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Magisterarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Romanistik - Hispanistik, Note: 1,3, Eberhard-Karls-Universität Tübingen (Neuphilologische Fakultät), Veranstaltung: Romanisches Seminar , Sprache: Deutsch, Abstract: In der Rezeption des Werkes von García Lorca wurde seit jeher das „fenómeno andaluz“ als poetologischer Konstitutionsgrund und damit als Schlüssel zum Verständnis sowohl seiner Lyrik wie seiner Dramen verstanden. Doch eröffneten sich damit zugleich Möglichkeiten des Missverstehens, die von der Klassifikation als eines Sonderfalls der kostumbristischen Literatur bis zur Drapierung mit folkloristischen Werbegags reichen. Wie schwierig das „fenómeno andaluz“ in seiner Bedeutung zu fassen ist, kann die Äußerung von Jorge Luis Borges bezeugen, dass García Lorca auf ihn wie ein professioneller Andalusier gewirkt habe. Als sich in der Poetik Lorcas manifestierender „andalucismo“ ist dieses Phänomen jedenfalls schlichtweg nicht zu definieren, sondern nur als eine enge Verwobenheit der poetischen Visionen mit der „andalusischen Realität“, mit ihren kulturellen, historischen, ethnischen und naturbedingten Kontexten beschreibbar. Angeleitet von Essays der Hispanisten Allen Josephs und Juan Caballero, die den Werkausgaben vorangestellt sind, aber in durchaus eigenständiger Gedankenarbeit stellt der Autor die Schwierigkeiten bei der Erfassung des „fenómeno andaluz“ am Anfang seiner Arbeit klar, umsichtig und facettenreich dar. Dies dient lediglich als Grundlegung für die folgendenden, in überzeugender Systematik auf einander bezogenen Darstellungen und Analysen zentraler Aspekte seines Gegenstandes: der in Analogie zu Jurij M. Lotmans „Semantisierung des Raumes“ konzipierten „Semantisierung des Andalusischen“. Denn jedes der folgenden, etwa gleich großen Einzelkapitel diskutiert jeweils eingehend die Spezifika der dort näher betrachteten Semantisierungen. Diese ausführlich dargestellten zentralen Aspekte betreffen die „Semantik der Archaisierung“ mit einem Brückenschlag zur Tragödie der griechischen Klassik und zu den in die Tradition Andalusiens eingegangenen Mythen; ferner die sprachliche und soziokulturelle Fundierung in andalusischen Kontexten; dann die sich mit dem Andalusischen verbindende räumliche Semantisierung. Die Conclusio stellt in über- zeugender Weise die Einheitlichkeit der in der Forschung als „dramas rurales“ benannten Werke im Licht der Semantisierung des Andalusischen dar. Die Einzel-kapitel sind in der Argumentation wie in dem zum jeweils folgenden Abschnitt überleitenden Resümee eng auf einander bezogen und formen eine sehr kohärente und schlüssige Gesamtanalyse des Gegenstandes.
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Die Semantisierung des Andalusischen in den „dramas rurales“ von García Lorca
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Mit dem Todesjahr García Lorcas sowie dem Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs endete 1936 die fast vier Jahrzehnte währende zweite „Edad de Oro“ der spanischen Kulturgeschichte.1Ausgangpunkt dieser kulturellen Blütezeit war das Krisenjahr 1898, in dem Spanien Kuba, Puerto Rico und die Philippinen an die USA verlor und sich somit endgültig vom Kolonialismus verabschieden musste. „Paradójicamente, un extraordinario florecimiento de la cultura española se inició […], como si el “Desastre” de 1898 hubiera dado a muchos españoles la energía y la ambición necesarias para intentar devolver a su patria un lugar en la historia de la cultura universal.”2
Die dadurch ausgelöste Krise führte in Spanien jedoch nicht zu einer zunehmenden kulturellen „alienación“, sondern bewirkte stattdessen eine noch stärkere Hinwendung zur eigenen Sprache, Kultur und Nation. Der Rückgriff auf die mittelalterliche Dichtkunst des „Romance” zeigt dieses neu erwachte Interesse an der genuin-spanischen Kulturtradition: „Los poetas españoles no estaban tan sustancialmente alienados como otros europeos, porque se sentían hondamente arraigados en un dominio expresivo muy antiguo de su comunidad nacional, elRomanceroy toda poesía de tipo tradicional.”3Bezeichnenderweise stellte sich Lorcas kommerzieller Erfolg als Dichter erst dann ein, als es ihm gelang, diese klassische Form des „Romance“ mit der traditionsreichen „gitano“-Kultur zu verbinden. Jene Mischung aus „lo gitano“ und „lo andaluz“, welche denRomancero Gitano(1928) prägt, kommt auch in Lorcas „dramas rurales“ zum Ausdruck, insbesondere inBodas de sangre(1933).4
Der Erfolg, den García Lorca mitBodas de sangrebis weit über die Landesgrenzen hinaus feiern konnte, ist - auch in diesem Fall - zu einem nicht un-1Marichal,Juan: „Una espléndida década (1926-36)”. In:Cuadernos Hispanoamericanos. La Generación del 27.Madrid: Instituto de Cooperación Iberoamericana, abril-mayo 1993, 25. Die Bezeichnung erfolgt in Anlehnung an das erste „Siglo de Oro“, den Übergang von der Renaissance zum Barock im 16. und 17. Jahrhundert, als es in der spanischen Literatur zu einer nachhaltigen Erneuerungsbewegung kam; Gattungen wie das Drama, der Roman und die Poesie erlebten eine nicht gekannte Blüte.
2Marichal, „Una espléndida década”,Cuadernos Hispanoamericanos,25.
3Ibid, 34.
4Dazu Carlos Rincón: „Doch erstBodas de Sangrevollzieht die eigentliche Umsetzung der Romanze ins Dramatische. [...] Noch weitreichender aber als dieser Bezug erscheint uns die These Rafael Albertis,Bodas de SangreundYermaseien ‚Zigeunerromanzen in Aktion’“.Das Theater García Lorcas.Berlin: Rütten & Loening, 1975, 225.
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wesentlichen Teil der publikumswirksamen Darstellung des Andalusischen zuzuschreiben, welche vor allem im Ausland dazu führte, dass „lo gitano-andaluz“ als Inbegriff des Spanischen gedeutet wurde und jene Elemente, die allein der andalusischen Tradition entsprechen, auf das gesamte Spanien übertragen wurden:
En los espectáculos peninsulares, para el consumo de España entera, lo andaluz o lo gitano-andaluz representa la constante cultural, lo más sólido, lo familiar, el recurso inmediato para todo tipo de afirmación identitaria, aunque sean de signos contrarios. Lo andaluz llega incluso, en ciertos períodos, a convertirse en imagen metonímica del país, a uso nacional o como estampa arquetípica destinada a representar a España en el extranjero.5
Ob García Lorca ahnte, dass der offensichtliche Bezug zur andalusischen Kultur, wie sie imRomancero Gitanozum Ausdruck kommt, auch den Durchbruch als Dramatiker erleichtern würde, oder ob er einfach seinem Gespür für Theater folgte, kann nur spekuliert werden. Seine Entscheidung, nach dem Erfolg vonBodas de sangreauch inYerma(1934) und inLa casa de Bernarda Alba(1936) das ländliche Andalusien als den Schauplatz der Handlung zu wählen, lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass Lorca das andalusische Milieu für seine dramatischen Stoffe in besonderer Weise schätzte. Selbstverständlich spielt dabei auch die schlichte Tatsache eine Rolle, dass er selbst Andalusier war und somit die Sitten und Bräuche seiner Landsleute bestens kannte.6
Interpretation und Wirkung der „dramas rurales“ sind somit eng mit dem andalusischen Kontext verwoben; ihr Verständnis konstituiert sich weitgehend aus der speziellen Bedeutung jenes „andalucismo“, der von Allen Josephs und Juan Caballero umfassend als „fenómeno andaluz“ bezeichnet wird:
Elfenómeno andaluzno es otra cosa que esa realidad andaluza. Lorca llegó a ella por alguna vía de la intuición y la expresó mediante su arte. Esta expresión suya en cuanto a intuición tiene que entenderse como cierta ‘mística’ que forma parte de la realidad andaluza y a la cual el genio lorquiano fue peculiarmente sensible. [...]
5Salaün, Serge: „España empieza en Despeñaperros: Lo andaluz en la escena nacional.” In:Pensamiento y Literatura en España en el siglo XIX: Idealismo, Positivismo, Espiritualismo.Université de Toulouse-Le Mirail: Presses Universitaires du Mirail, 1998, 211.
6Aus Sicht von Jorge Luis Borges stellte Lorca seine andalusische Herkunft fast überdeutlich zur Schau: „Er wirkte auf mich wie ein Mann der schauspielert, wissen Sie? Der eine Rolle spielt. Ich meine, er war ein professioneller Andalusier.“ Gibson, Ian:Federico García Lorca. Biographie.Leipzig: Suhrkamp, 1989, 497.
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Elfenómeno andaluzno es un ‘tema’ y no es ‘literario’. No es tampoco ‘popular’ o ‘folklórico’, aunque Lorca empleaba como recursos a veces lo folklórico y lo popular.7
Gegen eine Instrumentalisierung dieses „fenómeno andaluz“ im Sinne der Folk-lore, der „Blut- und Bodendichter“ oder „Heimatschriftsteller“ wendet sich auch Hans-Jörg Neuschäfer, der kritisiert, dass die „dramas rurales“ „in Deutschland so oft als Ausdruck des Ewig Spanischen, noch einseitiger: der spanischen Leidenschaftlichkeit, missverstanden worden sind.“9
Grundlage für dieses Missverständnis, welches innerhalb und außerhalb Spaniens für eine Fehleinschätzung García Lorcas sorgt, ist die Verwechslung der bloßen Dramatisierung des Andalusischen mit dessen scheinbarer Romantisierung und Nationalisierung. Auch wenn Lorca eine sehr enge Beziehung zu seiner andalusischen Heimat pflegte und diese als seine größte Inspirationsquelle sowohl für sein dichterisches als auch dramatisches Werk verwendete, stand er ihr gleichzeitig - zumindest in seinen „dramas rurales“ - äußerst kritisch gegenüber und zeigt inYermaundLa Casa de Bernarda Albaein Andalusien, das von einer romantischen Idylle weit entfernt ist:
InLa Casa de Bernarda Albagestaltet García Lorca keine andalusische Dorfidylle, sondern inszeniert im Haus Bernardas brennspiegelartig eine Gemeinschaft, in der Egoismus, Habgier, Geiz, Machtsreben und Misstrauen den Umgang untereinander bestimmen, in der Verlogenheit über Ehrlichkeit dominiert, in der Außenwirkung und Fassade mehr gelten als innere Werte, und in der letztlich der ökonomische Faktor, das Geld, den Ausschlag gibt („¡El dinero lo puede todo!“).“10
Trotz dieser äußerst negativen Darstellung Andalusiens, die mit der Furcht der Dorfbewohner vor der „opinión“ beginnt und im grotesken Gebaren Bernarda Albas
7Federico García Lorca:La casa de Bernarda Alba.Hg. von Allen Josephs und Juan Caballero. Madrid: Cátedra, 17. Aufl., 1990, „Dos tragedias andaluzas”, 52.
9Neuschäfer, Hans-Jörg:Spanische Literaturgeschichte.2. erweiterte Auflage. Stuttgart: Metzler, 2001, 345.
„Nicht nur García Lorcas Homosexualität, sondern auch der oft missbrauchte „andalucismo“, der den Dramatiker in die Ecke der ‚Blut und Bodendichter à la Knut Hamsun oder bisweilen gar in diejenige des Heimatschriftstellers drängte sowie das sein literarisches Schaffen erheblich beeinflussende soziale Umfeld - das Vorbürgerkriegs-Spanien der Zwanziger- und Dreißigerjahreístellen eine wichtige Komponente für den Zugang zur dramatischen Welt García Lorcas dar.“ Aus: Freymüller, Renate:Das Bild der Frau in Federico García Lorcas dramatischen Werken als Weiterentwicklung einer Konstante der spanischen Literatur.Stuttgart: Verlag für Wissenschaft und Forschung, 1994, 90.
10Floeck, Wilfried: „Federico García Lorca:La Casa de Bernarda Alba.”In: Roloff, Volker (Hrsg.):Das Spanische Theater: Vom Mittelalter bis zur Gegenwart.Düsseldorf: Schwann Bagel, 1988, 374.
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als „Kerkermeisterin“ auf die Spitze getrieben wird, bekräftigt García Lorca mehrfach den realistischen Anspruch des Dramas. Sein expliziter Hinweis, die Tragödie im Stil eines „documental fotográfico“ zu inszenieren, sowie der in zwei Lorca-Biographien überlieferte Kommentar, wonach er den „reinen Realismus“ seines Dramas hervorhebt, lassen sich mit diesem teilweise höchst surreal wirkenden andalusischen Dorfleben scheinbar nur sehr schwer in Einklang bringen.11Für Ruiz Ramón handelt es sich bei García Lorcas Inszenierung des Andalusischen deshalb nicht um Realität, sondern um „ein Zeichen“, „und als solches steht es für ein System und einen Normenkodex und nicht für eine Region oder ethische Einheit.“12Demgegenüber präsentieren die Soziologen Pitt-Rivers und Gil-more in ihren Arbeiten ein Andalusien, das genau jene gesellschaftlichen Strukturen und Themen beinhaltet, welche in den „dramas rurales“ beschrieben werden, so dass sich Lorcas drastische Darstellungsweise zu bestätigen scheint, insbesondere auch in Bezug auf die archaischen Wurzeln des Andalusischen.13
El estudio interesa por varias razones. Constituye una documentación y explicación sociológica parcial delfenómeno andaluz,del cual muchos elementos aparecen en estas tres obras. Es decir, que pertenecen a la realidad y no a una visión folklórica de las costumbres andaluzas, estilo Fernán Caballero. Es también interesante porque esboza una estrecha relación entre el pueblo andaluz y aquella civilización primaria que por razones religiosas creó lo que llamamostragedia.14
Josephs und Caballero sprechen sich somit eindeutig gegen die Vorstellung aus, das Andalusische sei lediglich als zeichenhafter „Normenkodex” zu verstehen - die Parallelen zwischen der andalusischen Realität und Lorcas „dramas rurales” sind für sie zu offensichtlich: „Por oscuros que puedan ser los mitos que van encarnando la tierra y la sociedad andaluzas, siempre sentimos que todo ese material forma parte de un conocimiento de realidad.”15
11Das Originalzitat „¡Ni una gota de poesía! ¡Realidad! ¡Realismo!“ erschien in der ersten Lorca-Biographie von Ángel del Río und stützt sich auf einen Artikel inCarteles,La Habana, vom 10. April 1938 von Adolfo Salazar. Auch Gibson greift diese Anekdote auf: „Jedesmal, wenn er eine Szene fertig hatte, kam er angerannt, glühend vor Begeisterung: Kein bisschen Dichtung! Realität!“ Gibson,Federico García Lorca. Biographie,578.
12Ruiz Ramón, Francisco: „Die Entwicklung des dramatischen Textes der Gegenwart: fünf spanische Paradigmen“. In: Floeck, W. (Ed.):Spanisches Theater im 20. Jahrhundert (Gestalten und Tendenzen).Tübingen: Francke, 1990, 29.
13Pitt-Rivers, J.A.:The People of the Sierra.Chicago & London: Phoenix Books, UCP, 1961. Gilmore, David D.:Aggression and Community: paradoxes of Andalusian culture.New Haven: Yale University Press, 1987.
14Josephs; Caballero, „Dos tragedias andaluzas”, 59-60.
15Ibid, 51.
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Mehr Einigkeit herrscht jedoch in Bezug auf die grundlegende Bedeutung des andalusischen Kontexts, ungeachtet der Frage, ob er nun bloßes „Zeichen“ oder faktische Realität darstellt, da dieser in den „dramas rurales“ auf unmittelbare Weise mit Dramaturgie und Handlung verknüpft wird. Obwohl weder die genaue Verortung des Dramenschauplatzes noch seine regionalen Einflüsse17jemals expliziert werden, gelingt es Lorca, eine regelrechte „Inszenierung“ des Andalusischen und des „fenómeno andaluz“ auf die Bühne zu stellen: „Esto es tan aplicable al teatro como a la poesía, especialmente enBodas de sangre, YermayLa Casa de Bernarda Alba,donde ocurre una escenificación de la realidad andaluza, no realismo, sino ‚nuevas e ignoradas perspectivas de esa realidad’, lo que equivale a decir escenificación delfenómeno andaluz.”18
Das Andalusische trägt somit nicht nur zur semantischen und soziokulturellen Einheitlichkeit bei, sondern es transportiert gleichzeitig die zentralen Themen der „dramas rurales“. Auf diese Weise fungiert Andalusien sowohl als Schaubühne für das dramatische Geschehen, als auch gewissermaßen als „stumme Figur“, welche die Handlung im Sinne des „fenómeno andaluz“ entscheidend prägt und strukturiert.20Analog zu Jurij M. Lotmans Theorie der „Semantisierung des Raumes“ kann daher in Bezug auf die „dramas rurales“ von einer „Semantisierung des Andalusischen“ gesprochen werden, womit im Folgenden die Dramatisierung und Inszenierung des Andalusischen bezeichnet wird.21
Eine Analyse vonBodas de sangre, YermaundLa casa de Bernarda Albasoll zeigen, auf welche Art und Weise diese Semantisierung des Andalusischen mit der dramatischen Struktur der „dramas rurales“ zusammenhängt.
17Lorca unterscheidet sich darin vom Theater seiner Zeit. Bei den irischen Dramatikern, beispielsweise bei Synge, Friel, Heaney und O’Brien ist die Nennung realer Ortsnamen sowie die explizite Erwähnung des Schauplatzes, in ihrem Fall das ländliche Irland, nichts Ungewöhnliches.
18Josephs; Caballero, „Dos tragedias andaluzas”, 51-52.
Andrés Soria Ortega versucht in „Notas sobre el andalucismo de Lorca“ eine „neutrale” Definition des „andalucismo“ zu geben: „El proceso histórico ideológico que transcurre de 1869 a 1936 con una dinámica de transformación del pueblo andaluz.” In:Valoración actual de la obra de García Lorca. Actas del coloquio celebrado en la Casa de Velázquez.Madrid: Universidad Complutense, 1988, 183.
20Der Begriff der stummen Figur („personaje mudo“) stammt von Francisco García Lorca, der ihn auf die Rolle von „la casa“ inLa casa de Bernarda Albabezieht. García Lorca, Francisco:Federico y su mundo.Madrid: Alianza Editorial, 1981, 382.
21Lotman, Jurij M.:Die Struktur literarischer Texte.4. unveränderte Auflage. München: Fink, 1993, 311ff.
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Trotz ihrer „poderosa unidad“, welche die DramenBodas de sangre, YermaundLa casa de Bernarda Albaohne Zweifel verbindet, hatte Lora ursprünglich einen anderen Abschluss für seine „trilogía dramática de la tierra española“ vorgesehen.22Der eigentliche Abschluss dieser Trilogie sollte - laut einem Interview von 1933 mit Lorca inEl Heraldo de Madrid- durch ein Werk mit dem TitelLa destrucción de Sodoma/Las hijas de Lothgebildet werden, von dem Lorca jedoch nicht mehr als den dritten Akt schreiben konnte und das als „trilogía bíblica“ geplant war.23Auch von Lorcas Freundeskreis, dem er in seinem Todesjahr 1936 die fertige Fassung vonLa casa de Bernarda Albavortrug, sind keinerlei Aussagen überliefert, wonach damit die Vollendung seiner Trilogie einherginge; aus diesem Grund ist fraglich, obLa casa de Bernarda Albavon Lorca überhaupt jemals als Teil der „trilogía dramática de la tierra española“ beabsichtigt worden war.
Die Unterschiedlichkeit der drei Dramen kommt nicht zuletzt in ihrem jeweiligen Untertitel zum Ausdruck. BeiBodas de sangrelautet dieser schlicht „tragedia“, beiYermahandelt es sich um ein „poema trágico“ und beiLa casa de Bernarda Albawählt Lorca den ausführlichen Titel „Drama de mujeres en los pueblos de España“.24Trotz dieser gattungsspezifischen Unterschiede besitzen die „dramas rurales“ große stilistische und inhaltliche Gemeinsamkeiten, von denen die auffälligste ihr Schauplatz ist, der sich eindeutig am ländlichen Andalusien inspiriert. „Lo que tienen en común las tres es el campo andaluz y sus campesinos como personajes; y es esto, elfenómeno andaluzque tienen en común, lo que ha despistado o confundido a ciertos críticos.”25Dieser Umstand hat dazu geführt, die drei Dramen unter dem Oberbegriff „dramas rurales“, „teatro rural“ oder „tragedias rurales“ zusammenzufassen.
22Doménech, Ricardo: „Símbolo, mito y rito en La casa de Bernarda Alba”. In: Doménech, Ricardo (ed.):La casa de Bernarda Alba y el teatro de García Lorca.Madrid: Cátedra, 1985, 189.
23Gibson,Federico García Lorca. Biographie,477.
24Die hier zitierten Ausgaben sind: García Lorca, Federico:Bodas de Sangre.Hg. von Allen Josephs und Juan Caballero. 16. Auflage. Madrid: Cátedra, 2002.Yerma.Hg. von Ildefonso-Manuel Gil. 25. Auflage. Madrid: Cátedra: 2003.La Casa de Bernarda Alba.Hg. von Joaquín Forradellas. 31. Auflage. Madrid: Colección Austral, 2001.
25Josephs; Caballero, „Dos tragedias andaluzas”, 61.
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Doménech weist darauf hin, dass diese Bezeichnungen allesamt irreführend seien, weil sie in Konflikt gerieten mit der bestehenden Tradition des „teatro rural“:
En efecto, con el nombre deteatro ruraly dedrama ruralse conoce en el teatro español moderno una tendencia originada a finales del siglo XIX y prolongada bien entrado ya el siglo XX, en la que destacan nombres como los de Feliu y Codina, Federico Oliver, Joaquín Dicenta, López Pinillos e incluso Benavente […]. Independientemente de que dicha tendencia, tenida por realista, presenta el mundo rural español de una forma tópica y melodramática, entre ella y este teatro de Lorca hay… un abismo. En este teatro de Lorca no sólo encontramos ambiente rural; encontramos también, a diferencia del teatro de aquellos autores, un lenguaje simbólico, una identificación del teatro con los viejos ritos agrarios, una actualización mítica.26
Lorcas Einordnung als Vermittler des „ewig Spanischen“, als „folkloristischer Dramatiker“ und als „Heimatschriftsteller“ gründet in nicht zu unterschätzendem Maß auf dieser vermeintlichen Fortführung einer populären Theatertradition.27Auch wenn die Bezeichnung „dramas rurales“ in der Tat eine gefährliche Nähe zum „teatro rural“ des 19. Jahrhunderts herstellt, soll dennoch aus zwei Gründen weiter daran festgehalten werden. Zum einen ist der Begriff der „dramas rurales“ in der Lorca-Rezeption fest etabliert und eindeutig definiert: Innerhalb von Lorcas dramatischem Werk ist dadurch eine Verwechslung mit anderen Dramen ausgeschlossen. Zum anderen wird dadurch unmissverständlich Lorcas Festhalten an traditionellen Formen und Inhalten deutlich, jedoch nicht auf eine Weise, wie sie der Dramentradition des „teatro rural“, beispielsweiseLa malquerida(1913)28von Benavente entspricht, sondern mit der dezidierten Absicht, die Erwartungen des Zuschauers zu durchkreuzen und eine mögliche Identifikation mit den Dramenfiguren zu erschweren. In diesem Punkt lässt sich Lorcas Dramenkonzeption durchaus mit der eines Ramón del Valle-Inclán vergleichen, allerdings mit dem Unterschied, dass Lorca nicht zuletzt wegen seiner Semantisierung des Andalusischen „fama mundial“ erlangte. Auf einer Achse zwischen den beiden Polen des volkstümlichen „teatro rural“ und des avantgardistischen „esperpento“ wäre Lorca somit in der Mitte anzusiedeln. Seine „dramas rurales“ verkörpern demzufolge exakt jene Gegensätzlichkeit
26Doménech,El teatro de García Lorca,190-191.
27Freymüller,Das Bild der Frau in Federico García Lorcas dramatischen Werken,11.
28Auch von Benavente gibt es eine Art ländliche Dramen-Trilogie, zu derLa malquerida, Señora AmaundLa Infanzonagezählt werden. „Zu den dramas rurales gehört unter anderem das in den letzten Jahren wieder aufgeführteLa malquerida(1913), das gewisse Ähnlichkeiten mit den ländlichen Dramen Lorcas aufweist.“ Neuschäfer,Spanische Literaturgeschichte,303.
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aus Konvention und Verfremdung, welche Rogmann als wesentliches Merkmal des Dramas des 20. Jahrhunderts bestimmt: „Der Rückgriff auf die Tradition, insbesondere die nationale, zum Zwecke der Erneuerung ist eines der Kennzeichen der Kultur des 20. Jahrhunderts; das andere, wichtigere, ist der Bruch damit.“29Die Inszenierung des Andalusischen verbindet sich in Lorcas „dramas rurales“ aus diesem Grund - trotz sprachlicher und kultureller „Volkstümlichkeit“ - immer mit scharfer Sozialkritik; im „teatro rural“ des 19. und 20. Jahrhunderts dominiert hingegen eine Andalusien-Darstellung, die hauptsächlich unterhalten will und den neu entdeckten Nationalcharakter des Andalusischen feiert.
Por encima de ese problema existe otro que es la confusión por la perversión del folklore español, y andaluz en particular, que encierra toda noción de la ‘España de pandereta’ o ‘la españolada’. Este peligro lo ha visto muy bien Marcelle Auclair: ‘Pero Andalucía se ha ido convirtiendo en sinónimo de flores en la cabeza, de macetas de geranios, de guitarras y castañuelas; ‘España de pandereta, inventada por los turistas, según los españoles, y que ellos no hicieron más que adoptar.30
InHistoria de Andalucíaist gar von einer regelrechten „Manipulation“ des Andalusischen zum Zwecke der Begründung einer spanischen Nationalkultur die Rede:
Para dotar al nacionalismo español de símbolos y otros elementos culturales,lo andaluzes convertido, previa manipulación, en bandera y representación de España, en etiqueta de exportación y en reclamo para la entrada de divisas turísticas. Se trata de una acentuación, hasta extremos nunca antes conocidos, del ya repetidamente señalado tópico de ‘Andalucía,esenciade España’, utilizado ahora, no precisamente con la intención de regenerar a España a través de Andalucía, sino más bien para crear la imagen de una determinada España por medio de la manipulación de lo andaluz.31
Bei dieser einseitigen Darstellung des „andalucismo“ handelt es sich jedoch nicht nur um eine Erscheinung des „teatro rural“, sondern vielmehr um ein Phänomen des gesamten 19. Jahrhunderts, das insbesondere seine wichtigste literarische Gattung, den Roman, betrifft.
29Rogmann, Horst: „Federico García Lorcas Theater: VariationeneinesThemas.” In: Floeck, Wilfried (Hrsg.):Spanisches Theater im 20. Jahrhundert: Gestalten und Tendenzen.Tübingen: Francke, 1990, 151.
30Josephs; Caballero, „Dos tragedias andaluzas”, 50.
31Moreno Navarro, Isidoro: „Hacia la generalización de la conciencia de identidad” (1936-1981). In:Historia de Andalucía VIII: La Andalucía Contemporánea (1868-1981).Madrid: CUPSA Editorial, 1981, 275.