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In "die Sonne, mein Herz" schlägt Thich Nhat Hanh auf einzigartige Weise eine Brücke zwischen Wissenschaft und Spiritualität, zwischen Ost und West. Er zeigt, dass die Kluft zwischen der rationalen Weltsicht einerseits und der Spiritualität andererseits im Grunde nicht existiert. Anhand alltäglicher Beispiele verdeutlicht er, dass wir die Welt auch anders wahrnehmen können. Durch Meditation und Achtsamkeit im ganz normalen Leben können wir sie in neuem Licht betrachten – als ungetrennt von uns selbst. In dieser tiefen Erfahrung werden alle Objekte gleichrangig – ob es nun Bäume oder Gedanken sind. Wir fühlen uns mit allem verbunden. Thich Nhat Hanh versteht es wie kein anderer, subtile Erfahrungen auf sehr einfache Weise und alltagsnah zu beschreiben. In diesem Klassiker sprüht der berühmte Zen-Meister vor Weisheit und Poesie und besticht durch seinen eindringlichen, knappen Stil. Ein Pionierwerk von einem der bedeutendsten Meditationslehrer als vollständige Hardcoverneuausgabe mit 19 schönen Kalligraphien.
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Seitenzahl: 170
Aus dem Englischen von Karen Siebert
Die Sonne - mein Herz
Aus dem amerikanischen Englisch von Karen Siebert
Knaur e-books
Seit Anbeginn sind sich Meditierende dessen bewusst, dass sie ihre Einsichten und Erkenntnisse stets im Lichte ihrer persönlichen Wahrnehmung und in einer zeitgemäßen Sprache zum Ausdruck bringen müssen. Weisheit ist ein lebendiger Strom, keine Ikone, die man im Museum verwahrt. Die oder der Praktizierende muss die Quelle der Weisheit im eigenen Leben entdecken, um sie den kommenden Generationen zugänglich zu machen. Wissen wir erst einmal, wie wir uns einen Pfad durchs Dickicht bahnen, auf dem wir vorwärtsschreiten, ist es sodann unsere Aufgabe, das Licht der Weisheit nicht mehr erlöschen zu lassen.
Unsere Einsichten und Ausdrucksweisen sind untrennbar verbunden mit der Zeit, in der wir leben. Viele Jahre lang ist der Osten dem Westen auf dem Weg der technologischen und materiellen Entwicklung gefolgt; dabei hat er schließlich die eigenen spirituellen Werte fast vergessen. In unserer Welt ist die Technologie zur treibenden Kraft in Wirtschaft und Politik geworden; allmählich beginnen jedoch die Menschen, die führend in der Forschung sind, Ähnlichkeiten mit den Dingen zu entdecken, die spirituelle Traditionen des Ostens bereits vor langer Zeit herausgefunden haben. Bleibt uns genügend Zeit für einen Wandel, so gibt es eine Chance, die Kluft zwischen Wissenschaft und Spiritualität zu überbrücken. Osten und Westen können sich dann auf dem Weg, den wahren Geist zu erforschen, die Hände reichen. Die Menschen, in denen die Samen zu diesem bedeutsamen Unternehmen bereits keimen, können ihre Arbeit in Richtung auf diese Übereinkunft schon jetzt beginnen, indem sie ihr Alltagsleben achtsam gestalten.
Dieses kleine Buch soll nicht irgendwelches Wissen des Autors zur Schau stellen (tatsächlich hat er da gar nicht so viel vorzuweisen). Es soll eher ein Freund als ein Buch sein. Du kannst es bei dir tragen, wenn du U-Bahn fährst, so wie einen Mantel oder Schal. Jederzeit kann es dir eine kleine Freude bereiten. Vielleicht liest du ein paar Zeilen, schließt es wieder und legst es in die Tasche zurück; und später liest du dann wieder einige Zeilen. Gelangst du zu einem Kapitel, das dir schwierig oder kompliziert erscheint, so kannst du einfach weiterblättern und an anderer Stelle weiterlesen. Später kommst du vielleicht darauf zurück und findest es jetzt gar nicht mehr so kompliziert. Das letzte Kapitel liest sich sehr angenehm; du kannst auch damit beginnen.
Beziehe dich bitte stets auf deine eigenen Erfahrungen, wenn du dieses Buch verstehen willst. Lass dich nicht von irgendwelchen Worten oder Vorstellungen einschüchtern. Nur wenn du dich gewissermaßen selbst zur Autorin, zum Autor machst, findest du die Freude und die Kraft, die du benötigst, um dich auf die Reise von der Achtsamkeit zur Erkenntnis zu begeben.
Heute kamen drei Kinder aus dem Dorf, zwei Mädchen und ein Junge, und wollten mit Thanh Thuy spielen. Alle vier rannten zum Hügel hinter dem Haus, um dort zu spielen. Nach vier Stunden erst kamen sie zurück und wollten etwas trinken. Ich nahm die letzte Flasche von unserem selbst gemachten Apfelsaft und schenkte allen ein Glas ein, zuletzt Thuy. Sie hatte nun den Rest vom Boden der Flasche bekommen; er enthielt etwas Fruchtfleisch und war eingetrübt. Sie schmollte und wollte den Saft nicht trinken. So lief sie mit den anderen Kindern zurück zum Hügel, ohne etwas getrunken zu haben.
Eine halbe Stunde später, als ich gerade in meinem Zimmer meditierte, hörte ich sie rufen. Sie wollte gern ein Glas Wasser trinken, aber auch auf Zehenspitzen reichte sie noch nicht an den Wasserhahn heran. Ich erinnerte sie an ihr Glas Saft auf dem Tisch und bat sie, dieses doch zuerst zu trinken. Sie drehte sich zum Glas um und stellte fest, dass das Fruchtfleisch sich gesetzt hatte und der Saft ganz klar und appetitlich aussah. So ging sie zum Tisch und nahm das Glas in beide Hände. Sie trank es zur Hälfte aus, setzte es ab und sagte: »Ist das ein anderes Glas, Onkel Mönch?« (eine übliche Anrede vietnamesischer Kinder, wenn sie mit einem älteren Mönch reden). »Nein«, erwiderte ich, »es ist dasselbe Glas. Es hat hier nur eine Weile gestanden, und nun ist der Saft ganz klar und köstlich.« Thuy betrachtete erneut das Glas. »Er ist wirklich gut. Hat er meditiert so wie du, Onkel Mönch?« Ich musste lachen und streichelte ihr über den Kopf. »Sagen wir einmal so: Ich ahme den Apfelsaft nach, wenn ich still sitze – das kommt der Wahrheit am nächsten.«
Jeden Abend, wenn es Zeit ist für Thuy, ins Bett zu gehen, setze ich mich zur Meditation nieder. Sie schläft in diesem Raum, ganz in meiner Nähe. Wir haben die Abmachung, dass sie leise ins Bett geht, während ich sitze. In dieser friedvollen Atmosphäre kommt sie schnell zur Ruhe und ist meistens schon nach fünf bis zehn Minuten eingeschlafen. Wenn ich aufstehe, decke ich sie zu.
Thanh Thuy ist ein Kind der Boat People, keine viereinhalb Jahre alt. Zusammen mit ihrem Vater überquerte sie das Meer und kam letztes Jahr im April in Malaysia an. Ihre Mutter ist in Vietnam geblieben. In Frankreich angekommen, ließ ihr Vater sie für mehrere Monate hier bei uns, um sich in Paris Arbeit zu suchen. Ich brachte ihr das vietnamesische Alphabet bei und einige vietnamesische Volkslieder. Sie ist sehr intelligent, und nach nur zwei Wochen war sie in der Lage, eine Geschichte von Leo Tolstoi zu buchstabieren und langsam vorzulesen, einen Text, den ich aus dem Französischen ins Vietnamesische übersetzt hatte.
Jeden Abend sieht Thuy mich sitzen. Ich habe ihr gesagt, dass ich »in Meditation sitze«, ohne ihr näher zu erklären, was das ist und warum ich das tue. Jeden Abend sieht sie, wie ich mir das Gesicht wasche, meine Robe anziehe und ein Räucherstäbchen anzünde, damit es im Raum duftet. Dann weiß sie, es ist Zeit für meine Meditation und damit Zeit für sie, sich die Zähne zu putzen, den Pyjama anzuziehen und leise ins Bett zu gehen. Nie habe ich sie daran erinnern müssen.
Zweifellos dachte sie, der Apfelsaft habe eine Weile dagestanden, um klar zu werden, genau wie ihr Onkel Mönch. »Hat er meditiert so wie du?« Ich glaube, im Alter von nicht einmal viereinhalb Jahren versteht Thanh Thuy den Sinn der Meditation ohne jede Erklärung. Nach einer Zeit des Ruhens wurde der Apfelsaft ganz klar. So ergeht es auch uns, nachdem wir eine Weile still in Meditation gesessen haben. Diese Klarheit gibt uns Kraft und Gelassenheit. Fühlen wir uns wieder frisch, überträgt sich das auf unsere Umgebung. Kinder fühlen sich in unserer Nähe wohl, und dies keineswegs nur, weil sie auf Süßigkeiten und Geschichtenerzählen aus sind. Sie suchen unsere Nähe, weil sie diese »Frische« fühlen.
Heute Abend ist ein Gast gekommen. Ich fülle den Rest des Apfelsafts in ein Glas und stelle es auf den Tisch in der Mitte des Meditationsraumes. Thuy ist bereits eingeschlafen, und ich bitte den Gast, ganz still dazusitzen, so still wie der Apfelsaft.
So sitzen wir etwa vierzig Minuten. Ich sehe, wie mein Freund lächelt, als er den Apfelsaft betrachtet. Dieser ist jetzt ganz klar. Und du, mein Freund, bist du es auch? Selbst wenn du noch nicht gänzlich zur Ruhe gekommen bist wie dieser Apfelsaft, fühlst du dich nicht bereits etwas weniger aufgeregt, weniger zappelig, weniger durcheinander? Da ist noch die Spur eines Lächelns auf deinen Lippen zu sehen, aber mir scheint, du zweifelst an deiner Fähigkeit, auch so ruhig und »gesetzt« zu werden wie der Apfelsaft, selbst wenn wir noch stundenlang hier sitzen.
Das Glas Apfelsaft steht auf einem festen Untergrund. Du aber sitzt nicht so sicher, so stabil. Diese kleinen Partikel vom Fruchtfleisch folgen nur einem einfachen Naturgesetz, indem sie langsam auf den Grund des Glases sinken. Deine Gedanken folgen jedoch keinem solchen Naturgesetz. Ganz im Gegenteil, hektisch summen sie durch die Gegend wie ein Bienenschwarm, und deshalb fällt es dir schwer, dir vorzustellen, du könntest genauso zur Ruhe kommen wie der Apfelsaft.
Gut, sagst du, aber man kann doch Menschen, also Lebewesen mit der Fähigkeit zu denken und zu fühlen, nicht mit einem Glas Saft vergleichen. Das stimmt schon, aber trotzdem denke ich, dass auch uns gelingt, wozu der Apfelsaft in der Lage ist, und mehr als das. Wir können vollkommen ruhig und friedvoll sein, nicht nur beim Sitzen, sondern auch beim Gehen und bei der Arbeit.
Du glaubst mir wohl nicht, denn es sind bereits vierzig Minuten vergangen, und trotz aller Mühe ist es dir nicht gelungen, den erhofften Frieden zu finden. Thuy schläft ruhig und friedlich, ganz leicht ist ihr Atem. Komm, wir zünden noch eine Kerze an und sprechen dann weiter.
Die kleine Thuy schläft völlig gelöst und ohne Anstrengung. Du kennst doch auch diese Nächte, in denen du keinen Schlaf findest, und je mehr du dich anstrengst, desto weniger gelingt es dir einzuschlafen. Du willst dich zwingen, friedlich und ruhig zu sein, aber da ist ein Widerstand in dir. Dieselbe Art von Widerstand verspüren viele Menschen bei ihren ersten Meditationserfahrungen. Je angestrengter sie sich um Ruhe bemühen, desto unruhiger werden sie. Die Vietnamesen sehen sich dann als Opfer böser Dämonen oder schlechten Karmas, aber tatsächlich entsteht dieser Widerstand aus dem krampfhaften Bemühen um Ruhe und Frieden. So wird die Anstrengung selbst zum Hindernis. Unsere Gedanken und Gefühle fließen wie ein Fluss dahin. Versuchen wir das Dahinströmen eines Flusses zu behindern, begegnen wir dem Widerstand des Wassers. Besser ist es also, sich seinem Strömen zu überlassen und das Wasser dann allmählich in die gewünschte Richtung zu lenken. Wir brauchen es nicht aufzuhalten.
Merke dir, dass der Fluss weiterströmen muss und wir ihm zu folgen haben. Auch jeden kleinen Zufluss müssen wir beachten, alle Gedanken, Gefühle und Empfindungen wahrnehmen, die in uns entstehen – dabei beobachten wir, wie sie entstehen, wie lange sie andauern und wie sie wieder verschwinden. Verstehst du? Jetzt beginnt der Widerstand zu weichen. Zwar fließt der Wahrnehmungsstrom immer weiter, aber nun nicht mehr in der Dunkelheit, sondern im hellen Sonnenlicht des Gewahrseins. Wenn wir dieses Sonnenlicht in uns stets aufrechterhalten und es auf jedes noch so kleine Flüsschen, jeden Kieselstein und jede Flussbiegung richten, so nennen wir das unsere Meditationspraxis. Meditation bedeutet in erster Linie, zu beobachten und den Dingen genau nachzugehen. Wenn wir also die Dinge auf diese Weise wahrnehmen, dann merken wir, dass wir Kontrolle über sie haben, auch wenn der Fluss ständig weiterfließt. Wir verspüren eine friedvolle Ruhe, aber es ist nicht die »Ruhe« des Apfelsafts. Es ist keineswegs eine Erstarrung unserer Gedanken und Gefühle damit gemeint. Wir sind ruhig, aber nicht betäubt. Auch ist da nicht plötzlich eine Leere an Gedanken, Wahrnehmungen und Empfindungen. Ein friedvoller Geist ist kein abwesender Geist. Natürlich besteht unser gesamtes Sein nicht nur aus Gedanken und Gefühlen. Zum Geist gehören ebenso Wut, Hass, Scham, Vertrauen, Zweifel, Ungeduld, Ekel, Verlangen, Kummer und Angst. Desgleichen gehören Hoffnung, Hemmung, Intuition, Instinkt sowie bewusste und unbewusste Geistesinhalte zum Sein. Im Vijñanavada-Buddhismus wird ausführlich über die acht Bewusstseinsarten und 51 Geistesformationen gesprochen. Wenn du Zeit hast, kannst du dir diese Ausführungen einmal durchlesen. Sie behandeln alle seelischen Erscheinungsformen.
Gewöhnlich denken Meditierende am Anfang, sie müssten all ihre Gedanken und Gefühle (die oft als »falscher Geist« bezeichnet werden) unterdrücken, damit sie günstige Bedingungen für ihre Konzentration und ihr Verstehen schaffen (was dann als »wahrer Geist« bezeichnet wird). Dazu bedienen sie sich verschiedener Methoden wie z.B., die Aufmerksamkeit auf ein einziges Objekt zu richten oder die Atemzüge zu zählen, um damit ihre Gedanken und Gefühle abzublocken. Nun sind dies auszeichnete Methoden, aber sie sollten nicht dazu benutzt werden, irgendetwas abzublocken oder zu unterdrücken. Wir wissen doch: Sobald es Unterdrückung gibt, gibt es auch Rebellion – sie gehören untrennbar zusammen. Falscher Geist und wahrer Geist sind eins. Leugnest du den einen, so leugnest du auch den anderen. Unterdrückst du den einen, unterdrückst du auch den anderen. Unser Geist ist unser Selbst, und das können wir nicht unterdrücken. Wir sollten es im Gegenteil respektvoll, sanft und völlig gewaltlos behandeln. Da wir ja nicht einmal wissen, was unser »Selbst« ist, wie sollen wir da beurteilen, ob es falsch oder wahr ist, ob es da etwas zu unterdrücken gibt, und wenn, wie. So können wir nur das Sonnenlicht der Achtsamkeit darauf scheinen lassen und es er-leuchten, um einen klaren Blick darauf zu werfen.
So wie Blumen und Blätter nur Teil einer Pflanze sind, Wellen nur Teil des Ozeans, so sind auch Wahrnehmungen, Gefühle und Gedanken nur Teil des Selbst. Blumen und Blätter sind eine natürliche Manifestation von Pflanzen, und ebenso sind Wellen natürliche Ausdrucksformen des Meeres. Es ist sinnlos, diese Dinge unterdrücken oder behindern zu wollen, es ist einfach nicht möglich. Wir können sie lediglich beobachten. Da sie vorhanden sind, können wir ihren Ursprung erkennen, und dieser ist nichts anderes als unser eigener Ursprung.
Die Sonne der Achtsamkeit entspringt dem Herzen des Selbst und macht es möglich, das Selbst zu erhellen. Sie erhellt nicht nur sämtliche Gedanken und Gefühle, sondern ebenso sich selbst.
Wenden wir uns aber noch einmal dem Apfelsaft zu, der da so still »ruht«. Der Strom unserer Wahrnehmungen fließt stetig fort, aber jetzt fließt er friedlich im Licht der Achtsamkeit, und wir sind ganz gelassen. Natürlich ist die Beziehung zwischen dem Wahrnehmungsstrom und der Sonne der Achtsamkeit nicht identisch mit der zwischen einem wirklichen Fluss und der realen Sonne. Ganz gleich, ob es Mitternacht ist oder heller Mittag, ob die Sonne also gerade nicht scheint oder ob sie ihre durchdringenden Strahlen auf die Erde schickt – das Wasser des Mississippi fließt stetig, und es verändert sich dabei kaum. Anders ist es mit der Sonne der Achtsamkeit, die auf den Strom unserer Wahrnehmungen scheint: Wenn dies geschieht, so wird der Geist verwandelt. Denn Strom und Sonne sind von derselben Natur.
Wir wollen einmal die Beziehung zwischen der Farbe der Blätter und dem Sonnenlicht betrachten. Auch sie sind von derselben Natur. Nachts kann man im Licht der Sterne und des Mondes nur die Umrisse der Bäume und Blätter erkennen. Schiene nun aber plötzlich die Sonne, würde sofort die grüne Farbe der Blätter sichtbar. Das zarte Grün der Blätter im Frühling existiert, weil der Sonnenschein existiert.
Dies schrieb ich eines Tages in Anlehnung an das Prajñaparamita Sutra:
Der Sonnenschein, das sind grüne Blätter,
und grüne Blätter sind Sonnenschein.
Der Sonnenschein unterscheidet sich nicht von grünen Blättern.
Dies gilt für alle Formen und Farben.[1]
In dem Augenblick, in dem die Sonne der Achtsamkeit zu scheinen beginnt, findet ein grundlegender Wandel statt. Meditation lässt ganz leicht die Sonne der Achtsamkeit aufgehen, und wir sehen klarer. Während der Meditation scheinen wir aus zwei Arten von Selbst zu bestehen: Das eine ist der Strom der Gedanken und Gefühle, das andere ist die Sonne der Achtsamkeit, die darauf scheint. Welches ist nun unser Selbst? Welches ist wahr, welches falsch? Welches ist gut, welches schlecht? Beruhige dich, mein Freund. Lass das geschliffene Schwert des konzeptorientierten Denkens sinken, und sei nicht mehr so darauf bedacht, dein »Selbst« in zwei Teile zu spalten. Beide sind doch das Selbst, keins ist wahr oder falsch. Wir wissen, dass Licht und Farbe keineswegs getrennte Phänomene sind. Und ebenso sind auch die Sonne des Selbst und der Strom des Selbst nicht zu unterscheiden. Komm, setz dich mit mir hin, ein Lächeln auf deinen Lippen, schließ die Augen, wenn es notwendig ist, um dich, dein Selbst, klarer zu erkennen. Die Sonne der Achtsamkeit in dir ist lediglich Teil vom Strom des Selbst, nicht wahr? Sie folgt den gleichen Gesetzen wie alle anderen seelischen Erscheinungsformen: Sie entsteht und vergeht. Wenn eine Wissenschaftlerin etwas unter dem Mikroskop untersuchen will, muss sie helles Licht auf das Objekt richten. Das musst auch du tun, wenn du das Selbst betrachten willst – es ins Licht der Achtsamkeit rücken.
Gerade habe ich dir geraten, das Schwert des konzeptorientierten Denkens beiseitezulegen und dein Selbst nicht in zwei Teile zu schneiden. Aber das würde dir auch gar nicht gelingen, selbst wenn du wolltest. Glaubst du, du könntest den Sonnenschein von den grünen Blättern trennen? Genauso wenig kannst du das beobachtende Selbst trennen von dem Selbst, das beobachtet wird. Wenn die Sonne der Achtsamkeit erstrahlt, verwandelt sich die Natur der Gedanken und Gefühle. Sie ist eins mit dem beobachtenden Geist, und dennoch bleiben sie verschieden, so wie das Grün der Blätter und der Sonnenschein. Stürze dich nicht vom Konzept von »zwei« plötzlich auf das Konzept von »eins«. Diese stets vorhandene Sonne der Achtsamkeit ist zugleich auch ihr eigenes Objekt. Wenn man eine Lampe anschaltet, erscheint auch die Lampe im Licht. »Ich weiß, dass ich weiß.« »Ich bin mir dessen bewusst, dass ich mir bewusst bin.« Wenn du etwa denkst: »Die Sonne der Achtsamkeit in mir ist erloschen«, dann leuchtet sie augenblicklich von selbst auf, schneller als mit Lichtgeschwindigkeit.