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Hinter den Winden, in einer anderen Welt, liegt Ventusia. Hier hat jeder eine magische Verbindung zu seinem Seelenpferd. Doch vor vielen Jahren wurden alle Mädchen von Ventusia in unserer Welt versteckt, um sie zu beschützen. Und seither suchen ihre Seelenpferde nach ihnen … Vor Fiona und ihren Freunden liegt eine schwierige Aufgabe: Sie sollen ein Mädchen nach Ventusia bringen, das Angst vor Pferden hat. Früher hat Mira Pferde geliebt, besonders die edlen Rennpferde ihrer Eltern. Doch seit sie aus ihrer Heimat fliehen musste, ist alles anders. Als ihr immer wieder ein Schimmel begegnet, den sonst niemand sehen kann, will sie am liebsten einfach weglaufen. Sie weiß nicht, dass sie in großer Gefahr schwebt und nur die Pferde von Ventusia sie beschützen können … Die abenteuerliche Pferde-Fantasy-Reihe von Dein-SPIEGEL-Bestsellerautorin Jennifer Benkau "Ein fantastisches Lesevergnügen!" Gina Mayer, Autorin der "Pferdeflüsterer Academy"-Reihe Entdecke die komplette Reihe: Band 1: Windprinzessin Band 2: Wüstentochter Band 3: Sturmmädchen Band 4: Himmelskind
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Seitenzahl: 254
Als Ravensburger E-Book erschienen 2023
Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag.
© 2023 Ravensburger Verlag
Copyright © 2023 by Jennifer Benkau
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Lektorat: Sarah Heidelberger (www.sarah-heidelberger.de)
Vorsatzkarte: Wahed Khakdan
Umschlagillustration und -gestaltung: Melanie Korte
Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.
ISBN 978-3-473-51194-5
ravensburger.com
VENTUSIA
Wenn Fiona in aller Frühe nach draußen zu ihrem Seelenpferd Tirna ging und die Luft eines neuen Tages einatmete, konnte sie sich kaum mehr vorstellen, dass sie erst seit wenigen Wochen wieder in Ventusia war. In der Welt, die sie als Baby verlassen und erst kürzlich wiederentdeckt hatte.
Im Augenblick lebte sie im Eispalast, weil es derzeit der sicherste Ort in ganz Ventusia war. Hinter ihr türmten sich die schneebedeckten Eisberge und glitzerten in der Morgensonne. Doch gerade blickte Fiona nicht zu den Bergen, sondern in die andere Richtung, nach Süden über die grasbewachsene Hügellandschaft, hinter der die Bäume bereits mit grünen Blättern und Blüten in Weiß, Rosa und Blau getupft waren. Jenseits des Waldes lag der Fluss, der die Grenze zu den Grasweiten bildete. Dem Ort, wo sie geboren worden war. Dem Fürstentum, wo es sich immer wieder anfühlte, als wäre sie nie wirklich fort gewesen.
Neben ihr schnaubte Tirna, deren rötliches Fell im Sonnenlicht leuchtete, als wäre es mit Gold übergossen. Fiona ging zu ihr, lehnte ihren Kopf an Tirnas breite Stirn und sog ihren Duft ein. Nichts roch besser als das warme Fell eines Pferdes. Ein bisschen Heu, ein bisschen Gras, ein wenig Wind vom schnellen Galopp und dazu noch etwas, das das Herz weit und warm machte.
Ob Tirna ähnlich über sie dachte? Die Stute verströmte in jedem Fall eine tiefe Zufriedenheit, wenn sie an Fiona schnupperte. Fiona strich mit beiden Händen über den Hals des Pferdes. Dort, wo sich ihr Haar mit der Mähne vermischte, war kaum auszumachen, welche Strähne zu Fiona gehörte und welche zu Tirna.
Tirna war Fionas Seelenpferd. Niemand hatte ihr das Pferd gekauft oder geschenkt, und Fiona würde auch niemals davon sprechen, Tirna zu besitzen. Sie hatten einander gesucht und gefunden und waren den magischen Seelenbund von Ventusia eingegangen. Fiona hatte ihn besiegelt, indem sie dem Pferd einen Namen gegeben hatte: Tír na nÓg. Tirna.
Der Name verband Fionas Welten. In Irland, wo sie aufgewachsen war, wurde so das magische Feenreich genannt, und ihre „Irland-Eltern“, die jahrelang nicht gewusst hatten, woher ihre Adoptivtochter wirklich stammte, hatten ihr erzählt, sie käme in Wahrheit aus einer Art Tír na nÓg. Und das hatten sie ganz richtig vermutet! Tatsächlich war Ventusia voller Magie.
Der atemberaubendste Zauber war vermutlich der Seelenbund, den ein jeder Mensch hier früher oder später mit einem der Pferde von Ventusia einging. Durch ihn vermischten sich Gedanken, Wünsche und Träume von Mensch und Tier manchmal genauso, wie sich Fionas Haar mit Tirnas Mähne vermischte. Jetzt gerade flatterte ein Gedanke durch Fionas Kopf, von dem sie nicht wusste, ob es der ihre war oder Tirnas. Wie schön wäre es, den Hügel hinabzurennen – so schnell, dass die Wirklichkeit ins Wanken geriet und die Magie Ventusias auffunkte und Tirna und Fiona schneller werden ließ, als es zu erklären war. Wenn der Zauber sie buchstäblich fliegen ließ.
Jeder Mensch und jedes Pferd in Ventusia trug den Hauch einer speziellen Magie in sich. Jedes Fürstentum besaß seine eigene. Normalerweise war diese bei den fürstlichen Familien stark ausgeprägt, während die Untertanen nur eine Idee von Zauber wirken konnten. Fionas Eltern beispielsweise bewirtschafteten einen Hof, bauten Gemüse und Obst an und ernteten Heu für die Pferde. Magie spielte in ihrem Alltag keine Rolle. Dennoch spürte Fiona die Magie, seitdem sie Tirna gefunden hatte. Sie war so deutlich und so stark, dass sie dadurch Wege in Minuten bewältigen konnte, für die andere eine Stunde eilig reiten mussten.
„Manchmal denke ich, du hast genug Magie für uns beide“, flüsterte sie ihrer Stute zu. „Wer weiß, vielleicht bist du eine Fürstin unter den Pferden.“
Der Gedanke beunruhigte sie. Vielleicht war das ja der Grund, aus dem die launische Göttertochter Victoria Tirna als erstes Pferd für das große Rennen gezeichnet hatte. Fiona spürte Victorias Macht, wann immer sie über die kleine weiße Flocke an Tirnas Stirn strich. Es fühlte sich an wie ein kühler Schatten, der plötzlich über sie fiel. Wie ein kalter Windzug, der ihr über den Nacken trieb und sie schaudern ließ.
Und heute … heute war es irgendwie noch etwas schlimmer als sonst. Es fühlte sich an, als hafteten Blicke auf ihr. Böse Blicke.
Sie fuhr herum. Sie hätte schwören können, dass sich dort etwas bewegt hatte. Doch da lagen nur ein paar kniehohe Steine – und bewegten sich natürlich kein Stück. Trotzdem blieb das seltsame Gefühl, dass sie beobachtet wurden.
Tirna wieherte, es klang wie eine Warnung. Dann trabte sie los, flog mit langen, schwebenden Tritten und vor Aufregung hoch getragenem Schweif um Fiona herum. Sie hatte es auch gespürt, und ihre Instinkte alarmierten sie.
„Was ist da?“, flüsterte Fiona und schloss einen Moment die Augen, um besser spüren zu können, was Tirna mit ihren schärferen Sinnen wahrnahm.
Aber … was war das? Plötzlich lag ein Geruch in der Luft. Ein fremder, seltsamer Geruch, den sie nicht kannte. Und aus Richtung der Steine kam ein kaum hörbares Geräusch. Als würde ein nackter Fuß auf dem Erdboden aufsetzen. Oder eine Pfote?
Tirna wollte plötzlich nur noch weg.
War das klug? Fiona hatte keine Zeit mehr, um darüber nachzudenken. Tirna galoppierte los und flutete Fionas Kopf mit der einzigen Lösung, die sie als Lauftier kannte: Flucht!
Und Fiona lief mit ihr.
Seite an Seite rannten sie den Hügel hinab, aber nicht in Richtung der Grasweiten, die sie hatten besuchen wollen, sondern nach Norden zu den Bergen. Die Wiese flog unter Fionas Füßen dahin, und die Landschaft verwischte zu grünen Schlieren unter dem azurblauen Himmel. Die Luft wurde kälter, das Gras erst kürzer und dann spärlicher. Schließlich wurde Fiona langsamer, weil Raureif den Erdboden überzog. Vor ihnen rieselte Schnee aus den Wolken. Sie hatten den Machtkreis des Fürstenpaares aus den Eisbergen erreicht, wo ewiger Winter herrschte.
Fiona lief aus und hob die Arme über den Kopf, um besser durchatmen zu können.
Tirnas Nüstern waren geweitet – auch sie hatte der schnelle Galopp angestrengt. Aber ihre dunklen Augen blitzten wieder vergnügt, und als Fiona sich vorsichtig an ihrem Seelenband entlangtastete, spürte sie, dass sich die Furcht gelegt hatte.
Das war typisch für temperamentvolle Pferde wie Tirna. Sie waren leicht zu erschrecken, aber nicht ängstlich. Sie rannten davon, wenn etwas bedrohlich erschien, und damit war ihr Problem erledigt. Jeder Schreck war, so wie jetzt, schnell wieder vergessen. Übrig geblieben war nur die Begeisterung über das schnelle Laufen. Tirna wirkte regelrecht ungeduldig, weil Fiona eine kurze Pause brauchte.
„Es geht gleich weiter“, versprach sie der Stute und klopfte zärtlich ihren Hals. „Du musst schon etwas Rücksicht auf mich nehmen, ich habe immerhin nur zwei Beine und keine vier!“
Sie sah sich noch einmal um. Auch Fiona war eigentlich nicht ängstlich, da war sie ihrer Stute durchaus ähnlich. Aber ganz so schnell wie ihr Pferd konnte sie nicht vergessen, dass da draußen irgendetwas gewesen war.
Und es hatte sie beobachtet.
DEUTSCHLAND
Mira legte den Kopf in den Nacken. Wenn die Sonne aufging, sah der Himmel in seinem Farbenspiel aus dunklem Blau, Violett und leuchtendem Orange beinah aus wie zu Hause.
Zu Hause. Wo war das eigentlich? Und warum begannen die Erinnerungen schon zu verschwimmen wie die Wasserfarben auf einem Bild, das im Regen liegt?
Sie erlaubte sich noch einen Moment lang, nach oben zu blicken und von früher zu träumen, egal wie verwaschen die Bilder in ihrem Kopf aussahen. Doch zu schnell fiel ihr wieder auf, dass ihr hier, in Frankfurt, Hochhäuserreihen in fast alle Richtungen die Sicht nahmen. An den meisten Orten in dieser Stadt waren so viele Menschen auf so wenig Raum, dass man sich ständig gegenseitig auf die Füße trat. Egal ob in der U-Bahn, der Schule oder der Innenstadt, es war überall eng. Man konnte kaum atmen.
Auch das Haus, in dem sie wohnte, war eng. In der Küche pressten sich die Leute zu jeder Mahlzeit so dicht zusammen wie Oliven in einem Glas, und oft musste man im Flur anstehen, wenn man auf die Toilette oder in die Dusche wollte. Zwar hatten Mira und Fatima ein Zimmer nur für sich allein, was alles andere als selbstverständlich war, aber es bot gerade mal genug Platz für das Doppelstockbett, einen schmalen Schrank und den Schreibtisch, an dem Mira nachmittags für die Schule lernte und Fatima abends für die Uni.
Fatima war die Stadt überhaupt nicht zu eng. Sie passte ihr wie ein schickes Kleid, in dem sie sich wohlfühlte. Fatima studierte und ging mit Freundinnen aus, und neulich hatte sie sich Schuhe mit richtig hohen Hacken gekauft. Schuhe, auf denen man sicher keinen Kilometer weit laufen konnte. Fatima hatte über Miras Einwand gelacht. „Die Schuhe sind nicht zum Laufen da, Habibti. Die sind nur zum Tanzen!“
Fatima hatte keinerlei Mühe mit dem Leben hier in Deutschland. Es war, als sei sie schon viel länger hier als Mira. Als sei sie angekommen, während Mira sich auf irgendeine Art noch immer auf der Reise befand. Wenn Mira sich umsah, wunderte sie sich stets, dass die Wüste nicht mehr zu sehen war. Ständig hatte sie ihre wichtigsten Habseligkeiten in einem Rucksack griffbereit, damit sie schnell weiterziehen konnte.
Aber Fatima wollte nicht mehr weiterziehen.
Heute Nacht hatte Mira wieder davon geträumt, wie der Wind durch ihr schwarzes Haar fuhr und ihr Sand durch die Finger rieselte. Er war ebenfalls schwarz gewesen, dieser Sand. Und obwohl das ein schlechtes Zeichen sein musste – denn schwarz war in Träumen doch nie ein gutes Omen, oder? –, hatte es sich wunderschön angefühlt. Magisch fast. Als könnten Wind und Wüstensand Mira mit sich nehmen, an einen Ort, wo sie wirklich hingehörte.
Mira atmete durch, band sich einen Zopf, weil der Wind sonst Zausen in ihre Haare machte, und ging weiter Richtung Schule.
Das Flüchtlingsheim lag abgelegen am Stadtrand, und sie musste früh los, eine knappe halbe Stunde zu Fuß laufen und dann noch ein paar Stationen mit der U-Bahn fahren. Dafür stolperte man hier nicht ständig über die Füße anderer Leute. Nein, meist war Mira auf der Straße allein, wenn sie zur Schule ging oder zurückkam. Nur selten traf sie hier auf Menschen.
Der Weg führte sie durch eine Gegend, wo zu ihrer Linken alte Fabrikgebäude aus dunkelroten Backsteinen lagen, in denen die Maschinen und Bänder schon lange stillstanden. Manchmal kamen Filmteams her und drehten auf dem Gelände Verfolgungsjagden oder Schießereien. Die Jungs aus dem Heim versuchten dann, berühmte Schauspieler zu entdecken, aber die Kameraleute scheuchten sie immer weg. Und nachts bekamen die Jungs Albträume von den Schussgeräuschen.
Mira kam nie her, wenn Filmteams da waren. Sie hatte schon genug wirre Träume.
Zu ihrer Rechten befand sich eine Schrebergartensiedlung. Ein kleiner Garten reihte sich an den nächsten, wie Mathekästchen im Heft. Jedes Gärtchen war eingezäunt, jedes genauso groß wie das angrenzende. Alle vier Gärten führte ein kleiner Weg zu den dahinter liegenden Reihen. Bei schönem Wetter setzten die Leute sich auf Liegestühlen hinter ihre Zäune und beäugten Mira, wenn sie vorbeiging. Bei Regen aber – oder sehr früh am Morgen, wenn niemand in seinem Garten war – zupfte Mira manchmal ein paar süßsaure Johannisbeeren von den Stauden, die eng am Zaun wuchsen. Sie nahm immer nur ganz wenig, so wie ein Vögelchen, damit niemand merkte, dass etwas fehlte. Trotzdem riefen die meisten Leute ihr unfreundliche Worte hinterher, wenn sie doch mal erwischt wurde.
Sie solle verschwinden.
Aber wohin denn?
In ihrer Erinnerung schlenderte sie durch Gärten, in denen Orangen wuchsen, saftige Feigen und honigsüße Datteln. Endlos waren diese Gärten. In großen Volieren turtelten weiße Tauben, und im Schatten der Zedern dösten in der Mittagssonne die Pferde …
Mira zuckte zusammen, als ein vertrauter Geruch in ihre Nase stieg.
Ihre Fantasie ging mit ihr durch. Eben hatte sie gedacht, ein Pferd gerochen zu haben. Das war lächerlich. Hier gab es weit und breit keine Pferde, und die Tauben waren grau und wurden weggescheucht. Wie Mira. Als hätten sie kein Recht, hier zu sein. In den Schrebergärten roch es morgens nach Tau auf den Rosen und nachmittags oft nach Grillfleisch und Rauch. Aber sicher nicht nach … Pferden!
Zum Glück. Mira wollte nichts mehr von Pferden wissen.
Sie musste wirklich aufhören, in der Vergangenheit zu leben. Musste die Wüste, das palastähnliche Anwesen ihrer Eltern und die Gärten vergessen und stattdessen nach vorn sehen.
Ihre Eltern waren fort. Die Pferde verkauft. Die Feigengärten und Volieren zerstört. Ihre Kindheit war zu Ende.
Nie wieder würde Mira ihr Herz an etwas hängen. Man würde es ihr ja doch bloß wieder wegnehmen.
Doch als sie nun tat, was Fatima stets verlangte, und ihren Blick nach vorn richtete, stellten sich Mira alle Nackenhaare auf.
Denn keine zehn Meter von ihr entfernt stand ein strahlend weißer Schimmel und sah sie an.
Mira? schien er ihr mit dem Wind zuzuflüstern. Mira.
Doch das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein.
„Nein“, flüsterte sie, auch wenn sie lieber geschrien hätte. Ihr fehlte der Atem dazu. „Geh weg. Lass mich. Lass mich in Ruhe!“
Der Schimmel machte einen langsamen Schritt auf sie zu.
Mira warf sich herum und rannte davon.
VENTUSIA
„Und du hast sie einfach wegrennen lassen?“ Nikolan wandte sich von Damian ab und blickte ratlos zu Fiona.
Sie saß bereits an ihrem Platz im Klassenzimmer, gleich neben Riana, während die drei Jungs noch standen, da die Lehrerin bislang nicht aufgetaucht war. Fiona zuckte mit den Schultern, weil sie Damians Verhalten auch nicht verstand. Er hatte eines der verschollenen Mädchen aus Ventusia in der Welt der Menschen ausfindig gemacht. Es war schwer genug, ihren wenigen Spuren zu folgen, und diesmal war es allein Sanadors Intuition zu verdanken, dass das Mädchen gefunden worden war. Der Hengst musste das Mädchen irgendwie gewittert oder gespürt haben und hatte Damian darauf aufmerksam gemacht.
Was also tat Damian noch hier? Sollte er nicht alles versuchen, um ihr schnell die Wahrheit über ihre Herkunft zu verraten?
Nur deshalb suchten die drei Prinzen von Ventusia die Welt der Menschen doch immer wieder auf!
Ungläubig blies Nikolan die Wangen auf und schüttelte den Kopf. „Du hast wohl alle Zeit der Welt, oder? Aber Ventusia nicht! Wir haben nur noch wenige Wochen, bis das Rennen startet, und nur ein Mädchen!“
Ria zuckte kaum wahrnehmbar zusammen. Im Grunde hatte Nikolan unrecht, denn in Wahrheit gab es zwei Mädchen in Ventusia, die im richtigen Alter waren. Doch auf das Drängen ihrer Eltern hin musste Ria vor der Bevölkerung weiterhin einen Jungen spielen: Rio. Nikolan, Damian, Aro und Fiona sowie die Fürstin des Götterhains waren neben Damians Eltern die Einzigen, die die Wahrheit kannten. Geheimnisse waren hier im Eispalast, wo alles kühl und glatt und ein wenig zu schön für die Wirklichkeit schien, jedoch ziemlich sicher.
„Was hätte ich tun sollen?“ Damian verschränkte die Arme und setzte sich auf den Tisch, der vollständig aus Eis gearbeitet war.
So wie alles im Eispalast aus Eis gemacht zu sein schien.
Fiona lebte nun schon mehrere Wochen hier, aber sie konnte immer noch nicht aufhören, sich darüber zu wundern. Selbst die Gläser, aus denen sie heißen Tee tranken, die Schalen, in denen warmer Eintopf serviert wurde, und sogar die Kamine, in denen muntere Feuer prasselten – alles war aus Eis. Magischem Eis natürlich, sodass es weder schmolz noch Frostbeulen an Händen und Füßen verursachte. Kühl war es dennoch.
Es gab Menschen in Ventusia, die behaupteten, selbst das Herz von Kronprinz Damian bestünde aus Eis. Fiona zählte nicht zu ihnen, auch wenn das oft zu Diskussionen mit Ria führte. Ihre Freundin war nämlich fest davon überzeugt, dass an den Gerüchten etwas Wahres dran sein musste.
Nun zupfte Ria nervös an Fionas Ärmel und deutete zur Tür, die, Überraschung!, ebenfalls aus Eis war.
Gerade trat eine grauhaarige, schlanke Dame mit eleganter Hochsteckfrisur und einem langen schmalen Rock hindurch, ging zum kurzen Ende des ovalen Tisches und musste die drei Jungs nur ansehen, damit diese verstanden, was sie zu tun hatten.
Hinsetzen und still sein.
Diesen Blick beherrschten Lehrerinnen und Lehrer vermutlich in allen Ländern und allen Welten.
Damian, Nikolan und Aro wussten womöglich schon, was passierte, wenn man nicht sofort spurte – die drei ventusischen Prinzen saßen auffällig schnell und gerade auf ihren Plätzen. Im Gegensatz zu Fiona hatten sie auch keinerlei Erstaunen darüber gezeigt, dass sie den Reitunterricht im Schulzimmer bekamen statt auf dem Reitplatz. Die Pferde waren nicht mal in der Nähe, und Fiona fragte sich die ganze Zeit, welchen Sinn eine Reitstunde ohne Pferd ergab.
„Du lernst doch auch Götterkunde, ohne dass die Götter dabei sind“, hatte Aro gesagt.
Das war allerdings kaum vergleichbar. Oder?
Aber gut, sie würde es wohl gleich erfahren. Die Frage, wie Damian das Mädchen aus Ventusia, das er in einer deutschen Großstadt hatte ausfindig machen können, einfach weglaufen lassen konnte, würde dagegen bis zur Pause warten müssen.
Eigentlich hatte Fiona mit den anderen über ihr Erlebnis am frühen Morgen sprechen wollen. Etwas hatte sie beobachtet und Tirna erschreckt. Aber inzwischen war sie gar nicht mehr sicher, ob da überhaupt mehr als ein Reh gewesen war. Pferde erschraken halt hin und wieder. Seelenbund hin oder her – es waren und blieben Fluchttiere.
Kurz ließ Fiona den Blick über ihre kleine Gruppe wandern, während die Lehrerin ihre Bücher sortierte.
Fiona hatte die anderen in den letzten Wochen besser kennengelernt, die eine mehr, den anderen weniger. Neben Ria, die quasi über Nacht ihre beste Freundin geworden war, mochte sie Nikolan am meisten. Der Kronprinz von den Sturminseln war fünfzehn, damit knappe anderthalb Jahre älter als sie, hatte hellbraunes Haar mit einem rötlichen Schimmer darin und jede Menge Sommersprossen auf fast weißer Haut. Er hatte sechs jüngere Geschwister und mochte ein großes Mundwerk haben, aber sein Herz war mindestens genauso groß.
Der ein Jahr ältere Damian neben ihm war ganz anders. Kronprinz Damian machte meist den Anschein, dass ihm die anderen Jugendlichen lästig waren und er sich nur mit ihnen abgab, weil er seinen Eltern versprochen hatte, auf die Jüngeren aufzupassen. Er wirkte manchmal sehr viel älter als sechzehn. Das lag vermutlich auch an seinem schneeweißen Haar, das er kurz geschnitten trug und das einen auffälligen Kontrast zu seinen strahlend blauen Augen bildete. Wenn er in Fionas Welt nach weiteren ventusischen Mädchen suchte, starrten ihm mit Sicherheit alle nach. Genau genommen taten das hier auch recht viele, aber das lag nicht an seinem Äußeren, sondern daran, dass sich so manche Gerüchte um den Kronprinzen des mächtigsten Reiches von ganz Ventusia rankten. Die meisten hatten ein wenig Angst vor ihm.
Der dritte Junge war Aro, der Prinz des Götterhains. Er war ein ruhiger, zurückhaltender Mensch, aber wenn er etwas sagte, war es meist klug oder freundlich. Oder beides. Aro war vierzehn, nur wenig älter als Fiona, hatte hellbraune Haut und fast schwarze, kurze Locken. Fiona hatte das Gefühl, dass er ein guter Freund werden könnte, wenn sie ihn erst näher kennenlernte. Doch er war nicht so oft im Eispalast wie die anderen. Meist suchte er in der Menschenwelt nach weiteren Mädchen.
Fionas Blick glitt an ihm vorbei zu Riana, die gleich neben ihr saß und mit geröteten Wangen und weit geöffneten silberfarbenen Augen gespannt auf den Unterricht wartete. Vor Aufregung strich sie sich ihre kurzen braunen Haare zurück, die irgendwie immer ungekämmt aussehen – egal wie lange Ria sie morgens bürstete. Ria konnte nie genug lernen, sie war das neugierigste Wesen, das Fiona kannte.
Fiona musste lächeln. Erstaunlich, wie lieb sie Riana in der kurzen Zeit gewonnen hatte.
Auch Riana lebte erst seit Kurzem hier im Eispalast, dem Schloss von Damians Familie ganz im Norden Ventusias. Und genauso wie Fiona gingen ihr die Kälte und die ständigen Feierlichkeiten, bei denen es stets darum ging, möglichst aufwendige Frisuren auf dem Kopf zu balancieren, ohne dass bei der kleinsten Bewegung alles durcheinandergeriet, ziemlich auf die Nerven. Wobei Ria Glück hatte. In der Rolle von Rio blieben ihr die schlimmsten Modedramen erspart.
Für den Moment aber war der Eispalast nun mal der sicherste Ort von Ventusia, was man von Rias Heimat leider nicht behaupten konnte. Und so war Riana mit ihrer Familie hier untergeschlüpft.
Fiona war noch nicht ganz sicher, wohin sie gehörte. Einerseits fühlte sie sich in den Grasweiten am wohlsten. Ihre ventusischen Eltern waren liebevolle, unkomplizierte Menschen, die viel lachten und Fiona ohne Druck das Gefühl gaben, zu Hause zu sein. Andererseits waren all ihre Freunde im Eispalast, und nirgendwo würde sie mehr über Ventusia und die Magie lernen als hier.
Immerhin musste sie sich auch vorbereiten … Denn es galt, ein Pferderennen zu bestreiten!
Und das war vielleicht der größte, wenn nicht der einzige Streitpunkt zwischen Fiona und ihren ventusischen Eltern, die alles dafür getan hätten, damit Fiona nicht mitreiten musste.
Die launische Göttertochter Victoria verlangte von den Menschen Ventusias, dass alle zwölf Jahre ein Rennen zwischen sieben Mädchen aus den sieben Fürstentümern des Landes geritten wurde. Das Rennen war äußerst gefährlich, mehrere Mädchen waren dabei in den letzten Jahrzehnten gestorben. Und so hatten die Menschen kurz nach dem letzten Rennen entschieden, alle Mädchen schon als Babys oder Kleinkinder außer Landes zu bringen. In eine Welt, in der Menschen und Pferde einander viel fremder waren als in Ventusia. Eine Welt, in der es den Seelenbund zwischen Mensch und Tier nicht gab. In eine Welt, wo Victoria sie nicht finden konnte.
Leider war der Plan schiefgegangen. Victoria war zornig geworden und ließ ihre Wut seitdem am ganzen Land aus. Menschen und Tiere litten gleichermaßen unter ihrer Wut.
Nur mit dem Norden war sie weiterhin gnädig, da die Eisprinzessin – Damians ältere Schwester – das letzte Rennen gewonnen und damit Victorias Gunst errungen hatte. Demnach war es hier sicher. Allerdings wusste niemand, wie lange das noch der Fall sein würde, denn auch das Eisvolk aus dem Norden hatte noch kein Mädchen gefunden, das ins nächste Rennen gehen konnte.
Victoria bestand nämlich nach wie vor darauf, dass das Rennen auch in diesem Jahr von sieben Mädchen geritten wurde.
Da gab es nur ein paar Probleme.
Erstens: Es war nach wie vor gefährlich.
Zweitens: Niemand wollte sein Leben oder das seines Pferdes dafür riskieren – mit Ausnahme von Draufgänger Nikolan vielleicht, der als Junge allerdings nicht mitreiten durfte. Eine Regel, die weder Fiona noch Nikolan verstanden oder verstehen wollten.
Drittens: Mädchen im passenden Alter gab es in Ventusia leider nur zwei: Ria und Fiona.
Und Ria schied als Starterin eigentlich von vorneherein aus. Nicht, weil ihre besondere Gabe, das Silbersehen, auch einen Nachteil mit sich brachte: Rias Augen waren wahrlich nicht die besten – an manchen Tagen war sie sogar vollkommen blind. Auf ihrem Seelenpferd Kylja, einer kleinen, mausgrauen Stute, konnte sie trotzdem so gut reiten wie jede andere. Doch ihre Eltern waren so überbehütend und besorgt um ihre Sicherheit, dass sie sogar Schnappatmung bekamen, wenn Ria lachend durch den Schnee galoppierte. Sie würden sie niemals in dieses Rennen gehen lassen. Um Riana zu schützen, behaupteten sie schon deren ganzes Leben lang, keine Tochter zu haben, sondern einen Sohn. Also spielte Riana Rio – den Prinz der Silbersehenden. Lange würde das natürlich nicht mehr gutgehen. Aber das Rennen war ja auch schon in wenigen Wochen.
Es half nichts. Es mussten andere Mädchen gefunden werden – Mädchen, die mutig und tapfer waren. Und bereit, für ihre Heimat ein Risiko einzugehen.
Ob Fiona so ein Mädchen war?
Eigentlich war sie weder mutig noch besonders tapfer. Aber uneigentlich hatte Victoria Fionas Seelenpferd, die sensible Fuchsstute Tirna, bereits gezeichnet und damit für das Rennen angemeldet. Und was bitte schön war ein Seelenbund wert, wenn man als Mensch kniff und sein Pferd allein in eine Gefahr schickte? Nein, das kam gar nicht infrage.
Tirna würde beim Rennen antreten müssen. Und Fiona damit auch.
Es fehlten also noch sechs Mitstreiterinnen. Wie schwer konnte es sein, sechs ventusische Mädchen in der Welt der Menschen aufzuspüren?
Nun, es gestaltete sich sogar äußerst schwierig. Denn die ventusischen Eltern hatten ihre Kinder gut versteckt. Und besuchen konnten sie sie auch nicht mehr. Denn durch Victorias strafenden Fluch waren nur noch die Jugendlichen, die nach dem letzten Rennen vor zwölf Jahren noch keinen Seelenbund mit ihren Pferden eingegangen waren, in der Lage, mit ihren Pferden über den Wind zu galoppieren und die Welten zu wechseln.
Allerdings hatten die Jungen nie gelernt, ihre Magie auch auf der Erde zu kontrollieren, was zu weiteren Schwierigkeiten führte. Keiner von ihnen konnte nach Belieben zwischen seinem Körper und dem des Pferdes wechseln. Oft brauchten sie die Magie des Vollmondlichts, um ihre wahre Gestalt anzunehmen. Zu lange im Körper des Pferdes zu verweilen, barg das Risiko, dem Pferd immer ähnlicher zu werden und irgendwann zu vergessen, dass sie eigentlich Menschen waren.
Die Suche nach den Mädchen war wie die nach einer Nadel im Heuhaufen. Und die Welt war groß – es gab dort jede Menge Heuhaufen.
Es wird Zeit, dass auch in Ventusia der Kugelschreiber erfunden wird, dachte Fiona, während sie ihren Schreibblock vor sich legte und das Tintenfass öffnete. Hoffentlich kleckste sie nicht wieder so unbeholfen mit der Füllfeder herum.
Miss Bloom referierte ausschweifend über das Gefühlsleben der Pferde, über ihre Instinkte und die Schwierigkeiten, sie richtig einzuschätzen, weil ihre Mimik so stark von der der Menschen abweicht.
„Ich weiß immer, was Gryzmor denkt“, erklärte Nikolan ungefragt. „Ich kenne ihn seit Jahren, ich habe ein gutes Gefühl für ihn. Und dafür ist der Seelenbund doch da, oder nicht? Wir fühlen, was unsere Pferde fühlen. Ich rieche sogar Karotten, wenn Gryzmor welche will.“
„Du riechst rund um die Uhr Karotten?“, fragte Fiona amüsiert, und beide grinsten sich an.
Miss Bloom nickte zwar gutmütig, aber ihr Gesicht verriet, dass es nicht ganz so einfach war, wie Nikolan dachte. „Nur können deine Gefühle manchmal stärker sein als seine. Das würde dein Urteil trüben.“
„Mit Verlaub“, sagte Nikolan. „Gryzmor ist ein Meter sechzig groß und wiegt sechshundert Kilo. Ich glaube nicht, dass irgendetwas von mir stärker sein könnte als etwas von ihm.“
„Ts, ts“, tadelte die Lehrerin. „Gefühle haben doch nichts mit Größe oder Kraft zu tun. Ich dachte, das wüsstest du inzwischen.“
Fiona flüsterte in Nikolans Richtung: „Vielleicht bist du es ja, der von Karotten träumt, und nicht dein Pferd.“
Miss Bloom räusperte sich und warf Fiona einen strengen Blick zu. „Ich zeige euch, was ich meine.“ Sie sah im Raum umher und schaute all ihren Schülerinnen und Schülern der Reihe nach prüfend ins Gesicht. „Was denkt ihr, welche Gefühle hege ich gegenüber Prinz Nikolan?“
Damian meldete sich sofort mit der ihm eigenen Lässigkeit. Er wirkte immer ein wenig gelangweilt, vermutlich hielt er sich lieber unter Erwachsenen auf. Aro hob nach kurzem Zögern ebenfalls die Hand.
Doch Miss Bloom sagte: „Prinz Rio, bitte. Ich möchte deine Meinung hören. Deine ehrliche Meinung.“
Rias Gesicht nahm die Farbe reifer Himbeeren an – kurz bevor sie vergoren vom Strauch fielen. Und das lag diesmal nicht daran, dass es ihr insgeheim doch immer unangenehm war, wenn sie mit „Rio“ angesprochen wurde. Die Maskerade behagte ihr nicht. Sie hasste es, lügen zu müssen. Doch jetzt gerade wand sie sich nicht aus diesem Grund.
Ria tat sich zwischen den anderen noch immer schwer. Zu Anfang hatte sie sich kaum getraut, mit ihnen zu sprechen. Und nach wie vor hatte sie Angst, sich unbeliebt zu machen und aus dem kleinen, ungleichen Kreis ausgeschlossen zu werden.
„Keine falsche Höflichkeit, bitte“, beharrte Miss Bloom freundlich, aber bestimmt. „Sag, was du denkst.“
Ria schluckte. Sie war nicht nur unsicher, es fiel ihr auch schwer, Anweisungen von Autoritätspersonen zu missachten – zumindest solange diese sie direkt im Blick behielten. „Ich glaube, er geht Ihnen auf die Nerven?“
Nikolan riss die Augen auf, dabei war Fiona sehr sicher, dass diese Vermutung ihn keineswegs schockierte.
„Warum denkst du das, Rio?“, hakte Miss Bloom geduldig nach.
„Weil … weil er denkt, alles besser zu wissen?“
Nun wandte Nikolan sich entrüstet in Rias Richtung. „Es gibt nun mal Dinge, die ich wirklich besser weiß!“
Fiona sah ihn böse an und schüttelte unauffällig den Kopf. Musste er es Ria noch schwerer machen? Sie war unglaublich lieb und eine tolle Freundin. Aber sie ließ sich von den Jungs auch extrem leicht verunsichern. Was allerdings kein Wunder war. Sie war ganz allein unter Erwachsenen in der Ebene der Silbersehenden aufgewachsen. Ihre Eltern hatten sie dort versteckt und ihr den Kontakt zu anderen Kindern und Jugendlichen fast unmöglich gemacht, damit niemand verraten konnte, dass ein Mädchen in Ventusia zurückgeblieben war.
„Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen, Miss Bloom“, sagte Damian und warf einen gelangweilten Blick aus dem Fenster. Fiona war nicht sicher, ob er die Aufmerksamkeit mit Absicht auf sich und von Ria weg lenkte. In jedem Fall tat er es, und Fiona bemerkte dankbar, wie Ria erleichtert ausatmete. „Rio ist von Nikolan genervt. Daher denkt er, Sie können auch nur genervt sein, richtig? Rios Gefühle bewirken, dass er die Gefühle von anderen nicht mehr einschätzen kann, weil er nur noch seine eigenen fühlt.“
Und schon waren Rias Erleichterung und auch Fionas Dankbarkeit wieder dahin. Ria sagte kein Wort, aber man konnte an ihrem Gesicht ablesen, dass ihre Gedanken stotterten.
Miss Bloom lächelte. „Ein interessanter Einwurf, Prinz Damian. Gerade mit unseren Pferden passiert uns das sehr oft, nicht wahr? Die Sprünge über Zäune und Hecken machen uns riesigen Spaß. Manchmal merken wir gar nicht, dass unsere Pferde vielleicht gar keine Freude daran haben, sondern nur uns zuliebe springen. Danke für diesen Gedanken.“
Damian hob unbeeindruckt eine Schulter, als sei es absolut üblich für ihn, ausschließlich richtige Antworten zu geben.
„In diesem Fall liegst du aber falsch, junger Prinz.“
Damians Reaktion auf diese Rückmeldung seiner Lehrerin bestand in einem kaum erkennbaren Zusammenpressen seiner Lippen. Fiona hätte nur blinzeln müssen, und sie hätte es übersehen.
„Rio findet mich also gar nicht so ätzend, wie es eben klang?“, hakte Nikolan mit hochgezogener Augenbraue nach.
„Oh, das kann ich dir nicht sagen, Prinz Nikolan.“ Miss Bloom lachte kurz auf. „Ich könnte es mir allerdings gut vorstellen. Du bist schon …“
„Was? Ätzend?“
„ … eine Herausforderung für die Nerven, wollte ich gerade sagen. Aber ich maße mir nicht an zu versuchen, Prinz Rios Gedanken zu erraten. Seine Antwort hatte andere Gründe. Gründe, die unsere Gefühle oftmals täuschen. Ich bin sicher, einer von euch kann sie nennen.“ Die Lehrerin ließ ihren Blick nur knapp über ihre Schülerinnen und Schüler huschen und stoppte dann bei Aro, der nichts weiter tat, als seine auf dem Tisch gefalteten Hände zu betrachten.
„Erfahrung“, sagte er dann, ohne aufzusehen. „Alle Lehrerinnen und Lehrer sind früher oder später genervt von Nikolan. Das hat Rio während seiner ersten beiden Tage hier gemerkt. Wobei … er beobachtet gut. Vermutlich also eher innerhalb der ersten beiden Stunden.“