Die Söhne des Abgrunds - Jules Verne - E-Book

Die Söhne des Abgrunds E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Phileas Fogg und seine Gefährten befinden sich auf der Reise nach Genf, um Baron Frankenstein aufzusuchen, der Fogg als Kind behandelt und ihm die Erinnerungen an seinen Bruder Aaron geraubt hat. Bereits auf der Zugfahrt ereignen sich mysteriöse Zwischenfälle, denen es zu verdanken ist, dass Fogg und seine Begleiter die Bekanntschaft mit einem jungen Engländer namens Fayne machen. Doch kaum sind sie in der Schweiz angekommen, ist der Mann spurlos verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. Phileas Fogg geht der Sache nach und kommt dabei Victor Frankenstein in die Quere. Zudem tauchen immer wieder dunkle Schatten am Himmel auf, die an riesige Vögel erinnern. Und auch im Haus des alten Barons warten auf Fogg und seine Freunde allerhand seltsame Überraschungen. Als plötzlich in einer dramatischen Nacht alle Masken fallen, wird Phileas Fogg unvermittelt vor die wichtigste Entscheidung seines Lebens gestellt.

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In dieser Reihe bisher erschienen:

4901 Die schwarze Perle des Verderbens

4902 Verschollen unter dem Meer

4903 Die vergessene Kolonie

4904 Die Söhne des Abgrunds

4905 Weiße Hölle – schwarzes Gold

4906 Gefahr für Eden 2

DIE SÖHNE DES ABGRUNDS

JULES VERNE – DIE NEUEN ABENTEUER DES PHILEAS FOGG

BUCH VIER

MARC FREUND

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

© 2024 Blitz Verlag & martim eBooks

Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH

Mühlsteig 10 • A-6633 Biberwier

Redaktion: Danny Winter

Titelbild & Logogestaltung: Mark Freier

Alle Rechte vorbehalten

eBook Satz: Gero Reimer

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-689-84099-0

1004 vom 27.07.2024

1

„Fahren Sie in die Schweiz! Holen Sie sich Ihre Erinnerungen zurück!“

Dieser Satz hämmerte durch Foggs Kopf wie ein immer wiederkehrendes Mantra. Es wurde eins mit dem Rattern des Zugs auf den Schienen. Die Geräusche vermengten sich und ließen den Abenteurer Phileas Fogg unruhig im Halbschlaf vor sich hinmurmeln.

Nur wenige Tage war es her, dass er tief unterhalb des Atlantiks auf seinen härtesten Widersacher gestoßen war: Victor Frankenstein.

Der Mann hatte ihm in dem unterirdischen Labyrinth, in dem sie auf eine bewohnte Stadt gestoßen waren, ein erstaunliches Geheimnis offeriert. Sie beide kannten sich bereits, als sie noch Kinder waren.

Fogg, der damals durch den Verlust seines Bruders Aaron regelrecht in eine Schockstarre verfallen war, wurde von seinen Eltern in die Schweiz gebracht. Ein anerkannter Nervenarzt sollte sich seiner annehmen. Und dieser Mann handelte. Er versetzte den jungen Fogg in einen tranceartigen Hypnosezustand und stahl ihm nicht nur seine Erinnerungen an das entsetzliche Ereignis, sondern auch an die Existenz seines Bruders. Fogg vergaß für viele Jahre, dass es einen älteren Jungen an seiner Seite gegeben hatte.

Erst Frankensteins Erscheinen hatten die Erinnerungen wieder heraufbeschworen. Wie ein Blitz hatten sie Foggs Gehirn durchzuckt.

Und doch gab es noch zu viel, das im Dunkeln lag. Zu viele Dinge verwirrten Foggs Geist. Wie viel von dem, was Frankenstein ihm erzählt hatte, konnte er glauben?

Immer wenn er seine eigenen Erinnerungen bemühte, stieß er gegen eine unsichtbare Barriere. Ein Hindernis, das sich in seinem Kopf befand und dass es nun zu überwinden galt. Mit Hilfe des Mannes, der als einziger dazu in der Lage war: Alphonse Frankenstein, der Vater des Mannes, der ihm schon so oft nach dem Leben getrachtet hatte.

Möglicherweise gab es da auch noch mehr, das bis zum heutigen Tag im Verborgenen gelegen hatte. Ja, diese Reise an den Genfer See war unausweichlich gewesen, egal, ob Victor Frankenstein möglicherweise eine erneute Falle aufgestellt hatte oder nicht.

Sie waren bereits am Vortag von London aus aufgebrochen. Die Fähre von Dover hatte sie nach Calais, Frankreich, übergesetzt. Von Paris aus hatten sie schließlich den Zug bestiegen, in dem sie sich jetzt befanden und der die Nacht an ihnen vorbeirattern ließ, in jenem geheimnisvollen, ratternden Rhythmus, dem sie alle verfallen waren.

Neben Fogg saß seine junge Frau Aouda. Sie hatte ihre Hände auf Foggs Arme gelegt. Hin und wieder beugte sie sich zu ihm herüber und betrachtete sorgenvoll sein Gesicht. Dabei entstand zwischen ihren unergründlichen dunklen Augen eine tiefe Stirnfalte, die ihr ein umso bezaubernderes Aussehen verlieh.

Ihnen gegenüber saß ihr gemeinsamer Freund und Diener Passepartout, mit einer auseinandergefalteten Zeitung und übereinandergeschlagenen Beinen, verzweifelt um eine halbwegs bequeme Sitzposition bemüht.

In Kürze würden sie die französisch-schweizerische Grenze passieren. Vor ihnen lag in jeder Hinsicht eine Reise ins Unbekannte. Niemand von ihnen wusste, was sie erwarten würde, am allerwenigsten Fogg selbst.

Er träumte. Unruhige, düstere Bilder wechselten sich vor seinem inneren Auge in immer schnellerer Reihenfolge ab. Er sah noch einmal seinen Bruder Aaron, der mit seinem selbst entwickelten Fluggleiter Anlauf nahm und direkt auf den Rand der Klippen zusteuerte. Ein plötzlich aufkommender Sturm hatte den Jungen und sein Fluggerät plötzlich davon getrieben, bis nichts mehr von ihm zu sehen gewesen war.

Wie viel von dem war wirklich geschehen und wieviel hatte ihm seine Fantasie hinzu fabuliert? Fogg sah sich selbst am Rand des Abgrunds stehen. Von hinten näherte sich langsam und siegessicher ein Schatten. Eine dunkle Gestalt, die beide Hände nach ihm ausstreckte. Fogg spürte einen heftigen Stoß im Rücken, der ihn nach vorne taumeln ließ.

Sein rechter Fuß trat ins Leere. Fogg strauchelte, kippte vornüber und fiel ins Bodenlose. Er öffnete den Mund zu einem langgezogenen Schrei.

Etwas traf ihn im Gesicht. Und noch einmal.

Eine Stimme drang aus weiter Ferne zu ihm her.

„Phileas, Liebster, wach doch endlich auf.“

Fogg blinzelte.

Aus der dunklen Schlucht, in die er eben noch gestürzt war, wurde das stickige Eisenbahnabteil. Er blickte Aouda in die Augen. Währenddessen spürte er seinen Herzschlag, der in einem entgegengesetzten Rhythmus zum Zug zu funktionieren schien.

Fogg atmete tief ein und wischte sich mit der rechten Hand den Schweiß von der Stirn. Er sah Aouda dankbar an und lächelte.

„Verzeih, Liebes. Ich muss eingeschlafen sein. Ich habe schlecht geträumt.“

Aouda legte ihm die Hand um den Nacken, zog ihn ein kleines Stück zu sich heran und küsste ihn.

„Besser?“

Fogg nickte eifrig und brachte sich in eine aufrechte Position. „Sehr viel besser. Wie weit noch?“

Der smarte Engländer versuchte, einen Blick aus dem Fenster zu erhaschen, doch da draußen war nichts als tiefschwarze Nacht.

„Wir dürften die Grenze gleich erreicht haben“, antwortete Passepartout mit einem Augenzwinkern. „Vielleicht sollten Sie versuchen, sich eine Weile damit abzulenken, Sir.“

Der Franzose bot seinem Herrn die ausgelesene Zeitung an, die dieser dankend ablehnte.

Fogg streckte sich, als plötzlich von nebenan ein polterndes Geräusch zu hören war, so als hätte jemand mit voller Wucht gegen die dünne Wand des Abteils geschlagen.

Die drei Reisenden tauschten einen fragenden Blick miteinander.

Dann ertönte von nebenan ein unterdrückter Schrei, und im nächsten Augenblick befanden sich Phileas Fogg und seine Freunde inmitten eines neuen, haarsträubenden Abenteuers.

* * *

Phileas Fogg war aufgesprungen. Vergessen war plötzlich die bleierne Müdigkeit. Mit einem einzigen Satz war er bei der Abteiltür und zog sie geräuschvoll auf.

Von nebenan drangen inzwischen weitere Leute an sein Ohr. Stimmen wurden laut. Dann ein erneutes Poltern.

Passepartout folgte seinem Herrn auf den Fersen. Im nächsten Moment waren die beiden Männer auf dem Gang, der leer und verlassen vor ihnen lag.

Fogg riss die Tür des Nachbarabteils ohne zu überlegen auf. Ein schneidender Wind fegte ihm ins Gesicht, der die Vorhänge vor der Tür durcheinander wirbelte.

Im Innern des Abteils herrschte ein trübes Dämmerlicht, was auf die teilweise erfolgte Demolierung der Innenbeleuchtung zurückzuführen war.

Zwei Männer waren dabei, einen dritten gegen das halb geöffnete Fenster zu drücken. Der Oberkörper des armen Teufels befand sich bereits im Freien, während der Mann verzweifelt versuchte, sich gegen den Angriff zu wehren.

Ohne zu zögern trat Fogg entschlossen auf den linken Angreifer zu und packte ihn im Nacken. Mit einer kraftvollen Bewegung riss er den Mann herum und drückte ihn auf die Sitzbank herunter.

Der dunkelhaarige, kräftige Kerl wurde von dem Angriff überrascht. Er riss ungläubig die Augen auf und starrte Fogg aus einer Mischung aus Irritation und Zorn an.

Gleichzeitig stürmte Passepartout von hinten heran und ging auf den zweiten Mann los, ein hagerer, hochgewachsener Mann mit fast schulterlangem, blonden Haar, das ihm in struppigen Strähnen vom Kopf hing und auf diese Weise unweigerlich an Stroh erinnerte.

Der Mann schrie auf, als Passepartout ihn packte und nach hinten zog. Stoff knirschte dabei. Die Jacke des Angreifers war eingerissen.

Fogg registrierte aus den Augenwinkeln, dass sich der junge Mann, dem der Überfall gegolten hatte, in Sicherheit brachte.

Keine Sekunde zu früh, wie sich zeigte, denn in diesem Augenblick schoss auf dem benachbarten Gleis wie aus dem Nichts in entgegengesetzter Richtung ein Zug an ihnen vorbei.

Phileas Fogg war für einen kurzen Moment abgelenkt. Er stieß einen überraschten Laut aus, als er mit einem Mal einen derben Tritt in die Bauchgrube kassierte, der ihn nach Luft ringend zurücktaumeln ließ.

Sofort sprang der Dunkelhaarige auf und setzte nach. Er schwang seine rechte Faust nach dem Engländer, der dem Schlag in der Enge des Abteils mehr durch Glück als durch bewusstes Handeln entging.

Fogg hatte seinen Oberkörper nach vorne gekrümmt, da ihm der heimtückische Tritt noch immer schier den Atem raubte.

Hinter ihm schrie jemand auf. Der Blonde hatte einen Faustschlag von Passepartout kassiert und schlug hart gegen Fogg, der damit gegen die Fensterscheibe katapultiert wurde.

Sofort sprang der Dunkelhaarige heran und wollte den Abenteurer am Jackenaufschlag packen. Doch dieses Mal war Fogg vorbereitet. Er sprang nach vorne, griff in derselben Bewegung nach dem Arm seines Gegners und drehte ihn auf den Rücken.

Der Mann ächzte, stieß einen wütenden Laut aus und ging im nächsten Augenblick in die Knie.

Auch Passepartout war es gelungen, seinen Gegner in Schach zu halten. Der Blonde blutete heftig aus der Nase, als der Franzose ihn mit einem Fuß gegen den Brustkorb auf der rechten Sitzbank regelrecht festnagelte.

„Was ist hier los?“, wollte Fogg wissen, der noch immer den Arm seines Gegners festhielt und ihn bei dem kleinsten Versuch der Gegenwehr noch ein Stück weiter nach hinten drehte.

„Die beiden Kerle haben mich überfallen“, sagte der junge Abteilnachbar plötzlich. „Sie wollten mich ausrauben.“

Der dunkelhaarige, glattrasierte Mann, der kaum älter als Mitte zwanzig sein mochte, war noch immer damit beschäftigt, seine Kleidung zu richten.

Mit einer beiläufigen Bewegung schloss er das Fenster. Die Vorhänge beruhigten sich nahezu auf der Stelle und gaben ihr gespenstisches Eigenleben auf.

„Ist das wahr?“, fragte Fog den auf dem Boden knienden Mann.

„Glauben Sie dem verlogenen Dreckskerl kein Wort“, stieß dieser hervor. „Und jetzt lassen Sie mich endlich los, oder …“

„Oder was?“, hakte Fogg nach. „Ich werde Sie nur loslassen, wenn Sie mir auf der Stelle schwören, mit diesem Unsinn aufzuhören.“

Fogg erntete einen keuchenden, abfälligen Laut.

„Also? Ich höre.“

„Ja, Herrgott!“, schrie der Mann am Boden. „Ich werde ruhig sein, wenn Sie nur endlich meinen Arm loslassen.“

Fogg wartete noch einige Sekunden ab, dann löste er den Griff und beobachtete, wie sich der Angreifer zu seinem Gefährten auf die Sitzbank gesellte. Er untersuchte dabei seinen Arm, als befürchte er, dieser könne durch Foggs Behandlung um einige Zentimeter länger geworden sein.

Der Engländer wandte sich an den jungen Reisenden. „Ist mit Ihnen alles in Ordnung, Sir?“

Der Mann rang sich ein Lächeln ab, dann nickte er.

„Ich denke schon.“ Er begann damit, seine Kleider abzuklopfen. „Allerdings vermisse ich meine Geldbörse.“

Fogg streckte wie automatisch seinen rechten Arm nach hinten aus, ohne seinen Blick von dem jungen Mitreisenden abzuwenden.

Es dauerte keine zwei Sekunden, da hatte der dunkelhaarige Angreifer den gesuchten Gegenstand mit einem grunzenden Geräusch in Foggs Hand gelegt.

Der Abenteurer betrachtete die Lederbörse für einen Augenblick, bevor er sie seinem Gegenüber präsentierte. „Ist die das?“

Der junge Mann lächelte dankbar. „Ja, die gehört mir.“

Fogg drehte sich zu den beiden Männern auf der Bank um und bedachte sie mit einem mahnenden Blick.

Der langhaarige Blonde zuckte mit den Schultern, während sein Kompagnon mit mürrischem Gesichtsausdruck demonstrativ aus dem Fenster blickte, wo es im Augenblick nicht das Geringste zu sehen gab.

„Ist die Angelegenheit für Sie damit erledigt?“, wollte Fogg von dem Mitreisenden wissen.

Der Mann atmete erleichtert aus. „Soweit es mich angeht, ja.“

Fogg lächelte, als er sich den beiden anderen zuwandte. „Und wie sieht es hier drüben aus?“

Passepartout, der am Eingang zum Abteil stand, konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Kurz darauf räusperte er sich dezent und nahm wieder eine würdige Haltung an.

Die beiden Männer auf der Sitzbank tauschten einen kurzen Blick miteinander, so als wollten sie abstimmen, wer das Antworten übernimmt. Die Wahl fiel auf den untersetzten Dunkelhaarigen.

„Wir würden jetzt gerne gehen.“

Der Mann wartete keine Antwort ab, sondern stemmte sich gleich darauf in die Höhe. Sein blonder Gefährte tat es ihm in der nächsten Sekunde gleich.

Fogg war klug genug, sie nicht daran zu hindern, um keine Eskalation des Streits zu riskieren.

Der Dunkelhaarige sah abwechselnd von einem zum anderen. Schließlich blieb sein Blick auf Fogg haften.

„Gut möglich, dass Ihnen das noch leidtun wird, Mister. Und was Sie angeht …“, er wandte den Blick zu dem Mitreisenden, „ … wir sind noch nicht fertig miteinander.“

Fogg sah die beiden Männer grimmig an, bevor er eine ausladende Handbewegung in Richtung der Tür vollführte.

„Wenn ich bitten darf?“

„Nichts lieber als das“, grummelte der Blonde und war im nächsten Moment an Passepartout vorbei durch die Tür geschlüpft.

Fogg sah den beiden Männern noch eine Weile nach, bis sie den Gang passiert hatten und im angrenzenden Wagen verschwunden waren.

Dann erst wandte er sich dem jungen Mann an seiner Seite zu.

„Ich würde vorschlagen, dass Sie Ihre Reise in unserem Abteil fortsetzen. Dort ist es zwar genauso kalt wie hier, aber Sie befinden sich zumindest in Gesellschaft und sind sicher vor weiteren Übergriffen.“

Der junge Mann lachte kurz auf. „Dieses Angebot nehme ich dankend an, Sir. Mein Name ist übrigens Timothy Fayne, und ich danke Ihnen sehr für Ihre Rettungsaktion.“

Fogg winkte ab. „Nicht der Rede wert. Wir Engländer müssen doch schließlich zusammenhalten, nicht wahr?“

Von der Abteiltür ertönte ein dezentes Hüsteln.

„Ja, ich weiß, Passepartout“, entgegnete Fogg lachend, „auch Franzosen schließe ich darin ein.“

* * *

Die Weiterfahrt nach Genf verlief ohne weitere Zwischenfälle, und auch die beiden Männer ließen sich vorläufig nicht mehr sehen.

Der junge Reisende stellte sich als Schulabsolvent aus dem englischen Bristol heraus, der nach Genf reiste, um in der malerischen Umgebung ein wissenschaftliches Studium an der dortigen Universität aufzunehmen.

In der schönen Stadt in der Schweiz angekommen, verließen die Reisenden den Zug.

Von den beiden Männern, die Timothy Fayne angegriffen hatten, fehlte jede Spur. Wahrscheinlich, so vermutete Fogg, hatten sie längst das Weite gesucht.

In der Nähe des Bahnhofs stießen sie auf einen Droschkenstand und wurden sich mit dem Kutscher, einem uralten Männlein mit schlohweißem Haar und zahnlosem Mund, schnell einig.

Sie verzurrten ihr Gepäck und nahmen im Innern der Kutsche Platz.

Ihr Weg führte sie ein Stück weit durch die Stadt, unmittelbar am Ufer des Genfer Sees vorbei und durch die Grünanlagen des Viertels Sécheron. Vor einem großen, mit dunklem Holz verzierten Fachwerkhaus ließ der Alte die Kutsche ausrollen und befahl seinen beiden Pferden lautstark, stehenzubleiben.

Die Schimmel trippelten für einen Moment nervös auf der Stelle, bevor sie stillstanden.

Phileas Fogg drückte dem Alten ein paar Silbermünzen in die Hand, die den geforderten Fahrpreis weit überstiegen.

Der Kutscher grinste und deutete mehrfach eine Verbeugung an, bevor er die Zügel wieder aufnahm und mit einem glückseligen Lächeln anfuhr.

Die Sonne war bereits über dem See aufgegangen und spiegelte sich in dem ruhigen Wasser. Vögel zwitscherten in den Kronen der hohen Eichen. Die Natur erwachte zum Leben.

Fogg und Passepartout griffen nach dem abgeladenen Gepäck und visierten den Eingang des Gasthauses an, über dem ein weiß gestrichenes Schild prangte: Zum Schwan.

„Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mich bis hierher mitgenommen haben“, erklärte Fayne, der nun seinerseits seine etwas schäbig wirkende Reisetasche an sich nahm und hinter den anderen her marschierte. „Allerdings weiß ich nicht, ob ich mir diese Art Herberge werde leisten können.“

Fogg drehte sich zu ihrem neuen Reisegenossen um und zwinkerte ihm zu. „Lassen Sie das nur meine Sorge sein. Ich werde mich um ein Zimmer für Sie kümmern, solange bis Sie eine andere Unterkunft gefunden haben.“

Damit bewegte er sich entschlossen auf die dunkle Holztür mit den eisernen Beschlägen zu und öffnete.

Im nächsten Moment fanden sich die Reisenden in einem großen Schankraum wieder, in dem ein grauhaariger, bulliger Mann von etwa fünfzig Jahren hinter dem Tresen stand und ihnen aus wasserblauen Augen entgegensah.

Er legte mit seiner Rechten eine dicke Zigarre beiseite, in einen kristallenen Aschenbecher, ohne seinen Blick von den neuen Gästen zu wenden.

„Bitteschön, meine Dame, meine Herren, was darf es sein?“

Seine Stimme klang ein wenig rau, so als würde der Mann neben dem Rauchen auch hin und wieder einem anderen Laster nachgehen.

Phileas Fogg trat bis an den Schanktresen heran und deutete auf seine Begleiter und auf sich.

„Wir benötigen drei Zimmer. Eines davon sollte ein Doppelbett beinhalten.“

Der Wirt blickte für einen Moment zu Aouda herüber. Es schien ihm schwerzufallen, seine Augen weiter schweifen zu lassen.

„Verstehe“, sagte er schließlich, langte unter den Tresen und zog ein großes, in Leder gebundenes Buch hervor, das er geräuschvoll auf das blankgeputzte Holz krachen ließ.

„Drei Zimmer, das sollte möglich sein“, gab er zurück und blätterte geschäftig in dem Buch herum, bis er offenbar die gesuchte Stelle gefunden hatte. Er drehte das Buch herum und schob es mit seinen klobigen Fingern Fogg hin.

„Wenn Sie sich bitte alle in das Gästebuch eintragen wollen? Ich sage inzwischen Hugo Bescheid, dass er die Zimmer herrichten soll. Das Doppelzimmer befindet sich oben unter dem Dach. Sie werden es dort sehr ruhig haben.“ Der Wirt zwinkerte nacheinander Fogg und Aouda zu, dann strich er sich selbstgefällig über die Enden seines hängenden Schnauzbarts.

Mit seiner rechten Hand schlug er auf eine Klingel, die am Ende des Tresens stand. „Hugo? HUGO!“

Während Fogg die Eintragungen für Aouda und sich selbst vornahm, blickten Passepartout und Timothy Fayne erwartungsvoll zu der breiten Schwingtür hinüber, hinter der sich, offenbar aus einiger Entfernung, hastige Schritte näherten.

Schließlich wurde die Tür aufgestoßen und ein livrierter Angestellter, Hugo, tauchte auf. Ein wenig atemlos richtete er sich das dunkle Haar und setzte seine Kopfbedeckung gerade.

„Sie haben gerufen, Herr Fux?“

Der Gastwirt, der sich von seiner Seite des Tresens über das Gästebuch beugte, um ja keinen Strich zu verpassen, den Fogg mit eleganten Handbewegungen und der bereitgestellten Feder führte, deutete ohne seinen Blick abzuwenden auf das Gepäck.

Der junge Hugo, er mochte kaum zwanzig Jahre alt sein, nickte.

Beflissen machte er sich daran, sich einen Koffer unter den Arm zu klemmen und die anderen in die Hände zu nehmen.

Fogg reichte indes die Feder an Timothy Fayne weiter, der auf der nächsten freien Seite seine Eintragung vornahm.