den genannten Punkt, — ob unsere Aufgabe gut oder schlecht gelöst werde, — stets im Auge zu behalten und selbst zu urtheilen, wie unerläßlich wichtig derselbe zur Klarheit unserer Erzählung und der folgenden politischen Ereignisse sich herausstellt.

Cornelius von Witt, Ruart di Pulten, so viel als Inspector der Dämme von Holland, Deputirter und Exbürgermeister von Dortrecht, seiner Vaterstadt, war gerade 49 Jahre alt, als das holländisch Volk ganz unerwartet, von einer besondern Neigung und Sehnsucht nach der Statthalterschaft ergriffen, die, durch Johann von Witt, Großpensionär von Holland, und sein für immerwährende Zeiten erlassenes Edict gebildete Republik abschaffen, und die frühere Regierung einführen wollte.

Aber bei so unerklärbaren und großartigen Bewegungen, sucht die Masse, durch welche dieselbe hervorgerufen, ausgebildet und zum höchsten Grade der Vollkommenheit gebracht werden, wo möglich ihr, oft auf gar keine Grundlage basirtes, räthselhaftes Princip zu befestigen, und alle hinter demselben auftauchenden, drohenden Gespenster für immer zu beseitigen. Und so standen denn hinter der Republik auch zwei mächtige, kühne Gestalten, Johann und Cornelius Witt, die Römer Hollands, die als unbeugsame Freunde der Freiheit, dem Nationalgeschmack nicht huldigten, während hinter der Statthalterschaft, die schwache, ernste und beugsame Stirne des jungen Wilhelm von Oranien auftauchte, der mit vollem Rechte von einen Zeitgenossen den Beinamen: der Schweigsame, erhielt, den er auch während seines ganzen Lebens führend, der Nachwelt überließ.

Zu der damaligen Zeit wuchs mit jeder Stunde der moralische Einfluß, den Ludwig XIV. beinahe auf ganz Europa, und besonders auf Holland, nach dem glücklichen Erfolge des merkwürdigen Feldzuges am Rhein ausübte; eines Feldzuges, der in dem kurzen Zeitraume von drei Monaten, die Macht der vereinigten Provinzen zertrümmerte, und durch den von Boileau besungenen, wohl bekannten Romanhelden, Graf von Guiche, eine so große Berühmtheit erlangte.

Ludwig XIV. von den Holländern, durch französische Flüchtlinge, die sich daselbst aufhielten, unaufhörlich beleidigt und lächerlich gemacht, war ihr erbittertster Feind geworden. Der Nationalstolz machte ihn zum Mithridates der Republik. Aus diesen vorangegangenen Ursachen, zudem von einem mächtigen Feinde besiegt, und kleinmüthig gemacht, läßt sich die, gegen die Brüder Witt herrschende Aufregung, um so eher erklären, da das, durch die erhaltenen Wunden vollständig ermattete Volk, in der Beibehaltung jener, durch die beiden Männer mit aller Kraft vertheidigten Verfassung, seinen sichern Untergang voraussah, und nur von einem andern Oberhaupte die vollständige Rettung, aus dem nahenden Verderben erwartete.

Und jenes fragliche Oberhaupt, der junge Prinz Wilhelm von Oranien, Sohn Wilhelm II., und —durch Henriette Stuart, ein Enkel Carl I., dieses schweigsame Kind, dessen Schatten wir bereits ein Mal hinter der Statthalterschaft auftauchen sahen, war wirklich in jedem Augenblicke bereit, hervorzutreten, und sich mit Ludwig XIV., und dessen bisher so ungeheuerm Glücke zu messen.

Der Prinz war zu jener Zeit zwei und zwanzig Jahre alt. Johann von Witt hatte bisher seine Erziehung geleitet. Die Absicht dieses edlen Mannes ging einzig und allein nur dahin, aus dem altadeligen Prinzen, einen thätigen Bürger, einen guten Sohn seines Vaterlandes zu bilden. Aus Liebe zu dem Letzteren, aus mehr als väterlicher Neigung für seinen Zögling, beseitigte er jede nur keimende Herrscheridee, und führte den Knaben, durch Hinweisung auf das durch ihn selbst erlassene Edict, langsam zu der Ueberzeugung, daß er auch in der Zukunft jede Hoffnung zur Statthalterschaft, als eine Unmöglichkeit aufgeben müsse. Aber die Vorsehung schien diesen so wohlbegründeten Plan eines schwachen Sterblichen, nur mitleidig zu belächeln, denn gerade durch den so unerwarteten Eigensinn der Holländer, durch den Schrecken, den Ludwig XIV. einflößte, geschah es, daß die Politik des Großpensionär’s gänzlich vernichtet, das Edict abgeschafft, und die Statthalterschaft mit Wilhelm von Oranien an der Spitze, wieder eingeführt wurde. Und was wollte eben diese unerforschliche Vorsehung, durch die so plötzliche Umwandlung der bestandenen Ordnung bezwecken, welche unergründbaren, durch eine düstere Zukunft verschleierten Pläne, hatte sie mit dem Prinzen vor.

Der Großpensionär beugte sich unmittelbar den Forderungen und dem Willen seiner Mitbürger, während der kühne Cornelius gänzlich widerstand, und selbst dann, als die Orangisten sein Haus umlagernd, ihm mit dem Tode drohten, die Urkunde, welche die Statthalterschaft wieder einführen sollte, nicht unterschrieb.

Aber auch dieser kühne, männliche Charakter erlag einer mächtigen, höhern Stimme, der Stimme des Herzens. Als nämlich seine Gattin in Thränen zerfließend, auf ihren Knieen bat, sein Leben, und durch dies, das ihre zu erhalten, da gab er nach. Er unterschrieb mit bebender Hand, und vor seine Unterschrift setzte er die beiden Buchstaben, V. C, vi coactus, d. h. durch Gewalt gefertigt.

Ein außerordentliches Wunder schien ihn schon an diesem Tage der Nachstellungen seiner Feinde zu entziehen.

Johann von Witt hatte sich zwar durch seine leichtere und schnellere Fügsamkeit in den Willen des Volkes, die Sympathie eines großen Theiles gesichert, aber trotzdem würde er bald das Opfer eines meuchelmörderischen Angriffes gefallen sein, wenn nicht seine eigene Kühnheit ihn mit Ausnahme einiger wenig bedeutenden Wunden und Dolchstiche gerettet hätte.

Aber damit waren die Orangisten noch immer nicht zufrieden. Das Leben dieses Mannes, war ein ihren Plänen noch immer mächtig entgegenstehendes Hinderniß, das sie nunmehr, da die Gewalt kein günstiges Resultat hervorgebracht hatte, auf dem Wege der Verläumdung zu vernichten suchten. Und so durch die Abänderung ihrer Tactik, in jedem Augenblicke bereit, eine mißlungene Schändlichkeit durch eine neue besser berechnete zu krönen, warteten sie mit gespannter Ruhe den sich darbietenden günstigen Zeitpunkt ab.

Beobachten wir die Erscheinungen im menschlichen Leben etwas genauer, so werden wir mit Gewißheit den Grundsatz aufstellen können, daß zur Ausführung irgend einer großen, für die Gegenwart und Zukunft wohlthätigen Handlung, nicht sogleich das rechte Wesen auftrete, daß es beinahe im unerklärbaren Rathschlusse einer mächtigen Vorsehung verborgen liegt, es nicht erscheinen zu lassen; während dem zur Vernichtung der Existenz eines Einzelnen, oder auch eines großen Theiles der Gesellschaft, sich hunderte von Armen zur thätigen Beihilfe erheben, und eben so viele Elende, mit dem Mordwerkzeuge in der Faust nur eines Winkes harren, den niederträchtigen Zweck zu erfüllen. Ruhig, unbeachtet, verschwindet diese große Menge, einzeln einstrahlender Stern steht der Auserwählte im Buche der Geschichte da, der durch das Fatum erwählt, einen hohen edlen Plan glänzend durchführte.

Auch hier fand sich bald, was man suchte. Ein Chirurg von Profession, Namens Tyckelaer, schien als ein Agent des bösen Geistes, von diesen mit allen hier nöthigen Gaben ausgerüstet, ganz für die Umstände und den vorhabenden Zweck zu passen.

Von den Orangisten gewonnen, erklärte dieser Elende offen, Cornelius von Witt, habe in der Verzweiflung über die Abschaffung des Edictes, (ein Satz, der in den hinterlassenen Papieren auch wirklich vorkam, ) und aus Haß gegen Wilhelm von Oranien, einen Mörder gedungen. Dieser Mörder sei er selbst, aber von Gewissensbissen gepeinigt, vor der Schändlichkeit dieses Vorhabens zurückbebend, habe er sich bewogen gefunden, dasselbe mit allen Einzelheiten zu enthüllen, und vor Gericht mit Beweisen darzuthun, wie Cornelius von Witt durch die Ausführung dieser Absicht die Statthalterschaft stürzen, und an ihrer Stelle, die Republik wieder einführen wollte. Der Ausbruch des Zornes und der Wuth, den die Orangisten nach Kundmachung dieses Complottes sehr geschickt fingirten, läßt sich nicht schildern. Am 16. August 1672, wurde Cornelius von Witt, durch den Fiscal Prokuratur, in seiner Wohnung verhaftet, und sodann in das bereits genannte Gefängniß den Buytenhoff abgeführt. Dort, wie der elendeste, gemeinste Verbrecher, in eine dumpfe Kammer gesperrt, trieben die Untersuchungsrichter es so weit, ihn, den Ruart von Pulten, den Bruder des edlen Johanns von Witt, gleich den verworfensten Bösewichtern, zur Erpressung des für ihre Absichten so wichtigen Geständnisses, der Vorbereitungstortour zu unterziehen.

Aber Cornelius war nicht nur ein großer Geist, er verband zugleich mit seinen erhabenen Eigenschaften jene Seelenstärke, die allen physischen Einflüssen kühn die Stirne bietend, nur ein Attribut der höchsten Vollkommenheit bleibt. Fest an seinem politischen Glauben hängend, kann man ihn mit Recht unter die Familie jener Märtyrer rechnen, die kein haarbreit von ihrem vorgezeichneten Wege abweicht, und ihre Ideen mit dem ganzen Aufwande körperlicher und geistiger Kraft, wie einst unsere Vorfahren ihren religiösen Glauben, vertheidigen. Er lächelte zu allen Schmerzen, während der Folter recitirte er mit fester Stimme, die im Metrum geschriebenen Horazischen Verse, Jusium etlenacem ; er gestand nichts, und ermüdete dadurch nicht nur die Ausdauer, sondern auch den Fanatismus seiner Henker. Aber trotz dem Allen, hoben die Richter die von Tyckelaer gemachte Anschuldigung nicht auf, ihr Grimm schien durch den Muth des Unglücklichen nur noch mehr gesteigert zu werden, so daß sie ihm durch einen kurzen Urtheilsspruch seiner Würden und Aemter beraubten, ihm die Bezahlung der Gerichtskosten aufbürdeten, und zugleich auf ewige Zeiten aus Holland verbannten.

Schon dieser Schritt trug sehr viel zur Beruhigung des aufgeregten Volkes bei, eines Volkes, dem das unschuldige der der Politik sein ganzes thatenreiches Leben ausschließlich gewidmet, dessen Wohlstand es begründet hatte. Und doch war auch dieses, wie die Folge lehren wird, nicht genug.

Die Athener, die der Nachwelt ihren größten Ruhm in ihrer Undankbarkeit zurückließen, treten hier beschämt vor den Holländern zurück, da sie sich wenigstens mit der bloßen Verbannung ihres Wohlthäters Aristitides zufrieden gaben.

Johann von Witt hatte gleich bei der ersten Nachricht von der Verhaftung seines Bruders, und der gegen ihn gerichteten Anklage, sein Amt als Großpensionär niedergelegt. Auch er fand sich für seine Aufopferung und Vaterlandsliebe würdig belohnt. In sein Privatleben folgten ihm seine unversöhnlichen Feinde, und die noch nicht vernarbten Wunden, als einzige Denkmale jener großen Männer, welche die ungeheure Schuld auf sich wälzen, von den edelsten Trieben beseelt, für ihr Vaterland, für ihre Mitbürger mit voller Selbstverläugnung zu wirken.

Wilhelm von Oranien, das schwache, schweigsame Kind, erwartete von diesem Ereignisse seine ganze Zukunft, er bot selbst alle Mittel auf, das Volk dahin zu bringen, daß es ihm durch die Leichname der beiden Brüder, die zwei Stufen bilde, die er nothwendig hatte, um den Stuhl der noch immer schwankenden Statthalterschaft, erklimmen zu können.

Gerade am 20. August 1672, strömte die ganze Einwohnerschaft von Haag nach dem Buytenhoff hin, um, wie bereits Eingangs erwähnt, der Escortirung des zum Exil verurtheilten Cornelius von Witt beizuwohnen, und zugleich beobachten zu können! welche Spuren die Tortour an dem Körper zurückgelassen, der seinen Horaz so vortrefflich kennend, unter den heftigsten Martern einzelne Stellen desselben recitirte.

Aber zugleich erscheint es uns nothwendig, hier noch zu bemerken, daß die große Menge keineswegs nur von bloßer Neugierde getrieben, nach dem Schauplatze eines seltenen Spectakels strömte, sondern, daß viele darunter sich dem Zuge, in der Absicht angereiht hatten, an Ort und Stelle selbst eine Rolle zu spielen, oder vielmehr eine, ihrer Meinung nach nothwendige Kleinigkeit abzuthun.

Es dürfte von selbst einleuchten, daß wir darunter die Ausgabe des Henkers verstehen.

Die Zahl derjenigen, die gerade diese feindliche Absicht nicht hegte, und theils aus wirklicher Neugierde, theils nur in der Absicht dahin eilte, einen großen Mann’ in den Staub gewälzt, zu ihren Füßen zu sehen, einen Act, der beinahe instinctmäßig dem Stolze der rohen; Menge schmeichelt, war so gering, daß sie in keinem Falle, der Gegenpartei Widerstand bieten konnte.

Cornelius von Witt, dieser Mann ohne Furcht, rief man allgemein, war er nicht eingespert? wurde er nicht geschwächt durch die Folter? Wie wird er aussehen? blaß, blutend, beschämt?

Und alle diese Fragen, alle diese Ergüsse der rohesten Natur, waren die nicht ein schöner Triumph der Bürgerschaft, die noch weit mehr als das Volk, nach der Erreichung eines Ruhmes strebte, der im Buche der Geschichte, mit blutigen Lettern aufgezeichnet steht?

Und dann riefen die Emissäre der Orangistenpartei, die sich unter dem Volke vertheilten; wird es auf Wege vom Buytenhoff bis zum Stadttore, nicht so eine kleine Gelegenheit geben, etwas Koth und einige Steine von der Erde aufzuheben, um sie nach der Richtung zu schleudern, die der Ruart von Pulten einschlägt, ein Mann, der die Einführung der Statthalterschaft mit vi coactus unterzeichnete, und selbst fest noch den Prinzen meuchlings ermorden lassen wollte, — werdet ihr auf diese Art dem Herrn nicht zugleich einen kleinen Beweis Eurer Anhänglichkeit liefern, und ihm deutlich zeigen, welcher glänzende Empfang bei dem allenfallsigen Versuche zur Rückkehr seiner warte.

Aber noch mehr und mächtiger wurde dieser bereits glimmende Funke durch die französischen Flüchtlinge zur vollen Flamme angefacht. Ohne viel zu bedenken, fügten diese wüthenden Feinde ihres eigenen Vaterlandes jenen wohlberechneten Aufreizungen, die Bemerkung bei, daß man die beiden Brüder aus dem Haag, sich gar nicht entfernen lasse, da einmal in Sicherheit, sie alle früher mit Frankreich gesponnenen Intriguen wieder fortsetzen, und von dem Gelde des Marquis de Louvois, recht gemächlich leben würden.

Es ist eine auf die Erfahrung begründete Thatsache, daß die Zuseher bei so seltenen Gelegenheiten mehr laufen als gehen, und es wird daher auch Niemand Wunder nehmen, die ganze Volksmasse, gleich den brausenden Wogen, eines durch den Orkan aufgeregten Meeres dahinstürmen zu sehen.

Mitten unter dieser tobenden und lärmenden Menge, stürzte, Wuth im Herzen, jedoch ohne eigentlichen Plan, nach dem bezeichneten Platze, der biedere Tyckelaer, von den Orangisten als Heros der Rechtlichkeit, der Nationalehre, und der christlichen Liebe bezeichnet. Dieser Bösewicht entflammte die Menge durch seine lügenhafte Erzählung nur noch mehr. Die Ausführung der wohlüberlegten, einzelnen Umstände, die Mittel, die man ihm an die Hand gegeben, die Summen, die man angeboten, so wie der Entwurf eines schändlichen Planes, der alle Gefahr und Bedenklichkeit beseitigt, so wie die Ausführung des vorgeblichen Attentats sehr erleichtert hätte, Alles dies im gehörigen Zusammenhange vorgetragen, durch die weitere Mittheilung der Zuhörer noch bedeutend gräßlicher geschildert, verfehlte keineswegs die beabsichtigte Wirkung bei dem Pöbel zu erzeugen, und zugleich das Volk zu den lebhaftesten Acclamationen für den jungen Prinzen, und dessen ungestörte ruhige Zukunft zu stimmen.

Zugleich that sich die so künstlich aufgeregte Wuth des Volkes, in heftigen Schmähungen gegen die ungerechten Richter, Luft, deren gesundes, kräftiges Urtheil einen so ungeheuern Verbrecher, wie Cornelius entkommen ließ.

Die bereits hell auflodernde Flamme wurde durch mehrere Aufrufer noch bedeutend genährt.

»Er kommt durch er entwischt uns!«

»Ein Schiff, und zwar ein französisches, erwartet Ihn in Scheveningen, Tyckelaer hat es gesehen.«

»Der biedere, ausgezeichnete Tyckelaer« schrie die tobende Menge, wie im Chor.

»Und dazu habt ihr noch gar nicht berücksichtigt,« rief eine neue Stimme, »daß mit Cornelius auch sein Bruder Johann, der ein gleicher, wo nicht ein noch größerer Bösewicht ist, ebenfalls gerettet wird.

Und diese Elenden werden unser blutiges Geld in in Frankreich verprassen, unter dem Schutz Ludwig XIV, dem sie unsere Schiffe, unsere Arsenale, unsere Schiffswerften, so schändlich verkauft haben.«

»Sie dürfen nicht abreisen,« rief eine starke, weithin tönende Stimme.

»In den Kerker, in den Kerker« wiederholte die ganze wüthende Menge.

Zugleich begann das Wogen und Drängen immer stärker, die Bürger luden ihre Gewehre, ein anderer Theil schwang die Stöcke, oder ließ glänzende, bisher unter den Gewändern versteckte Beile blicken.

Noch war bis jetzt keine Gewaltthat vorgefallen, und eine Abtheilung Cavallerie, welche den Buytenhoff und die Haupteingänge in denselben bewachte, blieb ruhig, kalt und theilnahmslos; aber gerade durch diesen Gleichmuth drohender, als es die ganze aufgeregte Menge, mit ihrem Geschrei, und ihren Verwünschungen war. Unbeweglich standen sie da, nur auf den Befehl ihres Capitäns harrend, der den Degen zwar entblößt, die Spitze desselben aber nach abwärts gesenkt hatte.

Dieser Trupp, das einzige Bollwerk, welches das Gefängniß schützte, verhinderte durch seine würdevolle Haltung und Ruhe, jedes weitere Vordringen des Pöbels, und setzte zugleich einer Unordnung, die sich immer mehr auszubreiten drohte, unzerstörbare Schranken. Weniger geschah dieß von der, zu dem gleichen Zwecke aufgestellten Bürgerwehr, die es rathsamer zu finden schien, sich auf die Seite des Volkes neigend, durch drohende Geberden und Rufe, der allgemeinen Aufregung eine kräftigere Haltung und Form zu geben.

Es lebe Wilhelm von Oranien Tod den Verräthern.

Die Anwesenheit Tilly’s und seiner Reiterschaar, war den Bürgersoldaten ein mächtiger Widerstand, aber bald erhitzten sie sich durch ihr eigenes anhaltendes Geschrei, in gleichem Maße, als dieses durch den wachsenden Andrang stärker wurde, so sehr, daß sie in diesem Getöse, die Grundlagen ihres Muthes und ihrer Kühnheit suchend, das ihnen von Seite der Soldaten entgegengesetzte Stillschweigen, für Feigheit hielten. Sie versuchten es, auf diese Voraussetzung gestützt, einen Schritt weiter vorzudrängen, um so successive von dem Volkschwarme unterstützt, die Cavallerie aus ihrer innehabenden Stellung zu drücken.

Da sprengte aber Tilly, allein, ruhig und kalt, bloß den Degen schwingend, und die Stirne runzelnd, der Masse entgegen: »He da, meine Herren, von der Bürgergarde, was soll dieses Vorrücken bedeuten, was wollt Ihr?«

Die Bürger sammelten ihren ganzen Muth, indem sie die Gewehre heftig an einander schlugen, und Ihre früheren Rufe wiederholten:

»Es lebe Wilhelm von Oranien. Nieder mit den Verräthern!«

»Es lebe Oranien! Ganz recht,« erwiderte Tilly, dessen Lippen ein sarkastisches Lächeln umspielte. »Ganz recht, meine Herren, es lebe Oranien, auch Tod den Verräthern, wenn ihr es haben wollt. Schreit nach Herzenslust, das liegt ganz in Eurem freien Willen. Solltet Ihr aber Miene machen, diese Rufe durch die That zu bekräftigen, solltet Ihr die Personen, denen Ihr so geneigt zu sein scheint, wirklich dem Tode überliefern wollen, so mache ich Euch nur vorläufig zu wissen, daß ich hier bin, dieß zu hindern, und auch wirklich es in jedem Falle verhindern werde.«

Dann wandte er sein Pferd mit derselben Ruhe und Kaltblütigkeit gegen die Soldaten, und commandirte, als wenn er diesen einen Morgengruß zurufen wolle: »Ladet.«

Die Truppe gehorchte augenblicklich, und zwar mit einer Ruhe und Genauigkeit, die unter Bürgern und Volk eine so nahmhafte Verwirrung hervorbrachte, daß Tilly laut auflachte. »Ha, ha, ha, meine braven Bürger,« begann er nach einer Pause, die genügt hatte, seine Lachlust zu befriedigen, »fürchtet Euch nicht, keiner meiner Soldaten soll auch nur ein Zündkraut abbrennen, aber berücksichtigt dafür meinen wohlmeinenden Rath, haltet Euch ruhig auf Eurem Platze, und wagt es überhaupt nicht, einen Schritt dem Gefängnisse näher zu machen.«

»Wir haben aber auch Musketen,« entgegnete wuthentbrannt der Capitän der Bürgergarde.

»Ja, des Gott, ich sehe und höre, daß Ihr Musketen habt, nur immer zu, stützt Euch darauf, macht Ihr wollt, erwägt aber auch, daß meine Leute Pistolen haben, vortreffliche Pistolen, auf fünfzig Schritt, fehlt keiner seinen Mann, und Ihr steht nur fünfundzwanzig entfernt, macht also was Ihr wollt, es hängt wieder nur von Eurem Belieben ab.«

»Tod den Verräthern,« schrien die erbitterten Bürger, durch Tillys geringschätzende Aeußerungen, zum Bewußtsein ihrer Ohnmacht gelangt.

»Geht,« rief dieser abermals, »Ihr fängt an, bedeutend langweilig zu werden, ich höre gar nichts anders als fortwährend diese alte Leier.«

Hierauf sprengte er auf seinen früher innegehabten Posten ohne sich auch nur im Entferntesten um den immer steigenden Tumult zu kümmern.

Und dieses gereizte, wüthende Volk, diese nach Blut dürstende tobende Menge, ahnte in dem Augenblicke wo es ein Opfer für seine Rache forderte, nicht im geringsten, das hundert Schritte von dem Platze sich zwischen Fußgehern, Wagen und Reitern, ein zweites dem gleichen Schicksale bestimmtes Wesen, gleichsam als habe es Eile, seinem Verhängnisse in die offenen Arme zu eilen, nach dem Buytenhoff durchdrängte. Johann von Witt war nämlich, so eben in der Nähe des Platzes aus einem Wagen gestiegen, und beeilte sich, blos von einem Diener begleitet, das Gefängniß zu erreichen. Es gelang ihm glücklich, ein Zufall führte ihm gerade den Gefangenenwärter, den er übrigens zu kennen schien, entgegen:

»Guten Tag, Gryphus!« redete er denselben an, »ich komme, um meinen Bruder abzuholen, der, wie Du weißt, zum Exil verurtheilt wurde.«

Der Gefangenenwärter, eines jener öden, gefühllosen und kalten Wesen, dessen ganze Bestimmung größtentheils im Auf- und Zumachen der Gefängnißthüren besteht, grüßte den Ankommenden ehrerbietig, und öffnete ihm sodann die Thüre eines langen Ganges. Kaum waren jedoch beide zehn Schritte in demselben vorgegangen, als sie ein beiläufig achtzehn Jahre altes, in ihrer vollsten Blüthe dastehendes und reizendes Mädchen trafen. Sie verbeugte sich eben so ehrfurchtsvoll vor Johann, der ihr freundlich das Kinn berührte:

»Guten Tag, meine liebe Rosa, wie geht es meinem Bruder?«

Das Mädchen vermochte es nicht, eine Thräne, die langsam dem großen, schwarzen Auge entquoll, zurück zu halten, und gleichsam, als wollte sie einer unangenehmen Beantwortung, der an sie gerichteten Frage, ausweichen, erwiderte sie:

»O! mein theurer Herr, ihr kennt die Qual und Angst meines Herzens nicht. Nicht das schmerzt mich, was man Eurem Bruder bereits angethan, denn all’ dieß Leid hat er kühn und muthig, überstanden.«

»Nun, und was befürchtest Du dann, mein schönes Kind?«

»So viel, so unendlich viel, all’ das Böse, .nämlich, das man ihm noch anthun will.«

Johann’s offener Blick umdüsterte sich.

»Du fürchtest, oder meinst, das Volk — habe ich recht?«

»Ja, ja, hört Ihr es denn nicht?«

»Fürchte Dich nicht, mein liebes sind. Das Volk ist aufgeregt, aber sobald es uns nur sehen, sobald es sich der Wohlthaten, die es aus unsern Händen empfing, erinnern wird, vergißt es Alles, und beruhigt sich auch.«

Das Mädchen richtete einen fragenden Blick auf den Ex-Großpensionär, der eine ganze Welt von Zweifeln in sich schloß; dann einem Winke ihres Vaters gehorchend entfernte sie sich nach einer entgegengesetzten Seite.

Johann war ergriffen. Die unerwartete Tiefe von Nachdenken und Welterfahrung, die in diesem einzigen Blicke verborgen lag, bei einem Mädchen, das nicht einmal des Lesens mächtig, nur der unmittelbaren Stimme ihrer unverdorbenen kräftigen Natur folgte, schien ihm in diesem Augenblicke beinahe die Eingebung einer höhern Macht, die oft auf unerklärbare Weise dem:: Erwählten einen Blick in die dunkle Zukunft gestattet.

Aber seine Augen ganz wieder der unverwüstbar grünenden Palme der Hoffnung zuwendend, schritt er mit derselben kalten Ruhe nach dem Zimmer seines Bruders.

II. Die zwei Brüder.

Rosa’s Muthmaßungen und Vorgefühle, sollten allem Anscheine nach, eine traurige, eine furchtbare Verwirklichung erhalten. Während Johann von Witt am Ende des Ganges angelangt, langsam die steinerne Treppe hinaufstieg, die zu dem Gefängnisse seines Bruders führte, boten die Bürger von der immer wachsenden Volksmasse auf das thätigste unterstützt, Alles auf, die Soldaten von ihrem Platze zu verdrängen.

Diese Bemühungen einer, wenn auch nicht mit der Führung der Waffen ganz vertrauten, aber doch damit hinreichend ausgerüsteten, und in dem Augenblicke ihrer höchsten Erbitterung durch ihre numerische Uebermacht auch zu fürchtenden Partei, erfreute sich bald der ungetheilten Theilnahme, jener immer größer werdenden Masse, genannt Volk.

»Es leben die Bürgert« schrie das Letztere, den Muth derselben nur noch mehr weckend.

Tilly eben so fest als klug, übersah mit einem einzigen Blicke seine gefährliche Lage. In Verbindung, mit der nun gegen ihm auftretenden Bürgerwehr wäre es ihm ein Leichtes gewesen, die anmaßenden Forderungen des Pöbels, ernst und strenge zurückzuweisen, so aber auf eine verhältnißmäßig, gegen den Andrang nur geringe Macht beschränkt, sah er sich genöthigt, wo möglich, auf dem Wege der Vermittlung, jedem Zusammenstoße der beiden Parteien vorzubeugen, und seine schwierige Aufgabe ehrenvoll zu lösen. Angesichts seiner Escadron, die noch immer mit jenem, dem erprobten Krieger eigenen Phlegma, die geladenen Pistolen in der Hand, gleich einer Anzahl neben einander gereihten Statuen dastand, erklärte er der Bürgercompagnie, das er von den Ständen den Befehl erhalten habe, das Gefängniß, so wie den Platz vor demselben zu bewachen.

»Warum einen solchen Befehl? wozu das Gefängniß bewachen?« riefen die Orangisten einstimmig.

»Ihr verlangt da viel zu wissen,« erwiderte Tilly, dessen Züge ihren heitern, spöttischen Ausdruck behielten. »Ihr verlangt da etwas zu wissen, was ich selbst nicht weiß. Ich erhielt den Befehl, das Gefängniß zu bewachen, und befolge ihn nun auch, ohne mir den Kopf darüber zu zerbrechen, warum es geschieht?«

»Wir wissen aber, daß Ihr diesen Befehl erhieltet, um den Verräthern sicher aus der Stadt zu helfen.«

»Das ist wohl möglich, da ich in Erfahrung brachte, daß die Verräther nur zur Verbannung verurtheilt sind.«

»Aber wer hat Euch diesen Befehl gegeben?«

»Von den Ständen erhielt ich ihn, um Eure Neugierde ganz zu befriedigen.«

»Die Stände sind Verräther!«

»Das kann sein, ich weiß es nicht, das mußt Ihr Ebenfalls besser wissen.«

»Aber Ihr verrathet uns auch!«

»Ich?«

»Ja, Ihr.«

»Die Sache wird immer possirlicher. Meine Herren, verständigen wir uns? Es handelt sich darum, zu beweisen, wen ich eigentlich verrathe? Die Stände! das ist wo unmöglich, denn ich stehe in ihrem Dienste und Solde, und bemühe mich gerade in diesem Augenblicke, dem durch sie erhaltenen Befehle pünktlich nachzukommen.«

Diese Beweisführung, gegen die sich auch nicht die kleinste Einwendung vorbringen ließ, erbitterte die Menge, die nun einsah, auf keine Art den Soldaten los werden zu können, so sehr, daß sie die ganze Wucht ihrer Drohungen und Schimpfnamen gegen den Grafen wälzte, der aber noch immer unverändert, einer aus Erz gegossenen Figur ähnlich, all’ diesen Gemeinheiten, Kälte und Ruhe, mit einer sarkastischen Höflichkeit in Verbindung, entgegensetzte.

»Nun, meine Herren,« begann der Graf nach einer Pause, in welcher die Kehlen der größten Schreier, den an sie gerichteten Forderungen nicht mehr entsprechen wollten, »folgt einem neuen, guten Rath, den ich Euch hier aus väterlicher Vorsorge mittheile. Habt die besondere Gefälligkeit, und entlade Euere Gewehre denn es könnte eines oder das andere, ohne irgend einer bösen Absicht, ganz aus Laune und Zufall, losgehe, und einen meiner Soldaten verwunden. Dann bliebe aber auch mir nichts anderes übrig, als durch einen einzigen Wink, einigen Hunderten von Euch, den Weg zur Ewigkeit abzukürzen, was mir sehr unlieb wäre, umso mehr, da ich voraussetze, daß es nicht in Euerer Absicht liegt, mich zu beleidigen.

»Versucht es nur,« schrien die Bürger, »dann geben wir unverzüglich Feuer.«

»Auch das will ich glauben, und wenn wir noch lange hin- und her reden, werden wir gegenseitig zur Ueberzeugung kommen, daß Ihr im äußersten Falle mich und meine Leute umbringen könnt, dadurch aber keineswegs Euere Todten, deren Zahl nicht so gering sein dürfte, wieder lebendig werden.«

»Entfernt Euch also von dem Platze, überlaßt uns denselben, und beweist dadurch, daß Ihr selbst ein guter, achtbarer Bürger seid!«

»Halt, meine Herrn, da gibt es einige Widersprüche, erstens bin ich kein Bürger, sondern Officier, wie Ihr es bemerken könnt, wenn Ihr Eure Augen ein wenig besser öffnet, und schon das ist an und für sich ein gewaltiger Unterschied, und zweitens bin ich kein Holländer, sondern ein Franzose, was die Differenz noch um ein Bedeutendes erhöht. Ich erkenne demnach hier auch nur die Stände, und gehorche Ihrem Befehle allein. Wollt Ihr also durchaus, daß ich mich entferne, so bringt mir den von ihnen ausgefertigten Befehl, der mir sehr angenehm sein würde, da ich mich schon zu langweilen anfange.«

Ein donnerndes »Ja,«beantwortete diese ironische Anrede, und gleich darauf stürzte die ganze wogende Menge, die bisher so beharrlich nach der Occupation eines ihr streitig gemachten Terrains strebte, mit dem Rufe »Nach dem Ständehaus! Zu den Deputirten!« durch die zunächst gelegenen Straßen fort.

»So, endlich einmal,« lachte Tilly laut auf, indem er der unabsehbaren Menge verächtlich nachblickte:

»Gebt nur, meine wackeren Freunde, bewerbt Euch um eine unerhörte Niederträchtigkeit. Das Ständehaus wird ohnedies schon warten, wenigstens habe ich Luft, und bis Ihr wieder kommt, hoffe ich die Sache in’s Reine gebracht zu haben.«

Der Capitän rechnete mit voller Bestimmtheit auf die Ehrbarkeit der Magistratspersonen, während jene, und dieß mit größerer Gewißheit, dem Muthe und der Ehre eines Officiers die Lösung einer äußerst schwierigen Aufgabe überlassen zu wollen schienen.

»Capitän,« sagte der erste Lieutenant zum Grafen, als dieser so eben geendet, »Ihr verläßt Euch auf die Würde und Ehrenhaftigkeit der Stände, während diese uns gänzlich verlassen, denn sonst hätten sie, von der uns drohenden Gefahr gewiß unterrichtet, auch einige Unterstützungen hierher beordern können.«

Während der kurzen Zeit, als diese Vorfälle sich auf dem Platze ereigneten, war Johann von Witt an der Kerkerthüre seines Bruders angekommen. Gryphus öffnete dieselbe, ließ ihn eintreten, und entfernte sich sodann.

Hierin einem dumpfen, öden, von Moder erfüllten, und nur durch ein kleines, schmutziges Fenster erleuchteten Gemäche, lag Cornelius, der Wohlthäter seiner Mitbürger, der Vater des Volkes, mit zerbrochenen, ausgerenkten Gliedern, mit verbrannten und zerquetschten Fingern.

Er hatte die Qualen der Vorbereitungsfolter kühn und ruhig überstanden, das inzwischen erschienene Verbannungsurtheil verhinderte die Anwendung der außerordentlichen Tortour.«

In diesem düstern, widrig riechenden Raume, blaß dem Tode ähnlich, und doch in dem männlich kühnen Antlitze, dem Spiegel der hohen kräftigen Seele, das freundlich milde Lächeln des Märtyrers, den geistigen Blick auf das offen vor ihm liegende himmlische Jenseits gerichtet, ganz emporgehoben aus dem Schlamme der niedern Welt, seinen kräftigen Körper nicht gebeugt, so ihn zu sehen, seine erbittertsten Feinde hätten gedemüthigt, niedergeschlagen vor diesem Heros, zurückweichen müssen. Die ungeheuere, nur den höchsten menschlichen Bildungen eigene Willenskraft, die auch eine der hervorragenden Eigenschaften des Gefangenen bildete, hatte die ganze frühere Stärke seines Körpers, wieder zurückgeführt, und jetzt, wo er bereits von dem Verbannungsurtheile unterrichtet, abermals eine Zukunft vor sich sah, jetzt wo die düstere Ahnung eines gewissen und nahen Todes, langsam vor seiner Seele schwand, beschäftigte ihn nur der Gedanke an eine baldige Freiheit, an die Mittel und Wege, durch die er den gegen ihn vorherrschenden Verdacht beseitigen, und auch in der Folge ein Freund und Wohlthäter seiner undankbaren Mitbürger werden konnte. Und gerade in diesem seeligen, so majestätischen Augenblicke, wüthete draußen die Menge, welcher der Unschuldige, noch in den Stunden seiner schmerzhaften, körperlichen Leiden, sein ganzes edles Herz gewidmet, tobte gegen seine Beschützer, verlangte Mord und Blut. — Und das wüthende Geschrei stieg gleich einer furchtbaren Woge empor, und drang bis zu dem Gefangenen.

So drohend und gewaltig sich auch dieser Lärm gestaltete, Cornelius ließ ihn unbeachtet vorübergehen. Er nahm sich nicht einmal die Mühe, an das kleine Gitterfenster, das ihm eine, wenn gleich nur beschränkte Aussicht über den vorliegenden Platz gestattete, zu treten. Nur sein Herz und seine Seele waren in Thätigkeit, beide fühlten so hoch und so seelig, beide schienen beinahe der sie umgebenden Materie entrückt, in geistige Anschauung vertieft, einer bessern Welt anzugehören. — Und zwischen diesen himmlischen Träumen durchzuckte ihn mit einem Male ein irdischer Gedanke; es war die Erinnerung an seinen Bruder.

Aber wie mit einem Schlage öffnete sich zugleich die Thüre seines Kerkers, und der, dessen Bild so eben erst in der Seele des Träumenden auftauchte, stand vor ihm. Cornelius staunte, er traute anfänglich seinen Sinnen nicht. Jene harmonische Verbindung, zwischen gleichgesinntem wahlverwandten Wesen, jenen mächtigen Vorahnungen, die in der forschenden Seele ein Bild der nahen Zukunft enthüllen, jene magnetische Kraft, durch welche die Natur so oft die wunderbarsten Erscheinungen hervorruft, war ihm unbekannt; er betrachtetes die Ankunft seines Bruders, als den Willen einer gütigen Vorsehung, und ihn selbst als den rettenden Genius seines Lebens.

Johann war rasch an das Lager des Gefangenen getreten, der ihm seine noch verbundenen Glieder entgegenstreckte. Aber ihn blos auf die Stirne küssend, legte er die wunden Arme wieder sanft auf die Matratze, und sein thränenfeuchter Blick ruhte auf dem Unglücklichen, der ihm sonst gleichgestellt, nur dem Hasse der Holländer den Vorrang abgewonnen hatte.

»Cornelius, mein armer Bruder,« sprach er dann: »Du leidest schwer und viel?«

»Nein mein Bruder, gar nichts mehr, ich habe ja Dich bei mir.«

»Ach mein armer, armer Cornelius, kannst Du die Qualen ermessen, die ich bei Deinem Anblicke erdulde; Dich so finden zu müssen!«

»Auch ich dachte unaufhörlich an Dich. Ich wußte Dich ja denselben Verfolgungen wie mich selbst ausgesetzt, und während ich kalt und ruhig die Qualen der Folter erlitt, entrang sich bei dem Gedanken, Dich eben so leidend zu wissen, ein einziger Seufzer meiner Brust und der war Dir gewidmet. Aber nun bist Du da, nun ist alles vergessen. Du kommst gewiß, um mich abzuholen, nicht wahr?«

»Ja.«

»Nun so helfe mir nur aufstehen, ich bin schon wieder ganz gut, und kräftig, Du sollst Dich wundern, wie ich rüstig ausschreiten kann.«

»Nein Bruder, Du wirst und darfst auch nicht weit gehen, Meine Kutsche steht unten am Teiche hinter Tilly’s Pistolenschützen.«

»Tilly? Tillys Pistolenschützen? warum sind die am Teiche aufgestellt?«

- »Du fragst darnach« erwiderte der Großpensionär mit dem ihm zur Gewohnheit gewordenen trüben Lächeln: »Nun, Haag hat unsere Abreise erfahren, und dessen biedere Einwohner beeilen sich nunmehr, uns das Geleite zu geben, ob dieß aber ganz ruhig ablaufen werde, ob kein Tumult —«

»Tumult!« wiederholte Cornelius, sein forschendes Auge auf den Bruder heftend.

»Tumult?«

»Ja, mein Bruder!«

»Also das war jener tobende Lärm, den ich hörtet und nach einer längeren Pause wendete er sich wieder an Johannes.

»Die Menschenmenge, die den Buytenhoff umgibt, ist wohl groß?«

»Seht groß!«

»Aber wie kamst Du hierher?«

»Nun —«

»Ließ man Dich denn ungehindert durchpassieren?«

»Das nicht. Es ist Dir nicht unbekannt, daß wir vom Volke gehaßt werden,« setzte der Großpensionär, mit unverkennbarer Bitterkeit hinzu, »Ich mußte Seitenwege einschlagen.«

»Du mußtest Dich verbergen, Du Johann?«

»Ich beabsichtigte so schnell als möglich zu Dir zu gelangen, und that daher das, was man in der Politik, so wie auf dem Meere gerne zu befolgen pflegt: Ich lavirte.«

Gerade in diesem Augenblicke ertönte das Geschrei der wüthenden und tobenden Menge mit neuer Heftigkeit.«

»Hörst Du,« versetzte Cornelius, »Hörst Du sie?«

»Es freut mich unendlich, in Dir einen so guten und ausgezeichneten Piloten zu finden, ob Du mich aber aus dem Buytenhoff hinaus, durch die tobende Menschenwoogen und Volksklippen eben so glücklich bugsiren wirst, wie Du die Flotte von Tromp nach Antwerpen mitten durch die Untiefen der Scheide geführt hast, das weiß ich nicht.«

»Mit der Hilfe des Allmächtigen, werden wir es wenigstens versuchen,« erwiderte Johann, »doch früher noch ein Wort«

»Nun!«

Das Geschrei und der Lärm ertönte mit neuer Wuth.

»So, so,« setzte Cornelius fort, »sind den diese Leute in einer solchen Wuth? gilt dieser tobende Lärm uns? gilt er mir?«

»Er gilt uns Beiden, mein armer Bruder. Wie ich es Dir bereits öfter erwähnte, steht unter den plumpen Verleumdungen, die man gegen uns erhebt, die Unterhandlung mit Frankreich oben an.«

»Die Erbärmlichen!«

»Wohl nur erbärmlich, und dennoch ist dies in den Augen des wenig denkenden Volkes der furchtbarste Punkt der Anklage.«

»Und wenn diese Unterhandlungen, wie es anfangs, den Anschein hatte, glückten, dann wären die Niederlagen, vom Rees Orsay, Wesel und Rheinberg nicht erfolgt, der Uebergang über den Rhein wäre unterblieben, und das durch seine Kanäle und Sümpfe unbesiegbare Holland, stände noch immer frei und mächtig da.«

»Du hast unzweifelbar recht, aber was gerade in dem gegenwärtigen Augenblicke, dieses im Volke künstlich genährte Vorurtheil um ein Bedeutendes unterstützen, und zu dem Ausbruche der höchsten Wuth treiben würde, das ist unsere letzte Correspondenz mit dem Marquis de Louvois. Wenn diese vor unserer Entfernung noch entdeckt würde, wäre ich als der kühnste und beste Pilot der alten Welt nicht im Stande, den zerbrechlichen Kahn, der uns und unser Glück in Sicherheit bringen soll, zu retten.«

»Das hatte ich bisher noch nicht überlegt. Ich sehe nur zu deutlich die Wahrheit Deiner Mittheilung ein. Eben jene Correspondenz, die in den Augen rechtlicher Menschen als ein Beweis vorliegen würde, was wir, beseelt von Vaterlandsliebe, dem eigenen Interesse zu opfern bereit waren, böte den Orangisten durch falsche Deutungen genügende Quellen, uns auf das Schaffot zu führen.«

»Aber darum hoffe ich, Cornelius, und dies mit voller Gewißheit, daß jene Briefe von Dir verbrannt worden.«

»Nein, Bruder!« erwiderte Cornelius mit strahlendem Antlitz. »Eben diese Correspondenz mit dem Marquis de Louvois beweist, daß Du der größte, edelste und uneigennützigste Mann der vereinigten Provinzen bist. Ich liebe den Ruhm meines großen, schönen Vaterlandes unendlich, aber nie werde ich seinen undankbaren Bewohnern den Ruhm eines so hohen, edlen Mannes, meines Bruders, opfern; und darum hüthete ich mich wohl, diese Correspondenz zu verbrennen.«

»Dann habe ich für dieses Leben keine Hoffnung mehr,« unterbrach der Ex-Großpensionär seinen Bruder, mit kalter Ruhe gegen das Fenster schreitend. ’

»Nein, Johann, wir sind nicht verloren; wir werden unser Leben retten, und die Gunst des Volkes wieder gewinnen.«

»Was machtest Du also mit den Briefen i«

»Ich vertraute sie Cornelius van Baerle, meinem Taufkinde an. Du kennst ihn, er wohnt zu Dortrecht.«

»Der arme Knabe, der liebe, schuldlose Kleine. Er, der nur an alles Seltene denkt, er, der sein Leben der Erziehung der Blumen widmete, der nur mit ihnen und durch sie mit Gott spricht, er ist durch dieses tödtliche Unterpfand, mit dem Du ihn belastet, verloren. Nichts, nichts rettet ihn mehr!«

»Verloren —«

»Unwiderruflich. Er ist entweder stark oder schwach. Ist er stark, so wird er, sobald ihm das uns betroffene Unglück zu Ohren kommt, sich unser rühmen; ist er schwach, dann wird er, in der Erinnerung an unser vertrautes, näheres Verhältniß, erzittern und beben. Ist er stark, so säumt er gewiß auch nicht, das ihm anvertraute Geheimniß als eine Grundlage seines eigenen dadurch erhobenen Stolzes auszustreuen; ist er schwach, so wird er sich dasselbe durch List und Gewandtheit entreißen lassen. In jedem Falle ist er verloren, und wir mit ihm. Bruder, laß uns eilen, fliehen, so schnell als möglich, bevor es noch zu spät wird.«

Cornelius erhob sich; während dieser Worte langsam von seinem Lager, und die verbundene Hand auf den Arm seines Bruders stützend, der bei dieser Berührung bebte, sprach er:

»Glaubst Du, ich kenne den van Baerle nicht. Meinst Du, es sei mir gleichgültig gewesen, nicht einen tiefen Blick in diese ernste, forschende Seele zu machen? Du fragst ob er stark, ob er schwach sei. — Nein, er ist keines von Beiden. — Aber er besitzt ein Geheimniß, das er selbst nicht kennt, er wird es nie verrathen, er wird weder sich noch uns verderben«

Johann wendete sich überrascht nach der entgegengesetzten Seite.

»O!« fuhr Cornelius in seiner durch diese unerwartete Bewegung unterbrochenen Rede fort. »Meinst: Du, der Ruart de Pulten sei ein so gewöhnlicher Tagespolitiker? Nein, er ist in Deiner Schule gebildet, er wußte recht wohl, daß Baerle weder den Werths mich die eigentliche Beschaffenheit des ihm anvertrauten Gutes kennen dürfe; und hier wiederhole ich es Dir! nochmals, er kennt sie nicht.«

»Dann laß uns rasch und ohne Zeitverlust handeln. Schicke ihm augenblicklich den Befehl zu, den ganzen Pack ohne weiteres Zögern zu verbrennen.«

»Wer wird ihm diesen Auftrag überbringen?«

»Mein Diener Craecke, der mich bis hierher zu»Pferde begleitete, und den ich in der Absicht mitgenommen hatte, Dich bei unserer Flucht über die große steinerne Treppe zu leiten.«

»Ueberlege es wohl, Johann, bevor diese ruhmvolle Urkunde verbrannt ist?««

»Ich überlegte vor Allem, mein armer Bruder, daß wir unser Leben vertheidigen und retten müssen, um es zu unserer Rechtfertigung benützen zu können; Wer würde dies nach dem Tode der Brüder Witt thun? Wer unter dieser Masse hat uns verstanden?«

»Du meinst also fest und sicher, daß diese Schrift unsern Tod herbeiführen würde?«

Johann erwiderte kein Wort. Mit einer eisig kalten Ruhe streckte er bloß den rechten Arm gegen das Fenster des Kerkers, durch welches das immer mächtiger werdende Getöse ertönte.

»Ich höre wohl dies Geschrei,« sprach Cornelius erstaunt, »aber noch immer kann ich ihm die bereits ein Mal erwähnte Deutung nicht geben.«

Johann öffnete blos das Fenster.

»Tod und Verderben den Verrätern!« wüthete der Pöbel.

»Verstehst Du es nun, Cornelius?«

»Wir sind die Verräter?« fragte der Gefangene, seinen Blick stolz emporrichtend, indem er diese Bewegung durch ein gleichgültiges Achselzucken begleitete.

»Ja wir sind es,« antwortete Johann ebenso.

»Wo ist Dein Diener?«

»Ich glaube er steht vor der Thüre.«

»Laß ihn eintreten!«

Johann öffnete, und wirklich saß Craecke auf der Thürschwelle.

»Komm Craecke, und gebe genau Acht, was Dir mein Bruder auftragen wird.«

»Nein, Johann, es genügt nicht, diesen Auftrag mündlich zu ertheilen, ich werde schreiben müssen.«

»Warum schreiben?«

»Weil van Baerle das anvertraute Gut ohne schriftlichen, und zwar von meiner Hand gefertigten Auftrag, weder ausliefern noch verbrennen wird.«

»Du kannst aber nicht schreiben, mein armer Bruder,« bemerkte Johann, dessen Blick auf die verbrannten und zerquetschten Finger des Unglücklichen fiel.«

»Wenn ich nur das nöthige Material hatte, ich wollte dennoch schreiben.«

»Hier, ich habe einen Bleistift.«

»Hast Du auch Papier? mir ließ man keines.«

Ich habe auch keines. Aber hier aus dieser Bibel nimm das erste Blatt heraus.«

»Gut.«

»Deine Schrift dürfte aber unleserlich sein.«

»Ueberzeuge Dich vorerst,« versetzte Cornelius, einen ernsten Blick auf seinen Bruder heftend. »Sieh diese Finger, die dem Zunder des Henkers widerstanden, sie werden Leben und Gelenkigkeit erhalten, sie werden schreiben, lerne zugleich jenen eisernen Willen kennen, der mich gefühllos für alle Leiden machte, und der den, Fingern eben jetzt gebietet.«

Und Cornelius nahm den Bleistift, und schrieb. Aber unter dem weißen Verbande drangen Blutstropfen hervor. Der Druck der Finger auf den Bleistift, hatte die nur leicht vernarbten Wunden wieder aufgerissen. "’

Die Schleifen des Ex-Großpensionärs bedeckten sich mit Schweiß.

Der Ruart schrieb: »

»Mein theurer Pathe! Das Packet, das ich Dir zur Aufbewahrung übergeben habe, verbrenne gleich nach Erhalt dieser Zeilen, ohne es zu sehen, zu öffnen, oder je nach seinem Inhalte zu forschen. Geheimnisse, wie die darin enthaltenen, bringen den Tod. In das Feuer mit ihnen, und Johann und Cornelius sind gerettet. — Ich umarme Dich — Bleibe auch Du mir stets gut.«

Den 20. August 1672.

Cornelius von Witt.

In Johannes Augen perlten reiche Thränen, er trocknete einen Blutstropfen ab, der während des Schreibens auf das Papier gefallen, und übergab sodann das Schreiben, sobald dieses gefaltet war, seinem Diener, mit der Empfehlung der äußersten Sorgfalt. Die ungeheuere Anstrengung, und der damit verbundene Schmerz, hatten Cornelius zu sehr ergriffen, er war einer Ohnmacht nahe.

Johann rührte sich nicht von seiner Seite.

»Wenn der treue Craecke,« sprach er, »an dem andern Ufer des Teiches angelangt, als alter Hochbootsmann seinen Pfiff wird ertönen lassen, dann sind wir gerettet, und wollen auch unsern Weg antreten.

Noch waren fünf Minuten nicht verstrichen, als ein gellender, lang gedehnter Pfiff nach Seemannsweise über den Teich herüber, durch die denselben beschattenden Ulmen, in den Buytenhoff drang. Die Brüder hoben dankend die Arme gegen den Himmel.

»Wir sind gerettet,« sprachen sie, und eine unbeschreiblich himmlische Wonne, eine strahlende Glorie erhellte die edlen, schönen Züge dieser großherzigen in ihrem bittersten Unglücke kühn und aufrecht dastehenden Männer

III. Der Zögling des Ex-Großpensionärs.

In der Zeit wo das Geheul der wüthenden, vor dem Buytenhoff versammelten, und zum höchsten Fanatismus angestachelten Menge immer lauter und starker ertönte, hatte sich eine in der Eile zusammengesetzte Bürgerdeputation, von einem großen Volkshaufen begleitet, nach dem Ständehaus begeben, um von den dort anwesenden Deputirten einen schriftlichen Befehl zum Abmarsche der Tilly’schen Reiterschaar zu erhalten.

Zwischen dem Buytenhoff und dem Hoogstreet, ebenfalls einer Art breiten Straße, die von einander nicht weit entfernt sind, sah man seit Beginn dieses Auftrittes einen jungen Mann, der allen Einzelheiten desselben mit einer unverkennbaren Neugierde folgte, und sich auch der nach dem Ständehause eilenden Menge anschloß, gleichsam, als liege es in seiner Absicht, schneller das Endresultat dieser neuen Unternehmung zu erfahren.

Dieser Mann, den wir selbst noch nicht kennen, war sehr jung. Er mochte 20 bis 22 Jahre zählen. Sein blasses, mehr gebleichtes Gesicht, die matten Augen, die zarte Constitution, verriethen wohl das Mitglied irgend einer höhern Familie, beurkundeten aber zugleich ein Wesen, ohne Muth und Energie. Zu dem mußte es in seiner Absicht liegen, wo möglich unerkannt;zu bleiben, denn unaufhörlich bedeckte er das Gesicht mit einem frischen Tuche, gleichsam als wolle er sich die Lippen oder den Schweiß abtrocknen.

Aber das anscheinend matte, tief liegende Auge, gewährte nach näherer Beobachtung die Ueberzeugung, daß es, von irgend einer Idee ergriffen, eben so gut einen durchdringend feurigen Blick, gleich den eines Adlers, erzeugen konnte, so wie auch der auffallend kleine und gespitzte Mund, über den sich eine lange gebogene Nase wölbte, dem Antlitze einen seltenen, im ersten Augenblicke aber, mehr abstoßenden Reiz verlieh. So gestaltet hätte dieser Kopf für die Studien Lavater’s das schönste Exemplar nämlich eines derjenigen geliefert, wo die Natur gleichsam dem menschlichen Wissen zum Hohne, den vollendeten, edelsten Gebilden, die erbärmlichsten Eigenschaften verleiht.

Eine Frage der Alten findet hier ihren geeigneten Platz. Welcher Unterschied besteht zwischen einem Eroberer und einem Seeräuber? Ganz derselbe, den man zwischen einem Geier und Adler beobachten kann.

Beide sind Raubvögel, der eine mit Ernst und Ueberlegung, der andere mit Unruhe und Leidenschaft.

Und so trug auch hier, diese bleifarbene Physiognomie, dieser matte, zitternde Schritt, diese schmächtigen, unter der Last des Oberleibes beinahe zusammenbrechenden Füße, dieser bald matte, bald forschende und feurige Blick, ganz das Gepräge jener Gesellschaft, die es sich im Leben zur Hauptaufgabe gemacht, jede, auch die kleinste Handlung der Nebenmenschen zu erspähen, und ihr vor dem Gesetze sodann die dem eigenen Vortheile zunächst liegende Deutung zugeben. Noch mehr wurde man in dieser Voraussetzung bestärkt, wenn man die beinahe ängstliche Sorgfalt des jungen Mannes bemerkte, mit welcher er sein Gesicht der Umgebung zu verbergen suchte. Uebrigens war er äußerst einfach gekleidet, trug weder eine sichtbare Waffe, noch sonst etwas Auffallendes an sich, und stützte seine zarte, weiße Hand, an der man genau jede Ader beobachten konnte, auf die Schultern eines Officiers, der ihm nicht von der Seite weichend, nun eben so den Weg nach dem Hoogstreet einschlug, sein klares offenes Auge mit einem leicht erkennbaren Interesse, der sich vor Beiden dahinwälzenden Volksmasse zuwendend.

Aus dem Hoogstreet angelangt, beeilte sich der blaße, gebrechliche Mann, ein in einer Ecke gelegenes und offen stehendes Fenster zu erreichen, das dem Hause der Deputirten gerade gegenüber lag, und zugleich durch ein weit herabgehendes Schirmdach eine Art Versteck bildete.

Das Volk hatte unterdessen sein Geschrei mit neuer Kraft und Wuth begonnen. Kurze Zeit nachdem es vor dem Ständehause angelangt war, das Erscheinen eines Deputirten fordernd, öffnete sich auch die Thüre des über dem Hauptportale angebrachten Balkons, und ein alter, durch sein graues Haar so wie den Ernst und Adel seiner Züge ehrwürdig aussehender Mann trat hervor.

»Wer ist der Mann, der dort erscheint?« fragte der junge Mann seinen Begleiter, das mit einem Male aufflammende Auge nach dem Balkon richtend, an dessen Geländer sich der zitternde Greis festzuhalten schien.

»Es ist der Deputirte Bowell,« erwiderte der Officier, ohne den Blick abzuwenden.

»Bowell! und was für ein Mann ist dieser Bowell? Kennt Ihr ihn.«

»Persönlich nicht. Aber so viel ich hörte, ist er ein sehr braver Mann.«

Allein dem jungen Manne schien diese Anpreisung durchaus nicht zu behagen, denn eine Bewegung, die auffallend Mißmuth und Unwillen beurkundete, ließ den Officier erkennen, daß er irgend einen unangenehmen Eindruck hervorgerufen habe, und er beeilte sich daher unverzüglich hinzuzusetzen:

»Ich wiederhole nochmals, daß ich nur vom Hörensagen urtheile, denn persönlich habe ich, wie bereits erwähnt, mit Herrn von Bowell noch nichts verhandelt, und kenne ihn daher auch gar nicht weiter, gnädigster Herr.«

»Braver, sehr braver Mann!« wiederholte der Blasse, der so eben den Titel, gnädigster Herr, erhalten »Wie meint Ihr das, mein Freund, ein Mann, ein brav ist? oder ein Mann von Bravour?«

»Gnädigster Herr, Ihr werdet vergeben, ich wage es nie, einen derartigen Unterschied bei einem Menschen zu machen, den ich, wie ich es nochmals wiederhole, nur dem Reden nach kenne.«

»Es wird sich ja ohne dieß zeigen, murmelte der junge Mann zwischen den Zähnen. »Wir werden es ja sehen, warten wir nur ein wenig.«

Der Officier stimmte durch ein Kopfnicken bejahend bei, und schwieg.

»Wenn dieser Bowell, wie Ihr sagtet,« fuhr der Blasse fort, »ein braver Mann ist, so wird er die an ihm gestellte Forderung des Volkes, wahrscheinlich sehr ernst aufnehmen«

Und eine heftige Bewegung seiner Hand, dann ein mechanisches, gedankenloses Trommeln auf der Schulter seines Gefährten, verrieth deutlich die ungestümen Regungen, eines durch die mehr todte, körperliche Hülle kaum zu ahnenden starken Geistes, dessen nunmehr auf das höchste gesteigerte Erwartung sich instinktmäßig durch die volle Thätigkeit eines Gliedes Luft zu machen suchte.

In diesem Augenblicke, stellte der Führer der Bürgerdeputation an Bowell die Frage, wo die Deputirten wären.

»Meine Herren l« sagte Bowell, indem er sich bemühte seiner Stimme so viel Kraft zu geben, daß sie von der ganzen versammelten Menge gehört werden konnte. »Ich habe Euch bereits ein Mal gesagt, und wiederhole es hier, daß außer mir nur noch Herr von Asperen anwesend ist, und ich für meine Person, in dieser Angelegenheit keine Entscheidung geben kann.«

»Den Befehlt den Befehl! wollen und müssen wir haben,« schrien mehr als 1000 Stimmen.

Herr Bowell bemühte sich nochmals zu sprechen, aber das tobende Geschrei, der immer wachsenden Menge übertönte seine Worte, und selbst seiner unmittelbaren Nähe nicht mehr verständlich, konnte man nur aus seinen Mienen und Geberden die Beibehaltung des ein Mal ausgesprochenen Entschlusses entnehmen. Aber da auch diese Bemühung wenig, ja beinahe gar Nichts zur Verständigung und Beruhigung der erhitzten Gemüther beitrug, trat er endlich an das offene Fenster, und rief Herrn von Asperen heraus.

Dieser erschien auch unverzüglich, und wurde von Seite des Volkes mit einem Beifallssturme empfangen, derjenen, den man Herrn Bowell bei dessen ersten Auftreten ebenfalls gespendet hatte, noch weit übertraf. Auch er übernahm die schwierige Aufgabe, das Volk zu beschwichtigen, ihm die Ungerechtigkeit seines Verlangens, und die Unmöglichkeit dasselbe zu realisiren, darstellend, und zugleich auf die in diesem Falle einzig zu verfolgende Richtschnur, die gesetzliche Basis hinzuweisen.

Dieser ergreifenden, kühnen, einer so nahe liegenden Gefahr gegenüber, auch heroischen Rede, wurde, von Seite derer, an die sie gerichtet war, nicht nur kein Gehör geschenkt, sondern die Masse nahm vielmehr zu einem in solchen Gelegenheiten untrüglichen Mittel, zur Gewalt ihre Zuflucht. In wenigen Minuten war die städtische Wache, eher ein Quodlibet lächerlicher, bemitleidenswerther Carrikaturen, als der Schutz des Ständehauses, entwaffnet, und nunmehr wälzte sich einem reißenden Strome gleich, der ganze Haufe in die geöffneteten Thore, wie ein Ungethüm, das in den Eingeweiden seines gefallenen Opfers zu wühlen sucht.

Auch der Blasse hatte diese Bewegungen mit der gleichen, regen Neugierde verfolgt, und zu derselben Zeit, wo sich die Thore öffneten, stieß er seinen Begleiter am Arme:

»Gehen wir Oberst, allem Anscheine nach, werden die Berathungen nunmehr im Ständehause selbst abgehalten, und es interessirt mich ungemein, denselben beizuwohnen.«

»Eure Hoheit werden sich doch keiner solchen Gefahr aussetzen?«

»Gefahr, wie, und von wem?«

»Unter den Deputirten befinden sich viele, die mit Euer Hoheit im persönlichen Verkehr standen, und ein oder der Andere dürfte Höchst dieselben wahrscheinlich erkennen.«

»Richtig, um den Leuten sodann weiß zu machen, daß ich der Gründer dieser ganzen Bewegung sei.«

Und die bisher so bleichen Wangen des jungen Mannes, überfluthete eine auffallende Röthe, der deutlichste Beweis seiner innern Aufregung und des Unwillens, mit dem er die noch zweifelhafte Entscheidung erwartete. Aber sich augenblicklich wieder sammelnd, setzte er seine unterbrochene Rede fort:

»Ja, Ihr habt recht, Oberst, wir können hier den Ausgang ganz ruhig abwarten, und sodann beurtheilen, ob Bowell ein braver Mann, oder ein Mann von Bravour ist.«

»Aber,« versetzte der Oberst, sein offenes Auge forschend auf denjenigen richtend, den er so eben Hoheit genannt hatte. »Gnädigster Herr, Ihr werdet doch nicht glauben, daß man dem Wunsche des Volkes nachkommen kann.«

»Warum nichts« fragte der Bleiche kalt.